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Das Souper verlief in der heitersten Stimmung. Helmine hatte Alles so wohl und klug geordnet, daß Hanna Fürth schräg gegenüber, Stella aber in einiger Entfernung von ihm saß.
Das that dem eifersüchtigen Kinde so wohl. Helmine las ihren Dank in den funkelnden Augen ...
Zehn Uhr war's, als man sich von der Tafel erhob. Die Gesellschaft sollte, soweit nicht Einzelne noch am Abende von ihren Wagen Gebrauch machten, die Nacht in den großen, gastfreien Räumen von Auershof verbringen. Carl Holstein mußte zu seinem Schmerz aufbrechen, um noch den letzten Abendzug nach der Stadt zu nehmen.
Der Champagner hatte die Gemüther in mehr oder minder starke Erregung gebracht, als man sich in den Park hinab begab, um am Ufer des See's die kühlende Nachtluft zu genießen. Stella war auf der Veranda zurückgeblieben.
Sie erblickte Fürth, der aus dem Salon sie eben jetzt beobachtete und verschwand, sah auch Helmine, die, ihn und sie bemerkend, zu ihr herantrat und ihren Arm nahm.
»Dein Schlafzimmer ist heute neben dem meinigen,« sagte sie. »Wir plaudern noch, ehe wir uns zu Bett begeben. Es wird hoffentlich spät werden. Du weißt, wo Du Dein Lager zu suchen hast, wenn mich die Gesellschaft beanspruchen sollte.«
Sie ließ Stella auf der Veranda und eilte den Uebrigen nach in den Park.
Diese, kaum allein, wechselte schnell die Miene. Sie war hoch erregt. Die lächelnde Unbefangenheit, die sie Helmine gezeigt, verschwand. Sie empfand eine plötzlich aufsteigende Angst. Ihre Brust hob sich, sie legte die Hand auf dieselbe, blickte scheu umher, trat auf der anderen Seite von der Veranda hinab, hielt hier noch einmal furchtsam, zaudernd inne, als schwanke sie in einem Entschlusse, preßte die Hand an die heiße Stirn und öffnete die Lippen, nach Athem ringend. Dann plötzlich sich losreißend, warf sie den Kopf zurück und huschte in das die Veranda beschattende Fliedergebüsch hinaus.
Die Gäste waren draußen im Park. Man hörte ihre Stimmen, ihr Lachen in den breiten Steigen. Hier und da bewegten sich buntfarbige Gewänder zwischen dem von den Lämpchen erhellten Ufergras. Nur die Diener des Majors waren mit dem Abräumen der Tafel beschäftigt.
Plötzlich trat auch Hanna, aus dem Park zurückkehrend, in den Salon. Sie war erhitzt.
Mit wilder Miene und glitzernden Augen schaute sie in dem leeren Raum umher.
Sie suchte, vermißte. Ihr Auge flackerte fieberhaft. Sie hatte schon im Park vergebens gesucht. Eine nicht zu bewältigende Angst jagte sie wieder fort.
Sie sprang auf die Veranda hinaus, lauschte mit verhaltenem Athem auf die Stimmen drunten am Ufer des Weihers, legte die Hand über die Augen und schaute hinaus, die weißen Gewänder zwischen den Sträuchern des Ufers beobachtend, die nixenhaft hinter dem Schilf auf- und abschwebten, die von den Lichtern im Grase so bleich angestrahlten Gesichter verfolgend, immer suchend mit steigender Furcht, angstvoller Spannung.
Blendend grell leuchtete ihr die weiße Marmor-Doppelstatue von der kleinen mit Geranien umsäumten Halbinsel entgegen; vor ihren Augen zitterten die lang herabhängenden Zweige der Trauerweide, die wie eine mattgrüne Nebelwand zu beiden Seiten des kleinen Eilandes ihre Spitzen in das Wasser tauchten.
Das Goldschillern der auf dem Teiche liegenden breiten Nymphäen-Blätter übte eine blendende Wirkung auf ihr Auge. Sie trat an die Balustrade, umklammerte die Lehne mit beiden Händen, beugte sich vor, um die Gesichter der drüben bald im hellen Lichte, bald im Schatten Wandelnden zu unterscheiden – dann schoß sie die Veranda entlang und war mit einem Sprung in dem halbdunklen Park.
