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Dann wurd' ich Priester: »Pater Paulus!« er heilige Vater schickte mir seinen besonderen Segen, und mein Orden erwartet große Dinge von mir.
Ich lebe in dem Augustinerkloster auf dem Aventin und schaue aus dem Fenster meiner Zelle auf die Ruinen des von der Kirche Christi bezwungenen, einstmals weltbeherrschenden heidnischen Rom herab. Unabsehbar erstreckt sich unter mir das Trümmerfeld des besiegten Heidentums, und unbegrenzt ist die Macht der katholischen Kirche.
Nach wie vor verschmähe ich die gewaltigen Hilfsmittel meines Glaubens; anstatt mein Fleisch zu kasteien, ringe ich mit meinem Fleisch – bezwinge es! Nach wie vor steige ich hinunter in die grauenvolle Totenstadt.
Seltsam ist der Mensch! Immer weniger wandelt mich das Gelüst an, mein Lämplein erlöschen zu lassen, es nicht wieder anzuzünden und in der Finsternis durch die unermeßlichen Grüfte zu wandern und zu wandern, bis ich in Wahnsinn verfalle oder verschmachtend hinsinke, ein Toter unter Toten.
Seltsam ist der Mensch! Ich gewöhne mich an meine braune Kutte und den weißen Strick; gewöhne mich an die Tonsur, die mein immer noch junges Haupt entstellt; gewöhne mich an den strengen Klostergeist und an all das Mönchtum, welches die Seele dem Himmel zuführen soll, den Geist jedoch tötet. Und ich gewöhne mich daran, den wohllautenden, stolzen Frauennamen seltener und immer seltener in meine Gebete zu mischen. Doch er steht in meinem Herzen eingegraben mit unverlöschlichen Lettern, wie auf den Grabstätten der ersten Blutzeugen und Märtyrer das geschlachtete Gotteslamm und der symbolische Fisch.
Meine Ordensbrüder lieben mich nicht. Das tut nichts. Abgesehen davon, daß niemand mich lieben darf, will ich von niemand geliebt sein. Nicht einmal ein Hund soll sich mir nahen, um meine Hand zu lecken! Es würde mir auch nicht leid sein, wenn Gott mich nicht lieben sollte. Mein Gelöbnis hat mich zur tiefsten aller Einsamkeiten verdammt, und die allertiefste Einsamkeit ist, wenn der Mensch von keinem andern Menschen geliebt wird. Überhaupt von keiner Kreatur. Folglich würde ich auch den Hund fortjagen, der käme, meine Hand zu lecken.
Ich will einsam sein!
Meine Ordensbrüder scheuen sich vor mir. Das ist mir recht. Ihre Scheu hält sie ab, sich mir gleich zu fühlen – unterschiedslos, wie wir alle sein sollen. Denn uns alle bekleidet die braune Kutte, umgürtet die weiße Schnur; wir alle sind gezeichnet durch Haltung und Gang; durch Tonsur, Miene und Blick ... Nein, darin unterscheide ich mich noch immer von allen! In Gang und Haltung, in Miene und Blick bin ich ihnen noch immer nicht gleich geworden, bin ich also noch immer kein Gezeichneter. Es reut mich noch immer nicht, demütiger Augustiner geworden zu sein, obgleich ich noch immer eine hochmütige Seele in mir trage und obgleich die Söhne des großen Kirchenvaters zu den geringsten Dienern des Herrn gehören; grade in unsrer Armseligkeit können wir zeugen, wie machtvoll wir sind.
Von meinem Vater höre ich selten; er ist ein alter Mann geworden. Schloß Enna wird wohl mehr und mehr zur Ruine zerfallen sein. Sobald mein Vater das Zeitliche segnet, bekommt Schloß Enna einen neuen Herrn, der – nicht Junker Rochus heißt. Mein Herr Bruder wird eine Erbin freien. Dann kann aus dem Verfall eine neue Herrlichkeit erstehen, und ich könnte auf Schloß Enna Kaplan werden.
Heimat! Heimat!
Noch einmal auf der Plose den Hahn balzen hören; noch einmal im Schladererbach Forellen fangen; noch einmal im Platterhof.
Judith Platter würde dem Hochwürden die Hand nicht küssen.
