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14.

»Ich für meine Person,« sagte Frau Franziska einige Tage nach der Profeß zu Maria, »ich für meine Person ziehe vor, die demütige Braut des demütigen, gekreuzigten Heilands zu sein.«

»Ich doch auch,« sagte Maria mit etwas unsicherer Stimme.

Die Nonne lächelte: »Man braucht Sie nur anzusehen, um zu wissen – Frau Theresia hat sich den glorreichen Heiland zum Bräutigam auserkoren. Aber der Weg zum Himmel geht über Golgatha.«

Maria sah der mit demütig gesenkten Augen davon schreitenden Nonne betreten nach.

Sie selber stand unter einem Baum im Garten, Brevier und Rosenkranz in der Hand.

›Hat nicht ein wenig Bosheit in Frau Franziskas Stimme gelegen?‹ fuhr es ihr durch den Sinn, denn sie war nicht mehr so gläubig wie früher, nicht mehr so ganz von der Vollkommenheit ihrer Mitschwestern überzeugt.

.

Indes, Frau Franziska hatte nicht unrecht, die neue Frau Theresia sah nicht wie eine Braut des Gekreuzigten aus, sondern wie das blühende Leben.

Überall um sie her im Garten sproßte und keimte es, die Vögel schmetterten in den Zweigen.

»Ist diese mächtige Freude an diesen irdischen Dingen auch recht?« fragte sich Maria.

Sie hätte jauchzen mögen, mit ausgebreiteten Armen durch den Garten eilen mögen. –

Und dann urplötzlich stand ihr das Herz still – Wenn der Augenblick kam und sie ins Chor gerufen wurde –

Wenn sie vor Markus stand – Ach diese brennende Röte, die schon der Gedanke an Markus ihr ins Gesicht trieb!

Warum ging sie nicht zu Frau Benedikta, um ihr zu sagen – ich darf nicht – Sie wissen es doch – ich kann unmöglich im Chor malen – ich fürchte mich, Frau Benedikta –

Aber sie sagte nichts; sie wußte selbst nicht warum – sie wollte nichts sehen und nichts hören –

»Aber wo ist denn Frau Benedikta?« fiel ihr eines Tages ein. Sie hatte sie eine ganze Weile nicht gesehen, weil sie überhaupt an nichts anderes zu denken vermochte als an jenen Augenblick – wenn sie und Markus einander gegenüberstanden ...

Niemand gewahrte ihren häufigen Farbenwechsel, diesen Blick des Schreckens, den sie plötzlich ins Leere richtete – niemand als Frau Benedikta.

Sie saß jetzt meistens an jener Stelle im Garten, wo die Alten und Leidenden sich von der Sonne bescheinen ließen.

Das Leben, das sie da oben im Turme geführt, dieses Ringen und Kämpfen mit ihrer eigenen schwachen, unentschlossenen Natur, hatte Frau Benedikta um ihre Gesundheit gebracht.

Am Tage von Marias Profeß, damals im Garten, hatte ihr zum erstenmal das Herz still gestanden – Bei der Frage der Äbtissin geschah's – ob man das Erscheinen des Malers in eben diesem Augenblick, als das Chor bemalt werden sollte, nicht für einen Fingerzeig Gottes halten müssen?

Jawohl, das Erscheinen des Malers war auch für Frau Benedikta ein Fingerzeig Gottes, aber in einem ganz anderen Sinne.

So fand Maria ihre bleiche Lieblingslehrerin eines Tages unter den Leidenden sitzen.

»Ist Frau Benedikta krank?« wandte sie sich voll Schrecken an Frau Cäcilia.

»Sie ist herzleidend,« gab ihr diese zur Antwort.

»O liebster Gott,« entfuhr es Maria, »ist das gefährlich?«

»Gefährlich – aber, Frau Theresia, täglich dem lieben Gott näher kommen, das nennen Sie gefährlich?«

Es war weniger das, was Cäcilia sagte, als der Ton ihrer Stimme, der Maria bis ins Innerste zusammenschaudern machte.

Sie stand und blickte der weiter schreitenden Frau nach, und jeder Zug in deren Gesicht erschien ihr plötzlich hart und abstoßend.

