Jules Verne
Reise durch die Sonnenwelt. Zweiter Band
Jules Verne

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Achtzehntes Capitel.

In welchen man sehen kann, wie die Gallia-Bewohner sich vorbereiten, ihren ganzen Asteroiden aus der Vogelschau zu betrachten.

Welcher Art konnten wohl die Folgen dieses wichtigen Ereignisses für die Gallia sein? Kapitän Servadac und seine Gefährten wagten gar nicht sich diese Frage zu beantworten.

Die Sonne erschien über dem Horizonte, und zwar um so zeitiger, da die stattgefundene Verdoppelung nachstehendes Resultat ergeben hatte: Wenn die Richtung der Umdrehung der Gallia sich auch nicht veränderte, der Komet sich also wie früher von Osten nach Westen um seine Achse bewegte, so war doch die Dauer dieser Rotation noch einmal um die Hälfte vermindert worden. Die Zeit zwischen zwei Sonnenaufgängen betrug jetzt nur noch sechs Stunden, statt früher deren zwölf. Drei Stunden nach Aufgang an dem einen Horizonte verschwand das Strahlengestirn schon an dem entgegengesetzten.

»Mordio,« rief Kapitän Servadac, »nun haben wir gar ein Jahr von zweitausendachthundert Tagen«[Hier übertreibt der Autor: wenn zwischen 2 Sonnenaufgängen 6 Stunden liegen, hat das Jahr 4×365 = 1460 Tage.].

»Für diesen Kalender wird's bald nicht mehr Heilige genug geben!« bemerkte Ben-Zouf.

In der That, hätte Palmyrin Rosette seinen Kalender auch dieser neuen Dauer der Gallia-Tage anpassen wollen, so wäre er dahin gelangt, etwa vom 238. Juni oder vom 325. December sprechen zu können.

Von dem Bruchstücke der Gallia, welches die Engländer sammt Gibraltar entführte, sah man deutlich, daß es nicht rund um den Kometen gravitirte, sondern sich im Gegentheil von demselben entfernte. Hatte es auch einen Theil des Meeres und der Atmosphäre der Gallia mit sich fortgerissen? Bot es überhaupt die für seine Bewohnbarkeit nothwendigen Bedingungen? Und sollte es, wenn letzteres der Fall war, wohl jemals zur Erde zurückkehren?

Das sollte man später erfahren.

Welche Folgen äußerte aber die Verdoppelung bezüglich der Fortbewegung der Gallia? Diese Fragen hatten sich Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokov zuerst vorgelegt. Gleich zu Anfang empfanden sie eine nicht geringe Zunahme ihrer Kräfte und constatirten eine weitere Abnahme der Schwerkraft. Da sich die Masse der Gallia gar nicht unbedeutend verringert hatte, sollte sich nun nicht auch ihre Geschwindigkeit verändert haben und mußte man nicht fürchten, daß sie bei einer auch nur geringen Verzögerung oder Beschleunigung die Erde verfehlen würde?

Das wäre freilich ein nicht wieder gut zu machendes Unglück gewesen.

Aber hatte sich denn die Geschwindigkeit der Gallia wirklich, und wenn auch nur um ein Weniges, verändert? Lieutenant Prokop glaubte es nicht, er erlaubte sich aber, wegen Mangels hinreichender Kenntnisse in solchen Dingen, kein Urtheil darüber.

Palmyrin Rosette allein vermochte diese Frage zu beantworten. Man mußte ihn also, auf die eine oder die andere Art, durch Ueberredung oder Gewalt dazu bewegen, zu sprechen und gleichzeitig die genaue Stunde anzugeben, wann der Zusammenstoß stattfinden werde.

Im Laufe der nächstfolgenden Tage machte man zunächst die Bemerkung, daß der Professor in geradezu abscheulicher Laune war. Sollte man das als eine Folge des Verlustes seines geliebten Fernrohres betrachten oder vielleicht daraus schließen, daß die Verdoppelung die Geschwindigkeit der Gallia doch nicht verändert habe und sie der Erde in dem schon früher berechneten Augenblicke begegnen werde? Denn wenn sich der Komet in Folge der Verdoppelung in seiner Bewegung wirklich beschleunigte oder verzögerte und die endliche Rückkehr dadurch in Frage gestellt gewesen wäre, so wäre auch die Befriedigung Palmyrin Rosette's eine so große gewesen, daß er sie gewiß nicht hätte verbergen können. Da er jetzt nicht freudig aufjubelte, hatte er sicher – wenigstens in obiger Beziehung – keinen Grund dazu.

