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10.

Egon von Scheffler war glücklicher Bräutigam. Es hatte schwere Mühe gekostet, den Alten herumzukriegen; vieler Tränen des Töchterchens hatte es bedurft, und vieler Versicherungen des Offiziers. Aber die Helene hatte das höchst schlau eingefädelt – was sollte der Vater jetzt noch machen?!

Es war eine unangenehme Überraschung für Heinrich Schmölder gewesen, als am hellen Pfingstnachmittag seine Hedwig plötzlich zu ihm in die Stube stürmte, wo er auf dem Sofa lag und rauchte, hastig, mit glühenden Wangen und glänzenden Augen sich auf ihn stürzte, die Arme um seinen Nacken schlang und ihr Gesicht an das seine preßte: »Ach, Papa, Papachen, ich bin ja so glücklich!« Was hatte sie sich denn so? Er wußte nicht, wie ihm geschah. Aber als er, sich ein wenig vom Sofa aufrichtend, Herrn von Scheffler in der Tür stehen sah, etwas verlegen lächelnd, aber doch mit einer gewissen Siegermiene, da wußte er alles. Zum Donnerwetter, wie war der denn hereingekommen?

Auch Frau Schmölder war, trotzdem ihr der Offizier so wohlgefiel, von der Plötzlichkeit der Sache nicht sehr erbaut: Hedwig war doch noch so jung, man hätte doch noch erst überlegen sollen! Sie sah ihre Tochter so böse an, wie sie nur konnte: fragt man nicht erst seine Mutter um Rat? Und Heinrich sah wiederum seine Frau böse an: sie war an allem schuld, sie hatte die Sache protegiert! Aber Hedwig schien so glückselig, und sie war das einzige Kind. Schulden hatte übrigens Scheffler nicht. Er hatte sofort, nachdem ihn Schmölder zu einer Unterredung in sein Privatkontor gebeten hatte, seine Verhältnisse unumwunden klargelegt: Vermögen hatte er keins, nur eine Zulage, aber ein gutes Avancement hatte er vor sich, und er war auch niemandem etwas schuldig.

Mit umwölkter Stirn sagte der Fabrikant ja. Er hätte lieber jeden anderen zum Schwiegersohn gehabt, als einen Offizier; aber wenn er gerecht sein wollte, mußte er sich eingestehen, daß der, an dem er so gern etwas zu tadeln finden wollte, untadelig aus seinem Verhör hervorgegangen war.

»Machen Sie meine Hedwig jlücklich«, sagte der Vater. Es lag eine Bitte in dem sonst so trockenen Ton Heinrich Schmölders, und zugleich eine leis-bange Frage, die der Bräutigam wohl heraushörte.

Er verbeugte sich gehalten: »Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, Ihr Fräulein Tochter glücklich zu machen. Mein Ehrenwort!«

Ein paar Stunden später nannte man sich schon »Egon« und »Schwiegerpapa«, wenn auch vorerst das »Sie« noch beibehalten wurde. Heinrich Schmölder hatte einen feinen Wein heraufbringen lassen; die Eltern sahen immer wieder ihr Kind an, und das Kind den Bräutigam.

Scheffler selbst war in einer strahlenden Laune. Es war alles so glatt gegangen, es hatte gar nicht vieler Worte bedurft in dem blühenden, lauschigen Garten, und das kleine Mädchen war ihm an die Brust gesunken, und er hatte ihr einen zarten Kuß aufgedrückt. Nun hielt er die Hand der Braut beständig in der seinen. Er sah wohl den ängstlichforschenden Blick des Vaters, der ihn über den Tisch weg fast durchbohrte, aber er lächelte zuversichtlich: ja, er hatte dies kleine Mädchen wirklich lieb, herzlich lieb, viel lieber, als er eigentlich gedacht hatte. Es würde schon ganz gut mit ihr gehen.

Es wurde spät, bis der Bräutigam sich verabschiedete, und als ihm dann die Braut das Geleit bis zur Gartentür gab, und er sie da noch einmal küßte, mischte sich in diesen Kuß ein aufflackerndes Begehren: wahrhaftig, das hatte er sich doch nicht so reizend gedacht, so ein junges Ding die Liebe zu lehren!

Der Schwiegervater hatte ihn mit der Equipage heraufgeschickt. In der weichgepolsterten Ecke lehnte träumerisch der Offizier; er dachte daran, daß der Alte doch eigentlich ein famoser Kauz sei, der, der Tochter zuliebe, auch dem Schwiegersohn so leicht nicht etwas abschlagen würde. Zufrieden lächelte er in sich hinein. Gedanken, angenehme Gedanken strömten ihm in Menge zu; er war ganz darein vertieft.

Da merkte er doch plötzlich auf. Wie ein Schatten flog etwas an ihm vorüber, ein beschlagener Huf sprühte Funken, ein Pferdeatem, heiß und keuchend, schnob am Wagen vorbei. Was war das?! Er wollte sich erheben, sich umsehen – da – da war auch schon alles verschwunden. Ein Traum, eine Halluzination, eine Täuschung der Sinne. –

*

Am folgenden Morgen pochte der Bursche vergebens an Abekings Tür. Der Herr Leutnant hatte mal einen festen Schlaf, aber wenn auch noch Festtag war, er mußte doch Appell abhalten. Der Bursche räusperte sich und scharrte mit den Füßen, zuletzt donnerte er mit der Faust gegen die Tür. Diese war nicht verschlossen; als er sich endlich ohne »Herein« hineintraute, war sein Leutnant nicht da, das Bett gar nicht berührt.

