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Mr. Sleser saß an einem gewaltigen Schreibtisch, eine unscheinbare Tonpfeife im Mund. Das Zimmer roch kräftig nach Shag-Tabak.
»Tag, Braid.«
»Darf ich Ihnen Mr. Samer vorstellen?« sagte Tony.
»Freut mich. Habe genau zwei Minuten für Sie Zeit.«
»Das genügt nicht«, erwiderte Tony ruhig, während er Mr. Sleser vergnügt zublinzelte. »Hören Sie mich erst an, dann können Sie uns ja immer noch hinauswerfen. Haben Sie den Diamanten bei sich?«
Slesers Gesicht verzog sich unmutig.
»Ja«, nickte er langsam. »Was wollen Sie damit?«
»Unser Freund hier ist Juwelier.«
Sleser lehnte sich in den Stuhl zurück und lachte laut und herzlich.
»Sie sind ein ungläubiger Thomas! Trauen Ihren eigenen Augen nicht, wie? Schade um die zwei Minuten! Aber ich werde Ihnen den Stein zeigen.«
Er schloß den Safe auf, entnahm ihm ein kleines blaues Ringetui und öffnete es. Der viereckige Diamant glitzerte auf seinem blauen Samtlager.
»Das ist er!« schrie Samer bebend. »Gott sei Dank, daß ich ihn gefunden habe! Sie haben meine Ehre gerettet, Mr. Braid!«
Sleser starrte ihn verdutzt an.
»Was ist los?« fragte er und wandte sich brüsk an Tony.
»Das kann ich Ihnen in wenigen Worten sagen. Dieser Diamant ist vor zwei oder drei Tagen diesem Herrn von Rex Guelder abgekauft worden«, berichtete Tony gelassen. »Er wurde aus Versehen verkauft. Er gehört nämlich der Herzogin von Hanfield, die ihn umfassen lassen wollte. Mr. Samer verkaufte . . .«
»Mein Gehilfe«, flocht Mr. Samer sanft ein.
Sleser stieß seinen Stuhl vom Tisch zurück.
»Augenblick! Das muß ich erst mal verdauen! – Sie erkennen diesen Stein mit Bestimmtheit als den, den Sie vor zwei, drei Tagen an Mr. Guelder verkauft haben?«
»Mein Gehilfe«, berichtigte Samer wieder. »Der Herr kam herein und sagte, er suche einen Diamanten von ganz besonderer Form. Er suche ganz England danach ab; denn er solle genau zu einem gelben Diamanten passen, den er besitze.«
»Kennen Sie das Gewicht von diesem hier?«
Mr. Samer zog wieder die kleine Fotografie hervor, auf deren Rückseite Zahlen standen, die nur er zu deuten verstand.
Sleser ging zum Fenster, wo unter einem Glassturz eine Goldwaage stand. Er legte den Diamanten auf die eine Schale, einige kleine flache Gewichte auf die andere.
Mr. Samer las jetzt das Gewicht von der Fotografie ab. »Genau«, rief Sleser und prustete vor Zorn.
Eine Zeitlang – es schien eine Ewigkeit – war es im Zimmer totenstill. Dann drückte Sleser auf einen Knopf. Der Sekretär erschien und machte eine Bewegung, den Besuch hinauszulassen.
»Machen Sie die Tür zu«, schnaubte Sleser. »Rufen Sie die Bank an. Der Scheck von zwanzigtausend Pfund, den ich Guelder gegeben habe, soll sofort gesperrt werden. Telefonieren Sie jedem Makler, den Sie kennen, er soll sofort aufhören zu verkaufen und soll dieselben Aktien zurückkaufen. Sagen Sie ihnen, sie sollen bis zur Bewußtlosigkeit kaufen. Danke sehr, weiter nichts.« Er nahm die Tonpfeife wieder auf, die er auf den Tisch gelegt hatte, zündete sie an und paffte dicke Wolken.
»Vielleicht wird Ihre Achtung vor der Aristokratie einige Punkte sinken, Mr. Samer. Aber trotzdem bin ich ein intimer Freund der Herzogin von Hanfield. Ich werde schon dafür sorgen, daß Sie durch diesen Stein keine Ungelegenheiten haben. Ich brauche ihn noch ein, zwei Tage, dann kriegen Sie ihn zurück. Ihre Durchlaucht ist in Paris. Ich habe heute morgen zufällig von ihr einen Brief bekommen. Ich werden sie anrufen und erfahren, wie lange sie noch bleibt. Wenn sie sehr bald eintrifft, werde ich ihr die Wahrheit sagen. Sonst – na, bis dahin haben Sie ja den Stein zurück. Ich danke Ihnen.«
Er streckte die Hand aus und preßte die zarten Juwelenfinger des kleinen Mannes mit solchem Nachdruck, daß der Alte vor Schmerz auf einem Bein hüpfte.
»Sie finden wohl allein hinaus. Ich muß noch mit Mr. Braid sprechen.«
Als der kleine Juwelier gegangen war, sagte Sleser: »Jetzt bin ich wieder in Ihrer Schuld, Braid. Dieser Schweinehund hat uns gestern abend 'reingelegt! Nicht zu glauben: vier ausgewachsene Männer von diesem Federfuchser übertölpelt. Wir sollten uns schämen! Natürlich hat er den Stein ausgetauscht. Hat blaue Funken stieben lassen, um uns zu blenden und um schnell und heimlich die Steine auszutauschen. Die Sache ist mir ganz klar – leider zehn Stunden zu spät. Kommen Sie. Wir wollen diesem Mr. Guelder mal ein bißchen auf die Hühneraugen treten.«
»Er ist nicht im Büro«, belehrte ihn Tony.
