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Funfzehn Jahre waren seitdem verflossen, als eines Vormittags die Frühlingssonne eine unruhige Scene in dem Toilettenzimmer eines der am Ufer des Flusses gelegenen Landhäuser beleuchtete.
Schräg durch das Zimmer nämlich, vom Toilettentisch hinüber zu dem von glockenblüthiger Waldrebe außen umrankten Fenster flog eine Puderbüchse, der Mehlstaub hinter ihr drein wie ein Kometenschweif.
Das Fenster klirrte; die Scherben fielen auf die Schulter eines auf das Gesims gelehnten Mannes, der seiner Gegnerin die gute Absicht durch ein mitleidiges Lächeln dankte.
Hofstaatssecretair Lenning und seine Gattin waren wieder einmal in Krieg gerathen; es gab einen Ehestandsauftritt, in welchem die von der Stadt herüber schallenden, zum Sonntags-Gottesdienst rufenden Glocken vergeblich zum Frieden gemahnten.
Lenning, ein noch hübscher Mann in eleganter Kleidung, mit glatten, stets zu einem verbindlichen Lächeln geneigten Gesichtszügen, schwarzem, sorgfältig gepflegtem Bart, klugen grauen Augen und einem sinnlichen Zug um die dicken Lippen, – Lenning war an diesem Morgen von der Stadt mit dem Dampfschiff herausgefahren zur »Villa seiner Frau,« wie er den dieser gehörigen, ihm versagten Landsitz nannte, um mit ihr Wichtiges zu verhandeln, und sie, die seit Jahren nicht mehr mit ihm unter einem Dache wohnte, hatte schon mit nervöser Aufregung ihn vom Ufer den Garten herauf kommen gesehen, sich dann aber zu Unvermeidlichem sammelnd, ihre Jungfer hinaus geschickt, um sich zum Sturm zu waffnen.
Sie war jetzt eine Frau von etwa fünfunddreißig Jahren, eine schöne Frau in des Wortes heutiger Bedeutung, denn was ihr an der Frische der ersten Jugend fehlte, das verstand sie mit kunstgeübter Hand zu ersetzen.
Frau Eliza Lenning, als sie, durch die mehr theatralische als diplomatische Ruhe, mit welcher seine gewandte Zunge sie gestachelt, sich so weit treiben ließ, von ihrem Sessel aufzuspringen und die Puderbüchse nach ihm zu schleudern, stand mit Majestät in ihrem von Rüschen und Spitzen garnirten weißen Morgengewande da, ihm einen Blick der tiefsten Verachtung aus den schönen kaffeebraunen Augen zuschleudernd.
Ihre Hand hatte entrüstet die Lehne des Sessels erfaßt, ihre Brust bewegte sich heftig unter dem zierlichen Spitzengewirre, ihre weißen Zähne gruben sich tief in die erdbeerfarbene Unterlippe und in cholerischem Tact bewegten sich die rosigen Flügel der fein geschnittenen Nase.
Lenning stand, auf die Fensterbank gelehnt, mit gekreuzten Armen da; er schüttelte eine der auf seine Schultern gefallenen Glasscherben von sich und maß seine Gattin mit diese empörender Ruhe.
Er gestand sich, daß er sie immer noch schön finde. Dieses edle, so tadellos geschnittene Profil, diese so eigentümlich bestrickend schauenden, von langen Wimpern beschatteten Augen, dieses üppige dunkelbraune Haar, diesen so kräftig modellirten Hals und den klassisch geformten Arm, der eben das Geschoß geschleudert, mußte ein Kenner bewundern. Aber das Alles war nicht für ihn; wenn er sich ihr zu zeigen wagte, entstellte sie die Heftigkeit ihres für Wallungen geneigten Temperaments und das tröstete ihn über die Thatsache, daß er dem Genuß dieser Reize längst hatte entsagen müssen.