Die Gesellschaft vermeidend, die, an den im Rasengras versteckten Lämpchen vorüberstreifend, die magische Zusammenwirkung des tiefdunklen Wassers, die von unten so licht angestrahlten Blätterdome der Bäume und des von oben hereinleuchtenden blauen Sternenhimmels bewunderte, im Schatten dahinhuschend, umschlich Hanna den Teich. Sich hinter den Bäumen versteckend, wenn sie gesehen zu werden fürchtete, sprang sie vorwärts, immer nicht findend was ihr heißes Auge suchte.
Ihre Aufregung stieg. Fürth war nicht unter Denen, die sie gezählt hatte; auch sie nicht ...
Die Halbinsel lag jetzt vor ihr. Die beiden Statuen erhoben sich kaum zwanzig Schritte vor ihr, hell vom Licht übergossen, ihre Schatten hinter sich auf das heimliche Ruheplätzchen werfend, auf dessen halbkreisförmiger Steinbank sie oft mit Helminen gesessen.
Aber da ...!
Die Schatten bewegten sich. Sie starrte hin ... Wieder dieselbe Bewegung! ... Das Blut stieg ihr zum Haupte, Sinnentäuschung verursachend. In ihren Schläfen hämmerte es.
Sie meinte, die beiden Statuen, wie sie dastanden, die eine den Arm auf die Schulter der anderen gelehnt, sich enger aneinander schließen, sich heiß und eng umfangen zu sehen ...
Aber die suchte sie ja nicht!
Sie schaute wieder hin, als die Blutwelle zurückgewichen. Die steinernen Gestalten sie standen wieder so regungslos!
Aber hinter ihnen, die Schatten! ... Was war das mit den Schatten! ...
Hoher Rhododendron garnirte zu beiden Seiten der Bank das kleine lauschige Rondel. Sie schlich tief gebückt, fast kriechend unter demselben dahin und stand mit einem Sprunge unter einer der Trauerweiden.
Sie umklammerte den Baum mit zitternden Händen. Es war so heiß, so stickig unter demselben; die wie eine grüne Gardine niederhangenden Zweige sammelten die Dünste des Weihers unter sich. Sie preßte die Hand an die Stirn und vorgebeugt starrte sie mit glühenden Augen hinter die Statue ...
Die Schatten! Die Schatten! ... Was war das mit den Schatten! ...
Ein Schrei ... Die beweglichen Schatten verschwanden wieder. Regungslos lagen die der Doppelstatue über das Rondel dahingestreckt. War's wirklich eine Sinnentäuschung? ... Unmöglich! ...
Hanna sprang in das Rondel. Sie suchte, sie bog die Zweige des Rhododendron zurück, lugte in den dunklen Park ... Alles still ... Andere Schatten, die der hohen Bäume, der Aeste, lagen wie schwarzes Netzwerk auf dem Boden.
Erschöpft ließ sie sich auf die Steinbank sinken, beide Hände auf das wildpochende, das kochende Herz pressend ... So lauschte sie. Aber es summte in ihren Ohren, die Pulse der Schläfe tobten. Die Angst jagte sie wieder auf.
Mit den Händen das Haar packend, rechts und links starrend, suchte sie nach Rath.
Stimmen ganz in ihrer Nähe erschreckten sie wieder. Sie glaubte, die eine derselben zu unterscheiden, sprang aus die Bank und schaute hinüber auf die Gruppen, die sich im Steige um den Weiher bewegten.
Dort schwebten eben zwei weiße Gestalten: Helminens hohe, imponirende Figur, dann Stella, die auf diese zuschritt, dem hochgerötheten Antlitz Kühlung zufächelnd mit dem Taschentuche.
Und dort aus dem Dunkel des Parkes trat ... Fürth, einer der Schatten; sie hatte diesen erkannt.
Mit der Elastizität einer wilden Katze sprang sie von der Lehne der Steinbank in den Park hinab auf Stella zu, die vor ihr erschreckend einen Laut der Ueberraschung ausstieß.
Und ehe die Letztere dem Ansturm des Mädchens ausweichen konnte, hatte Hanna sie bereits mit den Armen umschlungen, so fest, so konvulsivisch, daß sie hilflos dieser Umschlingung unterlag.
Stella fühlte den heißen Athem Hanna's an ihrer Wange.
»Du liebst ihn? Ich sah Euch!« zischte es in ihr Ohr.
