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Inspektor Elk von Scotland Yard war der einzige berühmte Detektiv, der sich Geheimnisse gestatten durfte. Doch nichts in Mr. Elks Leben war geheimnisvoller als die Leute, die in seinem Haus aus und ein gingen. Diebe, verlotterte Edelleute, Falschmünzer, einmal auch ein Mörder, hatten schon unter seinem interessanten Dach in Gray's Inn Road geschlummert. Jetzt erfuhr Tony Braid zu seiner Bestürzung, daß ein geheimnisvoller Trunkenbold, der genaue Kenntnis über die Lulanga-Ölquellen besaß, die Wohnung mit Mr. Elk teilte. Und gerade jetzt beschäftigte ihn nichts so angelegentlich wie Lulanga-Öl.
Ursula Frensham interessierte eine Leuchte auf dem Gebiet des Lulanga-Öls nicht besonders. Doch dieser schlanke Mann mit dem runzeligen Gesicht und den lustigen Augen war immerhin eine romantische Figur.
»Ein netter Bursche, dieser Colburn«, knurrte Elk. »Nichts Gemeines an ihm – ein Prinz. Raucht Zigarren, die jeder Gentleman rauchen kann. Hat auch ein bißchen Geld – und wird noch viel mehr haben, wenn diese Aktien erst steigen.«
Er sah Tony spöttisch an. »Ich wollte Sie sowieso wegen dieser Öl-Aktien um Rat angehen. Ihr Herren aus der City könnt einem vielleicht einen Tip geben. Und ich verdiene mein Geld ebenso gern durch Aktien und Spekulationen wie durch ehrliche Arbeit. Offen gesagt, sogar lieber.«
»Können Sie ihn mal mitbringen?« fragte Tony leise.
Elk kratzte sich den Nacken und meinte, das wäre möglich.
Während sie zum Wagen zurückgingen, fragte Ursula: »Was hat Sie an den – wie heißen die Dinger doch – Lulanga so heftig erregt?«
»Nichts. Ich habe an dieser Gesellschaft nur einiges Interesse.«
»Ist das nicht eine von Julians Gesellschaften?« rief sie plötzlich. »Aber natürlich! Und Vater hat eine ganze Menge dieser Aktien. Er macht sich sogar große Sorgen darüber.«
Sie setzte ihn am Clarence Gate ab, ein wenig verwundert über sein Verstummen, aber noch mehr überrascht durch seine Bitte, ihrem Vater die Begegnung mit Elk zu verschweigen.
Er ging auf sein kleines Haus in der Park Street zu, das für ihn Wohnung und Büro zugleich war. Denn er führte seine zahlreichen Geschäfte von diesem Haus aus. Die bescheidene Zimmerflucht, die er in der Nähe des Rathauses gemietet hatte, beehrte er sehr selten mit seiner Gegenwart.
Kaum hatte er sein Arbeitszimmer betreten, rief er sein Stadtbüro an und diktierte seine Anweisungen so rasch, wie die Stenotypistin sie aufnehmen konnte. Wenige Minuten, nachdem er das Gespräch beendet hatte, waren Lulanga-Öle und Julian Reef aus seinem Gedächtnis verbannt. Er hatte sich in das Studium des Rennkalenders vertieft.
Julian Reef hätte viel für Tony Braids Gabe gegeben, Unangenehmes so vollkommen ausschalten zu können. Hätte man irgendeinen angesehenen Geschäftsmann in der City von London nach dem schlauesten jüngeren Finanzier gefragt, so hätte er sicherlich geantwortet, seiner Meinung nach sei es dieser junge Kerl in Drapers Gardens – wie hieß er doch gleich? Ah, natürlich, Reef – Julian Reef! Es gab auch eine gewisse Clique, die ohne Zögern voll Begeisterung für ihn eingetreten wäre: er war in einem bestimmten Kreis sehr beliebt.
Es gab aber auch kluge und gewichtige Finanziers, die Julians meteorhaften Aufstieg mit einem leichten Achselzucken beobachteten.
»Er wird Millionär, aber niemals Bürgermeister von London werden«, weissagte einer von diesen. Einst brachte Mr. Reef einem großen Haus ein Projekt mit einem bombensicheren Gewinn. Der Chef des Hauses war höflich, aber ablehnend.
»Aber bester Mr. Ashlone, das ist bares Geld!« protestierte Julian.
Der weise alte Jude lächelte. »Bares Geld lacht nicht immer, Mr. Reef«, meinte er liebenswürdig. »Wir können dieses Geschäft nicht zusammen machen, ohne daß wir auch in Zukunft irgendwie mit Ihnen verbunden blieben. Und wir sind – hm – ein bißchen altfränkisch.«
Es war das erste und einzige Mal, daß Julian sich unterfing, den jungen Wein mit dem alten zu mischen. Klug erkannte er den taktischen Fehler. Es war ein Irrtum, den alten Häusern den Hof zu machen – es war, wie er sehr bald entdeckte, ein noch größeres Versehen, die neuen zu verachten.
