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Wie man den 1. Januar auf der Gallia feierte und auf welche Weise dieser Festtag endete.
Mit der zunehmenden Entfernung der Gallia wuchs nun auch die Kälte sehr merkbar. Schon war die Temperatur auf zweiundvierzig Grad unter Null herabgegangen. Unter diesen Verhältnissen hatten die Quecksilber-Thermometer nicht benutzt werden können, da das Quecksilber bei zweiundvierzig Grad gefriert. Es wurde also das Alkohol-Thermometer der Dobryna in Gebrauch genommen, und dessen Säule fiel dann auf dreiundfünfzig Grad unter den Eispunkt.
Jetzt zeigte sich auch die von Lieutenant Prokop vorausgesehene Wirkung der Kälte an den Rändern der Bucht, welche den beiden Fahrzeugen als Ueberwinterungshafen diente. Die Eisschichten unter dem Rumpfe der Hansa und der Dobryna hatten sich in langsamem, aber unwiderstehlichem Fortschreiten verdickt. Nahe dem felsigen Vorlande, das sie deckte, sah man die Goëlette und die Tartane hoch auf ihrer krystallenen Schaale erhoben, so daß sie schon fünfzig Fuß über das Niveau des Meeres emporragten. Die etwas leichtere Dobryna stand noch etwas höher als die Tartane. Keine menschliche Kraft aber war im Stande, dieses langsame Empordrängen aufzuhalten.
Lieutenant Prokop beunruhigte das der Goëlette bevorstehende Schicksal natürlich nicht wenig. Alles Werthvolle war aus ihrem Innern zwar herausgeschafft und nur der Rumpf, die Bemastung und die Maschine übrig geblieben; aber gerade dieser Schiffsrumpf konnte ja noch bestimmt sein, im Falle der Noth der ganzen kleinen Kolonie eine letzte Zufluchtsstätte zu bieten. Wenn derselbe nun mit Eintritt des Thauwetters in Folge des gar nicht abzuwendenden Sturzes in tausend Stücken zerbrach und die Bewohner der Gallia vielleicht gezwungen wären, Warm-Land zu verlassen, welches andere Schiff hätte ihnen es dann ersetzen können?
Die Tartane gewiß nicht, denn diese war ja ebenso bedroht und ihr stand ohne Zweifel dasselbe Schicksal bevor. Die Hansa schien sogar weniger gut vom Eise unterstützt zu sein, denn sie neigte sich schon in einem sehr beunruhigenden Winkel zur Seite. Es wurde gefährlich, sie noch länger zu bewohnen. Der Jude verstand sich trotz Allem nicht dazu, seine Ladung zu verlassen, die er Tag und Nacht bewachen zu müssen glaubte. Er fühlte es recht wohl, daß sein Leben bedroht sei, sein Hab und Gut aber noch weit mehr, und er entblödete sich nicht, denselben »Ewigen«, den er bei jedem dritten Worte anrief, für alle die Prüfungen, die er auf ihn häufte, regelrecht zu verwünschen.
Unter diesen Umständen sah sich Kapitän Servadac zu einem Entschlusse genöthigt, dem der Jude sich unterwerfen mußte. Wenn Isaak Hakhabut's Leben auch für die anderen Mitglieder der Kolonie nicht gerade unentbehrlich schien, so hatten doch seine Waarenvorräthe einen unschätzbaren Werth. Jedenfalls mußten diese zunächst dem nahen Verderben entrissen werden. Kapitän Servadac versuchte auch zuerst, dem Juden Angst wegen seiner eigenen Person einzuflößen, erreichte damit aber so gut wie nichts. Der Jude wollte eben nicht ausziehen.
»Das steht Euch zuletzt frei,« hatte ihm Kapitän Servadac auf seine Weigerung geantwortet, »Eure Waaren werden aber in eines der Magazine von Warm-Land geschafft werden.«
Die Klagelieder, welche Isaak Hakhabut darum hören ließ, rührten trotz ihres jämmerlichen Tones doch Niemanden und die angesagte Ausräumung fand im Laufe des 20. Decembers wirklich statt.
