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In welchem man Palmyrin Rosette so entzückt über das ihm zugefallene Schicksal sehen wird, daß das allerlei zu denken giebt.
»Mein Komet!« das waren des Professors letzte Worte gewesen. Dann runzelte er die Stirn und fixirte seine Zuhörer, als könne Einer derselben den Gedanken haben, ihm seine Eigenthumsrechte auf die Gallia streitig zu machen. Vielleicht fragte er sich auch, mit welchem Rechte sich die ihn umstehenden Eindringlinge auf seinem Gebiete niedergelassen hatten.
Kapitän Servadac, Graf Timascheff und Lieutenant Prokop verharrten in tiefstem Schweigen. Jetzt kannten sie die ganze Wahrheit, der sie schon recht nahe gekommen waren. Man erinnert sich der nach verschiedenen Erörterungen allmälig angenommenen Hypothesen: zunächst bezüglich der Veränderung der Rotationsachse der Erde und der Vertauschung der beiden Cardinalpunkte des Himmels; dann der Ansicht, daß ein Fragment des Erdsphäroïdes von diesem abgesprengt und in den Weltraum hinausgeschleudert worden sei; endlich daß ein unbekannter Komet die Erde gestreift, einige Theile derselben losgerissen habe und sie nun vielleicht bis zur Fixsternwelt hinaus entführe.
Die Vergangenheit kannte man. Die Gegenwart hatte man vor Augen. Was würde nun die Zukunft bringen? Hatte dieses Original eines Gelehrten es vorausgesehen? Hector Servadac und seine Gefährten zauderten, diese Frage an ihn zu richten.
Palmyrin Rosette legte »die volle Amtsmiene« an und schien nur darauf zu warten, daß ihm die in dem allgemeinen Saale versammelten Fremden unter aller Form vorgestellt würden.
Hector Servadac bequemte sich zu dieser Ceremonie, um den mißtrauischen und mürrischen Gelehrten nicht zu reizen.
»Herr Graf Timascheff,« sagte er, seinen Begleiter vorstellend.
»Seien Sie mir willkommen, Herr Graf,« antwortete Palmyrin Rosette mit jener wohlwollenden Herablassung des Herrn, der sich ganz zu Hause fühlt.
»Herr Professor,« ließ sich der Graf vernehmen, »es lag im Grunde keineswegs in meiner Absicht, daß ich auf Ihren Kometen gekommen bin, doch schulde ich Ihnen deshalb nicht geringeren Dank für Ihre gastfreundliche Aufnahme.«
Hector Servadac fühlte die Ironie dieser Worte und sagte lächelnd:
»Der Lieutenant Prokop, Befehlshaber der Goëlette Dobryna, auf welcher wir eine Rundfahrt um die Gallia ausgeführt haben.«
»Eine Umschiffung? . . .« rief der Professor lebhaft.
»Gewiß, eine volle Weltumseglung,« bestätigte Kapitän Servadac.
Dann fuhr er weiter fort:
»Ben-Zouf, meine Ordon . . .«
»Adjutant des General-Gouverneurs der Gallia,« fiel Ben-Zouf schnell ein, der diese beiden Aemter weder sich noch seinem Kapitän streitig machen lassen wollte.
Einer nach dem Anderen wurden sodann die russischen Matrosen, die Spanier, der junge Pablo und die kleine Nina vorgestellt, welch' Letztere der Professor durch seine Riesenbrille anstarrte wie ein Knecht Ruprecht, der die Kinder nicht leiden mag.
Isaak Hakhabut trat selbst vor und sagte:
»Herr Astronom, eine Frage, nur eine einzige, aber sie ist mir von der größten Wichtigkeit . . . Wann können wir hoffen, zurückzukehren? . . .«
»Ah,« antwortete der Professor, »wer spricht da schon von Rückkehr, da wir kaum erst abgefahren sind?«
Nach geschehener Vorstellung ersuchte Hector Servadac Palmyrin Rosette, seine Geschichte zu erzählen.
Dieselbe lautete in kurzen Worten:
Um die Bogenmessung des Meridians von Paris prüfen und bestätigen zu lassen, ernannte die französische Regierung eine wissenschaftliche Commission, zu welcher Palmyrin Rosette, seiner bekannten Unverträglichkeit wegen, nicht mit hinzugezogen wurde.
