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In welchem die gelehrte Welt der Gallia in Gedanken durch das grenzenlose Weltall schweift.
Ein weiterer Monat verstrich. Die Gallia eilte durch den Planetenraum dahin und führte ihre kleine Welt mit sich. Gewiß, eine kleine Welt, in der aber die menschlichen Leidenschaften bisher nur wenig Eingang fanden. Die Habgier, die Selbstsucht waren allein durch jenen Juden, ein abschreckendes Muster der Menschenrace, vertreten. Er bildete den einzigen Schandfleck, welcher diesen von der übrigen Menschheit abgesonderten Mikrokosmus verunzierte.
Alles in Allem mußten sich die Bewohner der Gallia doch nur als Passagiere auf einer Rundreise durch die Sonnenwelt betrachten, weshalb sie sich »an Bord ihres Gestirnes« zwar so bequem als möglich, doch immer nur vorübergehend einzurichten suchten. Nach Vollendung dieser Reise um die Welt sollte ihr Fahrzeug wieder an der alten Erdkugel landen und, wenn sich des Professors Berechnungen als völlig richtig erwiesen – freilich war das unumgänglich nöthig – gedachten sie dann ihren Kometen zu verlassen und die irdischen Continente wieder zu betreten.
Freilich konnte das Anlegen des Schiffes Gallia an »seinem Bestimmungshafen« voraussichtlich nur mit größter Schwierigkeit und unter den ernsthaftesten Gefahren vor sich gehen. Doch um diese Frage handelte es sich vorläufig noch nicht, ihre Lösung verschob man also auf spätere Zeit.
Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop hielten sich stets überzeugt, ihres Gleichen in verhältnißmäßig kurzer Zeit wieder zu begrüßen. Ebenso glaubten sie sich der Verpflichtung überhoben, Vorräthe für die Zukunft aufzuspeichern, die fruchtbaren Landstriche der Insel Gourbi auszunützen und die verschiedenen Arten von Säugethieren und Vögeln zu erhalten, welche sie anfänglich zu Stammeltern des Thierreiches auf der Gallia ausgewählt hatten.
Manchmal plauderten sie jedoch davon, was sie wohl unternommen hätten, die Gallia auf die Dauer bewohnbar zu machen, wenn es ihnen versagt gewesen wäre, sie jemals wieder zu verlassen. Wie viele Projecte tauchten da vor ihren Augen auf, wie viele Arbeiten waren zu bewältigen, die Existenz dieser nicht einmal zahlreichen Gesellschaft sicher zu stellen, welche ein zwanzigmonatlicher Winter so ernsthaft bedrohte.
Am kommenden 15. Januar sollte der Komet den Endpunkt seiner großen Achse, also sein Aphel erreichen, von diesem Zeitpunkte an aber mit wachsender Geschwindigkeit auf seiner Bahn der Sonne wieder zueilen. Neun bis zehn Monate konnten wohl noch darüber hingehen, bis die Sonnenwärme das Meer vom Eis befreite und das Land wieder fruchtbar machte. Hiermit wäre die Zeit gekommen, wo die Dobryna und die Hansa Menschen und Thiere wieder nach der Insel Gourbi zurückführen sollten. Das Ackerland hätte man sodann für den so kurzen, aber heißen Gallia-Sommer eilends bearbeitet. Bei rechtzeitiger Einsaat lieferte der fruchtbare Boden voraussichtlich schon nach wenigen Monaten Getreide und Futterstoffe zur Ernährung Aller. Heu- und Kornernte hätte man vor der Rückkehr des Winters beendigt und auf der Insel ein freies, gesundheitsförderndes Jäger- und Bauernleben geführt. Mit dem Winter wäre man endlich zu jener Troglodyten-Existenz in den Hohlräumen des feuerspeienden Berges zurückgekehrt. Die Bienen hätten dann auf's Neue die Zellen des Nina-Baues bevölkert, um darin die harte und lange kalte Jahreszeit zu verbringen.
Gewiß, nach ihrer warmen Wohnung wären die Kolonisten wohl heimgekehrt. Aber hätten sie denn niemals einen weiteren Ausflug unternommen, um vielleicht geeignetes Brennmaterial, etwa ein leicht auszubeutendes Kohlenlager, zu entdecken? Sollten sie nicht versucht haben, sich auf der Insel Gourbi selbst eine Wohnstätte zu errichten, welche, für die Bewohner bequemer, den Bedürfnissen der Kolonie und den klimatischen Verhältnissen der Gallia entsprechender wäre?