»Ich erlaube mir, Dir zum hundertsten Male zu wiederholen, daß es einer schönen Frau schlecht zu Gesichte steht, sich so weit zu vergessen,« sagte er mit demselben Lächeln, seine Nägel betrachtend und dann mit dem Taschentuch den Puder von dem Aufschlag seines schwarzen Rockes entfernend, während sie ihm mißachtend den Rücken wandte und sich wieder vor dem Toilettentisch niederließ. »Du selbst weißt, wie ungern ich Dich belästige, aber soll meine Stellung im Kabinet des Prinzen nicht unhaltbar werden, so muß ich diese dreitausend Thaler bis morgen aufbringen. Ich habe Unglück gehabt, ich bekenne es; ich werde ja in dieser meiner Stellung so oft zu Ausgaben gezwungen, die nicht zu vermeiden sind.«
»Zum Beispiel zum Spiel und zu Champagner-Gelagen mit liderlichen Weibern!« hörte er sich durch eine scharfe Stimme mit englischem Anklang unterbrochen, während er die beiden weißen, runden, unter dem Peignoir sich hebenden Arme an dem üppig glänzenden Haar beschäftigt sah.
»Allerdings! Das erstere ist nicht ganz zu vermeiden! Wie die Sachen aber stehen, sehe ich mich schon außer Stande, das Pensionsgeld für unsere Stella zu bezahlen.«
»Das auch am Spieltisch drauf gegangen?«
»Doch nicht! Ich hatte viel unvorhergesehene Ausgaben. Aber wie dem sei, ich machte Dir brieflich den Vorschlag, den Prinzen, bei dem Du noch immer so viel giltst, um diese Summe anzugehen. Du gabst mir soeben zur Antwort, der Prinz habe schon zweimal meine oder richtiger: unsre Schulden bezahlt, was doch nicht ausschließt, daß er das auch zum dritten Mal thue.«
Er machte eine Pause.
»Da Du hierauf nicht eingehen wolltest, erlaubte ich mir die schüchterne Andeutung, Graf Mompach, der Dich so auszeichnet, oder einen anderen Deiner Verehrer ...«
Ein Geräusch unterbrach ihn. Ein Stuhl flog in's Zimmer zurück; in gebietender Majestät stand seine Gattin wieder vor ihm aufgerichtet. Die Hand auf den Toilettentisch gestützt, die Lippen zitternd, die rosigen Nasenflügel in leidenschaftlicher Bewegung, die in ihrer Aufregung von dem Corset hart bedrängte Brust in ebenso heftiger Arbeit, hafteten ihre so sorgsam umrahmten Augen zerschmetternd auf ihm, der sich nicht die Mühe gab, das Antlitz aus der Hand zu heben, das er sinnend in diese gelehnt.
»Du weißt, wie überdrüssig ich längst schon Deiner Beleidigungen bin, die hieher zu tragen, wo Du in meinem Eigenthum stehst, ich Dir wiederholt untersagt habe!« rief sie mit vor Groll fast erstickender Stimme.
»Du solltest dieses schöne Eigenthum mehr schonen!« Er nahm einen kleinen Glassplitter, der noch auf seinem Arm lag und warf ihn hinter sich durch die zerbrochene Scheibe. »Uebrigens verstehe ich nicht, wie Dich meine Worte so in Aufregung bringen können! Se. Hoheit werden jedenfalls wenig erbaut sein, obgleich er in seiner geistigen Beschränktheit ... Aber lassen wir das! Vielleicht gefällt Dir der Vorschlag besser, das Landhaus hier zu verkaufen. Ich wüßte einen Liebhaber dafür, der zu meinem Erstaunen das Haus hier bis in Deine Schlafzimmer kennt.«
Ein Zittern schüttelte den ganzen Körper der schönen Frau; die Nägel ihrer Hand zogen die gestickte Decke des Toilettentisches im Krampf zusammen.
»Es ist der russische Eisenbahn-Speculant Nowinkow, der die Villa einer Tänzerin verehren möchte und sich deshalb, vielleicht ohne Dein Wissen, einen Einblick in die geheimsten Gemächer derselben verschafft hat. Er würde Dir jedenfalls aus Galanterie einen hohen Preis zahlen, denn er sprach vor einigen Tagen bei einem Diner à part im Hotel de Saxe mit Entzücken von Deiner Schönheit und Anmuth.«
»Sie sind brutal, Herr Hofstaatssecretär!« stieß sie entrüstet heraus.
Lenning verbeugte sich ironisch.
