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X.

Im Mai als die Bäume blühten,
Da blühte auch unsere Lieb!
Im Mai als die Vögel sangen,
Erklang auch in uns ein Lied.

Hoch über uns glänzten golden
Die Sterne am Himmelszelt,
Und alles war schön und rosig
Ringsum in der weiten Welt.

Doch nun ist der Winter kommen
Mit schaurigem Sturm und Schnee;
Er fegte vom Baume die Blätter,
Vom Herzen die Lieb', – o weh!

Und kalt ward es nun auf Erden –
Doch kälter noch Du und ich!
Kahl stehen die dürren Bäume –
Noch einsamer ist's um mich.

Doch sieh, nach dem härtsten Winter,
Wird alles rings wieder grün.
O sage mir, kann Dein Herze
Noch einmal in Liebe glühn?

Der Schnee muß endlich doch schmelzen,
Der Frühling kommt ja herbei,
– Das Eis, das zwischen uns thürmet,
Wird's weichen noch einem Mai?

O Jesus im Himmel droben,
O thu' doch auf Deinen Mund!
O sprich nur ein einziges Wörtlein,
So sind wir wieder gesund!

Für Lilli waren die Tage in Berlin auch nicht ohne Segen gewesen; die Macht der Ereignisse hatte sie gezwungen, aus sich selbst herauszutreten und ihre Gedanken mit etwas anderem zu beschäftigen, als mit dem, was sonst ihre Seele erfüllte. Zwar vergessen war der Geliebte auch hier nicht, – das war ja auch nicht möglich – und oft, wenn sie das ungewohnte Menschengewühl auf den Straßen sah, meinte sie, die eine Gestalt, die ihr doch die liebste war, herauszufinden, so viele Menschen – es war ja fast nicht möglich, daß er nicht unter ihnen sein sollte! Es war natürlich und nicht anders zu erwarten, als daß Lilli von dem Gegenstand ihrer Liebe hingenommen war, – ihr Unrecht lag nur darin, daß sie diese Liebe zum irdischen Geliebten nicht der Liebe zu ihrem Seelenbräutigam unterordnete. Marie hatte auch geliebt, ohne auch nur einen Augenblick auf Gegenliebe rechnen zu dürfen, aber sie hatte sich nicht von dieser Liebe unterjochen und verzehren lassen, sondern sie mit Gebet bekämpft. Jede Leidenschaft, jede Arbeit, jedes Vergnügen, jeder Mensch wird uns zur Sünde, sobald er uns von Gott trennt, und wir haben Gottes Wort, seine Sakramente und das Gebet, diese drei Mittel sollen wir gebrauchen, um wieder mit Gott vereinigt zu werden. Gewiß, man kann den Haß, den Neid, die Eifersucht, man kann aber auch eine ungeordnete Liebe todt beten. Lilli hatte nie versucht, ihren Willen hier in Gottes Willen zu geben, wohl betete sie zu ihm, aber um Erfüllung ihrer Wünsche, um zeitliches Glück, deshalb war sie bange und hatte keinen Frieden.

Als nun Stiegs von Berlin zurückkehrten, hörten sie, Herr von Wallerberg sei im Begriff sich zu verloben, ja er sei schon verlobt oder gar schon verheirathet. Es war nur ein unbestimmtes Gerücht. Der Eine wollte es von dem Andern gehört haben, den Ursprung desselben erfuhr man nicht. Auch Lilli bekam es zu hören, und es war ihr, als ob eine eiskalte Schlange sich um ihr Herz wand, es gewaltsam zusammen drückend. Doch noch hatte sie ihren Giftzahn nicht eingebohrt, noch war der tödtliche Biß nicht geschehen, noch glaubte sie den bösen Worten nicht, sie konnten ja nicht wahr sein, es war ja unmöglich!

Aber den Eltern wurde es immer wahrscheinlicher, daß die Sache sich so verhielte, – wie konnten sie sich anders das Stillschweigen des Barons erklären? Wäre nur Lillis Herz erst geheilt von dieser Liebe, wie lieb wäre ihnen dann dieser Ausgang gewesen, denn nur mit schwerem Herzen hätten sie ihr Kind einem Manne anvertraut, der es voraussichtlich nicht auf dem schmalen Himmelswege geführt hätte, sondern auf dem breiten Weltweg, der zum ewigen Verderben führt. Sie konnten sich wohl denken, daß der junge Mann, der nur Lilli's Schönheit und ihr liebenswürdiges Benehmen geliebt hatte, sie leicht über eine Andere vergessen würde, die ihm vielleicht noch reichere Geistesgaben und größere Schönheit entgegenbrachte, noch dazu, wenn der Vater die Letztere begünstigte und einer Verbindung mit der Ersteren abhold war. Jetzt litten Stiegs in und mit dem geliebten Kinde, das täglich bleicher wurde, sich in Angst verzehrte, aber zu Niemand von seinem Leiden sprach. Schon wollte der Pastor einen entscheidenden Schritt thun, um sich Gewißheit zu verschaffen, – da kam ein Brief aus Schlesien mit dem Siegel des Barons. Lilli war es selbst, die ihn bleich und zitternd dem Vater brachte. Er umfaßte sie zärtlich und sagte: »Lilli, sei getrost, – was der Brief auch bringen mag, glaube nur, daß es für Dich das Beste ist. Es kann Dir nichts geschehen, als was Gott hat ersehen, und was Dir heilsam ist.«

Der Brief war von dem Vater des jungen Barons und lautete:

»Geehrter Herr!

Ich beehre mich hiermit, Ihnen die Verlobung meines einzigen Sohnes, des Baron Sigismund von Wallerberg mit der Gräfin Angelika von Sermik ergebenst anzuzeigen. Mein Sohn hat, wie er mir gestanden, eine flüchtige, jetzt längst überwundene Neigung zu Ihrem Fräulein Tochter gehabt, aber Sie haben als vernünftiger Mann sogleich das Unpassende einer solchen Verbindung eingesehen und Ihre Einwilligung versagt. Deshalb und auf Wunsch meines Sohnes setze ich Sie selbst von seiner Verlobung, die nach meinem väterlichen Wunsch und Willen vor einigen Tagen auf dem Stammschloß der Gräfin stattgefunden, in Kenntniß; ich hoffe, daß auch Ihr Fräulein Tochter jede thörichte Hoffnung aufgegeben und das ganze Verhältniß nur als eine vorübergehende Episode betrachtet hat. Mit aller Achtung unterzeichne ich mich

ergebenst
Baron von Wallerberg.«

Das war der kalte, herzlose Brief, der mit dürren Worten das Leben und Lieben eines jungen Herzens zertrat. Seines Vaters Wille, sein alter adeliger Stammbaum und sein Reichthum hatten den jungen Baron nicht abgehalten, um das einfache Pfarrerskind zu werben und ihm die Ruhe eines bis dahin fröhlichen Herzens zu rauben, aber sie hielten ihn ab, sein Wort zu halten. Schande und Schmach über die Männer, welche jungen Mädchen Kopf und Herz verrücken und dann sorglos ihre Straße ziehen! Wehe über die Jungfrau, deren Herz nicht so in Gott ruht, daß irdische Liebe es wohl bewegen aber nicht verderben kann! Anmerkung. Mir fällt dabei ein Lied ein, das ich nie ohne Bewegung lesen kann, und welches hier einen Platz finden mag:

Es stand ein Röslein ganz versteckt,
Das hat ein böser Wurm entdeckt.
»O liebes Röslein, laß mich ein,
Will Dir erzählen und sagen fein!«

Das Röslein glaubt der süßen Mähr –
»O böser Wurm, Du stichst mich sehr;
Laß los, laß los, geh' von mir, geh',
Du giftger Wurm, thust mir so weh.«

Der Wurm bohrt sich nur tiefer ein:
»Ich hab Dich, Röslein, bist nun mein.«
O Leid, am nächsten Morgen roth
Da war das arme Röslein todt.

