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9.

So oft die Äbtissin dem nun so freudestrahlenden Blick der jungen Postulantin begegnete, nickte sie ihr mit besonderer Freundlichkeit zu.

Zu den Füßen des Kreuzes sich glücklich fühlen, war eines der Lieblingsworte der hohen Frau, eine freudige Schwester des guten Todes sein, danach sollten sie alle streben.

Sie selbst hatte ihren Klosterfrauen das leuchtendste Beispiel gegeben, wie eine gottgeweihte Seele zu sterben habe. Als sie, schwer am Typhus erkrankt, einen Augenblick von ihren Fieberphantasien zum Bewußtsein zurückkehrte, sah sie die Frauen ihr Bett umknieen, wie sie die Sterbegebete murmelten, und der Geistliche mit dem Allerheiligsten näherte sich ihr.

Da wußte sie, woran sie war, und ein paar schwere Thränen rollten ihr über die Wangen. Aber schon im nächsten Augenblick wurde ihr klar: die Blicke aller sind auf mich gerichtet – forschend, lauernd, streng beobachtend –

Und sie sprach mit fester Stimme:

»Diese Thränen gehen mich nichts an – mein Herr und mein Heiland, meine Seele jauchzt dir entgegen: Halleluja!«

Der gute Tod hatte sie nur gestreift, sie kehrte zum Leben zurück, ihr Sterben aber blieb unvergeßlich.

»Wie die ehrwürdige Mutter sterben,« war das geflügelte Wort des Klosters.

Ihre Macht lag in ihrer Vollkommenheit, nicht in ihrer Güte.

Und sie wußte das; sie wußte auch, um sie her gab es ein Geheimnis, das einzig wirklich bewahrte Geheimnis dieser redelustigen Schar. Wenigstens schien eine jede der Frauen mit Blindheit geschlagen zu sein, wenn in irgend einer Ecke des Korridors oder hinter einem Pfeiler des Kreuzgangs eine belastete Seele sich Rats bei Frau Benedikta holte.

Vor den Augen der Äbtissin pflegten die Frauen ihre gütige Beraterin vorsichtig zu meiden, aus Angst, ihre heimlichen Seitenwege möchten entdeckt werden. Die Äbtissin aber war viel zu stolz, um ahnen zu lassen, daß sie von der Sache wußte. Mochten sie mit ihren kleinen Beschwerden zu Frau Benedikta gehen. Petronillas offen zur Schau getragene Vorliebe für Frau Benedikta war ihr viel empfindlicher.

Die korpulente Frau ließ auch in den Rekreationsstunden ihren Rosenkranz nicht aus den Fingern.

Es war Sonntagabend; der ganze Konvent befand sich im großen Saale.

»Hm,« sprach Frau Petronilla mitten in ihre Aves hinein, »sehe einer unsrer Postulantin Augen, ich wette, sie hält uns samt und sonders für Heilige. Am End' auch mich! Der gute Glauben unter dem weißen Häubchen! Unsre liebe Frau Benedikta hat es sogar in ihrer Noviziatszeit fertig gebracht, die Bosheiten einer Schwester Pauline für Liebenswürdigkeiten zu nehmen.«

»Was mag aus ihr geworden sein?« meinte Frau Benedikta. »Wir haben lange nichts von ihr gehört.«

»Um Gottes willen,« ereiferte sich Frau Eulalia, »man muß den Teufel nicht an die Wand malen; zweimal ist sie schon zurückgekommen, sie könnte auch ein drittesmal kommen. Eine Diebin nannte mich diese Person, ich stehle die Form eines Gedichtes und fülle sie mit albernen Worten –«

Frau Scholastika, die auf- und abging und diese Worte hörte, stieß ihr trockenes Lachen aus:

»Eine begabte Person, diese Pauline, guter Kopf, schade daß sie einen so unverträglichen Charakter hat.«

»Habe ich nicht immer gesagt, gebt sie mir aufs Land,« meinte Frau Petronilla, »auch für Frau Notburga wäre es gut gewesen; nur immer heraus mit den Unverträglichen und Überkräftigen, die Arbeit im Freien thut Wunder –«

Sie hatte, während sie sprach, den Arm erhoben und den nächsten Fensterflügel aufgerissen; nach einiger Zeit kam Frau Scholastika des Wegs und stieß ihn mit einem Ruck ihres Ellenbogens wieder zu.

So trieben's die beiden Frauen schon über zwanzig Jahre, denn die eine hatte stets heiß und die andre fror, und Frau Benedikta hatte jedesmal von neuem ihren Spaß daran.

