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Wort und Wandel.
Schneeglöckchen läut't den Frühling ein:
»Macht auf die Thür, er will herein!«
Schneeglöckchen bricht durch Eis und Schnee,
Der Schnee ist kalt, das Eis thut weh.
Doch Frühling küßt das Blümchen leis',
Da
mußt es blüh'n so rein und weiß,
Da
mußt es läut'n und sagen an, –
Der Frühling hat's ihm angethan.
O Herr, seit Du mich angeblickt
Mich an Dein warmes Herz gedrückt,
Möcht' ich verkünden Allen laut,
Was mir Dein Wort hat anvertraut.
Ich sagt' der ganzen Welt so gern
Von meinem lieben, treuen Herrn!
Doch mach' mich erst ganz rein und weiß,
Kann sonst nicht blüh'n zu Deinem Preis.
Lieb' Veilchen ist so still, so still!
Kein Wörtchen es auch sprechen will.
Es saget nicht: »der Lenz ist nah,«
Wer es nur sieht, weih, er ist da.
Und birgt es auch sein Angesicht,
Der Duft durch Blätterhülle bricht.
Es
spricht vom Frühling gar kein Wort,
Und
zeugt von ihm doch fort und fort.
O Herr,
zieh mich in Dich hinein,
Und lehre mich ganz stille sein.
Verschließe lieber meinen Mund,
Mach' meinen Wandel nur gesund.
Die Liebe sei der süße Duft,
Der von Dir kündet, zeugt und ruft.
Wenn mich auch Niemand hört und weiß,
So blüh' ich doch zu Deinem Preis!
Wieder war ein Jahr vergangen. Im Winter war's ziemlich still in Burgdorf gewesen, obgleich Margareth nur wenige Monate in Berlin zugebracht, und dann ihren bleibenden Aufenthalt wieder bei Pastor Stieg's genommen hatte. Heinrich und Ferdinand waren nun seit Ostern wohlbestallte Candidaten und hatten beide in der Nähe von Burgdorf Anstellungen, der erstere als Hauslehrer auf einem Gute, der zweite als Diakon bei einem alten Pastor gefunden. Sie waren nahe genug, um oft das Vaterhaus zum Ziel ihrer Wanderungen zu machen. Hier trafen sie häufig mit dem jungen Baron von Wallerberg zusammen, der wieder bei Rethels zum Besuch war, und sobald als möglich seine alten Bekannten in Burgdorf aufgesucht hatte.
Er war der Sohn eines reichen Gutsbesitzers in Schlesien. Lilli hatte im vorigen Jahre unverkennbaren Eindruck auf ihn gemacht, im Laufe des Winters war ihr Bild in seinem Herzen verlöscht, aber als er nun wieder in ihrer Nähe war, wurde er mehr als je von ihr hingenommen.
Es war wohl ein schönes Paar, wenn die Beiden neben einander standen. Er, ein hoher, schlanker Jüngling, sie, eine holde, liebliche Jungfrau von siebzehn Jahren. Seit er sie auszeichnete, seit er nur für sie zu leben, aus ihren Augen all sein Glück zu lesen schien, war eine wunderbare Veränderung mit ihr vorgegangen. Sie war noch schöner geworden, alles, was bisher noch Kind an ihr gewesen, war in die Jungfrau übergegangen, die Knospe ihres Herzens öffnete sich an Wallerbergs Liebe, sie blühte ihm entgegen in schöner duftender Blume und nahm aus des Geliebten Nähe all' ihren Lebestoff, sie ruhte und schwamm in der Liebe, mit der er sie umgab, und dachte an nichts weiter, als daß sie unendlich glücklich, und das Leben aus lauter Rosenroth und Hoffnungsgrün zusammengesetzt sei. Wenn man Wallerberg und Lilli sah, da mußte man unwillkürlich an die schönen Worte Schillers denken:
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöh'n,
Mit züchtigen, verschämten Wangen,
Sieht er die Jungfrau vor sich steh'n.
– Erröthend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruß beglückt;
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe gold'ne Zeit!
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
– – – Es war ein linder, lieblicher Augusttag. In der Laube des Pfarrgartens zu Burgdorf lagen große Haufen Eichenlaub und Blumen aufgethürmt, die drei Mädchen waren emsig beschäftigt, sie zu Guirlanden zu verwinden, Heinrich und Ferdinand leisteten hilfreiche Hand; da hörte man die Tritte eines Rosses auf dem Hofe, Lilli erröthete, sie kannte diese Laute, – einige Augenblicke später trat Herr von Wallerberg zu ihnen.
»Welches Fest steht diesem Hause bevor,« sagte er nach den ersten Begrüßungen, »das mit so vielen schönen Blumen und von noch viel schöneren Händen geschmückt wird?«
Schon wollte Lilli antworten, als Margareth ein rasches: »Rathen Sie einmal!« dazwischen rief.
»Geburtstag?« sagte Wallerberg, von Einer zur Anderen sehend.
»Nein.«
»Erndtefest? Ach nein, das ist ja erst im Oktober.« Verlobung wollte er noch sagen, aber sie sahen Alle so unbefangen aus, und er konnte das Wort nicht über die Lippen bringen.