»Ja, mein armes Kind, es ist wahr,« sagte Pastor Stieg, »Wallenberg ist verlobt, er war Deiner nicht werth; und nun laß uns Gott um ein starkes Herz bitten, das da überwindet um des Einen Willen, der uns mehr und treuer liebt, als ein Mensch.«

Mechanisch that Lilli, was ihr Vater wollte. Mechanisch kniete sie nieder, mechanisch faltete sie die Hände; sie hörte die Worte, welche ihr Vater sprach, aber sie verstand kein einziges. Und dieser Zustand dauerte mehrere Tage, still und blaß ging sie umher, ohne ein Wort zu sprechen. »O, daß ihr Gott doch Thränen schenken wollte!« klagten die Eltern oft, aber weder Schlaf noch Thränen kamen in diese glanzlosen Augen. Lilli wurde nicht krank, ja es wurde insofern besser mit ihr, daß sie wieder etwas aß, ein wenig schlief und antwortete, wenn sie gefragt wurde. Sie fing nach einiger Zeit auch wieder an zu arbeiten, die Küche zu besorgen, aber mechanisch, ohne alle Lust oder Freude. Sagte der Vater, er wolle mit ihr spazieren gehen, so holte sie bereitwillig Tuch und Hut und ging mit ihm; sprach er mit ihr von Gott, so sagte sie wohl: »ach laß doch,« oder sie ging so theilnahmlos neben her, als spräche er mit einer dritten Person. O, wie traurig sieht ein Baum aus, der gestern noch im Schmuck der weißen und rosigen glänzenden Blüthen prangte, – ein jäher Nachtfrost ist über ihn gekommen, verwelkt starren Dich mit gläsernem Auge die geknickten Blüthen am andern Morgen an!

Mehrere Wochen waren vergangen, von Lilli's Gesicht schien die Röthe zugleich mit dem Lächeln entschwunden zu sein. Weihnachten nahte heran, so einsam und traurig hatte es noch nie in der Pfarre zu Burgdorf ausgesehen.

»Im kältesten Winter wird der Herr Christ geboren,« hatte Pastor Stieg einst gesagt und seine Seele flehte, daß doch auch ein Strahl von dem hellen Lichte des Weihnachtsfestes in das dunkle Herz seines armen Kindes fallen möchte.

»Lilli, morgen ist Weihnachtsabend,« sagte er in der traulichen Dämmerstunde zu seiner Tochter, »schenke mir ein fröhliches Gesicht, ein freundliches Lächeln zur liebsten Gabe.«

»Vater, für mich giebt es kein Weihnachtsfest mehr.«

»Halt ein, mein Kind, versündige Dich nicht, daß Gott nicht Dein eigenes Wort an Dir wahr mache! Die herrliche Weihnachtssonne, der Herr Christus, muß und wird auch in Deinem Herzen geboren werden, Du Kind unserer Schmerzen und unserer Gebete, Du kannst so nicht verloren gehen!«

»Ich möchte sterben,« sagte Lilli leise.

»Wehe Dir, wenn Du jetzt stürbest,« entgegnete ernst der Pastor, »meinst Du, daß Wallerberg's Bild im Herzen Dir das Himmelsthor öffnen würde? O Lilli, lebensmüde bist Du, wollte Gott, daß Du erst sündenmüde wärest! Denn zur Sünde ist Deine Liebe und Deine Trauer jetzt geworden. Wie heißt das erste Gebot?«

Der Ton des Vaters war so ernst, ja streng, daß Lilli antworten mußte: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir.«

»Und was heißt das?« fragte der Pastor weiter.

»Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen,« antwortete die Gefragte.

» Ueber alle Dinge,« wiederholte Pastor Stieg. »Lilli, Gott ist ein eifersüchtiger Gott, er gönnt uns gern jede Freude, aber er will den ersten Platz im Herzen einnehmen. Du hast Wallerberg mehr geliebt als ihn, darum hat er ihn Dir genommen; siehe nicht auf die Menschen, durch welche Du verwundet wurdest, sondern sieh' auf Gottes Hand, welche ihr Thun regierte. Ohne seinen Willen konnte Dir nichts geschehen. Und er hat Gedanken des Friedens und nicht des Leides über Dich. Der Heiland ist geboren in der Hütte zu Bethlehem, da leuchtet auch Dir die Freundlichkeit Gottes. Gott ist heraus getreten aus dem Himmel und hat die Thüre weit aufgethan für das verlorene Kind, das sich zurücksehnt in's Vaterhaus. Die Krippe zu Bethlehem soll Dein Bescherungstisch sein. Das Jesuskind bringt Dir die Anwartschaft auf das Himmelreich und viele tröstliche Zusagen für Deine irdische Wallfahrt. An der Krippe steht das herrliche Wort: »Hat Gott seines eingebornen Sohnes nicht verschont, wie sollte er uns mit ihm nicht alles geben?« Und das Jesuskindlein spricht mit süßen Worten zu Dir: »Komm her, was Dich quält, was Dir fehlt – ich bring' alles wieder

Nun bringe mal all' Deinen Jammer, all' Deine Noth; Dein Engel steht vor Dir, er hat die Waage in der Hand und legt sie alle auf eine Schaale und auf die andere legt er das Jesuskind. Ich bitte Dich: welche von beiden Schaalen wird sinken und schwerer sein? Dein Unglück ist gewogen und zu leicht befunden, weil Dir in Christo Freude, große Freude geschenkt ist. So versuch's doch, ob Du nicht mit Danksagung für die hochherrliche Weihnachtsgabe Gottes Deine Traurigkeit überwinden kannst. Sieh', der von Schwermuth überschattete Assaph, dem die Freundlichkeit Gottes in Christo Jesu noch nicht offenbar war, der konnte ausrufen: » wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde!« und wir, die wir den Heiland im Arme halten können, wir verkaufen ihn um ein Linsengericht! O Lilli, die Liebe zu Wallerberg hat Dir Dein irdisches Glück geraubt, hüte Dich, daß sie Dir nicht auch Deiner Seele Seligkeit nimmt!«

Lilli weinte, – diese Wohlthat war ihr jetzt oft geschenkt, aber sonst blieb sie still und verschlossen. Wie viel lieber hätten es die Eltern gesehen, wenn sie geklagt hätte, wenn sie trostbedürftig zu ihnen gekommen wäre. Stumm und traurig ging sie ihres Weges – das arme Mädchen! Sie hatte ihre Liebe nicht in ihrer Sünde, sondern nur in ihrer Schöne erkannt, sie hatte noch nie ernstlich vor Gott gerungen, ihre Leidenschaft los zu werden, – hatte der Geliebte ihr die Treue gebrochen, so wollte sie ihm dieselbe doch halten, jeder Gedanke und Wunsch ihres Herzens gehörte ihm und sollte ihm ewig gehören, in ihm hatte sie gelebt, ohne ihn war alles todt für sie. – O der todten Treue, welche die nächsten und heiligsten Pflichten mit Füßen tritt!

Ein Lichtpunkt in dieser traurigen Zeit waren Briefe von Heinrich und Marie, welche Ende Januar ankamen und große Freude bereiteten. Nach einer überaus glücklichen Reise über Triest, Alexandrien, Cairo, Suez und Madras, waren sie am 20. Dezember in Calcutta angelangt, wo liebe Freunde, unbekannt und doch bekannt, schon von ihrer Ankunft unterrichtet, sie freundlich in Empfang genommen hatten. Von hier aus, wo sie mehrere Tage rasteten, um dann nach ihrem eigentlichen Bestimmungsorte im Innern des Landes zu reisen, waren die Briefe an die Eltern geschrieben. Sie trugen so unverkennbar den Stempel des Ruhens in Gott, trotz aller Unruhe von außen, des seligen Glaubens und der festen Zuversicht, welche unverrückt ihr Auge auf ein Ziel geheftet hat, daß die Eltern für diese Kinder nicht bangen konnten, sie waren wohl geborgen.