Sie bemerkte, daß sich auch Maria an dem Gebaren der beiden ungleichen Frauen ergötzte. Wie ein neugieriges Kind sah sie aus ihrem weißen Häubchen heraus, selig, als sich endlich Frau Cäcilia, nachdem sie sich lange hatte bitten lassen, dem Harmonium näherte. Bei wem sonst schlug der schwere weiße Wollenrock so tiefe, schöne Falten! Und mit welcher Grazie sie den langen Ärmel zurückschlug, bevor sie ihre schmalen Hände über die Tasten gleiten ließ. Daß Frau Cäcilia, bei all ihrer Verachtung des Irdischen, dennoch in ihrem tiefsten Innern wußte, daß sie schön war und ihr ganzes Gehaben dem Dienste dieser Schönheit anpaßte, durchschauten Marias Augen nicht. Sie lauschte dem Gesang der schönen Frau, und ihr Anblick erfüllte sie mit Wonne.

Die alte Propstin aber flüsterte der betenden Frau Petronilla ins Ohr:

»Was singt sie jetzt wieder? Nie singt sie ein Lied, das ich kenne.«

»Sie weiß warum,« lachte Frau Petronilla auf, »Sie brummen sonst den Baß dazu.«

»Und wenn auch,« meinte Frau Eulalia, die sich über die Erfolge der Gesangslehrerin nie zu beruhigen vermochte, »muß man seinem lieben Nächsten nicht auch eine Freude gönnen? Aber Frau Cäcilia hört überhaupt nie zu, wenn von etwas anderem die Rede ist, als von ihrem Gesang. Ich danke Gott, daß ich nicht so egoistisch bin.«

»Hm,« machte Frau Petronilla, »seien Sie mal gütigst so ein Bild voll Gnaden und singen Sie einen in den siebenten Himmel 'nein –«

»Wollen Sie damit sagen, daß der Egoismus erlaubt ist?« fragte Frau Eulalia.

»Ich will weiter gar nichts sagen, als daß am Apfelbaum Äpfel wachsen und am Pflaumenbaum Pflaumen,« entgegnete Frau Petronilla.

»Das versteh nun einer,« meinte Frau Eulalia, und da Frau Cäcilia eben mit ihrem Lied zu Ende war, eilte sie flugs in die Mitte des Rekreationssaales, um das jüngste Kind ihrer Muse vorzutragen.

»Es gießt eine Wonne auf dieser Welt,
Von vielen ersehnt, ach – vergebens!
Eine Wonne, ein Glück, so hochgestellt,
Der schönste Schmuck dieses Lebens.
Den Namen des Glücks, brauch ich ihn zu nennen;
Der Stand der Gnade – wer sollt ihn nicht kennen?
Wenn unsere Seele, von Sünden gereinigt,
Sich ganz mit ihrem Heiland vereinigt,
Kein Engel im Himmel dann reiner ist
Als eine Seel, die in der Gnade ist.

Und klopfet sie also ans Himmelsthor,
Es öffnet das Thor sich zur Stelle,
Der göttliche Heiland, er tritt hervor,
Um ihn eine himmlische Helle.
O Seele, spricht er, du lieblich Erwählte,
Du Braut meines Herzens, auf die ich zählte.
Ich schließ dir die Reiche des Himmels auf,
Durchmiß sie frohlockend im Siegeslauf,
Und sammle die Schätze in meinen Hallen,
Die niemals in Moder und Asche zerfallen –«

In diesem Tone ging es über eine halbe Stunde lang; bei jeder Strophe hofften die Zuhörerinnen, daß das Gedicht zu Ende sei, aber vergebens.

»Frei nach Schiller,« knurrte die immer rascher ausschreitende Frau Scholastika, während etliche Arme an Geist von Zeit zu Zeit Töne der Bewunderung von sich gaben. In einer Ecke des schwachbeleuchteten Saales aber bemühten sich die jüngeren Nonnen, und Maria mit ihnen, umsonst, ernsthaft zu bleiben.

Indes die »Hms« der Mißbilligung aus dem Munde der Frau Scholastika mehrten sich in solch bedrohlicher Weise, daß die Äbtissin, die eine Scene befürchtete, dem Redestrom der Dichterin schleunigst Einhalt gebot, indem sie die verstimmte Novizenmeisterin an ihre Seite rief.

Sofort floß Frau Scholastikas Beredsamkeit von den Anliegen über, die ihre Seele bedrängten. Sie verlangte, daß im Noviziat die deutschen Klassiker gelesen werden müßten. Sie sprach von dem letzten Examen der Novizinnen, denen von den staatlichen Examinatoren die Aufgabe gestellt worden war, einen Aufsatz über Goethes Iphigenie zu machen im Vergleich zu der des Euripides. Und keine der Novizinnen war dazu imstande gewesen. Dies, sagte Frau Scholastika, sei ihr in einer Weise empfindlich, daß sie in letzter Zeit ihre Nachtruhe eingebüßt habe. Es müsse etwas geschehen.

