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Welches die wichtige Frage der Rückkehr nach der Erde und sehr kühne Projekte des Lieutenants Prokop behandelt.
Nach seiner Ankunft theilte Kapitän Servadac dem Grafen Timascheff den Erfolg seines Besuches bei den Engländern mit. Er verschwieg dabei nicht, daß Ceuta von den Spaniern, welche dazu gar keine Berechtigung hatten, verkauft worden sei, sprach aber wohlweislich nicht von seinen früheren eigenen Absichten.
Da die Engländer es abschlugen, nach Warm-Land überzusiedeln, beschloß man, auf sie keine weiteren Rücksichten zu nehmen. Sie waren ja gewarnt. Jetzt mochten sie sehen, wie sie sich allein halfen.
Nun schien es doch an der Zeit, sich über die ernste Frage des neuen Zusammentreffens zwischen Erde und Kometen klar zu werden.
Zunächst mußte man es als ein wahrhaftes Wunder betrachten, daß Kapitän Servadac, seine Gefährten, die Thiere, kurz Alle, welche damals von der Erde entführt wurden, den ersten Stoß überlebt hatten. Wahrscheinlich rührte das davon her, daß die Bewegung des Kometen sich aus irgend welcher unbekannten Ursache damals verlangsamt hatte. Ob auf der Erde Opfer dieses Ereignisses zu beklagen waren, würde man ja später erfahren. Jedenfalls hatte keiner von Allen, welche der Komet auf der Insel Gourbi, in Gibraltar. Ceuta, Madalena und Formentera mit sich fortriß, persönlich davon besonders gelitten.
Durfte man bei Gelegenheit der Rückkehr auf einen ähnlichen günstigen Ausgang hoffen? Wahrscheinlich nicht.
Am Morgen des 10. November kam diese hochwichtige Frage zur Verhandlung. Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Lieutenant Prokop fanden sich in der Höhle zusammen, welche ihnen als allgemeine Wohnung diente. Ben-Zouf nahm natürlich an der Sitzung Theil. Palmyrin Rosette, den man formell eingeladen, hatte es abgeschlagen, da ihn diese Frage nicht im Geringsten interessire. Seit dem Verschwinden seiner geliebten Nerina konnte er sich nicht mehr trösten. Jetzt, wo ihm der Verlust seines Kometen ebenso drohte, wie der seines Satelliten, wünschte er einzig und allein in Ruhe gelassen zu werden. Man that nach seinem Wunsche.
Kapitän Servadac und Graf Timascheff, deren gegenseitige Kälte immer mehr zunahm, unterdrückten doch ihre eigenen Empfindungen vollständig und behandelten diese Frage im Interesse Aller.
Kapitän Servadac ergriff zuerst das Wort
»Meine Herren,« begann er, »wir schreiben heute den 10. November. Sind die Berechnungen meines alten Lehrers richtig – und das müssen sie wohl sein – so wird ein wiederholtes Zusammentreffen zwischen der Erde und unserem Kometen nach genau einundfünfzig Tagen stattfinden. Haben wir nun angesichts dieses Ereignisses irgend welche Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen?«
»Unzweifelhaft, Kapitän,« antwortete Graf Timascheff, »doch sind wir es auch im Stande und nicht vielmehr ganz der Gnade der Vorsehung anheimgegeben?«
»Sie verbietet nicht, sich zu helfen, Herr Graf,« entgegnete Kapitän Servadac, »im Gegentheil.«
»Haben Sie denn eine Idee, was hier zu beginnen sei, Kapitän?«
»Leider nein.«
»Wie, meine Herren,« fiel da Ben-Zouf ein, »solche gelehrte Männer, wie Sie, mit allem Respect, den ich vor Ihnen habe, sollten nicht einmal im Stande sein, diesen verteufelten Kometen zu lenken, wohin und wie Sie wollten?«
»Erstens sind wir keine Gelehrten, Ben-Zouf,« erwiderte Kapitän Servadac, »und wären wir es, so vermöchten wir das doch nicht. Sieh' doch, ob Palmyrin Rosette, der doch ein Gelehrter ist . . . .«
»Und eine sehr lose Zunge hat,« schob Ben-Zouf ein.