»Ich danke Ihnen für die Mahnung, daß ich diesen Titel Ihnen verdanke.«
Eine jäh aufsteigende Blutwelle durchglühte den zarten weißen Puder-Hauch, der so frisch ihre Wangen deckte. Hals und Nacken färbten sich purpurn. Ihre Lippen brachten kein Wort mehr hervor; in den Gesichtsnerven spielte es leidenschaftlich. Plötzlich aber Herrin derselben, gab sie ihm sein spöttisches Lächeln wieder und wandte ihm den Rücken.
»Ich bin eine Närrin, mich durch derlei Invectiven aufbringen zu lassen,« sagte sie, das Taschentuch von dem Tisch nehmend und damit über die Stirn fahrend.
Lenning machte eine ironisch zustimmende Verbeugung.
»Ich werde noch heute Stella's Pensionsgeld bezahlen,« fuhr sie mit einer gewissen Rührung, im Aufwallen mütterlichen Gefühles fort. »Die arme Kleine soll nicht unter dem Leichtsinn ihres Vaters dulden; die wenigen Goldstücke in ihrer Sparkasse werden genügen; für Kleidungsstücke habe ich ja auf Jahre hin nicht zu sorgen, da in meiner Garderobe noch Vorrath ist.«
»Solltest Du es nicht vorziehen, in Deine Sparkasse zu steigen? Sie würde sicher genügen zu einer Abschlagszahlung ...«
Du willst sagen: zur Bezahlung Deiner Spielschulden, wenn nicht Deiner Maitressen! Ich that dieses Geld in die städtische Sparkasse für Stella, um dem armen Geschöpf wenigstens einen Zehrpfennig zu sichern, wenn seines Vaters unverantwortliche Lebensweise ...«
»Ich höre mit Rührung diese überraschende mütterliche Sorgfalt für das Kind, um das Du Dich sonst so wenig kümmerst; was aber meine unverantwortliche Lebensweise betrifft, dürften die Motive doch wohl einige Rücksicht verdienen! Versetze Dich gefälligst in die Lage eines Gatten, der schon ein Jahr nach seiner Hochzeit einsehen mußte, daß über seiner Ehe ein Andrer, ein gekrönter Gönner schützend walte, dem er so rapide Beförderung vom Copisten zum Ministeriell-Kanzlisten und dann zum Hofstaatssecretär zu verdanken hatte, ohne die geheimen Beweggründe dieser Gnade zu argwöhnen. Versetzen Sie sich in meine Stimmung, wenn ich wirklich einmal Ihrem Verbote zuwider diese Villa betrete, die, wie ich auch erst später erfuhr, eine Schenkung desselben durchlauchtigsten Gönners, während man mir sagte, sie sei von Ihrem mütterlichen Erbtheil gekauft, das Ihnen von dem Consulat ausgezahlt worden. Alle Welt wußte es anders, nur ich nicht; alle Welt lachte, nur ich machte eine ernste Miene. Stellen Sie sich endlich vor, wie mir zu Muthe war, als ich eines Abends, einem prinzlichen Coupé ausweichend, dessen Pferde die Straße herauf tobten und mit der Deichsel gegen den Sandsteinpfosten eines Gartenthors rasten, daß sie blutend zusammen brachen und den Kutscher auf das Pflaster schleuderten, – als ich, einen Angstschrei aus diesem Coupé vernehmend, hinzusprang, es öffnete und einer vor Angst fast ohnmächtigen Dame die Hand reichte, der ich ... diese Hand schon einmal als meiner Gattin gereicht. Für Andre wäre das zum Todtlachen gewesen; ich ging hin und betrank mich sinnlos, ich gestehe es zu meiner Schande. Ich glaubte im Irrenhaus zu erwachen, als ich von meinem Rausch wieder zu mir kam ... Acht Tage darauf nahm ich die Sache von der philosophischen Seite ...«
»Und Sie verschwendeten Ihren Gehalt an eine Kaffeehaus-Sängerin oder an Schlimmeres noch!« Ein Zug tiefer Verachtung legte sich um ihre Mundwinkel.