Dem Juden war es ja erlaubt, sich im Nina-Baue häuslich einzurichten und ganz wie vorher seine Waaren zu bewachen, zu verkaufen und zu handeln nach bestimmtem Preise und Gewichte. Es wurde ihm nicht das Geringste in den Weg gelegt. Wahrlich, wenn sich Ben-Zouf überhaupt erlaubt hätte, seinen Kapitän zu tadeln, so wäre es darüber gewesen, daß man diesem erbärmlichen Kinde Israel's gegenüber so viel Schonung beobachtete.
Im Grunde stimmte Isaak Hakhabut dem Beschlusse des General-Gouverneurs eigentlich vollkommen zu. Er wahrte ja sein Interesse und brachte ihn selbst und seine Reichthümer in Sicherheit, und dazu hatte er für die Entladung der Tartane »nichts zu zahlen«, da sie gegen seinen Willen ausgeführt worden war.
Mehrere Tage lang beschäftigte diese Arbeit die Russen und die Spanier. Warm gekleidet und den Kopf dicht verhüllt, widerstanden sie der niedrigen Temperatur ohne Beschwerden. Nur mußten sie sich hüten, metallene Gegenstände, welche sie transportirten, mit bloßen Händen anzufassen. Die Haut der Finger wäre unzweifelhaft ebenso daran hängen geblieben, als wären sie in rothglühendem Zustande gewesen – denn die Wirkung sehr heftiger Kälte gleicht derjenigen höherer Hitzegrade vollkommen. Die Arbeit verlief ohne Zwischenfall und die Ladung der Hansa wurde endlich in einer der weiten Galerien des Nina-Baues untergebracht.
Lieutenant Prokop beruhigte sich nicht eher, als bis Alles in Ordnung war.
Jetzt entschloß sich nun Isaak Hakhabut, da ihm jede Ursache fehlte, noch länger in der Tartane zu wohnen, auch die Galerie, welche seine Waaren barg, selbst zu beziehen; wir gestehen gern, daß er dadurch nur wenig belästigte. Man sah ihn sehr selten. Er schlief neben seinen Waaren und ernährte sich von ihnen. Eine Spirituslampe genügte seinen mehr als bescheidenen Küchenbedürfnissen. Die Bewohner des Nina-Baues unterhielten niemals besondere Beziehungen zu ihm, außer wenn es sich für sie darum handelte, zu kaufen und für ihn zu verkaufen. Eines aber war sicher: daß das ganze Gold und Silber der kleinen Kolonie nach und nach in einen dreifach verschlossenen Schrank zusammenfloß, dessen Schlüssel Isaak Hakhabut niemals verließ.
Der erste Januar des Erdenjahres nahte heran. Nach wenig Tagen war ein Jahr verflossen seit dem Zusammenstoße der Erde mit dem Kometen, seit dem Ereigniß, welches sechsunddreißig menschliche Wesen urplötzlich von ihresgleichen getrennt hatte. Bis jetzt fehlte von diesen noch Keiner. Bei den neuen klimatischen Verhältnissen hielt sich ihre Gesundheit auffallend gut. Diese stets abnehmende Temperatur, welche aber keinen jähen Umschlag zeigte und von fast gar keiner Luftbewegung begleitet war, hatte ihnen nicht einmal einen Schnupfen verursacht. Konnte es ein gesünderes Klima geben als das des Kometen? Alles ließ demnach voraussetzen, daß, wenn nur die Berechnungen des Professors richtig waren und die Gallia wirklich zur Erde zurückkehrte, die Bewohner derselben auch in unverminderter Anzahl mit anlangen würden. Obwohl dieser erste Tag des Jahres nicht auch der erste des Gallia-Jahres war und mit ihm nur die zweite Hälfte des Umlaufes um die Sonne begann, so wünschte Kapitän Servadac doch, und zwar mit gutem Grunde, daß man ihn mit einer gewissen Feierlichkeit begehe.
