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Es lag ein Druck über dem ganzen Kloster. Die Frage: was wird Frau Benediktas Strafe sein? beschäftigte alle Gemüter.
Frau Petronilla lief mit dickverweinten Augen herum.
»Warum sagten Sie mir nichts,« warf sie Frau Benedikta vor, »ich hätte das ganz anders gemacht, ich hätte Lärm geschlagen, der Äbtissin vorgehalten –«
»Eben das fürchtete ich,« unterbrach sie Frau Benedikta, »der Lärm hätte gar nicht genützt, und Sie hätten sich nur eine Strafe zugezogen –«
»Hm,« machte die Nonne, »fortschicken thut man mich nicht, und in die Bibliothek sperrt man mich auch nicht; ich weiß, warum ich mich so unentbehrlich gemacht da draußen; ›Petronilchen,‹ habe ich zu mir selbst gesagt, als unsre Äbtissin ans Ruder kam, ›ihr Liebling wirst du deiner Lebtag nicht, also mach dich zur Unentbehrlichkeit‹ –«
Sie lachte, um im nächsten Augenblick tief aufzuseufzen.
»Schmale Kost, freilich, das ist mir empfindlich, brr – aber lieber ein ganzes Jahr lang Wassersupp, als Sie verlieren. – Übrigens wir sind schon einig, die Mehrzahl der Frauen und ich – sobald man Sie fortschicken will.« – Sie hielt die Hand vor den Mund: »Rebellion giebt's –«
»Thun Sie mir das nicht an!« protestierte Frau Benedikta.
Frau Petronilla aber wackelte vergnügt davon:
»Alles abgemacht – Rebellion!«
Frau Cäcilia kam ihr in den Weg; sie gehörte zu den wenigen, die von einer Auflehnung gegen den Willen der Äbtissin nichts hatten wissen wollen.
»Wenn ich nur wüßte, wo Sie Ihr Herz haben, wenn Sie nicht singen,« knurrte Frau Petronilla sie an.
»Doch bei Gott, wo sonst?« gab ihr die schöne Frau zur Antwort. »Wenn meine arme Schwester dächte wie ich, hätte sie nicht etwas so Unbegreifliches gethan.«
»Ist es denn so unbegreiflich, einer unglücklichen Seele helfen zu wollen –«
»Wir haben nicht zu wollen, wir haben zu gehorchen,« belehrte sie Frau Cäcilia und schritt, leise das Haupt neigend, davon.
»Brrr,« schüttelte sich Frau Petronilla und fuhr mit der Hand in die Tasche, wo sie eine Faust machte, »lieber ein paar Sünden auf dem Gewissen haben als zur steinernen Vollkommenheit werden; brrr!« machte sie noch einmal und schlug sich gegen die Brust, »alles bäumt sich in mir auf – heilige Muttergottes von Einsiedeln, alle Hitz der Welt will ich ertragen, nur laß uns unsre Benedikta –«
Auch Maria flehte zu Gott, er möge Frau Benedikta nicht von ihr nehmen.
Still und verschüchtert saß die junge Postulantin an ihrem alten Platz im Noviziat und wagte nicht, der Äbtissin vor Augen zu treten, aus Angst, diese möchte sie ein zweitesmal gehen heißen.
Sie wurde indes von der hohen Frau nicht beachtet.
Ihr ging der Verrat, den sie an der, ihr von allen Frauen am nächsten stehenden Benedikta erlebt hatte, sehr nahe; es hätte sie nicht leicht ein empfindlicherer Schlag treffen können; sie hatte Frau Benedikta zu kennen geglaubt und sah sich bitter enttäuscht. Darauf kam sie immer wieder zurück, als suche sie einer innern Stimme zu entfliehen, einer Mahnung: Hattest du ein Recht, nach allem was sie dir gesagt, Maria im Kloster zu behalten?
Nun aber hatte sie ja das Mädchen gehen heißen – und zwar in Gegenwart von Frau Benedikta –
Die Frau Äbtissin hatte die volle Strafgewalt über ihre Untergebenen; Vergehungen gegen die Ordensregel oder den der Vorgesetzten unbedingt schuldigen Gehorsam pflegten mit zeitweiliger Einsperrung oder Verbannung aus dem Kloster bestraft zu werden. Eine Kongregation desselben Ordens in Frankreich war der Ort, wo die räudigen Schafe bei harter Arbeit und strenger Zucht Gelegenheit hatten, ihre Vergehungen abzubüßen.
