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Eines Tages, die Klosterfrauen ergingen sich im Garten, flatterte ihnen eine merkwürdige Erscheinung im Laubweg entgegen. Sie trug eine halb städtische, halb klösterliche Kleidung, ihr schwarzer Mantel wehte im Wind, und sie nickte und nickte und lachte mit dem ganzen Gesicht, während ihre unsteten, lauernden Augen von einer der Frauen zur andern flogen.
»Allmächtiger Gott!« ging es durch die Reihen, »Schwester Pauline ist wieder da –«
»Ja wohl, da bin ich wieder, da bin ich wieder,« rief sie, ohne sich im geringsten von den wenig erbauten Mienen der ihr entgegenschreitenden Frauen einschüchtern zu lassen, »die Sehnsucht hat mich hergetrieben, mein gutes altes Kloster bleibt eben doch das beste.«
Sie beugte sich über die Hand der Äbtissin und drückte jeder der Frauen den Schwesterkuß auf die Wange, indem sie jedesmal mit derselben affektierten Gebärde die Arme ausbreitete.
»Sie ist noch gerade so affektiert wie früher,« flüsterte Frau Eulalia Frau Cäcilia zu.
»Und noch gerade so überschwenglich,« meinte diese.
»Gott bewahre uns in Gnaden,« seufzten beide.
Die Äbtissin war mit den sie umgebenden Frauen weitergeschritten, ernstlich mit dem Gedanken beschäftigt: wie werde ich sie wieder los?
Schwester Pauline ging zwischen Frau Petronilla und der Novizenmeisterin, die neugierig war, ob ihre ehemalige Schülerin aus ihrer Begabung Nutzen gezogen habe.
»Womit hat man sich all die Zeit her beschäftigt?« begann Frau Scholastika ihr Examen.
»O, ich bin in der französischen Sprache und Litteratur bewandert wie keine,« lautete Schwester Paulinens prompte Antwort.
»Also ein gutes Examen bestanden?«
»Ließ man mich dazu kommen,« fuhr Schwester Pauline auf, »ich könnte Ihnen erzählen – Schauergeschichten könnte ich Ihnen erzählen –«
Die jüngeren Nonnen, die hinterdrein gingen, lauschten mit allen Ohren. Sie kannten Schwester Pauline nicht, hatten aber genug von ihr gehört, um sich auf das lebhafteste für deren wechselvolles Schicksal zu interessieren.
Schwester Pauline fing an, von den Klöstern zu sprechen, in denen sie sich herumgetrieben hatte, und machte sie alle schlecht. Wegen kleiner nichtssagender Vergehen hatte man sie gerade dann an die Luft gesetzt, wenn sie im Begriffe war, ihr Examen zu machen. Die Nächstenliebe, nirgends, bei keinem Menschen hatte sie sie gefunden, weder im Kloster noch in der Welt.
»Und Ihre Nächstenliebe?« erkundigte sich Frau Petronilla.
Die Frage wurde überhört; Pauline war glücklich, denn sie hatte Zuhörer, ihr Sensationsbedürfnis fand sein Genüge.
Sie weinte, sie schluchzte:
»Ich bin einmal zum Unglück geboren; die Unglücklichen sind Gottes Lieblinge; ich ging ins Kloster, um Buße zu thun für meine arme Mutter, mit der kein Mensch zu leben vermochte; ich suchte den Frieden und fand ihn nirgends, und es ist der größte Schmerz meines Lebens, daß gerade die Gottgeweihten mir das Leben so schwer machten. Ich bin jetzt ohne Mittel, aber ich habe glänzende Aussichten. Ich erwarte es als ein Werk der Nächstenliebe, daß man mich hier behält bis meine Briefe eintreffen; es handelt sich um ausgezeichnete Stellen; ich brauche nur zu wählen.
»Sie legen doch ein gutes Wort für mich ein, meine liebe Novizenmutter,« wandte sich Pauline an diese, »in Erinnerung der großen Anhänglichkeit, die ich Ihnen früher bewiesen.«
Frau Scholastika stieß ihr trockenes Lachen aus; Paulinens Noviziatzeit war für sie eine Zeit des Schreckens gewesen; ohne ein Wort auf die Bitte der ehemaligen Schülerin zu erwidern, eilte die Nonne mit großen Schritten den andern Frauen nach.
