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»Aktienschieber kenne ich, aber Aktienzieher sind mir neu. Wohl kein intimer Freund von Ihnen?«
»Durchaus kein Freund«, erwiderte Ursula nachdrücklich, »er ist mir im höchsten Grade widerlich.«
»Weiblicher Instinkt«, murmelte Elk erfreut. »Ich sage meinem Chef immer: ›Sie sollten eine Frau im Amt anstellen, die nichts weiter tut, als ihren Instinkt arbeiten zu lassen – das würde uns viel Mühe ersparen.‹ Waren Sie schon einmal in seinem Haus, gnädiges Fräulein?«
Sie verneinte heftig.
»Komische alte Bude. Sieht aus, als wär sie aus einem Roman von Charles Dickens. Er ist Wissenschaftler.«
»Sind Sie eigentlich zu mir zu Besuch gekommen, Mr. Elk?« fragte sie nach einer kurzen Pause.
»Na ja«, zögerte er, »teils ja, teils nein.«
Er blickte sich im Zimmer um.
»Schönes Haus, das Sie da haben, Miß Frensham. Muß allerhand Arbeit machen, das in Ordnung zu halten. Wie machen Sie es eigentlich, wenn Sie Herren zu Tisch haben? Sie können Ihnen doch nicht gut eine Zigarre anbieten – das schickt sich doch nicht für eine Dame.«
Sie hatte von Tony viel über Elk gehört. Sie lachte, sagte aber ganz ernsthaft: »Ich will meinen Ruf riskieren. Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«
Ehe er antworten konnte, verließ sie das Zimmer und kam mit zwei Zigarrenkisten zurück. Mr. Elk verging vor Scham, wählte aber mit großem Kennerblick.
»Ich verstehe nicht, daß mir so etwas entschlüpfen konnte«, heuchelte er. »Was werden Sie bloß von mir denken! Sieht aus, als hätte ich betteln wollen! Ich werde lieber zwei nehmen, weil ich nicht genau weiß, welche die bessere ist, und ich möchte doch keinen schlechten Eindruck von Ihren Zigarren bekommen. Ich habe heute eine sehr unangenehme Arbeit. Das ist das schlimmste bei der Polizei, daß sie einen nicht einen wirklich interessanten Fall ausarbeiten lassen, sondern daß sie einen mit lauter kleinen dummen Dingen belasten, die jeder Straßenpolizist genauso gut erledigen könnte. Womit ich beileibe nichts gegen die Uniformierten sagen will – ich war selbst mal einer.«
»Haben Sie gerade einen interessanten Fall?«
Er schnitt die Zigarrenspitze mit einem riesigen Taschenmesser ab und tat eine Weile sehr beschäftigt.
»Der ›Fall Guelder‹ an sich ist ein Verbrechen«, bedeutete er. »Er ist eine Beleidigung des Naturgesetzes. Ich glaube, ich habe nie ein größeres Verbrechen gesehen als ihn.«
Sie lachte heiter.
»Befassen Sie sich sehr viel mit Mr. Guelder?« fragte sie.
»Ja – und nein, gnädiges Fräulein.«
Dann wechselte er das Thema und erzählte ihr von seinem neuen Fall.
Die Polizei hatte in Plumstead, in der Nähe von Woolwich, eine kleine, armselige Villa entdeckt, die ein Mann, anscheinend ein Geschäftsinhaber, mit seiner Frau bewohnte, ein wohlbeleibter Herr, der jeden Morgen nach Woolwich mit großer Pünktlichkeit ins Geschäft fuhr und Sonnabend nachmittag friedlich seinen Garten bestellte. Daß er sonntags nicht zur Kirche ging, sprach nicht gegen ihn, weil die wenigsten Leute es taten.
»Und der Bursche ist der abgefeimteste Hehler südlich der Themse! Durch einen Zufall haben wir es entdeckt. Man behauptete, die Villa sei voll von Diebesgut, von Brillantringen bis zu den kostbarsten Gobelins. Einer der Kollegen von Scotland Yard erzählte mir, sie hätten gestohlenes Gut im Wert von mehr als einer Viertelmillion Pfund gefunden. Der Bursche hat alles aufgekauft, was ihm angeboten wurde. Es wird nicht leicht sein, ihn zu überführen, weil er auch ein regelrechtes Geschäft hatte, einen großen Laden in Woolwich, wo er offen kaufte und verkaufte. Man sagt, manches Mal habe er ganze Schiffsladungen erstanden, wenn sie ihm das richtige Zeug brachten. Alle Flußpiraten kamen zu ihm. Nichts war ihm zu groß, nichts zu klein. Ich bearbeite den Fall eigentlich nicht«, erläuterte er, »ich führe nur die Oberaufsicht, das heißt, ich ernte den Ruhm, wenn es welchen zu ernten gibt, und der Kollege unter mir kriegt die Rüffel.«
»Hat das irgend etwas mit Mr. Guelder zu tun?«
»Mit dem? Aber nein!« wehrte Elk mit einer Verachtung, die er sich nicht zu verbergen bemühte. »Dieser Hehler ist gegen ihn ein lauterer Ehrenmann.«