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In welchem es sich klar und deutlich zeigt, daß es besser ist, auf der Erde als auf der Gallia zu reisen.
»Halloh! Ich glaube, wir sind ihm glücklich entwischt!« rief Kapitän Servadac, als das enttäuschte Gesicht des Professors ihm verrieth, daß jede Gefahr vorüber sei.
Dann wendete er sich an seine Gefährten, die über diese Thatsache nicht weniger befriedigt schienen als er selbst.
»Was werden wir dann am Ende Großes geleistet haben? Eine einfache, zwei Jahre dauernde Reise durch die Sonnenwelt! Da unternimmt man ja auf der Erde längere Reisen! Bis hierher haben wir uns nicht besonders zu beklagen, und wenn in Zukunft Alles ebenso glatt verläuft, werden wir uns binnen fünfzehn Monaten auf dem gewohnten Sphäroid wieder eingenistet . . .«
»Und auch den Montmartre wieder gesehen haben!« fiel Ben-Zouf ein.
Es war in der That ein Glück zu nennen, daß die Gallia-Bewohner diesen »Enterversuch abgeschlagen« hatten, wie ein Seemann sich ausdrücken würde. Selbst angenommen, daß die Gallia unter dem Einflusse des Jupiter eine Verzögerung von nur einer einzigen Stunde erlitt, so würde sie die Erde schon nahe sechzigtausend Meilen von dem Punkte entfernt gefunden haben, an dem sie letztere antreffen sollte. Welch' langen Zeitraumes hätte es aber bedurft, ehe die gleich günstigen Stellungsverhältnisse wiederkehrten? Wären nicht Jahrhunderte, Jahrtausende vergangen, bevor ein zweites Zusammentreffen möglich wurde? Ohne Zweifel. Wenn der Jupiter überdies die Gallia in der Weise störte, daß sie entweder die Ebene oder die Form ihrer Bahn änderte, so hätte sie wahrscheinlich in Ewigkeit durch die Sonnen- oder gar durch die Sternenwelt umherirren müssen.
Am 1. November maß die Entfernung zwischen Jupiter und Gallia 101/5 Millionen Meilen. In zwei und einem halben Monat sollte der Komet sein Aphel, d. h. seinen größten Abstand von der Sonne erreichen, und sich letzterer von diesem Punkte aus wieder nähern.
Die Licht- und Wärme-Intensität des Tagesgestirnes erschien jetzt sehr bedeutend vermindert, so daß die Gegenstände auf der Oberfläche des Kometen nur wie in der Dämmerung sichtbar waren. Es gelangte jetzt hierher freilich auch nur der fünfundzwanzigste Theil der Licht- und Wärmemenge, welche die Sonne der Erde spendet. Dennoch war jenes Gestirn, in welchem der Mittelpunkt aller Anziehung im Planetensysteme liegt, noch vorhanden und die Gallia noch immer seinem mächtigen Einflusse unterworfen. Bald sollte man sich ihm wieder nähern, bald sollte das Leben wieder neu erblühen, wenn man nach dem flammenden Centrum hin zurückkehrte, dessen Temperatur nicht geringer als zu fünf Millionen Grad abgeschätzt wird. Diese lockende Aussicht hätte den Bewohnern der Gallia gewiß ihre moralischen und physischen Kräfte wiedergegeben, wenn das solchen Männern gegenüber überhaupt nöthig gewesen wäre.
Und Isaak Hakhabut? Hatte der egoistische Jude auch etwas empfunden von den Befürchtungen, die den Kapitän Servadac und seine Gefährten während der zwei letzten Monate quälten?
Nein, ganz und gar nicht. Seitdem er das für ihn so günstige Anlehensgeschäft abschloß, hatte Isaak Hakhabut die Tartane nicht wieder verlassen. Schon am Tage nach Beendigung der Untersuchungen des Professors beeilte sich Ben-Zouf, ihm die Schnellwaage nebst den Silbermünzen zurückzustellen. Der Miethzins und die Interessen befanden sich ja vorher in seinen Händen. Er brauchte nur die ihm als Pfand überlassenen Papierrubel wieder herauszugeben, und damit hatten seine Beziehungen zu den Insassen des Nina-Baues ihre Ende erreicht.