»So ist's,« seufzte der Eindringling, »es ist das Los der Unglücklichen, verlassen zu werden.«
Und sie klammerte sich fest an Frau Petronillas Arm:
»Ich habe Sie immer am liebsten gehabt, Gott ist mein Zeuge, und darum ist es Ihre Pflicht, sich für mich zu verwenden; ich will alles thun, jede Arbeit, nichts ist mir zu gering. Oder hätten Sie ganz vergessen, wie oft ich Sie in der Ökonomie aufgesucht habe?«
»Nein,« lachte Frau Petronilla auf, »daran denke ich noch recht oft; jedesmal spielten Sie mir einen andern Streich; einmal versteckten Sie mir den Schleier, daß ich barhäuptig vor der Äbtissin erscheinen mußte, was mir eine höchst empfindliche Strafe zuzog –«
»Welch eine himmlische Gelegenheit, Böses mit Gutem zu vergelten,« rief Pauline mit unbeschreiblicher Scheinheiligkeit aus. »Mich in die schlechte Welt hinausstoßen, es wäre Mord –«
»Und diese ausgezeichneten Stellen, von denen Sie sprachen –«
Pauline hörte nicht hin.
»Lassen Sie mich von den entsetzlichen Erfahrungen, die ich in meinem Weltleben gemacht, schweigen –«
Sie schlug ein großes Kreuz in die Luft:
»Man hat mich gehetzt, wie ein wildes Tier; zuweilen stand ich ohne einen Heller auf der Straße; in einem Hause wollte man mich zwingen, protestantisch zu werden; der Pfarrer war schon da, ich floh durchs Fenster. In einem andern Hause – o Gott, ich war nirgends länger als zwei Tage; ich brauchte nur den Mund aufzuthun, staunten mich die Leute an wie ein wildes Tier, und alles fiel über mich her –«
»So ging's gerad meinem Hühnchen,« sagte Frau Petronilla, »ein kleines Hühnchen hatte das Bein gebrochen, ich richtete es wieder ein und behielt das Tierchen bei mir. Es ging aber nicht mehr von mir weg und machte sich's bequem, bald in meinem Ärmel, bald im Brustlatz meiner Schürze. Manchmal im Refektorium merkte ich plötzlich, daß ich's im Ärmel hatte, aber es war ein kluges Tierchen, es wußte immer ganz genau, wann es zu schweigen hatte. Mit der Zeit ist's ein großes Huhn geworden und recht unbequem, denn es wollte seine alten Gewohnheiten nicht lassen. Da bracht ich's in den Hühnerhof. Das war eine Geschichte; sie fuhren alle auf mein armes Huhn los; sie verstanden sich offenbar nicht mehr, mein Huhn redete eine ihnen fremde Sprache. Sie hätten mir's tot gepickt; da ließ ich's in Gottes Namen schlachten.«
»Ja, das ist meine Geschichte,« rief Pauline aus, »ich passe nicht mehr in die Welt, und in den Klöstern wollen sie mich nicht behalten –«
Sie weinte krampfhaft, sie schluchzte und rang die Hände.
»Es geht mir wie dem Menschensohn, ich habe keine Stelle, wo ich mein Haupt niederlegen kann –«
Sie wandte sich um:
»Ach meine lieben Schwestern in Gott, beten Sie für mich Ärmste aller Armen –«
Die jungen Nonnen waren voll Mitleid; in Marias Augen standen Thränen; wie konnte man ein so armes Geschöpf seinem Schicksal überlassen!
Sie eilten alle miteinander zur Äbtissin und bestürmten sie, Pauline zu behalten.
Frau Petronilla meinte:
»Ich könnte es einmal mit ihr in der Ökonomie versuchen.«
Der Äbtissin war die Zeit des Unfriedens, die Schwester Pauline über das Kloster heraufbeschworen, noch in lebhafter Erinnerung; sie besann sich; keine der ältern Nonnen unterstützte die jüngern in ihrer Bitte für Pauline. Diese stand nicht weit und schluchzte zum Erbarmen.
Endlich meinte die Äbtissin, wenn sich die ehemalige Novizin entschließen könne, die Stellung einer Laienschwester einzunehmen, wolle sie es auf einen Versuch ankommen lassen. Das Verlassen der Ökonomie, der Verkehr mit den Frauen wurde ihr auf das strengste untersagt; bei der ersten Widerspenstigkeit habe sie das Kloster zu verlassen.
