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O, nenne mir doch einen Ort,
Wo keine Stürm' mehr wehen!
Zeig' mir den sichern Friedensport,
Der Brandung
nie gesehen!
O, bring' mich nach dem stillen Thal,
Wo's immer grünt und blühet,
Wo
nie der Sonne goldnen Strahl
Die schwarze Wolk' umziehet!
Wo's immer still und ruhig ist,
Wo man so wohl geborgen,
Wo
Liebe sich und Friede küßt,
Wo Glaube wohnt, statt Sorgen.
»Ich weiß den Hafen, kenn' den Ort
»Mit seiner ew'gen Stille.
»Der Hafen heißet:
Gottes Wort,
»Das Thal ist:
Gottes Wille.«
Margareth war eine sehr glückliche, aber eine sehr ernste Braut. Jesus war nicht der Dritte, sondern der Erste in diesem Bunde, darum war sie so nüchtern und still zum Herrn. »Herr, nimm mir lieber alles, tödte mich lieber, als daß sich je ein Mensch zwischen Dich und mich stellt, daß ich Dein Angesicht nicht mehr sehen mag oder kann,« wenn eine Braut so betet, mit aufrichtigem Herzen, dann ist keine Gefahr, daß sie den lieben Menschen zum Gott macht, am Sichtbaren statt am Unsichtbaren hängt. Margareth besaß jene goldene Perle der echten Weiblichkeit, welche sich der armen Kreatur des Mannes hingeben, unterordnen kann, weil es also Gottes Wille ist, ohne darum in Kreaturenliebe aufzugehen. Ferdinand war wie verwandelt, seit diese beiden wichtigen Ereignisse in sein Leben getreten waren. Er stand so recht in der Zeit »der ersten Liebe« zum Herrn, wie auch zu seiner Braut. Er war so glücklich, so selig, und man fühlte ihm an, daß sein Leben und Lieben ein Gott geweihtes war, so daß Niemand in seine Nähe kommen konnte, ohne von einem frischen Glaubenshauch angeweht zu werden. Seine reiche Begabung, ein frisches, fröhliches Auftreten, die warme Liebe, mit der er alles umfaßte, hatten ihm schon Aller Herzen gewonnen, jetzt aber war dies alles wie von einer göttlichen Liebe verklärt; wenn man ihn sah, hätte man fast an Moses denken können, dessen Angesicht glänzte, weil er mit dem Herrn geredet hatte. Auch Ferdinand hatte mit Gott allein geredet, er hatte sich ihm aufrichtig hingegeben, und siehe, – da überschüttete ihn der freundliche Herr mit so reichen Gnadengaben, – jetzt eben, da er alles aufgegeben hatte, und nur noch ihn allein haben wollte, – aber kindlich nahm er aus Gottes Hand, was der ihm gab und sein Angesicht glänzte von Glück und Freude. In Margareth sah er allerdings hinein wie in einen goldenen Kelch, sie kam ihm zuweilen wie ein Wesen höherer Art vor, aber daß sie sich ihm so hingab, sich ihm unterordnete, zu ihm aufsah, – das gab ihm sein männliches Selbstgefühl auch ihr gegenüber wieder.
Einst hatte er ihr scherzend gesagt, was sie ihm für eine Margareth, für eine Perle sei, und wie er wieder und immer wieder neue Vorzüge an ihr entdecke. Sie sah ihn fast traurig an. »Ferdinand, so darfst Du nie zu mir reden, das sage ich mir selbst schon oft genug. Und wenn ich ja was Gutes habe, – sage nur, was kann ein alter, zerbrochener Topf, ein elender Scherben, dafür, wenn Jemand kostbare Perlen und Edelsteine in ihn hinein legt? Wird er dadurch schön? Wie lächerlich, wenn er sagen wollte: Nun bin ich kein zerbrochener Scherben mehr, sondern ein herrliches Gefäß! Der Thor! Wenn die Perlen herausgenommen werden, achtet Niemand seiner, er ist und bleibt ein zerbrochener Topf und seine Schuld war es wirklich nicht, wenn eine gütige Hand einmal Edelsteine in ihn hineingelegt hatte.«
»Aber dennoch,« entgegnete Ferdinand, »darf man sich an diesen Edelsteinen freuen.«
»Und Den preisen,« unterbrach ihn Margareth, »der sie gegeben hatte. Aber preise mich nicht, Ferdinand, ich kann das Loben noch nicht vertragen. Du wirst viele Fehler an mir finden, die Dir gewiß schwer zu tragen sein werden; wenn Du nun jetzt so gut von mir denkst, dann wirst Du später enttäuscht und meinst vielleicht gar, ich wäre anders, als ich mich Dir jetzt zeige. Aber dem ist nicht so, ich wollte, mein Herz läge so offen und klar vor Dir, wie es vor Gott liegt, dann würdest Du zwar vieles sehen, was Dich schmerzen würde, viel Hochmuth, Selbstsucht, Eigensinn, aber Du würdest auch sehen, daß diese Sünden mein schwerster Schmerz sind, und Du würdest mir helfen, sie zu überwinden.«
»Liebe Margareth,« sagte Ferdinand, »Du sprichst aus meiner Seele, es wird Dir mit mir ganz ebenso gehen. Ich weiß, meine Heftigkeit, meine Unbeständigkeit, mein schwankendes Wesen wird Dir viele schwere Stunden bereiten, – aber wir wollen einander helfen auf dem Wege zur Seligkeit; sei Du meine rechte Gehülfin, nicht wahr, Du versprichst mir, daß Du mir immer aufrichtig sagen willst, was Dir an mir mißfällt?«
»Ja, aber wenn ich Dich nun böse damit mache?«
»Das wäre freilich schlimm,« sagte Ferdinand mit bedenklicher Miene, – »aber weißt Du, wir wollen uns heute versprechen, daß wir nie einen Tag in Unfrieden, oder in Bösesein, oder in Kälte beschließen. Mag ein heftiges Wort zwischen uns gefallen sein, mögen wir uns verdrießlich angesehen haben, wir gehen nicht zu Bette, ehe wir nicht einander alles abgebeten und vergeben haben.«
Margareth schlug in die dargebotene Hand. »Und dann beten wir alle Abend das Vaterunser laut mit einander, wenn wir dann zur fünften Bitte kommen: »vergieb uns unsere Schuld wie wir vergeben unsern Schuldigern,« da müssen wir ja alles vergeben und vergessen, sonst beten wir selbst das Gericht Gottes auf uns herab.«
Ferdinand umfaßte seine Braut und sagte scherzend: »Weißt Du, erzürne mich nur recht bald einmal, ich möchte Dir so gern etwas vergeben.«
»Kommt Zeit, kommt Rath! Was man in der Jugend sich wünscht, hat man im Alter die Fülle,« entgegnete sie ebenso.
