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10.

Der nächste Tag sah auch schon die beiden Mädchen unter der Obhut der Frau eines Magistratsmitglieds im Prinzenhause.

Stella fühlte sich seltsam bewegt, als sie alle die Räume, in denen sie jeden Winkel kannte, mit Betten angefüllt sah. Die alten Oelgemälde hingen noch an den Gobelins, aus den großen olympischen Decken-Malereien schauten die nackten Gottheiten, die ihr als Kind so viel Spaß gemacht, auf die bleichen Gesichter der Verwundeten herab.

Aerzte, Chirurgen und Krankenwärter waren in eifriger Thätigkeit, der Chef-Arzt war gerade in ernstem Gespräch mit einigen alten Damen; er blickte mit Unwillen auf die beiden Mädchen, die so scheu der alten würdigen Frau folgten, wagte aber aus Rücksicht gegen diese keine Bemerkung.

Marion in ihrer Diakonissen-Kleidung sah Stella mit Verwunderung eintreten; sie hatte viel Arbeit und hatte eben Instruktionen von einem der jungen Aerzte erhalten, die sie beschäftigen.

Einer der letzteren erkannte Stella; er trat zu ihr und erbot sich, sie zu führen. Halb verschämt, halb neugierig eilten die beiden Mädchen zwischen den Reihen der Betten dahin.

»O, wenn die Engel schon zu uns kommen, dann hat's keine Noth mehr!« hörte Stella eine wohllautende Männerstimme neben sich.

Erschreckt schaute sie seitwärts. Die Stimme klang ihr so bekannt.

»Herr von Fürth!« rief sie erschreckt, auf einen jungen Mann mit leidendem, aber in seinen Zügen kühnem und interessantem Gesicht blickend, der halb aufrecht im Bette saß und sie grüßend anlächelte.

Hals, Wangen und Stirn des Mädchens erglühten. Sie hatte nicht gefürchtet, hier erkannt zu werden. Diesen Herrn von Fürth, einen jungen Offizier und entfernten Verwandten des Auer'schen Hauses, hatte sie mehrmals bei Helmine gesehen, wo er sich gern mit ihr beschäftigt hatte.

»Sie sehen, ich habe auch mein Theil,« lachte er, »aber ich bin noch nicht am schlimmsten davon gekommen. In vier Wochen hoffe ich zum Regiment zurückgeschickt zu werden.«

Constanze preßte Stella's Arm so heftig; diese stammelte in ihrer Verlegenheit einige Worte und ließ sich verwirrt mit fortziehen.

Fürth lachte ihr kopfschüttelnd nach.

* * *

Der Winter kam und im November erschien plötzlich der frühere Hofstaatssekretär Lenning.

Seine Schulden waren schon im Sommer bezahlt durch Deckungen des Hauses Moritzsohn und Comp. Seine früheren Gläubiger begegneten ihm mit der größten Hochachtung.

Man sah ihn mit der Gräfin Mompach, behauptete sogar, er habe mit ihr im Cabinet eines der ersten Restaurants soupirt. Thatsache war, daß Lenning und Moritzsohn bei der Gräfin ein Souper einnahmen, an welchem noch einige Damen der höheren Kreise betheiligt waren und das bis zum Morgen dauerte. Der Champagner floß bei der Gelegenheit.

Der General lag während desselben in seinem Schlafzimmer und konnte vor dem Lärm nicht schlafen. Er verwünschte die Libertinage seiner Schwägerin, die mit dem Juden und dem davongejagten Hofstaatssekretär soupire und ein Heidengeld ausgebe, er wisse nicht, woher sie es nehme, während er durch den Satanskrieg schon sein halbes Vermögen eingebüßt habe.

Man behauptete in der Stadt, Lenning stehe zu der leichtfertigen Gräfin, ohne daß sie dadurch an ihrem Ruf oder ihrer Beziehung zum Hofe einbüße, wieder in dem alten intimen Verhältnis

Man erzählte auch tolle Dinge, die bei diesem Souper vorgefallen. Die Gräfin Mompach scheine unersättlich geworden in ihren Ausschweifungen; Moritzsohn honorire jeden ihrer Bons in jeder Höhe, er müsse für sie kolossale Geschäfte an der Börse machen, denn sie habe nie ein so großes Haus geführt.

Man erzählte aber auch, daß sie dem Verein für die Verwundetenpflege bedeutende Geldanweisungen bei Moritzsohn gemacht, und um dieser willen sah man ihr gewisse Indiscretionen nach, die sie sich bei verwundeten Offizieren erlaubt.

Sie gehörte einmal zu den Weibern der hohen Aristokratie, die sich durch Verachtung dessen, was gewöhnliche Menschen die öffentliche Meinung nennen, eine Berechtigung zu all Dem erstreiten, was die Vorurtheile der Welt dem Weibe verbieten.