Kapitän Servadac und seine Begleiter setzten allerdings ihr Vertrauen auf diese Beobachtung, und doch genügte ihnen das nicht gänzlich. Man mußte diesem Stacheligel sein Geheimniß entreißen.

Endlich sollte das Kapitän Servadac, und zwar unter folgenden Umständen gelingen:

Es war am 18. December. Palmyrin Rosette lag eben in heftigem Streit mit Ben-Zouf. Letzterer hatte den Professor in der Person seines Kometen beleidigt. Ein hübsches Gestirn, meiner Treu, das sich umherwerfen läßt wie ein Kinderspielzeug, das zerplatzt wie ein Schlauch und aufspringt wie eine trockene Nuß! Lieber möchte ich auf einer Granate, auf einer Bombe leben, deren Lunte schon entzündet ist u. s. w. Kurz, Jedermann wird sich leicht vorstellen können, in welcher Weise sich Ben-Zouf über dieses Thema ausließ. Die beiden Gegner warfen sich gegenseitig, der Eine die Gallia, der Andere den Montmartre an den Kopf.

Da wollte es der Zufall, daß Kapitän Servadac gerade während des hitzigsten Streites hinzukam. War es eine Eingebung von Oben – jedenfalls sagte er sich, daß, da bei Palmyrin Rosette mit Sanftmuth nichts zu erreichen sei, die Gewalt vielleicht bessere Dienste leisten werde, und so nahm er absichtlich Ben-Zouf's Partie.

Wie brauste da der Professor auf in hellem Zorn, der sich in den erbittertsten Worten Luft machte.

Kapitän Servadac stellte sich ebenfalls, als ob er wer weiß wie wüthend wäre und sagte:

»Herr Professor, Sie lassen Ihrer Zunge in einer Weise freien Lauf, welche mir nicht im Geringsten paßt, und die ich entschlossen bin, nicht länger zu ertragen. Sie vergessen zu häufig, daß sie mit dem General-Gouverneur der Gallia sprechen!«

»Und Sie,« erwiderte der zornsprühende Astronom, »Sie vergessen, daß Sie dem Eigenthümer derselben antworten!«

»Das ändert nichts an der Sache. Ihre Eigenthumsrechte scheinen mir überhaupt etwas zweifelhafter Natur!«

»Was sagen Sie?«

»Und da es uns nun nicht möglich ist, zur Erde zurückzukehren, so werden Sie sich den Gesetzen, wie sie auf der Gallia herrschen, gefälligst fügen lernen.«

»Ah, sehr schön,« versetzte Palmyrin Rosette, »ja ich werde mich Ihnen in Zukunft unterwerfen.«

»Ich hoffe nach allen Seiten.«

»Vorzüglich jetzt, da die Gallia nicht mehr zur Erde zurückkehren soll! . . . .«

»Und wir dazu bestimmt sind, ewig auf derselben zu leben,« vervollständigte Kapitän Servadac.

»Und warum soll denn die Gallia nicht mehr zur Erde zurückkehren?« fragte der Professor mit einem Tone der größten Verachtung.

»Weil sich ihre Masse,« antwortete der Kapitän Servadac, »nach der Verdoppelung wesentlich vermindert hat und folglich eine Veränderung ihrer Geschwindigkeit stattgefunden haben muß.«

»Ja, wer sagt denn das?«

»Das sage ich und jeder Andere auch.«

»Nun, Herr Kapitän, alle Uebrigen und auch Sie sind . . . . . .«

»Herr Rosette!«

»Sie sind unwissende Thoren, die von der Himmelsmechanik nicht das Geringste verstehen!«

»Nehmen Sie sich in Acht!«

»So wenig wie von der elementaren Physik . . .«

»Mein Herr!«

»O, Sie schlechter Schüler!« fuhr der Professor fort, dessen Wuth sich zum Paroxismus steigerte. »Ich hab' es noch nicht vergessen, daß Sie einst meiner Classe zur Schande gereichten! . . . .«