Maria mußte zuweilen an das seltsame Wesen denken, das durch ihre und der jüngern Nonnen Fürbitte Aufnahme im Kloster gefunden hatte. Ohne sich zu der excentrischen Person, deren Blick und Wesen etwas Unheimliches für sie hatte, hingezogen zu fühlen, begriff sie doch nicht, wie man nur einen Augenblick daran denken konnte, einem so unglücklichen, vom Schicksal verfolgten Geschöpf die Hilfe zu versagen.
Sie war eines Sonntagnachmittags nach der Vesper allein im Garten; es war ihr erlaubt, in ihren freien Stunden Blumen und Ranken für ihre Zeichnungen auszusuchen.
Plötzlich, in der Nähe der Ökonomiegebäude, gesellte sich Schwester Pauline zu ihr. Sie trug das schwarze Häubchen und den schwarzen Kragen der Laienschwestern, und ihre Gebärden waren die einer demütig Dienenden.
Maria in ihrem weißen Gewand, die Stirne umrahmt von dem weißen Schleier der Novizinnen, sah wie ein Engel des Lichts neben dieser düstern Persönlichkeit aus, deren dunkle, unstete Augen nichts weniger als Gottergebenheit ausdrückten.
Sie warf sich fast vor Maria auf die Kniee:
»Sie wissen, o ja, Sie wissen, ich bin eine große Sünderin –«
Ganz bestürzt wich die Novizin von ihr zurück und meinte leise, mit vor Verlegenheit hochroten Wangen:
»Ich bin doch auch eine Sünderin.«
»O ich habe Sie erkannt,« rief Schwester Pauline aus, »Sie sind nicht hochmütig wie die andern, Ihre Seele ist gut, Ihre Seele ist rein – ich liebe Sie in Gott unserm Herrn, dessen treue, unglückliche Magd ich mich in Demut nenne. Liebe Schwester in Gott, welch ein Leben muß ich führen – in der Erde graben, Wasser schleppen, das Vieh säubern, dazu alle Verrechnungen, alles bürdet mir diese gewissenlose Frau Petronilla auf – mir, so begabt, die ich klafterhoch über ihr stehe an Bildung und Wissen. Eine einzige Gelegenheit, dies Wissen zu zeigen, und Frau Scholastika wäre geschlagen, im Triumph würde man mich an ihre Seite stellen. – Sprechen Sie ein Wort für mich, machen Sie die Äbtissin auf meine hervorragenden Kenntnisse aufmerksam – Sie können, Sie dürfen mich nicht meinem Schicksal überlassen –«
Maria, durch die unbeschreibliche Sicherheit der Sprecherin ganz verwirrt, meinte:
»Aber Frau Scholastika wird gewiß Ihre Kenntnisse anerkennen, wenn Sie –«
»Die,« rief Schwester Pauline aus, nahm aber sofort einen andern Ton an, als sie Marias erstaunten Gesichtsausdruck gewahrte –
»Frau Scholastika hat mich nie verstanden,« seufzte sie, »ich bin überhaupt nie verstanden worden. Der heilige Eifer meiner Seele ging immer zu weit. Ich wollte überall einen strengern, eifrigem Gottesdienst einführen, und das war mein Unglück. Man stelle mich an meinen Platz und ich thue Wunder. Helfen Sie mir dazu – ich höre, die Frau Äbtissin zeichnet Sie besonders aus, gebrauchen Sie Ihren Einfluß, um meine Seele vor dem Untergang zu retten. Ach meine arme Schwester, es kommt mir vor, als seien auch Sie nicht ganz glücklich; ich habe Sie beobachtet, der Blick Ihrer Augen ist kein in sich zufriedener, sondern ein suchender. Was fehlt Ihnen, was suchen Sie, meine geliebte Schwester, ich möchte Ihnen mit meinem Herzblut dienen dürfen?«
»Ich weiß nicht,« stammelte Maria, »aber ich glaube doch nicht – o nein, ich bin wirklich nicht unglücklich – gewiß, ich will thun, was ich kann, ich werde mit der Frau Äbtissin sprechen –«
Sie ging rasch davon; unten im Laubgang erschien die Äbtissin, und Schwester Pauline machte sich aus dem Staube.