Der Winter verfloß unter allerlei Vorbereitungen zur Hochzeit und zur Reise. Das Brautpaar hatte sich bei einer Missionsgesellschaft zum Dienst unter den Heiden in Indien gemeldet, und diese war gern bereit, beide im kommenden Frühjahr auszusenden. Ferdinand wollte seine Hauslehrerstelle Ostern ausgeben, dann sollte er ordinirt werden, Ende Mai die Hochzeit sein und gleich darauf sollten sie über England nach Indien abreisen. So war der Plan Aller, – aber der Mensch denkt und Gott lenkt.
Heinrich kam nur selten nach Burgdorf, sein Pastor, dem er zur Hülfe gegeben war, kränkelte diesen Winter sehr, so fiel fast die ganze Arbeit auf ihn; Ferdinand war desto öfter in dem lieben Pfarrhause zu sehen, er fand Marie gewöhnlich fleißig an Margareths Ausstattung nähend, während die Pastorin Stieg es immer noch nicht verwinden konnte, daß sie ihrem geliebten Pflegekinde nicht von der schönen, seinen Leinwand, die sie selbst gesponnen, geben konnte; Klima und Wäsche in Indien bedingte, daß Baumwollenzeug deren Stelle vertreten mußte, aber die Pastorin war noch so von altem Schlage, sie mochte das Baumwollenzeug nicht, es kam ihr unsolide vor, wohl sah sie die Nothwendigkeit hier ein, aber doch betrachtete sie nur kopfschüttelnd die leichten, baumwollenen Hemden.
Aber mit viel ernsterem Kopfschütteln sah sie oft ihre Lilli an, mit der sie gar nicht recht zufrieden sein konnte. Die drei Mädchen führten jetzt wochenweis abwechselnd die Wirtschaft; wenn Lillis Küchenwoche kam, so war es recht zu merken, daß Jemand am Heerde stand, dessen Herz und Gedanken nicht bei seiner Arbeit waren. »O weh, jetzt kommen die sieben mageren Jahre!« rief Ferdinand, der tägliche Gast, in komischer Verzweiflung, als er einst wieder nichts als steinhartes Brod zum Kaffee vorfand. »Lilli, Lilli, ist dies Brod etwa das aus Brahma entstandene Welt-Ei, das 43,000 Millionen Jahre auf dem Chaos schwamm? – Was wenigstens das Alter betrifft, glaube ich, daß es seine vollkommene Richtigkeit hat.«
Lilli warf etwas verächtlich den Kopf in die Höhe; sie hatte so viele andere Gedanken, daß ihr nicht Zeit blieb, auf das Wohlbehagen derer, die ihr von Gott gegeben waren, zu sinnen, und ihre Gedanken waren so viel schöner, als die an Küche und Keller, als Essen kochen und Brod backen! Die Arbeit, die nun einmal im Hause gethan werden wußte, war ihr eine Last, statt Lust, darum wurde sie schlecht besorgt; während sie am Heerde stand, träumte sie sich auf grüne Auen, am Arme eines schönen jungen Mannes gehend; und während sie die Milch abrahmte, sah ihre Phantasie wieder den jungen Mann vor sich stehen, sein Arm umfaßte sie und seine Stimme sprach. »Ich liebe Dich!« Und immer trug ihr Phantasiebild die Züge des jungen Baron von Wallerberg. Ja, er hatte der armen Lilli das Herz warm und den Kopf heiß gemacht. Er hielt sich noch immer bei den benachbarten Rethel's auf, – um die Landwirthschaft zu erlernen, damit er einst seinen Gütern tüchtig vorstehen könnte, – Lilli aber fühlte sehr wohl, daß dies nur ein Vorwand und sie die eigentliche Ursache seines Bleibens war. Sie hatte sich widerstandslos dem Zauber seiner Liebe hingegeben, es fiel ihr nicht ein, daß einem andern Manne der erste Platz in ihrem Herzen gebühre; wenn sie dieses andern Mannes einmal gedachte, so bat sie ihn nur um das Eine: um Erfüllung ihrer Wünsche, um zeitliches Glück, was sie zwar oft »seinen Segen« nannte. Und Jesus Christus erhörte ihre Bitte, aber gar anders als sie gedacht; er segnete sie mit lauter Leid, mit viel Thränen und Enttäuschungen, er machte ihr die Erde arm und zeigte ihr den Reichthum seines Himmels, er lehrte sie das Wort »Himmelreich« verstehen.
Aber jetzt sehnte sich Lilli noch nicht nach dem Himmelreich, die Erde war ja so schön, der Weg vor ihr mit lauter Blumen bedeckt, da ließ sie ihr Auge lieber auf ihnen ruhen, statt es zum Himmel zu erheben. Baron von Wallerberg liebte sie, daran war kein Zweifel, zwar hatte er es ihr noch nie in deutlichen Worten gesagt, aber jeder Blick seines Auges, der Ton seiner Stimme sagte es. Und eines Tages im Frühjahr, als sie Beide einen Augenblick allein im Garten waren, da wagte er es, der Geliebten von seiner Liebe zu sagen und ob sie sein eigen sein wolle auf immer? Und Lilli, ob sie gleich sich oft gedacht hatte, daß er einst so zu ihr sprechen würde, – jetzt war es ihr doch so unerwartet, so neu, die Stimme versagte ihr, sie konnte sich nur an den geliebten Mann lehnen und sich von ihm umfassen und küssen lassen. Dann bat sie ihn, es den Eltern zu sagen, – er zögerte einen Augenblick, sein Gefühl hatte ihn hingerissen, er hatte an die Eltern noch gar nicht gedacht; er bat Lilli, es geheim zu halten, er wolle erst an seinen Vater schreiben und ihn um seine Einwilligung bitten, dann mit derselben vor Pastor Stieg's treten. Aber hier blieb Lilli fest, es mußte den Eltern gleich gesagt werden, sie wußte, sie würde es ihnen nicht verbergen können, und sah auch gar keinen Grund dazu, da sie gewiß ihrem Glücke nicht hinderlich sein würden.