»Es scheint mir nicht gut,« äußerte er zu Graf Timascheff und Lieutenant Prokop, »daß unsere Gefährten sich der Angelegenheiten der Erde gänzlich entwöhnen. Sie sollen ja einst nach der Erdkugel zurückkehren, doch selbst, wenn dieser Fall nicht einträte, bleibt es immerhin gerathen, ihre Verbindung mit der alten Welt, und wenn auch nur der Erinnerung wegen, nicht ganz verloren gehen zu lassen. Da unten wird man Neujahr feiern, also feiern wir es auch auf dem Kometen. Diese Uebereinstimmung der Empfindung hat ihre guten Seiten. Wir dürfen nicht vergessen, daß man sich auf der Erde mit uns beschäftigen wird. Von verschiedenen Punkten aus sieht man dort die Gallia durch den Weltraum irren, wenn auch, ihrer geringen Größe wegen, nicht mit bloßen Augen, so doch mit Hilfe der Fernrohre und Teleskope. Eine Art wissenschaftliches Band verknüpft uns stets mit der Erde und die Gallia bildet ja zu jeder Zeit einen Theil der Sonnenwelt.«
»Ich stimme Ihnen bei, Kapitän,« antwortete Graf Timascheff. »Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Sternwarten mit der Beobachtung des neuen Kometen beschäftigt sein müssen. Ich glaube gern, daß in Paris, Petersburg, Greenwich, Cambridge, am Cap, wie in Melbourne die mächtigen Himmelsfernrohre häufig genug nach unserem Asteroïden gerichtet sind.«
»Er muß jetzt da unten sehr in der Mode sein,« meinte Kapitän Servadac, »und es sollte mich sehr wundern, wenn die Revuen, die Journale, das große Publikum über Alles, was mit und an der Gallia geschieht, nicht auf dem Laufenden erhielten. Gedenken wir also Derer, welche am 1. Januar gewiß unser gedenken, und feiern wir den Tag mit denselben Gefühlen wie sie.«
»Sie glauben,« mischte sich da Lieutenant Prokop ein, »daß man sich auf der Erde mit dem Kometen, der einmal an sie stieß, beschäftigt? Ich glaube das zwar auch, aber ich halte dafür, daß man dort von ganz anderen Motiven dazu geführt wird als dem wissenschaftlichen Interesse oder gar der bloßen Neugier. Die Beobachtungen, mit welchen unser Astronom sich beschäftigte, sind auf der Erde sicher auch und mit nicht minderer Genauigkeit angestellt worden. Die Ephemeriden der Gallia mögen wohl schon lange zweifellos ermittelt sein. Man kennt die Elemente des neuen Kometen. Man weiß, welche Bahn er im Welträume durchläuft und hat jedenfalls doch auch bestimmt, wo und wie er die Erde wieder treffen wird. An welchem Punkte der Ekliptik, zu welcher Secunde, an welchem geographischen Orte er an die Erdkugel stoßen wird, das Alles ist gewiß mit mathematischer Genauigkeit berechnet. Die Gewißheit dieses erneuten Zusammenstoßes aber dürfte die Gemüther wohl nicht weniger beunruhigen. Ja, ich gehe noch weiter und behaupte, daß man auf Erden allerlei Vorbereitungen treffen wird, um die entsetzlichen Wirkungen des zweiten Stoßes zu mildern – wenn das überhaupt auf irgend eine Weise möglich ist!«
Mit diesen Worten mochte Lieutenant Prokop wohl die Wahrheit ziemlich treffen; die Logik mindestens konnte man ihnen nicht absprechen. Die nach allen Seiten durch Rechnungen bestimmte Wiederkehr der Gallia genügte gewiß, auf der Erde jedes andere Interesse zu unterdrücken. Man mußte wohl an die Gallia denken, doch nur mit dem Wunsche, daß sie niemals zurückkehren möchte. Auch die Bewohner des Kometen konnten sich, trotzdem sie jenes Wiederzusammtreffen lebhaft herbeiwünschten, einer gewissen Beunruhigung nicht entschlagen. Wenn auf der Erde, wie Lieutenant Prokop meinte, Vorkehrungen getroffen wurden, um die drohenden fürchterlichen Folgen zu mildern, sollte es da nicht am Platze sein, auf der Gallia an etwas Aehnliches zu denken? Diese Frage verdiente wohl später in Betracht gezogen zu werden.
