Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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26

Margaret war beim Ankleiden, als das kurze Telegramm eintraf:

»Kann heute abend nicht kommen. Dieselbe Zeit morgen. Connor.«

In gewisser Beziehung war sie erleichtert, obgleich sie froh gewesen wäre, wenn dieser Zustand der Ungewißheit, in dem sie lebte, aufgehört hätte. Sie glaubte, richtig zu handeln, wenn sie Geld mitnähme, und hatte darum tausend Pfund von der Bank abgehoben. Doch nach nochmaliger Überlegung ließ sie die Summe zu Haus. Wenn es sich um Erpressung handelte, konnten diese Menschen ein paar Stunden warten. Sie kannte die Gegend nicht, aber sie vermutete, daß es besser wäre, wenn eine unbeschützte Frau dort keine große Geldsumme bei sich hätte.

Als sie das Geld fortlegte, fiel ihr Blick auf einen Briefumschlag, der ihr einen Stich ins Herz gab. Er enthielt die letzte Botschaft des armen Rex. Verschiedentlich war sie nahe daran gewesen, diesen Umschlag ins Feuer zu werfen, aber irgend etwas hielt sie davon zurück. Es gab eine Zeit, wo sie den Anreiz zum Haß, den dieser traurige Zettel enthielt, nötig hatte. Aber diese Zeit war vorüber. Die Hand des armen Jungen lag immer noch schwer auf ihr. Er hatte Lukes Leben verdorben und konnte sie noch ins Unglück stürzen. Jetzt mußte sie noch einmal vierundzwanzig Stunden warten, ehe sich ihre Zweifel lösten.

Sie hörte die Haustürklingel. Gleich darauf wurde an die Tür geklopft, und ihr Diener kam herein.

»Es ist ein Mann da, der Sie zu sprechen wünscht, gnädige Frau, ich glaube, er ist schon einmal hier gewesen – ein Mr. Haynes.«

Zuerst wußte sie nicht, wer das war, aber plötzlich erinnerte sie sich seines früheren Besuches. Das war wenigstens ein Mensch, der Luke freundlich gesinnt war.

»Führen sie ihn herauf, bitte«, sagte sie.

Jetzt fiel ihr die Unterredung ein, die sie früher mit ihm gehabt hatte. Er hatte ihr gesagt, daß Danty Morell ein Mensch sei, mit dem eine anständige Frau nichts zu tun haben dürfte, und sie hatte nach ihrem Diener geklingelt und ihn hinausgewiesen. Aber er war mit Luke bekannt und hatte von einigen Diensten gesprochen, die dieser ihm erwiesen hätte. In ihm würde sie einen Verbündeten haben.

Haynes war auf einen solchen freundlichen Empfang nicht vorbereitet. So kam er etwas in Verlegenheit. Er war gekommen, um sich Nachricht zu verschaffen, nicht, um welche zu bringen. Er durfte auf keinen Fall verraten, daß er mit Luke in Verbindung stand.

»Es tut mir sehr leid, daß ich so unhöflich zu Ihnen war, als Sie mich damals besuchten, Mr. Haynes«, sagte sie, während sie sich hinter ihren kleinen Schreibtisch setzte und ihn einlud, Platz zu nehmen.

»Sie verletzten mich eines –« sie zögerte, »eines Freundes wegen, der jedoch nicht mehr so ganz mein Freund ist, wie erst.« Sie lächelte.

Der Gunner nickte.

»Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem gehabt habe«, sagte er. »Ich war etwas unverschämt; ich erinnere mich, daß ich Sie fragte, warum Ihr Gatte Sie verlassen hätte. Ich wundere mich, daß Sie nicht nach der Polizei schickten.«

Sie lachte.

»Wissen Sie, wo mein Mann jetzt ist?« fragte sie, und als er den Kopf schüttelte, fühlte sie ihre Hoffnung schwinden.

Sie hatte das Gefühl gehabt, daß dieser Mann mit seinem Wohltäter zusammengetroffen sei.

»Ich kann Ihnen sagen, wo Mr. Morell jetzt ist«, sagte er mit einem Zwinkern der Augen, »aber das wird Ihnen nicht viel helfen. Ich bin hergekommen, um meine Unverschämtheit zu wiederholen, Mrs. Maddison. Ich habe die leise Hoffnung, daß ich Ihnen helfen kann und auch ihrem Gatten, der in Spanien ist, wie ich Grund zu glauben habe.«

Er sagte dies mit voller Absicht, während seine Augen die ihrigen nicht verließen.

