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Sechstes Kapitel. Saint-Augustine

Saint-Augustine ist eine der ältesten Städte von Nord-Amerika, schon im 15. Jahrhundert erbaut worden und gilt als die Hauptstadt der Grafschaft Saint-Johns, zählt aber, ihrer verhältnismäßig großen Ausdehnung ungeachtet, nicht ganz 3000 Einwohner.

Spanischen Ursprungs, hat die Stadt ihren altertümlichen Charakter ziemlich gut gewahrt. Sie steht auf der äußersten Spitze einer Küsteninsel. Kriegs- oder Handelsschiffe können sichere Zuflucht finden in ihrem gegen die an dieser gefährlichen Küste Floridas unterbrochen tobenden Seewinde ziemlich geschützten Hafen. Indessen liegt vor demselben die durch die Schlagwasser des Golfstroms gebildete, schwer passierbare Barre.

Wie alle Städte, die von zuviel Sonne zu leiden haben, hat Saint-Augustine enge Straßen. Dank ihrer Lage und der Brise vom Meere, die morgens und abends die Luft erfrischt, ist das Klima der Stadt äußerst mild, die für die Vereinigten Staaten ungefähr dasselbe ist, was Nizza oder Mentone unter dem Himmel der Provence für Frankreich bedeuten.

Die eigentliche Stadt zeigt ein streng spanisches Bild. Die Häuser haben fest vergitterte Fenster, im Innern den herkömmlichen »Patio« – einen von schlanken Säulen eingeschlossenen Hof mit phantastischen Giebeln und steinernen, an Altarblätter erinnernden Balkons. Hin und wieder, an einem Sonn- oder Festtage, strömt alles aus den Häusern hinaus auf die Straßen, die dann ein wunderliches Durcheinander von Senoras, Negerinnen, Mulattinnen und Halbindianerinnen, von Negern und Negrillos, von englischen Misses und Misters, von anglikanischen Geistlichen, spanischen Mönchen und katholischen Pfaffen zeigen, die fast alle, auch auf dem Kirchgange, die Zigarette im Munde haben.

Saint-Augustine ist der Sitz eines der sechs Gerichtshöfe, die im Staate Florida amtieren. Hierher war, wie schon gesagt, Texar transportiert worden. Hier sollte ihm der Prozeß gemacht werden. Der »Fall Texar« hatte in der Grafschaft die Gemüter stark erregt.

Allem Anschein nach sollte sich jetzt der letzte Akt in dem Kampfe zwischen diesem schlimmen Subjekt und der Familie Burbank abspielen. Der Menschenraub war ganz dazu angetan, die öffentliche Meinung leidenschaftlich zu erhitzen, die sich übrigens stark auf die Seite des Pflanzers von Camdleß-Bai neigte. Daß Texar den Menschenraub verübt hatte, stand für jedermann außer Zweifel. Selbst für Leute, die dem Falle gleichgiltig gegenüberstanden, mußte es interessant sein zu beobachten, wie sich dieser Mensch aus dem Prozesse herauswinden würde. Kurz, es war sozusagen ganz Augustine gespannt, ob Texar nicht doch endlich Strafe finden würbe für all die Missetaten, bereit man ihn seit langer Zeit beschuldigte.

Die Aufregung wuchs. Von den benachbarten Pflanzungen strömten die Leute nach der Stadt. Einen Hauptpunkt der Anklage bildete die Plünderung und Verwüstung der Pflanzung von Camdleß-Bai, und da von den Südstaatlerhorden auch andere Ansiedlungen verheert worden waren, sah man der Stellung, welche die Bundesregierung zu dem Falle nehmen würde, mit großem Interesse entgegen.

Im ersten Hotel der Stadt, im »City-Hotel«, einem Musterbau aus altspanischer Zeit, waren Gäste über Gäste eingekehrt, die durchweg von Sympathien für die Familie Burbank erfüllt waren. Hier hatten auch James und Gilbert Burbank, Herr Stannard mit seiner Tochter und Mars Quartier genommen. Alice sollte bei dem Prozeß als Hauptbelastungszeugin erscheinen: sie war ja gerade, als Zermah den Namen Texar rief, an der Marino-Krampe gewesen und hatte diesen Schurken in dem Kahne, der ihn hinwegführte, ganz deutlich erkannt.