Bei diesem Zusammentreffen theilte ihm Ben-Zouf gleichzeitig mit, daß der ganze Grund und Boden der Gallia aus gutem Golde bestand, das freilich weder hier einen Werth besaß, noch nach der Rückkehr zur Erde seiner übergroßen Menge wegen einen solchen erhalten konnte.
Der Jude glaubte natürlich nur, daß Ben-Zouf sich über ihn lustig machen wolle. Er schenkte seinen Geschichtchen jetzt wie früher keinen Glauben, sondern trachtete mehr als je darnach, allen Münzvorrath der Colonie an sich zu bringen.
Dem Nina-Bau widerfuhr also niemals die Ehre eines Besuches seitens des Juden Hakhabut.
»Es ist doch erstaunlich, bemerkte Ben-Zouf wiederholt, wie leicht man sich daran gewöhnt, ihn niemals zu sehen!«
Gerade jetzt dachte aber Isaak Hakhabut daran, mit den übrigen Bewohnern der Gallia einige Verbindungen anzuknüpfen. Einerseits begannen verschiedene seiner Waarenvorräthe zu verderben, andererseits lag ihm natürlich daran, sein ganzes Lager vor der Rückkehr nach der Erde in Geld umzusetzen. Auf der alten Erdkugel erzielten seine Waaren im günstigsten Falle höchstens den üblichen Marktpreis, auf der Gallia dagegen mußten sie, im Hinblick auf ihre Seltenheit und den dringenden Bedarf, eine sehr hohe Verwerthung finden, da – der Jude wußte das sehr gut – sich doch Jeder nur an ihn wenden konnte.
Zu derselben Zeit begannen auch einige vor Allem nothwendige Artikel, wie Oel, Kaffee, Zucker, Tabak u. dgl. im Hauptmagazine zur Neige zu gehen. Ben-Zouf hatte seinem Kapitän davon Meldung gemacht. Dieser beschloß, getreu seinem Isaak Hakhabut gegenüber bisher eingehaltenen Benehmen, die Waaren der Hansa gegen Baarzahlung einzutauschen.
Diese Uebereinstimmung der Gedanken zwischen dem Verkäufer und den Käufern mußte es dem Juden erleichtern, frühere Beziehungen zu den Bewohnern von Warm-Land wieder aufzunehmen, resp. neue anzuknüpfen. In Folge des unausbleiblichen Steigens der Preise hoffte Isaak Hakhabut, binnen Kurzem alles Gold und Silber der Kolonie zusammengerafft zu haben.
»Leider« sagte er, wenn er in seiner engen Cabine so für sich hin speculirte, »übertrifft der Werth meiner Ladung weitaus den des Geldes, über welches die Leutchen da verfügen können. Wenn ich nun Alles im Kasten habe, womit sollen sie mir abkaufen den Rest meiner Waaren?«
Diese Aussicht beunruhigte den Wucherer nicht wenig. Zum Glück erinnerte er sich noch rechtzeitig, daß er ja nicht allein Waarenhändler, sondern auch Gelddarleiher, oder richtiger Halsabschneider sei. Konnte er dieses einträgliche Geschäftchen, das auf der Erde in so hoher Blüthe stand, nicht auch auf der Gallia fortsetzen? Seine letzte Operation dieser Art war doch dazu angethan, ihn zu weiteren zu reizen.