»Das mag ja sein, aber sieh', ob er die Rückkehr der Gallia nach der Erde etwa verhindern kann.«
»Wozu nützt dann aber die ganze Wissenschaft?«
»Nun, meist um zu wissen, daß man noch lange nicht Alles weiß!« belehrte ihn Graf Timascheff.
»Es steht fest, meine Herren,« ließ sich Lieutenant Prokop vernehmen, »daß uns bei dem zu erwartenden Stoße neue Gefahren bedrohen. Mit Ihrer Erlaubniß will ich sie aufzählen; wir werden dann am Besten sehen, ob es eine Möglichkeit giebt, sie zu bekämpfen oder doch ihre Wirkungen zu vermindern.«
»Wir hören, Prokop!« antwortete Graf Timascheff.
Alle sprachen über das Alles mit einer Ruhe, daß man hätte glauben mögen, es ginge sie selbst nicht das Geringste an.
»Meine Herren,« begann Lieutenant Prokop, »wir müssen uns zunächst fragen, in welcher Weise der neue Zusammenstoß zwischen Erde und Komet erfolgen wird. Dann werden wir sofort erkennen, was in dem einen oder anderen Falle zu fürchten oder zu hoffen ist.«
»Das scheint mir ganz logisch,« erwiderte Kapitän Servadac; »vergessen wir aber nicht, daß die beiden Gestirne sich das eine auf das andere zu bewegen und daß ihre Geschwindigkeit im Augenblick des Zusammentreffens vierundfünfzigtausend Meilen in der Stunde beträgt.«
»Zwei nette Eisenbahnzüge!« bemerkte Ben-Zouf.
»Suchen wir also zu ergründen, wie der Stoß erfolgen wird,« fuhr Lieutenant Prokop fort. »Die beiden Weltkörper werden sich entweder in schiefer oder in normaler Richtung begegnen. Im ersten Falle könnte es vorkommen, daß die Gallia die Erde nur streifte, ebenso wie das erste Mal, ihr wiederum einige Stücke entrisse und im Weltraum ihre Bahn weiter fortsetzte. Dadurch würde die Lage ihrer Bahn zweifelsohne eine Veränderung erleiden, und wir dürften wenig Hoffnung haben, jemals unseres Gleichen wieder zu sehen.«
»Das wäre zwar Wasser auf Herrn Rosette's Mühle, aber nicht auf die unsere,« bemerkte Ben-Zouf sehr richtig.
»Lassen wir diese Hypothese also außer Frage,« sagte Graf Timascheff; »die Vorzüge und Nachtheile dieses Falles sind uns ja hinreichend bekannt. Beschäftigen wir uns gleich mit dem eigentlichen Stoße, d. h. mit dem Falle, daß die Gallia nach dem Zusammentreffen an die Erde gefesselt bliebe.«
»Wie eine Warze auf einem Gesichte,« sagte Ben-Zouf.
»Ruhe, Ben-Zouf,« befahl Hector Servadac.
»Zu Befehl, Herr Kapitän.«
»Gut, betrachten wir also,« nahm Lieutenant Prokop wieder das Wort, »die möglichen Folgen eines directen Stoßes. Vor Allem ist zu bedenken, daß die Masse der Erde die der Gallia so wesentlich übertrifft, daß ihre Geschwindigkeit durch das Zusammentreffen nicht vermindert werden und sie den Kometen einfach mit sich fortführen wird.«
»Zugegeben,« antwortete Kapitän Servadac.
»Nun, meine Herren, bei einem directen Stoße wird die Gallia auf die Erde entweder mit demjenigen Theile ihrer Oberfläche treffen, den wir hier am Aequator bewohnen, oder mit der entgegengesetzten Seite, wo unsere Antipoden weilen können, oder endlich mit dem einen oder dem anderen ihrer Pole. In jedem dieser Fälle ist aber überhaupt gar keine Aussicht vorhanden, daß nur eines der lebenden Wesen, welche sie trägt, dabei mit dem Leben davon käme.«
»Erklären Sie sich näher, Lieutenant,« sagte Kapitän Servadac.