Auf Lilli wirkten diese Nachrichten, wie der Windzug auf die Flamme; einen Augenblick flackert sie hell auf, um dann desto dunkler zu glimmen, wenn nicht gar ganz zu verlöschen. Es war bei Lesung dieser Briefe als ob sie zum ersten Mal seit dem Schlage, der alle ihre Hoffnungen zerscheiterte, Interesse für etwas zeigte. Schon freuten sich die Eltern und hofften nun einen Punkt zu haben, wo sie anknüpfen und sie wieder in's Leben zurück führen könnten, aber eitles Hoffen! Lilli sank sogleich wieder in ihre dumpfe Lethargie zurück, in der sie alles um sich vergaß und nur in ihrer Traumwelt lebte. Der Frühling kam wieder in all seiner Pracht. Die Erde deckte ihren Tisch und Gott schmückte ihn mit all den tausend Blümchen, auf deren Blättern er mit weißer und rother und blauer Tinte die Worte geschrieben hatte: »Ich hab' Dich lieb, Du Menschenkind!« Aber fast wunderten sich die Blumen. Seit so vielen Jahren war ihre Wiederkunft in Wald und Garten von Burgdorf mit tausend Freuden begrüßt worden, – in diesem Jahre ging man kalt und theilnahmlos an ihnen vorüber, und wenn die Pastorin nicht einmal hie und da eins gepflückt und mit Thränen im Auge geherzt hätte, so hätten sie ganz unbeachtet geblüht und wären ungeliebt wieder verwelkt. Die Sonnenstrahlen hatten sonst so viele fröhliche Gesichter bescheinen dürfen, in diesem Jahre sahen sie Niemand. Sie suchten hin und her im Garten, drangen in die dichtesten Gebüsche, ob sie denn ganz allein, ob denn kein liebes Menschenantlitz zu finden? Da in der dichten Laube saß Lilli, deren krankem Herzen all das Blühen und Wachsen ringsum eben so weh that, wie der Sonnenstrahl ihr weinendes Auge schmerzte. Wie war es nur möglich, daß die Bäume wieder frische Keime trieben, daß die Blumen auf's Neue blühten, da doch in ihr alles todt und starr war, und keine Sonne mehr in ihr dunkles Leben leuchtete? Wäre nicht ein fortwährender Herbst oder ein starrer, eisiger Winter eine bessere Umgebung für sie gewesen? Sie stellte sich auf die Stelle, wo er gestanden, als er ihr das süße Wort, daß er sie liebe, gesprochen hatte; so hatte er gestanden, und da an jenem Pfosten der Laube hatte sie gelehnt und da hatte er sie mit seinem Arm umschlungen, dieselbe Sonne hatte auf sie niedergeschienen, welche jetzt ihr blasses Antlitz allein beleuchtete. Jetzt streifte eine zarte Weinranke ihre Wange, – sie bebte zusammen! Ganz ebenso hatte in jenem seligen Augenblick eine Ranke sich an ihr Gesicht gelegt, o, es war vielleicht dieselbe gewesen, und seine Hand hatte sie damals zurück geschoben, es war alles wie im vorigen Jahre, – und doch so ganz anders. »Es kommt alles wieder,« flüsterte sie vor sich hin, »aber er kommt nicht wieder.«

So trieb es Lilli, ihre Traurigkeit zu nähren und ihre Krankheit zu fördern. Die Eltern beschlossen, sie auf einige Zeit zu Ferdinand und Margareth zu schicken, sie wußten sie dort in treuer, liebevoller Obhut, und sie war da doch fern von alle den Plätzen, welche ihr vergangene Scenen ins Gedächtniß riefen. Der Arzt fürchtete ganz ernstlich, daß Lilli's Melancholie und Schwermuth vielleicht gar in Wahnsinn enden könne. Sie nahm die Nachricht von ihrer Uebersiedelung nach Steinfeld ziemlich gleichgültig auf, zeigte weder Freude zu den Geschwistern zu gehen, noch Schmerz ihre Eltern zu verlassen.

Im Pfarrhause zu Steinfeld war es etwas unruhiger, als es in Burgdorf in der letzten Zeit gewesen war, und der Friede, welchen man sich so gern in einem Pfarrhause weilend denkt, hatte hier seine bleibende Stätte noch nicht gefunden. Wohl hatte er in Ferdinands und Margareths Herzen seine Wohnung, aber doch fürchtete Margareth zuweilen, der edle Gast möge ihr entfliehen, die Wellen der Heftigkeit und des Zornes schienen ihn oft wegspülen zu wollen, dann faltete sie wohl ihre Hände und betete einen ihr so lieben Vers, der schon oft Friedensdienste an ihr gethan hatte:

In aller Unruh sei Du
Jesu, meine tiefe Ruh!
Du nur und Dein süßer Wille,
Sei in allem meine Stille.
Herr, ich achte keinen Schmerz,
Gieb mir nur ein stilles Herz.

Was war es denn, daß der jungen Pfarrfrau Schmerz und Unruhe machte? Im tiefsten Grunde nur ihr eigenes Herz, und das Weh, die demselben immer wieder anklebende Sünde zu sehen und mit derselben kämpfen zu müssen. Hervorgerufen aber wurde diese Sünde fortwährend durch ein böses Weib, das Margareth jetzt Mutter nannte und dem sie mit Liebe und Ehrfurcht eines Kindes zu dienen beflissen war. Es ist seltsam, was es für verschiedene Frauen in der Welt giebt; es giebt solche, die allen Dingen die böse, es giebt solche, die allen Dingen die gute Seite abgewinnen; die Einen sehen aus einem schneeweißen Gewände Flecken, die möglicherweise noch einmal hineinkommen können, die Anderen finden an einem todten, in Verwesung begriffenen Hunde wenigstens noch seine glänzend weißen und reinen Zähne zu loben; die Ersteren sehen Stoff zum Klagen und Jammern in jedem Glück, die Anderen finden Grund zur Freude in jedem Schmerz; die Einen schütten Wermuth in jeden Honigtopf, die Anderen träufeln Balsam auf jede Wunde; die Einen werden stets verletzt und nehmen jeden Zufall übel, die Anderen suchen in jeder schlechten That noch die gute Absicht und verzeihen jedes Wehthun; die Einen sind der finstern Wolke gleich, die drohend über unserem Haupte steht, sich aber nicht in segnendem Regen, sondern in verderblichem Hagel entladet; die Anderen gleichen einer Maienzeit, wo alles nach oben drängt, auferstehen, grünen und blühen möchte, Allem und Jedem zur Freude. Die alte Pastorin Gendenberg hatte der Ersteren Gemüther eins, Margareth strebte von Herzen danach, wie die Letzteren zu werden, und ihr Streben war nicht ohne Erfolg.

Die arme, alte Pastorin hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß ihre Kinder sie nach und nach in die Ecke drängen und sie wie ein altes, werthloses Stück Möbel behandeln würden, und doch sah sie in ihnen die Eindringlinge, welche sie, die eigentliche Herrin des Hauses, nur duldete. Die Frau ihres Sohnes wollte über sie herrschen und sie schlecht behandeln, das war ihr von vorn herein gewiß; sie hatte sich daher mit Vorurtheilen gegen sie gepanzert, sie glaubte, Niemand meine es gut mit ihr, deshalb wollte sie zu sich selber sehen und zeigen, daß sie sich nicht so leicht unterdrücken lasse. Von dieser Meinung aus sah sie wie durch ein schwarzes Glas alles, was rings um sie geschah, es mochte nun blau, weiß, grün oder rosig aussehen, ihr erschien alles im schwarzen Lichte.

Margareth war nur wenige Tage im Hause, als sie den Charakter ihrer Schwiegermutter erkannte, und sie wunderte sich fast, wie diese eigentlich ungebildete Frau doch ein wahres Genie zeigte, aus jeder Blume Gift zu saugen, und der besten Handlung wenigstens eine schlechte Absicht unterzulegen. Brachte Margareth ihr früh Morgens den Kaffee an's Bett, weil sie wußte, daß sie gern etwas lange lag, so wollte sie nur nicht haben, daß sie mit ihnen zusammen tränke; bat Margareth sie aufzustehen und mit ihnen gemeinschaftlich zu trinken, so meinte sie, es wäre doch hart für eine alte Frau, sich noch in ihren alten Tagen in eine neue Hausordnung finden und so früh aufstehen zu sollen. Fragte Margareth sie im Haushalte bei irgend etwas um Rath, so bekam sie Stichelreden zur Antwort, und daß sie es doch gewiß alles viel besser verstehen würde; fragte sie nicht, so fühlte sie sich tief gekränkt und meinte: es sei doch sehr kränkend für sie, schon bei ihren Lebzeiten in ihrem Hause alles ganz anders eingerichtet zu sehen, als sie es gewohnt sei.