»Ich ergebe mich, ich kann's nicht rathen. Ist es denn ein wirkliches Fest, oder nur ein improvisirtes, wie Sie hier mit ihrem erfindungsreichen Genie so viele entdecken? Gilt es etwa, den Apfelbaum zu bekränzen, der die ersten Früchte bringt? Oder ist die Kutsche neu lackirt worden? Haben die Hühner besonders brav Eier gelegt und soll ihr Haus zum Dank dafür geschmückt werden? Fräulein Margareth, Sie finden Feste und Poesie und alles, wo ein gewöhnlicher Menschenverstand gar nichts oder nur die nüchternste Prosa sieht, und an Helfershelfern fehlt es Ihnen auch nicht, alle Ihre Ideen auszuführen. Das Beste aber ist, daß wir uns Alle so glücklich bei Ihren Festen fühlen, – darum, selbst wenn es den Hühnern gelten sollte, so rufe ich Vivat Kikeriki! und biete Ihnen hiermit meine gehorsamsten Dienste an.« Und während er dies mit komischem Ernste sprach, hatte er schon neben Lilli Platz genommen, um ihr geschäftig Sträuße zum Winden zuzureichen.
Alle lachten. Margareth wurde roth, – war's nicht wieder eine Anspielung darauf, daß sie alles leitete, alles beherrschte? O, das war ihr so unleidlich, sie wußte es, und es erschien ihr dann wie lauter Hochmuth. Doch jetzt mußte sie sich zusammen nehmen, – da kam ihr Marie mit der Frage zuvor:
»Aber, Herr von Wallerberg, sind Sie denn Sonntag nicht in der Kirche gewesen? Da wurde unser Fest ja verkündet!«
»Nein, – Sonntag, – da haben wir einen größeren Ausflug in die Berge gemacht, brachen schon früh auf – nein, da waren wir nicht in der Kirche.«
»O,« entgegnete Marie sanft, »ich dächte, da hätten Sie doch gar nicht vergnügt sein können, ich glaube, wenn ich ohne die dringendste Noth die Kirche versäumte, könnte ich den ganzen Tag nicht recht froh werden, es würde mir gar nicht wie Sonntag sein.«
»Gehen Sie denn alle Sonntage zur Kirche?«
»Gewiß, und wir gehen Alle, wenn nicht Eins krank ist. Und nicht blos einmal, sondern zweimal, – ich kann es Ihnen nicht sagen, wie so wohl es uns im Gotteshause ist!«
Der junge Mann wurde verlegen, auch Lilli's Auge schien Marie's Worte zu bestätigen. Von solchem Wohlsein wußte er noch nichts. Doch dachte er bei sich, es würde auch ihm überall wohl sein, wo ihn die lieben Gestalten, unter denen er jetzt saß, umgeben würden, selbst in der Kirche.
»Aber um wieder auf unser Fest zu kommen,« hob Margareth an, »Missionsfest haben wir morgen; ein aus Indien zurückgekehrter Missionar wird die Predigt halten, und darum machen wir die Guirlanden, wollen gern die Kirche recht schön mit Blumen schmücken. Ich dachte, die Blumen schon müßten's Ihnen sagen, denn sie sehen ganz anders aus, wie sonst. Sie freuen sich, zu Gottes Ehre verwandt zu werden, sein Heiligthum zu schmücken, sie freuen sich, liebliche Lieder singen und von den großen Thaten Gottes unter den Heiden erzählen zu hören!«
»Ein Missionar? Aus Indien?« fragte der Baron nach einer Pause, »nun den möchte ich auch wohl hören, das muß ganz interessant sein. Aber sonst, – nehmen Sie es mir nicht übel – sonst kann ich eigentlich nicht recht begreifen, wozu solche Leute fort und zu den Heiden gehen. Laß doch Jeden auf seine Façon selig werden! Ob sie nun ein höchstes Wesen unter dem Namen Gott, oder Allah, oder Wodan, oder Brahma, verehren, – gleichviel, wenn sie es nur thun, und dann nach dem Spruch handeln: Fürchte Gott, thue Recht und scheue Niemand. Ich bin überzeugt, alle diese Leute sind bei ihrer Religion ganz eben so glücklich, wie wir bei der unsrigen.«
Erstaunt hatten die jungen Leute dem Baron zugehört.