Isaak Hakhabut – ein logischer Kopf – gelangte nun nach und nach zu folgenden Erwägungen:
»Wenn die Leute kein Geld mehr haben, besitze ich immer noch Waaren, da diese gewiß ihren hohen Preis behalten. Wer hindert mich dann, ihnen Geld zu leihen, natürlich nur Denen, deren Unterschrift mir »gut« scheint? Ei, wenn die Schuldscheine auch auf der Gallia ausgefertigt wurden, werden sie doch haben auf der Erde dieselbe Giltigkeit. Werden sie dann zur Verfallzeit nicht eingelöst, lass' ich protestiren die Wechselchen, und die Gerichtsdiener werden besorgen das Uebrige. Der Ewige im Himmel verbietet ja den Menschen nicht, zu wuchern mit ihrem Pfunde. Im Gegentheil. Da ist nun ein Kapitän Servadac und vorzüglich ein Graf Timascheff, die mir zahlungsfähig aussehen und nicht geizen mit ein paar Procent Interessen. O, Du Herrgott Israel's, werd' ich doch nicht böse sein zu verleihen einiges Geld, das in der wirklichen Welt zurückzuzahlen ist!«
Ohne es zu wissen dachte hier Isaak Hakhabut ganz ähnlich zu verfahren, wie ehemals die alten Gallier. Diese liehen Geld aus auf in der anderen Welt zahlbare Schuldscheine. Für sie war diese andere Welt in der That die Ewigkeit. Für den Juden war es die Erdenwelt, nach welcher sie die wahrscheinliche, für ihn günstige, für seine Schuldner ungünstige Aussicht hatten, zurückversetzt zu werden.
Es erscheint nach dem Obengesagten als natürliche Folge, daß, ebenso wie Gallia und Erdkugel unverwandt auf einander zueilten, Isaak Hakhabut einen Schritt that gegen Kapitän Servadac, der wiederum ihm, dem Eigenthümer der Tartane, auf halbem Wege entgegenkam.
Die hierdurch nothwendig werdende Begegnung fand am 15. November in der Cabine der Hansa statt. Der pfiffige Jude hatte sich wohl gehütet, mit Anerbietungen hervorzutreten, da er recht gut wußte, daß man sich werde an ihn wenden müssen.
»Meister Isaak,« sagte Kapitän Servadac, der auf sein Ziel ohne Umstände oder Winkelzüge loszugehen pflegte, »wir brauchen Kaffee, Tabak, Oel und andere Artikel, welche die Hansa führt. Morgen werd' ich mit Ben-Zouf kommen, um zu kaufen, was wir nöthig haben.«
»Erbarmen! Erbarmen!« schrie der Jude, dem dieser Ausruf mit oder ohne Ursache stets entfuhr.
»Ich sagte,« wiederholte Kapitän Servadac, »wir kommen dann nur, um zu kaufen, versteht Ihr? Kaufen heißt meiner Ansicht nach, eine Lieferung gegen einen bedungenen Preis beanspruchen. Ihr habt folglich nicht den geringsten Grund zu Euren beliebten Klageliedern.«
»Ach, Herr Gouverneur,« antwortete der Jude, dessen Stimme zitterte wie die eines armen Teufels, der sich ein Almosen erbettelt, »ich verstehe schon. Ich weiß, Sie werden einen armen Handelsmann, dessen ganzes Vermögen bedroht und in Frage gestellt ist, nicht berauben lassen.«
»Nichts ist bedroht, Isaak, und ich wiederhole, daß man Euch nichts nehmen wird, ohne dafür zu zahlen.«
»Ohne zu zahlen . . . und baar?«
»Nur gegen baar.«
»Sie sehen ein, Herr Gouverneur,« fuhr Isaak Hakhabut fort, »daß es mir unmöglich wäre, Credit zu geben . . .«
Kapitän Servadac ließ seiner Gewohnheit nach und um ihn von allen Seiten gründlich kennen zu lernen, den Juden reden. Dieser fühlte sich sicher und schwatzte weiter.
»Ich glaube . . . . nein . . . ich denke . . . es giebt auf Warm-Land sehr ehrenwerthe Leute . . . ich meine, sehr zahlungsfähige . . . den Grafen Timascheff . . ., den Herrn General-Gouverneur selbst . . .«
Hector Servadac spürte einige Lust, ihm mit einem Fußtritte beizustimmen.
»Sie sehen aber ein . . .« fuhr Isaak Hakhabut in süßlichstem Tone fort, »wenn ich dem Einen Credit gäbe, käme ich sehr in Verlegenheit, ihn einem Anderen zu verweigern. Das müßte zu ärgerlichen Auftritten führen . . . und deshalb, mein' ich . . . ist es gerathener . . . gar Niemandem zu creditiren.«
»Das ist ganz meine Ansicht,« bekräftigte ihn Hector Servadac.
