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5.

Maria hatte ihre erste heilige Kommunion gemacht; sie war jetzt ein hochaufgeschossenes Mädchen, schlank wie eine Gerte, aber die wilde Grazie ihrer Kindheit sprach noch aus jeder ihrer Bewegungen.

Im Grunde jedoch war sie eine andere geworden; die Trennung von Markus war nicht nur der erste große Schmerz ihres Lebens, er bedeutete für sie noch außerdem Vereinsamung und Freudelosigkeit. Es war aus mit dem fröhlichen Herumstreifen in Feld und Wald.

Das heranwachsende Mädchen aber hatte in der That keinen Menschen mehr, an den sich ihr liebebedürftiges Herz anschließen konnte, als Frau Benedikta. Dazu die ihre Phantasie mächtig anregenden Kirchenfeste, die ganze edle Ruhe des Klosterlebens, jenes mystische Etwas der in ihren weißen Gewändern so leise einherschreitenden Nonnen – dies alles gewann eine immer größere Gewalt über Maria, die sich zu Hause durch das gewöhnliche Gebaren der Tante mehr und mehr abgestoßen fühlte.

So kam's, daß sie bei ihrer ersten heiligen Kommunion, in der weihraucherfüllten Kirche und unter den von Klosterfrauen mit Innigkeit vorgetragenen Gesang:

»O Herr, ich bin nicht würdig,
Mich deinem Tisch zu nah'n –«

ihrem Herrn und Heiland gelobte, sich für immer seinem Dienste zu weihen.

Glücklich und stolz über den großen Entschluß, den sie gefaßt, hochrot vor Erregung, teilte sie ihrer Lieblingslehrerin ihren Wunsch mit, sich dem Kloster zu weihen.

»Und dann bin ich ewig mit dem lieben Gott und mit Ihnen vereint –« schloß sie ihr Bekenntnis.

Frau Benedikta erschrak; sie, die das wilde, kleine Geschöpf durch die Kindheit geführt und der Mutterlosen die Liebe geschenkt, deren sie bedurft hatte, sie sollte das erwachsene Mädchen nun ins Verderben ziehen? Denn niemand wußte besser, als Frau Benedikta, daß dies Leben heischende und Leben sprühende Geschöpf nimmermehr in die stille Welt des Klosters paßte. Auf diesen Gedanken wäre Maria ohne den Verlust ihres Jugendgespielen auch niemals gekommen.

Sie aber, Frau Benedikta, hatte sich den Vorwurf zu machen, daß sie seit jener Zeit das Herz des Kindes noch mehr als früher an sich herangezogen hatte.

Nun hieß es, Maria in aller Stille von ihren Klostergedanken abzubringen.

Der Verkehr mit dem Liebling war jetzt ein viel beschränkterer als bisher; Frau Scholastika herrschte in der dritten Klasse, in der sich Maria nun befand, und die Novizenmeisterin war eine große Despotin.

Frau Benedikta räumte immer sehr schnell das Feld, wenn Frau Scholastika mit ihrem dicken Band unter dem Arm das Schulzimmer betrat, denn sie versäumte nie, Frau Benediktas Thätigkeit, die sie gründlich verachtete, mit irgend einer sarkastischen Bemerkung zu bedenken.

Der Novizenmeisterin war Frau Benediktas Einfluß auf Maria längst ein Dorn im Auge, denn es entging ihr nicht, daß diese sich weit mehr für ihre künstlerischen Aufgaben, als für ihre wissenschaftlichen interessierte. Sie setzte darum alle Hebel in Bewegung, um Maria auf ihre Seite zu bekommen. Sie hatte Frau Benedikta schon manche talentierte Zeichnerin abspenstig gemacht, denn Frau Scholastika kannte keine Rücksicht, wenn es sich um ihre Interessen handelte.