Stella that einen Schmerzensschrei, entrang sich gewaltsam den Armen Hanna's, stieß diese zurück und fuhr mit dem Taschentuch an das Ohr.
Mit gellendem Auflachen sprang Hanna davon.
Helmine, als sie entsetzt herbeigeeilt, sah einen Blutstropfen auf der den Ausschnitt des Kleides garnirenden Spitze, einen anderen von Stella's Halse auf die Schulter rinnen.
»Um Jesu willen, was ist!« rief Helmine, den Arm um Stella's Nacken legend.
»Nichts ... Nichts!«
Stella erholte sich. Sie preßte fester das Taschentuch auf das schmerzende Ohr.
»Hanna, die Tolle!« sprach Helmine rathlos vor sich hin ... »Ich bitte, Herr von Fürth!« Sie winkte unwillig dem eben erschrocken Herantretenden, sie mit Stella allein zu lassen.
In dem Moment schallte ein anderer durchdringender Schrei vom Ufer des Weihers herüber.
Fürth wandte sich. Er sah Hanna, die schadenfreudig auf dem Rasen dagestanden, mit erhobenen Armen über das Gras in den Park springen, um sie eine vom Saum ihres Kleides auflodernde Flamme, vor deren Aufsteigen sie die Arme zu retten suchte.
Während Hanna mit schadenfreudigem Lachen auf Stella zurückgeblickt, hatte eines der kleinen Lämpchen im Grase ihr Kleid erfaßt, und hellauf schlug die Flamme um ihre Glieder.
Fürth erkannte was geschehen.
Das Mädchen rannte geblendet gerade auf ihn zu.
In schnellem Entschlusse sie auffangend, packte er sie in beide Arme, warf die leichte Gestalt in das hohe Gras und mit Hilfe eines herzuspringenden Gastes gelang es ihm, die Flamme zu ersticken.
Eine Ohnmächtige, sicher von schweren Brandwunden Bedeckte lag mit von der Flamme verzehrtem und geschwärztem Oberkleid vor den kreischend herbeieilenden Damen, vor denen die beiden Herren zurückwichen.
Auch Helmine stürzte herbei, leichenblaß, athemlos.
Mit Entsetzen sah sie das unglückliche Kind, schob die rathlosen Damen zurück, hob Hanna in ihre kräftigen Arme und trug sie in den Pavillon.
* * *
Erst um Mitternacht war es gelungen, einen Arzt aus der Stadt an das Lager des schwer beschädigten Mädchens zu bringen.
Verstimmt hatte die Gesellschaft großentheils schon den Heimweg angetreten. Die geblieben waren, suchten erst die Ruhe, als sie vernahmen, daß der Arzt einen zwar schlimmen, aber nicht gerade lebensgefährlichen Zustand konstatirt hatte.
Major von Auer saß, noch untröstlich über diesen Schluß seines bisher so günstig verlaufenen Festes, in seinem Speisezimmer, die Stirn in die Hand gestützt, seinen Schreck durch einen Humpen schweren Weines verjagend.
Er hatte keine Ahnung von dem, was diesem Unfall vorausgegangen. Seiner Meinung nach war in dieses tolle Mädchen keine Vernunft zu bringen.
Inzwischen saß Helmine mit einer Dienerin am Lager des unglücklichen Mädchens.
Ein reitender Bote ward jeden Augenblick aus der Stadt zurückerwartet, um die vom Arzt angeordneten Mittel zu bringen. Für sie gab es in dieser Nacht keinen Schlummer.
Ihr Vater hatte ihr gesagt, er werde sein Bett nicht suchen, so lange nicht ausreichender Grund zu voller Beruhigung vorhanden; er verlange von ihr durch die Dienerin unterrichtet zu werden.
Hanna war erwacht. Sie litt furchtbare Schmerzen, bis der Reitknecht lindernde Mittel brachte. Am bedrohlichsten aber war der Gemüthszustand des Mädchens, das bald vor Schmerz aufschrie, bald in die unbegreiflichsten Klagen ausbrach, laut weinte und dann wieder die Zähne knirschend aufeinander preßte, als beschäftige sie bei allen physischen Schmerzen eine Gemüthserregung, die mit diesen um die Gewalt kämpfte.