Ohne Zweifel hätten sie das Alles gethan, wenigstens es versucht, um dieser langen Einsperrung in den Höhlen von Warm-Land zu entgehen – einer Einsperrung, welche in geistiger Hinsicht noch beklagenswerter erschien als in körperlicher.
Es bedurfte eben eines Palmyrin Rosette, eines in seinen Zahlenreihen völlig aufgehenden Originales, um diese traurigen Folgen nicht zu spüren und unter den gegebenen Umständen auf der Gallia ad infinitum ausharren zu wollen.
Daneben bedrohte die Insassen von Warm-Land täglich noch eine andere entsetzliche Möglichkeit. Wer konnte vorhersagen, ob sie sich in Zukunft nicht erfüllen werde? Wer wenigstens versichern, daß ihr Eintritt nicht eher erfolge, als bis der Komet wieder von der Sonne die für seine Bewohnbarkeit unumgänglich nöthige Wärmemenge erhielt? Hier lag eine sehr ernste Frage vor, welche die Bewohner der Gallia mit Rücksicht auf die nächste Zeit wiederholt behandelten, während sie dabei von der Zukunft in der Hoffnung absahen, dieser durch ihre Rückkehr zur Erde überhaupt zu entgehen.
Wir haben hier die Möglichkeit im Auge, daß der ganz Warm-Land gleichsam heizende Vulkan doch vielleicht verlöschen konnte. Sollte das innere Feuer der Gallia wirklich unerschöpflich sein? Was wurde aber aus den Bewohnern des Nina-Baues nach dem Aufhören dieses Feuers? Sollten sie sich weiter bis in das Innerste des Kometen hinab verkriechen, um daselbst eine erträgliche Temperatur zu suchen? Würde es ihnen endlich auch dort nicht unmöglich werden, der Kälte des freien Weltraumes zu trotzen?
Offenbar stand der Gallia in näherer oder fernerer Zukunft dasselbe Schicksal bevor wie allen übrigen Einzelkörpern unserer Sonnenwelt. Ihr inneres Feuer mußte einmal verlöschen; sie selbst zum todten Gestirn werden, wie es der Mond jetzt schon ist und die Erde einst sein wird. Diese Aussicht hatte für die Bewohner der Gallia indeß nichts Beunruhigendes, da sie darauf rechneten, ihren Kometen weit eher verlassen zu haben, als er unbewohnbar würde.
Jedenfalls konnte die Eruption des Vulkanes von einem Augenblicke zum anderen, ebenso wie es bei den Vulkanen der Erde vorkommt, aufhören, noch ehe der Komet sich der Sonne hinreichend genähert hatte. Woher sollte man in diesem Falle aber jene Lava nehmen, welche die so nothwendige und wohlthuende Wärme bis in die Tiefe der Bergmasse verbreitete? Welches Heizmaterial würde dann ihrer Wohnstätte jene mittlere Temperatur ertheilen, welche sie brauchten, um bei einer Kälte von sechzig Graden unter Null fortzuleben?
Gewiß eine ernste Frage. Glücklicher Weise zeigte die Ausströmung der Auswurfsmassen bisher noch keinerlei bedrohliche Veränderung. Der Vulkan functionirte mit einer Regelmäßigkeit und, wie früher erwähnt, mit einer Ruhe von bester Vorbedeutung. In dieser Hinsicht brauchten sie sich also weder wegen der Zukunft, noch wegen der Gegenwart besondere Sorgen zu machen. Mindestens war das die Ansicht des stets vertrauungsvollen Kapitän Servadac.
Am 15. December schwebte die Gallia 129,6 Millionen Meilen von der Sonne entfernt, d. h, fast am Ende der großen Achse ihrer Bahn. Sie bewegte sich jetzt nur mit einer monatlichen Geschwindigkeit von 6 bis 7 Millionen Meilen vorwärts.
Vor den Augen der Gallia-Bewohner, vorzüglich freilich vor denen Palmyrin Rosette's, that sich eine ganz neue Welt auf. Nachdem er den Jupiter aus größerer Nähe, als es jemals einem Sterblichen vergönnt gewesen, beobachtet, beschäftigte sich der Professor jetzt mit Betrachtung des Saturn.