Indessen würde man fehlgehen, wenn man meinen wollte, Texar sei von all seinen Parteigängern aufgegeben worden. Im Gegenteil! unter den kleinen Pflanzern der Grafschaft, fast durchweg verbissene Sklavenhalter, zählte er viele Freunde. Anderseits hatten seine Jacksonviller Genossen, seit sie wußten, daß sie für ihre Exzesse keine Strafe zu gewärtigen hätten, ihren alten Anführer nicht im Stiche lassen mögen. Eine große Zahl von ihnen hatte sich in Saint-Augustine Rendez-vous gegeben. Freilich, im »Patio« des City-Hotels hätte man sie nicht suchen dürfen. Aber es mangelte in Saint-Augustine nicht an »Tiendas«, Schenken oder Butiken, in denen von allem, was sich essen, trinken, rauchen läßt, etwas verkauft wird. Dort fanden all diese Leute niedriger Herkunft und zweifelhaften Rufes der Brandreden für Texar kein Ende.

Kommodore Dupont war momentan nicht in Saint-Augustine, sondern mit seinem Geschwader auf Küstenfahrt, um über alle Hafenplätze die Blockade zu verhängen und hierdurch dem Schmuggel mit Kriegsbedarf die Adern zu unterbinden. Aber die Stadt wurde von den gelandeten Mannschaften scharf bewacht. Weder von der südstaatlichen Armee noch von den auf dem Rückzüge befindlichen Miliztruppen stand etwas zu befürchten. Hätten also Texars Parteigänger eine Revolte versuchen wollen, um die Stadt den Bundestruppen zu entreißen, so würden sie auf der Stelle in die Pfanne gehauen worden sein.

Der Spanier war aus einem der unter Stevens' Kommando gestellten Kanonenboote von Jacksonville nach Picolata und von dort unter sicherem Geleit nach Saint-Augustine transportiert worden. Dort hatte er Unterkunft in einer Zelle des Forts gefunden, aus welcher Flucht unmöglich gewesen wäre. Uebrigens ließ sich, da er sich selbst dem Gericht gestellt hatte, wohl kaum annehmen, daß er sich mit Fluchtgedanken trüge. Das wußten seine Parteigänger auch recht gut. Sollte er diesmal verurteilt werden, nun! so würde man ja sehen, was man zu tun habe, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Vorderhand mußte man sich aber ruhig verhalten.

In Abwesenheit des Kommodore fielen die Funktionen als Militär-Oberhaupt der Stadt dem Colonel Gardner zu; ihm gehörte auch der Vorsitz über den Kriegsrat, der in einem der größeren Räume des Forts über Texar zu Gericht sitzen sollte.

Um 11 Uhr vormittags begann die Verhandlung. Ein zahlreiches Publikum füllte den Audienzsaal. Unter denen, die den meisten Lärm machten, ließen sich Freunde oder Parteigänger des Angeklagten vermuten.

James Burbank, Gilbert Burbank, Herr Stannard mit seiner Tochter und Mars nahmen auf der Zeugenbank Platz. Was sofort auffiel, war, daß kein einziger Entlastungszeuge zur Stelle war. Es schien, als habe sich der Angeklagte nach dieser Richtung hin gar keine Mühe gegeben: ob er alles Zeugnis zu seinen Gunsten verschmäht oder kein Zeugnis zu seinen Gunsten hatte auftreiben können, mußte sich ja bald herausstellen. Jedenfalls schien um deswillen niemand an dem Ausgange des Prozesses Zweifel zu fassen.

James Burbanks hatte sich jedoch eine unerklärliche Ahnung bemächtigt. Hatte er nicht in Saint-Augustine schon einmal Klage gegen Texar geführt? hatte der Spanier sich nicht durch ein geschickt ersonnenes Alibi den Armen der Justiz zu entziehen gewußt? Auch in der Zuhörerschaft konnte die Erinnerung an diesen früheren Fall, der ja nur mit einige Wochen zurück lag, nicht ganz geschwunden sein.

Texar wurde kurz nach Eröffnung der Sitzung durch Beifrone in den Saal und auf die Anklagebank geführt, auf der er ruhig und gelassen Platz nahm. Die ihm angeborene Frechheit ließ sich, wie es aussah, durch nichts und unter keinen Umständen erschüttern. Mit geringschätzigem Lächeln maß er seine Richter, einen zuversichtlichen Blick hatte er für seine im Saale anwesenden Freunde, einen Blick voll Haß und Gift warf er auf James Burbank: mit solchem Benehmen sah er der Eröffnung des Verhörs durch Colonel Gardner entgegen.