»Quatsch«, polterte Sleser. »Er hat mich heute vormittag zweimal angerufen.
Kein Angestellter wagte, dem Eindringen des mächtigen Sleser zu wehren, als er durch die Vorzimmer stapfte und die Tür zu Reefs Privatkontor aufriß, hineinmarschierte und Tony hereinwinkte.
Julian war nicht allein. Guelder saß bequem in einem tiefen Klubsessel, die unvermeidliche Zigarre zwischen den Zähnen. Sein Gesicht leuchtete auf bei Slesers Anblick, doch das Lächeln wurde sehr schwach, als Braid in Sicht kam.
»Machen Sie die Tür zu, Braid«, bat Sleser, zog eine Schachtel heraus und zeigte den Diamanten.
»Den haben Sie doch gestern abend fabriziert, Guelder, nicht wahr?«
»Ja, das ist der Stein«, sagte Guelder verbindlich.
Sleser blickte zu Julian hinüber.
»Hängen Sie mit in dem Schwindel?«
»Schwindel?« schnappte Julian Reef und erbleichte. »Was wollen Sie damit sagen? Das war kein Schwindel – Sie haben es mit Ihren eigenen Augen gesehen. Natürlich, wenn Sie dem Burschen da –« sein Zeigefinger wies anklagend auf Braid – »Glauben schenken, dann glauben Sie an Schwindel, aber Sie haben doch selbst gesehen . . .«
»Ich glaube nicht Mr. Braid, ich glaube meinen Augen und Ohren«, erwiderte Sleser gelassen. »Dieser Stein ist vor einigen Tagen bei einem Juwelier namens Samer in Troubridge gekauft worden. Ich begreife durchaus, daß Ihr holländischer Freund zu diesem besonderen Experiment auch einen besonderen Stein brauchte. Er besaß den gelben und suchte einen dazu passenden weißen. Er hat diesen Diamanten für elfhundert Pfund gekauft.«
»Das ist eine infame Lüge!« schrie Guelder. »Ich habe ihn mit meiner Wissenschaft gezeugt . . . Sie haben's gesehen. Sie können Ihre eigenen Beobachtungen nicht Lügen strafen!«
»Sie haben den Stein ausgetauscht, Sie schmieriger Schuft!« brüllte Sleser. »Sie haben mich zum Popanz der City gemacht! Und wenn ich nicht fürchten müßte, zum Gelächter der Welt zu werden, würde ich Sie beide ins Gefängnis bringen!«
»Ich bin daran nicht beteiligt!«
Julian Reefs Blässe, seine Erschütterung, die an Verzweiflung grenzte, machten seinen Protest glaubhaft. »Wenn das wahr ist . . . nein, nein, das kann nicht wahr sein! Guelder, das hast du nicht getan!«
»Wenn Sie alle das glauben . . .« Er zog die Schultern hoch. »Ich bin Gelehrter, Chemiker, nicht Psychologe. Sie haben's mit eigenen Augen gesehen, Sie glauben es nicht, Sie hören auf diesen gerissenen Kerl . . .«
Er sprang blitzschnell hinter seinen Schreibtisch.
»Ich denke nicht daran, Sie zu schlagen«, sagte Tony verächtlich. »Aber wenn Sie noch einmal Lady Frensham belästigen, drehe ich Ihnen das Genick um.«
Julian aber dachte nicht an Ursula. Er dachte an seine ungeheuren Aufträge, an die gigantischen Aktienkäufe, die er hatte tätigen wollen. Er dachte an die Freunde, die ihm nur zögernd die Mittel zu diesen gewaltigen Transaktionen zur Verfügung gestellt hatten. Er starrte den Holländer an, dann stürzte er sich auf ihn.
Sleser trennte die beiden und schleuderte den rothaarigen jungen Mann gegen die Wand.
»Verüben Sie Ihre Morde, wenn ich nicht dabei bin!« wetterte er. »Kommen Sie, Braid. Wollen sehen, was auf der Börse los ist. Wenn ich mit einer Million Verlust herauskomme, werde ich mich glücklich schätzen.«
Während sie hinunterfuhren, fragte er:
»Sie haben Ihren Freunden wohl schon mitgeteilt, daß es fauler Zauber war?«
»Nein«, entgegnete Tony. Er schämte sich ein wenig, daß er seine Parteinahme völlig vergessen hatte. »Aber ich glaube, das macht nicht viel. Sie verkaufen sowieso nicht.«
»Dann habe ich noch Hoffnung«, rief Sleser. Es war eine sehr berechtigte Hoffnung, wie er erkannte, als sie zur Börse kamen. Diamantenaktien sausten mit derselben Geschwindigkeit hinauf, mit der sie gefallen waren.
Er nahm den Diamanten aus der Tasche und reichte ihn Tony.
»Lebt wohl, Millionen«, lachte er, »ich nehme von euch Abschied. Behalten Sie den Stein. Ich werde das mit der Herzogin schon ins reine bringen.«
»Sie sind sehr zuversichtlich«, lächelte Tony.
»Lassen Sie uns darüber schweigen«, sagte der große Mann traurig. »Ich habe ihn ihr einst geschenkt – und ich Narr habe ihn gestern nicht sofort wiedererkannt!«
»Mr. Sleser, bitte ans Telefon«, rief ein Bedienter. Als der Millionär nach einigen Augenblicken zurückkam, spielte ein sarkastisches Lächeln um seinen Mund.
»Es war mein Büro«, berichtete er. »Ich gab Guelder einen Barscheck – natürlich hat er ihn, sobald die Bank geöffnet wurde, einkassiert. Glauben Sie, daß der Sheriff mich zugucken lassen wird, wenn er baumelt? Ich möchte zu gern mal wieder tüchtig lachen.«