Als sie im Laufe des Tages die Äbtissin allein traf, eilte sie mit der Frage auf sie zu:

»Ist's wahr, ehrwürdige Mutter, ist Frau Benedikta herzleidend?«

»Tragen wir nicht alle den guten Tod im Herzen, mein Kind?« bekam sie von dieser zur Antwort.

Gott, Gott, wie weit war sie noch von dieser vollkommenen Abtötung entfernt, sie, mit ihrem brennenden Weh im Herzen, mit ihrer irdischen Angst um Frau Benediktas Leben – Sie verlieren –

Nichts hielt stand vor diesem Gedanken. Sie hatte dann niemanden mehr auf der Welt – niemand mehr, der ihr beistand – wenn – ja wenn irgend etwas geschah –

Kurz nach der Profeß war ihr Großonkel gestorben; so schwach und willenlos er war, sie hatte doch immer gewußt, in seinem Innern pochte ein Herz.

Bei seinem letzten Besuch hatte sie ihn plötzlich gefragt:

»Ist's wahr, daß meine Urgroßmutter eine schlechte Frau gewesen ist?«

»Gut war sie und schön und freudig bis ins hohe Alter,« gab ihr der Großonkel zur Antwort. »›Du bist ein armes, lahmes Bürschle‹, hat sie einmal zu mir gesagt, ›du wirst dir nie dein Glück erkämpfen.‹ Wie du klein warst,« setzte er nach einer Pause hinzu, »hast du mich oft an sie erinnert – du hast es auch verstanden, dich um dein Glück zu wehren – damals –«

Und sie mußte gestehen – auch jetzt war noch in ihrem Innern ein irdisches Glücksbedürfnis – gerade in der letzten Zeit –

Nein, sie wollte nicht nachdenken – es kam nichts Gutes heraus, wenn sie grübelte – seltsame Vergleiche – wunderliche Wünsche stiegen in ihr auf – war sie nicht neulich der Versuchung nahe gewesen, sich im Fenster zu bespiegeln, ob sie der Urgroßmutter gleiche –

Die Angst um Frau Benedikta heilte sie von diesen sündhaften Anwandlungen.

Es war den Nonnen erlaubt, sich im Garten zu ergehen, wenn sie ihr Lager früher verließen als geboten war. Maria machte von dieser Erlaubnis öfteren Gebrauch; dem Landkind that die Morgenfrische wohl; sie genaß immer von all ihren Kümmernissen im Frührot des jungen Tages.

So ging sie auch jetzt nach halb durchwachter Nacht den Laubgang entlang.

War Frau Benedikta gefährlich krank? wer ihr darauf eine Antwort hätte geben können – eine bestimmte Antwort, nur um Gottes willen nicht wieder solch schrecklich kalte unklare Worte –

Da fiel ihr Frau Petronilla ein – warum hatte sie nicht früher an sie gedacht? Sie lief, daß ihr der Schleier flog. Zum erstenmal seit sie ihn trug, vergaß sie ihrer Würde.

Frau Petronilla stand unter ihrer Hühnerschar und riß die Augen weit auf, als sie die junge Nonne daher rennen sah.

»Ich – ich möchte – ich hab' etwas auf dem Herzen,« schnitt ihr Maria die Frage vom Munde ab, »um des Himmels willen, sagen Sie mir – ist Frau Benedikta schwer krank?«

Frau Petronilla fuhr mit der Hand in den Sack voll Körner, den sie im Arm trug, ganz mechanisch; sie versuchte auch zu lachen wie immer; aber plötzlich beugte sie das Haupt und schluchzte wie ein Kind in ihre großen, roten Hände hinein.

Maria schlang in heller Verzweiflung beide Arme um die weinende Frau.

»Sie wird uns doch nicht sterben – sie darf uns nicht sterben –«

Frau Petronilla faßte sich; sie kannte die Ursache von Frau Benediktas Leiden; die Freundin hatte sich ihr anvertraut –

Und in Frau Petronilla stieg ein tiefer Groll gegen das ahnungslos vor ihr stehende Geschöpf auf:

»Es wäre nicht so schlimm,« stieß sie rauh hervor, »wenn sie sich schonte – sie könnte noch lange leben – ja wenn – Brrr,« machte Frau Petronilla, nahm eine Hand voll Körner und warf sie so heftig über die Hühner hin, daß sie aufkreischten.