»Aber – – –« begann sie.

»Ich glaube, er ist in Spanien. Wenn man in Spanien ist, kann man nicht in London sein, nicht wahr? Und wenn er ein großer Herr in Spanien ist, weite Ausflüge durch das Land unternimmt, kann er nicht bei Taffanny einbrechen oder mit Connor zusammen sein.«

»So wissen Sie es?« unterbrach sie ihn hastig. »Ich wollte diesen Mann heute abend sehen, aber er schickte mir ein Telegramm – –«

»Das Telegramm kam von mir«, sagte Gunner Haynes kühl. »Ihre Verabredung mit ihm ist ein für allemal aufgehoben.«

»Woher wußten Sie das?« fragte sie.

Gunner lächelte geheimnisvoll.

»Ich habe eine Menge Quellen, die ich nicht verrate«, sagte er. »Was ich mit Ihnen ausmachen will . . . Ihr Gatte ist in Spanien! Sie haben Briefe von ihm erhalten, die Sie leider vernichtet haben.«

Jetzt verstand sie. Kam er von Luke? Es gab keine andere Erklärung für seine Worte, und sie fragte nicht weiter.

»Ich bin seit Jahren nicht in Ronda gewesen«, sagte der Gunner ruhig. »Und wenn ich dort gewesen wäre und Ihren Gatten getroffen hätte, könnte er doch nicht wissen, daß ich Sie mal besuchen würde. Jetzt, Mrs. Maddison, will ich jene unverschämte Frage noch einmal wiederholen: Warum hat Ihr Gatte Sie verlassen? – Nein, nein, das meine ich nicht! Ich weiß, warum er Sie verließ. Aber warum ließen Sie ihn im Stich? Das weiß ich nicht, und ich will wetten, Ihr Gatte auch nicht. Nur Sie wissen es – und Danty!«

Sie schwieg; aber sie begriff in diesem Augenblick, warum sie Rex' letzte Nachricht nicht zerstört hatte. Sie hatte sie aufbewahrt, um sie Luke eines Tages zu zeigen und die Erklärung von ihm zu fordern, nach der sie damals hätte fragen sollen. Es war ihre Rechtfertigung – die einzige für ihr Verhalten.

»Das ist eine sonderbare Frage von einem Fremden, Mr. Haynes, und ich weiß nicht, ob ich Ihnen antworten soll oder nicht.«

Sie stand eine Weile in Gedanken verloren, dann drehte sie sich plötzlich um und ging aus dem Zimmer. Haynes nahm seinen Hut vom Boden auf und erhob sich in der Meinung, daß die Unterredung beendet sei. Aber nach wenigen Minuten kam sie mit einem Briefumschlag in der Hand wieder in das Zinnner.

»Ich will Ihnen etwas sagen, was außer mir und Mr. Morell niemand weiß«, sagte sie. »Als mein Bruder sich erschossen hatte, fand man diese Zettel in seinem Zimmer.«

Sie nahm zwei Zettel aus dem Umschlage und gab sie ihm. Gunner Haynes las:

»Margaret, mein Liebling, ich bin verloren. Monatelang habe ich spekuliert und heute einen verzweifelten Schritt gewagt auf den Rat von Luke Maddison. Er hat mich ruiniert – Geld ist sein Gott. Ich bitte Dich um alles in der Welt, trau ihm nicht. Er hat mich von einer Torheit in die andere getrieben. Gott segne Dich.

Rex.«

»Ist das die Handschrift Ihres Bruders?« Sie nickte.

»Könnten Sie es beschwören?«

»Ja, ich bin sicher, daß es die seine ist. Ich habe Hunderte solcher mit Bleistift geschriebener Zettel von ihm bekommen, und ich kann mich unmöglich irren.«

»Wer fand den Zettel?«

»Mr. Morell fand ihn in Rex' Zimmer. Der arme Rex hatte einen Diener, einen durchaus vertrauenswürdigen Menschen, der sah die Zettel, ehe Mr. Morell sie in seine Tasche steckte – –«

»Er hat ihn natürlich nicht gelesen?« mutmaßte der Gunner. »Der Diener, meine ich?«

»Ich glaube nicht. Er sah den Zettel, und Mr. Morell nahm ihn schnell an sich.«

Der Gunner besaß ein bewundernswertes Gedächtnis. Von diesem Augenblick an hätte er den Brief Wort für Wort wiederholen können, er brauchte keine Abschrift, und gab ihn der jungen Frau zurück.