Er stieß unwillkürlich einen Laut des Erstaunens aus, der die ganze Enge der Offiziersbaracke durchhallte.

Adjutant von Scheffler steckte den Kopf mit der Schnurrbartbinde und den mit Creme gesalbten Wangen zu seiner Tür heraus, aus einer anderen fuhr der Stabsarzt; Leutnant Schmidt und noch mehrere zeigten sich im Negligé. Was war denn los? Was brüllte der Kerl denn so und glotzte wie ein abgestochenes Kalb?! –

Wenige Stunden später erschienen verschiedene der Herren in Heckenbroich. Die Leute, die in Hemdsärmeln in ihrem Heckenausschnitt standen, den zweiten Pfingsttag anrauchten und sich des warmen Wetters freuten, wurden ausgefragt: hatten sie heute nicht etwa einen Herrn vom Lager gesehen, einen Leutnant von der Artillerie? So und so sah er aus. Man gab ein genaues Signalement. Aber keiner der Bauern wollte ihn gesehen haben.

Kopfschüttelnd kehrten die Herren wieder ins Lager zurück. Donnerwetter, wo steckte der Abeking denn? Vom Platz konnte man sich doch nicht mir nichts dir nichts entfernen. Heute gegen Mitternacht war er mit Schmidt und dem Stabsarzt heimgekommen, sie hatten sich alle schlafen gelegt, und nun war er auf einmal nicht mehr da, und kein Posten hatte ihn sich entfernen gesehen! Es ging nicht anders, man mußte Meldung machen.

Scheffler übernahm diese heikle Mission. Er entledigte sich ihrer mit der ihm eigenen Gewandtheit und Delikatesse, aber er entging doch nicht dem Donnerwetter der Ungnade. Man liebte es so wie so nicht, daß die Herren in der Nacht erst nach Hause kamen – der Offizier hat ein Vorbild zu sein, sowohl was Pünktlichkeit anbelangt als Solidität – und nun diese Geschichte! Erst als es Scheffler gelang, die vertrauliche Mitteilung seiner Verlobung beim Höchstvorgesetzten anzubringen, wurde dieser gnädiger. Er gratulierte seinem Adjutanten in schmeichelhaften Worten: war wirklich nett, sehr nett, diese Verlobung. Schmölders sehr nette Leute, alteingesessenes Patriziergeschlecht.

»Aufrichtigen Glückwunsch, lieber Scheffler. Nun, wenn Sie Hauptmann sind, wird wohl geheiratet, was?«

»Zu Befehl, Herr Oberst!«

Der kleine Abeking war wieder in den Hintergrund gerückt. Die Verlobung von Scheffler wurde allgemein besprochen. Aber als es Mittag wurde und Nachmittag, und der Leutnant noch immer nicht da war, fingen die Kameraden wieder an, und zwar besorgter, auf ihn zu harren. Es war ihm doch wohl nichts passiert?!

Eine glühende Sonne, viel heißer noch als die gestrige, brannte dörrend aufs Lager herab. Die Wellblechbaracken sprühten. Die meisten der Offiziere lagen bei verhängten Fensterchen auf ihren Betten und duselten, einige gähnten im Kasino. Alle hatten sie noch einen gewissen Katzenjammer von gestern, keinem Menschen war es behaglich.

Es war schon spät, als es an Bürgermeister Leykuhlens Tür klopfte. Ein paar erhitzte Radfahrer standen draußen.

Bis zum Dunkelwerden hatte man im Lager noch geduldig auf Leutnant Abeking gewartet, aber nun es Nacht zu werden anfing, zudem ein Gewitter drohte, hatte man plötzlich Angst bekommen. Es mußte Abeking irgend etwas passiert sein, nicht anders war sein unerklärliches Verschwinden möglich. Sämtliche Leute wurden ausgefragt, Unteroffiziere wie Gemeine, Infanterie wie Kavallerie und Artillerie, das ganze Lager war aufgestöbert.

War das eine Geschichte! Diese gottverfluchte Gegend, diese verdammte Ödenei! Was einem hier alles passieren konnte! Wie in Südwestafrika; schlimmer war's in der Wüste und bei den Hottentotten auch nicht, als hier in der Heide und im Moor. Vielleicht daß der Leutnant nicht hatte schlafen können vor Hitze – 's war ja auch unter dem Wellblech zum Ersticken – er mochte wieder aufgestanden und ungesehen hinauspassiert sein, um sich draußen Erquickung zu holen. Diese verdammten Vennlöcher, die man nicht eher merkt, als bis man drin steckt! Er mochte eingebrochen sein im Halbdunkel, der arme Kerl, in ein tiefes Loch, vielleicht bis an den Hals. Er hatte sich nicht mehr herausarbeiten können. Oder ob ihn einer überfallen hatte, Geld bei dem Offizier vermutend? Vielleicht lag er irgendwo erschlagen hinter einem Busch, war ins Dickicht einer Tannenschonung verschleppt worden! Die Kolonie der Verbrecher, zwischen Lager und Dorf, war nicht weit. Was hat so ein Kerl denn noch zu verlieren?! Wenn er entdeckt wurde, Kopf ab; das war auch nicht viel schlimmer, als da oben zu hacken und zu roden.