»Glücklich?« wiederholte endlich Margareth mit schmerzlich bewegter Stimme, »glücklich? O, Sie sollten das Glück der armen Hindus sehen! Sind die Leute glücklich zu nennen, welche gar keine Religion haben, und ein thierisches Leben führen, ihrem Bauch und ihren Lüsten fröhnend? Oder sind es die, welche ihre Sünden fühlen, denen sie zu schwer geworden sind, die sich nach Frieden sehnen und nicht wissen, wie sie ihn erlangen sollen? Die tausend Meilen weit auf eisenbeschlagenen Schuhen gehen, die ihre Glieder auf spitze Nägelbretter strecken, die auf den Knieen von Delhi nach Benares rutschen, oder den Weg mit der Länge ihres Körpers messen? Oder sind die Wittwen glücklich, welche sich mit den Leichen ihrer Männer verbrennen lassen müssen, die Frauen, welche verachtet, zertreten, die Sklavinnen ihrer Männer sind, welche sie als Gott anbeten müssen? Oder sind es die Alten und Kranken, welche man dem Hungertode preisgiebt, die man mit Gangesschlamm erstickt, weil man von Liebe und Erbarmen nichts weiß? Oder preisen Sie die Kinder glücklich, welche dem Ganges geopfert und dort von den Krokodilen gefressen werden, die in den Wäldern ausgesetzt, eine Beute der Schakale oder die der furchtbaren Göttin Kali geschlachtet, oder unter dem Wagen des Juggernauth zermalmt werden als willkommene Opfer? O, Herr Baron, nur wer das namenlose Elend der Heidenwelt nicht kennt, nur wer nie die versöhnende Liebe Christi geschmeckt hat, wem um seine Seligkeit noch nie bange gewesen ist, nur der kann sagen: »es ist nicht nöthig, daß den Heiden das Evangelium gebracht werde.«
»Ich meinte es nicht so schlimm,« entgegnete Herr von Wallerberg; »und dann, – Sie schildern uns da doch auch mehr das Thun und Treiben der niederen Klassen, den Aberglauben, der den Pöbel beherrscht. Ich habe mir gerade sagen lassen, daß die Religion der Indier eine Tiefe und Herrlichkeit, eine Poesie und Weisheit berge, daß sie sich dreist mit jeder anderen messen könnte.«
»Da sind Sie sehr im Irrthum,« sagte Margareth, »ich habe Ihnen nicht den bei dem gebildeteren Theile der Hindus gebrandmarkten Aberglauben geschildert, sondern ich habe Ihnen gesagt, was ihre öffentlichen Religionsvorschriften sind, die noch heute, soweit es die Herren des Landes, die Engländer, gestatten, von ihren Königen und Priestern ausgeführt werden. Und was sich etwa von Herrlichkeit und Weisheit in der Religion der Indier findet, das sind die dunklen Nachklänge aus dem Paradiese, die Ahnung von der Offenbarung Gottes. Das Schönste, was in ihren heiligen Büchern zu finden, verhält sich zum Worte Gottes, wie der Tropfen am Eimer zum unermeßlichen Weltmeer. – Eins zwar hat der Hindu vor uns voraus: daß er religiöser ist, mehr auf seine Götzen hält, als wir aus den lebendigen Gott. Aber alle seine Religiosität geht in lauter mechanischen Ceremonien auf, – er wird uns dereinst vor Gott verklagen, daß wir es ihn nicht besser gelehrt haben. Früh Morgens, wenn er aufsteht, ist sein erstes Wort der Name seines Hauptgötzen: Ram! Ram! dann geht er an sein Geschäft. Gegen neun Uhr kommt die Zeit seiner täglichen Anbetung; da nimmt er seine Lota in die Hand, geht zum Fluß oder Teich, tritt in das Wasser hinein, taucht mehrere Male unter, macht einige Gebets-Zeremonien gegen die Sonne, murmelt dabei beständig den Namen: Ram! Ram! Sodann wäscht er seine Kleider, reinigt sorgfältig Mund und Zähne, schöpft die Lota voll Wasser und geht mit Ram! Ram! nach Hause; hier macht er sich geschwind ein Klümpchen Erde zum Götzen, begießt es mit Wasser, murmelt Sprüche vor ihm, wirft sich vor ihm nieder mit der Stirn zur Erde, setzt ihm Blumen, Reis etc. vor: dann bereitet er sich sein Essen, wobei ihm Niemand zu nahe kommen darf; nach dem Essen wäscht er Mund und Hände, womit er gegessen, und nun ist sein Gottesdienst für diesen Tag vorüber, alle Sünden sind durch's Baden, Waschen und Ram! Ram! Sagen hinweg, er ist rein und heilig, und kann nun ohne Scheu wieder sündigen, denn morgen badet er wieder alle Sünden ab, und was vom Baden nicht abgeht, das nimmt der Ram gewiß hinweg. So steht der Hindu religiöser Weise auf, wäscht sich religiöser Weise, salbt sich religiöser Weise, kleidet sich religiöser Weise, ißt, trinkt und schläft religiöser Weise, studirt oder bleibt religiöser Weise unwissend. – Die Andacht der Indier aber, welche nach brahmanischer Lehre den Menschen mit Gott vereinigt, ist ein völliges Verzichten auf jeden bestimmten Gedankeninhalt, ein gedankenloses Hindämmern in der ununterbrochenen Betrachtung der leeren Einheit, eine Andacht der absoluten Gedankenlosigkeit. Es ist das Geschäft,« fuhr Margareth plötzlich von ihrem ernsthaften Ton in einen schalkhaften übergehend, fort, »das meine theuren Brüder dort heute schon seit länger denn einer Stunde betreiben. Sehen Sie, wie sie dasitzen, und nun hören Sie, so lautet wörtlich die Lehre der heiligen Schasters: »Der Fromme übe stets sich im Verborgenen, einsam, die Gedanken hemmend, ohne Wunsch und ohne Gesellschaft, den Leib, das Haupt und den Nacken unbeweglich haltend, fest anblickend seine Nasenspitze, und nicht hierhin und dorthin schauend, ruhig und furchtlos, das Gemüt im Zaume haltend, mich nur denkend sitze der Fromme. Beständigkeit erstrebend werde er immer ruhiger in seinem Herzen, gewöhne seinen Geist sich in sich zu versenken und denke gar Nichts.« »Dies letzte Ziel scheint Ihr schon erreicht zu haben,« schloß Margareth, sich an Heinrich und Ferdinand wendend, »denn ich bin überzeugt, Ihr habt keine Ahnung, wovon wir jetzt gesprochen, sonst würdet Ihr mir doch geholfen und ein Wörtchen mitgeredet haben.«