Wegen seiner Ausschließung erbittert, beschloß der Professor auf eigene Hand an die Arbeit zu gehen. In der Voraussetzung, daß die ersten geodätischen Aufnahmen Ungenauigkeiten enthielten, nahm er sich vor, den äußersten Theil des Netzes, der die Insel Formentera mit der spanischen Küste durch ein Dreieck von 24 Meilen längster Seite verband, nachzumessen. Derselben Arbeit hatten sich vor ihm Arago und Biot mit größter Sorgsamkeit unterzogen.
Palmyrin Rosette verließ also Paris. Er begab sich nach den Balearen, errichtete sein Observatorium auf dem höchsten Gipfel jener Insel und traf Anstalt, mit seinem Diener Joseph daselbst als Eremit zu wohnen, während einer seiner bewährten Gehilfen, den er zu diesem Zwecke mitnahm, auf einem erhöhten Küstenpunkte Spaniens eine Reverbère so anbrachte, daß deren reflectirtes Licht auf Formentera mittels Fernrohrs zu beobachten war. Einige Bücher, die nöthigen Instrumente und Lebensmittel auf zwei Monate bildeten das ganze Material, eines großen Himmelsfernrohres nicht zu vergessen, von dem sich Palmyrin Rosette niemals trennte und das schon mehr einen Theil seines eigenen Ichs auszumachen schien. Es kam das von der Vorliebe des früheren Lehrers der Charlemagne her, die Tiefen des Himmels in der Hoffnung zu durchstöbern, daß ihm noch einmal eine Entdeckung gelingen werde, welche seinem Namen die Unsterblichkeit sicherte. Das war so seine fixe Idee.
Palmyrin Rosette's Arbeit erforderte vor Allem eine unermüdliche Geduld. Nacht für Nacht mußte er das von seinem Gehilfen auf der spanischen Küste unterhaltene Feuer im Auge behalten, um sein Dreieck richtig zu bestimmen, auch hatte er keineswegs vergessen, daß Arago und Biot einundsechzig Tage gebraucht hatten, dieses Resultat zu erreichen. Unglücklicher Weise lagerte damals, wie früher erwähnt, ein außerordentlich dichter Nebel nicht allein über der Küste Spaniens, sondern überhaupt fast über der ganzen Erdkugel.
Gerade in der Umgebung der Balearen entstanden zu wiederholten Malen Lichtungen von kurzem Bestande in diesem Nebelmeere. Es galt also, mit größter Gewissenhaftigkeit auf dem Beobachtungspunkte auszuharren, woneben Palmyrin Rosette allerdings sich nicht immer enthalten konnte, einige forschende Blicke nach dem Firmamente zu richten, denn er beschäftigte sich gleichzeitig mit der Revision derjenigen Abtheilung der Himmelskarten, welche das Sternbild der Zwillinge enthielt.
Mit unbewaffnetem Auge betrachtet, zeigt dieses Sternbild höchstens sechs Sterne; ein Teleskop von siebenundzwanzig Centimeter Objectiv-Durchmesser steigert die Zahl aber auf mehr als sechstausend. Palmyrin Rosette besaß leider einen Reflector von dieser Größe nicht und half sich also so gut es eben anging mit seinem astronomischen Fernrohre.
Als er nun eines Tages beschäftigt war, die Tiefen des Himmels in der Konstellation der Zwillinge zu controliren, glaubte er einen neuen, glänzenden Punkt zu erkennen, den keine Himmelskarte aufwies. Ohne Zweifel war das ein in die Kataloge noch nicht aufgenommener Stern. Durch wiederholte Beobachtung im Laufe mehrerer Nächte überzeugte sich der Professor, daß jenes Gestirn seinen Ort bezüglich der anderen Fixsterne ungewöhnlich schnell veränderte. Hatte er hier einen neuen kleinen Planeten vor sich, den der Gott der Astronomen ihm zusandte? Sollte ihm endlich die längst geahnte wissenschaftlich wichtige Entdeckung gelingen?
