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9.

Dem »Weißen Schwan« hatten die Pfingsttage keinen geringen Trubel gebracht. Seit die Automobile aufgekommen waren, schien es bei den Belgiern Mode geworden, von Verviers über die Baraque in sausendem Tempo über Heckenbroich bis hinunter zur Kreisstadt zu fahren. Gegen diese Geschwindigkeit konnten selbst die Herren Offiziere in ihrem Krümperwagen nicht an, und wenn die Burschen noch so auf die Pferde peitschten.

Leykuhlen hatte während des Festes viel Ärger gehabt. Nicht nur, daß tagsüber das Gerassel in einem fort abwärts ging, auch nachts fand er vorm Rollen der Räder, vorm Rumoren der Heimkehrenden, vorm Hallo der Angeheiterten, vor ihrem lauten Sprechen und Durcheinanderschreien und vor dem huschenden Laternenschein nicht Ruhe. Oder quälte ihn etwas anderes so, daß er nicht schlafen konnte? Er verschloß seine Ohren, wenn er hörte, daß nachts an den Brunnen hantiert wurde; die Eimer rappelten, die Kette, die sie heraufzog, klirrte, die verrosteten Angeln der Tür quietschten. Wer konnte es den Leuten verdenken, daß sie sich heimlich ein paar Eimer voll ins Haus holten, um nicht am Festtag das Wasser so weither schleppen zu müssen! Zudem war es sehr warm; es drohte ein heißer Sommer zu werden, und ein heißer Sommer heißt ein trockener fürs Vennland. Die Mittage waren auch hier oben schon heiß, doppelt heiß erst unten im Städtchen.

Der Kellner und der Aushilfskellner, der Hausknecht und die Magd im »Schwan« konnten nicht genug Getränke heranschleppen: Moselwein, Rheinwein, Bowle und Sekt. Es waren Erdbeeren aus Metz zur Bowle gekommen und französische Treibhauspfirsiche, in Watte verpackt. Oh, die kostbaren Früchte wurde sie schon alle los, darum war die Wirtin nicht bange. Sie hatte sich zum Pfingstfest in Aachen ein neues Kleid machen lassen; bei einer guten Schneiderin mit Brüsseler Geschmack; sie konnte doch nicht hier in dem Nest schneidern lassen, wenn der Heinrich Schmölder auch die Geschmacklosigkeit besaß, seine Tochter solche Kleider anziehen zu lassen. Und die sollte nun doch bald die Braut des eleganten von Scheffler sein!

Die schöne Helene lachte hinter Schmölder her, der, wie fast täglich, beim Frühschoppen bei ihr gesessen und ihr sein Herz ausgeschüttet hatte. Der Scheffler, der würde das Geld schon unter die Leute bringen! Sie wußte nicht recht, warum sie das dem Heinrich eigentlich gönnte. Er war doch ihr ältester Freund. Sie zuckte die Schultern, die unter dem neuen schwarzen Kleid, das dünn wie ein Flor war, glatt und weiß in ihrer appetitlichen Fülle durchschimmerten. Ihr Rock, auf Seide gearbeitet, rauschte und raschelte; sie lehnte die Arme auf das rote Kissen im geöffneten Speisesaalfenster und gaffte ihrem langjährigen Verehrer nach. Hm, der Heinrich wurde alt! Die Jagd machte ihn steif in den Beinen. Den Hut trug er in der Hand, es war ihm heiß, obgleich die Haare dünn waren. Einen Bauch kriegte er auch, bah! Sie hielt eine grausame Musterung. Wenn der sich einbildete, daß sie ihn leiden möchte! So ein Alter! Immer hatte er etwas zu grämeln. Auf den Scheffler schimpfte er: »Windhund!« Ja, ein Windhund war der, aber ein famoser!

Frau Helene nahm's dem schönen Adjutanten weiter nicht übel, daß er von ihr abgeschwenkt war zu dem kleinen Goldfisch, sie behielt immer eine gewisse Fürsorge für ihren früheren Verehrer. Warum wollte der Heinrich dem schneidigen Menschen denn eigentlich seine Tochter nicht geben? Na warte, sie würde die Sache mal in die Hand nehmen, sie würde es schon fertig bringen! Das hatte sie auch dem Scheffler versprochen.

»Warum willst du denn nicht?« hatte sie vorhin zu ihrem ältesten Freund gesagt und ihn mit ganz bösen Augen angeblitzt. »Bist du denn kein Windhund? Deiner Frau redste wat vor. Nach Ostende jehste nit mit, deine Jesundheit verträgt die See nit – haha!« Sie zupfte ihn am Ohrläppchen. »Mach du dich nit mausig, lieber Mann!«

Er hatte auffahren wollen, aber eins, zwei, drei saß sie ihm auf den Knien.

Sie waren allein im großen Speisesaal, in dem die Tische noch mit fleckigen Tüchern vom vorhergehenden Abend gedeckt waren, und ganze Massen von Tellern und ungewaschenen Gläsern umherstanden.