Was kann einer jungen Frau das Leben im Hause wohl schwerer machen, als eine böse Schwiegermutter, die eine beständige Aufpasserin und Auslegerin aller Handlungen ist, und fortwährend auf der Lauer liegt, um zu verhüten, daß man allen ihren wirklichen und eingebildeten Rechten nicht zu nahe tritt? Ja, schwer machte sie Margareth wohl ihren Weg, aber fest und unbeirrt ging diese dennoch weiter. Sie hatte sich von Anfang an vorgenommen, der Mutter in allen Stücken nachzugeben, welche nicht wider Gottes Gebot wären oder durch welche ihres Mannes heiliges Amt verlästert werden könnte, allen ihren Wünschen nachzukommen, so weit es das Leben in einem christlichen Pfarrhause gestattete. Hier war die Grenze, – gingen der Mutter Anforderungen darüber hinaus, dann wollte sie mit Gottes Kraft ein entschiedenes »Nein« sprechen, oder wo es ihres Mannes Sache war, würde er ihr entgegentreten; aber diesen einzigen Fall ausgenommen, sollte keine persönliche Kränkung, keine Anmaßung und Herrschsucht der Mutter sie verletzen, sie wollte ihr nachgeben in allen erlaubten Dingen und sie mit Liebe überwinden.

Das waren Margareths Vorsätze und weil sie dieselben nicht in eigener Kraft ausführen wollte, so waren sie nicht vergebens gefaßt. Sie ließ sich von der Mutter Stichelreden nicht verwunden, keine Empfindlichkeit kam in ihre Seele, zehnmal abgewiesen, ging sie zum elften Mal mit einer Frage zur Mutter, ja wenn diese ihr recht hämisch geantwortet, dann drängte es sie ordentlich, ihr durch irgend einen Liebesbeweis zu zeigen, daß sie nicht gekränkt oder geärgert sei.

Es war Ferdinands Mutter! Es war eine von Gott theuer erkaufte Seele! Das waren die Gründe, um die Margareth die arme, alte Seele so herzlich liebte, und wie die Liebe stark macht, kann nur der wissen, der sie erfahren hat. Jemand, den man haßt, ein gut Wort zu geben oder ihm zu dienen, ist Höllenpein; für Jemand, den man liebt, alles zu opfern, von ihm alles zu ertragen, ist Freude und Seligkeit. In Margareths Herzen hatte die Liebe ihren Thron aufgeschlagen und waltete darin, und wenn sie je matt werden wollte, trank sie sich neue Kraft aus dem Borne der ewigen Liebe.

Ferdinand sah das Verhältniß der beiden Frauen recht wohl, aber er sah nicht, wie seiner Frau das Herz oft weh that und wie sie litt. Es giebt manche Menschen, die können wohl für Jemand etwas opfern und leiden, aber der Jemand muß dann auch das Opfer kennen, die verborgenen Thränen sehen, damit er die Größe ihrer Liebe auch recht zu würdigen versteht. Nicht so Margareth. Ferdinand sollte nicht sehen, wie tief sie das Benehmen seiner Mutter schmerzte, darum verstand sie oft ihre Stichelreden gar nicht, oder gab so harmlose Antworten darauf, daß die Mutter meinte, sie müsse es ihr das nächste Mal derber und deutlicher sagen, und Ferdinand sich wunderte, wie sein doch sonst so kluges Weib manche Anspielung gar nicht zu verstehen schien. Aber er fühlte sich in seiner Frau beleidigt, und er bat seine Mutter einst ziemlich entschieden, obgleich kindlich ehrerbietig, ein anderes Wesen gegen dieselbe anzunehmen, da er es nicht dulden könne, sie so behandelt zu sehen.

Aber was gewann er damit? Die Mutter brach in Thränen und zugleich in ein furchtbares Klagen und Lamentiren aus: sie werde hier nicht wie die Mutter, sondern wie ein Dienstbote behandelt, der sich in Jedes Laune fügen und schicken müsse; nie hätte sie geglaubt, so etwas an ihren eigenen Kindern erleben zu müssen, aber es würde wohl bald so weit sein, daß sie fortziehen und sich mit ihrer Hände Arbeit ihr Brod werde verdienen müssen, sie sehe, man lege es darauf an, sie aus dem Hause zu bringen, wenn das ihr seliger Mann wüßte, er würde sich noch im Grabe umkehren, u. s. w.

Ferdinand war ganz erschrocken über diese Beschuldigungen; er wollte vernünftig mit ihr sprechen aber sie übertäubte ihn mit Jammern und Klagen und ließ ihn nicht mehr zu Worte kommen. Es blieb ihm endlich nichts übrig, als höchst verdrießlich und aufgeregt in seine Stube zu gehen.

Hier legte sich bald eine weiche Hand auf seine Schulter und strich ihm das Haar aus dem Gesicht, und eine sanfte Stimme sprach:

»Ferdinand, warum thatest Du das?«

»O Margareth, meinst Du denn, wenn Du auch nichts sagst, daß ich blind und taub bin, und nichts von dem weiß, wie es hier im Hause hergeht?«

»Es wäre ja Lüge,« entgegnete Margareth, »wenn ich läugnen wollte, daß es jetzt hier herzlich schlecht steht. Aber es wird besser werden, aller Anfang ist schwer. Es mag auch viel Schuld an mir liegen, mehr als ich selber weiß und denke, denn ich kenne der Mutter Eigenheiten und Gewohnheiten noch so wenig, daß ich gewiß recht oft anstoße und sie verletze, ohne es zu denken. Aber ich werde mich mehr in sie hineinleben, und es wird anders und besser gehen.«

»Liebe Margareth,« sagte Ferdinand gerührt, »Du bist wie ein Engel, und gerade weil Du alles so still trägst, deshalb muß ich für Dich sorgen und Dich vertheidigen.«

»Den Engel steck' nur wieder ein, Ferdinand. Verrichte nicht Teufelsdienst an mir, glaube nur, der Teufel flüstert mir zuweilen, wenn ich mich recht überwunden habe, etwas Aehnliches zu. Thu Du es nicht. – Aber sage mir, meinst Du denn, daß Deine Vorwürfe etwas nützen werden?«

»Gewiß,« erwiederte Ferdinand, »sie wird wenigstens sehen, daß sie nicht ganz machen kann, was sie will, wenn wir uns nicht ganz nach allen ihren Launen richten.«

»Das sieht sie jetzt schon an vielen Dingen, bei denen ich ihr gegenüber fest bleiben muß. Daß die Dienstboten Sonntags nur die nöthigste Arbeit thun, daß sie nie zum Tanz und dgl. gehen dürfen, daß wir Sonntags keine Gesellschaften geben, und noch vieles andere ist gar nicht nach ihrem Willen, und doch muß es gehalten werden. Aber meinst Du denn, daß Deine Worte der Mutter an ihrer Seele genützt haben? – Und das, Ferdinand, muß doch unser einzigstes Augenmerk jetzt sein.«

Ferdinand schlug beschämt das Auge nieder. Er hatte nur an Ruhe im Hause, an Friede für sein Weib gedacht; aber dessen Gedanken waren höher gegangen, es sehnte sich nicht nach Erleichterung seiner Lage, nach Erlösung von dem harten Joch, sondern es trachtete danach, die Seele der Mutter befreit zu sehen von der Knechtschaft der Sünde.