Die totalste Ermattung ließ Hanna endlich in Schlummer sinken. Aber er war unruhig; sie erwachte aufschreiend, mit Verwünschungen, sich das Haar raufend, dann wieder flehte sie um Linderung der unerträglichen Schmerzen und bat, es möge doch der Morgen kommen, sie wolle nicht sterben in der Nacht, sie müsse Stella noch etwas sagen, ehe sie ihr junges Leben ende.
Die Letztere saß inzwischen ebenso schlaflos in ihrem Zimmer auf dem anderen Ende des Korridors.
Die Thür zu Helminens mit echt weiblichem Geschmack und Ordnungssinn ausgestatteten Gemächern stand geöffnet. Die Unruhe jagte Stella fortwährend durch dieselben hin und her.
Die kleine Wunde schmerzte, die Hanna's scharfe Zähne ihr in das Ohr gegraben, und dennoch verzieh sie der Unglücklichen, die so hart gestraft worden.
Die Besorgniß um den Zustand des Mädchens jagte sie immer von neuem durch die Zimmer.
Aber noch Anderes folterte ihr Gemüth: die Allen bis jetzt noch unbekannte Veranlassung zu diesem Unglücksfall.
Sie fühlte mit schwerem Vorwurf, daß sie schwach gewesen. Fürth hatte am Nachmittage ihr das Versprechen abgezwungen, am Abende nach dem Souper, wenn die Gesellschaft sich im Park zerstreut, ihn hinter den Statuen auf dem Inselchen sehen zu wollen.
Er hatte sie beschworen, ihn ein einzigesmal unter vier Augen anhören zu wollen, und ...
Sie war gekommen, sie hatte kommen müssen! Es hatte sie unwiderstehlich getrieben, den ersten leichtsinnigen Schritt zu thun, der so unselige Folgen hatte haben müssen.
Sie liebte diesen Mann, sie wußte es längst; und er hatte es errathen müssen. Sie wußte, daß er es errathen hatte.
War es der feurige Wein, von dem sie bei der Tafel getrunken, der des Herzens natürlichen Drang entfesselt? Sie war absichtlich zurückgeblieben, als Alle in den Park sich verloren, war dann gegangen, ohne sich Rechenschaft zu geben über das, was sie that.
Und Fürth hatte sie dort empfangen, ihre Hand mit Küssen bedeckt, hatte sie mit einer Leidenschaftlichkeit bestürmt, die ihre Sinne verwirrt und sie in Minuten der Betäubung versetzt, während welcher sie selbst nicht wußte, was mit ihr geschah, aus welcher sie erst ein fremder Schrei ganz in ihrer Nähe geweckt.
Dann hatte sie sich, wieder ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen, plötzlich in dem um den Weiher führenden Parksteig, der sie vermissenden Helmine gegenüber gesehen; Hanna, deren eifersüchtiges Auge an der Glut von Stella's Antlitz und Nacken schnell erspäht, was geschehen, hatte sich auf sie gestürzt, sie mit einer dem Kinde kaum zuzutrauenden Gewalt an sich gerissen, ihr etwas in's Ohr geflüstert, das ihr mit stechendem Schmerz wie ein Eisstrom durch die Glieder geronnen, und dann endlich, kaum befreit von dieser Umklammerung, hatte auch sie mit Entsetzen das Mädchen, von einer Flamme umzuckt, über den Rasen stürzen gesehen ...
All' das, wie es sich immer von neuem jetzt in der Einsamkeit der Nacht wieder vor ihre Seele drängte, ließ sie aufstürmen, wenn sie ermüdet auf einen Sessel gesunken war.
Sie allein trug die Schuld an all' dem Elend, vielleicht an dem qualvollen Tode dieses Mädchens. Die Reue folterte sie.
Und genas Hanna ... Sobald diese zu vollem Bewußtsein gekommen, ja sicher früher noch, erfuhr Helmine von dem, was das Mädchen ihr in's Ohr gezischt!
Sie hatte keine Ahnung gehabt von der wilden Passion, die dieses Mädchen, fast ein Kind noch, für Erwin beherrschte.
Erst das sonderbare, gegen sie gerichtete Benehmen Hanna's während des Nachmittags, das feindselige, argwöhnische Beobachten aus diesen wilden Augen hatte sie stutzig gemacht und die strenge Ueberwachung, mit welcher Helmine die Ungeberdige verfolgte, wenn diese Fürth erblickte, gab ihr den Schlüssel zum Verständniß dieser ausbündigen Mädchenseele, bis endlich Hanna selbst durch ihren Schrei, durch einen Ueberfall sich ganz verrathen.
