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Ein paar Vorworte.

Ist es dem Romantiker gestattet, die Wahrheit zu schreiben, oder ist in der Wahrheit keine Romantik? Ich meine, dem Manne, der jeden Morgen, fester gerüstet als ehedem, für sich und die Seinen in den Kampf um die Existenz treten muß, bietet die letztere der Conflicte oft so arge und ungeheuerliche, daß es der Erfindung nicht bedarf. Ein aufmerksames Ohr hört auch durch den Lärm der großen Städte das Commando-Wort des Schicksals und die Klagelaute seiner Opfer. Die eigene Schuld des Romantikers also ist es, wenn er so oft den Vorwurf hören muß: Deine Helden sind keine Menschen von Fleisch und Blut, sie handeln nicht als solche!

Mein Buch spricht namentlich von den Opfern des weiblichen Geschlechts und der zunehmenden Entwerthung desselben durch die Unnatur unserer gesellschaftlichen und bürgerlichen Verhältnisse, durch eigene Schuld, durch Vernachlässigung der Erziehung, durch das Bedürfniß nach Luxus und das steigende, leichtfertige Angebot auf dem Markte des Lebens. Es spricht von der wachsenden Ueberzähligkeit dieses Geschlechtes, die täglich hoffnungsloser macht was geboren wird, aussichtsloser was heranwächst; wie Alles, was nicht rechtzeitig durch Glück oder eigne Willenskraft Anker zu werfen im Stande ist auf festem Grund, von dem Sturm unter die Spreu gewirbelt und von der Lieblosigkeit der Welt unter die Fuße getreten wird.

Unsere Epoche ist die eines beunruhigenden moralischen Niedergangs des weiblichen Geschlechts. – Ein neuer Athem weht wohl seit zehn Jahren durch Deutschland, aber leider auch desto mehr Moschus in der Gesellschaft. Die Scheinsucht bei all der Theuerung der Lebensbedürfnisse und all den Ernährungssorgen, die Nothwendigkeit des unnöthigsten Luxus, die Genußsucht, in die Eines das Andere mit fortreißt, machen den Erhaltungskampf zu einem Handgemenge, in welchem viel von Natur Edles oder Gutes zu Grunde geht, und die Sitten unserer Tage werden auf dem großen geschäftlichen und gesellschaftlichen Schlachtfeld vom Leichengeruch der Gefallenen infizirt.

Die kaltherzige Lebsucht der Männer, die Gefallsucht der Frauen stellen Jedem die unabweisbare Anforderung, Geld zu machen, gleichviel aus was. Jeder bietet hierzu auf, was er hat, was er kann. Nur aus der Tugend läßt sich das heute nicht mehr herausschlagen, und diese entschließt sich denn nach den Grundsätzen der Alchemie zur Umwandlung ihres seelischen Metalls – immer an der Spitze das weibliche Geschlecht, das die meistbegehrten Genüsse dieser Welt zu vergeben hat und sie hingiebt für seidene Kleider, während sie doch ohne diese genossen werden.

Die Zeiten, sagte ich, sind auch bei uns andere geworden – besser kaum, denn geschäftlich drückt uns die Steuer-Garotte und gesellschaftlich sind wir bis an die Knie in das Grundwasser der Corruption gewatet, denn Entsittlichung schafft Entnervung.

Wir haben hohe Adelsgeschlechter, in denen die Corruption erblich ist. Wir haben eine Geldaristokratie, die um des eignen Gewinns willen durch ihre Börsenmacht unzählige wohlhabende Familienväter ruinirt, weil diese durch die Sorge, durch das Luxusbedürfniß der Ihrigen gezwungen werden, nach verheißenden speculativen Werthen zu greifen. Und der Bettelstab ist schwer! Der Vater nimmt ihn vielleicht seufzend und entsagend in die Hand; aber die Söhne, die Töchter, denen die Welt noch so schön erscheint!

Wir haben einen niederen Beamtenstaat, der mit großem Kindersegen unter karger, unzureichender Besoldung bei Häring und Kartoffel seine Töchter ohne Aussicht auf Versorgung heranwachsen sieht. Der Vater stirbt, die Mutter leidet Noth, die Töchter nimmt die Welt auf ... Wo bleiben sie? ... Wer fragt nach der Spreu, die der Wind verweht!