»Das ist zu viel!«

»Daß Sie die ganze Charlemagne verunzierten! . . . .«

»Werden Sie nun schweigen, oder . . . . .«

»Nein, ich werde nicht schweigen und wenn Sie zehnmal Kapitän wären. Herr mein Gott, das sind mir schöne Physiker! Weil die Masse der Gallia eine Verminderung erfuhr, bilden sie sich ein, daß das einen Einfluß auf ihre Tangential-Geschwindigkeit haben müsse. Als ob diese Bewegung nicht einzig und allein von der ihr zu Anfang ertheilten Geschwindigkeit und der Anziehung der Sonne abhinge! Als ob man Störungen nicht berechnen könne, ohne die Masse der gestörten Himmelskörper zu kennen! Ist denn etwa die Masse der Kometen stets bekannt? Nein! Berechnet man wohl ihre Störungen? Ja! – O, Sie können mir wahrlich leid thun!«

Der Professor gerieth ganz außer sich. Ben-Zouf, der den Zorn seines Kapitäns ernst nahm, fragte diesen:

»Wünschen Sie, daß ich ihn in zwei Stücke zerbreche, Herr Kapitän, daß ich ihn verdoppele, wie seinen erbärmlichen Kometen?«

»Wagt es nur, mich anzurühren,« rief Palmyrin Rosette, und richtete seine winzige Figur kerzengerade in die Höhe.

»Mein Herr,« entgegnete lebhaft Kapitän Servadac, »ich werde Sie schon zur Vernunft zu bringen wissen!«

»Und ich werde Sie wegen Ihrer Drohungen oder handgreiflichen Vergehen vor die competenten Gerichte ziehen.«

»Vor die Gerichte der Gallia?«

»Nein, Herr Kapitän, aber vor die der Erde!«

»O, gehen Sie doch! Die Erde ist weit von hier!« spottete Kapitän Servadac.

»So weit sie jetzt auch noch ist,« versetzte Palmyrin Rosette, der seiner gar nicht mehr Herr war, »so werden wir ihre Bahn doch im aufsteigenden Knoten in der Nacht vom 31. December zum 1. Januar schneiden und daselbst um zwei Uhr siebenundvierzig Minuten fünfunddreißig sechs Zehntel Secunden des Morgens ankommen! . . . .«

»Lieber Herr Professor,« antwortete Kapitän Servadac mit einem höflichen Gruße, »mehr wollte ich von Ihnen gar nicht erfahren!«

Schleunigst ließ er den so glücklich ausgefragten Professor Rosette stehen, dem Ben-Zouf noch einen eben so höflichen Gruß bieten zu müssen glaubte wie sein Kapitän.

Hector Servadac und seine Freunde wußten nun endlich, was sie so sehnlichst zu wissen verlangten. Um zwei Uhr siebenundvierzig Minuten fünfunddreißig sechs Zehntel Secunden sollte der Zusammenstoß stattfinden.

Bis dahin lagen noch fünfzehn Erdentage, dreißig Gallia-Tage nach dem alten Kalender oder sechzig nach dem neuen vor ihnen!

Die Vorbereitungen dieser »Abreise« wurden nun mit einem Eifer sonder Gleichen betrieben. Alle konnten es kaum erwarten, die Gallia zu verlassen.

Lieutenant Prokop's Montgolfiere schien ein beruhigendes Hilfsmittel, die Erdkugel ohne Gefahr zu erreichen. Aus der Gallia-Atmosphäre in die der Erde hinüberzugleiten, was hätte noch leichter und bequemer sein können. Freilich vergaß man hier die tausend Gefahren einer bei allen früheren Luftreisen noch nicht dagewesenen Lage. War das nicht ganz natürlich? Lieutenant Prokop wiederholte indessen mehrmals, daß die Montgolfiere durch die plötzliche Hemmung ihre Bewegung jedenfalls in Brand gerathen und ihre Insassen ebenso verbrennen würde – wenn nicht ein Wunder geschähe.

Kapitän Servadac erwies sich jetzt wie immerdar als unverbesserlicher Enthusiast. Ben-Zouf endlich hatte stets den Wunsch gehegt, einmal eine Ballonfahrt mitzumachen; er sah sich also am Ziele seiner Wünsche.

Der kühler überlegende Graf Timascheff und sein Lieutenant Prokop vergegenwärtigten sich fast allein die Gefahren dieses waghalsigen Unternehmens. Nichtsdestoweniger waren sie zu Allem bereit.

Jetzt verschwand die Eisdecke auch wieder von dem Meere. Die Dampfschaluppe wurde in Stand gesetzt und mit dem Reste der Steinkohlen zu einigen Fahrten nach der Insel Gourbi benutzt.

