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Vierzehntes Kapitel. Zermahs Werk

Bei Zermahs Anblick verloren die beiden Texars die Fassung, so sehr sie auch Herren ihrer selbst waren. Seit ihrer Kindheit war es eigentlich das erstemal, daß eine dritte Person sie beieinander sah. Und diese Person war ihre Todfeindin. In der ersten Wut wollten sie sich auf sie werfen und sie töten, um das Geheimnis ihres Doppeldaseins zu retten.

Das Kind hatte sich in Zermahs Armen aufgerichtet, und die kleinen Hände ausstreckend, rief es:

»Ich fürchte mich! – Ich fürchte mich!«

Auf einen Wink der beiden Brüder ging Squambo auf die Mestizin los, packte sie bei der Schulter, stieß sie in die Kammer zurück und schloß die Tür hinter ihr.

Dann kehrte er zu den Brüdern zurück, die aus dem Wigwam hinausgetreten waren.

»Zermah muß sterben!« sagte der eine

»Das ist nötig!« stimmte der andere bei. »Wenn sie entwischt oder die Unionstruppen sie uns entreißen, sind wir sonst verloren. So soll sie sterben!«

»Indessen hat es keine Eile. Zermah verschwinden zu lassen, ist immer noch Zeit. Wir brauchen sie, denn sie muß für das Kind sorgen. Wenn die Abteilung der Bundestruppen – die durch den Zypressenwald heranrückt, – hierher kommen sollte, so haben wir immer noch Zeit zu fliehen. Wenn sie nicht hierher kommt, bleiben wir hier und lassen sie noch weiter nach Süden ziehen. Dort ist sie dann in unserer Gewalt, denn bis dahin können wir den Hauptteil der im Territorium herumstreifenden Milizen zusammengezogen haben. Einstweilen mag daher die Mestizin leben bleiben.«

»Gut! Die Hauptsache aber ist, daß wir nichts von ihr zu fürchten brauchen!«

»Auf jeden Fall wird sie über kurz oder lang beiseite gebracht!«

Hiermit schloß die Unterhaltung.

Welch furchtbare Nacht verbrachte die unglückliche Zermah. Sie wußte sich verurteilt und dachte nicht einmal an sich. Aber mußte sie nicht Dy diesen grausamen Menschen lassen? Und würde das arme Kind nicht zu Grunde gehen, wenn Zermah sie nicht mehr würde pflegen können?

Hartnäckig kehrte daher der Gedanke an eine Flucht wieder, und in dieser Nacht, die nicht enden zu wollen schien, dachte die Mestizin an nichts anderes, als diesen Plan zur Ausführung zu bringen. Aus dem belauschten Gespräch hatte sie neben vielen andern Dingen auch das behalten, daß am folgenden Morgen einer der Brüder Texar mit seinen Gefährten die Umgebung des Sees absuchen wolle. Dann würde wahrscheinlich der andere Bruder auf der Insel zurückbleiben, um erstens nicht gesehen zu werden und zweitens über den Wigwam zu wachen. An diesem Vormittag wollte sie die Flucht versuchen.

Die Nacht verfloß. Vergebens versuchte Zermah aus den verschiedenen Geräuschen, die aus der Insel laut wurden, etwas Bestimmtes herauszuhören, und immer dachte sie, die Truppe des Kapitän Howick würde eintreffen, um Texar gefangen zu nehmen.

Wenige Minuten vor Tagesanbruch erwachte die kleine Dy. Zermah gab ihr einen Schluck Wasser zur Erfrischung. Dann sah sie sie an, als sollten ihre Augen sie bald nicht mehr schauen, und drückte sie an die Brust.

»Was hast du, gute Zermah?« fragte das Kind.

»Nichts! – nichts!« murmelte die Mestizin.