»Befinden wir uns zur Zeit des Zusammenstoßes an der davon betroffenen Stelle selbst, so werden wir nothwendiger Weise zermalmt.«
»Das versteht sich von selbst,« meinte Ben-Zouf.
»Bilden wir dagegen die Antipoden dieses Punktes, so droht uns, außer der ebenso unmöglichen Zermalmung, da die Geschwindigkeit, mit der wir dahinfliegen, plötzlich gehemmt wird – was der Wirkung eines Stoßes vollkommen gleichkommt – noch die Gewißheit, zu ersticken. Die Gallia-Atmosphäre muß sich nämlich mit der Erd-Atmosphäre zu vermischen suchen und auf dem Gipfel dieses sechzig Meilen hohen Berges, den die Gallia dann über der Erdoberfläche darstellen wird, dürfte sich keine athembare Luft mehr vorfinden.«
»Und wenn die Gallia die Erde mit einem ihrer Pole trifft?« fragte Graf Timascheff.
»In diesem Falle,« antwortete Lieutenant Prokop, »würden wir rettungslos weggeschleudert und durch den furchtbaren Sturz zerschmettert werden.«
»Sehr schön,« murmelte Ben-Zouf.
»Ich erwähne hierzu aber noch, daß wir, selbst in dem unmöglichen Falle des nicht Eintretens einer dieser Hypothesen, unausweichlich verbrannt werden.«
»Verbrannt?« wiederholte Hector Servadac erstaunt.
»Ja wohl; denn da die durch ein Hinderniß aufgehobene Geschwindigkeit der Gallia sich in Wärme umwandeln muß, so wird der Komet unter einer Temperatur von mehreren tausend Graden durch und durch erglühen und sich entzünden müssen!«
Lieutenant Prokop hatte mit seinen Worten vollständig recht. Seine Zuhörer sahen ihn an und hörten, ohne besonderes Erstaunen, seine Darlegung der verschiedenen möglichen Fälle an.
»Doch, Herr Prokop,« sagte Ben-Zouf, »erlauben Sie mir eine Frage. Wenn die Gallia nun in das Meer fiele? . . .«
»Wie tief der Atlantische und Stille Ocean auch sein mögen, antwortete Lieutenant Prokop – und ihre Tiefe übersteigt nirgends einundeinhalb Meile – so wird dieses Wasserkissen doch noch lange nicht hinreichend sein, den Stoß auszugleichen. Alle die Folgen, welche ich eben aufzählte, würden trotzdem eintreten . . . .«
»Und ersäuft würden wir noch dazu! . . .« vervollständigte Ben-Zouf.
»Also, meine Herren,« nahm Kapitän Servadac das Wort, »zerschmettert, zermalmt, erstickt oder gebraten zu werden, das wäre so etwa das Schicksal, welches uns bevorsteht, wie der Zusammenstoß auch ausfallen möge.«
»Ja wohl, Herr Kapitän,« bestätigte Lieutenant Prokop ohne Zögern.
»Na, wenn es so steht,« warf Ben-Zouf ein, »so sehe ich nur einen einzigen Ausweg.«
»Und welchen denn?« fragte Hector Servadac.
»Nun den, die Gallia vor dem Zusammenstoß zu verlassen.«
»Durch welches Mittel?«
»O, das Mittel wird wohl ein sehr einfaches sein,« antwortete Ben-Zouf ganz seelenruhig, »aber ich kenne keines.«
»Vielleicht aber ich!« sagte da Lieutenant Prokop.
Aller Augen richteten sich auf den Lieutenant, der den Kopf in die Hände gestützt, irgend ein kühnes Projekt zu erwägen schien.
»Vielleicht,« wiederholte er, »und so überspannt Ihnen mein Plan auch erscheinen möge, ich glaube doch, daß er des Versuches werth ist.«
»Erkläre Dich!« sagte Graf Timascheff.
Noch einige Augenblicke blieb der Lieutenant in Nachdenken versunken, dann begann er:
»Ben-Zouf hat den einzigen Weg angegeben, den wir einzuschlagen haben: die Gallia vor dem Stoße zu verlassen.«
»Sollte das möglich sein?« fragte Graf Timascheff.
