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Unter den amerikanischen Familien, die sich in der großen norddeutschen Stadt – der Name thut hier nichts zur Sache – zu sammeln pflegten, erschien in der Mitte der fünfziger Jahre eine Mistreß Blount, deren Gatte in Boston durch seine Geschäfte zurückgehalten wurde, während sie mit ihrem Kinde in Deutschland reiste.
Mistreß Blount war eine nervenschwache, reizbare Dame von etwas unbestimmten Grundsätzen, die sie auch von ihrem Manne trennten. Das fahrende Leben hatte auch in ihrem Töchterchen Miß Eliza frühzeitig eine Selbständigkeit ausgebildet, der entgegen zu wirken die Mutter nach amerikanischer Sitte keine Veranlassung kannte.
Miß Eliza, damals erst im achtzehnten Jahr, weltbewandert durch das Hôtel-Leben, fand in der schönen, von Fremden so gesuchten Stadt eine Anzahl von Landsmänninnen ihres Alters, alle »flirt«, ungenirt in ihrem öffentlichen Erscheinen auf den Promenaden, in den Gesellschaften, auf dem Eise, ein Anziehungspunkt für die jungen Kavaliere, die das lustige, umgängliche Völkchen gern umdrängten und von diesem ebenso gern empfangen wurden.
Mistreß Blount reiste sehr bald nach Boston zurück, um, da ihr Gatte gestorben, wichtige Familiensachen zu ordnen, und ließ ihr Töchterchen unter dem Schutz einer amerikanischen Familie zurück. O, es hatte keine Gefahr mit Eliza! Sie war so selbständig, daß sie nicht der Mutter Schutz einmal bedurfte.
Als Mistreß Blount zurückkehrte, – nicht sehr zufrieden mit den Geschäften, die sie drüben geordnet, man wollt' es ihr ansehen – fand sie, daß Eliza von Zweien eifrig der Hof gemacht wurde, von Oskar Lenning, dem Sohn eines reichen Fabrikherrn, der eben seine Studien beendet, und von einem der Prinzen des Hofes, der das Mädchen auszeichnete, wo er ihm begegnete.
Auf eine selbst morganatische Heirath mit dem um viel mehr als zwanzig Jahre älteren verwittweten Prinzen konnte man nicht hoffen, dahingegen preßte Eliza eines Abends auf einem Ball im Kotillon mehrmals dem jungen Lenning so warm die Hand, daß dieser am nächsten Morgen bei der Mutter seinen Antrag machte und als Sohn reicher Eltern bereitwillig angenommen ward.
Miß Eliza war dazumal neunzehn Jahre alt. Sie erklärte ihren Freundinnen, sie liebe ihren Bräutigam gar nicht, aber sie heirathe ihn, weil die Mutter ihr gesagt, es sei nothwendig, eine gute Partie zu suchen.
Vier Wochen nach der Hochzeit, als das junge Paar erst von seiner Reise zurückgekehrt, fallirte das große Fabrikhaus Lenning & Comp. Nur Einer sah den Blick, mit welchem die junge Frau nach jener Hiobsbotschaft ihren Gatten empfing – er selbst.
Von dem Tage ab existirte er kaum für sie. Eliza schloß sich intimer als je an ihre Freundinnen; sie sprach zu ihrer Mutter mit Mißachtung von ihrem Gatten und würdigte diesen keiner Antwort, als er in unverschuldeter Bedrängniß bei Eliza's kostspieligen Lebensgewohnheiten auf Rath und Hülfe sinnend, nach ihrer Mitgift fragte, die leider jetzt eine Bedingung ihrer Existenz geworden.
Mutter und Tochter hatten insgeheim sich verstanden, als sie mit der Verlobung nicht einmal den Ablauf der Trauerzeit um den Vater abgewartet. Die Liquidation hatte in Boston die traurigsten Resultate ergeben. Es war nur ein Kapital der Mutter übrig geblieben.
In der Stadt wußte man hiervon nichts. Man glaubte an das Vermögen der jungen Frau, als das Ehepaar seine glänzende Wohnung behielt, und fand es ehrenwerth, daß Lenning, um beschäftigt zu sein, eine untergeordnete Stellung im Ministerium annahm, die ihm aus Rücksicht für seine Familie geboten ward.
Es war ein kaltes Heim, das diese Beiden umschloß. Sie hatten sich kaum vier Wochen hindurch verstanden, vier wie im Traum verstrichene Wochen, während welcher sie auf der Hochzeitsreise und im Strudel der das junge Paar beanspruchenden Gesellschaft gelebt.