Die abenteuerlichsten Gerüchte schwirrten durchs Lager. Wer zuerst solch grausige Befürchtung ausgesprochen hatte, wußte man nicht. Aber wo zwei, drei zusammenstanden, sprach man davon. Jetzt war die Befürchtung fast zur Gewißheit geworden: krank war Leutnant Abeking ja nicht gewesen, nein, ganz normal bei Kräften und bei Sinnen. Gesund und munter war er gestern mit Schmidt und Scheffler und dem Stabsarzt zum Diner in den »Schwan« gefahren, mit Schmidt und dem Stabsarzt auch wieder gesund und munter heraufgekommen. Nicht mit dem Krümperwagen waren sie gefahren, mit dem Break vom Bahnhofswirt. Ob der vielleicht etwas wußte? Einige eilten dorthin.

Aber der Bahnhofswirt zuckte die Achseln: er wußte nichts. Dienstbeflissen wollte er aber gleich einmal seinen Knecht fragen, den Kutscher, der die Herren gefahren hatte. Vielleicht daß der eine Ahnung hatte! Die Herren tranken derweil am Büfett einen Kognak, der Wirt ging in den Stall zum Knecht.

Er blieb lange aus, endlich kam er mit einem ganz eigentümlichen Gesicht wieder. Er war blaß, und heftige Erregung zitterte in seiner Stimme: da wäre ihm ja bald sein Pferd ruiniert worden, sein bestes Pferd! Eben hatte der Wallone es eingestanden, als er das Tier zerschunden und blutrünstig im Stall stehen fand, ganz lahm und abgetrieben. Bei den Ohren hatte er den Burschen gepackt, es aus ihm herausgeschüttelt: was war mit dem Gaul passiert? Da hatte der Junge geheult: der Herr Leutnant, den er gestern abend bis vors Lager gefahren hatte, der war noch einmal umgekehrt, gerade als er die Pferde in den Stall führen wollte, hatte ihm, ehe er sich dessen versah, den einen Gaul aus der Hand gerissen, selber Decke aufgeschnallt, Halfter angelegt, sich aufgeschwungen – heidi, auf und davon. Vergebens war er ihm nachgelaufen, vergebens hatte er »halt« geschrien. Die ganze Nacht hatte er nicht schlafen können deswegen: was geschah mit dem Pferd? Aber am Morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, zur ersten Futterzeit, da hatte der Gaul sich wieder vorm Stall eingefunden – und so sah er aus! Er hatte dem Tier schon die geschrammten Stellen gekühlt.

Nun verlangte der Wirt sehr energisch eine Entschädigung: das ging denn doch nicht an, daß ihm die Herren Offiziere die Pferde so kujonierten und zurichteten!

Die Herren vom Lager bekamen einige sehr unangenehme Wahrheiten zu hören. Der Bahnhofswirt wurde ausfallend; daß man ihm sein Pferd so mir nichts dir nichts entführt hatte, das brachte ihn aus der Fassung.

Die Herren straften ihn mit der gebührenden Verachtung; aber sie schrieben ihren Ärger Abeking aufs Konto: erst betrank sich der Junge und benahm sich dann wie ein Toller! Wahrscheinlich lag er nun irgendwo und schlief seinen Rausch aus.

Fast hätte man Lust gehabt, das Suchen aufzugeben. Patrouillen waren ja schon längst ausgeschickt worden, ein paar Trupps suchten den Schießplatz ab und das ganze anstoßende Gelände; zwanzig Mann waren ins Venn hinaufmarschiert, jede Schonung zu durchstöbern, jeden Tümpel zu durchforschen.

Scheffler mußte jetzt zu seiner Braut, der Krümperwagen wartete schon. Aber der Stabsarzt wollte sich doch noch nicht zufrieden geben: man hatte so oft mit dem jungen Kameraden fröhlich zusammengesessen. Er war ein guter Radfahrer, Leutnant Schmidt auch. Die beiden berühren nun jede Strecke rechts vom Lager, links vom Lager, und in weitem Bogen um dasselbe herum. Sie riefen, sie schrien: »Abeking! A–a–beki–i–ing!«

Das Echo am Krummen Ast spottete ihnen nach; auch aus den Tannen äffte es sie. Es wurde dunkel, sie konnten nicht überall fahren, sie mußten absteigen und schieben; sie fluchten und schwitzten. Wie verflogene Glühwürmer irrten ihre Laternen durch die todstille Einsamkeit. – –

Auch sie hatten ihn nicht gefunden. Nun waren sie noch einmal nach Heckenbroich gekommen.

»Meine Herren, waren Sie denn schon nach der Stadt herunter?« fragte Leykuhlen, als sie erhitzt, die dampfenden Stirnen wischend, in einer gewissen Nervosität vor ihm standen.