Leider bot dieser nicht jene ausnehmend günstigen Verhältnisse der Entfernung. Nur 7,8 Millionen Meilen hatten zwischen dem Kometen und der Jupiterwelt gelegen, wogegen ihn 103,8 Millionen Meilen von dem anderen merkwürdigen Planeten trennten. Von Seiten des letzteren waren also Verzögerungen, außer den schon in Rechnung gezogenen, und überhaupt ernstere Störungen gewiß nicht zu fürchten.
Auf jeden Fall befand sich Palmyrin Rosette in der günstigen Lage, den Saturn etwa so beobachten zu können, als hätte sich dieser einem Astronomen der Erde um den halben Durchmesser seiner Bahn genähert.
Es wäre ganz überflüssig gewesen, ihn mit Anfragen über Einzelheiten des Saturns zu behelligen. Der Ex-Professor fühlte kein Bedürfniß, sein Licht leuchten zu lassen. Man hätte ihn wohl kaum dazu vermocht, sein Observatorium zu verlassen und es schien fast, als sei das Ocular seines Fernrohres Tag und Nacht direct an sein Auge geschraubt.
Als Ersatz zählte die Bibliothek der Dobryna mehrere Werke über elementare Kosmographie, so daß alle Kolonisten, welche sich für derartige astronomische Fragen interessirten, Dank dem Lieutenant Prokop, von der Saturnwelt hören konnten, was sie verlangten.
Ben-Zouf schien vorzüglich befriedigt, als man ihm mittheilte, daß die Erde, wenn die Gallia in derselben Distanz von der Sonne gravitirte wie der Saturn, mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar sein würde. Bekanntlich hielt die Ordonnanz vor allem daran fest, daß die Erdkugel wenigstens immer für seine Augen erkennbar bleibe.
»So lange man die Erde sieht, ist noch nichts verloren,« wiederholte er immer.
Wirklich wäre die Erde in der Entfernung, welche den Saturn von der Sonne trennt, auch für die besten Augen unsichtbar geworden.
Saturn schwebte zu dieser Zeit noch 105 Millionen Meilen von der Gallia, also 218,6 Millionen Meilen weit von der Sonne. In dieser Stellung erhielt er nur den hundertsten Theil des Lichtes und der Wärme, welche die Erde von dem Centralkörper empfängt.
Mit dem Buche in der Hand erfuhr man, daß der Saturn seinen Kreislauf um die Sonne binnen 29 Jahren, 167 Tagen vollendet, wobei er mit einer Geschwindigkeit von nahezu 5310 Meilen in der Stunde eine Bahn von 1,3725 Milliarden Meilen durchmißt – »die Centimes immer weggelassen«, wie Ben-Zouf sagte. Der Umfang dieses Planeten beträgt am Aequator 54.108 Meilen, seine Oberfläche 40 Milliarden Quadrat-Kilometer, sein Inhalt 666 Billionen Kubik-Kilometer. In Summa ist der Saturn 735mal so groß als die Erde, folglich kleiner als der Jupiter. Die Masse des Planeten freilich erreicht nur das Hundertfache der Erdmasse, weshalb ihm auch nur eine geringere Dichtigkeit als die des Wassers zugeschrieben wird. Er dreht sich in 10 Stunden 29 Minuten um seine Achse, wonach sein Jahr aus 24.600 Tagen bestehen muß und seine Jahreszeiten, mit Rücksicht auf die sehr starke Neigung seiner Achse zur Ebene der Bahn, jede sieben volle Erdenjahre andauern.
Was den Saturn-Bewohnern aber vorzüglich herrliche Nächte verschaffen muß, das sind die acht Monde, welche ihren Planeten begleiten. Sie führen die sehr mythologischen Namen Mimas, Enceladus, Thetys, Dione, Rhea, Titan, Hyperion und Japet. Wenn die Revolution des Mimas nur zweiundzwanzig und eine halbe Stunde dauert, so währt die des Japet dagegen neunundsiebzig Tage. Während die mittlere Entfernung des Japet von der Oberfläche des Saturns 546.000 Meilen beträgt, umkreist der Mimas diesen nur in einer Distanz von 20.400 Meilen, also fast dreimal so nahe als der Mond die Erde. O, sie müssen prachtvoll sein, diese Nächte, wenn das von der Sonne bis dorthin gesendete Licht auch nur von schwacher Intensität sein kann.