So entschloß sich denn der junge Baron, am selben Abend noch den Pastor Stieg um die Hand seiner Tochter zu bitten. Er zweifelte nicht an der Antwort, sondern erwartete ein freudiges Ja, denn gewiß mußte es dem Pastor lieb sein, seine Tochter so glänzend verheirathet zu sehen. Sehr erstaunt war er daher, als der Pastor, nachdem er ihn gehört, ruhig sagte:
»Daß Sie meine Lilli lieben, finde ich sehr natürlich, daß Sie ihr diese Liebe gestanden haben, will ich auch nicht weiter richten, obgleich ich wünschte, es wäre lieber nicht geschehen. Aber nun stehen wir auch an der Grenze. Mein Jawort kann ich Ihnen nicht geben, ehe Sie mir nicht das Ihres Vaters bringen. Sind Sie seiner Einwilligung gewiß? Wird er nicht ganz andere Pläne mit seinem einzigen Sohn haben? – Und dann, ich kenne Sie auch noch viel zu wenig, um zu wissen, ob ich Ihnen meine Tochter anvertrauen kann. Würden Sie ihr ein Führer, eine Stütze auf dem Himmelswege sein? Ja, noch mehr, würden Sie es sie nie fühlen lassen, daß sie eine arme Pfarrerstochter war? Schönheit vergeht, Herr Baron, und wenn Sie Lilli deswegen lieben, so fürchte ich, ist Ihre Liebe auf Sand gebaut.«
Der junge Mann erschöpfte sich in Betheuerungen, er bat, er flehte, er könne ohne Lilli nicht leben. Das Einzige, was er erlangte, war, daß Pastor Stieg nicht Nein sagte.
»Aber nun suchen sie keine Gelegenheit, sie noch allein zu sprechen. Reisen Sie so bald als möglich nach Hause und erzählen Sie Ihrem Vater alles. Dann schreiben Sie mir Bescheid, aber mir, ich werde Lilli nicht gestatten, Briefe von Ihnen anzunehmen. Und dann, Herr Baron, wenn Ihre Liebe fest geblieben ist, dann wollen wir weiter mit einander reden.«
Während dem sprachen Mutter und Tochter in der anderen Stube mit einander. – – »O, meine Lilli,« fuhr die Erstere im Gespräch fort, »mit dem Seligwerden ist es eine ernste Sache, und Du kannst Dir nicht denken, welchen Einfluß Mann und Weib auf einander haben; und doch wäre das höchste, reinste Erdenglück mit der ewigen Seligkeit zu theuer erkauft, – wenn Du nun auch glücklich würdest an seiner Seite, aber Deine Seele ginge verloren; o Lilli, was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?«
»Aber Mutter, er ist so gut, so herzensgut; er liebt auch Gott, er geht jetzt immer zur Kirche, er hat Margareth gesagt, daß er aus seinen Gütern auch Missionsstunden halten lassen will.« –
»Das ist noch alles keine wahre Bekehrung. Sage mir nur das Eine: »Könntest Du mit ihm beten?« Ich meine nicht im Kreise Anderer, nicht in der Kirche, wo der Einzelne wohl aus Gewohnheit, oder um nicht Aufsehen zu erregen, seine Knie mit beugt, ich meine, ob Du ihn bitten könntest, um eine besondere Sache, um Bekämpfung einer Sünde mit Dir allein zu beten?«
»O Mutter, – das wäre so sonderbar, – er würde sich so wundern! Ich könnte ja auch allein und für ihn beten.«
»Du schämst Dich, mit ihm zu beten, und willst mit ihm den schmalen Weg, der zur Seligkeit führt, wandeln? O, ich fürchte, ich fürchte, Du täuschest Dich schwer,« sagte die Mutter mit trauriger Miene.
Der Baron von Wallerberg reiste ab, so flüchtig und leicht auch sein Wesen war, konnte doch Niemand an der Aufrichtigkeit seiner Liebe zweifeln. »Er ist noch jung, es kann noch etwas aus ihm werden,« dachten Stiegs »Ich schreibe bald,« sagte der Baron beim Abschiede. Die Eltern und Lilli verstanden den Blick, mit dem er dies »bald« begleitete. »So Gott will,« antwortete ruhig Pastor Stieg.
Für Lilli begann nun eine schwere Zeit, der Schmerz des Abschieds und die Ungewißheit der Zukunft waren rechte Prüfungen für sie. An den Geliebten zweifelte sie nicht, aber sein Vater? Pastor Stiegs bemühten sich, sie mit linder Hand von ihren Gedanken abzuziehen und sie dem wirklichen Leben wiederzugeben. Es gelang ihnen nur theilweise. Sie lebte in ihrer Traum- und Gedankenwelt fort, wo ihr Schatz, da war auch ihr Herz; da aber ihr Herz fern in Schlesien weilte, so konnte man deutlich sehen, daß ihr Schatz nicht droben im Himmel, sondern unten aus Erden war.