Von ihr höre ich nichts – nichts! Sie muß jetzt eine vollerblühte Jungfrau sein; vielmehr ein herrliches Weib. Viele werden um sie geworben haben. Wer von den vielen hat sie zum Weibe genommen? Es muß ein Königsmensch sein mit einem Herrschergeist. Aber den ihren macht er sich doch nicht Untertan!
Das vermag auf Erden nur einer.
Ob sie ihrem Gatten von Junker Rochus erzählt? Was? Daß sie den Junker Rochus liebgehabt, wie sonst keinen andern auf der Welt; und daß der Junker Rochus der einzige ist, den Judith Platter liebhaben kann, der einzige, der zu ihr gehört, wie der Rosengarten zum Schlern ... Ob sie ihrem Ehegatten, von dem sie sich auf den Mund küssen läßt, wohl erzählt hat, daß sie mit Junker Rochus auf den Fluten des Eisacks eine Todesfahrt tat und daß sie jetzt bis zum Tode mit ihm vereint wäre, hätte er nicht gen Rom ziehen müssen.
Aber Junker Rochus blieb in Rom, wurde in Rom Pater Paulus, und Judith Platter nahm einen andern zum Mann.
Hilf, Gott, meiner geistlichen Seele! Es geschah zur heiligen Osterzeit, daß ich einen großen Entschluß faßte.
Ich werde dem Superior in der Beichte das Geständnis ablegen, daß ich den Menschen in mir immer noch nicht überwand; daß dieser Mensch in mir noch immer nicht aufhört, nach dem zu schreien, was in mir von der Welt ist. Ich werde meinem Vorgesetzten beichten, daß ich mich verzehre in Sehnsucht und Heimweh. Heimweh!
Selbst in meinen allermenschlichsten Stunden ließ ich mir dieses Wort nicht entschlüpfen, erstickte ich es in seinem ersten Laut. Heimweh!
Das Weh ist Folterqual. Meiner Mutter Seele habe ich aus dem Fegfeuer erlöst und habe meine eigene Seele verdammt zu Leiden, gegen welche alle höllischen Flammen Frühlingslüfte sind. Heimweh!
Wir Tiroler sterben daran.
Den wilden Eisack wieder strömen zu sehen; die alten Kastanienbäume im Brixener Tal wieder rauschen zu hören; aus dem Erker von Schloß Enna die Gipfel der Dolomiten in Abendgluten sich entzünden zu sehen; die Luft der Heimat zu atmen und den Weg wieder zu wandern, der nach dem alten Herrenhause am Eingang des Schalderertals führt... Herr, Herr, sind in dieser Welt solche Wonnen denn möglich?
Ich habe gebeichtet und ich habe für meine Schuld – denn mein Heimweh ist Schuld! – eine schwere Buße auf mich genommen.
Aber welche Weisheit liegt in der mir auferlegten Pönitenz! Nur ein Priester der katholischen Kirche vermag mit solcher Weisheit zu strafen.
Ich soll fort aus Rom; soll zurück nach Tirol, soll nach Kloster Neustift gehen. Angesichts der meinem Seelenheil drohenden Gefahr soll ich sie bekämpfen; in der Nähe von Judith soll ich über meine Leidenschaft triumphieren. Denn –
Ja, ja, ja: ich liebe sie mit einer Leidenschaft, die verzehrender ist als himmlische Lohe.
Ganz und gar trug ich meine Todsünde zu Gott. Und statt Kasteiung, statt Fasten und Gebet diese Strafe voller Weisheit, diese Buße voller Größe...
Fort aus Rom; fort von dieser Stätte, wo ich meine Jugend begrub! Obgleich mein Antlitz noch immer nicht gezeichnet ward; obgleich ich mein Haupt noch immer hoch trage, habe ich doch keine Jugend mehr – jung, wie ich immer noch bin. Und meine Jugend war gleich einem Gesänge von Kraft, Hoffnung und Leben. Fort aus Rom! Nicht mehr St. Peter sehen; nicht mehr Vatikan und Lateran; nicht mehr Palatin und Kolosseum; nicht mehr Tiber und Campagna... Ich muß meinen Jubel gewaltsam ersticken, mein Frohlocken angstvoll verbergen.