Heinrich Schmölder, der zu Hause jede kleinste Abweichung von der gewohnten Ordnung streng rügte, sah hier nichts von Unordnung. Er schmunzelte, als die flinken Finger der molligen Frau ihm auf dem Schädel herumkrabbelten. »Du kriegst 'ne Glatz!« sagte sie, spitzbübisch lachend.

Er wurde verlegen. »Laß, Lenchen, laß! Laß die Dummheiten!« Aber dabei hielt er sie doch fest; es kostete ihr Mühe, sich ihm zu entwinden. Ihr neues Kleid, das sich so prall über den Busen spannte, zog seine Blicke unwiderstehlich an; und auch seine Finger. Er war rot und heiß. Sie hatten in aller Frühe schon einer schweren alten Flasche Rheinwein den Hals gebrochen und einen Kognak vorabgeschickt.

»Wat sagste dann, wenn du nu nach Haus kömmst, woher du so heiß bist?« fragte sie boshaft und schlug ihm auf die Finger. Sie gab sich dann selber die Antwort, indem sie ihm nachäffte, wobei sie das Kinn und die Mundwinkel herabsinken ließ und die Stirn krauste: »Jeschäfte. Selbst am Sonntag hat man keinen freien Moment!«

Er wußte nicht, sollte er lachen oder böse werden. Lachen war das Gescheitere, so lachte er denn: in der Tat, so pflegte er zu seiner Frau zu sagen. Heinrich Schmölder war nicht ohne Humor; den hatten die Schmölders alle, dafür waren sie aus dem Rheinland gebürtig. »Frech Dingen«, sagte er schmunzelnd. Er betrachtete sie mit Wohlgefallen. Ja, das Lenchen! Wenn er daran dachte, daß er einmal seinen Frühschoppen ohne sie trinken müßte! Das ganze Nest war leer und öde ohne diesen lustigen Vogel. Oh, und Verstand hatte sie auch! Sie traf den Nagel auf den Kopf.

Die schöne Helene hatte nicht geflunkert, wenn sie behauptete, Heinrich Schmölder bespräche alles mit ihr. In der Tat war es so; sie gab an, was für Anordnungen in der Fabrik getroffen wurden, was für Bestimmungen im Hause getroffen wurden, ob Hedwig in Pension kommen sollte oder nicht in Pension, ob Frau Schmölder ins Bad reisen sollte oder nicht ins Bad, ob sie ein neues seidenes Kleid bekommen sollte oder keins, ob andere Kutschpferde gekauft werden sollten oder nicht. Und jetzt endlich: ob Hedwig Frau Oberleutnant von Scheffler werden sollte oder nicht.

»Na, nu mal ernsthaft, Lenchen, wat rätst du mir?« hatte Schmölder besorgt gefragt. »Man will doch nit seine einzige Tochter nur jeheiratet sehen des Jeldes wegen. Man will sie doch jeliebt wissen, wirklich jeliebt!«

»Er liebt sie ja!« Sie schrie es lachend. »Du altes Schaf, er liebt sie ja, siehste dat denn nit?«

Nein, das hatte er nicht gesehen. Galant war Scheffler gegen die Hedde, aber das war doch noch keine Liebe.

»Lehr du mich die Liebe kennen!« schrie sie ganz erbost und lachte sich doch gleich darauf eins. Ja, dumm war der Heinrich noch lange nicht, er hatte es im Gefühl, daß es seinem Beutel galt. Aber wart, sie wollte ihn schon dumm machen! Beide Grübchenellenbogen, die der kurze Ärmel frei ließ, auf den Tisch stemmend, das Gesicht in die Hände stützend, so sich nahe, ganz nahe zu ihm hinüberneigend und ihm einen Blick zuwerfend, unter dem es ihm heiß wurde, sagte sie weich, fast träumerisch: »Oh, ich weiß, was Liebe is! Und ich sag dir, der Scheffler liebt sie. Er hat sie janz schrecklich jern. Hier –« sie zeigte auf irgendeinen Stuhl – »hier hat er jesessen, abends, als sie alle fort waren, janz allein –«