Noch am Abend desselben Tages teilte ihr Frau Petronilla mit, die Äbtissin lasse ihr sagen, wenn sie sich noch ein einzigesmal unterstehe, eine der Frauen anzusprechen, so sei ihr Aufenthalt im Kloster zu Ende.
Am folgenden Morgen fand Maria in ihrem Gebetbuch, das auf ihrem Platz im Chore zu liegen pflegte, folgendes Billetchen:
»Geliebte Schwester im Herrn!
Es thut mir sehr leid. Ihnen sagen zu müssen, aber Sie mischen sich auf die unbescheidenste Weise in Sachen, die Sie gar nichts angehen. Sie haben es nun auf dem Gewissen, mich durch Ihre Indiskretion mit der Frau Äbtissin völlig überworfen zu haben.
Ich verzeihe Ihnen von ganzem Herzen den Kummer, den Sie mir gemacht haben. Gott möge Sie behüten, daß Sie nicht noch einmal solche Sachen machen, denn Sie ziehen sich schwere Verantwortlichkeiten zu.
Leben Sie wohl, liebe Schwester, in Gott.
Schwester Pauline.
P. S. Von mir hören Sie und sehen Sie nichts mehr. Gelobt sei Jesus Christus.«
Maria war so bestürzt, so über alle Begriffe verletzt, daß sie mit ihrem Briefchen ganz außer sich zu Frau Scholastika eilte.
Die Novizenmeisterin lachte:
»Das hat sie von jeher losgehabt, die vortreffliche Schwester Pauline, es regnete nur so Billetchen während ihrer Postulantenzeit; niemand ging leer aus. Aber über solche Geringfügigkeiten außer sich geraten, ist Unsinn.«
»Ich – ich –« stotterte Maria, »das muß einem doch wehe thun – das ist ja häßlich, ich habe ihr vertraut, ich wollte ihr helfen –«
»Eben das war unrecht,« unterbrach sie Frau Scholastika, »Sie haben aus eigenem Antrieb weder zu helfen, noch zu raten. Sie haben nur zu gehorchen –«
Ob Frau Benedikta auch so gesprochen hätte?
Maria erschrak. Durfte sie solche Vergleiche machen?
Und es blieb nicht bei diesem einen; es war ganz seltsam, Paulinens Verrat hatte ihr die Augen geöffnet; sie sah und merkte plötzlich Dinge, die sie früher nicht gesehen hatte.
Es war also möglich, Gott im Munde zu führen und nicht gut zu sein –
War diese sich in Demut verzehrende Frau Franziska nicht auch am Ende ein wenig ungut mit ihrem ewigen, wenn auch milden Tadeln? Nichts war ihr recht an Marias Arbeiten; mit lächelnder Miene zog Frau Franziska gegen der Schülerin Eigenart zu Feld und brachte Maria mit der Zeit um die ganze Freudigkeit ihres Schaffens.
Es war am Vorabend des Fronleichnamtages; Maria, die das Amt der Sakristanin zu verwalten hatte, brachte Blumen um Blumen in das Nonnenchor, dem sie zur Feier des hohen Festes den höchsten Schmuck verleihen wollte. Als sie eben zum drittenmal, die Arme voll Blumen, in das Chor trat, saß Frau Cäcilia am Harmonium. Sie saß im Glanze der Abendsonne, die den hohen Raum durchflutete.
Maria ließ ihre Blumen auf die Schwelle sinken und kniete auf die harten Steinstufen nieder. Sie versank in den Anblick der singenden Nonne und eine plötzliche Freudigkeit erfüllte ihr Inneres, ein vollkommenes Vergessen von allem was da war, kam über sie – Sie genoß mit allen Sinnen das wahrhaft Schöne und Künstlerische, das diese Frau durch ihre Erscheinung und ihren Gesang in vollkommener Harmonie bot.
Es jauchzte auf in ihr; endlich eine heilige, eine edle Seele –
»Ich werde ihr alles sagen,« nahm sie sich vor, »und sie wird mich trösten, wie mich Frau Benedikta getröstet hat – alles Traurige wird sie mir von der Seele nehmen –«
Thränen stürzten ihr aus den Augen.
Die singende Nonne am Harmonium sah diese Thränen; Thränen galten ihr als liebstes Entgelt für ihren Gesang.