Palmyrin Rosette verdoppelte seine Aufmerksamkeit; bald lehrte ihn die zunehmende Geschwindigkeit des Gestirns, daß er hier einen Kometen vor sich habe. Binnen Kurzem ward dessen Nebelhülle sichtbar, und es entwickelte sich der Schweif, als den Kometen nur noch achtzehn Millionen Meilen von der Sonne trennten.
Von diesem Augenblick verblaßte unseres Gelehrten Interesse an seiner Triangulation vollständig. Ohne Zweifel unterhielt der Gehilfe Palmyrin Rosette's an der Festlandsküste mit unverminderter Gewissenhaftigkeit seine Signalfeuer, aber ebenso sicher wandte Palmyrin Rosette kein Auge mehr nach jener Richtung hin. Objective und Oculare besaß er nur noch für den neuen Haarstern, den er studiren und benennen wollte. Er vegetirte nur noch in jenem Eckchen des Himmels, in dem die Zwillinge leuchten.
Beabsichtigt man die Elemente eines Kometen zu berechnen, so beginnt man stets damit, eine parabolische Bahn desselben vorauszusetzen. Dieser Weg bietet die günstigsten Erfolge. Die Kometen erscheinen nämlich im Allgemeinen erst in der Nähe ihres Perihels, d. h. nahe ihrer kürzesten Entfernung von der Sonne, welche in dem einen Brennpunkte ihrer Bahn steht. In diesem Theile einer solchen Curve ist nun der Unterschied zwischen Ellipse und Parabel, wenn diese einen gemeinschaftlichen Brennpunkt haben, fast gleich Null, denn die Parabel ist nichts als eine Ellipse mit unendlich langer großer Achse.
Palmyrin Rosette basirte seine Berechnungen also auf die Hypothese einer parabolischen Curve und ging hiermit nicht fehl.
Um einen Kreis mathematisch zu bestimmen, bedarf es der Angabe dreier Punkte seiner Peripherie; ganz ebenso muß man, zur Bestimmung der Elemente eines Kometen, denselben in drei verschiedenen Positionen beobachten. Erst dann vermag man die Linie festzustellen, der er im Weltraume folgen wird, was man mit dem Ausdrucke, »seine Ephemeriden« bestimmen, bezeichnet.
Palmyrin Rosette begnügte sich nicht mit drei Positionen. Unter Benutzung jeder Gelegenheit, wenn der Nebel in seinem Zenith einmal zerriß, beobachtete er die Rektascension und die Deklination (die Himmelskoordinaten) seines Objectes wohl zehn-, zwanzig- und dreißigmal und erhielt mit größter Genauigkeit die fünf Elemente des neuen Kometen, der sich mit besorgnißerregender Schnelligkeit fortbewegte.
Als Beobachtungsresultate erhielt er nämlich:
Aus diesen beiden Elementen ließ sich die Lage der Bahn des Kometen im Weltraume ableiten.
Nach Kenntnißnahme dieser fünf Elemente berechnete Palmyrin Rosette das Datum, an welchem der Komet durch sein Perihel gehen würde. Als er dann zu seiner größten Freude constatiren konnte, daß er einen bisher unbekannten Kometen vor sich habe, taufte er ihn auf den Namen »Gallia«, nachdem er vorher ein wenig zwischen den Benennungen »Palmyra« und »Rosette« geschwankt hatte, und ging nun an's Werk, über den Neuling Bericht zu erstatten.
Man kommt nun auf die Frage, ob der Professor auch die Möglichkeit eines Zusammenstoßes zwischen Erde und Gallia vorausgesehen habe.
Sicherlich; und nicht nur die Möglichkeit, sondern die Gewißheit eines solchen.
Wenn man ihn nur »entzückt« genannt hätte über diese Aussicht, so bliebe dieser Ausdruck noch weit hinter der Wahrheit zurück. Der Gelehrte verfiel in ein wirkliches astronomisches Delirium darüber, daß die Erde in der Nacht vom 31. December zum 1. Januar einen Stoß erleiden und der Anprall um so heftiger sein werde, weil die beiden Himmelskörper in entgegengesetzter Richtung auf einander zueilten.