»So – janz allein?« Er unterbrach sie eifersüchtig. »Und wo warst du?«

»Jott im Himmel, laß mich doch ausreden! Hier –« sie verfiel wieder in den vorigen pathetischen Ton – »hier hat er jesessen, janz allein, und hat jeseufzt, dat sich mir dat Herz im Leib herumjedreht hat. ›Herr von Scheffler‹, sag ich zu ihm – er hört nit. Ich wurd schon kribbelig. ›Herr Adjutant‹ – er hört wieder nit. ›Herr Hauptmann‹ – da hört er endlich. ›Haben Sie Zahnweh?‹ ›Nein!‹ Er wird janz rot. ›Herzweh?‹ Ich hab' ihn jenau beobachtet, ich wußt doch von dir die Jeschichte mit der Hedwig. Ich sag dir, man sah et ihm an, wie schlecht et ihm zumut war! ›Herzweh!‹ – er nickt. ›Ach, werte Frau, was bin ich so unglücklich!‹ Und dann legte er los, er hat mal ordentlich sein Herz ausjeschüttet. Nee, die Hedwig wär so reizend, so süß, und er möcht sich so schrecklich jern mit ihr verloben, et wär ihm so, als könnt jede Stund ein anderer kommen, der sie ihm wegschnappt. Und sie wär ihm auch jut, dat wüßte er wohl. Weißte dat dann, Heinrich?« – sie beobachtete den verdutzten Vater unter halb zusinkenden, blinzelnden Lidern – »wenn er sie ansieht, schlägt sie die Augen nieder, wenn er ihr die Hand drückt, drückt sie wieder, wenn er sie auf den Fuß tritt, tritt sie –«

»Dat is nit wahr«, brüllte Schmölder und schlug auf den Tisch, daß die Gläser zu klirren anfingen. »Dat tut meine Tochter nit! Dat denkst du dir aus – dat tust du bloß!«

Sie zuckte die Achseln; sie sah ein, sie hatte da etwas Dummes gemacht und zog geschwind wieder zurück. »Wat du dir auch jleich denkst«, schmollte sie, »wenn du mich nit ausreden läßt! Ich sag dir, er sprach so, als ob sie en Engel vom Himmel wär! ›So jut, so rein, so unschuldig – riesig wohlerzogen‹ – ich sag dir, zum Heulen schön! Aber du, du wärst immer so jarstig zu ihm, so abweisend, so mißtrauisch, als wollt er dich bestehlen – und dann hat er jeweint!«

»Och, Dummheit! En Mann, der weint, den mag ich nit«, sagte Heinrich Schmölder trocken. »Tränen – ich pfeif drauf! Da steckt nix hinter als die Angst: wie krieg ich meine Schulden bezahlt?!«

»Dat is aber jemein von dir!« Nun wurde sie wirklich böse: sollte all ihre Mühe an dem Dickkopf hier so verschwendet sein? Wütend stieß sie gegen den Tisch, daß die geleerte Flasche herunterpolterte und auf der Diele zerklirrte. »Dann jeh wo anders hin, wenn du mir nit mehr jlauben willst – ich bin beleidigt.« Sie warf die Lippen auf und den Kopf in den Nacken. Ihr Kleid raschelte der Saaltür zu.

»Wat fällt dir denn ein, wat tu ich dir denn? Lenchen!« Er schrie hinter ihr her, sprang auf und wollte sie halten, aber fort war sie.

Erst als Schmölder gegangen war, unwirsch, unzufrieden mit sich selber und verstimmt über diesen unangenehmen Abschluß seines gewohnten Frühschoppens, war sie wieder zum Vorschein gekommen. Sie machte eine lange Nase hinter ihm drein: was der jetzt lief! Er wollte gewiß noch vor seiner Frau zu Haus sein. Sie lachte in sich hinein.

Die Glocken fingen an zu läuten, das Hochamt war aus. Helene blieb im Fenster liegen und ließ die Kirchgänger bei sich vorüberpassieren. Alle mußten sie hier vorüber. Die Wirtin vom »Schwan« bekam viele Grüße; da war nicht einer unter den Herren, der nicht den Hut gezogen hätte.

Auch der Landrat grüßte, ein wenig steif, ein wenig förmlich; wie immer korrekt. Sie errötete leicht – oh, sie konnte auch grüßen wie eine Dame, nicht nur nicken! Aber dabei stieß es sie inwendig vor Lachen: den hatte sie auch schon anders gesehen, nicht immer war er so unnahbar. Ein schöner Mann, ein feiner Mann! Wenn kein Militär obenlag, den langen Winter durch, war er die einzige Erholung.

Jetzt kam Frau Heinrich Schmölder vorüber. Aha, sie rauschte in Seide! Puh, wie nobel, aber doch kleinstädtisch. Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Jede zögerte einen Augenblick: wer mußte nun zuerst grüßen? Dann nickte die Besitzerin des »Schwans« und Frau Heinrich Schmölder nickte wieder, ganz gleichgültig – nein, nicht gleichgültig, recht freundlich, so daß Helene sich gedrungen fühlte, zu rufen: »Anjenehme Feiertage, Frau Schmölder!«

»Danke sehr, gleichfalls!«

Hedwig war nicht bei der Mama. Sie kam erst ein ganzes Weilchen später. Hedwigs rundes Kindergesicht war ein bißchen schmäler geworden; wenn sie sich in dem Spiegel sah, seufzte sie immer: ach, er war doch so nett – warum Papa nur eigentlich durchaus nicht wollte? Onkel Josef war auch so eklig. Früher hatte sie den schrecklich gern leiden mögen, förmlich für ihn geschwärmt – aber nein, nun mochte sie ihn gar nicht mehr. Er hatte neulich zu Papa gesagt, als der so loswetterte über den unvermuteten Abendbesuch des Herrn von Scheffler: ›Du hast ganz recht, Heinrich. Diesmal bin ich deiner Meinung!‹ Ach, lieben heißt leiden. Ach ja, alles war gegen ihre Liebe!

