Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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8

Der Direktor und Prokurist von Maddisons Bank gehörte nicht zu den Menschen, die leicht überrascht werden konnten. Er hatte jene fatalistischen Eigenschaften, die man fast bei allen Menschen findet, die mit Finanzgeschäften zu tun haben. Die Schwankungen der Börse, die Bankraten, das Auf und Nieder des Handels ließen ihn – äußerlich wenigstens – unberührt. Einmal war er von einem bewaffneten Räuber angehalten worden und hatte nicht einen Augenblick seine Ruhe verloren. Und doch starrte er mit größter Verwunderung, unfähig zu sprechen, als er Luke Maddison durch das äußere Büro nach seinem Privatzimmer gehen sah.

»'s ist schon gut, Steele«, lächelte dieser. »Es ist kein Geist.«

Mr. Steele fand endlich seine Sprache wieder und:

»Ich dachte . . . hm . . .«

»Sie dachten, ich wäre auf der Hochzeitsreise, aber wie Sie sehen, stimmt das nicht«, sagte Luke, als er dem Prokuristen voran in sein Büro ging.

Bei dem Anblick der enormen Gestalt, die in einem der bequemsten Sessel lag, blieb er auf der Türschwelle stehen.

»Mr. Bird kam heut morgen, und ich glaubte . . . hm . . . ich dachte, Sie würden nichts dagegen haben, wenn ich mit ihm in Ihrem Zimmer verhandelte.«

Luke Maddison schüttelte schon die Hände seines Besuchers.

»Dachte ich mir's doch, daß Sie kommen würden«, sagte der Spatz vergnügt. »Ich habe gewußt, daß Sie nicht mit dem Flitterwochenexpreß gefahren sind.«

Luke lachte.

»Sie waren am Bahnhof, wie ich annehme?«

»Ich und ungefähr vierzehn verschiedene Hochstapler«, war die Antwort des Detektivs, »aber nur zwei von ihnen hatten in diesem Dampferzug für uns ein besonderes Interesse. Alle übrigen waren ganz gewöhnliche Gepäckdiebe und die hielten es dann nicht lange auf dem Bahnhof aus. Ich und ›er‹ warteten, bis der Pariser Zug abfuhr.«

»Wer war denn ›er‹?« fragte Luke, erhielt aber keine Aufklärung.

»Doch nichts Ernsthaftes, Mr. Maddison? Ja, ich weiß natürlich, daß Ihre junge Frau sich nicht besonders gut befindet, hoffentlich ist es nichts Schlimmes?«

Es kam ihm noch so fremd vor, daß man von Margaret als »seiner jungen Frau« sprach, und Luke lachte leise und glücklich vor sich hin.

»Ich wollte Sie mal wegen eines kleinen Gauners sprechen«, erklärte der Spatz, »falls Sie damit nicht das Vertrauen eines Verbrechers zu täuschen glauben. Ich möchte nämlich gern wissen, was Lewing gestern bei Ihnen wollte?«

Luke zögerte; es war ihm unangenehm, etwas zu sagen, das den Mann oder dessen Auftraggeber in Unannehmlichkeiten bringen könnte.

»Kam er vielleicht um Geld – für den Gunner?« Mr. Bird beobachtete ihn genau. »Aha, das dachte ich mir. Der Gunner hat Berufung eingelegt, das stimmt, und ich glaube, er wird damit durchkommen. Ich habe die Angelegenheit mit ihm im Hofe des Brixton-Gefängnisses besprochen, und Lewing muß in der Nähe gewesen sein und gehört haben, was ich sagte. Was haben Sie ihm denn gegeben?«

So genau wie möglich teilte Luke ihm den Inhalt der Unterhaltung mit Lewing mit. Der Spatz grinste.

»Der Gunner würde nicht einmal mit einem Mann wie Lewing sprechen. Haynes gehört zu der, wie die Zeitungsschreiber so schön sagen, Aristokratie der Verbrechergesellschaft. Wenn Sie Antrag stellen wollen, werde ich mir Lewing langen.«

Aber Luke wollte nicht damit belästigt werden.