Zum Glück bin ich im Ersticken und Verbergen geübt, habe es darin zur Meisterschaft gebracht – schon jetzt, schon so bald. Aber ich will heute niedersteigen in die Katakomben zu den ersten toten Christen und den Bischöfen und Märtyrern zujauchzen, daß ich fortgehe aus Rom, zurückkehre in die Heimat; jauchzen will ich, daß die katholische Kirche göttlicher Weisheit voll ist. Eine Prüfung soll es für mich und meine Priesterschaft werden – meinte der hochwürdige Superior. Ich werde die Prüfung bestehen. Habe ich sie bestanden, so werde ich gefeit sein wider alles, was von der Erde ist. Geweiht werde ich sein.
Dann erst gefeit und geweiht!
Ich bereite mich vor, abzureisen. Es ist wie die Vorbereitung für eine Wallfahrt. Ich möchte von Rom und dem Grabe des Apostelfürsten fortziehen auf bloßen Füßen. Und sollte meine Pilgerfahrt durch Disteln und Dornen führen; sollten meine Füße blutrünstig und todmüde werden, mein Haupt versengt vom Sonnenbrände, meine Lippen verschmachten: ich pilgere der Heimat zu!
Heimat!
In dieses Buch, o Mutter, verzeichne ich dieses Wort, welches für meine Seele mehr frommen Wohllauts hat als alle Kirchenglocken Roms und der Christenheit.
Ich habe das heilige Wort in dieses Buch geschrieben und mein Herz hat es geschrien alle diese Jahre, jeden Tag, jede Stunde. Sah ich auf meinem Wege durch Rom die Porta del Popolo, so dachte ich: ›Durch dieses Tor führt der Weg deiner Heimat zu!‹ Erblickte ich die etruskische Bergkette, so dachte ich: ›Dort, hinter jenem Gipfel, liegt deine Heimat!‹ Wehte der Wind von Norden her und stürmte er des Winters auch noch so eisig – es war Heimatluft! Oft ging ich bei wütender Tramontana aus dem Kloster. Ich ging hinaus in die Campagna, ließ mich vom Nordsturm umtosen und dachte dabei: ›Von den Alpen braust er her, geradewegs vom Brenner! Durch das Brixener Tal saust der Wind über die Eisackwellen; über die Gipfel von Eidechs und Plose, und um den Platterhof treibt er sein stürmisches Spiel! Vielleicht schreitet Judith bei seinem wilden Wehen durch den Frühlingsgarten oder unter den knospenden Wipfeln des Kastanienwaldes, über den Teppich purpurfarbener Orchideen. Sie läßt sich von dem Alpensturm umbrausen, ohne ihr Haupt zu beugen. Ich kenne sie! Ich weiß, daß sie blieb, was sie war: stolz und stark. Ich weiß, daß sie ihr Haupt und Herz nur einem beugen kann; aber der ward seiner toten Mutter zuliebe Priester und Mönch.‹
So dachte ich bei dem Wehen des Nordwindes; und in meinem tiefsten Herzen dachte ich weiter: ›Nur meines Willens bedarf es und – ich beuge dein Haupt! Wenn nicht mir, dem Priester, so beuge ich es dem Herrn, meinem Gott. Judith Platter – oder wie du jetzt heißen magst: ich setze Stolz gegen Stolz, Kraft gegen Kraft. Wer wird der Stärkere sein? Mann oder Weib?‹
Ich bin fort aus Rom ...
Von der Veroneserklause aus wanderte ich zu Fuß.
Die Etsch wanderte ich stromaufwärts. Die Etsch ist der Eisack. Ich hätte am liebsten mein priesterliches Gewand von mir getan und wäre in die rauschenden Wasser gestiegen, als wären sie der Fluß Jordan und ich müßte mit Heimatwasser die heilige Taufe empfangen.
Gleich einem Verzückten schritt ich meines Wegs fürbaß zwischen rotbraunen himmelhohen Felsenmauern hin. Da ich Priester war, hätte ich Psalmen hersagen müssen; mein Mund blieb jedoch stumm. Aber meine Gedanken waren Gebete, und mein Herz jubelte den Psalm:
Heimat, Heimat! Mit jedem Schritt, den ich vorwärts tat, wurde die Gegend heimatlicher. Himmel und Lüfte wurden mir vertraut. Wiesen und Buschwerk, Gräser und Blumen begannen zu mir die Sprache meiner Kindheit zu reden. Die ganze Natur brauste für mich auf zu einem Gesang, einem Hymnus.