Hedwig Schmölder glaubte oft, sehr unglücklich zu sein. Und dazu kam noch die Ungewißheitsqual: liebte er sie denn wirklich? Papa war so gräßlich verletzend, er sagte: ›Ach was, Liebe! Dein – will sagen, mein Geld hat er im Auge!‹ Die Siebzehnjährige seufzte im strahlenden Pfingstsonnenschein, als sie niedergeschlagenen Blickes über das spitzige Pflaster der uralten Gasse schritt, im blaßblauen Kleid zarter erscheinend als sonst, zart wie die blaue Blume des Flachses im goldenen Korn, und blütenjung.

»Nanu, Hedchen?«

»Guten Tag!« Hedwig errötete. Eigentlich mochte sie die da, die aus dem Fenster so lustig auf sie herunterlachte, gar nicht leiden. Erstens war die immer so dreist – Onkel Josef hatte sie mal mit einem schrecklichen Wort benannt – zweitens war es eine Unverschämtheit, immer noch ›Hedchen‹ zu sagen, und drittens hatte Scheffler einmal gesagt: die schöne Frau im ›Weißen Schwan‹. Schön, schön, die war doch nicht schön?! Und viertens – nun, viertens mochte sie sie überhaupt ganz und gar nicht leiden. Warum eigentlich nicht? Darüber wurde sich Hedwig nicht ganz klar, aber es stieß sie immer etwas zurück von der blonden Frau, die von aller Welt gekannt und eigentlich von aller Welt gut gelitten war. Aber heute konnte sie nicht mit knappem Gruß vorüber. Die Frau sah sie mit einer so bedeutungsvollen Miene an, als habe sie ihr etwas zu sagen. Wie bezwungen trat Hedwig dem Fenster näher, erwartungsvoll hob sie ihr junges Gesicht.

Helene lehnte sich weiter hinaus: »No, Hedchen, so traurig heut?«

Hedwig wurde rot, sie fühlte es und ärgerte sich über sich selber; unwiderstehlich schossen ihr Tränen in die Augen. »No, no«, tröstete die andere, »man macht doch kein so 'n trübseliges Jesicht, wenn die Sonn so hell scheint! Hat der Papa als mal wieder jeschimpft? Laß doch den Alten reden!« Sie schlug ein Schnippchen. »Jegen die Lieb is nix zu machen, die setzt doch ihren Kopf durch!«

»Meinen Sie?« Unsicher sah das junge Mädchen zu der Frau empor.

Jetzt lachte Helene spöttisch hell auf: war die noch dumm! Aber dann kam ihr die Gutmütigkeit: wahrhaftig, ein lieb Dingelchen, mit der würde der Scheffler machen können, was er wollte! Sie streckte ihre weiße Hand aus, an der die zwei Eheringe breitgolden glänzten, und streichelte das erwartungsvoll zu ihr aufgehobene Gesichtchen: »Besuch mich doch mal, Hedchen – pardon, besuchen Sie mich doch mal!« Sie lachte neckend: »Ich muß doch ›Sie‹ sagen, wenn eine bald Braut wird.«

»Ich – ich bin ja gar nicht bald Braut«, stammelte die Verwirrte.

Die lachende Frau gab ihr einen freundschaftlichen Nasenstüber: »Tu dich nit so, mir macht ihr kein X für 'n U. Ich weiß Bescheid. Ich kenn doch den Scheffler lang jenug – der brennt lichterloh!«

Hedwig stockte der Atem: war das wahr, wirklich wahr? Ein freudiger Schreck durchrieselte sie. Sie fragte nicht, woher die blonde Frau das wußte, es fiel ihr auch gar nicht ein, sich darüber zu wundern. Glückselig, von einem Rosenschimmer überstrahlt, der ihr unbedeutendes Gesichtchen verschönte, sagte sie leise: »Ist das auch wirklich wahr?«

»Auf Ehre!« Die warme, mollige Frauenhand drückte kräftig die ganz kalt gewordenen Mädchenfinger. »Ich jratuliere, Kind! Der Scheffler ist reizend, so jibt's jar keinen zweiten mehr!«

»Aber Papa will doch nicht!« Schon wieder senkte die Kleine betrübt den Kopf. »Er schilt immer so, wenn Egon Besuch macht. Ach, wann soll sich Egon denn erklären?«

»O der!« Die schöne Witwe schlug eine helle Lache auf. »Der findt schon 'ne Jelejenheit!« Und dann flüsterte sie vertraulich: »Heut kommt er her – janz bestimmt – um zwei Uhr hat er Diner bestellt – kannste nit mal vorbeikommen, so janz wie von unjefähr?«

Er kam, er kam! Selig strahlte Hedwig. Aber hier herkommen? Nein, das tat sie nicht.