Was sie an Seele besaß, hatte sich in ihre Stimme geflüchtet; hatten doch die sie vergötternden Eltern und Geschwister alles gethan, um sie zur Egoistin zu machen. Sie brauchte nie etwas zu geben, sie hatte nur zu nehmen; sie bemerkte nicht einmal die vielen Opfer, deren Mittelpunkt sie war. Quälte sie sich nicht redlich, um eine große, bedeutende Künstlerin zu werden, und konnte man mehr von ihr verlangen? Wie eine Prinzessin wollte sie eines Tages zu den Ihren zurückkehren und sie mit einem Schlage reich machen.
Allein es kam anders; ihr erstes öffentliches Singen in einem Konzert war auch ihr letztes; ihre Eitelkeit wurde auf das tiefste verletzt durch eine hämische, böswillige Kritik: die Rache eines Herrn der Presse, der einen allzu vertraulichen Ton gegen das junge Mädchen angeschlagen, und sie hatte dem Menschen die Thüre gewiesen.
Jene Kritik war der erste Tadel, der das junge Mädchen traf, das erste harte, boshafte Wort – Und sie hatte keinen Halt in sich, keine Kraft, keine Selbstverleugnung; all ihre Pläne und Luftschlösser fielen bei diesem ersten Stoß zusammen.
Die Erfahrung, die sie gemacht, ließ ihr die Welt als einen Abgrund von Schlechtigkeit erscheinen, und ohne sich zu besinnen, ohne sich von den Bitten und Thränen ihrer Angehörigen bewegen zu lassen, trat sie ins Kloster.
Sie war nicht strenger gegen andere als gegen sich selbst und war überzeugt von dem, was sie sagte. Die Frau Äbtissin sah in der korrekten Frau, die sich nie vergaß, ihre Nachfolgerin. Vielleicht eben darum hatte sie nicht gerne mit ihr zu thun; sie gingen immer getrennt, jede mit ihrem Hofstaat, und die gleiche Atmosphäre der Huldigung und Bewunderung umgab sie beide, die hinwiederum ihren Pflichten mit derselben Vollkommenheit gerecht zu werden suchten.
Als Frau Cäcilia nach Beendigung ihres Gesanges das Chor verließ, eilte ihr Maria mit gefalteten Händen entgegen:
»Bitte, o bitte – ich bin so schrecklich allein – seien Sie gut zu mir –«
Und sie preßte ihre heiße Wange gegen das Gesicht der Frau Cäcilia.
Die Nonne wich erstaunt zurück:
»Was fällt Ihnen ein, bitten Sie um die Liebe Gottes«
Und mit einer bezeichnenden Wendung des Hauptes nach dem Altar, wandte sie sich zum Gehen.
Maria hatte bei Frau Cäcilias Worten die erhobenen Arme sinken lassen; schweigend sahen sich die beiden Frauen an, schweigend gingen sie auseinander.
Draußen blieb Frau Cäcilia plötzlich stehen; hörte sie den schmerzlichen Laut, der sich aus der Novizin Seele rang?
Sie wandte sich um; gewiß, sie hatte Mitleid mit Maria, sie hätte ihr mögen ein Wort des Trostes, der Erbauung sagen. –
Warum that sie es nicht? –
Es war ihr eine Erinnerung gekommen, die Erinnerung an den Ausspruch einer alten Dame, die einmal in tiefstem Erstaunen zu ihr gesagt hatte: »Wie kann man so warm singen und so kalt sprechen!«
Und sie kehrte nicht zurück, sie konnte nicht zurückkehren, weil sie fühlte, daß sie das, was diese Bittende von ihr verlangte, nicht zu geben hatte.
Maria nahm ihre Blumen wieder auf und fuhr fort, den Altar zu schmücken.
Thränen verdunkelten ihren Blick, das Herz that ihr unsagbar weh.
Ach dieser Gesang, so schön, so die ganze Seele lösend und befreiend – und dann, aus diesem selben Munde nicht ein einziges Wort der Güte. –
»Es soll wohl so sein,« seufzte sie, »ich darf an keinem Menschen hängen – ich muß durch die tiefste Bitternis, ich muß die Leiden meines gekreuzigten Erlösers in meiner eigenen Seele kennen lernen –«
Der andere Morgen brachte ihr eine erschütternde Überraschung.