Frau Benedikta war von zarter Gesundheit; der Äbtissin widerstrebte es, die arme Verblendete dem rauhen Leben in jener Kongregation preiszugeben. Es kam noch etwas dazu; Maria war nicht gegangen – würde sie auch bleiben, wenn Frau Benedikta das Kloster verließ? Diese aber, die ihr, der Äbtissin, heimlich entgegengearbeitet, die geglaubt hatte, mehr zu vermögen als die Machthaberin des Hauses, war es nicht viel heilsamer, statt sie zu verbannen, ihr zu zeigen, wie ohnmächtig sie war?
Jawohl, sie sollte bleiben.
Die Superiorin wurde weder ihres Amtes enthoben noch in die Verbannung geschickt, nur ihre bisherige Thätigkeit durfte sie nicht weiter ausüben. Die Bibliothek wurde ihr zugeteilt und die Armenpflege. Letztere hatte die Äbtissin bisher noch nie aus den Händen gegeben; sie gab also, indem sie strafte, ihrer Superiorin zugleich einen neuen Beweis ihres Vertrauens.
Ein Gemurmel der Bewunderung ging durch das ganze Kloster; Maria schluchzte wie eine Erlöste auf; sie fiel in einer Ecke des Korridors mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens vor der Äbtissin auf die Kniee:
»Behalten Sie mich, o behalten Sie mich – nichts soll mir mehr schwer werden.«
»Dann stehen Sie auf, mein Kind,« sagte die ehrwürdige Frau, »und fangen Sie vor allen Dingen damit an, sich selbst zu bezwingen.«
Frau Benedikta allein wußte, wie schwer die Strafe war, die sie traf. Man enthob sie ihrer ureigensten Bestimmung – der Ausübung und Lehrung ihrer Kunst; durch die Armenpflege aber wurde ihr allzuweiches Herz auf eine Probe gestellt, der sie nicht gewachsen war.
Als die Äbtissin ihr die Summe Geldes einhändigte, die am Armentage nicht überschritten werden durfte, fügte sie die Bemerkung hinzu:
»Sie werden sehen, Frau Superiorin, wie es um die Menschen da draußen bestellt ist – und Sie werden lernen –«
Der Bibliothekraum befand sich im Turm oberhalb der Muttergotteskapelle, mit der er durch eine Wendeltreppe verbunden war; eine zweite Treppe führte in das Nonnenchor.
Es war schön da oben, wenn die Sonne zu den hohen, von Frau Benedikta bemalten Bogenfenstern hereinflutete und die Tausende von Bänden, die auf Regalen bis hinauf zur Decke standen, mit ihrem Licht umfloß. An düstern Tagen aber konnte man sich in diesem modrigen Raume, der die Vergangenheit des Klosters barg, wie eingesargt vorkommen. Es tönte kein Laut da herein; die Thüren waren gepolstert; auch sah man nicht ins Freie, da nur der obere Teil der Fenster vermittelst einer Vorrichtung zu öffnen war.
Die Bibliothek war einer der größten Schätze des Klosters; das Verzeichnis dieser seit Jahrhunderten angehäuften Masse von Büchern war noch immer nicht zu Ende gebracht, denn zu einer Bibliothekarin reichte die geringe Anzahl von Nonnen nicht aus.
So war dieser Raum mit der Zeit zur Strafanstalt rebellischer Frauen geworden, die beim Registrieren und Aufzeichnen der Bücher ihre innere Ruhe wieder erlangen sollten.
Ein schrecklicher Tag für Frau Benedikta, als sie zum erstenmal in diese tote Welt einzog. Sie wußte, hier in dieser absoluten, von allem Leben abgeschlossenen Einsamkeit war Frau Notburga verrückt geworden.