»Und Mama – wann werden wir Mama wiedersehen?«

»Bald,« antwortete Zermah. »Vielleicht heute schon! Ja, ich hoffe, Liebling, heute noch werden wir weit weg von hier sein!«

»Und die Männer, die ich heute nacht gesehen habe?«

»Hast du dir die Männer genau angesehen?«

»Ja, ich habe mich so vor ihnen gefürchtet!«

»Aber du hast sie genau gesehen? Hast du gesehen, daß sie einander ähnlich waren?«

»Ja, Zermah.«

»Merk dir, damit du es deinem Vater sagen kannst, und auch deinem Bruder, es wären zwei Brüder – hörst du, zwei Brüder Texar, und sie sähen einander so ähnlich, daß man sie nicht voneinander unterscheiden könne!«

»Und du – wirst du das ihnen auch sagen?«

»Ja, ich auch! Aber wenn ich nicht da bin, dann darfst du es nicht vergessen!«

»Und warum solltest du nicht da sein?« fragte das Kind, die kleinen Arme um den Hals der Mestizin schlingend.

»Ich werde da sein, Liebling, ja doch! – Aber wenn wir jetzt aufbrechen wollen, haben wir einen langen Weg vor uns, und da heißt es Kräfte sammeln. Ich werde dir dein Frühstück machen!«

Nach der Mahlzeit stellte Zermah sich an einen Spalt, der in dem trocknen Schilf offen war, und beobachtete unausgesetzt, was draußen vorging.

Die Vorbereitungen zum Aufbruch wurden getroffen. Einer der Brüder – einer allein – leitete die Bildung der Truppe, die er in dem Zypressenwald führen wollte. Der andere, den niemand gesehen hatte, hatte sich verbergen müssen, entweder im Wigwam oder in irgend einem Winkel der Insel.

In einer Anzahl von etwa 50 Mann waren die Spießgesellen und die Sklaven vereinigt und warteten, daß ihr Anführer Befehl zum Aufbruch geben sollte.

Gegen 9 Uhr morgens setzte die Truppe nach dem Rande des Waldes über. Dies erforderte einige Zeit, da die Barke nur 5-6 Mann auf einmal faßte.

Zermah sah sie in kleinen Gruppen aussteigen, doch konnte sie die Oberfläche des Kanals nicht sehen, da dieser ein wenig unterhalb dem Niveau der Insel gelegen war.

Texar fuhr als letzter hinüber, einer der Hunde, dessen Witterung ihnen bei dem Streifzug zu gute kommen sollte, begleitete ihn.

Im nächsten Augenblick sah Zermah den Spanier an dem Ufer drüben emporsteigen und einen Augenblick mit seiner Truppe Halt machen. Dann verschwanden alle, Squambo und der Hund an der Spitze hinter dem riesigen Schilf unter den ersten Bäumen des Waldes. Jedenfalls hatte einer der Neger die Barke zurückbefördern müssen, damit niemand auf die Insel hinüberkönne. Das hatte Zermah aber nicht sehen können.

Sie zauderte nicht länger.

Dy war eben munter geworden

»Komm, Liebling!« sagte Zermah.

»Wohin?« fragte das Kind.

»Dorthin! – In den Wald! – Vielleicht finden wir dort deinen Vater und deinen Bruder! Du fürchtest dich doch nicht?«

»Mit dir nie!« antwortete das kleine Mädchen.

Nun öffnete die Mestizin vorsichtig ein wenig die Tür ihrer Kammer. Da sie dort kein Geräusch gehört hatte, glaubte sie, Texar könne nicht in dem Wigwam sein.

Es war in der Tat auch niemand drin.

Zuerst suchte Zermah eine Waffe, die sie gegen jeden zu brauchen entschlossen war, der sie aufzuhalten versuchen würde. Auf dem Tisch fand sie eines jener langen Dolchmesser, wie die Indianer sie zur Jagd brauchen. Die Mestizin ergriff es und verbarg es in ihrem Kleide. Sie nahm auch ein wenig getrocknetes Fleisch mit, damit sie auf ein paar Tage mit Nahrung versehen war.

Nun kam es darauf an, aus dem Wigwam hinauszukommen. Durch die Löcher sah Zermah hinaus nach dem Kanal zu. Kein lebendes Wesen war auf diesem Teil der Insel zu sehen, nicht einmal der zweite Hund, der zur Bewachung der Hütte zurückgelassen worden war.

Die Mestizin wollte nun die Tür öffnen.

Die Tür war von außen verschlossen.

Sogleich kehrte Zermah mit dem Kinde in die Kammer zurück. Es blieb ihr nur eins übrig: das Loch zu benutzen, das sie zur Hälfte durch die Strohwand des Wigwams gebrochen hatte.