Jeder Andere würde Formentera voller Entsetzen verlassen haben. Er blieb ruhig auf seinem Posten. Er verließ seine Insel nicht nur nicht, sondern enthielt sich auch jeder Veröffentlichung seiner Entdeckung. Aus den Tagesblättern wußte er, daß auf beiden Kontinenten jede Beobachtung durch dichte Nebelmassen unmöglich war, sowie daß keine andere Sternwarte die Annäherung dieses Kometen erwähnt hatte – Grund genug für ihn, zu glauben, daß er bis jetzt allein jenen Haarstern im Weltraume aufgefunden habe.
So verhielt es sich in der That, und dieser Umstand ersparte der übrigen Erde den entsetzlichen Schrecken, der sich ihrer Bewohner bei der Kenntniß jener drohenden Gefahr bemächtigt haben würde.
Palmyrin Rosette war und blieb also der Einzige, der es wußte, daß bald ein Zusammenstoß stattfinden müsse zwischen der Erde und jenem Kometen, den ihn der heitere Himmel der Balearen sehen ließ, während er sich im Uebrigen den Blicken der Astronomen verbarg.
Der Professor harrte also auf Formentera aus, und das mit um so größerer Hartnäckigkeit, als der Haarstern die Erde seinen Berechnungen nach im Süden von Algier treffen mußte. Diesem Ereigniß wollte er beiwohnen, denn bei dem harten Kerne des Kometen »mußte es dabei sehr merkwürdig zugehen«.
Der Stoß erfolgte in der uns schon bekannten Art und Weise. Für Palmyrin Rosette hatte er zunächst die Folge, ihn urplötzlich von seinem Diener Joseph zu trennen. Als er aus langer Betäubung, wieder erwachte, sah er sich allein auf einem Eiland, dem einzigen Ueberbleibsel vom Archipel der Balearen.
So lautete die Geschichte des Professors, die er mit vielen Ausrufungen spickte und mit so drohendem Runzeln der Augenbrauen begleitete, wie es der Kreis seiner wohlwollenden Zuhörer schwerlich verdiente. Er schloß, wie folgt:
»Hochwichtige Veränderungen waren eingetreten, wie die Ortsveränderung der Cardinalpunkte des Himmels und die Verminderung der Schwerkraft. Ich, meine Herren, lebte dabei nur nicht wie Sie in der Täuschung, mich noch auf dem Erdsphäroid zu befinden. Nein! die Erde gravitirte durch den Weltraum weiter in Begleitung des ihr immer treu gebliebenen Mondes, und folgte ihrer früheren Bahn, welche durch den Stoß keine Veränderung erlitt. Der Komet hatte sie ja so zu sagen nur gestreift und ihr die wenigen, verhältnißmäßig unbedeutenden Theile ihrer Oberfläche entrissen, welche Sie nach und nach wieder gefunden haben. Es ist demnach Alles sehr glücklich abgegangen und wir haben keinerlei Ursache zu klagen. Wir konnten ja entweder zermalmt werden durch den Anprall des Kometen, oder die Erde konnte letzteren fest an sich halten; in keinem Falle genössen wir den beneidenswerthen Vorzug, jetzt durch die Sonnenwelt zu fliegen.«
Palmyrin Rosette sprach das Alles mit einer solchen Befriedigung aus, daß an einen Widerspruch gar Nicht zu denken war. Nur Ben-Zouf wagte unkluger Weise seine Meinung dahin zu äußern, »daß, wenn der Komet statt auf jenen Theil Afrikas gegen den Montmartre gestoßen wäre, dieser Berg gewiß hinreichenden Widerstand geleistet hätte und dann . . . .«
»Der Montmartre!« rief Palmyrin Rosette, »der Zwerg von Montmartre-Hügel wäre in Staub verwandelt worden wie ein gewöhnlicher Maulwurfshaufen, dem er ja gleicht!«
»Einem Maulwurfshaufen!« rief nun seinerseits Ben-Zouf auf's Tiefste verletzt. »Mein heimatlicher Hügel hätte Ihr Kometen-Bröckchen im Fluge gehascht und sich dasselbe wie einen Käppi aufgesetzt!«
Um dieser nur kurzen, aber unzweckmäßigen Discussion ein Ende zu machen, befahl Hector Servadac Ben-Zouf zu schweigen, und theilte dem Professor des Näheren mit, welch' eigenthümliche Ideen seine Ordonnanz über die Festigkeit des Montmartre-Hügels habe.
