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VI.

Nimm hin Dein Weh',
Wirfs in die See
Der heißen Gottesliebe!
O, sie verzehrt,
Was Traurens werth,
Und nichts als Luft Dir bliebe

Die Thräne schwer
Laß nun im Meer
Der Gottesgnad' verschwinden.
O, sieh' wie klein
Die Thräne Dein, –
Sie ist nicht mehr zu finden

Das ganze Herz
Mit seinem Schmerz
Leg' still in Jesu Willen.
O, Seine Treu
Ist täglich neu,
Wird Dich mit Frieden füllen.

Sie würden aber Margareth nicht wieder gekannt haben oder irre an ihr geworden sein, wenn sie dieselbe kurze Zeit darauf einsam an den Wiesen hätten spazieren gehen sehen. Diese hatte sich den ganzen Nachmittag Gewalt angethan, nun litt es sie nicht mehr unter den Menschen, auch die liebsten waren ihr jetzt zu viel, sie mußte allein sein. Und da ging sie mit schnellen Schritten auf und ab, ihr Herz pochte, ihre Stirn brannte fieberisch, schon fühlte sie die Stiche, welche das Kopfweh, das jeder Aufregung folgte, anmeldeten. Was war der starken, ruhigen Margareth? Schon längst hatte sie gemerkt, daß Ferdinand sie liebe, nicht mit einer Bruderliebe, wie sie sich so oft vorgespiegelt hatte, sondern mit der ganzen Liebesgluth eines dreiundzwanzigjährigen Jünglings, und hätte sie noch gezweifelt, der heutige Nachmittag hätte es ihr klar machen müssen! Ihr Herz klopfte höher, sie wußte es längst, daß er der Einzige war, den sie lieben konnte, den sie wieder liebte mit der ganzen Kraft ihres Herzens, sie hatte sich auch täuschen wollen, indem sie sich sagte: ich liebe ihn, wie eine Schwester, – aber, warum liebte sie denn Heinrich, der ihr doch dann noch näher stehen mußte, ganz anders? Warum weilten ihre Gedanken immer bei Ferdinand, warum schlug ihr Herz ihm entgegen, warum sehnte sie sich fortwährend nach ihm? – Mit Schrecken dachte sie daran, daß sie ihn vielleicht lieber habe als Gott, denn unbewußt beschäftigte sie sich fortwährend mit ihm. Und während sie auch jetzt so seiner gedachte, stand er plötzlich neben ihr. Sie schrak leicht zusammen, aber dann faßte sie sich, ruhig nahm sie seinen Arm und sagte: »Willst Du auch noch spazieren gehen?«

»Nein, Margareth,« antwortete er fast heftig, »ich suchte Dich, ich wollte Dir etwas sagen.«

»Aber es ist schon spät,« erwiederte sie, und man konnte ein leises Zittern der Stimme bemerken, »ich glaube, wir müssen nach Hause gehen.«

»Nicht, eh' ich Dir gesagt habe, was mich quält, es drückt mir fast das Herz ab.« –

Margareth zitterte. Dann aber hieß es in ihr: »Nun denn, es sei; dann ist alles abgethan. O Herr, hilf Du mir überwinden.«

»Margareth,« sagte Ferdinand jetzt, »Du mußt es mir längst angemerkt haben, wie lieb ich Dich habe. Nun sage, hast Du mich wieder lieb, und willst Du mein liebes, treues Weib sein?« Er hatte ihre Hände gefaßt und sah ihr in die Augen. Sie schlug sie nieder und sah todtenbleich aus.

Er fuhr dringender fort: »O Margareth, sage nicht nein. Mir ist's, als wäre ohne Dich mein Leben dunkel, ich glaube, Du bist mir vom Herrn gegeben, mich immer wieder auf den rechten Weg zu bringen. Wie oft hast Du's gethan!«

Sie schwieg noch immer. »Sieh, jetzt mache ich bald mein Examen, giebt Gott Gnade, so habe ich in wenigen Jahren eine Pfarrei. Wir sind jung, wir können noch warten. Dann führe ich Dich als mein geliebtes Weib in ein freundliches Pfarrhaus, da bist Du Deines Mannes Freude und Wonne, sein bester irdischer Schatz, da wollen wir Beide für den Herrn arbeiten, wollen wie Onkel und Tante Stieg –«