»Sage nur, Margareth,« sagte Heinrich, »woher hast Du eine so genaue Kenntniß von Indien? Das fließt nur so von Deinen Lippen. Es können doch unmöglich noch die Erinnerungen Deiner Kinderjahre sein?«
»Heinrich,« antwortete sie ernst, »abgesehen von allem Andern, meinst Du, daß ein Land, ein Volk, eine Sache, an der das Blut meiner Eltern klebt, ohne Interesse für mich sein könnte?«
»Du hast Recht,« antwortete er leise, »o, wie treu sollten alle Christen die armen Heiden auf den Herzen tragen, da ein noch viel kostbareres Blut für sie geflossen, da unser Herr Jesus auch für sie gestorben ist.«
Herrn von Wallerberg war es unbehaglich bei dieser Unterredung. Er befand sich hier auf einem Felde, das ihm unbekannt und fremd war, und mit einem Witzwort wie es sonst seine Gewohnheit bei einem religiösen Gespräche war, konnte er nicht abbrechen. »Es giebt doch so viel Schönes und Herrliches in der Welt,« dachte er bei sich und seine Augen weilten auf Lilli, »so vieles giebt es, was man gern thut, – warum mögen diese Menschen nur soviel von den Heiden und ihren Gräueln, von der Erlösung und von Gott sprechen, warum mögen sie sich ihr Leben mit allerlei Pflichten, die sie gegen ihn und die Menschen zu haben meinen, verbittern? Verbittern? Aber verbittern sie sich denn ihr Leben wirklich damit? Sind sie nicht vielmehr Alle stets fröhlich und fühlt man ihnen nicht an, daß sie glücklich sind? – Nun das mag daher kommen, weil sie jetzt jung und frisch sind, da werden alle diese finsteren Ansichten von der Jugendkraft überwunden oder der inwohnende Lebensmuth hält ihnen wenigstens das Gleichgewicht. Aber laß sie nur erst einmal alt werden, da werden sie grämlich, unzufrieden mit der ganzen Welt, nur mit sich nicht, da wird denn das Lachen als Sünde, und jedes Wort, das nicht im Gebetbuch steht, als Frivolität gerechnet. Mir ist gesagt, daß diese Leute später nach Außen unleidlich fromm scheinende, predigende Betbrüder und Betschwestern werden, im Hause aber finstere keifende Hausplagen sind, ja –«
Sein Gedankengang wurde durch die Pastorin Stieg unterbrochen, welche in der einen Hand einen Teller mit Butterbroden, in der andern ein Körbchen mit Obst tragend, in die Laube trat und fröhlich rief: »Ihr lebt wohl heute von Blüthenstaub und Waldesduft? Mir ist wirklich schon angst und bange geworden, was hier nur Unerhörtes passiert sein könnte, daß sich Niemand zum Vesperbrod meldet.« Jetzt erst sah sie den Baron und begrüßte ihn in ihrer herzlichen Weise; er war fast verlegen, – die Pastorin Stieg sah auch gar nicht aus wie eine finstere, keifende Hausplage, und doch hatte sie schon ein ziemliches Alter erreicht, – ja wirklich, die finsteren Ansichten hatten Zeit genug gehabt, ihre verderbliche Wirkung zu äußern, – aber sie sah nun einmal so frisch und herzig aus, – des Barons weise Gedanken bekamen einen Stoß, – »nun, keine Regel ohne Ausnahme,« tröstete er sich.
Am andern Tage war ganz Burgdorf in festlicher Bewegung. Die Leute hatten zwar in den letzten Jahren in der Kirche von den Heiden und den Missionaren erzählen hören, dem Pastor Stieg aber war Liebe und Verständniß auch für diese heilige Arbeit nur langsam und spät gekommen, so war dies das erste Missionsfest, das hier gefeiert werden sollte. Ihre Neugierde war auf's Höchste gespannt, »ein Missionar aus Indien,« war von der Kanzel verkündet worden, bald machte das Gerücht einen Indier, einen Indianer, aus ihm; als er Morgens angekommen war, hatten ihm mehrere Kinder auf dem Pfarrhof aus dem Wagen steigen sehen und versicherten, er sähe »ganz schwarz« aus; so erwarteten zwei Drittel der Bewohner des Dorfes einen wirklichen richtigen Indianer, einen Wilden zu sehen, während die Phantasie der Kinder bei dem Bilde eines Mohren stehen blieb, wie er in ihrer Fibel beim Buchstaben M sehr schön und natürlich abconterfeit war mit der Unterschrift:
Den Mohr und auch ein Murmelthier
Schaut Ihr auf diesem Bilde hier.
So hatte man, obgleich mitten in der Erndte, doch allgemeinen Rasttag gemacht; als die Glocken »das erste Schauer« zu läuten begannen, füllte sich schon die ganze Kirche, die vielen Kränze und Guirlanden, womit sie geschmückt war, wurden gebührend bewundert, und mancher Bauersfrau trat eine Thräne in's Auge, als sie sah, wie über dem Atlaskissen, das sie ihrer verstorbenen Tochter In den Dorfkirchen findet man häufig, daß dort Gedächtnißtafeln für liebe Verstorbene angebracht sind: meist Name, Geburts- und Todestag über einem Atlaskissen, auf dem ein oder mehrere Kränze niederhängen, oft auch von einem Schränkchen mit Glaswänden umschlossen. hier aufgehängt hatte, ein frischer Kranz prangte!