Als Maria mit rotverweinten Augen aus der heiligen Messe kam, erwartete sie Frau Benedikta:

»Kommen Sie, mein Kind, die Arbeit wartet im Chor; Ruhe,« setzte sie hinzu, als sie Marias tiefes Erbleichen gewahrte; und sie erfaßte die Hand der jungen Nonne, die wie nach einem Halt suchend in die Luft gegriffen hatte.

Maria wußte nicht, wie sie die Treppe hinauf kam; sie hatte die Empfindung, als schreite sie einem entsetzlichen Ereignis entgegen, als würde diese nächste Minute ein fürchterliches Geheimnis enthüllen. Ihr einziger Halt war diese kleine warme Hand der Frau Benedikta, die ihre eiskalte so fest umspannt hielt –

So trat sie mit den übrigen Nonnen in das Chor, äußerlich ebenso kühl und gemessen wie die anderen Frauen; sie verneigte sich auch wie diese und hielt die Augen gesenkt.

Sie hörte die Stimme der Äbtissin wie aus weiter Ferne sagen:

»Das sind Ihre Gehilfinnen, Herr Klein.«

Dann nahm Frau Benedikta das Wort; ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit sprach sie sehr rasch, dabei heimlich mit dem Atem kämpfend.

Sie und der Herr Maler seien miteinander wegen der Einteilung der Arbeit übereingekommen; die Aufgabe der Frauen sei die Umrahmung der Wandbilder –

»Die Gemälde sind angedeutet, wie Sie sehen,« sprach sie, »hier bekommen wir das Bild der Frau Äbtissin, gegenüber eine heilige Cäcilia. Wollen Sie die Umrahmung dieser Bilder malen?« wandte sie sich an Frau Franziska.

Sie eilte zum Altar.

»Hier links wird eine Pietà hinkommen, rechts die Muttergottes mit dem Kind –«

Sie nahm Maria bei der Hand:

»Hier malen Sie, Frau Theresia.«

Das laute Sprechen that Frau Benedikta sehr wehe, aber sie fuhr fort zu erklären.

Jede der Frauen sollte ihre Arbeit selbst zusammenstellen, der Herr Maler werde ihnen behilflich sein; eine günstigere Gelegenheit zum Lernen werde ihnen so bald nicht wieder geboten.

Sie holte ein paar Papierrollen herbei.

»Da habe ich mir schon etwas für die Pietà zurechtgelegt,« wandte sie sich an den jungen Künstler, »und bitte um Ihren gütigen Rat.«

Markus beugte sich über die ihm vorgelegten Blätter.

Er hatte noch kein Wort gesprochen. Seiner Gesichtsmuskeln war er so ziemlich sicher, ob auch seiner Stimme?

Er war mit dem Gedanken gekommen: ›Tritt sie mir unbefangen, mit dem offenen Blick einer in sich gefestigten Seele entgegen, dann hat sie mich vergessen, und ich habe kein Recht ihren Frieden zu stören –‹

Sie trat herein, und er erkannte auf den ersten Blick, sie hatte ihn nicht vergessen. Er sah das Zittern ihrer Wimpern auf den tief erblaßten Wangen, und sein scharfes Auge entdeckte das Wanken ihrer Kniee unter dem Gewande.

Nun stand sie von ihm abgewandt vor seiner flüchtigen Skizze von Mutter und Kind –

O diese liebe, weiche Stimme, die da plauderte und jeden beschäftigte und den beiden Zeit ließ, sich zu sammeln!

›Die weiß um alles,‹ sagte sich Markus, ›die weiß um alles –‹

Er war jetzt im Reinen, er fand sich wieder.

»Vortrefflich,« sagte er, Frau Benediktas Skizze entfaltend. »Sie sind eine große Künstlerin, Frau Superiorin; auf eine solche Hilfe habe ich nicht zu hoffen gewagt –«

.