»Es ist gut – lassen Sie ihn laufen. Er wird es so weiter treiben, wird den Kindern der Armen das Letzte nehmen, bis er eines Tages fällt, und dann werde ich höchstwahrscheinlich auf ihm drauf liegen.«

Diese Phrase erregte Lukes Aufmerksamkeit, und er stellte eine Frage. Der Spatz blies durch seine dicken Lippen.

»Menschen wie Sie, Mr. Maddison, können so etwas nicht verstehen. Sehen Sie mal aus dem Fenster« – er wies auf die Straße und Luke blickte hinunter. »Sehen Sie das junge Mädchen – Typistin oder so was Ähnliches. Zwei Pfund die Woche. Sie kommt aus einer Familie von ungefähr sechs Menschen (stimmt das nicht bei der, so sicher bei einer der vielen anderen, die da vorbeilaufen) und wohnt ganz weit draußen in Bermundsey. Ein jeder ist gegen sie! Sie glauben das nicht! – Man versucht, sie zu bestehlen, man liegt immer im Hinterhalt für ein solches Wild wie diese da. An den Haltestellen, in den Autobussen, überall sind die Gauner und versuchen, ihr die Börse mit den wenigen Schillingen zu stehlen. Vielleicht kommt so ein nett aussehender Kerl, ladet sie ein zum Kino – und dann . . . an irgendeinem Abend wird sie mit ihm in ein Nachtlokal gehen . . . und . . . geht unter. Sehen Sie den Mann da, den alten Kerl? Der erhält seine Familie mit beinahe nichts. Zimmermann . . . nach seiner Arbeitstasche. Wissen Sie, was ihm eines Tages passieren wird? Man wird ihn an einer stillen Ecke zu Boden schlagen, seine Werkzeuge wegnehmen und die Taschen leeren. Ich könnte Ihnen noch viel davon erzählen. – Darum verdiene ich ja soundso viel pro Woche, weil ich ›die Kinder der Armen‹ schützen muß . . . soweit ich kann. Begreifen Sie das nun?«

»Aber ich dachte, die Gauner sind nur hinter reichen Leuten her?« fragte Luke.

Mr. Bird lachte laut heraus.

»Hinter den Reichen? Die haben ihr Geld auf der Bank, im Geldschrank. Die haben Dienerschaft und Telephon . . . und haben das Gesetz auf ihrer Seite, Gesetz und Unterstützung. Ein Gauner würde viel lieber einem armen Teufel das letzte wegnehmen. Der ist ja hilflos, der kann sich nicht wehren, denn auch . . . Gerechtigkeit kostet Geld. Ich sage Ihnen, Mr. Maddison, Sie können sich keinen Begriff machen, wie arm die Armen in Wirklichkeit sind, wie sie leben, und noch weniger von den Gaunern, die von den Ärmsten der Armen existieren. Ich könnte Sie in ein Viertel in Süd-London bringen, wo sie in ganzen Herden zusammenleben – all diese kleinen, verkommenen, gemeinen Diebe – genau so, wie man es manchmal in Büchern liest. Leben zusammen in Kellern und alten verlassenen Speichern. Die halten Ihren Kopf in den Schlamm des Flusses, bis Sie tot sind – und wenn das nur wenige Pfund für jeden von ihnen einbringt.«

Luke schauderte.

»Es erscheint einem fast unmöglich.«

Mr. Bird lächelte halb amüsiert, halb traurig.

»Ich hoffe, Sie werden niemals kennenlernen, wie möglich, wie sehr möglich das leider ist – also, was soll mit Lewing geschehen?«

Luke schüttelte abweisend den Kopf, und der Spatz, der sich mit Mühe aus seinem Sessel emporhißte, grunzte seine Unzufriedenheit über eine solche Milde.