Kapitän Servadac, Lieutenant Prokop und einige Russen führten die erste Reise dahin aus. Sie fanden die Insel, den Gourbi und das Wachthaus durch den langen Winter in keiner Weise verändert. Da und dort rannen einige muntere Bäche über das Land. Die Vögel, welche Warm-Land wieder verlassen hatten, schwärmten über diesem Restchen fruchtbaren Bodens, nach dem sie das Grün der Wiesen und Bäume gelockt hatte. Schon keimten junge Pflanzen unter dem Einflusse der Aequatorhitze der dreistündigen Tage hervor. Die Sonne goß lothrechte Strahlen von außerordentlicher Intensität über sie aus.

Hier herrschte der glühende Sommer, der dem harten Winter so gut wie unvermittelt folgte.

Auf der Insel Gourbi sammelte man auch die trockenen Blätter und das Stroh, welche zur Erzeugung der erwärmenden Luft für die Montgolfiere dienen sollten. Wäre dieser ungeheure Apparat nicht gar so umfangreich gewesen, so hätte man ihn wohl gern über das Meer nach der Insel Gourbi geschafft. Da das nicht anging, zog man es vor, sich von Warm-Land aus zu erheben und dahin das Brennmaterial zu transportiren, welches die Verdünnung der Luft in dem Ballon hervorbringen sollte.

Jetzt schon verbrannte man für die Zwecke der täglichen Bedürfnisse die Trümmer der beiden Fahrzeuge. Als die Planken der Tartane demselben Schicksal verfallen sollten, versuchte Isaak Hakhabut sich dem zu widersetzen. Ben-Zouf machte ihm jedoch begreiflich, daß er für seinen Platz in der Gondel werde 50.000 Francs bezahlen müssen, wenn er es wagte, noch ferner den Mund aufzuthun.

Isaak Hakhabut seufzte und schwieg.

Der 25. December kam heran. Alle Vorbereitungen zur Abfahrt waren beendet. Weihnachten wurde in gleicher Weise wie das Jahr vorher, doch eher in gehobener religiöser Stimmung gefeiert. Den bevorstehenden Neujahrstag gedachten die wackeren Leute alle ja auf der Erde mit zu begehen, und Ben-Zouf versprach sogar dem jungen Pablo und der kleinen Nina schon jetzt allerliebste Neujahrspräsente.

»Seht Ihr,« sagte er, »es ist wirklich so gut als hättet Ihr sie schon!«

Obwohl man es in Anbetracht des herannahenden letzten Augenblickes kaum glauben sollte, so dachten Kapitän Servadac und Graf Timascheff doch an ganz andere Dinge als an die Gefahren der »Landung«. Die Kälte, welche sie gegen einander zur Schau trugen, war keineswegs eine erkünstelte. Die beiden Jahre, die sie fern von der Erde zusammen verlebt, erschienen ihnen jetzt wie ein halbvergessener Traum, wo sie so nahe daran waren, einander auf der alten Erde wieder Auge in Auge gegenüberzutreten. Ein reizendes Bild drängte sich wieder zwischen sie und ließ sie gegenseitig sich nicht mehr so sehen wie vordem.

Dem Kapitän Servadac fiel es nun auch wieder ein, das berühmte Rondeau zu vollenden, bei dessen letztem Verse jene unangenehme Unterbrechung eintrat. Noch einige Zeilen fehlten dem kleinen Gedichte zu seiner Vollendung. Einen Dichter hatte die Gallia einst der Erde entführt – einen Dichter sollte sie ihr jetzt wiedergeben.

Von Zeit zu Zeit wiederholte sich Kapitän Servadac also alle die widerspenstigen Reime.

Was die anderen Bewohner der Kolonie betrifft, so hatten Graf Timascheff und Lieutenant Prokop alle Eile, die Erde wiederzusehen, die übrigen Russen aber nur den einen Gedanken, ihrem Herrn zu folgen, wohin er sie auch führen werde.

Die Spanier befanden sich auf der Gallia so wohl, daß sie auch den Rest ihrer Tage gern hier verlebt hätten; immerhin freuten sich Negrete und seine Landsleute darauf, die Fluren Andalusiens einmal wieder zu begrüßen.

Pablo und Nina schienen entzückt, mit allen ihren Freunden zurückzukehren, freilich unter der Bedingung, diese auch später niemals zu verlassen.