Der Frühling war mit Macht in's Land gerückt; linde Apriltage verkündeten den kommenden Mai. Da traf eine Schreckensbotschaft aus Steinfeld, dem Heimathsdorf Ferdinands, ein: Pastor Gendenberg, sein Vater, sei vom Schlage getroffen worden. Ferdinand reiste unverzüglich ab, Margareth begleitete ihn. Aber sie kamen zu spät; er hatte nur noch wenige Stunden nach dem Schlaganfall gelebt, sie fanden seine Leiche. Es war das erste Mal, daß Margareth an einem Todtenbette stand; sie hatte sich das Angesicht eines im Herrn Entschlafenen anders vorgestellt; mit Bangen wandte sie sich von diesen schmerzverzerrten Zügen, die auch jetzt nicht den Stempel des Friedens und der Ruhe, sondern nur den der Starrheit trugen. Aber war denn Pastor Gendenberg im Herrn entschlafen? Das war die Frage, welche Ferdinand und Margareth fortwährend auf's Schmerzlichste bewegte. Er war in seiner Jugend ein flotter Student gewesen, dann ein Pastor geworden, dem die Weltleute es zum Ruhm nachsagten, daß man in Gesellschaft gar nicht merke, daß man mit einem Pastor zu thun hätte. Dann hatte er sich mit einem Mädchen aus niederem Stande verheirathet, das ein hübsches Gesicht, aber weder Verstandes- noch Herzensbildung besaß. Sie hatten sich wohl einander geliebt, aber nicht mit einer höheren, göttlichen Liebe, so ging es bald in dieser Ehe, wie es in so vielen geht: die Frau sah in ihrem Gatten wenig mehr als einen Versorger, durch den sie das tägliche Brod, den Stand einer Pastorenfrau und dadurch ein gewisses Ansehen in der menschlichen Gesellschaft erhielt; der Mann sah in seinem Weibe nur seine Haushälterin, welche für sein Wohlbehagen und für seine Bequemlichkeit zu sorgen hatte. Da sie nun beiderseits keine hohen Ansprüche an einander stellten, so gingen sie ziemlich zufrieden ihren gemeinsamen Lebensweg, glücklicher Weise harmonirten ihre Neigungen: Beide liebten ein behagliches, bequemes Leben, Beide aßen gern etwas Gutes, Beide hatten Langeweile, wenn sie allein waren, und sahen deshalb gern Gesellschaft um sich – so hatten sie fast dreißig Jahre mit einander gelebt, wenn man anders solch ein Dasein Leben nennen kann.
Jetzt war Pastor Gendenberg aus diesem schönen, behaglichen Leben geschieden, schnell und unvorbereitet. War nun die äußere Erfüllung der Pflichten seines Amtes, war seine Selbstzufriedenheit und sein gutes Gewissen ein sanftes Kissen, auf dem er im Tode ruhen konnte? Oder hat noch in den letzten Stunden, als er sprachlos dalag, der Geist des Herrn Buße und Glauben in ihm gewirket? Hat der Sterbende noch in seinem Herzen, da schon die Lippen geschlossen waren, ein »Herr, erbarm' Dich!« gerufen und hat er noch in der zwölften Stunde Schächergnade erlangt? Der Geist Gottes ist allmächtig, er kann Wunder thun, – aber ich fürchte, in Pastor Gendenberg's Schuldbuch haben alle die Seelen, die durch seine Schuld, durch seine Untreue, durch seine Bequemlichkeit, durch sein böses Beispiel verloren gegangen sind, ihre Namen mit schwarzer Tinte geschrieben, und Gott, der Richter, Himmels und der Erden, hat sein Siegel darunter gedrückt in den Worten:
»Du Menschenkind, ich habe Dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; Du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von meinetwegen warnen. Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben, und Du warnest ihn nicht und sagst es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf daß er lebendig bleibe, so wird der Gottlose um seiner Sünden willen sterben; aber sein Blut will ich von Deiner Hand fordern.
Und wenn sich ein Gerechter von seiner Gerechtigkeit wendet und thut Böses, so werde ich ihn lassen anlaufen, daß er muß sterben. Denn weil Du ihn nicht gewarnet hast, wird er um seiner Sünde willen sterben müssen, und seine Gerechtigkeit, die er gethan hat, wird nicht angesehen werden, aber sein Blut will ich von Deiner Hand fordern.«
Die Pastorin war zuerst untröstlich über den Verlust ihres Mannes, sie nahm es fast übel, wenn man sie trösten wollte und verargte es Margareth sehr, daß diese sich nicht wie sie den Ausbrüchen des Schmerzes hingab, sondern ihre Ruhe bewahrte. Margareth aber war viel zu tief ergriffen, um von ihrem Schmerz sprechen zu können, – sie trauerte um die Seele ihres Schwiegervaters, während man bei seiner Frau bald sehen konnte, daß sie mehr den Ernährer als den Gatten beweinte, und eigentlich nur sich selbst beklagte. Ihre Kinder wollten so gern diesen Todesfall zu einem Segen für der Mutter Herz machen, aber ihre Mühe war vergeblich; der Verstorbene war in den Augen seiner Frau plötzlich wie vom rosigen Licht umflossen, sie dichtete ihm alle nur möglichen Tugenden und guten Eigenschaften an, um sich immer mehr zu beklagen, und so gelang es ihr nach und nach, sich vor sich selbst und vor vielen Anderen als die verlassenste und unglücklichste aller Wittwen darzustellen. Mit schwerem Herzen verließ Margareth nach acht Tagen dies Haus, das ihr noch nie ein Friedens- oder Heimathsgefühl eingeflößt hatte, während Ferdinand bei seiner Mutter blieb.