»Er gehört zu den Schlechtesten. Einbruch, hat er Ihnen erzählt? Er hat nicht so viel Mut wie ein . . . wie ein Regenwurm. Er gehört zu den Flußdieben – später werde ich Ihnen mal mehr davon erzählen.«

Während der Unterhaltung war Steele schon zweimal auf der Türschwelle erschienen. Er schien in Unruhe zu sein, blickte bedeutungsvoll zu Bird und gab Luke mit allen Mitteln zu verstehen, daß er ihn möglichst bald zu sprechen wünschte. Der Detektiv hatte kaum das Büro verlassen, als Steele hereinkam.

»Der Scheck über neunundsiebzigtausend Pfund, den Sie mir gestern gaben – der Direktor der Bank läßt Ihnen sagen, daß er Sie dringend sprechen müßte. Er wollte mir nicht erzählen, um was es sich handelte, allerdings erst, nachdem ich ihm gesagt hatte, Sie wären noch nicht abgereist.«

»Aber das ist doch mein Privatguthaben«, sagte Luke stirnrunzelnd.

»Genau dasselbe habe ich ihm auch gesagt, habe ihm auseinandergesetzt, daß Sie diesen Betrag von Ihrem Guthaben auf das Konto der Bank überwiesen hätten, aber er sagt, er müßte Sie sprechen.«

Die Bank war nicht weit entfernt, und kaum zehn Minuten später saß Luke im Büro des Direktors. Zuerst nahm er dessen Glückwünsche entgegen und gab dann eine kurze Erklärung für den Aufschub seiner Hochzeitsreise. Margaret befand sich besser – er hatte am frühen Morgen bei ihr angerufen und befriedigende Auskunft erhalten.

»Und jetzt wegen des Schecks, Mr. Maddison.«

Der Direktor wurde plötzlich kühler Geschäftsmann. »Es ist Ihnen doch klar, daß er nicht ausgezahlt werden kann?«

»Was?« Luke blickte ihn ungläubig an, und der Bankier lachte.

»Klingt lächerlich, nicht wahr? Ganz besonders für mich, wenn ich mir überlege, daß ich zu dem Haupt von Maddisons Bank spreche. Aber es ist wirklich so. Es ist nur eine Formalität, aber Sie als Bankier sind sich selbstverständlich darüber klar, daß das ganze Bankgeschäft auf Formalitäten –«

»Wollen Sie mir nicht, bitte, sagen, was Sie eigentlich meinen?« unterbrach Luke ungeduldig. »Ich habe sechshunderttausend –«

»Sie hatten«, lächelte der Direktor, »aber Sie scheinen vergessen zu haben, Mr. Maddison, daß Sie Ihr ganzes Geld, all Ihre Wertpapiere, mit einem Wort, Ihr ganzes Vermögen Ihrer Frau verschrieben haben!«

Und jetzt wurde sich Luke Maddison bewußt, daß er pfenniglos war. Er lächelte erst, und brach dann in ein schallendes Gelächter aus, in das der Bankdirektor mit einstimmte.

»Das ist der beste Witz, den ich jemals gehört habe.« Luke trocknete sich die Augen. »Das hatte ich ja ganz vergessen. Werde sofort Mrs. Maddison aufsuchen« – er zog die Worte lang – »und sie ersuchen, mir einen Scheck über diesen Betrag aushändigen zu wollen.«

»Aber bald«, riet der Bankier, »Sie wissen, daß ich den Scheck zurücksenden muß, falls ich nicht von Ihrer Frau autorisiert werde, ihn auszuzahlen.«

Luke lächelte ein wenig verächtlich, hielt es aber nicht einmal der Mühe für wert, Margaret sofort aufzusuchen. Kurz vor dem Lunch fiel ihm die Angelegenheit ein und er telefonierte.

»Ich möchte dich sprechen, mein Liebling.«

»Weswegen?« Es wurde ihr schwer, den Verdacht, den sie fühlte, zu verbergen.