Frau Benedikta hatte in der That die große Genugthuung, in ihrem Liebling eine höchst talentierte Jüngerin ihrer Kunst heranbilden zu dürfen. Maria entwarf zwar fürs erste noch sehr kühne und merkwürdige Gebilde, über die sich die Lehrerin nicht genug verwundern konnte. Aber als sie einmal das junge Mädchen fragte, wo sie denn ihre Vorbilder für ihre Muster hernehme, erhielt sie die Antwort:

»Von überall her; der Markus hat's so gemacht.«

»Gut,« gab die Lehrerin zu, »aber ich meine, man könnte diese Ranken und Blätter doch ein wenig gefälliger ordnen; es geht ja alles über den Rahmen hinaus.«

Maria besann sich, dann schüttelte sie den Kopf:

»Der Markus hat gesagt, so wie's der liebe Gott wachsen läßt, so ist's recht.«

Und Frau Benedikta ließ sie gewähren; erinnerte sie sich doch ihrer eigenen Jugendzeit und ihrer Abneigung gegen die unendlich geschmacklosen Muster, die sie bei ihrem Eintritt ins Kloster vorgefunden. Denn die in früheren Zeiten auf so glänzende Weise im Kloster geübte Kunststickerei hatte allgemach ein handwerkmäßiges Gepräge angenommen, und es war Fran Benedikta vorbehalten, eine neue und künstlerische Richtung einzuführen.

Regte sich in Marias großzügigen Entwürfen vielleicht die Richtung einer neuen Zeit? Jedenfalls war Frau Benedikta selbstlos genug, um das Schöne auch im Neuen anzuerkennen.

Eines Tages kam die Novizenmeisterin gerade dazu, als Maria sich zu Frau Benedikta flüchtete, und zwar wegen einer Strafe, die sie sich dadurch zugezogen, daß sie während der Geschichtsstunde an einem Muster gezeichnet hatte.

Als Frau Benedikta von der Schule ins Konvent trat, stand Frau Scholastika vor ihr.

»Sie wissen wohl,« redete sie Frau Benedikta an, »daß es uns nicht erlaubt ist, der Kinder Herz an uns heranzuziehen, und thun es dennoch. Immer stecken Sie mit Maria zusammen und bestärken sie in ihrer Abneigung für meine Stunden –«

»Das thue ich nicht,« unterbrach Frau Benedikta die erzürnte Frau, »ich habe nur den einen Wunsch, Maria von dem Gedanken abzubringen, ins Kloster zu gehen, denn ich habe die feste Ueberzeugung, daß sie sich nicht für unsern Beruf eignet.«

»Das ist's!«

Frau Scholastika stellte ihr Examen ein.

Bald darauf, als Frau Benedikta wieder einmal eine Gelegenheit wahrnahm, Maria mahnende Worte bezüglich ihrer Klostergedanken zuzuflüstern, gab ihr das Mädchen mit einem gewissen Trotz zur Antwort:

»Frau Scholastika hat mir gesagt, der Wille mache eine jede zur Berufenen.«

Frau Scholastika, die keine Ahnung von Marias wahrem Wesen hatte! – Und sich mit dieser Frau in Erörterungen einlassen – Frau Benedikta wußte, daß sie unfehlbar den Kürzeren ziehen würde.

Sie begab sich noch an demselben Tag zur Aebtissin.

Die hohe Frau saß an ihrem Schreibtisch. Ein Betstuhl in der Mitte des Gemaches; ein paar Holzstühle und an den Wänden die Bilder der Heiligen Bernhardus, Aloysius und Ignatius bildeten die ganze Einrichtung des hohen und weiten Gemaches.

Mit dem Rücken gegen das Fenster stand ein massiver Lehnstuhl, in dem die Aebtissin, nachdem sie ihre Feder niedergelegt, jetzt Platz nahm, während Frau Benedikta zu Füßen der Aebtissin auf einem kleinen Schemel niederkniete – der Platz aller, die sich ratsbedürftig der Vorgesetzten näherten.

»Ich bin in großer Sorge um Maria,« begann Frau Benedikta ihre Beichte, »das Kind hat an seiner ersten heiligen Kommunion das Gelöbnis gethan, sich Gott zu weihen

Das Gesicht der Aebtissin nahm plötzlich den Ausdruck lebhaften Interesses an.

»Frau Scholastika sprach mir davon; sie sagte mir auch, Sie hätten die Absicht, Maria von ihrem Entschluß abzubringen – «

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Frau Benedikta seufzte: »Gott weiß, wie glücklich ich wäre, wenn wir das Kind immer hier haben und vor allen Einflüssen der Welt schützen könnten! Aber Maria ist keine Berufene; ich muß mich anklagen, sie zu sehr an mich herangezogen zu haben, ja, ich bin vielleicht die Hauptschuld an ihrem Entschlusse. – In Maria ist eine große Leidenschaft, eine große Sehnsucht nach Liebe.«

»Wer könnte dieser besser genügen als Gott?« unterbrach sie die Aebtissin.