Helene zuckte die Achseln: »Jott nee, so etepetete?! Aber was tut man nit für verliebte Leut! Der Scheffler is ja 'n alte Freund von mir, und – weißte wat, Hedchen?« Flüsternd neigte sie ihr hübsches Gesicht auf das des jungen Mädchens herunter, daß dieses den ganzen warmen Duft, den ganzen süßlichen Parfümgeruch einatmete, der die schöne Frau immer umwogte. »Weißte wat, sei heut nachmittag, so um fünf herum, in eurem Jarten – mach die Jattertür auf, dat er nit zu schellen braucht – ich schick ihn hin – dann könnt ihr euch jut aussprechen. Wenn ihr erst mal einig seid, muß der Alte auch ›ja‹ sagen. Haste mich verstanden? Um fünf, nach dem Diner – dat is heut sehr fein, Sekt trinkt er auch – ich schick ihn – –«

Sie fuhren auseinander. Es kamen gerade Bekannte die Straße entlang, und der erste Wagen mit Gästen fuhr beim »Schwan« vor. Hedwig hatte nur noch gerade Zeit, bedeutungsvoll »Ja« zu nicken. Jetzt gab's keine Bedenken mehr. –

Eine Stunde später strömten die Gäste schon. Wagen auf Wagen, und die verhaßten Automobile. Elegante Kavaliere aus Belgien, die mit ihren schicken Damen hier das Pfingstfest zu feiern gedachten.

»Hören Sie mal, Donnerwetter, Helene, so hören Sie doch mal!« Die Herren vom Lager fühlten sich heute etwas hintenangesetzt: es waren zu viel Fremde da, die auch gut dinierten und Sektpfropfen springen ließen. Die schöne Frau Wirtin wußte nicht, wem sie zuerst ihr Lächeln schenken sollte. –

»Die Frau muß 'nen Docht haben, 'nen höllschen Docht!« Der Stabsarzt konnte nicht umhin, dies bewundernd anzuerkennen. Nun ging es schon auf fünf Uhr, und sie war noch auf keinen Sitz gekommen. Bald hierhin, bald dorthin; bald wurde da was gewünscht, bald da. Der ganze Saal rappelvoll, Tisch eng an Tisch gerückt; kaum zum Durchwinden, und dabei eine Hitze, ein Lärm, ein Geklapper! Und sie immer mitten dazwischen, immer lächelnd, immer fidel, nicht ein bißchen müde, appetitlich, zum Anbeißen nett in dem klaren Kleid, das unter seinem dünnen schwarzen Flor die weiße Atlashaut schimmern ließ.

Wo's not tat, griff Frau Helene, sie, die sonst so träge war, selber mit an; heute galt's. Das war eine Ernte, nicht nur an Geld, nein, auch an bewundernden Blicken. Mit ihren schönen Armen hob sie eine Schüssel, reichte sie über Tische und Stuhllehnen und trug sie, ein wenig erhoben, trotz ihrer Schwere.

›Wie eine Königin‹, dachte Abeking. ›Nein, wie ein Bild!‹ Er stieß den Stabsarzt an: »Sieht sie nicht aus wie Tizians Tochter?«

»Nanu!« Der gemütliche Stabsarzt lachte sich eins. »Die Dicke, in der Tat, die haben beide gemeinsam!«

»Von wem reden Sie denn eigentlich?« Scheffler wußte nichts von Tizians Tochter; er war im Kadettenkorps erzogen, er hatte nicht Zeit gehabt, Galerien zu besuchen.

»So so, ganz recht«, sagte er zerstreut, als Abeking, empört über den Stabsarzt, der von »Dicke« sprach, den Streitfall vorlegte. »Sehr nett, ja ja!«

Was kümmerte es ihn, ob Helenchen dick oder dünn war? Er legte sich in Gedanken eine Liebeserklärung zurecht. ›Um fünf‹, hatte ihm Helene vorhin zugeflüstert, ›um fünf is Hedwig Schmölder janz allein im Jarten. Das Tor steht offen. Ran, immer ran an die Jewehre! Die Kleine is verliebt bis über die Ohren. Na, nu macht schon voran, ihr zwei!‹ Ja, in der Tat, Helene hatte ganz recht, es war Zeit. Wie lange noch, und das Kommando auf dem Platz hatte ein Ende, er kam in die Garnison zurück; und wenn er auch wohl nächstes Jahr wiederkam, dann schwamm der kleine Goldfisch vielleicht schon in eines anderen Teich. Verdammt! Er zerknickte einen Zahnstocher in winzige Stückchen und grübelte vor sich hin. Es war doch schwer, schwerer als er sich's gedacht hatte, sich so hinterrücks der Tochter zu versichern, wenn man weiß, daß einem der Vater nicht grün ist. Es vertrug sich nicht so recht mit dem Begriff der Ehre. Aber was half's, machten's andere Kameraden nicht auch so? Wie sollte man sonst zu einer reichen Frau kommen? Und die mußte er haben.