»Der Ausdruck ist vielleicht zu hart, indeß ich bedurfte eines Trostes!« Er zuckte ironisch die Achsel und ging dann wieder in den alten Ton über: »Kommen wir lieber auf unsre Angelegenheit zurück! Man hat mir bis Morgen Abend Frist gegeben; verstreicht diese, so darf ich dem Schlimmsten, dem Verlust meiner Stellung entgegen sehen. Freilich sollte mir an derselben wenig liegen. Ein jüngerer College von mir wurde vor Kurzem decorirt, ich nicht; ein Andrer avancirte zum geheimen Kanzleirath, ich nicht, obgleich man mir so wirksame Protection nachsagt. Nowinkow hat mir in Rußland eine pekuniär viel dankbarere Stellung angeboten, denn er hat einen ganzen Staat von Beamten. Ich zögerte bisher nur eben weil Nowinkow mir dies bot, und dann um des Kindes wegen«.
Seine letzten Worte brachten einige Erschütterung in ihr hervor. Mit abgewendetem Antlitz suchte sie den Stuhl wieder und stützte sich auf die Lehne desselben.
»Gott möge mir die Sünde verzeihen, die ich an dem Kinde begehe! Ich werde morgen meine Sparpfennige zurückziehen!« Wie zerschmettert durch diesen Gedanken ließ sie sich auf den Stuhl zurücksinken.
»Gott ist mein Zeuge, daß ich vergeblich die Zukunft des Kindes gegen diesen Leichtsinn vertheidigte!« rief sie theatralisch.
Der Gatte lächelte vor sich hin; er ließ das Kinn durch seine Hand gleiten.
»Selbst dem Allwissenden dürfte dies fremd sein«, spottete er. Ich habe aber noch Eins. Die Welt glaubt einmal, daß ich meine Stellung, wie unbedeutend sie sein mag, Dir verdanke. Der alte Domänenrath Sr. Hoheit hat um seine Pensionirung gebeten. Ich würde es nicht ertragen können, würde mir ein Andrer vorgezogen.«
Sie schwieg; ihre Hände sanken in den Schooß. Neue und andre Entschlüsse schienen in ihr aufzusteigen. Sie bereute ihre Nachgiebigkeit seinen neuen Forderungen gegenüber.
»Es ist Ehrensache für mich, das Prädicat eines Geheimen zu erhalten wie mein College, Ehrensache auch für Dich zugleich, des Titels wegen ... Du kennst jetzt meine bescheidenen Wünsche, deren Erfüllung unser ferneres äußeres Einvernehmen bedingt, und wirst ihrer gedenken. Ich eile jetzt in die Stadt zurück, um meine Angelegenheiten zu ordnen.«
Er trat zu ihr, hob galant eine ihrer Hände aus ihrem Schooß und suchte die Fingerspitze an seine Lippen zu führen. Sie entriß ihm die Hand mit Abscheu.
Vor sich hinlachend verließ er das Zimmer.
Minutenlang saß sie da, starr und grübelnd vor sich schauend.
»Nein, nein! Nimmermehr!« Sie sprang auf, maß das Gemach, die Schleppe des Peignoir hinter sich ziehend, das Antlitz bleich und blutlos. »Dieses unerträgliche Verhältniß soll ein Ende haben! Ich kann, ich will es nicht mehr!«
Die Augen im Taschentuch bergend, sank sie auf den Sessel zurück.
Eine helle Kinderstimme weckte sie und gleich darauf sprang, von einer älteren Dame gefolgt, ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, frisch wie die Maienblüthe, durch die Hinterthür herein und umhalste sie mit freudigem Gruß.
»Mama, die Ferien sind angegangen. Nicht wahr, ich darf doch heute wenigstens bei Dir sein?«
Kalt und fühllos küßte sie das Kind auf die Stirn. Es lag nichts von der Freude der Mutter in dem Auge, mit dem sie sich zu der schlicht gekleideten Begleiterin wandte:
»Sie wissen, Mademoiselle Josephine, daß ich stets erst gefragt sein will, wenn Stella den Wunsch hat, bei mir zu sein.«
Erschreckt und bittend schlang das Mädchen noch einmal den Arm um ihren Hals.
»Ach, ich hatte ja so große Sehnsucht, meine schöne Mama zu sehen!« rief sie, das frische Gesicht an der Brust der Mutter bergend und einen Kuß auf ihren Hals drückend. »Nicht wahr, Mama, ich darf bleiben? Bin ich Dir aber lästig, Josephine kann mich ja zu Fräulein Helmine von Auer hinüber führen, die mich immer so gern hat!«
»Wir werden sehen; mein Kind!« ...
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