Der Missionar betrat die Kanzel; er war ein großer, breit gebauter Mann, aber augenscheinlich ein richtiger Europäer, – zwar hatte ihn Indiens Sonne sehr braun gebrannt, dennoch konnte er seine kaukasische Abstammung nicht verbergen. Sein Gesicht war von einem dichten, schwarzen Backenbart und Haupthaar umrahmt, aber sein Auge blickte freundlich und seine Stimme verrieth den Deutschen.
Er hatte den Text: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden, als allein in dem Namen Jesus.« Nachdem er zuerst die Herrlichkeit des Jesusnamens gerühmt, schilderte er das Elend der Heiden, welche ihn noch nicht kennen; er erzählte, wie sie im Dunkeln tappten, sich aber dennoch nach einem Namen, der sie selig machte, sehnten und ihn mit Schmerzen suchten. Er zeigte dies Suchen bei den harten Muhamedanern, bei den stolzen Chinesen, bei den klugen Hindus. Dann wandte er sich an seine Zuhörer und fragte sie eindringlich, ob sie, die ja diesen Jesusnamen von klein auf kannten, die schon auf ihn getauft waren, – ob sie denn nun alle ihre Seligkeit in ihm gefunden hätten? Und daß, wenn sie dieselbe gefunden, wirklich gefunden, sie diese nicht für sich behalten, sondern auch Anderen verkünden, daß sie an deren Seelen arbeiten müßten. Er sagte ihnen, daß der Glaube ohne Werke todt sei; und daß der Herr seine heilige Missionsarbeit Jedem, der sich nach seinem Namen nenne, jedem Christen aufgetragen habe; er schilderte ihnen die Liebe Gottes, die zur Arbeit für ihn lockt, aber auch seinen Ernst, der die faulen, ungehorsamen Knechte straft. »O, zieht, zieht den Triumphwagen des Herrn,« schloß er, »helft ziehen, das ist die selige Arbeit; wer aber nicht ziehen hilft, den wird er unter seinen Rädern zermalmen.«
Und im Gebete, das nun folgte, demüthigte er sich tief vor Gott, ob aller seiner Faulheit und Untreue in seinem Dienst. »Vergieb mir meine Missionssünden! Vergieb mir meine Missionssünden!« bat er wieder und immer wieder, und mit ihm baten viele Herzen, die nicht gearbeitet wie er, die sich um die armen Heiden und um den ernsten Befehl ihres Gottes bis dahin gar wenig gekümmert hatten
Margareth war tief bewegt, sie wurde es noch mehr, als sie Abends lange mit dem Mann sprach, der heut so zu den Herzen geredet. Schon der Gedanke, daß er aus Indien kam, daß er von ihren Eltern sprach, welche er zwar nicht persönlich gekannt, doch hoch geachtet hatte, überwältigte sie. Aber es war ihr nicht allein so, wie ein Zauber ging es aus von dem schlichten Missionar, benachbarte Pastoren, welche in äußerlicher, rechtschaffener Amtsführung verknöchert waren, schlugen heut an ihre Brust und nahmen sich vor, Versäumtes nachzuholen, hier und da kam Abends ein Bauersmann, welcher dem »fremden Herrn Pastor« etwas Hartes in die Hand drückte für die Heiden und dann eilig verschwand. Zwei arme Kinder brachten verschämt ihr bestes Spielzeug, das sollten die schwarzen Kinder in Indien haben, sagten sie, und eine alte Frau verehrte dem Herrn Missionar einen ganzen Korb voll Eier: »er möge sie doch mitnehmen und alle Tage ein paar essen, damit er nicht heiser würde, und recht oft so laut und so schön predigen könne, wie heute.« Eine Bewegung ging durch die kältesten Herzen – wie vielmehr mußten Die angeregt sein, die das Elend der Heiden schon lange betend betrachtet! Der Missionar erzählte ihnen noch viel: wie so nöthig Prediger und Lehrer draußen wären, wie die treuen, christlichen Frauen fehlten, welche allein mit den heidnischen Frauen verkehren könnten; aber er konnte auch dankend preisen, wie Gott einige willig gemacht, sich ganz seinem Dienst zu ergeben, konnte von einem jungen Mädchen erzählen, das sich jetzt auf Gottes Ruf und Aufforderung über's Meer mit einem nie gesehenen Missionar, der in seinem Amte dringend einer Frau bedurfte, verlobt hatte, und im Begriff stand, die weite Reise anzutreten. Es war ein rechter Segenstag – das fühlten Alle, als sie Abends spät noch die Knie mit einander beugten und sich auf's Neue dem Herrn zum völligen Eigenthum gaben.
Ja, Amen, da sind beide Hände,
Aufs Neue sei Dir's zugesagt:
Ich will Dich lieben ohne Ende,
Und
Alles sei daran gewagt.
Mit diesen Worten auf den Lippen und im Herzen legten sie sich zur Ruhe.