Ein schmaler Gang nur trennte die Bibliothek vom Noviziat; Frau Franziska war an die Stelle von Frau Benedikta gesetzt worden. Wohl nicht für lang; die Äbtissin ließ eine Kraft, die dem Kloster nützen konnte, nicht gerne brach liegen; das wußte Frau Benedikta. Es handelte sich also nur um die paar Jahre, die Maria noch im Noviziat zuzubringen hatte, so lange wohl sollte Frau Benediktas Einfluß fern gehalten werden.
Sie sah ihr Sorgenkind nur noch während der Mahlzeiten und im Chor, denn Frau Benedikta teilte nicht mehr die gemeinsamen Rekreationsstunden.
Maria hatte ihr Lehrerinnenexamen bestanden und trug jetzt den weißen Schleier der Novizinnen. Die Äbtissin hatte ihr die geistigen Übungen des heiligen Ignatius in die Hand gegeben, und Marias Seele floß über in inbrünstiger Bewunderung für diesen großen Heiligen; an seiner Hand ging sie in beständigem Stillschweigen, in tiefster Geistessammlung ihrer Profeß entgegen. Kämpfen und Beten war die hohe Lehre, und durch die wunderbare Verkettung von Gedanken, Grundsätzen und Glaubenswahrheiten wurde Maria kraft dieses Buches und ihres immer tieferen Eingehens in das Leben der heiligen Theresia in eine Exaltation hineingetrieben, die keine Grenzen kannte. Sie vermied es, Frau Benedikta auch nur anzusehen; wenn die liebe, zarte Gestalt einmal unvermutet im Korridor oder im Kreuzgang vor ihr auftauchte, floh Maria wie vor der Sünde. Das mußte so sein, jedes andre Gefühl als die Liebe zu Gott mußte in ihr absterben.
Sie hatte viel gut zu machen, sie konnte sich nicht tief genug vor der ehrwürdigen Mutter beugen, die für sie und Frau Benedikta so voll der Gnade war. Und die jetzt in ihrer erhabenen Güte die schwache Seele unablässig stützte und anfeuerte, auf daß sie täglich reiner und vollkommener werde, um endlich bei ihrer Gelübdeablegung im vollkommensten Sinne des Wortes den feierlichen Vertrag verwirklichen zu können:
» Suscipe, Domine – nimm hin, o Herr, und behalte – ergreife, erhebe nach oben alle meine Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und allen meinen Willen und was ich sonst noch habe und besitze –«
»Ich muß fast annehmen,« meinte die ehrwürdige Mutter eines Tages, »daß Sie von Kindheit an unter einem gefährlichen Einfluß gestanden haben und daß es dieser war, der Ihre Verirrungen begünstigte, statt ihnen entgegen zu treten.«
Es war kein Name genannt worden, aber Maria wußte, wen die ehrwürdige Mutter meinte, und sie schwieg –
Es war ein entsetzliches Schweigen; sie fühlte, daß sie in diesem Augenblick eine große Schuld auf sich lud, und dennoch brachte sie kein Wort über die Lippen.
Die klaren, kalten Augen der Äbtissin hielten in Marias Innern jeden Ausspruch, der ihr unbequem hätte werden können, nieder. Sie entließ die Novizin mit einem freundlichen:
»Fahren Sie so fort, mein Kind, ich bin mit Ihnen zufrieden.«
Nein, sie kannte Maria nicht, sie hatte keine Ahnung von den Mächten, die in diesem Augenblick hinter den gesenkten Wimpern der Novizin ihr Wesen trieben.
Maria kam wie eine Verstörte von dieser Unterredung zurück; wie Petrus an seinem Heiland, so hatte sie an Frau Benedikta gehandelt. Warum, warum hatte sie geschwiegen? Sie begriff es nicht, sie wußte nicht, warum sie in jenem Zimmer, auf dem kleinen harten Beichtschemel eine so ganz andre war als sie selbst –
Und doch – wie hätte sie es wagen dürfen, der hohen Vorgesetzten zu widersprechen – sie, die letzte, die sündigste von allen? Sie hatte sich zu beugen; es war schon Sünde, über die Worte der Äbtissin nachzugrübeln. Sie wollte auch nicht – nein, sie wollte nicht – und dennoch schwieg es nicht in ihr –
Sie sehnte sich nach einer Seele, nach einer Seele, der sie sich hätte anvertrauen können, die verstehen und helfen konnte, sie von dem Druck, der auf ihr lastete, befreite –