»Ja . . . vielleicht . . . ja!«
»Und wie?«
»Mittels eines Ballons!«
»Im Ballon!« rief Kapitän Servadac, »o, gehen Sie mir mit diesem so abgenutzten Mittel! Selbst in Romanen wagt man es nicht mehr, sich eines solchen zu bedienen.«
»Hören Sie mich gefälligst an, meine Herren,« fuhr Lieutenant Prokop mit leichtem Runzeln der Augenbrauen fort. »Unter der Bedingung, daß wir den Augenblick des Zusammentreffens mit Sicherheit kennen, können wir uns auch eine Stunde vorher in die Atmosphäre der Gallia erheben. Diese Atmosphäre führt uns nothwendig mit der ihr eigenen Schnelligkeit fort. Vor dem Zusammenstoße dürfte sie sich aber doch mit der der Erde vereinigen, und so erscheint es möglich, daß der Ballon gleitend von der einen in die andere übergeht, dadurch dem directen Stoße ausweicht und sich während desselben in der Luft erhält.«
»Richtig, Prokop,« äußerte Graf Timascheff, »wir verstehen Dich und werden ausführen, was Du da sagst.«
»Die Partie steht deshalb,« fuhr Lieutenant Prokop fort, »immer noch wie eins zu neunundneunzig.«
»Mindestens, denn jedenfalls wird der Ballon im Momente der Unterbrechung seiner Fortbewegung, auch in Brand gerathen.«
»Der auch?« rief Ben-Zouf.
»Ebenso wie der Komet,« erwiderte Lieutenant Prokop. » . . . Mindestens wenn diese Vereinigung der beiden Atmosphären . . . ja . . . ich weiß nicht . . . es wäre mir schwer, das zu sagen, mit einem Wort, es scheint mir besser, die Gallia vor dem Zusammenstoße verlassen zu haben.«
»Ja, ja,« fiel Kapitän Servadac ein, »und wenn die Partie wie eins zu hunderttausend stände, wir würden den Versuch wagen!«
»Wir haben aber keinen Wasserstoff, um den Ballon zu füllen . . .« warf Graf Timascheff ein.
»O, dazu,« sagte Lieutenant Prokop, »wird schon warme Luft ausreichen, da wir uns nicht länger als eine Stunde schwebend zu erhalten brauchen.«
»Schön,« meinte Kapitän Servadac . . . »eine Montgolfiere . . . das ist einfacher und eine solche ist leichter herzustellen . . . doch, die Hülle? . . .«
»Die schneiden wir aus den Segeln der Dobryna, welche aus leichter und sehr fester Leinwand bestehen . . . .«
»Richtig, Prokop,« fiel Graf Timascheff ein. »Du weißt doch auf Alles eine Antwort.«
»Hurrah! Bravo!« rief Ben-Zouf zum Schlusse.
In der That, es war wohl ein kühner Plan, den Lieutenant Prokop entwickelte, da aber der Untergang der Kolonisten in jedem anderen Falle sicher schien, so durfte man vor diesem Abenteuer nicht zurückschrecken, sondern bald an dessen Vorbereitung denken. Hierzu mußte freilich nicht nur die Stunde, sondern auch die Minute, womöglich die Secunde des Zusammenstoßes vorher genau bekannt sein.
Kapitän Servadac übernahm es, Palmyrin Rosette, unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, darnach zu fragen.
Unter der Leitung des Lieutenants begann man schon jetzt also die Herstellung der Montgolfiere. Diese mußte ziemlich große Dimensionen erhalten, um alle Bewohner von Warm-Land aufnehmen zu können – dreiundzwanzig Personen, da man keine Ursache hatte, nach ihrer Weigerung auf die Engländer von Ceuta und Gibraltar weiter Rücksicht zu nehmen.
Lieutenant Prokop gedachte die Aussicht auf den erwünschten Erfolg der bevorstehenden Luftfahrt noch dadurch zu erhöhen, daß er sich die Möglichkeit sicherte, nach dem Stoße im Nothfalle noch eine Zeit lang in der Luft schweben zu können, da es darauf ankommen konnte, einen passenden Platz zum Niedergehen erst auszuwählen. Er beschloß demnach, eine gewisse Menge Brennmaterial, trockenes Laub und Stroh, mitzunehmen, um die Luft im Innern der Montgolfiere länger warm halten zu können. So verfuhren früher die ersten Aëronauten.