James Burbank und Gilbert Burbank konnten gleich Mars dem Manne gegenüber, der ihnen soviel Böses getan, kaum ihre Ruhe bewahren.

Das Verhör begann mit den üblichen Formfragen behufs Feststellung der Persönlichkeit des Angeklagten.

»Ihr Name?« fragte Oberst Garner.

»Texar.«

»Ihr Alter?«

»Fünfunddreißig Jahre.«

»Ihr Domizil?«

»Jacksonville – Tienda von Torillo.«

»Ich frage nach Ihrem gewöhnlichen Domizil.«

»Ein solches habe ich nicht.«

Wie schlugen James Burbank und den Seinen die Herzen, als sie aus dem Munde des Angeklagten solche Antwort, in einem Tone gegeben, vernahmen, der den festen Willen, über seinen Wohnort nichts bekannt werden zu lassen, verriet.

Trotz aller eindringlichen Fragen des Präsidenten beharrte Texar auch wirklich bei dieser Aussage. Er gab sich für einen Nomaden, für einen Waldläufer, Trapper, Mordbrenner, Fallensteller aus, der in Baumhütten nächtige, vom Ertrag seiner Büchse und Fallen lebe, aber weder dauernden Wohnsitz noch feste Einnahme habe. Etwas anderes war nicht aus ihm herauszubringen.

»Nun, lassen wir das!« entschied Colonel Gardner; »schließlich hat es wenig zu sagen.«

»Stimmt in der Tat!« versetzte Texar frech; »setzen wir meinethalben, Colonel, als mein Domizil das Fort Marion von Saint-Augustine, worin man mich wider alles Recht gefangen hält. Wessen bin ich übrigens angeklagt?« setzte er hinzu, gleich als ob er dieses Verhör von Anfang an selber leiten wolle.

»Texar,« erwiderte hierauf Colonel Gardner, »Sie stehen nicht unter Anklage wegen der in Jacksonville vorgefallenen Dinge. Eine Proklamation des Kommodore Dupont verkündigt, daß die Bundesregierung sich in Lokalaufstände nicht zu mischen gedenkt; Florida steht jetzt wieder unter dem Bundesbanner, und die Bundesregierung wird demnächst zu seiner Neugestaltung schreiten.«

»Wenn ich nicht wegen Umsturzes der städtischen Gewalt von Jacksonville unter Anklage stehe, unternommen im Verein mit der Mehrheit der Einwohnerschaft,« fragte Texar, »warum stehe ich dann hier vor dem Kriegsgericht?«

»Das will ich Ihnen sagen, weil Sie so tun, als ob Sie es nicht wissen,« erwiderte Colonel Gardner; »Verbrechen gegen das gemeine Recht sind begangen worden, während Sie die Funktionen als erster Vertreter der Stadtbehörde ausübten. Sie stehen unter Anklage, die Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten aufgereizt zu haben.«

»Zu was für Gewalttätigkeiten?«

»In erster Linie handelt es sich um die Plünderung der Pflanzung von Camdleß-Bai, die durch eine Schar von Missetätern überfallen worden ist.«

»Im Verein mit einer Miliztruppe unter Befehl eines Miliz-Offiziers,« setzte lebhaft der Spanier hinzu.

»Zugegeben, Texar! aber im Konnex damit haben Plünderung, Raub und Brandstiftung gestanden, auch Angriff mit bewaffneter Hand auf Haus und Wohnung eines Ansiedlers, dessen Recht es war, gegen solch gewalttätiges Vorgehen sich zu wehren: – was derselbe auch getan hat!«