»O Ferdinand, sei still,« rang es sich aus der armen, gequälten Margareth, »ich kann nicht Dein Weib werden.«

Ferdinand ließ erschrocken ihren Arm los. »Margareth, was sagst Du? O nein!«

»Ich kann nicht Dein Weib werden,« wiederholte sie jetzt ruhiger, »ich kann es nicht.«

»Und warum nicht? Liebst Du mich nicht?«

»O Ferdinand, quäle mich nicht mit Fragen. Glaube mir nur, ich kann, ich darf nicht!«

Eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf. »Ist etwa Herr von Bruch –«

»Verachte mich nicht so,« erwiederte Margareth schnell, »daß Du denkst, ich könne je die Seine werden. Aber dringe nicht in mich, sondern glaube mir. Lieber Ferdinand,« fuhr sie fort und nahm seinen Arm wieder, »laß mich Deine liebe Schwester bleiben, Du sollst keine treuere finden. Laß uns unbefangen und herzlich mit einander verkehren wie bisher, aber mehr verlange nicht von mir. Und sollte es uns schwer werden, wir wollen uns auf den Knien Stärke erbitten, Gott legt nichts auf, er hilft auch tragen.«

»Aber legt denn Gott hier etwas auf? Ist's nicht vielmehr –«

»Nein, es ist Gott, gewiß und wahrhaftig. Er allein. Hier unten sollen unsere Lebenswege wohl auseinander gehen, – o, laß uns ringen, daß wir droben ewig bei einander sind in Gottes Herrlichkeit! Ferdinand, wenn es Dir schwer däucht, dann wirst Du erst herrlich Immanuel kennen lernen in seiner starken Kraft, wirst ihn als den sehen, der aus seiner Kraft den Müden Kraft giebt und Stärke genug den Unvermögenden; Du wirst an Dir selbst erfahren, wie wunderbar der Herr seine Heiligen führt bis an ein seliges Ende, ja ein Ende in einer ewigen, über alle Maaßen wichtigen Herrlichkeit. Laß uns nun ganz zufrieden sein mit dem Loose, das Gott uns bescheren wird, laß uns den guten Kampf des Glaubens kämpfen, bis wir an dem verordneten Ziele sind, wo aller Kampf verschlungen ist in ewigen Sieg, wo kein Schmerz und keine Thräne mehr ist, sondern lauter Freude und Wonne. Ferdinand: – wer überwindet, der wird es alles ererben.«

So sprach Margareth zu ihm, Beider Herzen schlugen etwas ruhiger und Ferdinand konnte ihr die Hand zur »Gute Nacht« reichen, ob es gleich in seinem Herzen wogte und wühlte. Sie aber stand noch lange in ihrem Stübchen, ach nein, mit dem Stehen war's bald vorbei, sie sank auf ihre Kniee, sie weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte und lange dauerte es, ehe sie wieder beten konnte: »Herr, mein Herr und mein Gott, nimm alles hin, nimm mich ganz und gar! Nach Dir, nach Dir allein hungert und dürstet meine Seele. Ich liege hier vor Dir, ich gebe mich ganz in Deine Hände. Du kennst mein Herz, Du weißt, daß ich nichts will, als Deinen Willen thun, nein, nein, es darf kein Mensch zwischen uns treten, Du bist mein und ich bin Dein. O, mache mich stark, in allem zu überwinden! Vergieb meine Thränen, ich kann nicht anders, – aber gern, gern will ich Dir alles opfern, reiß mein Herz aus meinem Herzen, wär' es auch mit tausend Schmerzen. Ich habe mich Dir gelobt, nun hilf, daß nichts zwischen uns tritt, ich will Dein sein und keines Andern. Du liebst mich viel mehr als Ferdinand, Du bist für mich gestorben, o wie erbärmlich, daß ich Dir nichts, nichts opfern kann. Aber nun hilf mir zum Vorwärtsgehen, Herr, ich kann nichts, Du kannst alles, ich bin Dein, heute und in alle Ewigkeit, Niemand kann, Niemand soll mich aus Deiner Hand reißen. Ich bin Deine Braut, zu Deiner Ehre will ich leben,

Schenke, Herr, auf meine Bitte,
Mir ein göttliches Gemüthe,
Einen königlichen Geist!
Mich mit Dir verlobt zu tragen,
Allem willig abzusagen,
Was noch Welt und irdisch heißt.«

Und Gott, der in ihr Herz sah, und es dem Aufrichtigen gelingen läßt, kam mit seinem Friedensgeist über Margareth, stille wurde es in ihr, ganz stille; als sie sich von den Knieen erhob, blickte ihr Auge fast heiter, eine ruhige Festigkeit lag auf ihrem Gesicht, – sie hatte gekämpft und gesiegt.