»Du mußt nur,« fuhr sie milde fort, »die Mutter immer als krank betrachten, dann wirst Du Mitleid und Geduld mit ihr haben können. Glaube nur, Seelenkrankheiten sind viel peinigender als Leibeskrankheiten, die Mutter leidet selbst von ihrer Zanksucht und ihrem Mißtrauen viel mehr als ihre Umgebung. Wenn Menschen alt werden, haben sie körperliche Beschwerden, und auch die Seele in ihnen, die nicht geheilt ist von dem einen Seelenarzt, wird im Alter immer krankhafter. Wenn die Mutter körperlich krank wäre, welche Geduld wurdest Du mit ihr haben, wie würdest Du sie hegen, tragen und pflegen! Nun habe dieselbe Barmherzigkeit mit ihrer Seele, laß ihr dieselbe geduldige Pflege angedeihen.«

»Aber, liebes Kind,« sagte Ferdinand, »es ist doch etwas anderes mit der Sünde, die wir selbst freiwillig angenommen haben und von der uns zu befreien, uns das Mittel gegeben ist, als mit einer leiblichen Krankheit, die wir uns nicht selbst geben und uns nicht von ihr befreien können!«

»Ja, Ferdinand, freilich ist das etwas anderes, und ich möchte Niemandem mit meiner Ansicht ein Ruhekissen unter seine Sünde breiten. Aber ich sprach von alten Leuten, insbesondere von Deiner Mutter, der vielleicht nie im Leben Jemand gesagt hat, daß die Sünde ihr schlimmster Feind ist, und die nie das Mittel, los zu werden von der Herrschaft der Sünde, kennen gelernt hat, die vielleicht nicht einmal weiß, daß sie auch zur seligen Freiheit der Kinder Gottes berufen ist. Sieh, wenn Jemand lange in der Knechtschaft geschmachtet hat, dann vergißt er zuletzt, daß es noch etwas anderes für ihn giebt, sein Auge ist so dunkel geworden, daß es die Ketten nicht mehr sieht, in denen er gefesselt liegt. – Laß uns darum mit der Mutter linde umgehen und sie durch unseren liebevollen Wandel zu gewinnen suchen; Du kannst mit strengen Worten wohl im besten Falle ihr äußeres Benehmen ändern, obgleich ich fürchte, daß sie sich dann zur Märtyrerin macht und uns in der Gemeinde als Tyrannen verklagt, – aber ihr Herz kannst Du nur durch Liebe überwinden, und das Herz, eben das Herz müssen wir haben.«

Ferdinand reichte seiner Frau die Hand, und jetzt hatten sie einen neuen Bund mit einander gemacht, nämlich den, die Seele ihrer Mutter für den Herrn zu gewinnen; Matth. 18 v. 19 steht ein schönes Wort über solch' Vorhaben; unser Herr Jesus sagt: »Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.«

Aber Margareth hatte nicht Unrecht gehabt, als sie fürchtete, daß die Mutter ihnen kein gutes Gerücht im Dorfe machen würde; sie that dies nicht mit Absicht, bewahre! Hätte Jemand die jungen Pfarrersleute bei ihr schlecht machen wollen, so würde sie ihre Kinder bis auf's äußerste vertheidigt haben. Aber nun stand sie allein da, hatte Niemand, gegen den sie sich so wie sie wünschte, aussprechen konnte, und sie war es doch so sehr gewohnt sich gegen Viele auszusprechen. Sie hatte einmal in einer guten Stunde bei Margareth über Ferdinand geklagt, wie er oft so heftig und rauh sei, aber diese hatte den Geliebten ihres Herzens zwar sanft aber so entschieden vertheidigt, daß ihr die Lust verging, ein solches Gespräch noch einmal bei ihr auf's Tapet zu bringen; sie hatte Ferdinand geklagt, wie Margareth eigentlich nichts von der Haushaltung verstände, viel zu viel brauche und so mehr, aber der hatte Margareth zum größten Schrecken der Mutter herein gerufen, ihr alle Vorwürfe der Mutter gesagt und sie scherzend aufgefordert, sich gegen dieselben zu vertheidigen, was diese denn auch mit so fröhlicher Laune that, daß Alle lachten, die Mutter aber wohl einsah, daß sie hier schwerlich Mitgefühl für sich und Nahrung für ihre schwatzende Zunge finden würde.

Ueberhaupt wurde es ihr im Hause oft unheimlich. Es hatte Tage gegeben, wo die Luft so schwül gewesen war, daß Niemand recht zu athmen vermochte; da die jungen Leute sich fortwährend beobachtet und mit Mißtrauen angesehen fühlten, da sie auf ihre Worte und Mienen Acht gegeben hatten, weil sie wußten, daß ihnen aufgepaßt wurde. Es giebt nichts Gräßlicheres und Peinlicheres, als wenn man jede Geberde bewachen, jedes Wort erst zehnmal prüfen muß, ehe man es ausspricht. Dieser Zustand war jetzt verschwunden, die alte Frau sah, daß man ihre Stichelreden nicht achtete, ihre sauren Mienen nicht bemerkte, und daß ihre hämischen Bemerkungen Niemandem mehr die Suppe versalzten, so suchte sie denn außer dem Hause, was sie innen nicht fand.

Sie hatte Freundinnen, o ein halbes Schock in der Gegend und mindestens ein halbes Dutzend im Dorfe selbst; Frauen, welche ihrem Stande nach zu den Dorf-Honoratioren gehörten, und gewohnt waren, so oft als möglich im Pfarrhause zu einer Tasse Kaffee zusammen zu kommen, und dann ihre Zungen auf die Fehler und Gebrechen ihrer Nächsten umher spazieren zu lassen. Natürlich sahen diese Alle die jungen Pfarrersleute nicht mit allzu günstigen Augen an. Der Whist- und Lhombretisch für ihre Männer war aus dem Pfarrhause verschwunden; wenn sie kamen, bewillkommte man sie freundlich, der Kaffee war eben so stark wie früher, die Sahne eben so süß, aber doch wollte es Niemandem so gut schmecken wie ehedem. Das machte, die Gegenwart der jungen Pfarrersfrau legte ihnen einen gewissen Zwang auf, es konnten jetzt nicht solche Gespräche wie früher auf die Bahn kommen, ein anderer Geist wehte in der Stube und der war ihnen unbequem. So machte es sich natürlich, daß die alte Frau Pastorin lieber zu ihren Freundinnen ging, als daß sie dieselben bei sich sah. Dort waren sie wieder ganz ungenirt, bald kam man auf die junge Frau zu sprechen, und daß sie sehr »vornehm« sei; ein Wort gab das andere, und ohne irgend eine böse Absicht dabei zu haben, entwarf die Pastorin ein Bild von ihrem jetzigen traurigen Leben, daß so ganz anders sei als früher; unter den Klagen ihrer eingebildeten Leiden realisirten sich dieselben immer mehr, so daß sie sich am Ende selbst wie eine vollständige Märtyrerin und unschuldig Duldende vorkam und ihre Person im hellsten Glanze strahlte, während das Bild der jungen Leute mit immer tieferem Schatten bedeckt wurde.

Bald genug merkte Margareth von den Klatschereien, die über sie und ihren Mann in Umlauf waren und, sie wußte, daß sie den Ursprung derselben in nächster Nähe zu suchen hatte. O, wie weh ihr das that, – nicht um ihret-, sondern um Gotteswillen. Sie hatte gestrebt, der Gemeinde ein Leben, würdig Pastorsleuten, vorzuleben, damit dem Worte des Herrn durch ihren Wandel schon der Eingang bereitet wäre. Nun war es so anders gekommen, als sie es sich jemals gedacht! Aber schon einmal hatte Gott ihre anscheinend heiligsten Wünsche zu nichte gemacht, hatte ihr die unter denselben verborgene Selbstsucht aufgedeckt, – solche Erfahrung machte Margareth jetzt fähig, das Kreuz als aus Gottes Hand anzunehmen. Sie wollte ruhig ihren Weg gehen, wandeln als vor Gottes Augen und dann ihm vertrauen, der seine Ehre und die seiner Diener gewiß wahren und retten würde.