Einen weiteren Reiz verleiht den Nächten auf diesem Planeten ohne Zweifel noch der dreifache Ring, der ihn umschließt. Der Saturn erscheint wie umrahmt von einer leuchtenden Fassung. Ein genau unter diesem Ringe stehender Beobachter, über dessen Kopf jener also im Zenith, übrigens in einer Höhe von 3099 Meilen, sich dahin zöge, würde nichts als einen schwachen Streifen wahrnehmen, dessen Breite Herschel auf kaum 66 Meilen abschätzte. Er muß demnach wie ein leuchtender, durch den Weltraum gespannter Faden erscheinen. Verändert der Beobachter aber seine Stellung nach der einen oder der anderen Seite, so sieht er drei concentrische Ringe sich nach und nach von einander ablösen, deren nächster, dunkel aber durchscheinend, eine Breite von 1875,6 Meilen hat, der mittlere 4433 Meilen Breite und leuchtender als der Planet selbst ist, und der äußerste endlich 2207 Meilen mißt und dem Auge in mehr grauer Färbung erscheint.
Das ist das Wissenswertheste über diesen ringförmigen Begleiter, der sich in seiner Ebene binnen zwei Stunden zweiunddreißig Minuten herumdreht. Aus welchem Stoffe besteht nun dieser Ring und wie widersteht er dem Zerfalle? Niemand weiß es; da er ihn dem Saturn als Begleiter gab, wollte der Schöpfer den Menschen vielleicht zeigen, auf welche Art und Weise sich die Himmelskörper bilden. Dieser Appendix ist nämlich ohne Zweifel der Rest der Nebelmasse, aus welcher durch allmälige Concentration der Saturn dereinst entstanden ist. Aus unbekannten Gründen consolidirte er sich damals abgesondert, und wenn er jetzt zertrümmert würde, stürzte er entweder in Stücken auf den Saturn oder seine Bruchstücke bildeten ebenfalls neue Satelliten.
Wie dem auch sei, jedenfalls muß dieser dreifache Ring für die Bewohner des Saturns zwischen dessen Aequator und dem fünfundvierzigsten Grade der Breite Veranlassung zu den merkwürdigsten Erscheinungen geben. Bald glänzt er nämlich am Horizonte gleich einem ungeheuren Bogen der am Scheitel seines Gewölbes durch den eigenen Schatten des Saturns unterbrochen wird; bald erscheint er nirgends verdunkelt als halbe Strahlenkrone. Sehr häufig verdunkelt er jedoch die Sonne, welche gewiß zur größten Genugthuung der Saturn-Astronomen zu festbestimmter Zeit verschwindet und wieder erscheint. Rechne man hierzu noch den Aufgang und Untergang der acht Monde, deren einer sich vielleicht voll, der zweite im ersten oder letzten Viertel, die anderen als zu- oder abnehmende Sicheln zeigen, so muß der Saturnhimmel in der Nacht ein wahrhaft unvergleichliches Schauspiel bieten.
Die Gallia-Bewohner waren freilich nicht in der Lage, all' die Herrlichkeit dieser abgeschlossenen Welt zu bewundern. Daran hinderte sie die viel zu große Entfernung. Die Astronomen der Erde bringen sich diesen großen Planeten mittels ihrer mächtigen Fernrohre mehr als tausendmal näher und die Bücher der Dobryna lehrten dem Kapitän Servadac und seinen Gefährten hier mehr als ihre eigenen Augen. Sie beklagten sich darüber indessen nicht – die Nachbarschaft dieser großen Gestirne barg für ihren winzigen Kometen gar zu viele Gefahren!
Auch in die entferntere Welt des Uranus vermochten sie nicht weiter einzudringen; doch wurde der Hauptplanet dieser Einzelwelt, welcher die Erde zweiundachtzigmal an Größe übertrifft, wie schon erwähnt, für das bloße Auge sehr deutlich sichtbar, während er von der Erde aus auch bei seinem nächsten Stande von derselben nur einen Stern sechster Größe darstellt. Man sah nichts von den acht Satelliten, welche auch ihn begleiten auf seiner Bahn, die er binnen achtzig Jahren durchfliegt, wobei er von der Sonne im Mittel 437,5 Millionen Meilen absteht.