Der Zwischenfall erschien also »auf Ordre« erledigt, doch konnte der Soldat niemals Palmyrin Rosette verzeihen, daß dieser so wegwerfend über seinen heimatlichen Berg gesprochen hatte.
Jetzt hätte man gern erfahren, ob Palmyrin Rosette auch nach dem Zusammenstoß im Stande gewesen sei, seine astronomischen Beobachtungen fortzusetzen, und welcher Art die Resultate derselben bezüglich der Zukunft des Kometen sein möchten.
Mit aller dem griesgrämigen Temperamente des Professors gegenüber nothwendigen Zurückhaltung, stellte Lieutenant Prokop die zweifache Frage nach dem Wege, dem die Gallia jetzt im Weltraume folgte, und nach der Dauer ihrer Umlaufszeit um die Sonne.
»Ja, mein Herr,« ließ sich Palmyrin Rosette vernehmen, »ich hatte die Bahn meines Kometen zwar vor der Collision bestimmt, mußte nach derselben die Berechnungen jedoch auf's Neue vornehmen.«
»Und warum das, Herr Professor?« fragte Lieutenant Prokop etwas erstaunt über diese Erklärung.
»Weil auf der einen Seite die Erde durch jenen Zusammenstoß nicht aus ihrer Bahn gelenkt wurde, das auf der anderen aber mit der Gallia-Bahn der Fall war.«
»Diese Bahn ist durch den Stoß eine andere geworden?«
»Das wage ich bestimmt zu behaupten,« erwiderte Palmyrin Rosette, »vorausgesetzt, daß meinen Beobachtungen nach dem Zusammentreffen nicht die nöthige Genauigkeit mangelt.«
»Sie haben für diese Bahn also neue Elemente erhalten?« fragte Lieutenant Prokop lebhaft.
»Ja wohl,« bestätigte Palmyrin Rosette ohne Zögern.
»Nun, so wissen Sie auch . . . .«
»Was ich weiß, mein Herr, beschränkt sich auf Folgendes: Die Gallia traf auf die Erde in ihrem aufsteigenden Knoten in der Nacht vom 31. December zum 1. Januar um zwei Uhr siebenundvierzig Minuten fünfunddreißig sechs Zehntel Secunden des Morgens; am 10. Januar durchschnitt sie die Bahn der Venus, erreichte ihr Perihel am 15. Januar, hierauf zum zweiten Male die Bahn der Venus, durchschnitt die Erdbahn im absteigenden Knoten am 1. Februar, die Bahn des Mars am 13. und gelangte am 10. März in die Zone der teleskopischen Planeten, legte sich die Nerina als Satelliten zu . . .«
»Lauter Umstände, welche auch uns bekannt sind, lieber Professor,« unterbrach ihn Hector Servadac, »da wir das Glück hatten, Ihre Notizen darüber aufzufangen. Leider enthielten diese niemals ihre Unterschrift oder die Angabe des Ortes, von dem sie herrührten.«
»Wie? Konnte Jemand darüber unklar sein, daß ich deren Verfasser war?« rief der Professor voller Selbstgefühl; »ich, der sie hundertweise in's Meer warf, ich, der Professor Palmyrin Rosette?«
»O nein, das sicherlich nicht!« erwiderte ernsthaft Graf Timascheff.
Ueber die Zukunft der Gallia hatte man freilich noch immer nichts erfahren. Palmyrin Rosette schien mit einer diesbezüglichen Auskunft absichtlich zurückzuhalten. Lieutenant Prokop wollte seine Anfragen schon in bestimmterer Form wiederholen, Hector Servadac kam ihm jedoch zuvor, da er es für wichtiger hielt, seinen originellen alten Lehrer nicht zu drängen.