Nur ein einziger Unzufriedener befand sich unter Allen – der Brummbär Palmyrin Rosette. Er kam aus seiner verbissenen Stimmung gar nicht mehr heraus und schwur Tag für Tag, daß er sich in der Gondel nicht mit einschiffen werde. Nein! Er bestand darauf, seinen Kometen nicht zu verlassen. Er wollte Tag und Nacht seine astronomischen Beobachtungen fortsetzen. O, wie beklagte er den Verlust seines Fernrohrs! Gerade jetzt, wo die Gallia die Zone der Sternschnuppen durcheilte! Waren da keine wichtigen Erscheinungen zu beobachten, keine neuen Entdeckungen zu machen?

In seiner Verzweiflung bediente sich Palmyrin Rosette eines wahrhaft heroischen Mittels, indem er die Pupille seiner Augen vergrößerte, um durch deren verstärktes Sehvermögen das verlorene Fernglas möglichst zu ersetzen. Er tröpfelte sich in die Augen nämlich eine Belladonna-Lösung, die sich in der Apotheke des Nina-Baues vorfand, und sah und sah hinaus in's Weite, daß er fast blind ward! Doch, obwohl er die Lichtempfindlichkeit seiner Netzhäute durch jenes Mittel wesentlich erhöhte, er sah doch nichts, er entdeckte nichts!

Die letzten Tage verstrichen unter einer wahrhaft fieberhaften Erregung, von der Niemand frei blieb. Lieutenant Prokop überwachte die letzten nothwendigen Details. Am Strande wurden die beiden Masten der Goëlette aufgerichtet, um als Träger der ungeheuren Montgolfiere zu dienen, die jetzt zwar noch nicht aufgebläht, doch schon mit ihrem Netze umgeben war. Auch die Gondel stand bereit, hinlänglich groß, um alle Passagiere aufzunehmen. Einige an deren Seitenwänden befestigten Schläuche verliehen ihr die Fähigkeit, eine Zeit lang zu schwimmen, für den Fall, daß die Montgolfiere nahe einer Küste in ein Meer niederfallen sollte. Sank sie freilich in den offenen Ocean hinab, so mußte sie mit allen ihren Insassen zu Grunde gehen, wenn sich nicht zufällig Schiffe in der Nähe befanden, um jene aufzunehmen.

So verstrich der 26., 27., 28., 29. und 30. December. Nur achtundvierzig Erdenstunden sollten sie noch auf der Gallia zubringen.

Der 31. December brach an. Nur noch vierundzwanzig Stunden, dann sollte die von warmer, verdünnter Luft geschwellte Montgolfiere sich in die Gallia-Atmosphäre erheben. Freilich war diese Atmosphäre weniger dicht als jene der Erde, doch darf man hierbei nicht außer Acht lassen, daß sich der ganze Apparat in Folge der allgemein verminderten Anziehungskraft eben auch leichter emporschwingen mußte.

Die Gallia befand sich jetzt 24 Millionen Meilen, also etwas weiter als die Erde, von der Sonne entfernt. Mit ungeheurer Schnelligkeit strebte sie gegen das Erdsphäroïd zu, das sie in seinem aufsteigenden Knoten, genau an dem von ihm eingenommenen Punkte der Ekliptik, treffen sollte.

Die Distanz zwischen Erde und Kometen maß jetzt kaum 1¼ Million Meilen. Da sich die beiden Weltkörper auf einander zu bewegten, so durcheilten sie diesen Zwischenraum mit einer Schnelligkeit von 52.000 Meilen in der Stunde, von denen etwa 34.000 auf die Gallia und gegen 18.000 auf die Erde kamen.

Endlich, um zwei Uhr Morgens, bereiteten sich die Bewohner des Kometen zum Aufbruch. Binnen siebenundvierzig Minuten fünfunddreißig Secunden sollte der Zusammenstoß stattfinden.

In Folge der beschleunigten Rotationsbewegung der Gallia um ihre Achse war es jetzt schon hell, ebenso wie auf derjenigen Seite der Erdkugel, an welche der Komet auftreffen mußte.

Seit einer Stunde schwebte die Montgolfiere bereits vollständig gefüllt zwischen den Masten. Sie bewährte sich vollkommen. Der ungeheuere Apparat war zur Auffahrt fertig. Seine an dem Netze befestigte Gondel harrte nur noch der Passagiere. Die Gallia gravitirte jetzt 45.000 Meilen von der Erde entfernt.