Moritzsohn's mächtige Genossenschaft, die ihr täglich große Summen in den Schooß schüttete, hatte in der That die letzte Rücksicht bei dieser Dame entfesselt, zum Verdruß des Generals, dem allmälich ein Licht aufging, daß »der Jude« ihr die Protection so verschwenderisch lohne, die er doch ihm verdanke.

Die Gräfin trieb den ausschweifendsten Toiletten-Luxus; sie schien verjüngt, ihr Haar erglänzte goldiger als je, ihr Auge blickte sinnlich strahlend, ihr Gesicht hatte die Farbe der Malmaison-Rose, ihre Haut wetteiferte an Frische mit der des jüngstens Mädchens.

Ihr war's unmöglich geworden, allein zu sein; sie verschlief den größten Theil des Tages, um den Rest desselben für ihre Toilette zu verwenden, erschien Abends mit entblößter Büste, von Brillanten rieselnd, in ihrer Loge, empfing in derselben ihre Freunde, sich wenig um die Bühne kümmernd, und der Abend, die Nacht sahen diese Freunde bei schwelgerischem Gelage in ihrer Wohnung.

Ihre Günstlinge entließ sie erst nach einem Dejeuner und Lenning stand unter diesen obenan, seit er wieder da war.

Vor ihm war ein lyrischer Tenor ihr erklärter Liebling. Man hatte sie erkannt, wie sie diesen Abends verschleiert aus Eifersucht an der hinteren Pforte des Theaters und vor der eines Wirthshauses erwartet hatte. Sie belohnte ihn mit kostbaren Präsenten.

Vor dem Schwager General fürchtete sie sich nicht mehr seit ihre Verhältnisse sich so glänzend gestaltet. Wenn er nach ihr verlangte, lag sie noch im Bett oder hatte Besuch.

Gelang es ihm, sie zu sprechen, so gab sie seine Vorwürfe zurück: »Meinst Du, Excellenz, ich hätte nicht meine Gründe gehabt, die Marion weg zu thun, weil sie so lange brauchte, um Deine gichtischen Füße zu wickeln?«

So lag denn der General tagaus, tagein auf dem Sopha. Er las ascetische Bücher und lachte höhnisch, wenn die Zeitung schrieb, die Gräfin Mompach habe diese und jene Summe für fromme Zwecke hergegeben.

Die Anwesenheit Lennings war indeß nur von kurzer Dauer; die Geschäfte riefen ihn wieder westwärts. Moritzsohn selbst blieb meist in Deutschland um der Lieferungen willen.

Erst am Tage vor seiner Abreise erschien Lenning in dem Institut, um seine Tochter aufzusuchen. Er fand sie im besten Wohlsein. Beide sahen sich ohne den Aufwand irgend einer wärmeren Gefühlsregung.

Lenning fragte nicht nach den Fortschritten, die seine Tochter mache. Er zahlte das Pensionsgeld für Monate voraus, küßte sein Kind auf die Stirn und ging mit dem Versprechen, bald zurück zu kehren.

In Stella's Herzen verursachte sein Scheiden keine Lücke. Er hatte auch ihr einige Banknoten in die Hand gedrückt, deren hohe Ziffern sie freudig überraschten.

Woher hatte nur der Vater jetzt so viel Geld!

Constanze hatte ihr zwar gesagt, er sei an Lieferungsgeschäften betheiligt, aber sie verstand das nicht.

Jedenfalls war es gut, daß er es besaß; er war ihr ja auch eine kleine Erkenntlichkeit schuldig. Hatte er doch nie danach gefragt, wer eigentlich den Exekutor damals aus dem Hause vertrieben, auch nie wissen wollen, wem er das Geld zurückgeben solle. Der gutmüthige Carl Holstein hatte so bereitwillig seinen Gewinn geopfert ... Aber was hätte ihm jetzt sein Pony-Gefährt genutzt, da ja auch er im Kriege war!

Stella erzählte Constanze, der Vater habe ihr einige Hundert Thaler da gelassen; sie habe noch nie eine solche Summe besessen.

Constanze seufzte.

»Du bist zu beneiden! Bei uns gehen des Vaters kaufmännische Geschäfte immer schlechter durch den Krieg. Er opfert sich auf für das allgemeine Wohl und in der Wirthschaft muß es immer sparsamer eingerichtet werden, so daß ich nicht einmal einen Profit mehr machen kann. Von neuen Kleidern darf ich ihm gar nichts mehr sagen. Er hat mir streng verboten, für meine Bedürfnisse irgendwo etwas auf seine Rechnung zu nehmen, denn er zahle nichts; die Zeiten müßten erst wieder besser werden.«

»O, Du brauchst ja mir nur zu sagen!« tröstete Stella. »Der Vater kommt bald wieder und da brauch' ich ja nicht zu sparen. Er muß sehr viel Geld haben!«

* * *


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