»Dessen Recht es war?« antwortete, die Worte des Richters wiederholend, der Angeklagte – »das Recht lag nicht auf der Seite desjenigen, welcher den Befehlen eines rechts- und ordnungsmäßig eingesetzten Bürgerausschusses den Gehorsam weigerte. James Burbank, um den es hier ja handelt, hatte seine Sklaven in Freiheit gesetzt und hierdurch die öffentliche Meinung, die in Florida wie bei der Mehrzahl der südlichen Unionsstaaten auf seiten der Sklavenhalter steht, herausgefordert. Eine solche Handlung konnte zu schwerem Unheil auf den anderen Pflanzungen des Staates führen, denn sie reizte die Neger zu hellem Aufstand. Der Bürgerausschuß von Jacksonville hat den Beschluß gefaßt, daß unter den dermaligen Zeitverhältnissen dagegen eingeschritten werden müsse. Wenn er auch den durch James Burbank in solch unkluger Weise proklamierten Freilassungsakt nicht für gänzlich ungiltig erklärte, so hat er doch wenigstens soviel durchzusetzen für Recht erachtet, daß diese neuen freien Männer des Landes verwiesen würden. Da James Burbank dieser Verordnung des Bürgerausschusses Widerstand entgegensetzte, hat der Ausschuß mit Gewalt vorgehen müssen: und aus diesem Grunde hat die Miliz im Verein mit einem Teile der Bevölkerung die Austreibung der ehemaligen Sklaven der Pflanzung Camdleß-Bai bewirkt.«

»Texar,« entgegnete der Colonel Gardner, »Ihr behandelt diese Gewalttätigkeiten von einem Gesichtspunkte aus, den das Kriegsgericht nicht für zulässig gelten lassen kann. James Burbank hat als Nordstaatler von Geburt im vollsten Recht gehandelt, wenn er seine Sklaven freiließ. Die Exzesse, deren Schauplatz seine Besitzung gewesen, lassen sich mithin durch nichts entschuldigen.«

»Ich möchte meiner Meinung nach,« versetzte Texar, »Zeit verschwenden, wollte ich vor dem Kriegsgericht meine Ansichten erörtern. Der Bürgerausschuß von Jacksonville hat nach seiner Auffassung gehandelt, wie es ihm die Notwendigkeit vorschrieb. Stehe ich als Vorsitzender des Bürgerausschusses unter Anklage und will man mir persönlich für seine Handlungen die Verantwortlichkeit zuschieben?«

»Jawohl, Ihnen persönlich, Texar, denn Sie waren nicht bloß Vorsitzender dieses Ausschusses, sondern Sie haben die gegen Camdleß-Bai losgelassenen Räuberbanden persönlich kommandiert.«

»Das müssen Sie zunächst beweisen!« antwortete hierauf Texar kalt; »hat mich ein einziger Zeuge unter den Bürgern und Milizsoldaten gesehen, die zur Ausführung der Befehle des Ausschusses kommandiert waren?«

Zufolgedessen rief Colonel Gardner James Burbank als Zeugen vor.

James Burbank erzählte die Vorgänge, wie sie sich von da ab zugetragen, seit Texar mit seinen Parteigängern die rechtmäßigen Behörden von Jacksonville abgesetzt hatte. Den Schwerpunkt seiner Aussage legte er aus den Umstand, daß Texar den Pöbel auf seine Pflanzung gehetzt hatte. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er beschwören könne, Texar selber unter den Stürmenden gesehen zu haben, mußte er indes mit einem Nein antworten.

»Auf alle Fälle steht es aber für niemand außer Zweifel,« setzte James Burbank hinzu, »daß den Angeklagten alle Verantwortlichkeit für dieses Verbrechen trifft. Kein anderer als er hat die Räuberhorden aus die Pflanzung von Camdleß-Bai gehetzt, und daß mein Haus und Hof mit seinen letzten Verteidigern nicht von den Flammen zerstört worden ist, hat wahrlich nicht an ihm gelegen. Ganz ohne Frage hat er bei all diesen Vorgängen die Hand im Spiele gehabt, und ganz ohne Frage werden wir seine Hand bei noch schlimmeren Verbrechen im Spiele finden!«

Darauf schwieg James Burbank. Bevor der zweite Punkt der Anklage, der Menschenraub, zur Verhandlung kommen konnte, war es notwendig, den ersten Punkt derselben, den Ueberfall von Camdleß-Bai vollständig zu erledigen.