»Sie werden auch mit Frau Franziska und gewiß auch mit Frau Theresia zufrieden sein,« meinte Frau Benedikta.

Die Äbtissin, stolz über das Lob, das ihrer Superiorin geworden, mischte sich jetzt in die Unterhaltung. Markus sprach sich ruhig und sicher, mit großer Sachlichkeit über seine Pläne aus; zuweilen richtete er sein Auge auf die Äbtissin, indem er bei dieser oder jener ihrer Stellungen ein: »Das wäre schön! Das wäre gut!« – ausrief.

Ihren Ratschlägen, bezüglich der Auffassung seiner Bilder, widersprach er ruhig; er lächelte über ein Bildchen der heiligen Cäcilia, das ihm die hohe Frau vorwies mit dem Bemerken, er möchte sich nach diesem Vorbild richten.

Er fand es der Stimmung des Ganzen angepaßter, der heiligen Cäcilia die Tracht des Klosters zu geben.

»Vielleicht,« setzte er hinzu, »finde ich unter den Frauen eine Erscheinung, die mir zum Vorbild dienen könnte.«

Er sah sich um:

»Unter den anwesenden Frauen eignet sich keine.«

Der Äbtissin, die keinen Augenblick zweifelte, daß sich Frau Cäcilia vortrefflich als Vorbild für die Heilige verwenden ließe, war der Gedanke unerträglich, ihre Untergebene mit einem Heiligenschein im Chor verewigt zu sehen, während sie, die Äbtissin, ohne einen solchen war.

Sie sprach hin und her und hatte tausend Bedenken.

Frau Benedikta, die sie durchschaute, kam ihr zu Hilfe.

»Ich fürchte, es möchte als eine Anmaßung unsres Ordens erscheinen, wenn eine Frau in unsrer Tracht den Heiligenschein trüge.«

»Ich lasse ihn weg,« erklärte Markus, »die Heilige soll allein durch ihren Ausdruck wirken.«

In Maria war eine Wandlung vor sich gegangen; der erste Ton von Markus' Stimme hatte die krampfhafte Angst in ihrem Innern gelöst; es war eine fremde Stimme, die mit der des Gespielen nichts mehr gemein hatte. Und war es nicht auch ein fremder Mann, der da herum ging und über alle möglichen Dinge redete, als habe es nie eine Dorfstraße gegeben, nie eine liebe kleine Küche mit einer blauäugigen Frau, die erzählte und zwei lauschenden Kindern –

Sie wandte sich jäh um und sah ihn an.

Er hatte ein blasses, nichtssagendes Gesicht, und seine dunklen Augen glitten mit vollkommener Gleichgültigkeit an ihr vorbei.

Da sah sie wohl, die Vergangenheit war bei ihm abgethan, und all die Angst, die sie ausgestanden, kam ihr fast lächerlich vor.

Trotzdem, die Befangenheit gab sie nicht frei; so oft sie das Chor betrat, es war immer das Gleiche; ihr Herz wurde rebellisch, und sie brauchte eine ganze Weile, bis sie den Mut fand, Markus anzusehen. Und alsobald wurde sie ruhig.

Sie wußte nicht, woher das kam, sie bildete sich ein, er mißfalle ihr; es war aber die große, feste, bestimmte Art des Mannes, die ihr den Halt gab.

Er schien nur für seine Arbeit da zu sein. Bald saß ihm die Äbtissin, bald Frau Cäcilia, und Maria konnte sich nicht genug über die Willfährigkeit der beiden Frauen ihm gegenüber wundern; mit seinem: »Nein, bitte,« schnitt er jeden ihrer Vorwände ab.

Er war der Meister in diesem Raume. Ohne eine Miene zu verziehen, prüfte er die ihm von den jüngern Nonnen vorgelegten Entwürfe für die Umrahmungen der Wandbilder.

»Gut,« sagte er zu Frau Franziska, die ihn nie ansah, weil er ein Mann war, »wir können diese Umrahmung sowohl für das Bild der heiligen Cäcilia als für das der Frau Äbtissin verwenden.«

Dann betrachtete er Marias Arbeit, die Stirne gefaltet, die Lippen fest zusammengepreßt.