Nun konnte man Anthony Braid weder eine neue noch eine alte Finanzmacht nennen. Er hatte sein bescheidenes Büro in Lothbury und beeinflußte eine Anzahl obskurer Diamant-Gesellschaften, die von Julians Gesichtspunkt aus höchst unbedeutend waren. In der City betrachtete man ihn weniger als Finanzmann denn als eine Autorität im Rennsport. Eine Ausnahme bildeten freilich die Cityleute, die ihn in Johannesburg gekannt hatten. Als Julian nach dem unangenehmen Streit mit dem Mann, den er am meisten in der Welt haßte, in sein Büro kam, traf er Mr. Rex Guelder auf der Schwelle seines Privatkontors.
Mr. Guelder war fett, schäbig und bebrillt. Seine Heimat war Holland, doch besuchte er aus irgendeinem merkwürdigen Grund dieses Land niemals. Er hatte ein rundes, aufgeschwemmtes, ziemlich blödes Gesicht mit hervorquellenden Augen und klaffenden Lippen. Sein Haar stand steif nach oben, seine saloppe Kleidung war Tagesgespräch in der City.
Er begrüßte Julian vertraulich wie seinesgleichen, zog ihn schnell in das Privatbüro und schloß die Tür mit einem Knall.
»Ah, mein Freund, ich muß dir was Lustiges erzählen! Deine lächerlichen Lulangas steigen wieder. Drei Sechzehntel – ein Viertel . . .«
Er sprach Englisch mit einer gewissen schwerfälligen Korrektheit, obwohl sein Ausdruck schwülstig war und er die R's sehr stark rollte.
»Schade«, grinste Julian ironisch. »Ich habe heute früh achttausend verkauft – eigentlich hätten sie zwei Punkte fallen müssen.«
Guelder zog die Schultern hoch und strahlte. »Was macht das schon aus?« fragte er. »Diese Dinge sind so unbedeutend, so lächerlich.« Mit einer verächtlichen Geste tat er Lulanga-Öl ab.
»Der neue Schmelztiegel ist angekommen und wird sofort aufgestellt werden. Auch der elektrische Herd aus Solingen. In sechs Wochen wird die neue Einrichtung fertig sein. Heute morgen sind auch die Steine aus Amsterdam eingetroffen.«
Er öffnete einen Safe in der Ecke des Zimmers, entnahm ihm einen Wildlederbeutel, ließ die Steine sorgsam durch seine Hand gleiten und schüttete sie auf Julians Schreibunterlage. Fast hundert geschliffene Diamanten blitzen in tausend bunten Strahlen des Sonnenlichts. Da waren große gelbe Diamanten und Diamanten von einem satten Rot, fast von der dunklen Glut des Rubins, und Diamanten von einem matten grünlichen Schein – doch nicht einer war weiß.
»Was kosten sie?« fragte Julian mürrisch.
Guelder lachte breit.
»Einen Dreck«, spottete er, »Fünfzehntausend Pfund, dreitausend habe ich angezahlt. Acht Firmen haben sie zusammengesucht, hier, dort und überall. Was sind sie wert? Für uns, mein lieber Julian, bestimmt Millionen. Nicht, weil wir sie verkaufen werden, sondern weil . . .« Er tippte sich an den Nasenflügel und blinzelte schlau.
»Tu sie weg!« Reef war heute morgen etwas gereizt. »Warum sind Lulangas denn um ein Viertel gestiegen? Ob da irgend jemand seine Finger dazwischen hat?«
Rex Guelder breitete seine plumpen Hände aus. »Weiß ich nicht«, brummte er. »Was liegt daran? Zerbrich dir nicht den Kopf über diese blöden Ölaktien, mein lieber Julian! Du verdienst da ein paar Tausend und dort ein paar Tausend, aber im Grunde verplemperst du dein Geld, während du jeden Pfennig für den großen Coup zusammenhalten solltest!«
Julian Reef rückte ungeduldig und nervös auf seinem Stuhl hin und her.
»Ist es denn wirklich so ein großer Coup, Rex?« fragte er gequält. »Natürlich weiß ich genau, daß du ein verteufelt kluger Chemiker bist und so 'ne Art Genie auf deinem Gebiet. Aber du scheinst nicht zu wissen, daß wir schon fünfzigtausend Pfund verpulvert haben. Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, daß ich einmal den Stein der Weisen suchen würde . . .«
»Stein der Weisen!« schnauzte Guelder. »Blödsinn!« Er schnippte verächtlich mit den Fingern. »Du beleidigst mich. Du beleidigst meinen Genius, Julian. Du beleidigst die Wissenschaft, aber du wirst schon sehen!«
Er schob die Steine vorsichtig mit der einen Hand an die Kante des Tisches und in die Öffnung des Beutels, den er mit der anderen offenhielt. Dann drehte er das Leder zusammen und legte den Beutel zurück in den Tresor. Plötzlich fragte er ganz unvermittelt: »Was ist dir denn passiert?«
Julian strich über seinen Kiefer. »Dieses Schwein hat mich hinterrücks überfallen«, knurrte er.