»O,« faselte der Jude weiter, »ich bin so erfreut und gerührt, zu sehen, daß der Herr Gouverneur billigt meine Gedanken. Das nenn' ich verstehen zu handeln, wie es geschehen soll. Darf ich mich unterstehen, zu fragen den Herrn Gouverneur nach der Münzsorte, mit der Sie zahlen werden?«
»Mit Gold, Silber und Kupfer, und wenn dieses Geld erschöpft ist, mit Bankbillets . . .«
»Mit Papier! O weh!« jammerte Isaak Hakhabut, »das hab' ich eben gefürchtet!«
»Ihr habt kein Vertrauen zu den Staatsbanken von Frankreich, England oder Rußland?«
»O, Herr Gouverneur! . . . Es giebt nur zweierlei gutes Metall, Gold und Silber, was einen reellen Werth hat.«
»Ich hab' Euch auch gesagt, Meister Isaak,« antwortete Kapitän Servadac mit unveränderter Liebenswürdigkeit, »daß Ihr zunächst mit coursfähigem Gold und Silber bezahlt werden sollt.«
»Mit Gold! . . . Mit Gold! . . .« rief der Jude. »Das ist und bleibt doch das Hauptgeld auf Erden!«
»Vor allem Anderen mit Gold, Meister Isaak, denn gerade Gold, russisches, englisches und französisches Gold giebt's auf der Gallia am meisten.«
»Gott der Gerechte, die schönen Golde!« murmelte der Jude, den seine Habgier jenes in der ganzen Welt so geschätzte Hauptwort gleich »in der Mehrzahl« zu gebrauchen trieb.
Kapitän Servadac wollte sich verabschieden.
»Also abgemacht, Meister Isaak,« sagte er, »auf morgen!«
Da kam Isaak Hakhabut nochmals auf ihn zu.
»Wird mir der Herr General-Gouverneur gestatten, noch eine Frage zu stellen?«
»So beeilt Euch.«
»Es wird mir freistehen, nicht wahr . . . für meine Waaren einen Preis zu stellen . . . wie er mir paßt?«
»Meister Hakhabut,« erwiderte Kapitän Servadac sehr ruhig, »ich hätte eigentlich das Recht, Euch einen Maximalpreis vorzuschreiben, doch will ich auf solche außergewöhnliche Maßnahmen verzichten. Ihr werdet Eure Waaren selbst mit den gewöhnlichen europäischen Marktpreisen auszeichnen, nicht mit anderen!«
»Erbarmen, Herr Gouverneur!« rief der Jude an der empfindlichsten Stelle getroffen, »damit berauben Sie mich eines ganz rechtmäßigen Vortheils! . . . Das streitet gegen alle Gewohnheit des Handelns. Mir steht es zu, den Marktpreis zu bestimmen, denn alle Waaren sind in meiner Hand. Wenn Sie gerecht sein wollen, können Sie sich dem nicht widersetzen, Herr Gouverneur! . . . Das hieße, mir mein Hab' und Gut rauben!«
»Ich erwarte europäische Preise,« entgegnete einfach Kapitän Servadac.