Es war vierzehn Tage später, als Margareth, wie sie täglich that, wenn ihre Zeit es irgend gestattete, am Saume des Waldes spazieren ging. Es sind dies so liebliche Wanderungen, die ein armer Städter entbehren muß; einige Schritte weit gehen und dann allein sein, allein mit Gott, mit seiner schönen Natur und mit sich selbst. Tieferen Naturen sind solche Stunden Bedürfniß, sie fühlen sich oft einsam in großer Gesellschaft, während oberflächliche Seelen sich selbst das Armuthsattest ausstellen, daß sie Langeweile haben, wenn sie mit sich allein sind. – Noch immer klang das Missionsfest in Margareths Seele nach; sie wiederholte sich die Worte, die da gesprochen, die Worte gestalteten sich zum Liede, sie zog ihr Notizbuch heraus und schrieb.
»Was schreibst Du da so eifrig?« rief Ferdinand, der aus dem Walde heraus trat, durch den ein Fußpfad von seinem jetzigen Aufenthaltsort nach Burgdorf führte.
Margareth zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Ich kann das Missionsfest noch immer nicht vergessen.«
»Bitte, zeig' her, laß mich lesen,« bat Ferdinand.
Margareth reichte ihm das Blatt und er las:
Das Wort, das selig macht.
Die Sage geht: im Waldesgrund
Vernimmt man oft ein dumpfes Läuten, –
Das ist der Glocken Klagemund,
Kannst Du den tiefen Sinn mir deuten?
O horch! Dies dumpfe Läuten dringt
Durch alle Länder, alle Zonen!
Es ist ein Schrei, der sich entringt
Den Herzen aller Nationen.
Nach dem verlornen Paradies
Ein Sehnen geht durch alle Lande.
Wo finde ich das Wort so süß,
Das heim mich trägt zum selg'en Strande?
Es sucht sich mancher müd' und matt
Nach diesem edlen Lebensworte,
Und meint, daß er's gefunden hat, –
– Doch schließt's nicht auf die Himmelspforte.
Zu Indiens üpp'gem Palmenland,
Da wird ein Kindlein zart geboren,
»
Ram, Ram ki jai«
Ram hat gesiegt schreib' in den Sand
Gott
Ram hat es sich auserkoren.
Dem Nam' allein sei Ehr' und Preis,
Der Name giebt das sel'ge Leben;
Mit
Ram sat hai
Ram ist die Wahrheit. entschläft der Greis, –
O sag', kann
Ram ihm Frieden geben?
Nun steige auf zu Tibets Höhn!
Auch da sucht man nach Lebensworten.
Was seh' ich hier am Felsen stehn?
Was grub' man in die Säule dorten?
Hier steht:
Um mani padmi hung,
Ist nur annähernd zu übersetzen: »O Edelstein der Lotosblum'!«
(Die Lotosblume wird bekanntlich dort als Sinnbild des Heiligen gehalten.)
Und dort les' wieder ich das gleiche.
O Tibet, ist dies Wort Dein Ruhm
– Du kniest vor schön geschmückter Leiche! –
Was strahlet dort im Sonnenschein
Von Mekka's hohen Kuppeln nieder?
Welch Wort grub man in Marmor ein?
Was ist der Grundton aller Lieder?
Horch: »
Allah« tönt's von Ort zu Ort,
»
I Ullah muhamed resul.«
Gott ist Gott und Muhamed sein Prophet.
– – Durch alle Völker fort und fort
Geht Sehnen nach dem Lebenswort.
Und suchtest
Du es denn noch nie?
Und hast Du nimmer noch gefunden,
Die ew'ge Gottesmelodie,
Durch deren Kraft wir ganz gesunden?
Sie heißet: Gottes Wunderlieb',
Als
Wort auf diese Erd' gekommen,
Das Wort, von dem Johannes schrieb,
– O, hast Du's nimmer noch vernommen?
Das Lebenswort heißt
Jesus Christ.
Er hat am Kreuz den Tod getödtet. –
Der Du des Lebens Urquell bist,
Du hast auch mich vom Tod errettet!
Dich suchte ich und wußt' es nicht,
Dich meinte ich in meinen Thränen,
O Jesu', meines Lebens Licht,
Nun ist gestillt mein heißes Sehnen.
Verlaßt doch Euren stummen
Ram!
Nicht Blum', nicht
Muh'med kann Euch retten!
Das Wort, das einst vom Himmel kam
Das, das allein bricht Eure Ketten,
Ihr sehnet Euch nach Harmonie
Mit Gott, – sucht sie auf falschem Pfade;
Die ewige Urmelodie
Ist
Jesus Christ und
seine Gnade.
»Ja, Margareth, Du hast Recht,« sagte Ferdinand, indem er das Blatt zurückgab, »und auch ich kann das Missionsfest und was uns da gesagt ist, nicht vergessen. Es hat mich in diesen Tagen viel bewegt, doch nun ist alles bestimmt und entschieden. Will es Gott, so gehe ich nach Indien, werde Missionar und verkünde dort den armen Heiden das Wort, in dem und durch das sie selig werden können.«
»Ferdinand, ist's möglich?« unterbrach ihn Margareth im Tone des höchsten Staunens und der tiefsten Bewegung.