Wie dem nun auch sein mochte, man blieb bei dem Beschlusse, den 1. Januar gebührend zu feiern. Auch die Russen sollten sich dabei den Franzosen und Spaniern anschließen, obgleich deren Kalender den Jahresanfang nicht für den nämlichen Tag angiebt.Zwischen dem russischen Kalender und dem der anderen christlichen Staaten ist bekanntlich ein Unterschied von zwölf Tagen, so daß Neujahr nach dem ersteren auf unseren 13. Januar fällt.
Weihnachten kam heran. Der Jahrestag der Geburt Christi wurde kirchlich, wenn man hier so sagen darf, gefeiert.
Der Jude allein schien sich an diesem Tage noch tiefer in seine dunkle Ecke zu verkriechen.
Während der letzten Woche des Jahres war Ben-Zouf außerordentlich beschäftigt, um ein anziehendes Programm aufzustellen. Von sehr verschiedenen Vergnügungen konnte auf der Gallia ja von vornherein nicht die Rede sein. Man kam also dahin überein, den Tag mit einem tüchtigen, auserlesenen Frühstück zu beginnen und mit einem Ausfluge auf dem Eise nach der Seite der Insel Gourbi zu beschließen. Die Rückkehr sollte unter festlicher Beleuchtung erfolgen, d. h. mittels Fackeln, welche man aus den nöthigen, auf der Hansa sich vorfindenden Ingredienzen selbst verfertigte.
»Wenn das Frühstück ausnehmend gut ausfällt,« philosophirte Ben-Zouf, »so wird der Ausflug nicht minder lustig werden, und weiter braucht es ja nichts!«
Die Zusammenstellung des Speisezettels gestaltete sich also zu einer sehr wichtigen Angelegenheit. Die Ordonnanz des Kapitän Servadac hatte darum wiederholt Besprechungen mit dem Koch der Dobryna, deren Endresultat in einer glückverheißenden Verbindung der russischen und französischen Küche gipfelte.
Am 31. December Abends war Alles bereit. Die kalten Gerichte, wie Fleischconserven, Wildpastete, Galantine und andere, welche man zu gutem Preise von dem Juden Isaak Hakhabut erworben hatte, figurirten schon auf der Tafel des Hauptsaales, die warmen Speisen sollten erst am nächsten Morgen in dem Lavaofen zubereitet werden.
An diesem Abend berührte man noch eine Frage bezüglich Palmyrin Rosette's. Sollte man den Professor einladen, an der Festtafel theilzunehmen? Gewiß erforderte das die Höflichkeit. Würde er die Einladung auch annehmen? Das erschien mehr als zweifelhaft.
Nichtsdestoweniger erging diese Einladung. Kapitän Servadac hatte sie persönlich nach dem Observatorium überbringen wollen; Palmyrin Rosette empfing aber alle ungeladenen Gäste so barsch, daß man es vorzog, ihm ein Briefchen zu senden.
Der junge Pablo erbot sich, dasselbe zu überbringen, und kam bald darauf mit einer in folgende Worte gefaßten Antwort zurück:
»Palmyrin Rosette hat nichts anderes zu sagen, als das: Heute ist der 125. Juni und morgen wird der 1. Juli sein, da man auf der Gallia doch wohl Veranlassung hat, nach dem hier giltigen Kalender zu rechnen.«
Das war zwar ein wissenschaftlich abgefaßter Absagebrief, doch eine Absagung blieb es immer.
Am 1. Januar, eine Stunde nach Sonnenaufgang, fanden sich Franzosen, Russen, Spanier und die kleine Nina, welche Italien repräsentirte, zu einem Frühstück vereinigt, wie ein solches die Gallia noch niemals gesehen hatte.