Frau Benedikta, der das leise Vibrieren seiner Stimme schon zum öftern das tief bewegte Innere des jungen Mannes verraten, bemerkte recht wohl die Gewalt, die er sich anthat, um auch jetzt seiner Erregung Herr zu bleiben.

»Arme Kinder,« seufzte sie in sich hinein, »da muß ich helfen –«

»Unsere Frau Theresia thut gern ein wenig zu viel,« meinte sie, bloß um etwas zu sagen, um die peinliche Stille zu unterbrechen.

»Noch lange nicht genug,« ereiferte sich Markus, »hier kann man nicht reich, nicht warm genug zu Werke gehen; diese Umrahmung bietet Gelegenheit zu den sinnigsten Ausführungen; denken Sie sich kleine Engelsköpfchen, die einen Lobgesang anstimmen auf dieses Höchste, was die Kirche je zum Ausdruck gebracht: die Darstellung von Mutter und Kind –«

Maria warf einen zum Tod erschrockenen Blick nach der Äbtissin – Warum schwieg sie, warum belehrte sie den jungen Mann nicht, daß es noch weit höhere Dinge gab als Mutter und Kind –?

Da fiel ihr ein: Großer Gott, er meinte ja die Muttergottes, und so wurde er auch verstanden – Nur ich – bin ich denn die Schlechteste von allen?

Konnte sie daran zweifeln, mußte sie sich nicht anklagen – schon des Morgens beim Erwachen, ehe sie ihre Seele Gott zugewandt, war nicht alles in ihr Freude und Sehnsucht nach jenen Stunden im Chor –

Und er war zufrieden mit ihrer Arbeit – ganz kurz nur hatte er es ihr gesagt, ein einzigesmal –

Nun stand sie an ihrer Wand, und jeder Pinselstrich gab ihr Seligkeit.

Das Bild des Wandfeldes war untermalt, die hohe Gestalt der Jungfrau trat täglich deutlicher in ihren Umrissen hervor; er malte daran, wenn er allein war, ebenso an der Pietà.

Er litt es nicht, daß Frau Benedikta während des Malens stand und brachte ihr selbst einen Stuhl herbei; zuweilen bat er sie, an seiner Seite zu bleiben, während ihm die Äbtissin oder Frau Cäcilia saß. Immer verlangte er nach dem Rat, dem Gutachten der kleinen Frau, und wenn er sie etwas fragte, wie sanft klang seine Stimme. Es war so, als redeten sie eine Sprache.

Aber nur Maria merkte den Unterschied im Tone; sie brauchte sich nicht einmal umzuwenden, um zu wissen, ob er mit der Äbtissin oder mit Frau Benedikta redete. Sie hatte tausend Ohren.

Zuweilen, nicht oft, unterlag sie der Versuchung und sah sich um; wie hatte sie ihn nur unschön finden können!

Dieser intensive, so ganz und gar in seinen Gegenstand versunkene Blick, und wie die Anstrengung des Schauens den ganzen Menschen vergeistigte!

Er konnte stundenlang schweigen, es war doch, als ordneten sich alle, die da waren, seinem inneren Willen unter.

Maria konnte, wenn sie von ihrer Arbeit aufschaute, sowohl die Äbtissin als Frau Cäcilia auf dem für die Frauen zum Sitzen errichteten Brettergerüste sehen. Und so mit der Zeit fiel ihr mehr und mehr der Unterschied zwischen diesen schönen, glatten Frauengesichtern und dem des jungen Mannes auf; diese Falten auf seiner Stirne waren nicht erst jetzt entstanden, diese feinen Linien um seinen Mund, die bald herben Trotz, bald eine so kindliche Güte, eine so überlegene Schalkhaftigkeit verrieten, erzählten sie nicht von einem Leben voll tiefen, ehrlichen Empfindens und Ringens?

Was hatte er doch neulich gesagt? Die Äbtissin hatte die Frage an ihn gestellt, ob er gern porträtiere.

Ein Porträt, gab er ihr zur Antwort, sei stets eine Bereicherung für ihn, denn für den Maler habe nicht nur das Äußere eines Menschen Interesse, seine Aufgabe sei, in den Zügen eines jeden Gesichtes die Seele zu finden und zum Ausdruck zu bringen.