Aber auch die Wolke auf seiner Stirn blieb, ja es wollte Margareth fast dünken, als würde sie täglich größer und schwerer. Endlich wurde es ihr zur Gewißheit, daß nicht allein des Vaters Tod den Geliebten drücke, sondern daß er noch irgend einen anderen Kummer zu tragen habe. Sie drang in ihn, ihr zu sagen, was ihn quäle. Er wich ihren Fragen aus und sah sie nur traurig an. Endlich bat er eines Tages, als er wieder in Burgdorf war, mit so feierlicher Stimme Margareth um ein Gespräch, daß diese heftig erschrak, mit ihm allein in eine Stube ging und nun angstvoll fragte: »Um Gotteswillen, Ferdinand, was hast Du? Du siehst ja todtenbleich aus!«
»Margareth, was würdest Du sagen,« antwortete er ernst, »wenn Gott uns ganz andere Wege führen will, als wir bis jetzt gehofft haben, wenn wir unsere liebsten Wünsche aufgeben und ein ganz anderes Leben beginnen sollen?«
»Nimmermehr!« rief Margareth heftig, »das kann nicht Gottes Wille sein!«
»Und doch fürchte ich, es ist so,« erwiederte Ferdinand; »ich habe in diesen Tagen schwer gekämpft, aber jetzt ist es mir zur Gewißheit geworden, daß Gottes Gedanken anders mit uns sind. Höre mich ruhig an,« bat er, die immer bleicher werdende Braut zu sich auf's Sopha ziehend, »ich will Dir alles erzählen. Kaum war mein Vater todt, da drang meine Mutter in mich, nun hier zu bleiben, sie nicht zu verlassen, ich würde hier eine Stelle finden und sie wolle dann in ihren alten Tagen zu mir ziehen. Ich schäme mich, es Dir zu sagen, aber der Vorschlag erschreckte mich, ich lehnte ihn ab, sagte ihr, daß ich jedenfalls nach Indien gehen müsse, daß ich aber auch ganz bestimmt für sie sorgen würde. Das »Wie« war mir zwar nicht klar, da wir kein Vermögen besitzen, ein Missionar von seinem Gehalt gewiß nichts abgeben kann, das Wittwengeld meiner Mutter aber nur jährlich achtzig Thaler beträgt. Da kommt einige Tage später der Gutsherr unseres Dorfes und Patron der Kirche zu ihr und schlägt ihr vor, ob ich mich um die Stelle meines Vaters bewerben wolle, er würde mir seine Stimme geben, und für die Wahl der Gemeinde könne er bürgen; es solle dann sehr rasch betrieben werden. Margareth, zürne meiner Mutter nicht, sie weiß wenig vom Herrn, aber auch einer von seinem Geiste beseelten Frau würden diese Vorschläge verführerisch gewesen sein. Nun habe ich in dieser ganzen Zeit zwischen zwei Feuern gestanden, auf der einen Seite meine Mutter mit ihren fortwährenden Vorwürfen, Klagen und Thränen, auf der andern all die Leute aus dem Dorfe, die mich inständig bitten, bei ihnen zu bleiben und ihr Pastor zu werden. Dies letztere will freilich wenig sagen, denn sie würden bald einen besseren als mich finden, – aber meine Mutter. Ich bin nicht wie jener Missionar, der seine vor ihm knieende Mutter zurück stieß und »über Deine Leiche gehe ich zu den Heiden« ausrief. Ich glaube nicht, daß wir irgend eine Pflicht durch Versäumnis oder Verachtung einer anderen erfüllen können. Und mit welchem Herzen würde ich draußen arbeiten, wenn ich meine alte Mutter hier darbend, und ihrem einzigen Kinde fluchend wüßte. Nein, ob es mir gleich ist, als würde mein Herz mir aus dem Herzen genommen, ob ich gleich weiß, wie Dir dabei zu Muthe sein wird, so steht es doch fest in mir: ich kann, ich darf nicht nach Indien gehen, denn Gott will es nicht.«
Ferdinand schwieg und sah Margareth an, welche noch immer blaß und still im Sopha lehnte. »Margareth, sprich ein Wort,« bat er innig, »ich weiß, es wird Dir schwerer noch als mir. Aber sieh auf Gott, seine Hand ist hier nicht zu verkennen, sage mir, daß Du mich nicht für einen Wortbrüchigen hältst, daß ich nicht anders handeln konnte!«
»O, Ferdinand, vergieb, vergieb mir!« rief Margareth, »daß ich nur ein Wort sagen konnte, was Dich verletzen und Dir die Erfüllung Deiner Pflicht erschweren konnte!«
»Liebe Margareth, Du nimmst mir einen schweren Sorgenstein vom Herzen, – o, Du weißt nicht, wie ich gefürchtet habe –«
»Wie konntest Du zweifeln? Nein, Ferdinand, Du hast Recht gethan, und wo Du bleibst, da bleibe ich auch. Es ist alles so Gottes Wille, wehe uns, wenn wir widerstreben wollten!«
»Du wirst viel Schweres haben,« sagte Ferdinand nach einer Pause. »Ich weiß, meine Mutter bei sich zu haben, wird keine angenehme Zugabe sein.«
»Bitte, sprich jetzt nicht davon, wir ist's, als könnte dies gar nicht in Betracht gegen das andere kommen. Und bitte, Ferdinand, laß mich jetzt allein. Komm bald wieder, doch jetzt muß ich erst ein wenig mit meinem Gott allein sein.«
Aber als sie nun allein war, da brach sie auch zusammen, – nicht vor Schmerz über vereitelte Wünsche, nicht vor Leid über gescheiterte Hoffnungen, sondern sie brach zusammen vor dem Herrn, ihrem Gott, der ihr in diesem Augenblick fast drohend vor der Seele stand. Sie zürnte ihm nicht, sie haderte nicht mit ihm, – nein! sie schlug das Auge vor ihm nieder, denn sie glaubte das schreckliche Wort aus seinem Munde zu hören: »Gewogen, gewogen und zu leicht befunden.« Ihr ganzes Leben ging vor ihrer Seele vorüber: wie sie, so lange sie denken konnte, mit dem »Selbstbewußtsein« zu ringen hatte, wie in allem ihrem Thun wider ihren Willen eine gewisse Berechnung lag, wie immer ihr »Ich« ihr erster Gedanke war und in den Vordergrund trat. So war es in Indien, so war es in Burgdorf im Kreise ihrer Gespielen gewesen, so hatte sie in Berlin der vornehmen Welt gegenüber gefühlt, und selbst gegen Pastor Stiegs war das Gefühl nicht verschwunden. Wohl hatte sie mit ihrem scharfen Verstande diese Sünde tief erkannt, wohl hatte sie mit Ernst, mit Gebet und Thränen dagegen gekämpft, und wenn sie auch den Feind nicht besiegt hatte, so konnte er doch auch nicht ungestört herrschen, Gott half ihr, denn er sah, daß sie es aufrichtig meinte. Da faßte sie jenen Vorsatz, sich dem Herrn zum Dienst zu geben, Missionarin zu werden. Es war ein schwerer Entschluß, denn als sie ihn faßte, fühlte sie erst, wie fest sie an Burgdorf hing, und wie eine Ahnung von künftigem, noch größerem Opfer durchzuckte es sie, wenn sie an Ferdinand dachte, obgleich es ihr damals noch nicht ganz klar war, daß sie ihn mehr als alle anderen Menschen liebte. Aber gerade, daß sie Opfer bringen mußte, machte ihren Vorsatz noch fester – und gab ihrer Selbstliebe neue Nahrung. »Das könnte nicht ein Jeder,« flüsterte die Sünde in der Brust ihr zu, »ja, Du bist eine echte Jüngerin des Herrn, Du verläßt alles und folgst ihm nach.