Isaak Hakhabut nahm zuerst in der Gondel Platz.

Da bemerkte Kapitän Servadac, daß der Jude einen schwer gefüllten Gürtel um die Hüften trug.

»Was ist das?« fragte er.

»O, Herr Gouverneur,« antwortete Isaak Hakhabut, »es ist mein bescheidenes Vermögen, das ich mit mir nehme.«

»Wie viel wiegt denn Euer bescheidenes Vermögen?«

»Ach, kaum sechzig Pfund.«

»Sechzig Pfund! Und die Montgolfiere besitzt nur eine Tragkraft, um uns selbst emporzuheben. Entledigt Euch dieser unnützen Last!«

»Aber Herr Gouverneur . . . .«

»Keine Einrede, sag' ich Euch, wir dürfen die Gondel nicht überlasten.«

»Herrgott Israel's,« jammerte der Jude, »mein ganzes sauer erworbenes Hab' und Gut!«

»Ei was, Meister Isaak, Ihr wißt ja recht gut, daß Euer Gold auf der Erde später so gut wie gar keinen Werth haben kann, da die Gallia allein hundertsechsundvierzig Sextillionen Francs an Gold enthält! . . . .«

»Erbarmen, gnädiger Herr, Erbarmen!«

»Vorwärts, Mathathias!« mischte sich Ben-Zouf ein, »befreie uns von Deiner Person oder entledige Dich Deines Goldes – ganz nach Belieben!«

Es half dem unglücklichen Juden kein Klagen, er mußte sich seiner enormen Geldkatze entledigen, was natürlich nur unter einem Schwall von Jammertönen geschah, den wir hier vergeblich wiederzugeben versuchen würden.

Mit Palmyrin Rosette lag die Sache ganz anders. Der gelehrte Wütherich bestand darauf, von dem Kerne seines Kometen nicht zu weichen. Niemand sollte ihn seinem eigenen Gebiete entreißen! Diese Montgolfiere wäre auch ein ganz widersinnig erdachtes Rettungsmittel. Beim Uebergange aus einer Atmosphäre in die andere müßte sie ja auflodern wie ein Stück Papier. Seiner Ansicht nach war weniger Gefahr dabei, auf der Gallia auszuharren, und wenn dieselbe gegebenen Falles die Erde doch nur streifen sollte, so würde wenigstens Palmyrin Rosette mit ihr weiter durch den Weltraum schweben. Dazu begleitete er tausend andere Gründe noch mit den wüthendsten und auch lächerlichsten Drohungen, so z. B., daß er den Schüler Servadac mit Strafarbeiten überhäufen werde u. dergl. m.

Trotz seines Widerstrebens ward der Professor aber doch als Zweiter in der Gondel untergebracht und durch zwei handfeste Matrosen an seinem Platze gehalten. Kapitän Servadac, entschlossen, ihn auf keinen Fall auf der Gallia zurückzulassen, hatte ihn deshalb in dieser etwas rücksichtslosen Weise eingeschifft.

Die beiden Pferde und Nina's Ziege mußte man freilich opfern! Das gab ein rechtes Herzeleid für Ben-Zouf und das kleine Mädchen. Es war indessen gar nicht daran zu denken, jene mitzunehmen. Von allen vorhandenen Thieren erhielt nur Nina's Taube einen Platz. Möglicher Weise konnte sich diese ja noch als Bote zwischen den Insassen der Gondel und irgend einem Punkte der Erdoberfläche nützlich erweisen.

Graf Timascheff und Lieutenant Prokop nahmen auf die Einladung des Kapitäns hin ihre Plätze ein.

Zuletzt stand dieser mit seinem treuen Ben-Zouf nur allein noch auf dem Boden der Gallia.

»Nun vorwärts, Ben-Zouf, jetzt ist die Reihe an Dir,« sagte er.

»Nach Ihnen, mein Kapitän.«

»Nein, nein! Ich muß bis zuletzt an Bord bleiben, gleich dem Befehlshaber eines Schiffes, wenn er gezwungen ist, dasselbe zu verlassen.«

»Ja, aber . . .«

»Thu' wie ich Dir sage!«

»Auf Ihren Befehl also!« antwortete Ben-Zouf.

Die Ordonnanz stieg über den Rand des Nachens. Kapitän Servadac folgte.

Die letzten Leinen wurden gelöst und majestätisch erhob sich die Montgolfiere in die Lüfte.

 


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