Gerade unter Margareths Kammer lag die von Marie. Die drei Mädchen hatten jedes ihr eigenes Zimmerchen. Die Pastorin Stieg meinte, wo es die Räumlichkeiten des Hauses irgend gestatteten, da müsse jedes sein apartes Schlafzimmer haben, und da das Pfarrhaus groß genug war, Kammern und Stuben barg, wo kein Auge mehr welche suchte, so war es nicht schwer, diesen Wunsch auszuführen. Sie wußte es aus ihren Mädchenjahren, wie man Abends nach einer stillen Stunde verlangt, wie man sich sehnt, mit Gott allein zu sein, wie man ihm so vieles zu sagen und zu vertrauen hat, was auch das Schwesterohr nicht hören darf. Marie wußte ihrer Mutter Dank für diese Einrichtung, sie hatte schon oft den Segen dieses Alleinseins erfahren, sie hatte schwerere Kämpfe mit ihrem Herzen, als viele Andere; was denen leicht erschien, kostete sie harten Streit; wie viel hatte sie täglich dem Herrn abzubitten, wie bedurfte sie es, Kraft um Kraft zu nehmen aus der Fülle seiner Gnade! Und auch am Tage eilte sie oft in ihr stilles Stübchen, schob rasch den Riegel vor und kniete nieder, um ihren Gott um Sieg über den bösen, schwarzen Wurm in ihrem Herzen zu bitten. O, es war wohl eine heilige Stätte dort an ihrem Bette, auf welche das Auge Gottes oft mit Freuden herabschaute, und an welcher seine heiligen Engel ihre Lust hatten!