Energisch den Stuhl zurückstoßend, stand der Offizier auf. Er zog die Uniform stramm herunter, preßte die Brust heraus und zwängte die Handschuhe an. »Ich komme nachher wieder«, murmelte er gepreßt zwischen den Zähnen. »Es ist mir zu heiß hier. Auf Wiedersehen – nein, Kaffee will ich nicht, nachher Bowle!« Er schlug die Hacken zusammen, er hatte nicht den Mut, die Kameraden anzusehen.

Leutnant Schmidt machte einen seiner Witze hinter ihm drein. Der Stabsarzt lächelte ein wenig malitiös. Sie wußten schon, wohin Scheffler ging.

Der kleine Abeking blieb ganz ernsthaft: das war doch immerhin eine Sache, sich so für's Leben zu binden, ein großer Schritt, ein gewagter Schritt! Auch er hatte einstmals von Verloben geträumt, mit einem jungen Mädchen im weißen Kleid. Er hatte sich das immer entzückend gedacht, jetzt langweilte ihn das zum Sterben. Er gähnte und trommelte auf den Tisch: wie konnte Scheffler nur?! Sein Blick suchte Helene. Ob sie denn nun nicht bald Zeit fand, hierher an den Tisch zu kommen? Er winkte ihr mit den Augen – sie sah gerade her zu ihm und lachte – eine stürmische Bitte sprach aus seinem hübschen Gesicht. War er denn dazu heruntergekommen, gab er denn dazu soviel Geld aus, noch dazu Geld, das nicht einmal das seine war, um sie mit so vielen zu teilen?! Die Röte des Zorns und der Eifersucht schlug ihm zu Kopf; er hatte auch hastig getrunken, bei der Hitze wirkte alles doppelt. Er hätte alle diese hier, die sie mit den Blicken verfolgten, niederknallen mögen, und sie dann in seine Arme reißen und küssen – ha, küssen! Seine Blicke verschlangen sie.

Schelmisch abwehrend schüttelte die schöne Frau den Kopf. Dabei spitzte sie aber doch den Mund wie zum Kusse. Ihre Lippen bewegten sich jetzt leise, er glaubte ein ›Nachher‹ oder ›Später‹ von ihnen abzulesen. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl. Es war unsagbar öde; die Anekdoten von Schmidt kannte er schon alle – wie konnte der Stabsarzt nur so darüber lachen?! Zu blöd! Seine Gedanken folgten wieder Scheffler: der verlobte sich nun – auch gräßlich – wie konnte sich ein Mann, ein Offizier, mit solch einer törichten kleinen Person verloben, die noch von nichts eine Ahnung hatte, die kalt war wie eine Blüte im Schnee, ohne Glanz, ohne Duft!

Sein Blick suchte wieder die schöne Frau. Jetzt sah er sie an einem Tisch stehen und mit ein paar Belgiern scherzen. Unerhört, unerträglich! Er hielt es nicht mehr aus. Wie Scheffler vorhin, so stieß auch er jetzt seinen Stuhl zurück und hörte nicht darauf, daß die Kameraden sagten, sie kämen nachher auch mit an die Luft. Er rannte aus dem Saal.

Ah, diese Qualen! Er glaubte nie ähnliche empfunden zu haben. Er hätte weinen mögen. Und doch konnte er ihr nichts vorwerfen, es lag ja in ihrem Geschäft, mit jedem freundlich sein zu müssen. Ach, daß sie dazu verdammt war, Wirtin im »Weißen Schwan« zu sein! Würde sie denn nicht auch woanders hin passen? Ja, natürlich – ja ja, ganz entschieden! Wer sagte: nein?! Wie ein Wilder sah er sich um. Auch in anderer Lebenslage, in jeder Situation würde Helene am Platze sein. Besser als hier; für hier war sie viel zu schade. – –

Wenn sie nun herauskäme aus dieser Sphäre? Ein Gedanke, so groß und ungeheuerlich schoß ihm plötzlich durch den brausenden Kopf, daß er vor sich selber davonrannte.

Er rannte die Gasse zu Ende, über Treppen und Treppchen, den steilen, zwischen zerbröckelnden Mauern verborgenen Engpaß hinan, der zur Burgruine hinaufführte. Dort war er ganz einsam.

Den Kopf in die Hand gestützt, saß der Leutnant auf einem Mauerrest und blickte starren Auges hinab in die Enge der Gäßchen, die unter ihm lagen. Auf das hochgegiebelte Schieferdach des »Weißen Schwans« – die Wetterfahne, ein sich ringelndes Weib mit dem Fischschwanz, stand gerade auf ihn gerichtet – hätte er spucken können. Da unten wohnte sie – ah, eine Nymphe, eine Nixe, von den Drachen bewacht, die an den Ecken der Dachrinnen auf die Straße spien! Er seufzte und starrte, bis ihm die Augen übergingen. Wenn er nun den Abschied nähme, ihr zuliebe –?!