»Sie stehen also auf dem Standpunkt,« nahm nun Colonel Gardner, zu dem Angeklagten gewandt, wieder das Wort, »daß Sie persönlich nur zum Teil die Verantwortlichkeit treffen könne? daß dieselbe eigentlich ganz auf den Bürgerausschuß falle, dessen Befehle lediglich in Ausführung gesetzt worden seien?«

»Unbedingt.«

»Und Sie halten Ihre Behauptung aufrecht, nicht an der Spitze der Horden, die Camdleß-Bai verwüsteten, gestanden zu haben?«

»Diese Behauptung halte ich aufrecht,« versetzte Texar; »kein einziger Zeuge kann unter seinem Eide aussagen, daß er mich gesehen habe. Nein! ich habe mich nicht unter den Reihen der mutigen Bürger befunden, welche die Befehle des Bürgerausschusses zur Durchführung bringen wollten – und hinzusetzen will ich noch, daß ich an diesem Tage überhaupt nicht in Jacksonville, sondern von Jacksonville abwesend war.«

»Allerdings! – möglich ist das schließlich!« ergriff nun wieder James Burbank das Wort, weil er den Augenblick für gekommen erachtete, zum zweiten Punkte der Anklage hinüberzuleiten.

»Gewiß ist es,« versetzte Texar.

»Wenn aber der Angeklagte,« bemerkte James Burbank weiter, »sich nicht unter den Horden, die Camdleß-Bai plünderten, befunden hat, so nur deshalb, weil er an der Marino-Krampe die Gelegenheit zu einem anderen Verbrechen abpaßte!«

»Ich bin auch nicht an der Marino-Krampe gewesen,« versetzte mit frecher Stirn Texar, »so wenig wie unter den Reihen der Angreifer! ich wiederhole, daß ich an diesem Tage überhaupt nicht in Jacksonville war!«

Nicht vergessen haben wird der Leser, daß auch John Bruce ebenfalls James Burbank gegenüber erklärt hatte, daß Texar sich nicht unter den Angreifern befunden habe, auch in Jacksonville selber 48 Stunden lang, vom 2. zum 4. März, nicht zu sehen gewesen sei.

Dieser Umstand wurde für den Vorsitzenden des Kriegsgerichts Veranlassung zur Stellung folgender Frage:

»Wenn Sie an diesem Tage nicht in Jacksonville waren, Angeklagter! so sagen Sie uns doch, wo Sie dann waren?«

»Die Antwort hierauf werde ich geben, wenn die Zeit dazu da ist,« lautete Texars einfache Antwort: »vorläufig genügt es mir, festgestellt zu haben, daß ich an dem Sturm auf die Pflanzung nicht persönlich teilgenommen habe. Und nun, Herr Colonel! bitte, wessen werde ich nun noch angeklagt?«

Mit gekreuzten Armen, einen frecheren Blick als je bisher auf seine Richter werfend, harrte Texar der Antwort. Die Anklage ließ nicht auf sich warten. Diesmal formulierte sie der Vorsitzende, Colonel Gardner, selbst, und diesmal war es sicher nicht leicht, Rede und Antwort zu stehen.

»Sofern Sie nicht in Jacksonville gewesen sind, Angeklagter,« sprach derselbe, »so wird vom Ankläger mit Fug und Recht behauptet, daß Sie in der Marino-Krampe waren.«

»In der Marino-Krampe? – Mit Fug und Recht? – Woher dies Fug und Recht? – und was hätte ich dort zu tun gehabt?«

»Ein Kind haben Sie geraubt oder rauben lassen, Diana Burbank, James Burbanks Tochter, und mit dem Kinde zugleich Zermah, die Ehefrau des hier anwesenden Mestizen Mars, die bei diesem Kinde war.«

»So? dieses Raubes klagt man mich an?« fragte Texar mit beispielloser Ironie.

»Jawohl! – Euch klagt man dessen an!« riefen, außer stande, noch länger an sich zu halten, James und Gilbert Burbank und Mars.

»Und warum, wenn ich bitten darf, soll gerade ich das gewesen sein, und niemand sonst?«

»Weil Sie allein Interesse daran hatten, daß dieses Verbrechen verübt wurde!« lautete die Erwiderung des Colonels Gardner.

»Ich Interesse? – und was für Interesse?«

»Sie wollten Rache an Burbanks üben! Schon mehrfach hat James Burbank sich in der Zwangslage befunden, Klage gegen Sie anzustrengen. Wenn Sie auch durch geschickte Alibi-Beweise sich bisher vor Verurteilung zu schützen wußten, so haben Sie doch wiederholt die Absicht ausgesprochen, sich an Ihren Anklägern rächen zu wollen!«

»Mag sein!« versetzte Texar; »daß zwischen James Burbank und mir ein unauslöschlicher Haß besteht, stelle ich nicht in Abrede, auch nicht, daß ich Interesse daran hatte, ihn durch Verschwindenlassen seines Kindes ins Herz zu treffen. Aber ob ich der diesfallsige Täter gewesen, ist eine andere Sache! Ist ein Zeuge zur Stelle, der mich gesehen hat?«

»Ja,« antwortete Colonel Gardner und rief Alice Stannard auf, unter ihrem Eide ihre Aussage zu geben.

