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Die Nacht, die lange, endlose Nacht hatte Eliza keine Ruhe, keinen Rath gebracht. Während der ersten Hälfte derselben war ihr Herz voll Thränen über die Mißhandlung von Seiten dieses Mannes, den sie anklagte, ihr die schönste Zeit, die Blüthe ihrer Jugend geraubt zu haben; die andere Hälfte hindurch hielten Ingrimm und Sorge ihr trockenes Auge wach.
Der erste rothe Glanz der Morgensonne fand sie im Garten. Sie schaute mit müdem Auge theilnahmslos hinaus über die Blumen-Terrassen, über das weite, mit Villen und Gehöften besetzte Uferland.
Sie haßte die Welt und Alles, was sich da an Menschengewürm vor ihren Augen bewegte. Sie liebte auf dem ganzen weiten Erdenrund nur Einen, und der war fern.
Auch er hatte Sorgen, die zu verscheuchen sie zu arm geworden. Und wenn – der Gedanke nagte zerstörend, fressend wie ein Geier an ihrem Herzen – wenn nun eine Andere sich gefunden hätte, den Kummer von seiner schönen Stirn, aus dem dunklen, feurigen Auge zu küssen! ...
Die Angst stieg wieder vom Herzen herauf, sie rannte fort, tiefer in den Garten, sie schrie laut auf, wie sie sich, gleich einem verendenden Reh, in das tiefste Dunkel eines Laubgangs versteckt; sie mußte diesen Druck vom Herzen schreien.
Die Mutter, die sie ängstlich nicht aus den Augen gelassen, kam jammernd herbei geeilt. Sie überhäufte dieselbe mit bitteren Worten. Warum sie gekommen! Warum sie nicht drüben bei ihrer Schwester geblieben, anstatt sie zu belästigen!
Mrs. Blount nahm das schweigend hin und schlich in's Haus zurück. Ihr that das arme Kind so leid; sie hätte ihr Schlimmeres noch verziehen.
»O Gott«, stöhnte sie, »was soll das werden! Sie ist so jung und schön, warum braucht sie so unglücklich zu sein!« ...
Mrs. Blount wagte trotzdem nicht, sich in Verwünschungen zu ergehen; ein Prinz stand hoch in ihren Augen wie in denen aller Amerikanerinnen, und er konnte ja doch noch zurückkehren. Sie wußte ja, wie die Männer sind! ... Sie ging in's Haus und weinte.
Eliza stand um zehn Uhr zur Promenade angekleidet im Salon. Ihr düsterer Blick, die zusammengepreßten, so bleichen Lippen bekundeten verzweifelte Entschlüsse, die ihr geholfen, die Fassung wieder zu finden.
Lange stand sie am Fenster, die Handschuhe anlegend, die Ombrelle im Arm, auf den breiten zur Eisenbahn am Ufer hinab führenden Weg schauend, wo sie doch Niemanden erwarten durfte.
Plötzlich zuckte sie zusammen. Ein Freudenlaut. Sie trat zurück und schaute hinter dem Vorhang wieder hinaus. Ihr Auge flackerte fieberhaft, ihr Antlitz begann zu glühen. Sie beugte sich vor, dann wieder zurück, immer in steigender Aufregung beobachtend. Dann löste sie mit zitternder Hand den Hut vom Kopf, warf ihn sammt der Ombrelle von sich, riß die Handschuhe von den Fingern und eilte in's andere Zimmer, vor dem Spiegel ihr vom Hut gedrücktes Haar ordnend, erbleichend und wieder erglühend.
Sie rief die Mutter.
»Warum bist Du noch nicht fort!« fuhr sie diese an. »Du und Anna Ihr solltet ja heute Morgen in die Stadt! Du weißt, was ich Dir auftrug! Eile Dich! Geh über den Hof hinaus; ich erwarte Besuch, er ist schon im Garten! Es handelt sich ... Aber das kümmert Dich nicht! Nur fort, auf der Stelle! ... Warum bist Du noch da! Du weißt, ich hasse dies ewige Lauschen!«
Mrs. Blount entfernte sich zitternd. Eliza kehrte in den Salon zurück, sie hielt inmitten desselben erschreckt inne. Dr. Ballmann stand bereits vor der Balkonthür. Er öffnete dieselbe unaufgefordert und trat lächelnd, mit verheißender Miene grüßend ein.