»Natürlich glaubten Sie, Ihr Gatte wäre für den Tod Ihres Bruders verantwortlich, und das war der Grund, warum Sie so handelten.«

»Hat er Ihnen das gesagt?« fragte sie hastig.

Gunner sagte weder nein noch ja. Er blickte stirnrunzelnd auf den Teppich, die Hände in den Hosentaschen, seine Unterlippe vorgeschoben.

»Sonderbarer Kerl, dieser Danty«, sagte er nach einer Weile, und sie merkte, daß er mehr zu sich als zu ihr sprach. »Er war immer ein Kleinigkeitskrämer. Etwas von einem Geizhals steckt in ihm, obgleich er niemals Geld festhalten konnte und das auch niemals lernen wird. Gauner sterben alle arm.«

»Werden Sie auch – –« begann sie, hielt aber verlegen inne.

Sie sah ein feines Lächeln über sein Gesicht huschen.

»Sie waren im Begriffe, mich zu fragen, werden Sie . . .?«

»Nein, Mrs. Maddison, ich werde nicht arm sterben, oder ich müßte verrückt werden. Ich brauche nicht mehr zu arbeiten. Meine Ansichten haben sich geändert. Damit will ich nicht sagen, daß ich auf zu schlechten Wegen gewandert bin. Vor fünf Jahren verkaufte mir ein Kumpan einen ganzen Stoß Anteile an einem Kupferbergwerk. Es hatte den Anschein, als wenn sie nicht mehr wert wären als das Papier, auf dem sie gedruckt waren, aber glücklicherweise warf ich sie nicht ins Feuer. Es wurde Kupfer gefunden, während ich in Untersuchungshaft war, und ich habe sie mit großem Gewinn verkauft. Ich werde nur noch ein Verbrechen verüben.«

Sie war im Begriff, darüber zu lächeln, aber sie sah etwas in seinen Augen, das das Lächeln auf ihren Lippen erstarren ließ.

»Danty Morell muß bestraft werden – – sobald ich Beweise habe«, sagte er langsam.

Er zog seine Uhr aus der Tasche.

»Ich habe eine wichtige Verabredung, Mrs. Maddison. Erlauben Sie, daß ich gehe. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihrem Gatten Nachricht gebe, denn ich weiß nicht, wo er ist. Und wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen.«

»Ist er gesund?« fragte sie ängstlich.

»Ganz gesund«, antwortete er.

Er machte keine Anstalten zu gehen, sondern blieb stehen und spielte mit seiner Uhrkette.

Plötzlich sagte er: »Er wird Geld brauchen, aber das klingt von mir . . . na, Sie verstehen ja. Wenn es not tut, kann er von mir soviel Geld haben, wie er braucht, doch finde ich es besser, wenn Sie es geben würden, schon um mir Ihr Vertrauen zu beweisen.« Er kicherte. »Das erinnert mächtig an Danty! Wenn Sie irgendeinen Zweifel haben, Mrs. Maddison, dann geben Sie mir nichts. Ich brauche zweihundert Pfund, aber dreihundert wären noch besser.«

Sie verließ das Zimmer und kam mit einem Päckchen Geldscheinen wieder.

»Vierhundert werden noch besser sein«, sagte sie, und er steckte das Geld in die Tasche, ohne zu zählen.

»Scheint ein leichtes Spiel zu sein. Schade, daß ich nicht früher damit anfing«, sagte er. »Danty, das ist ein Kerl! Es gibt keinen besseren Lügner in der Welt als er!«

Er streckte seine Hand aus, und sie schüttelte sie.

»Ich werde Sie wiedersehen, Mrs. Maddison; eines Tages vielleicht, wenn Sie nach Ronda reisen, werden Sie mir erlauben, denselben Zug zu benutzen, damit Sie nicht einem richtigen Hochstapler in die Hände fallen!«


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