»Es ist ein großes Unglück für uns,« meinte die Äbtissin, »daß die Examinatoren nicht mehr aus einem Konsortium katholischer Männer bestehen. Es führt dies zu Zugeständnissen, die sich mit dem Geist des Klosters kaum vereinigen lassen. Ich habe Ihnen erlaubt, Goethes Gedichte in Ihren Litteraturstunden einzuführen, aber nun auch noch die Dramen –«

»Ehrwürdige Mutter,« fiel ihr Frau Scholastika ins Wort, »die Welt ist nun einmal so thöricht, diesen heidnisch gesinnten Goethe, der jetzt gewiß zu tiefst im Fegfeuer seine Sünden abbüßt, auf ein Piedestal zu stellen. Es bleibt uns nichts andres übrig, wir können diesen Goethe nicht mehr wie bisher in der Litteratur umgehen. Aber Sie können mir das Vortragen seiner Dramen ruhig überlassen; hier wie bei den Gedichten werde ich die nötigen Korrekturen anbringen, damit die Seelenreinheit unserer Novizinnen nicht von dem Gifte seiner Anschauungsweise getrübt werde.«

Die Äbtissin seufzte: »Ich sehe diese Einmischung des Staates in unsre klösterlichen Angelegenheiten als eine Prüfung an; Gott will uns durch solche Heimsuchungen nur um so fester zusammenschmieden. Wem von uns fiele es ein, die heiligen Gelübde weniger ernst zu nehmen, weil der Staat sie nicht als bleibende anerkennt? Was geht es uns an, daß in seinen Augen eine Gelübdeablegung nur für zwei Jahre gilt? Uns gilt sie fürs Leben. Aber hüten müssen wir uns vor dem Gifte verderblicher Schriften.«

Frau Scholastika nahm wieder das Wort.

Eine in sich gefestete, durch und durch von ihrem Gott erfüllte Seele sei gegen jegliche Anfechtung gefeit, erklärte sie. Sie habe nur ein Lächeln für die aufrührerischen Ideen solch gottverlassener Menschen. –

Sie war im Zuge und sprach weiter und weiter. Da und dort bildeten sich erst leise, dann immer lauter werdende Nebenunterhaltungen.

»Ich beneide sie um nichts,« meinte Frau Petronilla, »als daß sie stundenlang reden kann, ohne sich zu erhitzen.«

»Es müßte jemand den Mut haben, ihr zu sagen, daß ihre Reden durchaus nicht gescheiter sind als meine Gedichte,« flüsterte Frau Eulalia Frau Benedikta zu.

»Es ist eben nicht für alle das gleiche gescheit,« gab ihr diese zur Antwort.

»Sie hat eine Nase wie ein Habicht,« erklärte Frau Eulalia, »wenn ich zu wählen hätte, wäre mir die der Frau Petronilla noch lieber.«

»Ich würde keine wählen,« lachte diese auf, »da ich nun aber einmal meine habe, so danke ich alle Tage Gott, daß er mir den Weg ins Kloster gewiesen, wo man mit allem Behagen häßlich sein kann.«

»Glauben Sie mir,« flüsterte ihr Frau Eulalia mit großer Wichtigkeit zu, »Frau Cäcilia bildet sich gewiß ein, ihr Gesicht gefalle unserm himmlischen Bräutigam besser als das Ihre.«

»Heilige Muttergottes von Einsiedeln,« platzte Frau Petronilla heraus, »das nähme ich ihm keinen Augenblick übel!«

Frau Cäcilia hatte eben zu präludieren angefangen, und Frau Eulalia, die fürchtete, die Rivalin möchte ein Lied anstimmen, fuhr flugs mit der Hand in die Tasche.

Allein Frau Scholastika, die diese von ihr sehr gefürchtete Bewegung erspäht hatte, rief laut: »Ich möchte es wirklich ein einzigesmal erleben, daß Frau Eulalia eine Aufforderung abwartete, ehe sie mit dem Vortrag ihrer Gedichte beginnt.« –

»Ich – o ich!« kreischte die tiefbeleidigte Eulalia. –

Da ertönte der dumpfe Schlag einer Glocke; keine der Frauen sprach den angefangenen Satz mehr aus. Die Äbtissin erhob sich und schritt der Thüre zu; die Nonnen folgten; Maria war die letzte.

Sie strahlte; was sie gehört und gesehen, hatte sie ebenso erbaut als ergötzt; eine wundervolle Abwechselung nach den eintönigen Wochentagen im Noviziat.

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