« Oft überwunden, kehrte der Gedanke doch immer wieder. »O Gott, kann ich denn nie zu der seligen Einfalt der Kinder Gottes kommen, die nichts sehen als Dich allein?« seufzte sie oft aus bangem Herzen. Als nun Ferdinand wirklich um sie warb, als sie mit jenem »Nein« ihrem und des Geliebten irdischem Lebensglücke entsagte, als sie in jener Nacht mit Gott kämpfte, sich ihm ganz hingeben wollte und auch von ihm Kraft bekam zu überwinden – da war auch gleich der alte böse Feind wieder da, der ihr zuraunte: »Welch einen herrlichen Sieg hast Du erfochten! Bei Dir heißt es wirklich: rein ab und Christo an! Du hast in allem weit überwunden, nun liegt die ganze Welt klein zu Deinen Füßen, sie kann Dir nichts mehr thun.« Margareth waren diese Einflüsterungen zur höchsten Qual, sie konnte wohl wehren, daß sie nicht bleibende Wohnung in ihr machten, aber daß sie immer und immer wieder kamen, konnte sie nicht hindern. O, wie beneidete sie oft Marie, die wirklich in viel kindlicherer Einfalt fast unbewußt näher und näher zum Herrn kam. Margareth hatte viel schwerer zu kämpfen, wenn kein Mensch es ahnte und kein Auge, als das des heiligen Gottes es sah. – Als nun Ferdinand, unabhängig von ihr, den Entschluß faßte, Missionar zu werden, als nun sie die Seine werden durfte, da trat ihr Gott plötzlich so nahe als der freundliche Herr, daß sie nur loben und jauchzen konnte. Nicht nur, weil er ihr Ferdinand gegeben, sondern vielmehr, weil sie diese Schickung als ein Zeichen von ihm ansah, daß er ihr gnädig sei, daß er sie trotz ihrer furchtbaren Selbstliebe nicht verworfen habe. Es kam nun die selige Zeit für sie, wo sie sich in ihres himmlischen wie in ihres irdischen Bräutigams Liebe still wie ein Kind legte und selig darin ruhen konnte, und zum ersten Mal vergaß sie auch innerlich sich selbst, – äußerlich blieb ihr Thun dasselbe, aber es war anders in ihr geworden, ihr Ich war nicht mehr ihr erster Gedanke, sie wollte Gott jetzt nichts bringen und geben, sondern wie ein Kind aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade.
Nun kam wie aus heiterem Himmel der Schlag: Du sollst nicht nach Indien gehen. Also war es alles Täuschung gewesen, als sie geglaubt, Gott habe ihr Opfer wohlgefällig angenommen und blicke trotz ihrer Sünde gnädig auf sie herab? Sie war verworfen, er konnte sie nicht brauchen, all' ihr Ringen, Kämpfen und Opfern war umsonst, es war Gefühlstäuschung, daß sie einen in Christo versöhnten Gott zu haben glaubte, zornig blickte er sie an, er wollte eine reine Magd in seinem Dienst haben – nie hatte Margareth die Last ihrer Sünde so schwer gefühlt, wie heute. Es fiel ihr nicht einen Augenblick ein, Ferdinand's Mutter als Ursache ihres Hierbleibens zu betrachten, sie wußte, ohne Gottes Willen hätte sie kein Wort dabei sagen dürfen. Es fiel ihr nicht einen Augenblick ein, mit Gott rechten zu wollen, – hadert auch der Baum mit dem Felsblock, der auf ihn fällt? Sie war wie zermalmt. Verworfen! Verworfen! das war der einzige Gedanke, der Macht in ihr gewann.
Aber er sollte diese Macht nicht behalten. Margareth war zu sehr Gottes Kind, als daß ihre Sünde sie lange von ihm hätte scheiden können. Schon in allen irdischen Verhältnissen hatte sie es von klein auf nie ertragen können, wenn Jemand auf sie böse war; sie bat dann mit Thränen so lange, bis das strenge Antlitz des Erzürnten wieder ein freundliches Lächeln für sie hatte, bis sie den Kuß der Vergebung auf ihrer Stirn fühlte. So ging sie auch heute in dieser dunklen Stunde, da sie nicht das Vater-, sondern nur das Richterantlitz Gottes sah, zu ihm, sie drang mit dem Worte: »Du hast gesagt: wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus stoßen« auf ihn ein; so bange ihr auch um's Herz war, rang sie doch mit Muth und Kraft, aber ohne Eitelkeit oder Verwegenheit, sie rang mit Demuth, mit Glauben, mit einem brünstigen Verlangen nach Erlösung, nach Heil, nach Sieg mit dem Herrn Zebaoth. Und im Kampfe wurde ihr wunderbar zu Muthe; sie fühlte sich schwach und doch stark, allein und doch nicht verlassen, bald war ihr die Finsterniß keine Nacht mehr, ihr Gott war ihr nicht mehr ferne, er wurde ihr immer wunderbarer, immer größer, immer mächtiger, aber auch immer erbarmender, immer liebevoller, aus dem Angstruf: »Verwirf mich nicht von Deinem Angesicht!« wurde endlich ein siegesgewisses: »Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!«
Und der Ja und Amen heißt, erhörte auch dies Gebet. Von Margareth konnte man wohl nach dieser Stunde, so weit man es von einem Menschen kann, dem die Sünde immer wieder anklebt, sagen: »das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden.« Ihr Leben lag hinter ihr, alles, was sie gedacht, gelernt, gewünscht, war ihr zunichte gemacht, ihre heiligsten Wünsche und Pläne waren gescheitert – aber Gott hatte sie dennoch reichlich gesegnet: Er hatte sie gedemüthigt. Bisher hatte Margareth stets gekämpft und gesiegt. Jetzt hatte der Herr sie niedergeworfen in ihrem Stolze, als ein gezüchtigtes, aber als ein Gotteskind stand sie wieder auf, Gott hatte dieser Perle ihren strahlenden Glanz genommen, aber er hatte sie lauterer und schönerer gemacht und ihre Seele vom Verderben errettet. –
Nach einem Tage stiller Sammlung legte sie ihrem Ferdinand ein offenes Bekenntniß ihres Herzenszustandes ab, und sagte ihm auch, daß nicht die Thatsache des Hierbleibens, sondern vielmehr der Gott, der sie herbei geführt, sie so tief erschüttert habe. »Und wenn Du mich nun noch zu Deiner Frau haben willst,« schloß sie endlich, »dann bin ich bereit, mit Dir zu gehen, wohin Du mich führst. Aber ich fürchte, ich werde eine schlechte Pfarrfrau sein, zur Missionarsfrau glaubte ich früher tauglich zu sein, aber Du siehst, Gott wußte es bester.«
»Nun bist Du eine Pfarrfrau wider Willen,« entgegnete Ferdinand, indem er seine Geliebte, die ihm noch nie so schön als heut in ihrer wahren Demuth erschienen war, fest an sich drückte, »wider Deinen Willen, aber mit Gottes Willen, und hoffentlich eine rechte Pastorenfrau nach seinem Herzen.«
Sie beteten mit einander, und eine Ruhe, ein Friede kam über Beide, den die Welt nicht kennt und nicht geben kann.