Das war ein abenteuerlicher Gedanke, ein ganz verrückter Gedanke, der nirgendwo anders entspringen konnte als auf dem Moorgrund des öden Schießplatzes, als hier in der Enge der versunkenen Stadt. Er hatte ihn behext, das fühlte er wohl. Er wurde ihn nicht los. Und ihm war, als hätte er erzählen hören, der schönen Helene wegen hätten sich schon einmal zwei Offiziere duelliert. Warum auch nicht? Sie konnte schon junges Blut dazu bringen. Man war doch kein Fisch, wenn man auch hier kaltgestellt war. Mit einem Laut des Unmuts reckte sich der junge Offizier und heftete dann seinen Blick auf seine blanken Stiefelspitzen; er konnte nicht mehr da hinabsehen, es zog ihn sonst hinunter mit Allgewalt.

Es war doch schon manches Mal vorgekommen, daß Offiziere einer Heirat wegen den Abschied nehmen mußten. Erst kürzlich war ein Bekannter von ihm zu Krupp gegangen – es ging ihm da sehr gut – sie lebten sehr glücklich. Warum sollte nicht auch er bei Krupp ankommen?!

Wahrheit und Dichtung vermischten sich in des jungen Mannes Kopf; dabei war er benommen vom hastig getrunkenen Wein, seine Augen sahen nicht klar mehr, der blinkernde Schein, der auf dem besonnten Schieferdach lag, machte ihn ganz verdreht. Er schloß die Augen, um nicht mehr hinsehen zu müssen. Er schlief ein, aber in seinen Träumen spukte die schöne Helene, viel schöner noch, als sie in Wirklichkeit war. Mit einem lauten Ruf fuhr er auf und streckte die Arme aus – ah, eben war sie ihm an die Brust gesunken!

*

Es war nicht möglich, noch länger auf Scheffler zu warten. Abeking war zwar dafür gewesen, noch eine Stunde sitzenzubleiben. Er war so unbefriedigt, so unglückselig – sollte er wirklich so gehen?! Helene hatte noch immer nicht Zeit gefunden, sich zu ihnen zu setzen; nur einen zärtlichen Blick hatte sie ihm dann und wann zuwerfen können, und es war ihm gelungen, ihr hinter dem hohen Büfett, das gegen die Blicke aus dem Saal schützte, einen flüchtigen Kuß zu rauben. Er hätte bis zum Morgengrauen geharrt. Aber die beiden anderen, die übergenug hatten, fanden es rücksichtslos von Scheffler, so unpünktlich zu sein. Sie bestanden darauf, anspannen zu lassen; Schwiegervater würde Egonchen schon in der Equipage nach Hause schicken.

Wie ein Träumender bestieg Abeking den Wagen. Helene hatte ihm eben noch ein Zeichen gegeben. Ein Zeichen – was meinte sie damit? Als sie aufgebrochen waren und mit Geklirr und Gerassel das Lokal verlassen hatten, war sie ihnen gefolgt in den Hausflur. Dort brannte nur eine einzige Lampe; es war viel zu wenig Beleuchtung, aber ihm war's heut gerade recht so. Während der Stabsarzt und Schmidt scheltend nach ihren Mänteln suchten, hatte sich Helene dicht an ihn geschmiegt, er fühlte ihre weiche Hand an seiner Wange. Sie war heiß und erregt, er roch den Weindunst ihres Atems, aber das, was ihn bei einer anderen zurückgestoßen haben würde, fiel ihm bei ihr nicht auf, oder es störte ihn doch nicht. Arme Frau – sie hatte so vielen zutrinken müssen! Er fühlte sich plötzlich wie ihr Erretter, ihr Ritter.

Und sie hatte heute nichts von der Schnippischkeit, von dem neckend überlegenen Ton, mit dem sie sonst die jungen Leutnants abzufertigen pflegte. Der kleine Abeking mit den treuherzigen Augen gefiel ihr gut: so jung, so jung, ah, so ein ganz junger war doch tausendmal netter, als so ein alter »Knopp« wie Schmölder zum Beispiel! Netter auch als der Stabsarzt seligen Angedenkens, netter selbst als der schöne Egon, netter als viele, viele andere. Er war schüchtern, er traute sich nicht so wie die anderen, das gefiel ihr am allerbesten an ihm. Ein Gesicht hatte er fast wie ein Mädchen, fein und zart, trotzdem er schon braungebrannt war wie eine Haselnuß. Und was er für ein niedliches Schnurrbärtchen hatte! Sonst, wenn er daran herumzwirbelte, während seine Blicke an ihr hingen, hätte sie immer sein hübsches Gesichtchen zwischen beide Hände nehmen mögen: »Da haste 'n Bützken, lieber Jung!« – aber heute kam er ihr männlicher vor, unternehmender. Als er ihr heute hinter dem hohen Büfett einen heftigen Kuß aufdrückte, hatte sie etwas von einer Leidenschaft gefühlt, die auch ihr immer bereites Herz gleich mit in Flammen setzte. Als sie sich jetzt im dunkelnden Flur an ihn drückte, mit weichen Fingern seine Wangen streichelte, war Verliebtheit in ihrem Tun: wahrhaftig, das war kein dummer Junge mehr, den man hinhielt von einemmal zum anderen, das war ein Mann, ein richtiger Mann! »Komm wieder«, flüsterte sie und streifte mit ihren Lippen sein Ohr.