»Kümmert man sich da draußen wirklich um die Seele?« fragte die Äbtissin.

»Aber Körper und Seele sind doch nicht zu trennen,« gab ihr Markus zur Antwort.

»Nicht zu trennen,« fiel ihm die Äbtissin in die Rede, »geht doch der Körper den Weg zur Sünde, und müssen wir ihm nicht absterben, damit unsere Seele das wirkliche Leben der Gnade genieße?«

›Wie leer, wie hohl sind diese Worte,‹ schoß es Marie durch den Kopf, aber sie erschrak alsogleich und heftete den Blick wie um Verzeihung bittend auf das Antlitz der Äbtissin.

Diese stand, nachdem sie gesprochen hatte, auf ihrem Gerüst, stolz und einsam, die keuschen, diamantscharfen Nonnenaugen streng auf Markus gerichtet.

»Bleiben Sie so,« rief er aus, »ganz so – jetzt haben wir den Ausdruck –«

Eine Weile war's, als atme kein Mensch im Chor; die Augen der jüngeren Nonnen hingen voll Ehrfurcht an dem Antlitz der Äbtissin, die der Aufforderung des Malers nachkam und wie eine Bildsäule stand.

Maria wandte sich nach dem Jugendgespielen um, und zum erstenmal erkannte sie ihn wieder; genau so pflegten schon damals die Muskeln in seinen Wangen zu zucken, wenn ihn ein Gegenstand fesselte, und wie damals ging er auch jetzt ganz drin auf; es war nichts anderes für ihn da als die Äbtissin.

Nichts anderes – Maria seufzte tief auf und kehrte zu ihrer Arbeit zurück; über ihre Wangen rollten dicke Thränen, die sie mit den Lippen auffing, da sie sich fürchtete, auch nur eine Bewegung mit der Hand zu machen.

Wie thöricht war sie doch; sie hätte ruhig weinen und schluchzen können, er beachtete sie ja nicht –

Frau Benediktas Verkehr mit Markus aber wurde immer freier, immer herzlicher.

Sie erkundigte sich nach seinem Leben; er habe es wohl nicht leicht gehabt, meinte sie.

Er lächelte: »Ein Dorfbub, der nichts von der Welt weiß, nur den Drang in sich fühlt, zu bilden, zu schaffen – und doch auch wieder diesem Drange, dieser Sehnsucht mißtrauen muß – Ich habe ja von Kindheit an nichts anderes gehört, als ich sei ein Tagedieb, meine Klecksereien waren Verbrechen in meines Vaters Augen – Nun komme ich in die Stadt – ein ungeschickter, in sich unklarer Geselle, und diese wohlgekleideten, sich wohl ausdrückenden Leute, mit denen ich zu thun hatte – Ich kam mir oft wie ein halber Lump vor, denn ich gehörte nicht zu ihnen, ich gehörte auch nicht mehr in meine alten Verhältnisse. Die Gespräche dieser Leute – hauptsächlich ihre Gespräche über Kunst – verwirrten mich – ich dachte ganz anders und hatte doch nicht den Mut zu widersprechen – ich war ja viel zu ungeschickt – der Ausdruck fehlte mir – Und ich litt unter diesem Zwiespalt – ich kam mir unwahr – unaufrichtig vor –

Da sollte ein schöner Tag für mich anbrechen; ich hatte eine kleine Arbeit vollendet und zeigte sie einem mir als großer Kunstkenner gepriesenen Mann – Und was der sagte –«

Markus lachte, er lachte, daß es durch den ganzen Raum schallte und sämtliche Nonnen zusammenfuhren.

»Der hat mich kuriert,« sagte er nach einer Pause, noch immer lachend, »es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und ich wußte mit einem Male, was es mit dem sogenannten Kunstverständnis so vieler dieser Gebildeten für eine Bewandtnis hatte. Da malte ich meine Bilder wie es mir gefiel.«

»Und sie gefielen allen?« fragte Frau Benedikta.