Bezüglich des solideren Theiles desselben hatten Ben-Zouf und der Küchenmeister der Dobryna sich thatsächlich selbst übertroffen. Eine Schüssel mit Rebhuhn auf Kohl, welch' letzterer hier durch »Carry« ersetzt war, so stark, daß er die Papillen der Zunge und die Schleimhaut des Magens auflösen konnte, bildete den Glanzpunkt der Speisekarte. Die aus den Vorräthen der Dobryna entnommenen Weine lobten sich selbst. Da trank man denn französische und spanische Weine zur Ehre ihres Vaterlandes und selbst Rußland fand durch einige Flaschen Branntwein gebührende Vertretung. Es war wirklich, wie Ben-Zouf gehofft, sehr schön und sehr heiter.
Zum Schluß rief ein Toast auf das gemeinsame Vaterland, die alte Erdkugel und auf die Rückkehr nach derselben einen solchen Beifallssturm hervor, daß Palmyrin Rosette ihn gewiß in der stillen Höhe seines Observatoriums vernehmen mußte.
Nach Beendigung des Frühstückes hatte man noch drei volle Stunden Tag vor sich. Eben passirte die Sonne den Zenith – eine Sonne, welche niemals die Reben von Bordeaux oder Burgund, deren Blut man eben getrunken, gezeitigt hätte, denn sie erleuchtete Alles nur schwach und erwärmte gar nicht.
Alle Tafelgenossen kleideten sich von Kopf bis zu den Füßen warm an, um einen Ausflug zu unternehmen, der bis zum Eintritt der Nacht ausgedehnt werden sollte. Sie setzten sich dabei freilich einer sehr rauhen Temperatur aus, konnten das aber bei der ruhigen Luft ungestraft wagen.
Alle verließen, die Einen plaudernd, die Anderen singend, den Nina-Bau. Am Strande legten Alle die Schlittschuhe an und tummelten sich lustig, entweder allein oder in einzelnen Gruppen. Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop hielten sich gern zu einander. Negrete und die Spanier schweiften in launischen Bogen auf der ungeheuren Fläche umher und verschwanden bald mit wunderbarer Schnelligkeit unter den Grenzen des Horizontes. Jetzt, wo sie das Schlittschuhlaufen sicher erlernt, entwickelten sie mit Vorliebe dabei auch die ihnen angeborene Grazie.
Die Matrosen der Dobryna bildeten, nach einer in den nördlichen Ländern beliebten Gewohnheit, eine lange Reihe. Eine unter dem rechten Arme gehaltene Stange hielt sie dabei in einer Linie und so flogen sie hinaus bis über Sehweite, wie ein Eisenbahnzug, der in seinen Schienen nur Bogen von großem Radius beschreiben kann.
Pablo und Nina vergnügten sich vor Freude aufjauchzend Arm in Arm – zwei flatternde Vögel, denen man die Freiheit geschenkt – und näherten sich jetzt der Gruppe des Kapitän Servadac, um ihr sofort wieder im losen Spiel zu entfliehen. Diese jungen Wesen vereinigten in sich, man möchte sagen alle Freude auf der Gallia und vielleicht auch fast alle Hoffnung.
Hierbei ist jedoch Ben-Zouf nicht zu übergehen, der in fröhlicher Laune von dem Einen zum Anderen eilte, sich ganz der schönen Gegenwart hingab und sich um die Zukunft wenigstens nicht absorgte.
Die Schlittschuhläufer-Gesellschaft, welche mit fröhlichem Muthe über diese prachtvolle, ebene Fläche dahinflog, wagte sich weit, weit hinaus – weiter als die Kreislinie, welche den Horizont von Warm-Land umschloß. Ihren Augen verschwanden zuerst die Felsen des Ufers, dann der weiße Kamm der höheren Stufen und endlich auch der Gipfel des Vulkans mit seiner Wolkenhaube. Manchmal hielten die Läufer an, um Athem zu schöpfen, doch nur für einen Augenblick, um sich der Kälte nicht zu sehr auszusetzen. Dann ging es sausend wieder vorwärts nach der Küste der Insel Gourbi zu, ohne daß sie Jemand zu erreichen gesucht hätte, denn schon sank die Nacht herab und mahnte zur schleunigen Rückkehr.