Durch die Oeffnung der Thür sah Eliza, daß der Andere, sein Begleiter, mit dem sie ihn kommen gesehen, noch am Fuß der Treppe stand und die Front des Hauses musterte. Sie errieth mit freudig pochendem Herzen.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, schöne Frau, daß ich Sie ohne Nachricht lassen mußte,« begann Ballmann, ihre Hand mit Zärtlichkeit an die Lippen führend. »Ich war in Ihrem Interesse verreist. Ich bringe Ihnen dafür jetzt aber einen Käufer, Mr. Atkinson, einen Landsmann von Ihnen, einen ernstlichen Käufer! Ich bin mit ihm einig über den Preis; er feilschte nicht; ein anständiger Mann! Darf ich ihn hereinführen?«
Eliza vermochte nicht zu antworten. Das Herz saß ihr an der Kehle; ein Himmel voll Glückseligkeit öffnete sich ihr. Sie hätte Ballmann knieend um Verzeihung bitten können.
Er lächelte so zufrieden und zuversichtlich.
Schweigend, zum Balkon blickend, gab sie ein Zeichen der Zustimmung; zu sprechen vermochte sie nicht.
»Der Kauf soll noch heute abgeschlossen werden, heut Abend nach den Büreaustunden«, sprach Ballmann halblaut, ihre Hand vertraulich drückend. »Ich behalte nur einen Schreiber zurück und sorge für die Zeugen. Ich habe den höchsten Preis erzielt und rechne auf Ihre Erkenntlichkeit. Ein kleines Souper entre deux wird uns nach dem Abschluß im Hôtel de l'Europe erwarten«, setzte er mit den Augen blinzelnd hinzu.
Ein Druck ihrer Hand gab ihm Antwort. Eliza war zu Allem bereit; sie hörte kaum; Ballmann war also wirklich ihr Erlöser! Sie schaute ihm schwindelnd nach.
Mr. Atkinson wurde von dem Advokaten vorgestellt. Er war ein hübscher, großer Mann von vierzig Jahren mit blondem, langem Vollbart, austernfarbigen Augen und röthlichem Teint. Sein Auftreten, seine Haltung verriethen den vornehmen reichen Mann.
Atkinson schien angenehm überrascht durch die schöne Herrin des Hauses; er sagte ihr in englischer Sprache liebenswürdige Worte, nahm dann ihr gegenüber Platz und sprach von allem Anderen, nur nicht von dem Kauf.
Ballmann führte ihn endlich auf die Geschäftssache, als er Eliza um dieselbe besorgt werden sah.
Mr. Atkinson detaillirte jetzt seine Absichten hinsichts der Villa. Er reise auf dem europäischen Continent, um einen schönen Platz für sich und seine Familie zu suchen, die noch in Amerika sei. Er werde heute Abend den ganzen Kaufpreis zahlen, bedinge es sich aber als eine Gefälligkeit, daß die schöne Frau das Haus noch bis zum Herbst verwalten lasse. Er knüpfe daran auch die Bitte, während der einigen Wochen, die er noch hier verweile, zu einer von der schönen Frau zu bestimmenden Stunde, wo er nicht lästig falle, seinen Besuch in der Villa machen zu dürfen, um in derselben die zur Bequemlichkeit seiner Familie erforderlichen Dispositionen zu überlegen.
Eliza willigte freudig ein. Sie athmete auf. Eine Centnerlast war von ihrer Brust gewichen.
Ballmann schrieb einige Worte in sein Notizbuch, riß das Blatt heraus und reichte es ihr.
»Also um 8 Uhr in meinem Büreau, wenn ich bitten darf, schöne Frau!«
Eliza erröthete flüchtig, als sie einen Blick auf das Blatt warf. Sie nickte zerstreut, das Papier zerknitternd. Beide Herren verabschiedeten sich.
Eliza warf sich auf den Divan, barg das Antlitz auf dem Kissen, rief Donato's Namen und weinte Freudenthränen ...
Als die Mutter eine Stunde darauf heimkehrte, fand sie Eliza in einer feierlichen, weihevollen Ruhe. Es lag eine Zufriedenheit in ihrem Antlitz, in ihrem Wesen, die auf Mrs. Blount die Wirkung machte, als sei in ihrer Abwesenheit ein Engel mit der Friedenspalme in dieses Haus eingekehrt.
»Setz' Dich dorthin«, bat Eliza mit sanfter, weicher Stimme, ohne sie anzuschauen, während sie sich selbst in den Sessel niederließ, die Schläfe in die Hand legte und hoch aufathmete, als löse sich die ganze unselige Spannung, die bisher ihre Nerven gefoltert.
Mrs. Blount legte die Hände im Schooß zusammen. Sie hatte vergessen, die abgelegten Handschuhe der Tochter auszuthun. Sie horchte mit gesenkten Augen.