Fräulein Alice erzählte nun, was an der Marino-Krampe vorgegangen sei, wobei sie nicht verhindern konnte, daß ihr die Erregung zu wiederholten Malen das Wort abschnitt. Betreffs der inkriminierten Tatsache äußerte sie sich ganz bestimmt. Beim Austritt aus dem Tunnel hätten sowohl Frau Burbank als sie selber einen von Zermah geschrieenen Namen vernommen, und dieser Name hätte Texar gelautet. Beide wären, als sie auf die Leichen der erschlagenen Neger stießen, zum Flußufer gerannt. Zwei Kähne seien abgestoßen, in dem einen seien die beiden Opfer hinweggeführt worden, in dem Hinterschiff des andern habe Texar gestanden. Ein Feuerschein sei von Camdleß-Bai auf die Boote gefallen, und in diesem Scheine habe sie den Spanier ganz deutlich erkannt.

»Das beschwören Sie?« fragte Colonel Gardner.

»Das beschwöre ich!« antwortete klar und bestimmt das junge Mädchen.

Nach solch unumwundener Zeugenaussage konnte über Texars Schuld im Sinne der Anklage kein Zweifel mehr obwalten: und doch konnten sowohl James Burbank als seine Freunde und das gesamte Auditorium bei dem Angeklagten nicht die geringste Verringerung seiner Sicherheit wahrnehmen.

»Was haben Sie auf diese Zeugenaussage zu antworten?« fragte der Kriegsgerichtsvorsitzende.

»Folgendes,« versetzte der Spanier: »der Gedanke, die Zeugin Alice Stannard falscher Aussage zu bezichtigen, liegt mir ferne; ebenso will ich sie nicht beschuldigen, daß sie sich dem Hasse der Familie Burbank dienstbar erwiesen habe dadurch, daß sie unter ihrem Eide ausgesagt hat, ich sei der Urheber eines Raubes, von welchem ich erst nach meiner Verhaftung Kunde erhielt. Bloß eines behaupte ich: daß sie nämlich sich irrt, wenn sie behauptet, mich auf einem der Boote stehend gesehen zu haben, die aus der Marino-Krampe sich entfernten.«

»Sollte sich aber,« wandte Colonel Gardner ein, »die Zeugin in dieser Hinsicht wirklich geirrt haben, so kann sie sich doch nicht in dem andern Teil ihrer Aussage irren, daß sie Zermah habe schreien hören: Zu Hilfe! zu Hilfe! Texar ist hier!«

»Nun,« versetzte der Spanier, »wenn sich die Zeugin nicht geirrt hat, so muß sich Zermah geirrt haben – weiter kann ich nichts sagen.«

»Zermah sollte geschrieen haben: Texar ist hier! ohne daß Sie im Augenblick des Raubes gegenwärtig gewesen wären?«

»Es muß wohl so sein, da ich nicht in dem Boote war und gar nicht in der Marino-Krampe gewesen bin.«

»Das müßte bewiesen werden!«

»Wenngleich es nicht meine Sache ist, solchen Beweis beizubringen, sondern Sache meiner Ankläger, so soll mir das nicht sonderlich schwer fallen.«

»Wieder ein Alibi?« fragte Colonel Gardner.

»Wiederum ein Alibi!« wiederholte frostig Texar.

Ob dieser Antwort des Angeklagten ging durch das Auditorium eine spöttische Bewegung, begleitet von einem Gemurmel des Zweifels, die für den Angeklagten nichts weniger als günstig war.