Was nun den letzten Planeten des Sonnensystems betrifft – den letzten bis zu dem Augenblick, da ein Leverrier der Zukunft vielleicht einen noch entfernteren Wanderer entdeckt – so konnten die Gallia-Bewohner denselben nicht wahrnehmen. Palmyrin Rosette sah ihn gewiß im Gesichtsfelde seines Fernrohres, er empfing aber niemals Gesellschaft in seinem Observatorium, und mußte man sich somit begnügen, den Neptun . . . in den kosmographischen Werken zu studiren.
Der mittlere Abstand dieses Planeten von der Sonne beträgt 684 Millionen Meilen und die Dauer seiner Umlaufszeit 165 Jahre. Neptun durcheilt seine ungeheuere Bahn von 4302 Millionen Meilen mit einer Schnelligkeit von 20.000 Kilometern in der Stunde, und besitzt die Form eines die Erde an Größe um das Hundertfache übertreffenden Sphäroïdes, welches ein Satellit in der Entfernung von 66.000 Meilen begleitet.
Der Abstand von fast 700 Millionen Meilen, wie ihn der Neptun aufweist, scheint die Grenze unseres Sonnensystems zu bezeichnen. Wie groß der Durchmesser dieser Welt auch sein mag, so verschwindet er doch völlig, wenn man ihn mit demjenigen der Fixsterngruppe vergleicht, zu welcher unsere Sonne wieder als Einzelglied gehört.
Die Sonne scheint in der That einen Bestandtheil jenes großen Sternennebels zu bilden, den wir die Milchstraße nennen, innerhalb dessen sie vielleicht wie ein bescheidener Stern vierter Größe erglänzt. Wohin wäre also die Gallia wohl gerathen, wenn sie der Anziehung der Sonne entwich? Welchem neuen Centrum hätte sie sich auf ihrem Wege durch die Sternenwelt angeschlossen? Wahrscheinlich einem der nächsten Sterne der Milchstraße.
Dieser Stern ist übrigens das Alpha im Sternbilde des Centauren, und das Licht, welches 46.000 Meilen in der Secunde zurücklegt, braucht doch nicht weniger als dreiundeinhalb Jahr, um von der Sonne bis zu ihm zu gelangen. Wie groß ist denn diese Entfernung? Sie ist so groß, daß die Astronomen, um sie bequem zu bezeichnen, die Milliarde als Einheit setzen und sagen, daß der Stern Alpha von uns 4800 »Milliarden« Meilen absteht.
Kennt man wohl eine größere Anzahl solcher Sterndistanzen? Höchstens acht derselben sind gemessen worden und kennt man unter den hervorragendsten, bezüglich derer das möglich war, die Vega, in 30.000 Milliarden, den Sirius in 31.320 Milliarden, den Polarstern in 69.560 und die Capella, in 102.240 Milliarden Meilen Entfernung.