Das war keine schwere Arbeit. Die Mestizin konnte ja jetzt das Messer gebrauchen und Stroh und Schilf zerschneiden. Sie verfuhr dabei so geräuschlos wie nur möglich.

Als die Oeffnung frei war, zog Zermah das Kind an sich und schloß es inbrünstig in die Arme. Die Kleine gab ihr ihre Küsse mit Leidenschaft zurück. Sie hatte begriffen: es galt zu fliehen, durch dieses Loch zu fliehen.

Zermah glitt durch die Oeffnung. Nachdem sie sich nach rechts und links umgeschaut hatte, lauschte sie. Kein Laut war zu hören. Jetzt kam die kleine Dy aus dem Loch hervor.

In diesem Augenblick erscholl ein Bellen. Noch sehr entfernt, schien es aus dem westlichen Teil der Insel zu kommen. Zermah hatte das Kind ergriffen. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Sie konnte sich nicht eher einigermaßen in Sicherheit glauben, als bis sie hinter dem Schilf am andern Ufer verschwunden wäre.

Aber etwa 100 Schritt weit von dem Wigwam bis zum Kanal zu laufen, das war die erste große Schwierigkeit, die ihr Fluchtversuch mit sich brachte. Die Gefahr war zu nahe, von Texar oder den auf der Insel zurückgebliebenen Sklaven gesehen zu werden.

Glücklicherweise stand rechts neben dem Wigwam ein dichtes Gebüsch baumartiger Sträucher, mit Schilf vermischt. Das erstreckte sich bis an den Rand des Kanals. Von dort aus waren es nur wenige Meter bis zu der Stelle, wo die Barke sich befinden mußte.

Zermah beschloß, in dieses Dickicht einzudringen. Die hohen Pflanzen ließen die Flüchtlinge durch und schlossen sich hinter ihnen wieder. Das Bellen des Hundes war nicht mehr zu hören.

Durch dieses Dickicht zu gehen, war jedoch nicht leicht, und bald waren Zermahs Kleider zerrissen, und ihre Hände bluteten. Aber das machte ihr nichts aus, wenn nur das Kind nicht von den langen Dornen verletzt wurde. Aber trotz aller Sorgfalt bekam die Kleine doch mehrere Risse an Händen und Armen; Dy schrie nicht, noch klagte sie.

Obwohl die Entfernung verhältnismäßig kurz war, brauchten sie doch eine halbe Stunde, um den Kanal zu erreichen.

Zermah machte nun Halt und sah zurück nach dem Wigwam und dann in den Wald hinein.

Auf der Insel war niemand zu sehen. Am andern Ufer deutete nichts auf die Nähe Texars und seiner Gefährten, die wohl schon ein paar Meilen weit im Innern des Waldes sein mochten. Auch wenn sie mit den Nordstaatlern nicht zusammentrafen, konnten sie doch erst in einigen Stunden zurück sein.

Indessen konnte Zermah nicht glauben, daß sie im Wigwam allein gelassen worden sei. Das war nicht anzunehmen, auch nicht, daß derjenige der beiden Brüder, der in der vorigen Nacht gekommen war, in dieser Nacht die Insel verlassen hätte. Und hatte sie nicht auch den Hund bellen hören? Jeden Augenblick mußte sie darauf gefaßt sein, daß entweder der eine Texar oder der Hund zum Vorschein kommen würde.

Zermah zweifelte nun nicht daran, daß einer der Sklaven die Barke wieder herübergerudert hätte. Das war für die Sicherheit des Wigwams von Wichtigkeit für den Fall, daß die Soldaten des Kapitän Howick mit den Südstaatlern zusammenträfen.

Und doch! Wenn die Barke am andern Ufer gelassen worden war, um eine raschere Ueberfahrt Texars und seiner Gefährten zu ermöglichen, wenn die Nördlichen ihnen zu sehr auf dem Fuße folgten, wie sollte die Mestizin dann das andere Ufer erreichen?

Zermah schlich durch das Schilf hin nach der nur wenige Meter entfernten Stelle. Dort blieb sie stehen.

Die Barke lag am andern Ufer.


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