Nach der Stadt? Sie belächelten fast die Frage. Da war der Kamerad ja gerade hergekommen! Und überdies hätte man von dort längst Nachricht erhalten; Abekings Verschwinden war jedenfalls dort ebenso bekanntgeworden wie hier.

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf: die Herren irrten, hier im Dorf erregte das ja auch weiter kein großes Aufsehen, die Leute saßen hinter ihren Hecken. Aber wenn es den Herren darum zu tun war, wollte er wohl noch einmal mit ihnen suchen gehen.

Er rief nach seiner Frau: »Bring mir die Latern, Mariechen!«

Und dann gingen sie, die Offiziere ihre Räder führend, er ihnen voran mit starkem Schritt.

Die Nacht war sternenlos, das zuckende Leuchten am Himmel kam näher und näher. War es so schwül, daß ihnen immer wieder und wieder der Schweiß von den Stirnen rann, oder machte eine seltsame Unruhe ihnen so unangenehm heiß?

»Fangen Sie auch an, etwas unruhig zu werden, Doktor?« fragte leise Schmidt.

»Na, und ob!« Der Dicke wischte sich den Schweiß ab. Dann sagte er lauter: »Herr Bürgermeister, wirklich sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mit uns gehen!«

Der Bürgermeister gab keine Antwort. Er hatte von dem Verschwinden des jungen Offiziers heute vormittag schon gehört, nun war es Nacht, derselbe noch nicht wieder da – vielleicht eine Weibergeschichte – oder wirklich ein ernstlicher Unfall?! Seine Mundwinkel zogen sich herab in einem leis-geringschätzigen Lächeln: kein Mädchen von Heckenbroich würde sich zu so etwas hergeben, aber es gab ja noch andere Frauenzimmer. Es durchzuckte ihn plötzlich, er schlug sich vor die Stirn: die Helene?! Fast hätte er's laut herausgeschrien: zu der mußte man gehen, die einmal ordentlich ins Verhör nehmen. Aber still, was ging's ihn an, mochten sie selber ihre Klugheit erweisen, die Herren vom Lager. Jetzt war es nicht an der Zeit, harte Worte zu sprechen – warum mußten die auch immer herunterfahren und erst zurückkommen bei Nacht und Nebel und den Frieden des Dorfes stören mit Rädergerassel und Hallo – nein, jetzt nichts davon! Jetzt galt es, einen Menschen zu suchen, der sich verloren hatte, der – er stockte in seinen Gedanken – war der Leutnant am Ende doch verunglückt? Ein toller Ritt bei der Nacht auf ungesatteltem Pferd. Er schüttelte nachdenklich den Kopf.

Sie waren jetzt bei der ersten scharfen Biegung der zu Tal führenden Straße angelangt. Heut schimmerte das sich windende Band der Chaussee nicht so weiß wie gestern im Mondenschein. Unsicher ging man durchs Dunkel, die Laternen warfen nur einen kleinen Lichtkreis; fratzenhaft tauchte für Momente irgendein abgehauener Strunk darin auf oder ein Meilenstein am jäh abstürzenden Rande. Unten rauschte das Wildwasser. Regungslos standen die Tannen, Urwaldbäume, gewaltige Riesen, die Dunkelheit noch mehr verdunkelnd durch ihre schwarz ragende Wand.

»Glauben Sie, daß ihm etwas Ernstliches zugestoßen sein könnte, Herr Bürgermeister?« fragte plötzlich der Stabsarzt. Beklommenheit war in der Frage. Und gleich darauf erhob er seine Stimme: »Abeking! A–a–beki–i–ing!«

»Schreien Sie doch nicht so! Warum schreien Sie denn so wie ein Kind im Dunkeln?« wollte Schmidt spötteln. Aber der Spott kam nicht heraus; in seinen Ton mischte sich etwas anderes.

Ein Huhuhen ging durch die Tannen. Jetzt ein schriller Pfiff. Man sah nichts, aber man hörte etwas. Allerlei Nachtgevögel, durch den Ruf aufgeschreckt, ließ sich vernehmen.

»A–a–beki–i–ing!«

»Doktor, was fällt Ihnen de– –«

»Halt!« sagte plötzlich Leykuhlen. Seine Hand legte sich mit eisernem Griff dem Offizier auf den Arm. Er hatte seine Laterne gehoben und dann wieder gesenkt; ihr Strahl fiel auf den weißen Meilenstein, der gespenstisch ragte wie ein Grabmal, auf das der Mond scheint. Er leuchtete rundum und bückte sich dann nieder. Die schmale Grasnarbe, die noch zwischen Straße und Absturz läuft – hier an der schärfsten Biegung wie ein Vorsprung über der Bergschlucht hängt – war aufgewühlt. Hier hatte ein Pferd gescharrt – gescheut! Man sah noch den Schlag des Hufes wider den Meilenstein.

Alle drei Männer sahen es und schwiegen. Es durchfröstelte die Offiziere. Das Wildwasser rauschte herauf durch die Dunkelheit.