Weiter hatte sie nichts sagen können. Die Kameraden rissen ihn mit fort: »Kommen Sie, kommen Sie, Abeking, wollen in die Klappe!«

Nun fuhren sie alle drei schweigsam zum Lager hinauf. Solange sie noch übers Pflaster des Städtchens holperten, hatten sie von Scheffler gesprochen – der übte sich ja nun in Bräutigamsgefühlen – aber als der Wagen langsamer die steigende Chaussee hinanrollte, verstummte die Unterhaltung. Die beiden gähnten und wickelten sich in ihre Mäntel. Abeking spähte ihnen ins Gesicht: aha, sie schliefen schon! Wenn er nun aus dem Wagen spränge, das Endchen zurückliefe? Eine halbe Stunde kaum, und er wäre bei ihr! Nein, es war noch zu früh, längst noch nicht Mitternacht, der »Schwan« war noch voller Lärm und Lichter. Schade! Eine glühende Sehnsucht packte ihn, die schöne Frau zu umarmen. »Komm wieder«, hatte sie in sein Ohr geflüstert – was meinte sie damit? Morgen? Übermorgen? Oder – heute noch?

Während die Kameraden schon fest schliefen, fand er keinen Schlaf, obgleich die Augen ihm fast zufielen und der Kopf ihm verworren war. Sie hatten ihm so oft eingeschenkt. Nun hörte er in einem fort, wie aus weiter Ferne und doch nah, ganz nah, das »Komm wieder!« Verdammt noch mal, wie sollte er das denn machen?! Er schätzte den Sprung vom Wagen herab auf die Straße. Merken würden die beiden es jetzt nicht, aber nachher, wenn sie ausstiegen. Nein, jetzt ging es nicht!

Mit einem Seufzer der Ungeduld zwirbelte der junge Mann sein Bärtchen. Er atmete zitternd-beklommen, in seinen Adern floß es wie Feuer, er hatte kaum die Beherrschung, ruhig sitzenzubleiben. Mit brennenden Augen stierte er über den Wagenrand. Aber er sah nichts von dem Zauber der schönen Nacht, er sah nur immer die begehrlichen Augen der schönen Frau. In dem Murmeln und Plätschern, das der Bach zu ihm heraufsandte, hörte er nur die flüsternde Stimme: »Komm wieder!«

In dieser Nacht brauchte es keiner Nachtigallenlockung.

Der junge Mensch fieberte. Es klopften ihm alle Pulse. Er mußte zu ihr – »Komm wieder!« – er mußte, es litt keinen Aufschub. Wenn er nun mit den Kameraden hinaufführe bis vors Lager, wenn er dann, während sie schlaftrunken davonwankten, dem Kutscher ein Zeichen machte, ihm einen Taler in die Hand drückte, sich einen Gaul beim Zügel langte, sich hurtig aufschwang und noch einmal hinuntergaloppierte ins Städtchen? Zu ihr!

Und hurre hurre, hopp hopp hopp,
Ging's fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben
Und Kies und Funken stoben.

Dies Gedicht fiel ihm immerwährend ein, er konnte den Rhythmus gar nicht loswerden: hurre hurre, hopp hopp hopp. Drunten war's still, die Lichter waren alle erloschen, an den Laden schlug er, klirrend stieg er ab – trapp trapp trapp – des Rosses Hufe dröhnten – sie würde ihn hören. Sie wartete ja schon auf ihn. Hurre hurre, hopp hopp hopp – haha, das war eine Idee, ein toller Streich! Ein toller Ritt, aber – – wenn die Sonne aufging, war er wieder oben im Lager. Niemand merkte etwas, das Pferd stand im Stall, er selber lag in seinem Bette; nur zum Schein, was braucht es der Rast, wenn man beim Liebchen gewesen ist?

»Und hurre hurre, hopp hopp hopp!« Er murmelte es in das dumpfe Rollen des Wagens, in das gleichmäßige Schnarchen der Kameraden hinein.

Die Pferde schnauften; der müde Kutscher trieb sie nicht mehr an, aber sie trabten von selber, sie witterten den Stall. Der Mond fing an zu scheinen. Jedes Hähnchen am Wege zitterte taubeperlt. Die großen Tannen am Chausseerand schimmerten silberig und fingen den Mondglanz mit ihren Ästen auf.

Weitoffenen Auges fuhr der Trunkene in den huschenden Glanz hinein, aber er sah nicht. Wie Leichensteine, weiß und gespenstisch, ragten die Meilensteine am Rand der steilabstürzenden Böschung. Sein Gesicht schimmerte geisterbleich; er lächelte in sich hinein.


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