Rex Guelder prustete die dicken Lippen auf. »Es gibt in dieser Stadt so viele Schweine. War es das ›gerissene‹ Schwein?«
»Allerdings«, polterte Julian, »aber eines Tages werde ich ihm einen Stoß geben, daß er nicht wieder aufkommt!«
Ein Lächeln zog über das feiste Gesicht des Holländers.
»Was gibt's daran Komisches?« grollte Julian.
»Etwas sehr Komisches sogar, mein Freund. Vorhin sprach ich mit Jollybell. – Dabei kam die Rede auf den ›gerissenen Kerl‹. Worin glaubst du wohl, hat er sein Geld angelegt? In Diamanten! De Vere's, Ramier's, Orange River . . .«
Er bog sich in stillem Lachen. Ein neuer Ausdruck tauchte plötzlich in Julian Reefs Augen auf. »Donnerwetter«, flüsterte er, mehr für sich. »Wenn das nur sicher wäre! Gott, wenn ich ihn vernichten könnte! Und ich werde es tun!« Eine tiefe Glut flammte über sein Gesicht. In seinen Pupillen brannte nun plötzlich ein fanatisches Feuer.
»Höre, Rex. Ich ging in die City, Millionen zu verdienen, nicht Tausende. Ich weiß, was Armut bedeutet. Ich setze alles, aufs Spiel, um ihr zu entrinnen! Wie ich zu Geld komme und wer darüber zugrunde geht, ist mir gleichgültig. Ich werde reich sein! Ich werde mein Landhaus besitzen und meine Villa auf Cape Martin und meine Jacht in den Gewässern von Southampton. Ich werde einen Stall voller Pferde haben, obwohl ich für Rennen nichts übrig habe. Ich werde ein Haus in Park Lane haben und eine Garage voller Autos. Und meine Frau soll die Juwelen einer Fürstin tragen. Das ist das einzige, was zählt. Mögen die anderen haben, was sie wollen, ich werde es ihnen abkaufen!«
»Wenn du vorsichtig bist«, murmelte Guelder.
»Vorsichtig! Ich muß etwas wagen. Woher kommt denn all das Geld, das du für Experimente verbrauchst? Etwa aus Geschäften? Vorsichtig! Lächerlich! Ich muß auch den Galgen mit in Rechnung stellen! Aber ich werde soviel Geld zusammenscharren, daß dieser ›gerissene Kerl‹ noch vor mir winseln soll. Er hat mich heute geschlagen, Rex! Glaubst du, ich werde ihm das je vergessen? Ich werde ihn zerschmettern; vernichten werde ich ihn. Zum Bettler soll er werden! Mit einem verblichenen, alten Hut, mit einem zerschlissenen, alten Rock, der an den Ellenbogen glänzt. Der mich anfleht um ein Almosen. Und dann werde ich ihn anspucken!«
Die Urgewalt seines Zorns und der Vorgenuß seines Triumphs peitschten ihm das Blut zu Kopf und trieben es zurück zu seinem Herzen, daß sein rotglühendes Gesicht jäh erbleichte. Rex Guelder starrte ihn wie ein Wunder an.
»Bravo, mein Junge«, lobte er, »das ist die richtige Stimmung! Millionen, wie? Das Zehnfache von Millionen. Erst die Organisation. Dann der Coup. Dann alle deine Feinde zu deinen Füßen. Jawohl! Aber im Augenblick . . .«
Er schob seinem Freund und Brotherrn einen Bogen Papier hin. »Sechzehntausend Pfund fünf Schilling und drei Pence sind heute fällig oder . . .« Er knipste wieder mit seinen Wurstfingern.
Julian war im Augenblick ernüchtert. »Soviel?« ächzte er entsetzt.
Guelder nickte. »Und wir haben unser Bankkonto schon überzogen. Sie haben schon moniert. Wir müssen Geld auftreiben, denn wir müssen unseren Kredit aufrechterhalten. Was soll sonst aus dem großen Coup werden?«
»Sechzehntausend Pfund?«
Julian blickte den andern verzweifelt an. Von Ursula Frenshams Vermögen waren noch zwanzigtausend Pfund in Aktien da. Sie mußten den Weg der übrigen gehen. Er schritt auf den Safe zu und entnahm ihm ein langes Kuvert.
»Verkaufe sie und lege einige ›Val Kraft Syndikat‹ an ihre Stelle.«
Rex ging ans Telefon und traf die nötigen Anordnungen. Eine Stunde später kam die Nachricht, daß die Aktien verkauft waren. Im selben Augenblick trat Lord Frensham ins Büro.
»Das ist aber eine unerwartete Ehre«, lächelte Julian heiter.
Lord Frensham warf sich schwer auf den nächsten Sessel und blickte den Holländer starr an, der dies für eine günstige Gelegenheit hielt zu verschwinden.
Nach Guelders Abschied kämpfte der Lord mit seinem Vorhaben.
»Julian, nachdem du von mir fortgegangen bist, rief mich ein Freund an.«
Julian Reefs Herz hörte fast auf zu schlagen. Er wußte, was jetzt kommen würde.
»Und, Julian, ich bin doch zu der Ansicht gekommen, daß Ursulas Aktien auf einer Bank liegen sollten. Kann ich sie haben?«