Jetzt ein Brechen, ein Knacken von Zweigen. Leykuhlen fing an, von der Chaussee die senkrechte Böschung abwärts zu klettern. Die anderen folgten ihm.

»Hören Sie nichts?« Leykuhlen drehte den Kopf nach den ihm Folgenden.

Nein, sie hörten nichts. Aber der Ton ihres Führers machte sie stutzen. Ihre Räder hatten sie am Chausseerand hingeworfen, die Laternen waren erloschen; des Bürgermeisters Laterne allein leuchtete ihnen notdürftig durch Gestrüpp und Dornengerank und Strünke und Schiefergeröll. Immer steil abwärts ging es, ein böser Absturz. Sie rutschten und kletterten. Hätte man sich nicht an den tiefhängenden Ästen der Tannen anhalten können, man wäre unbarmherzig gestürzt.

»Donnerwetter!« ächzte der Stabsarzt. Aber dann wurde sein Ton plötzlich noch besorgter, er stieß hastig heraus: »Hier scheint schon mal einer vor uns heruntergerutscht zu sein – Achtung! A–a–be–king!«

»Rufen Sie, rufen wir noch einmal«, befahl Leykuhlen. »Alle zusammen!«

Sie schrien jetzt alle drei: »A–a–be–ki–i–ng! A–a–be–ki–i–ng!« Langgezogen und fragend erklang es. Langgezogen und klagend hallte die jenseitige Steilwand der Talschlucht ihre Rufe zurück. Nachtvögel fuhren um sie auf, hinter ihnen prasselten dumpf die Steine und schossen dann nieder, bis sie aufklatschten unten im Bach.

Aber jetzt vernahmen die Offiziere noch etwas anderes; es klang wie ein schwacher Ruf. Ein Stöhnen hintennach. Ihr Kamerad, war er das?!

»Abeking, sind Sie da? Wo? Geben Sie Antwort. Wo?«

In rücksichtsloser Eile stürzten sie abwärts, die Mützen wurden ihnen durch die Zweige von den Köpfen gerissen, an ihren Uniformknöpfen zerrten die Dornranken. Eine fieberhafte Aufregung hatte sich ihrer bemächtigt: war's' Abeking? Er gab jetzt keine Antwort mehr. Wo, wo?

»Hier«, sagte jetzt Leykuhlen und kniete rasch nieder.

Seine Laterne beleuchtete den Gestürzten. Das Gesicht war totenbleich, die Augen geschlossen, das blonde Haar klebte an der Stirn. Als Leykuhlen den Kopf des Leutnants ein wenig hob und ihn sich in den Schoß bettete, rann es ihm feucht über die Finger.

Und jetzt kam das Gewitter herauf, das schon lange gedroht hatte. Aber es war doch wie eine Erlösung, die Beklemmung wich, es brachte Licht.

Der Schein der Blitze leuchtete ihnen, als sie den Besinnungslosen ein Stück weiter bachabwärts trugen, um ihn dann hinauf zu schaffen zur Chaussee an einer weniger steilen Stelle. Sie brachten ihn zu den Rädern; diese wurden mit Taschentüchern zusammengebunden, der regungslose Körper quer über die Sättel gelegt. Die Riesenkraft Leykuhlens hielt ihn da fest; der eine Kamerad führte, der andere schob.

»'ne traurige Fuhre«, murmelte der Stabsarzt. Lebte der Junge? Ja, er lebte. Aber, ob er sich nicht so ernstlich verletzt hatte, daß er sein Leben lang daran zu tragen hatte, das war in der Eile, bei der nur flüchtigen Untersuchung unter unsicherer Beleuchtung, nicht festzustellen. Eine niederdrückende Bestürzung lag über den Kameraden und eine quälende Ungeklärtheit: wie war das nur zugegangen? Abeking war doch ein so guter Reiter! Aber freilich, bei Nacht und auf einem fremden Gaul ohne Sattel – Herr des Himmels, wie war der Junge überhaupt auf die Idee zu einem solchen Ritt gekommen! Warum?!

Leykuhlen sagte kein Wort. Er fühlte ein Mitleid, das er sich selber nicht eingestehen mochte. Dies hier war ja noch schlimmer, am Ende viel schlimmer noch, als die beiden, die sich jetzt mit Fragen bestürmten, ahnten! Wer weiß, ob es nicht besser wäre, der Mund des jungen Offiziers, der jetzt so stumm war, bliebe für immer geschlossen. Was würde man zu hören bekommen? Nicht viel Gutes!

O du Frauenzimmer! Der Bürgermeister ballte die Faust im Sack. Aber neben seinem geheimen Zorn regten sich auch Stolz und Scham in ihm: nein, nichts von diesen Vermutungen sagen, Fremde brauchten es nicht zu erfahren, was die da unten für ein Schandfleck war im Land.

Stumm und langsam rückten die Männer mit dem Gestürzten die Chaussee hinan. Die Offiziere sprachen jetzt auch nicht mehr; die Lust zum Reden war ihnen vergangen. – –

Als Adjutant von Scheffler um Mitternacht mit dem Krümperwagen von seiner Braut zurückkehrte, rief ihn auf der Dorfstraße jemand an. Hinter seiner Hecke kam der Bürgermeister hervor, er mußte da gewartet haben, und trat an den Schlag.