Lenning ging jetzt am Morgen in sein Bureau, wenn sie noch in tiefem Schlummer lag; er sah seine Gattin erst am Nachmittag beim Diner und mußte die stets unzufriedene Miene ihrer Mutter in Kauf nehmen, wie sie die Tochter in seinem Beisein mit so klagendem Blick anschaute, der ein unversteckter Vorwurf für den Schwiegersohn war.
Die Mutter sprach auch mit Ostentation oft von ihrer Absicht, zu einer Schwester nach Chicago zu gehen; sie wolle nicht zur Last fallen, und Lenning seufzte anfangs still, dann verständlicher: wenn sie nur erst ginge!
Eliza's Stimmung, scheinbar kalt und resignirt, ward bald unruhiger, nervöser. Sie erhob sich Morgens früher, empfing ihre amerikanischen Freundinnen nicht mehr bei sich, war aber desto mehr draußen bei ihnen. Wenn Lenning ihnen begegnete, las er auch auf ihren Gesichtern dieselbe Anklage, er habe die arme Eliza um ihr Lebensglück gebracht. Ihre Intimsten rümpften sogar die Nase, wenn er es wagte, sich ihrem Kreise zu nähern.
Lenning verbiß seinen Aerger und sprach davon, man müsse die theure Wohnung aufgeben, die in keinem Verhältniß zu seinem Gehalt stehe. Eliza antwortete apathisch, sie verdanke den Mitteln, die der armen Mutter geblieben, wenigstens diese eine Wohlthat; es werde ihr Tod sein, wenn sie sich auch von dieser trennen müsse. Die Mutter gebe ihr ja Alles, was sie von ihrem eignen Vermögen gerettet, und wenn dies erschöpft sei, finde die Aermste ja bei ihrer Schwester Obdach. Sie erschrecke vor dem Gedanken an die Trennung von ihr.
Lenning glaubte allgemach wahrzunehmen, daß auch männlicher Besuch bei seiner Gattin gewesen, während er im Bureau arbeitete. Sie sagte ihm gleichgültig, ihre Freundinnen kämen zuweilen in Begleitung ihrer Gatten oder Brüder. Sie verkomme ja sonst in ihrer Einsamkeit.
Eliza's sich alsbald steigernde Verstimmung, ihr häufiges stilles Weinen, ihre Zurückgezogenheit erklärten sich aus ihrem Zustand. Aber der gab nur Veranlassung, daß Lenning eine neue Beschuldigung in ihren Augen lesen mußte. Die Mutter rang oft die Hände; sie fürchtete bei der Geburt eines Kindes für das Leben ihrer schon so unglücklichen Tochter und schaute auf ihren Schwiegersohn nur noch wie auf einen mit Missethaten beladenen Menschen.
Lenning hatte sich bei dieser Häuslichkeit gewöhnt, seine Abende unter den Freunden im Wirthshause zu verbringen, so viel ihm seit dem Wechsel seiner gesellschaftlichen Stellung noch geblieben. Das Wirthshaus ward ihm unentbehrlich. Er kehrte oft erst spät Nachts heim und wagte es selbst dann nicht, seine Anwesenheit zu verrathen.
Die beiden Damen hatten ihn nämlich schon im dritten Monat der Ehe damit überrascht, daß sie sein Bett in das von dem Schlafzimmer seiner Gattin entfernteste Zimmer geschafft. Er verstand sie und verlor kein Wort darüber.
Seit er »allein« war, wie er sich sagte, kümmerte er sich auch um eine eheliche Polizeistunde nicht mehr.
Eliza hatte ihm den Ton angegeben, den sie in ihrem beiderseitigen Verhältniß wünschte; auch er war deshalb kühl, gleichgültig, reservirt. Er fühlte sich aus Revanche nicht übermäßig unglücklich und versagte sogar der Schwiegermutter trotz ihrem Benehmen eine gewisse Dankbarkeit nicht, da durch ihren Beistand keine übermäßigen Ansprüche an seine Kasse gestellt wurden. Aus Demonstration begehrte man nichts von ihm.
Endlich ward eines Nachts, während welcher Mistreß Blount wieder händeringend in der Wohnung umher ging, Stella geboren und nach der Tante in Amerika genannt.