Ferdinand war mit Feuereifer an sein Amt gegangen. Er kannte seine Gemeinde schon in etwas, trat nicht ganz wie ein Fremder in sie hinein, er wußte von vielen Schäden und Gebrechen, aber oft genug stand er da in harter Bedrängniß. Er konnte sich nicht verhehlen, daß viele Uebel, an denen die Gemeinde krankte, aus seines Vaters Untreue und Bequemlichkeit, aus seiner Mutter Weltleben hervor gegangen seien. Er wollte ein treuer Hirt sein, er mußte strafen, warnen, aber er konnte es kaum, ohne nicht wenigstens indirect die Pietät gegen seine Eltern zu verletzen, und oft genug, wenn er irgend eine Unsitte abschaffen wollte, mußte er die Gegenrede hören: »sein Vater habe es doch so gut geheißen.« Da kam die Pflicht gegen seinen himmlischen und die gegen seinen irdischen Vater oft in harte Collision, – aber die erstere trug den Sieg davon.

Nun konnte es auch nicht fehlen, daß die Predigten des jungen, hübschen Pastors, die so ganz anders waren als die langweiligen Vorträge des früheren, in manchen Herzen zündeten. Aber wo guter Same keimt, da wächst auch Unkraut, und das Unkraut wächst schneller als der Waizen. Steinfeld war kein kleines Dorf, sondern schon ein Flecken, und lag der Landstraße und dem Eisenbahnverkehr viel näher als Burgdorf. Es hatte eine Post, ein Amt und eine Fabrik aufzuweisen, diese hatten natürlich einige Beamte etc. dorthin gezogen, so daß es bei weitem cultivirter war, als die umliegenden Dörfer, welche Cultur sich auch darin bewies, daß bei den Bauern ihre schöne alte Landestracht mehr und mehr verschwand. Nur die alten Bäuerinnen trugen noch den kurzen, gefalteten wollenen Rock, am Knie mit einem Streifen Kattun oder Manchester handbreit besetzt, dazu die kleine schwarze, spitze Mütze mit den breiten, langen, bis über den Rock hinabreichenden seidenen Bändern, – statt dessen sah man moderne Hüte in allen möglichen Farben und Formen, meist mit großen, grellen Blumen reich verziert. Die alte Pastorin hatte diese Veränderung sehr begünstigt, sie sah nicht, daß die Leute mit ihrer alten Tracht auch altes, ehrenfestes Wesen, alte Biederkeit und Arbeitsamkeit und alte Treue auszogen. So war es ein lockerer Boden in Steinfeld, der jeden Eindruck willig aufnahm; Landleute von altem Schrot und Korn sind mißtrauisch gegen alles Neue, zähe es anzunehmen, haben sie es aber einmal ergriffen, dann haben sie es auch ganz und lassen nicht so leicht davon. Beweis dafür unsere Bauern im Großen und Ganzen, die das von ihren Vätern ererbte Christenthum entschieden treuer bewahren als die Städter. –

Es war daher kein Wunder, daß Ferdinand bald eine gefüllte Kirche hatte, bei Vielen wurde es Mode, zur Kirche zu gehen, Einige traf auch wohl Gottes Wort in's Herz, – wo aber eine Erweckung stattfindet, da giebt es auch Afterbilder derselben. So konnte es nicht fehlen, daß mehrere Personen, vorzüglich Frauen, die längst schon im Geruch der Heiligkeit gestanden, weil sie von der Schönheit und den Freuden der Welt stets mit sittlicher Entrüstung sprachen, – was jedoch, wie boshafte Leute meinten, stark an die Fabel von dem Fuchs und den Trauben erinnerte – jetzt mit einem Male eine viel höhere Stufe der Heiligkeit erstiegen. Sie hatten aus dem Munde des jungen Pastor ernste Worte von »Buße« und »Glaube« gehört, und sie wandten das erstere stets auf ihre Nachbarn, das andere auf sich an. Sie hatten wenig oder nichts zu thun, deshalb pilgerten sie so oft als möglich zur Pfarre, wollten sich aus dem Umgang mit so frommen Leuten einen neuen Heiligenschein holen und sich durch immer neue gute Werke den offenen Eingang zum Himmel und – zur Pfarre erkaufen. Nebenbei wußten sie dann viel Gutes von sich und viel Uebles von dem lieben Nächsten zu reden; natürlich, ersteres nur ganz unbewußt und das andere lediglich aus den besten Absichten.

O, es ist etwas Herrliches um das wahre Christenthum, das da im innersten Herzen eines Menschen seinen Thron aufgeschlagen hat und nun in Liebe, Glauben und Demuth all sein Thun und Lassen regiert; wenn man einen Menschen findet, der da redet vom Herrn, weil er glaubt, und nicht glaubt, weil er redet, da möchte man stille hinsitzen und dem Worte lauschen und es im Herzen bewegen; und wenn man einen Menschen findet, der da wandelt wie ein Christ, still, ohne Worte, da möchte man seine Hand ergreifen und bitten: »nimm mich mit; führe mich zu der Quelle, aus der Du Deine Kraft schöpfest, laß mich da auch trinken.« Nur Christus allein ist noch herrlicher als ein Christ, wie die Sonne herrlicher ist als der Thautropfen auf der Wiese, – doch was ist lieblicher als der Thautropfen, in dem der Sonne Bild sich spiegelt?

Aber je schöner das wahre Christenthum ist, um so schrecklicher ist sein Afterbild. O, über diese Leute, die so viel vor Anderen über ihre Sünden klagen, daß sie keine Zeit mehr haben, im einsamen Kämmerlein vor Gott über dieselben zu weinen! O, über diese Leute, die das Wort Liebe im Munde führen und die Fehler ihres Mitmenschen nicht tragen können! die zu den größten Opfern für das Reich Gottes bereit sind, aber Gott nicht einen einzigen Wunsch still und ungesehen opfern können; die mit niedergeschlagenen Augen von Demuth sprechen, und den nicht ansehen mögen, der nicht glaubt, daß sie alles am allerbesten machen; die über jede unschuldige Freude das Anathema sprechen, weil sie selbst keine haben und darum Anderen keine gönnen! Tragen sie Christi Bild an sich? Nimmermehr!

Ferdinand und Margareth war es furchtbar schwer, diese Leute zu tragen und sie in ihrem Hause willkommen zu heißen. Sie wollten Niemand zurückstoßen, aus der schmutzigen Schaale konnte sich ja noch einst ein guter Kern lösen. Sie wollten wohl Gemeinschaft mit ihnen haben, – aber diese Leute strebten aus der Gemeinschaft eine Kameradschaft zu machen. Da kam eben das Haupt dieser Hausplagen, eine alte Dame, auf den Pfarrhof gegangen. Gendenbergs waren auf der Diele und empfingen sie auch dort. Zwar oft mußte Ferdinand sie in seine Studirstube führen, wenn sie in geistlichen Anliegen kam, doch hatte er ihr dort nur seine Ohren zu leihen, da sie wohl viel zu reden hatte, aber wenig zu hören brauchte.

Heute zog sie ein Hemd, das sie genäht, aus der Tasche.