»Steigen Sie aus, Herr Oberleutnant, wir haben schon auf Sie jelauert. Sie können ihn mitnehmen, er liegt da drin!« Er nickte nach seinem Hause hin.

»Was – wer – Abeking?!« Hastig sprang Scheffler aus dem Wagen; er war bleich und nervös. Als er jetzt in die Stube trat, wo auf dem Kanapee, den Kopf mit nassen Kompressen belegt, die von Frau Leykuhlen unablässig erneuert wurden, der junge Leutnant lag, zuckte er zusammen. Am Tisch saßen der Stabsarzt und Schmidt, die Köpfe gesenkt; sie sagten kein Wort. Scheffler nickte ihnen zu, und dann trat er näher zum Kanapee und betrachtete das scheinbar leblose, entstellte Gesicht mit seltsamen Blicken unter halbgeschlossenen Lidern. »Bös, bös!« Er runzelte die Brauen. Und dann winkte er dem Stabsarzt: »Einen Augenblick, Doktor, wenn ich bitten darf!«

Sie gingen hinaus vor die Hecke und wandelten dann, außer Hörweite des wartenden Kutschers, langsam auf und nieder. Sie sprachen heimlich. »Zu unangenehm, mir riesig fatal«, sagte zuletzt der Adjutant lauter. »Wenn nur mein Schwiegerpapa nichts davon erfährt! Er könnte ja sonst einen netten Begriff kriegen.«

»Hoffentlich spricht der andere Herr Schmölder – nicht wahr, es ist der Vetter von Ihrem Herrn Schwiegervater, der es Ihnen erzählt hat? – nicht weiter darüber?«

»Ich habe sein Ehrenwort verlangt!«

»Na, hoffen wir denn das beste! Sonst –« der Stabsarzt zuckte die Achseln und machte ein bekümmertes Gesicht – »sonst ist der arme Junge geliefert. Dann wäre es besser gewesen, er hätte gleich den Hals gebrochen.«

*

Josef Schmölder hätte sich prügeln können, daß er heute wider Willen den Verräter gespielt hatte. Wer hatte ihn nur geheißen, als er den Bräutigam sein Spätkommen damit entschuldigen hörte, daß ein Kamerad verlorengegangen sei, – was hatte ihn da nur angetrieben, ein wenig zu lächeln und eine jener Bemerkungen zu machen, die ihm schon so oft ein »Donnerwetter« eingetragen hatten?! »Cherchez la femme!« Weiter hatte er nichts gesagt. Aber Scheffler hatte ihn bald nachher beiseitegezogen und dringend gebeten, wenn er nur irgendwelche Vermutung habe, sie ihm, ihm ganz allein, anzuvertrauen – des Kameraden wegen, den sie alle sehr lieb hätten, der fast noch ein Knabe sei, und um den sie sich aufs schwerste beunruhigten.

Josef konnte freilich nicht sagen, ob der, den er gestern in der Nacht in einer so seltsamen Situation gesehen hatte, der Leutnant Abeking gewesen war. Aber er fühlte sich doch jetzt verpflichtet, seine Beobachtungen mitzuteilen. Fast ein Knabe noch – wer weiß, ob er da nicht helfen konnte? Und er hatte erzählt. Aber als er alles erzählt hatte, war ihm das kalte Gesicht des Offiziers auf einmal wieder so unangenehm gewesen, daß er es bereute, nur ein Wort verloren zu haben. Arme Hedwig, dummes, kleines Mädchen, so kalt war dieses Gesicht. Würde dieser jetzt so liebenswürdige Mann einst rauh und hart zu der kleinen Frau sein und – würde er sie vielleicht auch noch betrügen?!

Josef fühlte einen immer mehr sich steigernden Widerwillen gegen den Bräutigam. Vom ersten Abend an, als er dem lächelnden, sich an den Händen haltenden Brautpaar gegenüber gesessen hatte. War denn Heinrich ganz verblendet? Merkte er denn nicht, wie geschmeidig der Leutnant sich den Interessen des Hauses anzupassen suchte? Tappten denn Vater und Mutter blind zu? Und das sollte man mit ansehen, alle Tage!

Es war Josef, als sei die Enge des Hauses noch unerträglicher geworden durch den Eintritt dieses neuen Elements.

»Du machst ja ein Jesicht, ein Jesicht – wahrhaftig, dat's doch kein Jesicht, wenn sich Hedde verlobt hat!« schrie Heinrich, als der Bräutigam sich endlich verabschiedet hatte. »Wat soll denn der Mann von unserer Familie denken! Massakriert dich hier einer?«

»Gute Nacht«, hatte Josef gesagt und war aufgestanden. »Ich will mich heut nicht mit dir zanken – ein andermal!«

»Bleib«, schrie der Vetter und versuchte ihn am Rock festzuhalten. »Sag mal, wie jefällt dir denn eigentlich der Scheffler?« Und als keine Antwort kam, setzte er gereizt hinzu: »Mir sehr jut!«

»Leider!« Es hatte Josef förmlich auf der Zunge geprickelt, er hatte dieses »leider« aussprechen müssen.