Aber sie liebte Erwin, Hanna zum Trotz! ...
Nach Mitternacht vernahm sie das helle Aufschlagen von Pferdehufen im Hofe ... An das offene Fenster tretend, sah sie den Boten.
Eine Stunde verstrich. Stella schlich angsterfüllt in den stillen, matt beleuchteten Korridor, um die Dienerin Helminens zu finden. Von ihr hörte sie wenig Beruhigendes. Es sei wohl schlimmer, hieß es, als der Arzt ausgesagt habe.
Stella suchte mit zitternden Gliedern ihr Zimmer.
Wieder verstrichen Stunden.
Um zwei Uhr Morgens endlich legte sie ihre weiße Robe ab und warf sich halb entkleidet auf das Lager.
Unruhige Vorstellungen quälten sie, während sie mit offenen Augen dalag und zur Decke hinaufschaute; ein sie überfallendes heftiges Herzklopfen, ein Schuldbewußtsein und zuweilen jäh wieder ein plötzliches, diesen Vorwurf verjagendes freudiges Aufjauchzen des Herzens!
Sie liebte diesen Mann! Alle mußten sie um seine Liebe beneiden! Hanna war ein Kind! Fürth hatte sie wie ein solches behandelt; sie war keine würdige, zu fürchtende Gegnerin!
Wenn Helmine von ihr Alles erfuhr, warum sollte sie dieser ein Geheimniß daraus machen! Fürth und sie konnten der ganzen Weilt ihre Liebe bekennen.
Der Morgen graute bereits, als sie in festen Schlummer versank.
Als sie erwachte, stand Helmine, hell von der Morgensonne beschienen, vor ihrem Lager.
Die Aufopfernde trug noch die weiße, reich mit kostbaren Spitzen garnirte Robe, aber zerknittert, überwallt von dem reichen schwarzen Haar, dessen Bande ihr Kopfweh verursacht. Ihr Antlitz war bleich, übernächtig, ihre Augen blickten matt und von Anstrengung gebrochen.
Als Stella erschrocken zu ihr aufschaute, begegnete sie einem ernsten, strengen Gesicht. Helmine bot ihr keinen Morgengruß; sie war noch unter dem Eindruck in langer Nacht erlittener Aufregung.
»Ich bin todtmüde!« sagte sie. »Meine Glieder sind wie zerschlagen, ich bedarf einiger Stunden der Ruhe!«
Helmine wandte sich halb von ihr, während Stella sich aufrichtete. Erstere entledigte sich mit einem Aechzen der Robe und trat in ihr nebenan gelegenes Schlafgemach.
»Wie ist es mit Hanna?« rief ihr Stella schüchtern nach.
»Besser, wenngleich noch schlimm genug! Der Arzt ist wieder gekommen; er hat mich abgelöst an ihrem Schmerzenslager.«
»Du glaubst, daß ich zu ihr gehen kann? Ich möchte so gern ihr zu Hilfe sein ...«
Helmine hatte die Thür hinter sich offen gelassen.
»Ich rathe das nicht!« hörte Stella vom anderen Zimmer. »Ueberlaß uns die Pflege des Mädchens. Wir werden wohl noch unruhige Tage und Nächte erleben ... Hast Du übrigens den Wirbelsturm nicht gehört, der sich gegen Morgen erhob?« fragte sie, sich auskleidend.
Stella lauschte überrascht. Sie glaubte, kaum das Auge einmal geschlossen zu haben.
»Den Wirbelsturm?« fragte sie verwirrt, während sie, auf den Arm gestützt, sich auch des Restes ihrer Kleidung entledigend, im Bette saß.
»Es drohte schon gestern Abend ein Unwetter. Ihr bemerktet es Alle nicht, da wir bei Tische saßen, und der Vater befahl, Euch nicht zu beunruhigen. Er ist gegen Morgen ausgebrochen, hat, wie ich höre, starke Verwüstungen im Park angerichtet und die Statuen auf dem Inselchen vom Postament hinab in den Weiher gestürzt.«
Stella traf die Nachricht wie ein Schlag auf das Herz. Die Statuen! ... Das war ein böses Zeichen! ... Sie sank zurück und legte die Hände über die Augen.
Beide sprachen nicht mehr.
* * *