Ferdinand's Wahl in Steinfeld ließ nicht auf sich warten. Am ersten Sonntag im Oktober sollte er als Pastor ordinirt und eingeführt werden, am Montag nachher seine Hochzeit in Burgdorf stattfinden. – In herzlicher Liebe und tiefem Frieden waren die Sommermonate verstrichen, nur ein Schatten fiel in das frohe Stillleben der Stieg'schen Familie. Baron von Wallerberg hatte noch nichts von sich hören lassen; Lilli litt furchtbar unter diesem Schweigen, bange Ahnungen tauchten in den Eltern auf, Jeder fürchtete sich, seinen Gedanken Worte zu geben, gleichsam als könne das, was bis jetzt nur ein unbestimmtes Etwas war, durch die Aussprache Gestalt und Leben gewinnen. –
Am vierten Oktober stieg majestätisch und feierlich die Königin des Tages am östlichen Himmel empor. Ueber dem Pfarrhause in Burgdorf schien sie stille zu stehen und sich über sein festliches Aussehen zu wundern. Ein doppelter Festtag sollte heute gefeiert werden: Der Mutter Geburtstag und Ferdinands und Margareths Hochzeitstag. Das Haus glänzte heut noch heller, als an jenem Pfingsttage, da das Missionarskind aus Indien kam. Das Weinlaub hatte noch voller und üppiger den Giebel bezogen, statt der zarten, jungen Reben, die damals das Kind begrüßt hatten, leuchteten heute dunkle, schwere Trauben aus dem grünen Laub. Es war Aller Wunsch gewesen, das Fest im engsten Familienkreise zu begehen: Ferdinands Mutter, Tante Heß, die sich mit ihrer Nichte wieder ausgesöhnt hatte, weil sie nun doch »vernünftig« gewesen und die Idee mit Indien aufgegeben, und noch einige nahe Freunde bildeten die wenigen Gäste. – Marie hatte alle häuslichen Besorgungen übernommen, die Pastorin sollte heute als »Brautmutter« und »Geburtstagskind« nichts angreifen, und sie hatte alles so sinnig und so einfach und doch so würdig arrangirt, daß man wohl sah, wie ein liebendes Herz eine umsichtige Hand geleitet hatte. Sie und Lilli waren die beiden einzigen Brautjungfern; Marie hatte Margareth heute früh den Myrthenkranz von ihrem selbstgezogenen Bäumchen genommen, und jedes grüne Blatt trug einen treuen Wunsch, jede weiße Blüthe ein reines Gebet, das sie mit eingewunden. Jetzt ging sie zu Margareth, die nach dem Frühstück einen Gang mit Ferdinand auf die Wiesen gemacht hatte, darnach still in ihrem Stübchen geblieben war; sie befestigte den jungfräulichen Kranz auf der hohen Stirn der schönen Braut – sie fühlte nichts als Liebe in ihrem Herzen, darum floß auch nur Liebe aus demselben. Aus den Armen der Eltern und Geschwister wand sich endlich das Brautpaar, um den ernsten Gang zum Kirchlein anzutreten. Der kurze Weg war mit Blumen bestreut, wo es anging, hatte die Liebe der Burgdorfer Bogen von Eichenlaubguirlanden angebracht; die Glocken begannen zu läuten: ernst und feierlich klangen die Töne durch die Luft, das Brautpaar hörte sie nicht nur, es fühlte sie bis in's tiefste Mark hinein und gab sich schweigend die Hände. Ja, es ist ein ernster Morgen, der Hochzeitsmorgen, und ein ernster Gang, der Gang nach dem Gotteshause, wo aus Zweien Eins gemacht wird, die dann, auf immer vereint, des Lebens Last und Hitze tragen, Freud' und Leid in Liebe theilen sollen.
Volle Orgeltöne empfingen sie beim Eintritt; nach der Wahl des Brautpaares wurden die beiden Verse aus dem köstlichen Liede Bogatzki's gesungen:
O Vaterherz, o Licht und Leben,
O treuer Hirt', Immanuel!
Dir bin ich einmal übergeben,
Dir, Dir gehöret Leib und Seel',
Ich will mich nicht mehr selber führen,
Der Vater soll das Kind regieren!
So geh' nun mit mir aus und ein,
Und leite mich nach allen Tritten,
Ich geh', ach hör', o Herr mein Bitten,
Ohn' Dich nicht einen Schritt allein.
So leb' und lieb' ich in der Stille,
Und lieg als Kind in Deinem Schooß;
Das Schäfchen trinkt aus Deiner Fülle,
Die Braut ist aller Sorgen los;
Sie sorget nur allein, in allen,
Dir, ihrem Bräut'gam, zu gefallen;
Sie schmückt und hält sich Dir bereit.
Ach zieh' mich, zieh' mich weit von hinnen,
Was Du nicht bist, laß ganz zerrinnen,
O reiner Glanz der Ewigkeit!