Die Segel der Dobryna waren im Nina-Bau untergebracht worden. Sie bestanden aus einem sehr dichten Gewebe, das man mittelst eines Firnisses bequem noch undurchdringlicher machen konnte. Alles hierzu Nöthige fand sich unter der Ladung der Tartane und stand dem Lieutenant also zur Verfügung. Dieser zeichnete nun den Riß der zu schneidenden Streifen genau auf. Alle Hände waren bald beschäftigt, dieselben zusammenzunähen – alle, selbst die der kleinen Nina. Die russischen Matrosen erwiesen sich bei dieser Arbeit besonders geübt, und lehrten auch den Spaniern, wie sie sich anstellen sollten, so daß das ganze Atelier bald in vollständiger Thätigkeit war.
Ein Monat ging bei diesen Arbeiten hin. Kapitän Servadac hatte noch immer keine Gelegenheit gefunden, an seinen früheren Lehrer jene Fragen wegen der genauen Zeit des erwarteten neuen Zusammenstoßes zu richten. Palmyrin Rosette war total unzugänglich. Es vergingen ganze Tage, ohne daß man ihn zu sehen bekam. Da die Temperatur jetzt am Tage erträglicher war, verschloß er sich in sein Observatorium, von dem er förmlich Besitz genommen, und wo er Jedermann den Zutritt verwehrte. Als Hector Servadac nur einmal einen Versuch wagte, kam er sehr übel an. Mehr als je verzweifelt, nach der Erde zurückkehren zu sollen, hatte er nicht die geringste Lust, sich mit den dabei zu erwartenden Gefahren zu beschäftigen, noch etwas für das allgemeine Beste zu thun.
Und doch erschien es vor Allem wichtig, genau den Augenblick zu kennen, in dem die beiden Himmelskörper mit einer Geschwindigkeit von vierzehnundeinviertel Meilen in der Secunde auf einander treffen würden.
Kapitän Servadac mußte sich eben in Geduld fassen und er that es.
Inzwischen näherte sich die Gallia der Sonne mehr und mehr. Die Erdscheibe wuchs sichtlich vor den Augen der Gallia-Bewohner. Während des Monats November hatte der Komet eine Strecke von 35,4 Millionen Meilen zurückgelegt und befand sich am 1. December noch 46,8 Millionen Meilen weit von der Sonne.
Die Temperatur stieg beträchtlich und führte mit dem Thauwetter den Eisbruch herbei. O, es bot ein herrliches Schauspiel, als das Eis des Meeres sich auflöste und in Bewegung kam. Man hörte den »furchtbaren Eisschrei«, wie die Wallfischfahrer sagen.
Ueber die Abhänge des Vulkanes und des Strandes schlängelten sich launenhaft die ersten Wasserfäden, die sich nach wenigen Tagen zu Wildbächen und Wasserfällen ausbildeten. Allüberall schmolz nun der Schnee der Höhen.
Gleichzeitig stiegen auch wieder leichte Dünste am Horizonte auf. Nach und nach ballten sie sich zu Wolken zusammen, die der Wind, der während des langen Gallia-Winters vollständig geruht hatte, lustig vor sich herfegte. Wohl mußte man sich jetzt auf nahe bevorstehende Störungen der Atmosphäre gefaßt machen, doch es war ja das Leben, das mit dem Lichte und der Wärme auf der Oberfläche des Kometen wieder erwachte.
Jetzt traten auch zwei längst vorhergesehene Ereignisse ein und führten die Zerstörung der Gallia-Marine herbei.
Zur Zeit des Eisbruches schwebten die Goëlette und die Tartane noch immer hundertfünfzig Fuß über der Oberfläche des Meeres. Mit dem Thauwetter lockerte sich ihr enormer kristallener Grundpfeiler und neigte sich zur Seite. Es begann ihm seine von dem wärmeren Wasser benagte Basis zu fehlen, wie man das an den Eisbergen der arktischen Meere ja so häufig beobachtet. An eine Rettung der Fahrzeuge war nicht zu denken gewesen; jetzt sollte die Montgolfiere ihre Stelle so gut es ging, ersetzen.