Um eine Vorstellung von solchen Verhältnissen zu geben, kann man unter Zugrundelegung der Geschwindigkeit des Lichtes nach dem Vorgang einiger geistreicher Gelehrten sich etwa folgendermaßen ausdrücken:
»Nehmen wir zunächst einen Beobachter an, der mit unbegrenztem Gesichtssinne ausgestattet wäre, und denken ihn uns beispielsweise auf der Capella. Wenn derselbe nach der Erde blickte, so würde er Zeuge der Vorgänge sein, welche sich vor 72 Jahren ereigneten. Nach einem zehnmal weiteren Stern versetzt, müßte er die Ereignisse vor 720 Jahren vor Augen haben. Noch weiter, bis zu einer Entfernung, welche zu durchlaufen das Licht 1800 Jahre brauchte, würde er Augenzeuge der Kreuzigung Christi sein. Immer noch entfernter, da, bis woher der Lichtstrahl 6000 Jahre braucht, könnte er heute die Zerstörungen der Sündfluth betrachten. Endlich noch weiter draußen – der Weltraum ist ja unendlich – würde er nach der Tradition der Bibel Gott selbst sehen, wie er die Welt aus dem Nichts erschuf. Alle Ereignisse sind so zu sagen im Weltraume stereotypirt und nichts kann spurlos verschwinden, was überhaupt einmal im Universum geschehen ist.«
Vielleicht hatte er recht, der abenteuerlustige Palmyrin Rosette, durch die Sternenwelt zu schweifen, wo so viele Wunder seine Augen entzückten. Wenn sein Komet nacheinander aus der Sphäre eines Fixsternes in die eines anderen übergetreten wäre, wie viel verschiedene Sternen- oder Sonnensysteme hätte er da beobachten können! Die Gallia hätte ihren Ort verändert gleichzeitig mit jenen Gestirnen, deren Unbeweglichkeit nur eine scheinbare ist, und die sich dennoch fortbewegen, wie z. B. der Arktur mit einer Schnelligkeit von 13,2 Meilen in der Secunde. Auch unsere Sonne hat eine Jahresbewegung von 37,2 Millionen Meilen in der Richtung nach dem Sternbilde des Hercules hin. Die Entfernung dieser Sterne ist aber so groß, daß ihre betreffenden Stellungen trotz dieser so geschwinden Fortbewegung für die Beobachter der Erde noch nicht im geringsten verändert erscheinen.
Immerhin müssen diese Jahrhunderte andauernden Ortsveränderungen einmal nothwendig die Gestalt der Sternbilder modificiren, da jeder Stern mit verschiedener Schnelligkeit fortrückt oder doch fortzurücken scheint. Die Astronomen sind im Stande gewesen, die neue Stellung zu bestimmen, welche die Fixsterne nach Verlauf sehr vieler Jahre gegen einander einnehmen werden. Man hat sogar Zeichnungen der Sternbilder, wie sie sich in 50.000 Jahren darstellen werden, graphisch vervielfältigt. Sie zeigen z. B. an Stelle des unregelmäßigen Viereckes des großen Bären ein langgezogenes Kreuz, und statt des Fünfeckes im Sternbilde des Orion ein einfaches Viereck.
Doch weder die jetzigen Bewohner der Gallia, noch die der Erde, wären im Stande gewesen, diese nach und nach eintretenden Dislocationen wahrzunehmen. Das war es auch sicherlich nicht, was Palmyrin Rosette in der Sternenwelt zu ergründen suchte. Doch wenn irgend ein Umstand den Kometen dem Centrum seiner Attraction entrissen hätte, um denselben irgend welchem anderen Gestirne zuzuführen, so wären seine Augen gewiß entzückt gewesen bei Betrachtung der Wunder, von welchen unser Sonnensystem keine Vorstellung geben kann.
Die Planetengruppen des Weltraumes werden nämlich keineswegs von einer einzigen Sonne regiert. Das monarchische System scheint nur auf einige Punkte des Himmels beschränkt. Es gravitiren hier eine, dort zwei, da sechs Sonnen, welche von einander abhängen, unter ihrem gegenseitigen Einflusse. Da giebt es verschiedene gefärbte Sterne, rothe, gelbe, grüne, orange- und indigofarbene. Wie wunderbar mögen die Lichtcontraste sich ausnehmen, welche sie auf die Oberfläche ihrer Planeten werfen. Und wer weiß, ob die Gallia beim Tagesanbruch nicht nach und nach Licht von allen Farben des Regenbogens an ihrem Horizonte zu sehen bekommen hätte.
Doch, es sollte ihr nicht beschieden sein, unter der Anziehung eines anderen Centrums ihren Weg fortzusetzen, noch sich unter jenen Sternhaufen zu mischen, welchen die mächtigen Teleskope noch aufzulösen vermögen, noch sich nach jenen Nebelsternen hin zu verlieren, die bis jetzt nur zum Theile aufgelöst sind, oder gar nach jenen Nebelmassen, welche selbst den größten Reflectoren widerstehen, Nebelmassen, deren die Astronomen im Himmelsraume über 5000 kennen.
Nein, die Gallia sollte die Sonnenwelt niemals verlassen, noch die Erde aus dem Gesichte verlieren. Nachdem sie aber eine Bahn von 378 Millionen Meilen beschrieben, hatte sie doch nur eine verschwindend kleine Reise durch das Universum vollbracht, dessen Ausdehnung ja keine Grenzen kennt.