Er war selbst viel zu erregt, um ihre Erschütterung zu bemerken. Er fuhr fort: »Sieh, es ließ mich nicht los, ich habe es still im Herzen getragen mehrere Tage lang, da wurde es mir zu mächtig, und immer klarer erkannte ich, daß es Gottes Wille sei. Nachdem ich darin fest geworden, ging ich zu meinen Eltern und bat um ihre Einwilligung zu meinem Vorhaben. Die Mutter war erst sehr dagegen, weinte und wollte nichts davon wissen, »es wäre mein sicheres Grab, wenn ich nach Indien ginge,« meinte sie, »und es sei noch nie Jemand von dort wieder gekommen.« Da lachte sie der Vater, der früher selbst viel gereist ist, aus, und stellte ihr vor, daß jetzt so viele dorthin gingen und wiederkämen, er meinte, wenn es mein Wille wäre, so hätte er nichts dagegen, wenn ich auf einige Jahre dorthin ginge, hier könne ich vielleicht wer weiß wie lange auf eine Stelle warten, wenn ich aber dort gewesen, so würde ich gewiß hernach viel besser vom Consistorium berücksichtigt werden. O Margareth, wie mich diese Ansichten schmerzten! Ich erklärte auch gleich offen, daß ich nicht aus solchen Gründen ginge, sondern dort bleiben und arbeiten wolle, so lange Gott mir Kraft schenke. »Das wird sich dann schon finden,« sagte mein Vater, »in zwei, drei Jahren wirst Du wohl ganz anders darüber denken.« Kurz und gut, der Vater hat es der Mutter noch so recht vorgestellt und jetzt habe ich die völlige Erlaubniß meiner Eltern. Nun will ich mich bei der Missionsgesellschaft melden, nimmt sie mich auf, wie ich nach Aussage des lieben, neulichen Festpredigers nicht zu zweifeln habe, so gehe ich so bald als möglich fort nach Indien.«
»Nimm mich mit, Ferdinand,« sagte Margareth mit leiser, doch fester Stimme.
Ferdinand lächelte schmerzlich. »Scherze nicht, Margareth! Deutschland ist jetzt Dein liebes Vaterland, – und wer weiß, vielleicht wird es Dir bald noch lieber werden.«
Margareth sah ihn groß an. »Ich scherze nicht, es ist mein völliger Ernst, wenn ich Dich bitte: nimm mich mit. Laß mich mit Dir gehen, Ferdinand, als – Dein Weib.«
Ferdinand erschrack, er stand bewegungslos und sah Margareth an, er konnte ja nicht recht gehört haben, es war ja unmöglich! Aber sie stand vor ihm mit der Reinheit und dem Seelenadel aus dem Gesicht, erröthend, die Augen von unsäglicher Liebe auf ihn gerichtet; er sah diesen Blick, da wußte er, er wurde geliebt, – er schloß sie in seine Arme, – er konnte nicht sprechen, er konnte sie nur immer wieder fest an sich drücken mit dem seligen Gefühl: »sie ist mein, sie ist mein!«
Es dauerte eine geraume Weile, ehe es wieder stiller in ihnen wurde. Als die Herzen anfingen, ein wenig ruhiger zu schlagen, zog Ferdinand seine Geliebte zu sich nieder auf den Waldessaum, Hand in Hand saßen sie da neben einander, und Margareth sprach:
»Sieh, Ferdinand, von klein auf habe ich keinen anderen Gedanken gehabt, als dereinst das Amt, das meine Mutter bei den Hindufrauen und Kindern übernommen hatte, fortzusetzen; im Hinblick darauf bin ich erzogen, es wurde mir als mein Beruf und meine Bestimmung hingestellt, und die Eltern sprachen gern von der Zeit, da ich, aus Europa zurückgekehrt, ihnen eine rechte Hülfe sein würde. Als jene schreckliche Trauerbotschaft von dem Tode meiner Eltern kam, da trat Indien in den Hintergrund, ich dachte kaum noch an eine Rückkehr in jenes Land, denn natürlich hatte ich mehr an meine Eltern als Ursache meiner Rückkehr, als an die armen Heiden gedacht.
So verging eine lange Zeit, da kam ich in jenem Sommer, als wir in Wittekind bei Halle wohnten, in eine kleine Kirche, zufällig, wie man sagt, aber Gottes Hand leitete mich selbst hinein. Hier hörte ich eine rechte Missionspredigt über die Worte: »Jesus von Nazareth, der Juden König, – ist er auch Dein König?« Ferdinand, in jener Stunde, da wachte alles in mir auf: meine Untreue gegen den Herrn, gegen meine Eltern, – o, ich war ein schlechtes Gottes-, ein schlechtes Missionarskind gewesen, hatte andere Dinge lieber gewonnen und meines mir aufgetragenen Berufes vergessen. Ich sah im Geiste alle die Kinder, welche meine Mama unterrichtet, an die sie alle ihre Lebenskraft gewendet hatte, ich sah die kleine Hannah verwahrlost, und sie alle schienen mich anzuklagen: »warum kommst Du nicht und erzählst uns vom Heilande?