»Ich glaube, Maria sehnt sich nach Menschenliebe.«

»Wer von uns hat das Kloster als eine Vollkommene betreten?«

»Aber unsere arme Schwester Notburga,« wagte Frau Benedikta ganz leise zu erinnern, »unsere arme Schwester Notburga hat auch gekämpft und – nicht gesiegt – ebenso Schwester Pauline –«

Die Augen der Aebtissin nahmen einen abweisenden Ausdruck an; sie wurde nicht gern an jene räudigen Schafe erinnert, die ihrem Einfluß eine so unbezwingbare Gemütsart entgegengesetzt hatten.

»Wozu ängstigen Sie sich, Frau Benedikta,« bemerkte sie mit ihrem gewohnten Lächeln, »wäre es denn nicht eine große Gnade, wenn dieses Kind seine seltenen Gaben und Fähigkeiten zur Ehre unseres Klosters entwickeln dürfte? Glauben Sie mir, die Welt hat stärkere Leiden als das Kloster –«

»Nicht auch stärkere Freuden?« wagte Frau Benedikta zu bemerken. »Und vielleicht brauchen das solche Naturen wie Maria und Notbur –«

»Es steht mir fern,« unterbrach sie die Aebtissin, »von Ihnen zu verlangen, das Kind einzuziehen; wenn jedoch der Beruf in ihr spricht, wäre es Sünde, eine junge, nach dem ewigen Heil verlangende Seele von sich zu stoßen. Was ich bisher von diesem Kinde gehört, widerspricht durchaus nicht ihrem jetzigen Vorhaben. Wozu sich also beunruhigen? Gott wird zu Ihnen reden durch die Seele dieses Kindes; wir müssen es nicht besser wissen wollen.«

Frau Benedikta ging in einer eigentümlichen Verfassung von der Aebtissin weg. Sie sah sich sozusagen in ihrer eigenen Schlinge gefangen; gar bitter rächte sich, was sie über Maria verschwiegen hatte, denn die Aebtissin kannte ja das Kind nicht, sonst würde sie ganz anders gesprochen haben – sie, die klare, die hellsehende Frau!

Frau Benedikta quälte sich mit dem Gedanken, daß sie mit der Wahrheit heraus müsse; ihr lag vor allem ob, der Aebtissin zu sagen, daß dem Mädchen erst nach des Jugendgespielen Fortgehen die Sehnsucht nach dem Kloster gekommen sei.

Was war das nur in ihrem Innern, das sie immer wieder davon abhielt, Markus zu erwähnen? Es kam ihr wie ein Verrat vor an dem schönen Vertrauen, das ihr sein Blick geoffenbart, und ein Mißdeuten dieser Kinderfreundschaft –

Ein Unwille erfaßte sie bei dem bloßen Gedanken –

Ueberhaupt all die fremden Dinge, die mit einemmal in ihr erwachten! Jene Nacht fiel ihr ein am Lager der fiebernden Notburga; diese hatte nach ihr verlangt, allein die Aebtissin trat mit ins Krankenzimmer, und bei den ersten Worten, die sie sprach, geriet die Kranke in Tobsucht, stieß fürchterliche Reden aus und war nur mit Mühe und Not zu bändigen. Man schickte nach dem Klosterarzt.

»Ich hätte nie geglaubt, daß wir eine so verlorene Seele beherbergten,« suchte sich die Aebtisssin bei dem Arzte wegen der Reden der Kranken zu entschuldigen.

»Die Arme ist tief zu bedauern,« gab ihr der Mann zur Antwort, »sie kann nichts für diese Reden, es ist das unterdrückte Leben, das aus ihr schreit.«

Frau Benedikta hatte dieses Erlebnis wie etwas Unreines aus ihrem Gedächtnis getilgt, und nun stand es plötzlich wieder auf – trotzdem sie sich sagte, daß sie nicht daran denken durfte – sich überhaupt keine Gedanken machen durfte. Ihre Pflicht war, sich nach dem Gebote der Vorgesetzten zu richten, die ihr befohlen zuzuwarten, was Gott durch die Seele des Kindes offenbare.

Was war das nur mit einemmal in ihr, das allen Klosterregeln zum Trotz nicht schweigen wollte, sich nicht fügte, nicht blind ergab? Das die bisher so unselbständige Seele der Frau zwang, plötzlich ihrem Gelübde des Gehorsams untreu zu werden, indem sie aus eigener Macht einen andern Weg einschlug, als ihr befohlen worden war?

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