Als Junker Rochus war ich vor neun Jahren nach Rom diese Straße gezogen, als Pater Paulus wallfahrtete ich sie zurück. Nicht einmal mein Name war von dem alten Menschen übrig geblieben. Und dennoch –
Kraftvoll vorwärtsschreitend, hoch erhobenen Hauptes und leuchtenden Blickes mußte ich an meiner Kutte herabsehen, mußte ich die mich umgürtende Schnur mit meinen Händen betasten, um zu glauben, daß Pater Paulus durch den sprossenden Frühling am Ufer der Etsch hinschritt, dem Brixener Tal entgegen, der Heimat zu.
Wie unfaßbar wundersam ist es doch um das Gemüt des Menschen bestellt! Jahre des Kämpfens und Ringens, des Leides und der Qual kann eine einzige Stunde ungeschehen machen. Was hatte aller Kampf, was alle Qual genützt? Mit dumpfem Staunen mußte ich auf meinem Frühlingsgange erkennen, daß die vielen römischen Jahre in mir den Menschen nicht verwandelt hatten; daß ich nicht als Pater Paulus, sondern als Junker Rochus des Weges dahinschritt: leuchtenden Blicks, laut pochenden Herzens, heiße Sehnsucht in der Seele. Nur eines war anders: aus dem Jüngling war inzwischen ein Mann geworden.
Hinter Trient fand ich am Flußufer die Stelle, an welcher das Judithlein und ich in jener Föhnnacht des Mai auf dem unter uns zerfallenden Weideneiland ans Land getrieben wurden. Ich erkannte den Platz an einer Felsenwand. Sie ragt wie eine Klippe aus den Wassern, die hier in jener Nacht in wilden Wirbeln getost hatten. Ein mühsames Erklimmen der steilen Ufer war es gewesen. Aber dann waren die beiden Kinder gerettet!
Jetzt stand ich allein an demselben Fleck. Damals brach grade der Morgen an. Des steilen Absturzes wegen konnten wir uns nicht von der Stelle rühren, bis es vollends Tag geworden war. Wir standen und warteten, sahen die Sterne erblassen, sahen die Nacht hinsterben und den jungen Tag geboren werden. Es war so groß und feierlich, daß wir immer noch regungslos dastanden. Als über den Alpengipfeln die Sonne emporstieg, zog ich von meinem Finger einen Ring und –
Und an den Ring hatte ich nie wieder gedacht! Er gehörte meiner Mutter und ich schenkte ihn dem Judithlein.
»Ich nehme den Ring, auf daß du wissest und immer wissen sollst, wie meine Liebe dir gehört. Fest, fest werde ich an meinem Finger diesen Ring tragen. Er ist mir angeschmiedet und nichts kann ihn je von mir lösen.«
Was geschah mir? Welcher Mund raunte mir diese Worte zu, als ich auf der Klippe über dem Flusse stand? Aus welchem Munde hatte ich diese Worte schon einmal gehört? Aus Judiths Mund. Wem galten die feierlichen Worte, die gleich einem Gelöbnis waren? Sie galten mir.
Halb im kindischen Spiel hatte ich Judith den Ring meiner toten Mutter gegeben und voll heiligen Ernstes hatte das Kind meinen Ring genommen. Und das hatte ich in Rom vergessen können? Herr, mein Gott – dir habe ich Gelübde geleistet. Ich durfte es nicht; denn um mich dir anzugeloben, habe ich Gelübde gebrochen.
Und was nun?
Ich wußte es nicht; wußte nicht aus, nicht ein. Blitzgleich kam zu der Erkenntnis meiner Schuld eine andre: daß ich ein falscher, ein schlechter Priester nicht nur sei, sondern immer gewesen war. Die Erkenntnis kam mir, daß ich ein falscher und schlechter Priester immer bleiben würde...
An der Stelle, an welcher ich damals mit Judith gestanden hatte, sank ich hin. Ich war wie ein von Gott Geschlagener. Mein Gesicht drückte ich gegen den Boden, darauf der geliebte Fuß geruht hatte. So lag ich, schaute tief in mich hinein, erkannte mich, rang – nicht mit meinem Gott, sondern mit mir. Aber wie ich auch rang, die Erkenntnis meiner Schuld konnte ich nicht zu Tode ringen. Sie wuchs und wuchs; stand vor mir riesengroß, titanisch, vernichtete meinen ganzen Menschen, zeugte wider mich, warf mich zu den Sündern, verdammte mich ...