»Herrgott Israel's! Was! Hier wäre eine Conjunctur auszubeuten . . .«
»Eben daran wollte ich Euch hindern.«
»Eine solche Gelegenheit kommt niemals wieder . . .«
»Euren Mitmenschen das Fell über die Ohren zu ziehen, Meister Isaak. Ja, ja, es thut mir leid um Euch . . . Vergeßt mir aber nicht, daß ich das Recht habe, zum Besten der Allgemeinheit über Eure Waarenvorräthe zu verfügen und . . .«
»Ueber das zu verfügen, was mir eigen angehört vor den Augen des ewigen Gottes!«
»Gewiß, Meister Isaak,« antwortete der Kapitän: »ich mag nur meine Zeit nicht verschwenden, Euch diese einfache Wahrheit begreiflich zu machen. Fügt Euch also darein, mir einfach zu gehorchen, und seid damit zufrieden, zu jedem Preise zu verkaufen, wo Ihr gezwungen werden könntet, ohne Entschädigung das Nöthige zu liefern.«
Isaak Hakhabut wollte seine Wehklagen noch einmal anfangen, Kapitän Servadac aber schnitt sie ab, indem er im Fortgehen nur die Worte wiederholte:
»Europäische Marktpreise, Meister Isaak, merkt's Euch!«
Die übrige Zeit dieses Tages hatte der Jude nichts Anderes zu thun, als auf den Gouverneur und die ganze Gallia-Kolonie weidlich zu schimpfen, daß man ihm »Maximalpreise« vorschreiben wollte, wie in den schlimmsten Zeiten der französischen Revolution. Er schien sich erst einigermaßen zu beruhigen, als er zu folgendem Gedanken kam, der für ihn eine ganz besondere Bedeutung haben mußte:
»Nur zu, nur zu. Ihr schlechten Menschen! Ihr sollt die Marktpreise Europas haben. Ich verdiene dabei doch mehr, als Ihr glaubt!«
Am nächsten Tage, dem 16. November, begab sich Kapitän Servadac, der die Ausführung seiner Befehle überwachen wollte, mit Ben-Zouf und zwei russischen Matrosen schon frühzeitig nach der Tartane.
»Nun, Eleazar,« begrüßte Ben-Zouf deren Eigenthümer, »wie geht's alter Spitzbube!«
»Sie sind zu gütig, Herr Ben-Zouf,« antwortete der Jude.
»Wir wollen mit Dir also in aller Freundschaft ein kleines ›Geschäftchen‹ machen.«
»Ja . . . in aller Freundschaft . . . aber gegen Bezahlung . . .«
»Nach europäischen Marktpreisen,« begnügte sich Kapitän Servadac hinzuzufügen.
»Gut, gut,« fuhr Ben-Zouf fort, »wenn Du Deine Rechnung gemacht, wirst Du auf Bezahlung nicht lange zu warten haben.«
»Was brauchen denn die Herren?«
»Für heute,« zählte Ben-Zouf auf, »Kaffee, Tabak und Zucker, von jedem etwa zehn Kilo. Bediene uns aber zur Zufriedenheit, sonst – hüte Deine Knochen! Ich verstehe mich auf das Geschäft, denn heute bin ich Feldwebel!«
»Ich glaubte Adjutant des Herrn General-Gouverneurs?« sagte der Jude.
»Gewiß, Kaiphas, bei jeder feierlichen Gelegenheit, aber Feldwebel immer dann, wenn's zum Einkaufen geht. Doch verlieren wir nicht unsere Zeit!«
»Sie sagten, Herr Ben-Zouf, zehn Kilo Kaffee, zehn Kilo Zucker und zehn Kilo Tabak?«
Nach erlangter Ueberzeugung von der Richtigkeit dieser Bestellung verschwand der Jude aus der Cabine und stieg nach dem Raume der Hansa hinunter, von wo er sehr bald zehn Packete, alle mit dem Stempel des Staates verschlossen und jedes im Gewichte eines Kilogrammes, heraufbrachte.
»Hier sind zehn Kilo Tabak, sagte er. Das Kilogramm zu 12 Francs macht 120 Francs.«
Ben-Zouf wollte schon den gewöhnlichen Regie-Preis zahlen, als Kapitän Servadac ihn daran verhinderte.
»Halt einmal, Ben-Zouf. Wir müssen uns auch überzeugen, ob das Gewicht richtig ist.«
»Sie haben recht, Herr Kapitän.«
»Wozu ist das nöthig?« versetzte Isaak Hakhabut. »Sie sehen ja, daß die Verpackung jedes Kilos unverletzt ist und daß das Gewicht darauf bemerkt ist.«
»Thut nichts, Meister Isaak,« erwiderte Kapitän Servadac in einem Tone, der jede Einrede abschnitt.
»Vorwärts, Alter, hol' Deine Schnellwaage!« trieb Ben-Zouf.