»Sehen Sie hier, – ich habe die ganze Nacht daran genäht, aber was thut man nicht um des Herrn willen, ja, ja, die Liebe macht stark; die arme Frau Kling soll es haben, stellen Sie sich vor, das arme Wesen hat nur ein einziges, da ist es doch wohl Christenpflicht, ihr zu helfen, – nicht wahr?«

Augenscheinlich erwartete sie eine Antwort, Ferdinand ließ ein kurzes: »Ja wohl« hören, während Margareth es nicht lassen konnte zu fragen:

»Aber warum zeigen Sie uns das erst? Die Kling wohnt ja dicht bei Ihnen, da wäre es doch einfacher gewesen, es ihr gleich zu geben.«

»Meine liebe Frau Pastorin,« sagte die alte Dame sehr von oben herunter, »Sie sind noch sehr jung, auch wohl noch sehr jung im Christenthum. Wissen Sie nicht, daß geschrieben steht: »Lasset Euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel preisen?« Nicht um Lob zu ernten für mich, zeige ich Ihnen die mühsame Arbeit meiner letzten Nächte, sondern alles zur Ehre Gottes, wie ja Herr Pastor noch in der letzten Predigt so schön sagte; o was war das für eine schöne Predigt, zwei Taschentücher habe ich naß geweint, und wie haben Sie's der Frau Amtmännin so gut gesagt, wo ihr weltliches Leben sie noch mal hinführen wird.«

»Der Frau Amtmännin habe ich gar nichts gesagt oder sagen wollen,« entgegnete Ferdinand, »überhaupt wünschte ich, daß jeder die Predigt als für sich gehalten ansehen und sie auf sein eigenes Herz beziehen möchte.«

»Ja, ja, Herr Pastor,« stimmte die Dame bei, »das sage ich auch immer, das eigene Herz, das ist die Hauptsache. Ich war auch ganz gerührt und erhoben als Sie da vom Glauben sprachen, der aus dem Herzen komme; – nicht wahr, Frau Pastorin,« wandte sie sich an Margareth, »Sie haben doch auch immer den wahren, schönen, starken Glauben?«

Diese erröthete. »Ich fürchte, nein,« sagte sie rasch und verabschiedete sich dann, ihrem Mann unbarmherzig die weitere Unterhaltung allein überlassend.

»Nun, sie ist noch jung,« sagte die fromme Dame zu Ferdinand, Margareth mitleidig nachsehend, »man muß sie nicht so streng beurtheilen; was noch nicht ist, kann werden.«

»Ich versichere Sie,« entgegnete Ferdinand etwas barsch, »Sie und ich zusammengenommen haben in unseren besten Stunden nicht so viel Glauben, als meine Frau in ihren schlechtesten hat.«

Das war der Dame doch etwas stark. Sie mußte über Mittel und Wege nachdenken, dem Pastor einen richtigen Begriff von sich beizubringen. Offenbar verkannte er sie. Deshalb empfahl sie sich unerwartet schnell und Ferdinand eilte tief aufathmend zu Margareth, die er in der Küche fand.

»O, Ferdinand« rief sie ihm entgegen, »ich kann diese Leute nicht ertragen. Solche, wie Deine Mutter und ihre Freundinnen sind mir hundertmal lieber, die sagen Einem doch wenigstens offen ihre Meinung.« –

»Das thut Fräulein Sekt auch. Es ist wirklich ihre Ansicht, daß sie viel besser ist als andere Leute.«

»Gott behüte uns vor solchem Hochmut,« rief Margareth eifrig.

»Ich fürchte,« sagte Ferdinand ernst, »Dein Ausruf eben hat schon etwas von dem: »ich danke Dir Gott, daß ich nicht bin, wie diese da,« in sich.«

Margareth schlug die Augen nieder. »Es ist aber furchtbar schwer, solchen Leuten gegenüber, die mit Allem fix und fertig sind, über alles süßlich schwatzen können, – wie soll ich's nur machen, sie lieb zu haben?«

»Du sollst Himmelskandidaten in ihnen sehen, die Christus auch geliebt, sein Blut für sie vergossen und sie erlöset hat.«

Aus den beiden eben geschilderten Parteien bestand fast ganz Steinfeld; die Einen, die dem Pfarrer abhold waren wegen seiner Neuerungen, die Andern, welche ihm so hold waren, daß sie ihn unbewußt zu ihrem Gott machten, dem sie dienten, so weit es ihre Bequemlichkeit und ihre Neigungen erlaubten. Beide waren schwer zu tragen. Aber es gab auch noch eine dritte Art Leute im Dorfe, einige wenige: das waren solche, denen Gottes Wort in's Herz gegangen war, denen die Bibel bis jetzt ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch geschienen und die sich nun vom Sonntag bis wieder zum Sonntag freuten, weil die Predigt, welche sie dort in der Kirche hörten, ihr Wochentagsleben zu durchleuchten begann. Sie liebten die Pfarrersleute und freuten sich jeder Berührung mit ihnen, aber schüchtern sahen sie zu ihnen auf, denn sie kamen sich so klein gegen sie vor. Ferdinand und Margareth bemerkten diese Seelen, sie erwiesen ihnen Freundlichkeiten, ohne sie vorzuziehen; unvermerkt bildete sich ein Umgang, sie traten in allerlei Beziehungen zum Pfarrhause und wurden dort gern gesehene Gäste, sie sahen, wie Gott dort Herr war, wie man in ihm lebte, sie erkannten, was für Friede, was für Freude er geben kann, sie kamen sich immer unheiliger vor, vernahmen immer deutlicher den Ruf des heiligen Geistes: »Uebergieb auch Du Dich ganz dem Herrn,« sie leisteten dem Rufe Folge und nahmen zu an Gnade bei Gott und den Menschen.

Das war der gute Waizen, der auch auf Steinfelds Boden wuchs.

»Das seligste, was es giebt auf Erden, ist vom Herrn gefangen zu werden,« sagt ein Zeuge Christi, »darnach aber ist das seligste, Andere für ihn zu fangen.« Das erfuhren auch die, welche Gottes Wort an sich arbeiten ließen. Von Margareth aufgefordert, sammelten sie mit ihr die armen Kinder im Pfarrhause, um sie nähen, stricken und flicken zu lehren. Nebenbei lernten sie schöne Lieder singen, und bald erscholl Mittwoch und Sonnabend Nachmittags von fünfzig Kinderstimmen fröhlicher Gesang aus dem Pfarrhause, so daß mancher Vorübergehende wohl stehen blieb oder doch seine Schritte mäßigte und für sich dachte: »unsere Frau Pastorin meint es doch gut mit uns. Sie hat keinen Vortheil davon, wenn sie sich mit den Rangen plagt.«

Margareth war den Klatschereien gegenüber still gewesen, hatte sich nicht vertheidigt, wenn man ihr auch verblümt zu verstehen gab, daß es nicht recht sei, daß sie die alte Mutter schlecht behandle und über sie herrsche. Um sich zu rechtfertigen, hätte sie dieselbe ja der Lüge zeihen müssen, es kostete sie manches Gebet und manchen Kampf, um hier zu überwinden und fröhlich zu bleiben, aber sie hielt sich an den Spruch: »So uns unser Herz nicht verdammet, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott.« Doch mit der Zeit änderte sich auch nach außen die Sache; zwar mit der Mutter blieb es noch beim Alten, aber Margareths stiller Wandel, der ihr Haus verklärte und es zu einer Friedenshütte machte, ward je länger je mehr von Anderen erkannt, ohne daß sie dies erstrebte. Sie war von der Herrlichkeit des Berufes ihres Mannes erfüllt, so trug ihr ganzes Thun und Lassen den Abglanz seines heiligen Amtes, man merkte ihr überall an, daß sie die Pastorsfrau war. Ach, das sieht man leider bei so Vielen an ihrem Hochmuth und ihrem Richten und Aburtheilen, bei Margareth merkte man es an der Strenge gegen sich, an der Liebe zu Anderen; sie trug das Schwere ihres Lebens als ein von Gott auferlegtes Kreuz, man fühlte, daß ihre Heimath an Jesu Altären sei, daß sie im Vorhof des Heiligthums grüne.

So eingezogen und still sie auch lebte, wurde sie doch bald mit den häuslichen Verhältnissen der einzelnen Familien bekannt, und ihr weibliches Auge bemerkte schnell jede Noth und jeden Jammer. Wenn sie konnte, so half sie, wenn das nicht möglich war, so hatte sie wenigstens ein Herz voll Gebet, ein Auge voll Liebe und freundliche, tröstende Worte für den Unglücklichen; sie drängte sich Niemand auf, ihr ging es nicht wie jener Pfarrerin, vor deren Besuch die Armen die Thür verschlossen und die Kranken voll Angst das Deckbett über den Kopf zogen; je mehr man Margareths Walten erkannte, je mehr wurde sie gesucht, bald wurde jede Noth, die ein Pfarrkind betraf, ein Fingerzeig für dasselbe zur Frau Pastorin zu gehen. Dabei vergaß sie aber nicht, was ihr Vater Stieg in der Traurede so ernst gesagt: sie mischte sich nicht in das Amt ihres Mannes; was nicht Frauensache war, das wies sie an ihren Liebsten, sie machte nie die Zwischenträgerin, sie leitete ihren Mann nicht, sie wollte nicht seine Delila werden!