In der Nacht vom 12. zum 13. December kam es zum Eisbruche. Der gewaltige Pfeiler verlor das Gleichgewicht und stürzte in einem Stücke um. Um die Hansa und die Dobryna, welche an den Felsen des Ufers in tausend Trümmer zerschellten, war es nun geschehen.
Dieses Unglück, welches Alle voraussahen und nicht abwenden konnten, erfüllte die Kolonisten doch mit recht schmerzlichen Empfindungen. Sie hatten das Gefühl, als sei ihnen ein liebgewordenes Stück der alten Erde entrissen worden.
Isaak Hakhabut's Jeremiaden angesichts dieser urplötzlichen Zerstörung der Tartane, seine Verwünschungen der »schlechten Menschen« wiederzugeben, ist fast unmöglich. Er beschuldigte vorzüglich den Kapitän Servadac und dessen Leute.
Hätte man ihn nicht genöthigt, die Hansa nach dieser Bucht von Warm-Land überzuführen und ihn im Hafen der Insel Gourbi zurückgelassen, so wäre das Alles nicht vorgekommen. Man hatte gegen seinen ausgesprochenen Willen gehandelt und war nun dafür verantwortlich. Nach der Rückkehr zur Erde werde er schon Diejenigen, welche ihm einen so ungeheuren Schaden zugefügt, zu belangen wissen.
»Mordio!« fuhr Kapitän Servadac auf, »werdet Ihr nun schweigen, Meister Isaak, oder ich lasse Euch in Ketten legen!«
Isaak Hakhabut schwieg und verkroch sich in seinem Winkel.
Am 14. December wurde die Montgolfiere fertig. Sorgfältig genäht und gefirnißt, versprach sie eine außergewöhnliche Haltbarkeit. Das Netz hatte man aus den leichten Seisingen (die Hanffäden, mit denen die Segel an ihren Raaen aufgebunden werden) der Dobryna geknüpft. Der Nachen aus Weidengeflecht, von früheren dünnen Scheidewänden im Raume der Hansa herrührend, reichte zur Aufnahme von dreiundzwanzig Personen hin. Es handelte sich ja aller Voraussicht nach nur um eine kurze Auffahrt – um die nöthige Zeit, aus der Atmosphäre der Gallia in die der Erde hinüberzugleiten – bei der man auf besondere Bequemlichkeit wohl verzichten konnte.
Immer harrte freilich die Frage nach der Stunde, Minute und Secunde ihrer Lösung, über welche sich der griesgrämige, starrköpfige Palmyrin Rosette noch nicht ausgesprochen hatte.
Während dieser Zeit durchschnitt die Gallia auch von Neuem die Bahn des Mars, der sich in einer Entfernung von 33,6 Millionen Meilen befand. Von ihm war also nichts zu fürchten.
An eben diesem Tage, dem 15. December, glaubten die Gallia-Bewohner aber doch ihr letztes Stündlein gekommen. Es ereignete sich nämlich eine Art »Erdbeben«. Der Vulkan wankte, als würde er von unterirdischen Krämpfen geschüttelt. Kapitän Servadac und seine Genossen fürchteten ein völliges Zerbersten des Kometen und flüchteten eiligst aus dem erzitternden Berge.
Da hörte man oben aus dem Observatorium einen gellenden Aufschrei und sah den unglücklichen Professor mit noch einem Ueberbleibsel seines zerbrochenen Fernrohres auf dem Felsen erscheinen.
Keiner dachte aber daran, ihn teilnehmend zu beklagen. Trotz der dunklen Nacht sah man einen anderen Satelliten um die Gallia kreisen.
Es war ein Stück des Kometen selbst . . .
Unter der Wirkung einer inneren Spannung hatte er sich verdoppelt, wie es früher schon einmal dem Biela'schen Kometen ergangen ist. Ein gewaltiges Bruchstück war von ihm losgerissen, in den Weltraum hinausgeschleudert worden und entführte gleichzeitig die Engländer in Ceuta, wie ihre Nachbarn in Gibraltar.