Heinrich hatte es sehr übelgenommen. »Neidisch«, »hämisch«, »vielleicht selber auf Hedwig spekuliert«, das alles hatte sich Josef an diesem Abend sagen lassen müssen. Und dann war er hinausgegangen; er hatte sich nicht aufregen wollen.

»Ah!« In einem tiefen, erlösenden Seufzer dehnte sich seine Brust, als die Luft des Gartens ihn bestrich. Aber sie war ihm noch nicht frei genug. Mehr Luft, freiere Luft, hinaus aus der Enge, höher hinauf! Er schloß ein Seitenpförtchen auf und trat auf die Straße; er ging sie zu Ende und ging immer weiter, bis in die Au hinein, schlug dann, ehe er an die Fabrik kam, den Fußpfad nach Heckenbroich ein und stieg ihn langsam, öfter stehenbleibend und tief atmend, hinan.

Wie herrlich! War das eine Nacht! Eine Nacht, wie geschaffen zum Lieben und Glücklichsein. Ein Hauch von Erinnerungen war in der linden Luft – von süßen Erinnerungen – ach, das war jetzt alles vorbei, er war alt geworden, wenigstens zu alt für die Torheiten der Liebe.

Er seufzte auf und sah sich um. Weit hinten, in ihrem Kessel schon ganz versunken, lag die Stadt; nur die Burg war noch im Mondlicht zu sehen und die Felsen. Noch stand der Mond nicht hoch, aber nicht lange mehr, und er würde ganz hinter der jenseitigen Höhenwand hervorgewandelt sein, senkrecht über dem Tale stehen und es übergießen mit vollem Licht. Dann mußte die Nacht noch herrlicher werden, noch traumhafter schön, noch überirdischer. Es galt zu warten. Wer vermißte ihn denn auch? Die im Hause schliefen, er konnte hier nächtigen, wenn er wollte, keiner wurde es gewahr.

Eine schier jungenhafte Seligkeit überkam ihn, heute noch einmal seine Freiheit auszukosten. Wenigstens hier war er frei, frei!

Mit einem tiefen Aufatmen warf sich Josef auf den Boden und dehnte sich lässig in fauler Wonne. Von dem glatten Schiefergerutsch, auf dem er lag, fühlte er es warm aufsteigen. Oben auf der Höhe mochte es wohl schon kühl sein, aber hier zwischen den Talwänden saß noch die ganze Wärme und Lauheit der Sonne. Eine köstliche Behaglichkeit überkam ihn, wie er sie lange nicht gefühlt hatte – da noch nie! Er drehte den Kopf dorthin, wo das Städtchen versunken lag. Gott sei Dank, man sah nichts mehr davon!

Unten in der Au lag die Fabrik jetzt ohne Dampf und Gestank. So weiß glänzte die rußige Stätte der Arbeit, so ruhevoll und freundlich, als sei sie eine Stätte der Freude. Traumhaft ragte darüber die jenseitige Talwand; der Mond beglänzte die Leyen, daß sie alles Krasse und Fratzenhafte verloren und zu Gesichtern wurden von wohlwollenden Riesen, die über den Tannenwald herüberlugten. Tief unten rauschte der Bach. Sein Rauschen hatte jetzt etwas unsagbar Mildes, Einlullendes.

»Rausche, rausche«, murmelte Josef und schloß die Augen. Er hörte die Stimme der heiligen Natur.

Wie lange er so dagelegen und geträumt hatte, wußte er nicht. Als er die Augen wieder aufschlug, stand der Mond ganz voll überm Talgrund. Es war so hell, daß jeder Tannenzweig sich abhob, daß man jede Welle im silbernen Bergwasser hüpfen sah, jeden Stein im Bachbett zu erkennen glaubte – oder sah man ihn wirklich? Da war noch ein zweiter Mond. Der droben am Himmel stand, spiegelte sich tief drunten im Bach – Mond oben, Mond unten. Josef lächelte: in New York hatte er herrliche Theaterdekorationen gesehen, aber keine von ihnen wäre dieser gleich gekommen. Und sieh, die Staffage fehlte ja auch nicht!

Das wundersame nächtliche Landschaftsbild hatte sich belebt.

Josef reckte den Hals, eine plötzliche Neugier war in ihm erwacht: wer war denn das?! Wie im Märchen! Träumte er oder wachte er? Er rieb sich die Augen. Und dann richtete er sich aus seiner lässigen Lage ein wenig auf, um besser hinabblicken zu können auf die beglänzte Straße zwischen den Tannenwänden.

Langsam, fast feierlich, trottete ein schwerer Ardennengaul daher. Als trüge er Prinz und Prinzessin ins Zauberreich. Der Mann saß hinten, die Frau hatte er vor sich; man sah ganz deutlich, daß er den Arm um ihren Leib hielt, daß er sie jetzt an sich preßte und küßte, und daß sie den Kopf an seine Schulter legte und das weiße Gesicht zu ihm aufhob, und daß er sie noch einmal küßte, und noch einmal, und noch einmal.