Sie war mit den besten Vorsätzen an ihre Aufgaben gegangen; sie wollte ihre für eine Altardecke bestimmte Zeichnung, die Frau Franziska schwer getadelt hatte, ändern und sich in aller Demut fügen.
Als sie ihre Mappe öffnete, fand sie ihr Muster korrigiert, eine maßvolle Hand, Frau Benediktas Hand, hatte hier und da Andeutungen angebracht und das zu viel weggewischt; am Rande der Zeichnung stand in blassen Buchstaben: »Nicht gut.«
Maria mußte sich mit aller Gewalt zusammennehmen, um der grenzenlosen Freude, die wie ein belebender Strom durch ihre Seele zog, Herr zu bleiben. Sie war nicht mehr allein; die Gütige, die Liebe, wenn sie auch nicht mehr zu ihr sprechen durfte, war wieder da und half ihr weiter.
Es war hohe Zeit.
Nun aber mit jedem Morgen fand Maria eine Korrektur der geliebten Lehrerin vor, ein »besser« – ein »gut«, schließlich ein »sehr gut«.
Sie hatte sich selbst wiedergefunden, ließ Frau Franziskas Tadel ruhig über sich ergehen und folgte in aller Stille den Weisungen ihrer Lieblingslehrerin.
Und als sie eines Tages vor die Äbtissin gerufen wurde, bei der sich Frau Franziska über der Novizin Eigenmächtigkeit beklagt hatte, wirkte sich Maria bei der ehrwürdigen Mutter die Erlaubnis aus, eine Probearbeit nach ihrem Geschmack herstellen zu dürfen.
Der Trefflichkeit dieser Arbeit hatte Maria ihre fernere Selbständigkeit zu verdanken.
So war die Zeit der Probation herangekommen, jener sechs Monate vor der Profeß, die allein dem Gebet, Stillschweigen und tief eingehendem Betrachten der klösterlichen Pflichten geweiht sind. Die besondere Sorgfalt der Äbtissin wachte über der jungen Seele, die vollkommen rein und heilig dem himmlischen Bräutigam entgegengeführt werden soll.
Maria aber hatte ein Geheimnis – diesen allem Verbote zum Trotz heimlichen Verkehr mit Frau Benedikta. – Je mehr sie von der Beredsamkeit der Frau Äbtissin beeinflußt wurde, um so heftiger schlug ihr das Gewissen; sie war nicht rein mit diesem Unrecht auf der Seele; sie mußte beichten oder als unwürdige Braut ihrem Herrn und Heiland entgegentreten. –
Eines Tages in der Kirche begegnete Frau Benedikta dem von Zweifeln gequälten Blick Marias; sie hatte die Ursache ihrer Kümmernis verstanden, die Korrekturen blieben aus.
Und somit war der Verkehr zu Ende. – Gottlob, Maria durfte schweigen, denn wenn sie hätte sprechen müssen, hätte sie die Arme im Turme einer noch härteren Strafe ausgesetzt.
Sie wollte alles büßen; sie allein, betete sie, möchte Gott mit Strafe treffen. –
Sie war zur Zeit die einzige Novizin, die ihrer Profeß entgegenging. Die große Stille um sie her, daß sie ruhig bei ihrer Arbeit sitzen bleiben durfte und die Klassenglocke sie für eine Weile nichts mehr anging, wie wohlthätig war ihr das. Zum erstenmal kehrte ein Gefühl wirklicher Ruhe in ihre Seele ein. Sie wußte nicht, daß diese Stille in ihr nur Erschöpfung war, nach den Jahren des Kampfes, der Zweifel, der ununterbrochenen Arbeit an sich selbst. – Es ging ihr wie einem Vogel, der so lange gegen das Gitter seines Käfigs wütet, bis ihn die Kräfte verlassen. War er nun zufrieden, weil er stille geworden?