Wir haben einen Handwerkerstand, der vergeblich ringt gegen die Uebermacht des Kapitals, der Fabriken, dem der Staat selbst mit seinen sozialistischen Strebungen den viel gepriesenen goldenen Boden unter den Füßen wegzieht; und seine Kinder wachsen heran, die Welt ist ihnen so schön und die Versuchung so groß!

Wir haben endlich einen Arbeiterstand, der seine Töchter als Mägde verdingt oder sie als Kinder schon in die Fabriken schickt. Vier Mark für die Woche sind ein Hungerlohn; es läßt sich ohne Mühwaltung viel mehr verdienen. Der erste Schritt ist bald gethan, und die Tanzböden, die schlechten Wirthshäuser thun das Uebrige. Es ist traurig, zu bekennen, daß neun Zehntel von ihnen verloren gehen, ohne von dem Werth der Tugend eine Vorstellung gehabt zu haben. Die Straße verschlingt sie, auf der schon Kronen und ganze Reiche verloren gegangen.

Das weibliche Geschlecht der mittleren und unteren Klassen auf seiner gegenwärtigen sittlichen Stufe ist eine lahme Feder geworden, an der unsere Gesellschafts-Maschine krankt. Es klagt über seine so schwer beeinträchtigte Stellung im modernen Staat, über die Unzulänglichkeit seiner Ernährungsmittel und fordert dadurch zu der Frage heraus: könnt Ihr Euch schon nicht mehr erhalten, warum treibt Ihr, woher nehmt Ihr den Luxus? Wer begegnet heute noch einem jungen Mädchen mit passablem Gesicht, das in seiner Kleidung die Dürftigkeit verriethe! Dem Unglück des Seins zieht es das Elend des Scheins vor.

Unsere Männerkleidung ist eine einfache; es ist beim besten Willen nicht möglich, großen Luxus mit ihr zu treiben. Wie nun, wenn auch wir wie in guten alten Zeiten mit Brabanter Spitzen, goldenen Spangen und Schnallen und mit Brillanten besetztem Galanteriedegen erschienen? Woher nähme da noch ein Ehepaar, eine Familie, die nicht in glänzenden Verhältnissen, die Mittel zur Existenz!

Ein anständiger Männer-Anzug kostet hundert bis hundert und fünfzig Mark, eine Damen-Robe kostet bis in die Tausende, und wie oft darf man mit Anstand in einer und derselben Robe erscheinen? Wie hoch der Werth der todten Steine, mit denen sich die lebende Statue behängt, das ist unberechenbar.

Wohl Denen, die das bestreiten können, aber den Unberechtigten, die es ihnen nachzuthun sich mühen, bereitet es nur Wehe, mehr noch den Ihrigen, die darunter mitleiden müssen.

Dabei ist der Wettstreit der Frauen in der Toilette ein Geheimniß, das sich unter ihnen selbst abspinnt. Der Mann versteht nichts von dem oft enormen Werth dieser Seidenstoffe und Spitzen, nur die Frauen unter sich taxiren ihn. Der Mann steht nur, daß das Weib schön ist, und gerade so schön wäre es in seinen Augen ohne das Gewicht der Stoffe, dem er sein finanzielles Asthma verdankt.

Was kostet da in unbemittelten Kreisen oft die Mutter, und was kosten die Töchter? Und bedarf denn die Schönheit, die Jugend dieses kostspieligen Apparats, durch den Millionen von rechtschaffenen Mitteln den edleren Familienzwecken entzogen werden? Die Mode und Putzsucht, die Vergnügungssucht, der jene nur dienen, rauben der Mutter Zeit und Lust zur Erziehung und Ueberwachung des Kindes, das nach ihrem Vorbild aufwächst. Die moralische Fäulniß, welche die Mutter selbst in die Kindesseele gelegt, wuchert in derselben auf, denn wie schnell ist ein Mädchen erwachsen, und um der ersehnten Toilette willen geht manch schönes, junges Opfer freiwillig auf die Schlachtbank.

Es ist eine große und schwere Frage, welcher Nutzen der Gesellschaft erwachsen würde aus der sozialen Gleichstellung der Frauen mit den Männern, um die sie vergeblich ringen, weil das Weib als einzelnes Individuum über den Mann zwar Alles, als Geschlecht aber nichts vermag. Und in dieser Frage ist der Punkt der wichtigste: wieviel mittellose Frauen wären bereit, so beherrscht vom Modejournal, so beansprucht von stundenlanger Toilette, so angezogen von Bällen, Konzerten und Theatern, dem Manne gleich unter Arbeit und Sorgen eine große Familie zu ernähren, so vom Morgen bis zum Abend zu schaffen, sich müde auf das Lager zu strecken, um selbst dann noch an den nächsten Tag zu denken?