»Ich möchte deine Unterschrift unter ein kleines Dokument haben«, erwiderte er vergnügt.

Das war es also! Danty hatte sie gewarnt. Nur hätte sie niemals gedacht, daß die Bitte, das ihr verschriebene Vermögen wieder herauszugeben, so schnell kommen würde.

»Ein Dokument?«

»Ich möchte dich bitten, etwas Geld auf mein Konto zu überweisen«, sagte er. »Es ist nur eine reine Formalität – ich habe herausgefunden, daß ich weniger Geld habe, als ich brauche.«

Sie dachte rasend schnell.

»Gut, komm um drei Uhr zu mir.«

Er dachte nicht daran, daß die Bank um halb vier Uhr schloß, und stimmte zu. Schließlich war es ja auch nicht von großer Bedeutung, wenn der Scheck zurückgesandt wurde. Es handelte sich ja nur um einen einfachen Übertrag von seinem persönlichen Guthaben auf die Bank. Er kam – wie üblich – fünf Minuten zu spät und wurde in ihren kleinen Salon geführt. Was ihm zuallererst auffiel, war, daß sie völlig angezogen war. Er hatte sich vorgestellt, daß sie ruhte, ihn vielleicht im bequemen Negligé empfangen würde. Ihr Gesicht war nicht mehr so blaß wie am Tage vorher. Als er auf sie zuging, um sie in seine Arme zu schließen, erlebte er die erste Überraschung.

»Küsse mich nicht – bitte!«

Es war keine Bitte: es war ein klarer Befehl.

»Warum – was gibt's denn, Liebling?«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Bitte, sage mir, was du willst.«

Der Ton ihrer Stimme berührte ihn fremd. Er war hart, beinahe feindlich. Luke glaubte kaum, seinen Ohren trauen zu können.

Stammelnd wie ein Schuljunge erzählte er ihr in zusammenhangslosen Sätzen die Sachlage. Sie lauschte, ohne ihn mit einem Wort zu unterbrechen.

»Neunundsiebzigtausend Pfund«, sagte sie. »Ein Zehntel davon würde Rex gerettet haben.«

Er konnte sie nur verständnislos anstarren.

»Es ist wirklich abstoßend, sehen zu müssen, wie ein Mann das Gold zu seinem Gott erhebt, und zu wissen, Luke, daß er für dieses Gold ohne Zögern ein so junges Leben opfern konnte wie . . .«

Margarets Stimme klang in seinen Ohren wie dröhnender Glockenschall; und ihr schien es unfaßbar, daß sie es war, die diese Worte sprach.

»Und dann den armen toten Jungen der Fälschung beschuldigen – zu einer Niedertracht noch eine größere hinzufügen!«

»Ich . . . sprichst du von mir?« sagte er kaum hörbar.

Sie nickte.

»Von dir! Ich wußte, du würdest kommen, um dein Geld zurückzuhaben – das ist der Grund, warum ich nicht mit dir nach Frankreich abreiste. Ich wollte, daß die Entscheidung hier fiel. Hier, wo ich Bekannte, wo ich Freunde habe und mit dir mit gleichen Waffen kämpfen kann.«

Eine Pause, und dann:

»Luke . . . ich gebe dir kein Geld. Du hast es mir gegeben – es ist mein. Nicht einen Pfennig wirst du von mir erhalten . . . nicht einen einzigen Pfennig!«

Sie wünschte, er würde das Schweigen, das nun folgte, unterbrechen. Sie wünschte, er würde rasen, toben, sie verfluchen, alles das tun, wie sie es sich vorgestellt hatte. Aber er sagte kein Wort. Er blickte sie nicht einmal an, sondern schien das Muster des Teppichs zu studieren, auf dem ihre Füße ruhten. Endlich warf er den Kopf hoch.

»Lebewohl«, sagte er und verließ das Zimmer.

Sie hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloß, und jetzt kam ihr zum Bewußtsein, was sie beinahe wahnsinnig werden ließ: sie liebte ihn!


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