Sechs Monate lang beten und betrachten, in tiefster Einsamkeit, nichts anderes denken und wollen als sich innerlich zu reinigen, zu heiligen und in der Entsagung zu üben –
Schon nach vier Wochen vermochte Maria ihren Gedanken nicht mehr zu gebieten. Vom Fenster des kleinen Arbeitssaales im Noviziat sah man zum Wald hinüber; der ganze Boden lag unter einer tiefen Schneedecke; an den dunkeln Stämmen der Tannen hing der Schnee in tausend Gebilden, wie der Wind ihn dagegen gepeitscht hatte, und hinter diesen schwarzen, weiß umschimmerten Zweigen leuchtete lohend gelb der östliche Himmel, bis mit eins die güldene Herrin das Morgengrau durchbrach und ihre Strahlen über den weißen Wald hinzauberte. Langsam blaute der Himmel – und bei dieser wunderbaren Arbeit des Lichtes nahm eine plötzliche, ganz unsagbare Wonne von Marias Seele Besitz; sie riß das Fenster auf; ihr war, als müsse sie den ganzen herrlichen Winterwald an ihr Herz drücken; kannte sie nicht jeden Baum, jeden Strauch dort? Ach wie glücklich war sie damals, als sie noch in ungebundener Freiheit all diese Wege durcheilen durfte!
Sie erschrak und schloß das Fenster – schleunigst griff sie zur Arbeit.
Sie stickte an einem Meßgewand, dessen Muster sie mit großer Liebe entworfen hatte; auf dunkelrotem Atlasgrund drei himmelaufstrebende Lilien, die sich einem Gewirr von Dornen und Unkraut entwanden.
»Jeder Stich zur größeren Ehre Gottes!« nahm sie sich vor. Aber nebenher stiegen Bilder auf, begleitet von jenem harzigen Tannengeruch, der Mutter Kleins Küche damals erfüllte, als das Mariele und Markus unter dem Weihnachtsbaum lagen. –
Über Marias Gesicht flog ein Lächeln: Hatte Mutter Klein nicht erzählt, die heiligen drei Könige seien dagewesen und hätten alle ihre Geschenke dem Markus und dem Mariele hingelegt? Und dann der Weg in der heiligen Nacht, wie der Mond schien und der Schnee unter ihren Füßen knisterte –
»Wenn er nun heimkommt,« schoß es Maria plötzlich durch den Kopf, »und in seiner Kammer das Bild der Urgroßmutter findet –
Mein Herr und mein Gott, verlaß mich nicht,« betete sie.
Wie durfte sie daran denken, jetzt in dieser Zeit!
Sie vertiefte sich in ein Buch der heiligen Theresia; sowie sie jedoch zu ihrer Arbeit zurückkehrte, war es, als ob sie mit jedem Stich den für immer abgebrochen gewähnten Zusammenhang mit der Vergangenheit wieder herstellte. Was sie je erlebt, alles Schöne, Frohe, erstand vor ihrem inneren Auge. Sie streifte mit ihrem Gespielen durch den Wald, sie saß mit ihm in der kleinen Küche. – Wenn sie eben zu beten aufhörte, im nächsten Augenblick stand er schon da und nahm sie bei der Hand – und dann wußte sie schon – hinauf in den Saal ging's – zur Urgroßmutter –
Die Äbtissin fand sie einmal in Thränen; auf ihre Frage, was Maria quäle, gab ihr diese zur Antwort, das Bild ihrer Urgroßmutter störe sie so oft in ihrer Andacht.
»Danken Sie Gott, wenn Sie keine größern Anfechtungen haben,« meinte die ehrwürdige Mutter, »wenigen von uns ist die Zeit der Probation so leicht geworden wie Ihnen, mein Kind.«
›Leicht?‹ –
Maria schauderte in sich zusammen:
›Sie weiß ja nichts – nichts von dem Bilde der Urgroßmutter – nichts von Markus. – Ach, und es will mir nicht über die Lippen –‹
Sie hatte die Erlaubnis, in ihrer Zelle auf und ab gehen zu dürfen, wenn die Anfechtungen vor dem Einschlafen kamen. Zuweilen rannte sie die halbe Nacht in diesem engen Raume auf und ab, um die auf sie eindringenden Bilder und Gestalten loszuwerden.
Endlich – wenige Tage vor der Profeß, wurde sie ruhiger. Maria sah wie eine Verklärte drein: die Vergangenheit war abgethan, sie befand sich in Wahrheit im Stande der Gnade. Welch ein Glück nach dieser Zeit so schweren Kampfes!
Mit dem sichern Gefühl völliger Gottangehörigkeit legte sie sich am Abend vor ihrer Profeß zur Ruhe; sie hatte ihre Generalbeichte abgelegt; ihr Gewissen war rein wie das eines neugeborenen Kindes; was hinter ihr lag, hatte nichts mehr mit ihr zu thun; mit dem morgigen Tag fing erst ihr Leben an.