« Da that ich in jener Stunde das Gelübde, so es Gottes Wille wäre, zu den Heiden zu gehen. Und daß dies wirklich Gottes Wille so ist, das ist mir immer gewisser geworden: ich habe ihn oft gebeten, mir klar und deutlich den Weg zu zeigen, den ich wandeln soll, ich habe ihm versprochen, wenn er mir klar zeigt, sein Wille ist anders mit mir, dann will ich nicht in Eigenwillen gehen, – irdische Rücksichten sollten mich nicht abhalten, kein Lieben und kein Leiden; – sagten aber Pastor Stiegs »nein,« dann wollte ich bleiben. Ein Jahr lang habe ich es Niemand gesagt, mich aber bemüht, alles, was zu meinem künftigen Beruf nöthig ist, zu lernen. Als ich wieder nach Burgdorf kam, habe ich es Onkel und Tante Stieg gesagt, mit der Bitte, Niemand davon zu erzählen. Sie billigten mein Vorhaben, wünschten aber, daß ich noch zwei Jahre warten möchte, – dann sollte ich mich einer Missionarsfamilie, die nach Indien ginge, anschließen und vielleicht in deren Hause wohnend, als Lehrerin der Frauen und Kinder wirken. So war mein Lebensplan, – aber eine schwere, schwere Versuchung kam über mich. Das warst Du, Ferdinand, als Du mir an jenem Abend sagtest, wie lieb Du mich hättest. Ich hatte es längst gefühlt und schon lange den schweren Kampf mit mir selber gekämpft, – o, er war sehr schwer, aber Gott war treu, er half mir; ich wußte, daß ich um irdischer Liebe und irdischen Wohlseins willen meinen Beruf nicht lassen durfte, so mußte ich Dir ein »Nein« antworten. Hätte ich »Ja« gesagt, so würde ich keinen Frieden gehabt haben, denn ich hätte Dir meinen Gott zum Opfer gebracht. Wohl sagte mir der Verstand: ich könne auch hier an den Armen und Kranken arbeiten, ich brauche nicht in weiter Ferne zu suchen, was mir in nächster Nähe geboten wurde. Aber gerade weil mein Herz dies so wünschte, und weil ich weiß, was es für ein betrügliches Ding ist, gerade darum war ich mißtrauisch gegen dasselbe, – da wagte ich es, mich ganz in die Arme des Allmächtigen zu werfen, nur ihn zu wollen, und weg waren alle meine Zweifel und Bedenklichkeiten, ich konnte Dich ruhig ansehen, es war überwunden, und fester als je wurde mir's, daß Gottes Wille wich nach Indien wies.«
Ferdinand hatte still zugehört. »Aber warum sagtest Du mir dies alles nicht damals, dann hätte ich schon früher schon den Entschluß gefaßt.« –
Margareth unterbrach ihn ernst. »Um meinetwillen! Um meinetwillen wärest Du dann Missionar geworden, und Du würdest es über kurz oder lang bereut haben. Nein, Ferdinand, Menschenliebe hält nicht Stich. Jetzt gehst Du um Gottes willen und darum konnte ich Dich nun bitten, laß mich mit Dir gehen. Wir wollen zusammen arbeiten und unserm Herrn da draußen dienen, – o, es ist wohl eine ernste Sache, aber, was man um Gott thut, das wird er gewißlich segnen.«
Ferdinand wagte es kaum, seine Braut anzusehen. Sie kam ihm so groß, so herrlich vor, ja wahrlich eine königliche Jungfrau, in derem Herzen er nie den ersten Platz besitzen würde, – o, wie klein, wie erbärmlich erschien er sich ihr gegenüber; sie hatte freiwillig dem Herrn das Geliebteste geopfert, er fühlte, er wäre es nicht im Stande gewesen.
»Wie liebliche Wege führt der treue Gott,« sagte Margareth sinnend, »mir ist, als könnte mir nun nie wieder etwas schwer werden. Ich dachte, unter fremden Leuten arbeiten, im fremden Hause wohnen zu müssen, und nun will mir Gott in Indien ein süßes Heim geben, und der Mensch, den ich am liebsten auf Erden habe, der soll mein Herr, mein Freund, und immer bei mir sein! O, des wunderbaren Gottes!«
Es war große Freude bei Stiegs, als sie die doppelte Kunde: Ferdinands Entschluß, Missionar zu werden, und Margareths Entschluß, ihn zu begleiten, hörten. Sie konnten es kaum glauben, daß sie ein Brautpaar vor sich sahen, welches um ihren Segen bat. Wohl flossen Margareths Thränen in dieser Stunde, als sie ihrer Eltern gedachte, von deren Lippen sie gern selbst das Segenswort vernommen, doch hatte sie ja an Stiegs einen zweiten Vater und eine zweite Mutter gefunden. Verlobung konnte heute nicht mehr gefeiert werden, Ferdinand wollte morgen früh zu seinen Eltern gehen, um sich erst ihr Jawort zu holen, doch war an deren Einwilligung nicht zu zweifeln. Aber die Herzen waren zu bewegt, um es zu verschweigen; Lilli und Marie wurden gerufen, die Schwestern mußten es noch heut wissen; und auch bei ihnen war große Freude; wohl preßte Marie die Hand auf's Herz, als wollte sie ein ungestümes Klopfen beschwichtigen, wohl griff noch einen Augenblick der Schmerz mit scharfen Krallen nach ihr, aber sie hatte in jener schweren Nacht schon überwunden, sie war des Herrn Magd, ihr geschah, wie er gesagt hat: »Meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.« Sie war fröhlich und selig, denn sie ruhte in Gott und war ein Kind der Gnade. Lang und innig war Lillis und Margareths Umarmung, aber als Marie und die Braut sich umfaßten, da war's als wollten sie einander mit treuen Armen festhalten und nicht wieder lassen, – sie waren sich im letzten Jahre sehr nahe getreten; und dann drückte Ferdinand Marie an sich und küßte sie, und sie konnte ihm so fröhlich Gottes Segen wünschen, – ja, der kindliche Glaube ist der Sieg, der die Welt, den Tod und – das eigene Herz überwinden kann!