Und dann hielt Pastor Stieg am Altare die Traurede, der er aus Ev. Joh. 21 die Worte zum Grunde legte: »Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir: da Du jünger warest, gürtetest Du Dich selbst und wandeltest, wo Du hin wolltest; wenn Du aber alt wirst, wirst Du Deine Hände ausstrecken, und ein Anderer wird Dich gürten und führen, wo Du nicht hin willst.« Er zeigte ihnen daraus einen Lebensweg nach dem Willen Gottes, oft wunderlich, doch seliglich. Er legte ihnen nicht blos die Pflichten an's Herz, die sie als Eheleute im allgemeinen, sondern auch die, welche sie noch im besonderen als Pfarrersleute zu erfüllen hätten. »Wer täglich geben soll,« rief er Ferdinand zu, »der muß eine reiche Quelle haben, aus welcher er schöpft, sonst wird er bald in die peinigendste Armuth versinken.« »Deine Sorge sei,« Nach Löhe. wandte er sich an Margareth, »daß es im Hause und in der Haushaltung allezeit fein priesterlich zugehe; nicht mit Wort und Predigt, sondern mit heiligem Wandel hast Du Deinen Mann in seinem Amte zu unterstützen. Es steht geschrieben, daß »die, welche nicht glauben, an das Wort, durch der Weiber Wandel ohne Wort gewonnen werden.« Es ist aber des Weibes Wandel, wenn er anders nach dem Willen des Herrn sein soll, kein geringes und leichtes Werk. Ein Weib hat zunächst irdische Besorgungen im Hause, und eben darum ist es für sie schwer, so durchs Zeitliche zu wandeln, daß sie das Ewige nicht verliere. Ein Weib, welches in den Beruf des Mannes sich eindrängt, hat die Krone der Weiblichkeit verloren, ihr schönster Schmuck ist die Demut, der Muth zum Dienen. Sie muß es für ihr Glück halten, ihrem frommen Manne zu gehorchen, wie es die Kirche für ihre Seligkeit hält, unter dem Regimente und Geiste ihres ewigen Bräutigams zu leben. Ein Weib, welches sich über den Mann stellen und anstatt seiner seinen Beruf üben will, verderbt, soviel an ihr liegt, die Seele, welcher sie als eine Gehülfin zum ewigen Leben geschaffen ist, nämlich die Seele ihres Mannes. Denn entweder weiß der Mann, daß es seine Demuth ist im Namen des Herrn selber Mann zu sein; so ist ihm ein derartiges Thun seines Weibes eine böse Anfechtung und eine Ursache vieler Versündigungen gegen sie, – oder er beugt sich unter das Weib, dann ist das Weib schuldig an seiner großen Sünde, daß er nicht mehr des Herrn Bild ist, gleichwie das Weib das der Gemeinde; solch eine Frau soll man Delila heißen, denn sie hat ihres Simsons Seele matt gemacht!
Aber eine fromme Pfarrersfrau ist ihrem Manne dennoch nicht bloß eine Gehülfin an und für ihn selbst, sondern sie ist ihm auch eine Helferin in seinem Amte. Sie ermuthigt ihn, wenn er verzagt ist, mit liebevollen Worten, sie stärkt ihn, wenn er matt ist. Sie will ihn nicht allein genießen, sie freut sich jeder Stunde, die er ihr schenken kann, aber sie weiß, daß andere Seelen auch ein Recht auf ihren Pastor haben, sie erinnert ihn freundlich an seine Pflicht und treibt ihn von sich, wenn er lässig und träge wird. Sie selbst sucht gern und fleißig die Kranken, die Armen, die Wittwen, die Waisen, die Betrübten, die Alten in der Gemeinde auf, sie gießt Oel und Wein in die Wunden und ist eine Trostquelle der Elenden. Sie betet mit ihren Manne täglich für die Gemeinde und hilft ihm auf diese stille verborgene Weise mächtig; sie begleitet auch, wenn ihr Mann in seinem Berufe geht, in der Stille ihres Herzens seinen Gang mit Gebet; sie bittet, daß sein Wort und Werk gelinge, – wenn es gelingt, bittet sie um Demuth für ihren Liebsten; wenn's nicht gelingen will und der Herr seinen Segen zurückhält, so betet sie, daß ihr Mann nur treu empfunden werde und Gott zum Tröste habe, – sieh', Margareth, das ist das Bild einer Pastorenfrau nach dem Herzen Gottes! Ringe und bete, daß Du in dies Bild verkläret werden mögest.« Und nun wies der Pastor beide hin auf Den, der A und O, Anfang und Ende und alles in allem ist. Und als er sie dann fragte, ob sie nun einander lieben, ehren, treu sein wollten bis zum Tode, als das »Ja« hierauf gesprochen war, da segnete er sie ein im Namen des Herrn, – sie waren vereint für Zeit und Ewigkeit! O, die Wörtlein »Ja« und »Treu« sind so kurz, und welch eine lange That bergen sie in sich! – Es war wohl allen Anwesenden recht aus der Seele, daß nun zum Schluß die ewig schönen Verse gesungen wurden:
Ach bleib' mit Deiner
Gnade
Bei uns, Herr Jesu Christ,
Daß uns hinfort nicht schade
Des bösen Feindes List!
Ach bleib' mit Deiner
Treue
Bei uns, mein Herr und Gott,
Beständigkeit verleihe,
Hilf uns aus aller Noth!
Vor der Kirchhofsthür hielten die Kinder nach alter Sitte ein Band, das Brautpaar mußte sich erst lösen, ehe es freien Durchgang erhielt. Eine Stunde später einte ein heiteres Mittagsbrod die Festgenossen in der großen freundlichen Wohnstube, Scherz und Ernst würzte des Essen; gegen Abend fuhren Ferdinand und Margareth in dem mit Blumen und Bändern reich geschmückten Wagen nach ihrer Heimath, nach Steinfeld. – Wird ihr Leben dort ein Gang über lauter Steine sein, oder sprossen auch Blumen zwischen den Steinen?
Geht es nur dem Himmel zu,
Und bleibt Jesus ungeschieden,
So bin ich zufrieden.
Das war der Grundton in den Seelen der jungen Pfarrersleute.