»Das Haus ist also verkauft«, begann Eliza mit Salbung. »Ich that Ballmann unrecht; er ist der einzige wahre Freund, der mir geblieben und ich will es ihm nie, nie vergessen.«
»Gott sei gelobt!« seufzte die Mutter. Weiter standen ihr in diesem hohen Moment keine Worte zu Gebote. Mrs. Blount hörte den Engel des Friedens mit seinen Fittigen und seinem Palmenzweig über sich rauschen.
»Mr. Atkinson, ein liebenswürdiger Herr und Landsmann von uns, übernimmt zugleich das Inventar. Er hat die Bedingung gestellt, daß wir noch bis zum Herbst die Verwaltung des Hauses behalten. Ich habe dies natürlich zugesagt, da es ja nur in unserem Interesse liegen kann; ich hätte ihn vielleicht selbst um diese Vergünstigung gebeten.«
Mrs. Blount nickte zufrieden. Auch ihr war das Herz so groß. Der Engel rauschte immer vernehmlicher über ihr.
»Für die nächsten Wochen wirst Du nun mit Anna wohl allein das Haus bewachen müssen; Anna versteht das ja; sie that es schon einmal. Ich bin nämlich genöthigt, eine kleine Reise anzutreten, die mich so lange fern halten wird. Meine Gesundheit, die nervöse Aufregung während all dieser Zeit, zwingt mich zu einer Erholung.«
Mrs. Blount fand, daß ihrer Tochter nichts notwendiger sei als dies. Sie nickte.
»Obgleich ich nicht befürchte, länger fort zu bleiben, werde ich von dem Kaufgeld eine entsprechende Summe bei einem hiesigen Bankhause deponiren, damit Du nicht in Verlegenheit kommst. Du wirst über dieselbe je nach Bedürfniß, aber mit Sparsamkeit verfügen, auch davon die lästigen Rechnungen bezahlen.«
Mrs. Blount fand diesen Gedanken gut.
»Die Stunden bis zum Abend, wo ich in dem Notariats-Bureau erscheinen muß, wünsche ich ganz ungestört in meinem Zimmer zu verbringen. Ich habe zu denken. Anna soll unter Deiner Aufsicht meine Koffer packen, damit ich morgen im Laufe des Tages reisen kann.«
Eliza erhob sich. Sie hatte genug gesprochen und empfand die Nothwendigkeit, in größter Einsamkeit ihre Gedanken um den Gegenstand zu sammeln, der diese fortab ganz allein beschäftigen durfte.
Sie verließ die Mutter, die auch das Bedürfniß fühlte, über diesen so plötzlichen günstigen Wechsel nachzudenken, und in die Küche eilte, um Anna von demselben zu erzählen.
* * *
Eliza, in ihrem Zimmer, legte die Promenaden-Robe ab. Sie trat vor den Spiegel; sie mußte sich sehen, wie sie wieder vor dem Geliebten erscheinen werde.
Die Mittagssonne schien so ungewöhnlich heiß in ihr Zimmer, sie bestrahlte ihre Gestalt. Eliza war's so heiß im Blut, das plötzlich in so wilde Bewegung gerathen. Sie legte das bequeme weiße Morgengewand an, löste die Nadeln aus dem Haar und schüttelte es über ihrem Nacken, als hätten alle die trüben Gedanken, die ihr Hirn gepeinigt, darin ihre Zuflucht gefunden, und streckte sich dann mit wollüstigem Behagen auf das Ruhebett.
Stunden, lange Stunden hatte sie noch bis zum Abend mit sich allein zu sein. Nur Donato's Bild war bei ihr. Er sollte heute noch telegraphische Nachricht haben, daß sie komme ...
* * *
Am schönsten, hellsten Frühlingsabend stand sie mit unruhiger Brust, gerüstet vor dem Spiegel. Anna hatte durch ein Pochen gemeldet, daß der Fiaker schon warte.
Eliza war in großer Gesellschafts-Toilette; eine pfirsichfarbene Seidenrobe, tief ausgeschnitten, die Arme bis zur Achselhöhle entblößt, umschloß ihre graziöse Gestalt; kein Geschmeide zierte den Nacken; im Haar steckte nur eine schüchterne Blume.
Als Anna pochte, schlüpfte sie in den dünnen glatt anschließenden Frühlings-Paletot, ihn bis zum Halse schließend, und mit einer Hast, als dürfe sie keine Secunde verlieren, rauschte sie über den Gang hinaus.
Mrs. Blount betete Segenssprüche hinter ihr.
Die hoffnungfreudigsten Gedanken weiteten Eliza's Brust, als sie zwischen den Villen und dem Fluß dahin zur Stadt fuhr. Ihr war's, als seien die Pforten eines Kerkers vor ihr geöffnet. Sie hatte nie die Frühlingsluft so wonnig eingesogen wie heute, wo die ganze Natur zu dem gewaltigen, in ihren Ohren sausenden Orchester ihrer Hochgefühle ein Hosiannah sang.