Gebrochen an Leib und Seele erhob ich mich, »erließ die Stätte meines vergeblichen Ringens; wandte mich von neuem der Landstraße zu; ging mit müden, schweren Schritten weiter. Das war jetzt der Gedanke, der mich auf meiner Rückkehr fortan geleitete ... Ich besaß ja wohl einen gewaltigen Willen? Mein Wille würde mir helfen, die mahnende Frage zu beantworten, und die Antwort zur Ausführung zu bringen. Einstweilen jedoch war meine Kraft durch mein Schuldgefühl in Bande gelegt. In diesem Zustande bereitete mir der demütige Gruß der mir Begegnenden große Qual. Jetzt erklang er noch in der fremden Sprache; plötzlich wurde dem Wiederkehrenden ein erster traulicher Gruß in Heimatlauten geboten.
Kinder sprachen ihn aus!
Ich erbebte und blieb stehen.
Die Kinder wollten auf mich zu, um mir die Hand zu küssen. Ich wehrte sie unfreundlich ab. Sie sahen mich aus großen Augen an, schienen in meinem Gesicht etwas zu sehen, was sie erschreckte und – wichen scheu vor mir zurück.
Was nun?
Zunächst mußte ich mit müder Seele weiter wandern, näher der Heimat zu.
Ich kam durch ein Dorf, welches ich wiedererkannte. In dem Wirtshause hatten wir beide, Judith und ich, damals gerastet, hatten wir ein Mahl eingenommen. Ich sah den Gasthof, ging vorüber, blieb stehen, kehrte um. Ich ging in das Haus, bestellte zu essen und zu trinken. In der Geißblattlaube, darüber damals ein goldgrüner Schimmer gebreitet lag, wollte ich das Mahl einnehmen. Damals hatte Judith mich fürstlich bewirtet; wir verzehrten mitsammen einen goldigen gewaltigen Eierkuchen und tranken dazu roten Tirolerwein.
Ich war nicht der einzige Gast in der knospenden Geißblattlaube. Ein junges Paar war zugleich mit mir eingekehrt: zwei Zärtliche, Glückliche. Sie kümmerten sich nicht um mich. Für sie waren auf der Welt nur sie da! Im tiefsten ergriffen starrte ich zu ihnen hinüber. Junge, schöne Menschen waren es. Vor dem Wirtshause hielt der Reisewagen. Er war bekränzt, selbst die Pferde trugen Blumenschmuck. Also frisch vom Altar kamen die beiden! Sie fuhren den Strom hinunter, um ihr junges Glück nach Italien zu tragen. Daß es auf der Welt solches Glück gab!
Als wären die beiden Glücklichen ein Wunder, starrte ich zu ihnen hinüber. Ein Wunder ist ja auch das Menschenglück! Es kommt vom Himmel zu uns herab. Alle Glücklichen sind zugleich Geweihte. Sie sind es mehr als wir, die wir die Geweihten des Herrn genannt werden.
Ich bemerkte nicht, daß die Wirtin zu den beiden trat und laut mit ihnen plauderte. Plötzlich mußte ich hören, was sie sprach: von der großen Wassersnot jener Maiennacht! Die Wirtin erzählte, wie damals ganze Ortschaften zerstört und viele Menschenleben vernichtet wurden. Und bei all dem Entsetzlichen ein Geschehnis, welches einem leiblichen Wunder gleichkam: zwei Kinder wurden durch den Schutz der heiligen Jungfrau aus Wassersnot und Todesgefahr errettet.
Und die Frau Wirtin erzählte von mir und dem Judithlein...
Ich hörte zu; hörte, wie holdselig das Mägdlein gewesen, wie stattlich der junge Mensch. Ich hörte, wie lieb die beiden sich gehabt hatten und welchen Eindruck sie auf die Menschen gemacht: Wie vom Himmel selber füreinander geschaffen!
Dann sagte die Frau: »Jetzt sind sie gewiß längst Mann und Frau!«
Ich stand auf; wollte die Wirtin rufen; brachte jedoch nur einen heiseren Ton hervor. Als die Frau sich zu mir wandte, um nach meinem Begehr zu fragen, deutete ich stumm auf das Geld, welches ich auf den Tisch legte. Ohne zu grüßen, schritt ich aus der knospenden Geißblattlaube und davon. Ich wußte, daß die drei mir erstaunt, erschreckt nachschauten. Die beiden Glücklichen gewiß nur einen kurzen Augenblick.
Hier brechen die Aufzeichnungen des Pater Paulus ab.
Ende des ersten Teiles