Er nickte: »Heute erhielt ich die Nachricht, daß mein Dorfbildchen – spielende Kinder im Lenz – eine Medaille auf der Kunstausstellung erhalten.«

»Wie Sie das beglücken muß,« meinte Frau Benedikta.

Er besann sich einen Augenblick, dann sagte er:

»Das Gefühl wirklichen Glückes giebt nicht das Fertige, Abgethane – nur das Werdende, das, was noch nicht ist, aber schon halb aus dem Unbewußten dämmert – das ist wohl das Herrlichste, die sichere Zuversicht: welcher Fülle stehe ich gegenüber und wie viel werde ich noch leisten –«

»Mit Gottes Hilfe,« fühlte sich Frau Franziska befugt, in Abwesenheit der Äbtissin und da die Superiorin an keine Zurechtweisung zu denken schien, den Worten des jungen Mannes beizufügen.

»Was können wir denn ohne die Hilfe Gottes,« fuhr sie zu sprechen fort, »was sind wir, daß wir es wagen dürfen, von unseren Thaten zu sprechen, als seien wir wirklich imstande, aus uns selbst etwas zu leisten –«

Eine tiefe Stille folgte auf diese kleine, im vorwurfvollsten Ton gehaltene Rede.

Maria war rot geworden, dunkelrot; sie mußte sich mit aller Gewalt zusammennehmen, um Frau Franziska nicht mit einem: ›Wie kannst du es wagen – wie kannst du dich unterstehen‹ – ins Wort zu fallen.

Markus blieb ganz still; was er wohl dachte?

Sie hörte plötzlich, daß er sein Gerüst verließ; er ging von Zeit zu Zeit herum, um nach den Arbeiten der Frauen zu sehen. Jetzt stand er bei Frau Franziska.

»Hier hat Sie der liebe Gott ein wenig im Stich gelassen,« sagte er, mit der Hand eine Stelle bezeichnend.

Maria lachte laut auf – das war ja der alte Markus, der alte Markus mit seinen Strafgelüsten!

Sie hatte sich umgewandt, sie sahen sich an – O dieser Blick, es war derselbe, den sie als Kinder so oft gewechselt, wenn ihnen ein Streich gelungen war. Allein auf dies jähe Aufblitzen folgte ein anderer Blick –

Maria erschrak so heftig, daß ihr für einen Augenblick der Atem ausging, es wurde ihr schwarz vor den Augen –

Da trat Frau Benedikta an ihre Seite; ganz leise kam sie heran und legte die Hand auf Marias Arm.

.

Die Frauen hatten das Chor verlassen; Frau Benedikta zögerte noch unter der Thüre.

»Einen Augenblick – ich möchte Ihnen noch etwas zeigen, Frau Superiorin,« rief ihr Markus nach.

Sie wandte sich um; da sah sie sein wahres Gesicht.

Und er nahm ihre Hand zwischen seine beiden zitternden Hände:

»Sie wissen – o Sie wissen gewiß –«

»Alles weiß ich.«

»Und Sie helfen uns? Helfen Sie mir – manchmal glaube ich: ja, es ist noch das Alte zwischen uns, und dann kommen wieder die Zweifel – wenn sie so fremd ist – so kalt – ich kenne sie dann nicht mehr –«

Es stieg ein Schluchzen aus seiner Kehle und er beugte sich tief über Frau Benediktas Hand.

»Mein Kind,« tröstete sie ihn, »begreifen Sie denn nicht – das geht nicht so schnell, kann nicht so schnell gehen – wie viel muß sie überwinden –«

»Sie haben sie mir ganz verdorben in diesem Haus,« fuhr er auf.

Frau Benedikta schüttelte das Haupt:

»Sie werden das Kloster noch segnen –«

»Sie glauben – Sie glauben wirklich – wir kommen zusammen – einen Anhalt – haben Sie Erbarmen –«

»Maria ist verändert,« sagte Frau Benedikta; »aber noch ist sie über sich selbst nicht klar – Geduld, Geduld – die Arbeit ist nicht leicht –«

Sie stand und sah an ihm vorbei, mit Augen voll des tiefsten Leids und doch auch wieder so überirdisch still und klar –

Er brachte kein Wort mehr über die Lippen.

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