Vielleicht wäre das geeignet, sie von all diesen nichtigen Interessen abzuziehen; aber was beweist uns, daß es überhaupt ihr ernster Wille ist, sich für diese Rechte so viel Mühsal aufzubürden?

Es ist sicher wahr, daß an der Corruption des weiblichen Geschlechtes das männliche einen großen Theil der Schuld trägt; ebenso unleugbar ist aber auch das Umgekehrte wahr. Der Umstand, daß das erstere physisch und sozial schwächer als das andere, stiftet eine Gegnerschaft zwischen beiden, die nur durch persönlichen Vertrag vor Staat und Kirche vorübergehend versöhnt wird, um dann unter hundert Fällen neunzig Mal in der Ehe fortgesetzt zu werden. Die letztere ist zumeist ein gegenseitiger Kampf um die gemeinschaftliche Kasse, die der Mann, wenn oder weil er der Erwerbende ist, gegen die steigenden Bedürfnisse der Frau vertheidigt.

Wie viel Ehemänner, die auf Oekonomie angewiesen sind, kennen die heimlichen Putz- und Schneiderrechnungen der Frau, die doch aus Ersparungen am Ehe-Wohl bezahlt werden müssen; wie oft kommt ahnungslos ein Gatte bei den Besitzern der Mode- u. Magazine in den Ruf eines Schuldenmachers, weil seine Frau bei ihnen so hoch in der Kreide steht, wie viel Friedlosigkeit herrscht in unsern Ehen, die nur im Chiffon ihren Ursprung hat, und wohl dem Manne, wenn er den letzteren nicht mit seiner Ehre bezahlen muß!

So kehrt sich denn nur zu oft der Vorwurf um: der Mann wird durch das Weib corrumpirt in seiner sozialen Aufgabe. Ein Junggeselle, der seinen Freund unter der Last seiner Sorgen stöhnen sieht, wird sich zehnmal besinnen, ehe er einen Schritt wagt, auf den doch Staat, Gesellschaft und Familie ihre Zukunft setzen. Auch diese wird also in Frage gestellt und die Ehelosigkeit und mit ihr die Sittenlosigkeit muß zunehmen in dem ohnehin numerisch anwachsenden weiblichen Geschlecht.

Ist es keine Corruption des Mannes, wenn er in seiner Berührung mit dem weiblichen Geschlechte die Bedingungen versagen muß, die Staat und Kirche daran knüpfen, und wer trägt die Schuld, wer den Schaden? Es wird also kein Wandel in der unglücklichen Stellung sein, die das Weib sich selbst bereitet, so lange es sich nicht zu der sittlichen Einfachheit, Ehrbarkeit und Sparsamkeit entschließt, die es dem sorgenden und schaffenden Manne schuldig, wenn es in ihm den Ernährer sucht. –

Was ich in diesem Buche schildere, ist übrigens nichts Erfundenes, eine schlichte und wahre Nacherzählung trauriger Lebensgänge. Was nicht von den hier vorgeführten Gestalten auf diesen Blättern schon zu Grunde gegangen, lebt noch heute unter uns. Ich schrieb wie etwa der Staatsanwalt den Lebenslauf eines Verbrechers zusammenstellt, um daraus die Schuld desselben zu resumiren. Versteht man also unter dem Roman etwas Erfundenes, das straffreie Gegentheil der Wahrheit, so ist in diesem Sinne das Nachfolgende kein Roman, sondern ein wahres Lebensbild ohne Retouche.

Ich erzählte getreu, wie durch die Unnatur sich vererbenden Blutes Mutter und Tochter verloren gingen auf demselben Wege, den leider so viele wandeln und den beim Wachsen unserer sozialen Uebelstände immer mehr noch wandeln werden.

Daß ich mit diesem Stoff einmal aus dem romantischen Gehege des Idealismus ausgebrochen, geschah aus Ueberdruß an der Schönfärberei unserer romantischen Schule.

Den zarten Sinn guter Frauen kann es nicht verletzen wenn ich erzähle, was sie selbst, zum sittlichen Ruin ihres Geschlechtes bedenklicher sich gestaltend, täglich vor Augen haben und zu der Warnung mahnt: wachet besser über die Erziehung Eurer Kinder, deren verantwortliche Hüter Ihr seid!

H. W.


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