»Ah, lieber Professor,« begann er, »würden Sie uns wohl gefälligst erklären, wie es zuging, daß wir bei einem so fürchterlichen Stoße nicht weit übler weggekommen sind?«
»Und meinen Sie, daß die Erde, abgesehen von dem entführten, nur wenige Quadratmeilen großen Terrain, nicht weiter gelitten und sich unter Anderem ihre Rotationsachse nicht plötzlich geändert hat?«
»Das glaube ich nicht, Kapitän Servadac,« erwiderte Palmyrin Rosette; »hören Sie meine Gründe dafür. Die Erde bewegte sich damals mit einer Geschwindigkeit von 17.280 Meilen in der Stunde; die Gallia mit einer solchen von 34.200 in der gleichen Zeit. Es liegt hier also derselbe Fall vor, als ob ein Eisenbahnzug mit der Schnelligkeit von nahezu 51.600 Meilen in der Stunde gegen ein Hinderniß liefe. Der Komet wirkte demnach, in Folge der außerordentlichen Härte seines Kernes, wie eine aus großer Nähe gegen eine Fensterscheibe abgeschossene Gewehrkugel, sie durchschlug die getroffene seichte Erdrinde, ohne etwas Weiteres zu zertrümmern.«
»Wahrhaftig,« meinte Hector Servadac, »so könnte die Sache wohl zugegangen sein . . .«
»So mußte sie zugehen,« fuhr der Professor sehr zuversichtlich fort, »und das um so mehr, als die Erde nur in schiefer Richtung getroffen ward. Wäre die Gallia in normaler Richtung auf die Erdkugel gestürzt, so wäre sie auch unter den entsetzlichsten Verwüstungen tief in dieselbe eingedrungen und hätte sogar den Montmartre-Hügel vernichtet, wenn er in ihrem Wege lag.«
»Mein Herr! . . .« rief Ben-Zouf, der sich jetzt direct und ohne seine Schuld angegriffen fühlte.
»Still, Ben-Zouf,« sagte Kapitän Servadac.
Eben jetzt näherte sich Isaak Hakhabut, der sich von dem thatsächlichen Zustande der Dinge nachgerade überzeugt haben mochte, Palmyrin Rosette, und fragte diesen in einem Tone der äußersten Unruhe:
»Herr Professor, werden wir überhaupt nach der Erde zurückkommen, und wann wird das geschehen?«
»Sie haben wohl große Eile?« erwiderte Palmyrin Rosette.
»Erlauben Sie, mein Herr, die von diesem Juden gestellten Fragen in etwas wissenschaftlicherer Form an Sie zu richten,« mischte sich Lieutenant Prokop ein.
»Thun Sie es.«
»Sie erwähnten, daß die frühere Bahn der Gallia eine Störung erlitten habe.«
»Unzweifelhaft.«
»Bildet nun die neue Bahn, die jetzige Curve des Kometen eine Hyperbel, so daß er in ungemessene Fernen des Weltraumes hinaus entführt wird und jede Hoffnung auf eine dereinstige Rückkehr schwindet?«
»Nein, gewiß nicht!« antwortete Palmyrin Rosette.
»Jene Bahn wäre demnach eine elliptische geworden?«
»Wie Sie sagen.«
»Und ihre Ebene läge auch ferner in der der Erdbahn?«
»Vollständig.«
»Die Gallia repräsentirte demnach einen periodischen Kometen?«
»Gewiß, und zwar einen solchen von kurzer Umlaufszeit, da ihre Revolution um die Sonne, unter Berücksichtigung der ihr von Jupiter, Saturn und Mars drohenden Störungen, genau zwei Jahre dauert.«
»Dann wären aber,« rief Lieutenant Prokop, »alle Aussichten vorhanden, daß sie der Erde, genau zwei Jahre nach dem ersten Zusammenstoß, an derselbe Stelle wieder begegnete?«
»In der That, mein Herr, das steht zu befürchten.«
»Zu befürchten?« rief Kapitän Servadac erstaunt.
»Ja wohl, meine Herren,« antwortete Palmyrin Rosette mit dem Fuße stampfend. »Wir sind eben da, wo wir sind und wenn es von mir abhinge, so dürfte die Gallia niemals wieder zur Erde zurückkehren!«