Ja, es war wunderbar, wie dies starke Frauenherz sich um Gotteswillen so ganz dem Manne unterordnen konnte; und wie sie sich immer kleiner fühlen, an ihn lehnen und einst Jemand, der sie über ihren Mann erhob, so ernst sagen konnte: »Ach Himmel und Erde ist ein Unterschied!« Ferdinand war ihr Mann, ihr der Nächste, und Liebste auf Erden, sie war sein Weib, seine Gehülfin; und doch war er auch wieder ihr Seelsorger, ihr Hirte und sie sein ehrerbietig Kind. – Er fand nicht alles gut, was sie that, weil er sie liebte, er verschloß sein Auge nicht ihren Fehlern, weil sie sein Weib war; sie nahm nicht Partei für ihn, fand seine Predigten nicht schön, sein Thun nicht gerecht, weil er ihr Mann war, – sondern sie halsen einander in Bekämpfung ihrer Sünden, machten sich auf ihre Fehler aufmerksam und vergaben Einer dem Andern. Sie waren noch nicht zu Bette gegangen, ohne das Vaterunser so recht von Herzen gebetet zu haben.

Margareth liebte Ferdinand mehr als alles andere auf Erden, und sie umgab ihn mit allen den zarten Aufmerksamkeiten und häuslichen Bequemlichkeiten, die Niemand anders als ein liebendes Weib dem Manne schaffen kann, aber die Sorge für seine Gesundheit war nicht ihre höchste, sie wollte aus fleischlicher Liebe und Angst seine Schritte nicht lähmen, sie selbst wollte ihm kein Hinderniß sein, sein Amt treu zu verwalten, er sollte sein, ob er gleich ein Weib hatte, als hätte er keins. »Denk' nicht an mich,« bat sie, als sie einst krank darnieder lag und ihr Mann zögerte, sie in der Nacht allein zu lassen, da er zu einem Kranken gerufen wurde. »Denk' nicht an mich,« bat sie wieder, als er unschlüssig war, ob er gerade an ihrem Geburtstage eine Amtshandlung für einen entfernten Pastor, die ihn den ganzen Tag fern hielt, übernehmen sollte. War Ferdinand matt und angegriffen und mußte doch Amtspflichten besorgen, so hielt sie ihn nicht mit Sorgen und Befürchtungen zurück, aber sie begleitete ihn mit ihrem Gebet und sorgte für seine Gesundheit, ohne ihn zu verweichlichen oder gar weibisch zu machen. Der Pastor hatte viel zu thun, sie konnte selten mit ihm allein sein, freute sich jeder Stunde, die er ihr schenken konnte, aber oft scheuchte sie ihn von sich hinweg: »Ferdinand, die arme Kling ist so krank und möchte Dich gerne sprechen!« »Bei Schröder's scheint es schlecht im Hause zu stehen, Mann und Frau vertragen sich nicht mit einander; sie war heute bei mir, ich glaube, es wäre gut, wenn Du hingingest und mit ihm sprächest,« – solche Aufforderungen mußte er hören, wenn er einmal behaglich mit ihr ruhen wollte. Eine schwere Plage war ihm die Schule. Der alte Schullehrer hatte ihn noch als Knaben gekannt und war daher durchaus nicht geneigt, auf irgend einen Vorschlag, den der junge Pastor in Betreff des Unterrichts machte, einzugehen. Er war Rationalist durch und durch und sprach beim Religionsunterricht am liebsten und ausführlichsten über die Pflichten gegen sich selbst, den Kindern besonders den Vers an's Herz legend:

Des Leibes warten und ihn pflegen
Ist, Schöpfer, meine heilge Pflicht.

So waren die Besuche, welche der Pastor der Schule machen mußte, ihm eine unangenehme Aufgabe, von der er auch gar kein Resultat sah, während Margareth meinte, es würde schon anders werden, wenn es auch langsam ginge, und ihm immer vorstellte, daß, wenn er auch keinen Nutzen davon sehe, schon der Schaden, den er vielleicht unwissend abwende, auch nicht gering anzuschlagen sei. Heute war nun großes Examen, – Ferdinand aber trat fröhlich in die Stube: »Margareth, hast Du Zeit? Ich kann heut mit Dir spazieren gehn.«

Es kam dies so selten vor, daß seine Freude darüber wohl gerechtfertigt war; allein sein Weib antwortete zögernd: »Ich hätte wohl Zeit, aber Du hast nur keine.«

»Ich? O gewiß, ich habe heute nichts durchaus Nöthiges zu thun.«

»Aber das Examen,« sagte sie langsam, denn es wurde ihr schwer, ihm mit etwas so Unangenehmem zu kommen.

»O – das Examen! – Ich bin wirklich dabei das fünfte Rad am Wagen. Meinst Du, daß ich dahin gehen muß?«

»Gewiß. Sieht der Schulmeister erst, daß Du Dich nicht mehr darum bekümmerst, so geht vollends alles drunter und drüber; neulich hat er die Schule ausfallen lassen, weil er Holz fahren wollte.«

»Das rechnet er gewiß mit zu den Pflichten gegen sich selbst. Du siehst, Wandel und Lehre stimmt bei ihm, wozu bin ich da nöthig?«

»O Ferdinand, Du solltest doch hingehen, es wäre gewiß besser.«

»Margaret, Margareth,« rief Ferdinand mit komischer Verzweiflung. »Du bist der Essig im Salat meines Lebens.«

»Wie unschmackhaft würde der Salat aber ohne Essig sein,« entgegnete sie lächelnd.

»Und Du meinst wirklich, daß es meine Pflicht und Schuldigkeit ist, zum Examen zu gehen?«

»Wirklich.«

»Ist es Dein völliger Ernst, daß ich es thun muß?« fragte er noch einmal.

»Mein völliger Ernst.«

»Ganz gewiß?«

»Gewiß.«

»Nun denn,« rief Ferdinand, mit Energie seinen Hut ergreifend, »was Ihr thut, das thut ohne Murmeln.«

So war das Leben im Pfarrhause zu Steinfeld, in das die arme, schwermüthige Lilli gebracht wurde, um wieder gesund zu werden. Wir haben zwar schon manches geschildert, wie es sich erst in Jahren nach und nach entwickelte, doch die Anfänge dieses Lebens, wie wir es beschrieben, waren auch im ersten Jahre schon da. Aber auf Lilli schien weder Fröhlichkeit noch Ernst, weder Arbeit noch Spiel irgend einen Eindruck zu machen. Margareth warb um ihre Liebe, wie sie nie gethan, Ferdinand war ihr der treueste Bruder, – das einzige, was sie erreichten, war, daß sie sie duldete, ihnen einsylbige Antworten gab, während sie die alte Pastorin Gendenberg floh und diese sie eben so wenig leiden konnte, da sie für ihr Seelenleiden weder Verständniß noch Mitgefühl hatte. Es war auch keine leichte Aufgabe für Margareth, diese beiden Frauen, die nun in einem Hause wohnten, an einem Tische saßen, beständig einander fern zu halten; ihr Leben war so ein rechtes Leben in Unruhe, doch wie gern hätte sie alles gethan, wenn sie nur bessere Nachricht von Lilli nach Burgdorf hätte schicken können; aber deren Geist verdüsterte sich mehr und mehr, zuweilen wurde man zweifelhaft, ob sie überhaupt noch verstand, was man zu ihr sprach; und während die Herzen noch so bange zagten und der Dinge harrten, die da kommen sollten, – da kam eine Schreckensnachricht aus Burgdorf, – doch wir wollen dorthin zurückgehen und sehen, was sich da zugetragen, während wir in Steinfeld weilten.

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