»Texar,« fragte der Colonel, »da Sie mit einem neuen Alibi auftreten, können Sie wohl auch den Beweis dafür bringen?«

»Kinderleicht,« versetzte der Spanier, »und hierzu werden wenige Fragen hinreichen. Darf ich sie stellen, Colonel?«

»Sprechen Sie, Angeklagter!«

»Colonel Gardner! waren Sie nicht Kommandeur über die Landungstruppen, als Fernandina und Fort Clinch von der Bundesarmee genommen wurden?«

»Allerdings.«

»Zweifellos besinnen Sie sich noch darauf, daß ein auf der Flucht nach Cedar-Keys begriffener Bahnzug auf der Brücke zwischen der Insel Amelia und dem Festlande von dem Kanonenboote »Ottawa« angegriffen wurde?«

»Ganz genau.«

»Der letzte Wagen dieses Zuges entgleiste, wie Sie dann gleichfalls noch wissen werden, auf der Brücke, ein Truppenkommando nahm alle im Wagen befindlichen Flüchtlinge fest und stellte Namen und Signalement jedes einzelnen fest. Infolge dieser Formalitäten kamen sie erst 48 Stunden nach ihrer Gefangennahme wieder in Freiheit.«

»Das ist mir bekannt,« entgegnete Colonel Gardner.

»Nun, unter diesen Gefangenen habe ich mich befunden.«

»Sie?«

»Jawohl – ich!«

Ein neues, noch unwilligeres Gemurmel nahm diese so unvermutete Erklärung auf.

»Da nun,« fuhr Texar fort, »diese Gefangenen vom 2. bis zum 4. März festgehalten wurden und die mir zur Last gelegte Plünderung sowohl als der Menschenraub in der Nacht des 3. März stattgefunden haben, so ist es an sich ein Ding der Unmöglichkeit, daß ich dabei die Hand im Spiele hatte. Alice Stannard kann also aus Zermahs Munde nicht meinen Namen vernommen haben. Alice Stannard kann mich also auch nicht gesehen haben, denn ich wurde ja doch zur selben Zeit von den Bundesbehörden festgehalten.«

»Das ist erlogen!« rief James Burbank; »das kann nicht sein!«

»Und ich bleibe bei meiner eidlichen Aussage,« setzte Alice hinzu, »daß ich diesen Menschen gesehen und erkannt habe.«

»Ich bitte, die Akten einzusehen,« begnügte Texar sich zu antworten.

Colonel Gardner ließ unter den, dem Commodore Dupont in Saint-Augustine übergebenen Akten dasjenige Stück herauslangen, welches die Gefangenen namentlich aufzählte, die bei der Einnahme von Fernandina in dem Eisenbahnzuge, der nach Cedar-Keys abgelassen worden war, gemacht worden waren. Aus diesem Aktenstück wurde festgestellt, daß der Name Texar darin vorkam, und daß das dem Namen beigefügte Signalement auf den Angeklagten paßte.

Von Zweifel konnte mithin nicht länger die Rede sein. Die Anklage gegen den Spanier, soweit sie den Menschenraub betraf, mußte fallen gelassen werden. Alice Stannard hatte sich in der Behauptung, ihn erkannt zu haben, geirrt. An diesem Abend konnte Texar nicht an der Marino-Krampe gewesen sein. Seine achtundvierzigstündige Abwesenheit von Jacksonville erklärte sich auf ganz natürliche Weise: er war an Bord eines Schiffes des Bundesgeschwaders gefangen gehalten worden.

Also auch diesmal wieder ein unanfechtbares Alibi: ein Alibi, das sich auf eine amtliche Urkunde stützte, durch welches Texar von dem Verbrechen, dessen man ihn anklagte, gereinigt wurde. James Burbank, Gilbert Burbank, Mars und Fräulein Alice wurden durch die Entwicklung, welche dieser Prozeß nahm, aufs schmerzlichste betroffen. Abermals entschlüpfte ihnen Texar, und hiermit wurden sie jeder Möglichkeit, festzustellen was aus Dy und Zermah geworden, verlustig.

Angesichts dieses vom Angeklagten beigebrachten Alibis konnte über den Urteilsspruch des Kriegsgerichts kein Zweifel herrschen. Texar wurde von der gegen ihn erhobenen Anklage in allen ihren Punkten freigesprochen, und erhobenen Hauptes, umtost von dem Hurrageschrei seiner Anhänger, verließ er den Gerichtssaal. Noch am selben Abend hatte der Spanier Saint-Augustine verlassen: nach welcher Gegend Floridas er sich gewandt, wo er sein geheimnisvolles Abenteurer-Leben weiterzuführen gedachte, das zu sagen wäre niemand imstande gewesen.


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