Der Jude besorgte die Waage und hing ein Kilogrammpacket Tabak an den Haken.
»Gott der Gerechte!« rief er plötzlich.
Er hatte in der That alle Ursache zu diesem Ausrufe der Verwunderung.
In Folge der verminderten Schwerkraft auf der Gallia markirte der Zeiger des Instrumentes nur 132 Gramm für ein Packet von 1 Erden-Kilogramm
»Wie denn nun, Meister Isaak,« begann der Kapitän unverändert ernsthaft, »Ihr seht, wie recht ich hatte, uns jedes Packet vorwiegen zu lassen.«
»Aber, Herr Gouverneur . . .«
»Legt nur soviel zu, bis ein Kilogramm voll ist.«
»Aber, ich bitte Sie, Herr Gouverneur . . .«
»Keine Umstände! Zulegen!« verlangte Ben-Zouf.
»Aber, Herr Ben-Zouf . . .«
Der unglückliche Jude saß in der Schlinge. Ihm war jene Erscheinung der verminderten Anziehung recht wohl bekannt. Er sah, daß »diese Ungläubigen« darauf ausgingen, sich für den Preis, den sie zahlen mußten, durch das Gewicht der Waare schadlos zu halten. O, hätte er nur gewöhnliche Waagen besessen, so hätte das – wie ja bei anderer Gelegenheit schon erläutert wurde – nicht vorkommen können. Leider mangelten ihm aber solche.
Er versuchte noch einmal zu reclamiren und Kapitän Servadac zu erweichen, doch dieser schien unbeugsam bleiben zu wollen. Die Sache war ja weder sein Fehler, noch der seiner Begleiter; er bestand einfach auf dem Verlangen, daß der Waagenzeiger ein Kilogramm markiren sollte, wo er ein Kilogramm bezahlte.
Isaak Hakhabut mußte sich wohl oder übel fügen, mischte aber seine Seufzer schluchzend unter das helle Lachen Ben-Zouf's und der russischen Matrosen, denen die Geschichte gar zu lustig vorkam. Zum Schluß blieb ihm nichts Anderes übrig, als für jedes Kilo Tabak deren sieben zu geben, und bei dem Zucker und Kaffee nicht minder.
»Ziere Dich doch nicht, Pontius Pilatus!« widerholte Ben-Zouf immer, »wär' es Dir vielleicht lieber, wir nähmen unseren Bedarf ohne Bezahlung?«
Das leidige Geschäft war beendigt. Isaak Hakhabut hatte zwar siebzig Kilo Tabak und ebensoviel Kaffee und Zucker geliefert, Bezahlung aber nur für je zehn Kilo empfangen.
Alles in allem war, wie Ben-Zouf sagte, »das mit Gallia eine Fehlspekulation. Weshalb auch kam Isaak Hakhabut zum Schachern hierher?«
Ganz zuletzt sorgte Kapitän Servadac, der sich mit dem Juden nur belustigen wollte, getrieben durch das Gefühl von Gerechtigkeit, das er auch ihm gegenüber stets bewahrte, für eine richtige Ausgleichung zwischen Preis und Gewicht, so daß Isaak Hakhabut für gelieferte siebzig Kilo auch die entsprechende Bezahlung erhielt.
Man wird übrigens zugeben, daß die außergewöhnlichen Verhältnisse der Schwerkraft Kapitän Servadac und seine Gefährten wegen dieser etwas sonderbaren Art und Weise, ein Geschäft abzuschließen, wohl hätten entschuldigen können.
So wie bei anderen Gelegenheiten hielt Hector Servadac auch hierbei an dem Glauben fest, daß der Jude stets mehr jammerte, als er Ursache hatte. Seine Seufzer, seine Einwendungen hatten immer einen etwas zweideutigen Charakter.
Alle verließen also die Hansa und lange konnte Isaak Hakhabut noch Ben-Zouf's lustiges Soldatenliedchen hören:
»Ich freu' mich beim Tone
Der Clarinette,
Der Trommel, Trompete,
Doch voll ist die Freud'
Erst beim Schall der Kanone!«