Wie schön war diese Welt doch wieder, diese Welt mit ihm, um dessen willen sie gestern, als der Prinz gekommen, der Versuchung widerstanden zu haben meinte. Nur vierundzwanzig Stunden noch, und dann gab es auf dieser Welt für sie keine Wünsche mehr!
»O Herz, diese wenigen Stunden nur tröste Dich!« seufzte sie, in den Wagen zurückgelehnt.
Da plötzlich parirte der Kutscher vor der großen Brücke die Pferde. Ein hoher, eleganter Jagdwagen, von vier muthigen Pferden, zwei Rappen und zwei glänzenden Falben gezogen, four in hands geführt von einem Herrn auf hohem Kutschersitz, jagte über die Brücke. Bewundernd staunten die Vorübergehenden den herrlichen Viererzug an.
Auch Eliza beugte sich vor, gestört in der Harmonie ihrer Gedanken, unwillig über diese Hemmung. Sie schaute hin, erblaßte und wandte sich mit Verachtung ab. Der Kutscher trieb die Pferde wieder an und hinter ihr jagte der Zug davon.
Lenning war's, der, sie kaum mit einem Blick streifend, ohne eine Miene zu ändern, in sicherer Hand die Zügel der muthigen Pferde, an ihr vorüber gejagt.
Eliza grollte über sich selbst. Nur der Ueberraschung beim Anblick dieses auffallenden Gefährts hatte er es zu danken, daß sie ihn eines Blickes gewürdigt. Er war wieder zu großem Vermögen gekommen; man hatte ihr schon davon gesagt; aber sie neidete ihn nicht darum ...
Vorwärts, um auch das ihrige in Empfang zu nehmen!
Sie lachte im Bewußtsein ihrer Unabhängigkeit vor sich hin. Diesen Mann hatte sie längst verachten gelernt und sein Glückswechsel änderte nichts darin.
Nur an Eins gemahnte er sie: So wie jetzt war er früher an ihrer Wohnung vorübergejagt, als er, noch der Sohn des reichen Fabrikherrn, um ihre Hand anhielt. Nur geblendet durch seinen Aufwand hatte sie ihn erhört.
Aber vorwärts! Sie war ja glücklich, und ob er es war? Und wohin ihn seine vier Rosse ziehen mochten? ...
Doctor Ballmann und Mr. Atkinson erwarteten sie bereits im Bureau. Der letztere empfing sie mit Auszeichnung. Ballmann hatte Alles geordnet; ihm selbst schien daran zu liegen, den Act schnell zu beenden.
Er wechselte einen flüchtigen Blick mit ihr, der dann entzückt an ihrer durch den Ueberwurf schimmernden Toilette hinab glitt, und verlas den Kaufvertrag.
Ballmann nahm ein Portefeuille vom Tisch, zählte die Banknoten, fand sie richtig und übergab sie Eliza, die sie ihm zurückreichte, mit dem Ersuchen, das Geld in ihre Wohnung zu senden.
Beide unterzeichneten. Auch die beiden Zeugen unterschrieben das Actenstück. Ballmann und Atkinson geleiteten danach Eliza zur Thür.
Mrs. Blount wartete an diesem Abend bis zehn Uhr auf die Rückkehr ihrer Tochter. Anna mußte Kaffee kochen. Sie wachte bis eilf, bis zwölf Uhr, mit dem Schlummer kämpfend; dann überwältigte sie derselbe, ihr Haupt sank auf die Lehne des Sessels zurück.
Der Morgen war hoch herauf gestiegen; die Sonne ging zur Mittagshöhe, als Mrs. Blount, die tausend Aengste ausgestanden, endlich ihre Tochter vor das Haus fahren sah.
Diese trat ein, wie sie gestern hinaus getreten, aber der Mutter scharfes Auge sah das bleiche, unzufriedene Gesicht. Eliza hatte es vorgezogen, die Nacht in der Stadt zu verbringen.
Eliza rauschte an ihr vorüber auf ihr Zimmer. Hier zog sie das Portefeuille aus dem Busen und warf es auf den Tisch. Sie that die Kleidung von sich. Die Ermüdung drückte auf die matten, von fahlem Schatten umzogenen Auglider.
Sie wankte zum Lager und ließ sich ächzend auf dasselbe sinken. Mit beiden Händen das Antlitz bedeckend, flüsterte sie einen Namen und ihre Lippen hauchten: »Verzeih! Ich komme ja!« ...
Am Abend reichte sie der Mutter mit kalten Abschiedsworten die Hand, obgleich das nach ihrer Absicht auf Nimmerwiedersehen geschah, und der Fiaker trug sie zum Bahnhof.
* * *