Als die junge Frau die Katastrophe überwunden und aus derselben schöner als früher hervorging, zeigte sich eine merkbare Veränderung in ihrem Wesen. Sie, die bisher so kalt und apathisch, war unruhig, zerstreut und verschloß sich oft stundenlang mit der Mutter zu geheimer Berathung. Das Kind mochte schreien so viel es wollte.
Sie war von einer Qual erlöst, die ihr eine unerträgliche Folter geworden. Die Entstellung ihres Körpers war ihr ein unausstehlicher Anblick gewesen. Dafür aber ward ihr ein anderer Kummer beschieden: die Mutter hatte ihr mit Thränen in den Augen gestanden, daß ihr in Boston gerettetes Kapital, mit dem man nicht Haus gehalten, erschöpft, daß ihr, um nicht der schon so unglücklichen Tochter zur Last zu fallen, nichts übrig bleibe, als bald, wenn der letzte Dollar verzehrt, zu ihrer Schwester zu gehen. Aber wie die Trennung von ihrem Kinde ertragen! Den Gedanken faßten Beide nicht.
Sie verabredeten einen heimlichen Fluchtplan. Nur das Kind! ... Eliza hing an demselben zwar nur mit den äußersten, von der Natur vorgeschriebenen Banden, aber das Mutterherz war doch keiner wirklichen Grausamkeit fähig. Sie liebte die Kleine, wenn sie ruhig, ihr nicht lästig war, aber sie verwünschte sie, wenn sie schrie. Und dann war zu überlegen: was bot sich ihr drüben jenseits des Oceans, wenn sie mit der Mutter ging! Sie, eines reichen Mannes Kind, sollte als armes Weib zurückkehren!
Eliza ward ihre Häuslichkeit ein Gefängniß. Die Unruhe des Kindes, sein Geschrei thaten ihren Nerven weh. Sie suchte draußen Erholung ...
Es war Frühling geworden, die Promenade war so belebt. Die Mutter blieb viel lieber bei dem Kinde; die Amme war ja auch da und zudem noch die treue Anna, die Dienerin, die sie von Boston nach Europa begleitet hatte.
Was beginnen, war die stete, stille Frage in Elizas unruhigem Herzen. Und die Mutter verlieren! ... Allein sein mit diesem Gatten, für den sie nur Abneigung hatte!
Eines Morgens kehrte sie von der Promenade in höchster Aufregung zurück. Sie war erhitzt von der scharfen Frühlingsluft; ihr Herzschlag war unruhig und stockte zuweilen ganz. Sie warf sich in den Sessel, lehnte die Schläfe in die Hand und starrte vor sich. Ihre Hände mißhandelten das Taschentuch, ihre Fußspitzen den Teppich; um ihren Mund legte sich ein weltverachtender Zug, als suche sie Beruhigung in der Gleichgültigkeit gegen die ganze Außenwelt.
Sie hatte vergessen, das Hütchen abzulegen; es drückte ihre Stirn; sie warf es von sich, sprang auf und trat vor den Spiegel, preßte die Hände vor die Stirn und seufzte.
Stirn und Ohren waren so dunkel geröthet; es hämmerte in Brust und Schläfen; die Gedanken stachen wie Nadeln ihr Hirn. Sie war unzufrieden mit ihrem Bild in dem Spiegel, vor den sie immer wieder trat; ihr wars, als verunstalte dieser Zug um den Mund ihre Schönheit, als sei ihr Auge so matt und glanzlos seit dieser unseligen Entbindung.
Die Mutter kam, um ihr tägliches Lamento anzustimmen.
»O laß mich! ... Sorge doch nicht um mich! Du weißt ja, Lenning hat sein Gehalt; ich werde mich einschränken, wenn Du gehst! ... Wann gedenkst Du übrigens zu reisen. Die Jahreszeit wäre so günstig.«
Die Mutter stutzte. Die Frage that ihrem Herzen weh. Sie hörte dieselbe zum ersten Mal.
»Wann Du mich entbehren kannst! ... Aber das arme Kind!« sagte sie kleinlaut.
Eliza ging in ihr Zimmer, setzte sich an das Fenster und schaute, die Wange in die Hand gestützt, hinaus.
Die Mutter weinte. Zum ersten Male sah sie ein, daß die Abreise und der Tag derselben eine brennende Frage geworden. Sie besaß noch einige Schmucksachen, durch deren Erlös sie die Reise bestreiten konnte, wenn es denn unerbittlich so sein sollte.
* * *