Der Mond beschien hell die Reitenden. Ein Bauernbursche und sein Mädchen waren das nicht. Der Beobachtende sah blanke Uniformknöpfe unter neugierigen Strahlen aufblinkern. Aha, ein Soldat! Aber wie kam der jetzt hierher? Nein, so saß kein gemeiner Soldat zu Pferde. Es war ein Offizier, schlank und biegsam. Und sie saß auch gut, keck und unerschrocken.

Ein leises Lachen klang herauf, es mischte sich in das Rauschen des Baches und verklang.

Oh, war das schön, war das schön, wie die beiden dahinritten! Ein Bild, ein ganz wunderbares Bild. Man brauchte kein Wort von dem zu vernehmen, was sie flüsterten, man wußte es, sie sprachen von Liebe. Und Liebe atmete die ganze Natur: die Mondnacht, die Tannen, der Wildbach. Niemand auf der Welt, als nur diese zwei. So mochte es damals im Paradiese gewesen sein, so einlullend schön, so verführerisch still, als Adam den Apfel nahm, den Eva ihm bot, und davon aß.

Jetzt waren die Reitenden gerade unter dem Lauscher, er beugte sich über den Rand des Felsens mit weitgeöffneten Augen.

Der Mond beschien zwei blonde Köpfe, die ohne Mütze, ohne Hut, ohne Tuch die Stirnen dem kühlenden Atem der Nacht preisgaben. Ihnen machte die Liebe heiß. Es trabte der Gaul – trapp, trapp – er hatte einen Hackenstoß bekommen, sein Huf schlug so hart aufs Gestein der Straße, daß Funken sprühten. Trapp, trapp. Jetzt ein jäher Halt. Der Reiter hatte sich abgeschwungen. Da war ein kleines, verstecktes Pfädchen, das von der Chaussee zum Bach niederwärts führte, zu samtigem, duftigem Gras, zu weicher Ruhestatt. Der Reiter hob die Geliebte herab.

An eines der kleinen, neugepflanzten Ahornbäumchen wurde der Gaul gebunden. Er scharrte ungeduldig, man hörte die Hufe klappern; es plagten ihn die Mücken in der lauen Nacht. Ah, sie würden ihn noch lange plagen, der hatte gut warten! Hoch erhoben, wie ein Sieger die Beute, hatte der Liebende die Geliebte ins Versteck getragen. Zusammen schlugen die Äste, man sah nichts mehr von Adam und Eva.

Wie vordem lag die nächtliche Landschaft wundersam beschienen, ein herrliches Bild, die schönste Dekoration zum schönsten Spiel. Aber Josef behagte sie jetzt nicht mehr. Was klapperte der Gaul denn so ungebärdig und schlug nach den Mücken und stampfte und schnaufte! das störte den Frieden.

Langsam, zögernd machte sich Josef auf den Heimweg. Noch ein paarmal schaute er sich um: der Gaul stand noch immer einsam, riesenhaft groß im Märchenschein, und scharrte die Straße. Die Glücklichen! Eine Nacht, geschaffen für die Jungen und Begehrenden. Mochten sie leben, genießen! Was ging's ihn an, wer sie waren, woher sie kamen, wohin sie gingen! Sie gehörten in diese mondbeglänzte Nacht, die Netze spinnt, in die alle Kreatur sich verstrickt. Er aber gehörte nicht mehr hierher.

»Josef, geh du nach Haus, leg du dich ins Bett«, sagte er, jetzt plötzlich ernüchtert, laut zu sich selber. Da – er nieste – schon ein Schnupfen! Mit lächelnder Selbstironie zuckte er die Achseln: das Liegen im Tau bekam einem eben nicht mehr.

Er beschleunigte seinen Schritt, bald war er im Städtchen. Die Turmuhr schlug zwei. Alle Lichter waren längst erloschen, unter dunklen Dächern schliefen die Bürger. Der Nachtwächter schlief, auch der Mond ging jetzt schlafen. Josef hatte leise die Haustür hinter sich zugemacht. Kein Mensch war mehr draußen.

Aber einsam stand noch immer der Ardennengaul auf der dämmrig und dämmriger werdenden Chaussee. Immer ungeduldiger schlug sein Huf die Steine, er zerrte am Halfter, daß das junge Bäumchen sich bog, nicht viel fehlte, und er hätte es ausgerissen. Er wollte nach Haus, in den Stall, er wollte an die Raufe. Wütend schlug er mit Schwanz und Huf nach dem Geziefer. Er konnte nicht traben, nicht galoppieren, es durch den Luftzug verscheuchen; es bohrte sich ihm ins Fell, bald vorn an der Brust, bald hinten auf den Schenkeln, unterm Bauch, auf der Kruppe. Er schnaufte, er prustete, seine Flanken schäumten. Er blähte die Nüstern, sie schienen Feuer zu sprühen durch die Nacht. Jetzt stieß er ein Wiehern aus, daß die Stille sich erschreckte, und machte einen entsetzten Satz, bei dem er die Hinterfüße hoch in die Luft warf, den Kopf fast vorn bis zur Erde stieß. Ein Wiesel war vor ihm hergehuscht, ein Fuchs, ein Iltis, oder sonst irgendein Nachtgetier.

Er zitterte schreckhaft und zerrte am Halfter in nervöser Ungeduld. – – –


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