Sie betete sich in den Schlaf, den Rosenkranz zwischen den Fingern.
Ein freundlicher Traum suchte sie heim; sie saß mit einer Anzahl Nonnen und Novizinnen im Noviziat; sie waren alle fleißig bei der Arbeit; der Gesang der Frau Cäcilia tönte vom nahen Chor herüber. Alles war schön, friedlich und still.
›Ich bin erlöst‹, sagte sich Maria in ihrem Traume, ›es hat nichts Böses mehr Macht über meine Seele‹.
Allein der Gesang schwoll mit eins mächtig an, es lag etwas Beängstigendes in diesen Tönen, als sänge nicht mehr eine Stimme allein, als sängen Hunderte von Stimmen, und das Gebrause kam näher und näher. Die Nonnen saßen still und friedlich, Maria aber hielt sich nicht länger, sie schrie in tiefster Angst auf. In demselben Augenblick öffnete sich die Thür, und klar und leuchtend, auf dunklem Grunde stand die Urgroßmutter. In wilder Flucht, wie vor etwas Bösem, stoben die Frauen auseinander; auch Maria eilte zur Thür, sah sich aber noch einmal um; sie wußte, es war nicht recht, und that es dennoch. Da stand die Urgroßmutter mit ihrem glücklichen Lächeln und streckte ihr die Arme entgegen.
»Nein,« schrie Maria, »nein, nein, du bist schlecht, du bist böse, du bist die Sünde –«
Und doch bewegte sie sich nicht von der Stelle, sie vermochte es nicht, denn das schöne, frohe Gesicht der Urgroßmutter hatte sich plötzlich verändert; aus den lachenden Augen stürzten Thränen, und die erhobenen Arme sanken ihr schwer am Körper nieder.
»Mein Gott! mein Gott!« schluchzte Maria auf, »es ist ja nicht wahr, ich bin dir ja gut –«
O das unendlich beseligende Gefühl – sie war plötzlich ein kleines Kind und lag im Schoße der liebevoll auf sie niederlächelnden Frau. Sie weinte noch immer, denn das Gefühl, daß sie nicht recht thue, verließ sie nicht, aber welcher Trost wurde ihr zu teil, welch eine wunderbare Innigkeit lag in der Berührung der Hände, die sie hätschelten und ihr die Thränen von den Wangen wischten.
»Zärtlichkeit ist ja Sünde,« flüsterte Maria.
»Ach nein, Zärtlichkeit ist Wonne,« lächelte die Urgroßmutter und nahm sie auf und stieg mit ihr in die Lüfte, hoch über das Kloster hinaus; tief unten lag die Welt, da lagen blaue Seen, fremdartige Bäume und Gewächse, große Städte mit wunderbaren Gebäuden. – Sie flogen und flogen, und Maria wußte nicht mehr, war's eigentlich die Urgroßmutter, mit der sie flog, oder war's der große, schöne Engel auf dem Altarbild in der Klosterkirche.
»Wenn er's doch wäre,« seufzte sie und wagte nicht aufzusehen, aus Angst, er möchte es wirklich sein – denn in ihrem tiefsten Innern schrie eine Stimme:
»Urgroßmutter, Urgroßmutter, o halte mich fest –«
Plötzlich aber kam ihr der Gedanke:
»Am End nimmt sie mich mit in die Hölle –«
Und sie riß sich mit aller Gewalt los.
»Mutter!« schrie sie in den öden Raum hinaus, »Mutter, Mutter!«
Und alsobald fühlte sie, daß sie sank, mit rasender Schnelligkeit ging es hinab, und eine Angst ohne Grenzen erfaßte sie, denn sie war allein – ihre Hände suchten umsonst nach einer Stütze, und sie schluchzte und schrie wie ein Kind. Da ertönte ein Gesang, jenes wunderbare Lied ertönte, das sie all die Zeit her Frau Cäcilia hatte üben hören.
Und Maria stieg langsam, wie getragen in das Innere der Klosterkirche hinab. Diese prangte im Schmucke der herrlichsten Blumen. –
Die Pietà aber links vom Altar – trug sie nicht Frau Benediktas Züge –
Ja, sie war's, es war Frau Benedikta –
»O du meine Mutter!« schluchzte Maria auf und erwachte.