Heute wollte das Licht in Marie's Kammer immer noch nicht verlöschen, es beleuchtete ein weinendes Mädchen, das auch einen schweren Kampf kämpfte; nicht so leidenschaftlich, wie über ihr Margareth, aber darum nicht minder tief. Marie konnte sich's nicht verhehlen, daß sie Ferdinand so treu und innig liebe, wie nur je eine Jungfrau geliebt hat. Aber eben so wenig konnte es ihr verborgen bleiben, daß diese Liebe hoffnungslos war, daß Ferdinand weder davon wußte, noch sie im entferntesten erwiderte. Wohl hatte sie gestrebt, diese Gefühle tief in's Herz zurück zu drängen, daß keines Menschen Auge sie sah, aber Ferdinand gegenüber hätte sie dies nicht nöthig gehabt. Ihm hätte sie offen zeigen können, was sie bewegte, er würde es nicht gesehen haben, er hatte nur Augen für Margareth. Längst hatte Marie dies gemerkt, heute Nachmittag hatte sein Betragen es offen ausgesprochen, nachher waren Beide verschwunden gewesen, Marie glaubte mit Bestimmtheit, daß morgen ein Brautpaar im Hause sein würde. Und wieder war es Margareth, die Glückliche, die als Kind ihr vorgezogen war, die nun als Jungfrau ihr den, den ihre Seele liebte, nahm. Und Niemand ahnte, was sie litt; während es in ihrem Herzen wie mit Messern wühlte, glaubte Jeder, daß ihr Leben ruhig und glücklich sei. Aber es sollte auch Niemand wissen von ihrem verborgenen Kampf, nicht Ferdinand, nicht Margareth durften es ahnen, Vater und Mutter sollten nicht in ihres Kindes Seele mit leiden. Marie wandte sich an den himmlischen Vater, der da wußte, was sie bedurfte, der helfen konnte und bereit war zu helfen. Nicht gleich konnte sie heute den Zugang zu ihm finden, in ihr wogte und wühlte es; Neid, Bitterkeit Aufregung und Schmerz stritten um die Oberhand. »Warum? Warum?« hieß es immer wieder, »warum mir das? Wie werde ich es ertragen können?« Aber allmählig löste sich der stumme Schmerz in Thränen auf: »es ist ja Gottes Wille, es muß sein Wille sein! Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen.« Sie schlug die Bibel auf, darin lag ihr Confirmationsspruch: »Ich bin des Herrn Magd.« »O, daß ich auch eine solche Maria werden könnte, auch eine einfältige Magd des Herrn, die nicht rechts noch links sieht, sondern nur gehen will, wie Gott sie führt!« Wohl war Marie's Herz noch voll tiefen Bebens und voll Trauer, aber sie konnte über dem Menschen, der sie verschmähte, den Heiland sehen, der seine Arme ausbreitete, um sie ganz zu sich zu ziehen. Je mehr sie ihn ansah, je mehr fühlte sie sich über alle Angst und alles Weh empor gehoben, um so lebendiger fühlte sie sich umfangen, gestärkt, um so seliger durchdrang ein heiliges Gefühl ihr ganzes Wesen: eine Sehnsucht nach Erlösung, nicht von Sorge und Noth, sondern von der Sünde, von dem eigenen trotzigen und verzagten Herzen. Ferdinand und all ihr Lieben war jetzt in den Hintergrund getreten, sie wollte nichts, als den Herrn, sie bat, er möge ihr alles nehmen, woran ihr Herz noch hinge, er möge mit ihr und aus ihr machen, was er wolle, sie schlagen, züchtigen: »laß, mich nur Dein sein und bleiben, – ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn.« Und wie sie sich dem Heiland so willenlos in die Arme legte, da fühlte sie, wie Genesung und Heil von ihm ausging, wie er ihre Ohnmacht in Macht, ihren Kampf in Sieg, ihr Sterben in Leben verwandelte. Es durchdrang Leib und Seele ein Licht, wie sie es früher nie gesehen, ein Trost, wie sie ihn noch nie empfunden, eine Freude, eine Zuversicht, die sie noch nicht gespürt hatte. Sie staunte fast: sie stand ja noch in demselben Leiden, das sie vor kurzer Zeit hatte zu Boden drücken wollen, der Schmerz war nicht von ihr genommen, aber der Stachel des Schmerzes, ihre Sünde, die nicht Gottes Wege gehen, sondern sich selbst ein Glück hatte nehmen wollen, – und nun lag das Leid so weit hinter ihr, sie fühlte schon jetzt, welch einen überschwänglichen Segen der Gehorsam gegen Gott bringt. O, es ist ein köstlich Ding, in diesem Gehorsam seinen Beruf erkennen, in dem Thun des Willens Gottes seine Ehre und Seligkeit finden! Gottes Wort ist mein Licht aus dem Wege, meine Leuchte, meine Wonne. Großen Frieden haben, die sein Gesetz lieben, und werden nicht straucheln. Marie wußte jetzt, wem sie gehörte, wen sie liebte, für wen sie arbeiten, wem sie dienen, für wen sie leben und sterben wollte:

»Siehe, ich bin des Herrn Magd.«

Nun konnte sie Gott auch noch um ein fröhliches Angesicht, um eine heilige Freude, wenn jetzt Ferdinand und Margareth sich verlobten, um eine rechte, feste, treue Liebe zu letzterer bitten, – sie bat im Namen Jesu, sie war sein, und Gott sprach Ja und Amen zu der Bitte.

Am andern Morgen lag auf Margareths und Marie's Angesicht der Kuß des Herrn, den sie über Nacht empfangen hatten. Ein stiller Friede, eine heilige Freude sprach sich in allen ihren Bewegungen und in ihrem ganzen Thun aus, aber sonst geschah nichts Ungewöhnliches. Ferdinand erklärte, daß er auf einige Zeit zu seinen Eltern gehen wolle; das war nichts Neues, es war so wie so bestimmt gewesen, daß er den Rest der Ferienzeit dort zubringen sollte. Margareth reichte ihm zum Abschied die Hand und sagte innig: »Bleib' nicht zu lange, es ist so schlimm, wenn wir drei Mädchen uns in einen Bruder theilen müssen.«

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