Die Sonne senkte sich im Osten oder vielmehr – eine Erscheinung, welche die Gallia-Bewohner schon hinlänglich gewöhnt waren – sie schien rasch niederzustürzen. Der Untergang des Tagesgestirns ging an diesem begränzten Horizonte eben unter eigenthümlichen Umständen vor sich. Hier erglühten keine Dünste in den prächtigen Farbentönen, welche die letzten Strahlen sonst hervorzuzaubern pflegen. Ueber dem gefrorenen Meer sah das Auge nicht einmal jenen letzten grünlichen Lichtschimmer, der sonst über die flüssige Oberfläche zittert. Hier zeigte die durch eine bekannte optische Täuschung größer erscheinende Sonne bis zuletzt ihre reine, unveränderte Scheibe. Dann glaubte man, es habe sich plötzlich ein Schlund in dem Eise geöffnet, in dem sie verschwand und der dunklen Nacht ohne Uebergang Platz machte.
Bevor der Tag zur Neige ging, sammelte Kapitän Servadac seine kleine Welt um sich. Während man in Schützenschwärmen hinausgezogen war, sollte der Rückweg in geschlossenem Gliede angetreten werden, denn der Mond (die Nerina) stand jetzt in Conjunction zur Sonne und auch sein schwaches Licht fehlte der kurzen Nacht.
Jetzt hüllte diese schon die ganze Umgebung in ihren schwarzen Mantel. Die Sterne gossen über die Gallia nur ein »fahles Licht«, wie Corneille sich ausdrückt. Die Fackeln wurden also angezündet, und während deren Träger rasch voranglitten, loderten die Flammen, welche die geschwinde Bewegung noch belebte, leuchtend rückwärts.
Eine Stunde später hob sich das steile Ufer von Warm-Land unbestimmt wie eine schwarze Wolke vom Horizonte ab. Eine Täuschung war unmöglich. Hoch darüber strebte der Vulkan empor und warf einen intensiven Lichtschein durch die herrschende Finsterniß. Die auf dem glitzernden Eise sich wiederspiegelnden Lavamassen leuchteten bis zu den Schlittschuhläufern und zeichneten in deren Rücken lange Schatten ab.
So verging etwa ein und eine halbe Stunde. Rasch näherte man sich dem Ufer, als plötzlich ein Aufschrei durch die Luft drang, der von Ben-Zouf herrührte.
Alle hielten ein, indem sie die Eisen tief in's Eis einschneiden ließen.
Da, beim Scheine der Fackeln, welche schon nahe am Verlöschen waren, sah man, daß Ben-Zouf die Arme gegen das Ufer ausstreckte.
Von den Lippen Aller ertönte ein Schrei, der dem Ben-Zouf's zu antworten schien.
Der Vulkan war urplötzlich erloschen. Kein Lavastrom wälzte sich mehr von dem obersten Gipfel herab. Es schien, als habe ein mächtiger Windstoß die Flamme des Kraters erstickt.
Alle begriffen, daß die Quelle des Feuers versiegt sein müsse. War die Auswurfsmasse zu Ende gegangen? Sollte Warm-Land von nun am für immer die belebende Wärme fehlen und sich keine Möglichkeit bieten, der Strenge des Gallia-Winters zu entgehen?
Drohte ihnen nun der Tod, der entsetzliche Tod des Erfrierens?
»Vorwärts!« rief Kapitän Servadac mit befehlender Stimme.
Eben verloschen die Fackeln. Alle stürmten durch die tiefe Dunkelheit und erreichten bald das Ufer; dessen übereiste Felsen sie nicht ohne große Mühe erklommen. Sie eilten nach der großen Galerie, drangen in den Hauptsaal . . .
Tiefe Dunkelheit rings, die Temperatur schon merkbar verändert. Der Feuervorhang, der sonst vor der großen Oeffnung herabrollte, schloß diese nicht mehr und Lieutenant Prokop konnte sogar sehen, daß die durch das Einströmen der Lava bisher flüssige Lagune schon durch die Kälte erstarrt war.
So endete auf der Gallia der Neujahrstag der Erde, den man so festlich und freudig erregt begonnen hatte!