Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Zweiter Band
Jules Verne

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XIII. Die letzten Wechselfälle im Match Hypperbone

Wir brauchen wohl kaum die Gemüthsverfassung Lissy Wag's zu schildern, als das junge Mädchen sich von Max Real verabschiedet hatte, um dessen Platz in Richmond einzunehmen. Als sie am Abend des 13. abgereist war, konnte sie ja nicht ahnen, daß schon am nächsten Tage das Schicksal für Max Real dasselbe wie für sie thun, das heißt, ihn schon befreien und ihm Gelegenheit geben sollte, auf dem weiten Rennfelde der Vereinigten Staaten »wieder in die Linie einzurücken«.

Eine Beute ihrer quälenden Gefühle und in ihre Gedanken vertieft, saß Lissy Wag in einer Ecke des Coupés, und Jovita Foley, die dicht neben ihr Platz genommen hatte, unterließ es, ihre Gefährtin durch hier unangebrachtes Geplauder zu stören.

Von Saint-Louis nach Richmond rechnet man nur siebenhundert Meilen (1120 Kilometer) durch Missouri, Kentucky und West- und Ostvirginien. Am Morgen des 14. erreichten die beiden jungen Mädchen also Richmond, wo sie das nächste Telegramm des Notar Tornbrock abwarten sollten. Andrerseits wissen wir, daß Max Real beschlossen hatte, Saint-Louis nicht eher zu verlassen, als bis der Ausfall des Würfelns am 20. bekannt geworden wäre, da er sich an den Gedanken klammerte, Lissy Wag vielleicht begegnen zu können, wenn er sich nach Philadelphia begab, um dort an Tom Crabbe's Stelle zu treten.

Man kann sich wohl leicht die Freude der beiden Freundinnen vergegenwärtigen – eine Freude, die bei der einen gewiß lebhaft, aber doch still, bei der andern laut und demonstrativ zu Tage trat – als sie gleich bei ihrer Ankunft aus den Richmonder Tageszeitungen die Befreiung Max Real's erfuhren.

»Siehst Du nun, meine Liebe,« erklärte Jovita Foley vor Aufregung zitternd, »es giebt doch einen Gott! – Manche Leute behaupten ja, es gebe keinen! . . . Diese Thoren! Wenn es keinen gäbe, würden für Tom Crabbe wohl jemals diese fünf Augen gefallen sein? . . . Nein! Die Vorsehung weiß schon, was sie thut, und wir müssen ihr dankbar sein . . .«

»Von ganzem Herzen!« vollendete Lissy Wag, die in tiefster Erregung war, die Worte ihrer Gefährtin.

»Das Glück des einen ist freilich oft genug das Unglück des andern,« fuhr Jovita Foley fort. »Ich habe mir auch schon immer gedacht, daß es auf Erden nur eine gewisse Summe von Glück für die Menschen giebt, und daß sich jeder sein Theil davon zum Nachtheil des andern aneignet!«

Das merkwürdige Mädchen erging sich jetzt gar in philosophischen Betrachtungen! Wenn es in dieser niedern Welt aber auch nur eine gewisse Summe von Frohsinn giebt, dann ließ sie, die einen Löwenantheil davon in Anspruch nahm, andern gewiß wenig übrig.

»Da sitzt also nun, schwätzte sie weiter, Tom Crabbe an Stelle Max Real's im Gefängniß! . . . Meiner Treu, desto schlimmer für ihn, wenn ihn der Commodore Urrican nicht etwa noch ablöst. Wenn es aber dazu käme, möchte ich der Marinebombe wahrlich nicht in den Weg laufen!«

Vorläufig galt es nun, den 20. geduldig abzuwarten. In den sechs Tagen bis dahin mußte ja die Zeit recht angenehm verlaufen, wenn die Freundinnen sich die große Stadt Richmond ansahen, deren Schönheit Max Real so warm gepriesen hatte. Noch schöner wäre sie in ihren Augen freilich gewesen, wenn der junge Maler sie bei ihren Ausgängen begleitet hätte. So äußerte sich wenigstens Jovita Foley, und Lissy Wag mochte wohl derselben Meinung sein.

Im Hôtel verweilten die beiden so wenig wie möglich. Dadurch entgingen sie den Interviewern der virginischen Zeitungen, die die Anwesenheit der fünften Partnerin in Richmond mit lautem Trommelschlag verkündet hatten. Zum größten Verdruß Lissy Wag's hatten einige Zeitungen sogar ihr Porträt und das Jovita Foley's gebracht, was »ihrem zweiten Ich«, wie die Leute sagten, dagegen großen Spaß machte. Und war das nicht erklärlich gegenüber dem Interesse, das ihnen bei ihren Spaziergängen bewiesen wurde?

Gewiß! Wie begrüßten alle Leute die beiden reichen Erbinnen, seit ihnen kein anderer voraus war, als der räthselhafte X. K. Z., an dessen Existenz die meisten übrigens gar nicht glauben wollten. Jetzt war Lissy Wag in den Wettbureaus und auf den Märkten der Union die, die am dringendsten verlangt wurde.

»Ich nehme Lissy Wag!«

»Ich biete Kymbale gegen Lissy Wag an!«

»Ich Titbury!«

»Wer will Titbury haben?«

»Hier ist Titbury . . .«

»Und Tom Crabbe gleich paketweise!«

»Wer hat noch Real?«

»Wer hat Lissy Wag abzugeben?«

Etwas anderes hörte man gar nicht mehr, und man kann sich daher wohl vorstellen, welche Summen in den Vereinigten Staaten wie im Auslande auf den Sieg der fünften Partnerin verwettet sein mochten. Durch zwei glückliche Würfe konnte sie das Ziel erreichen und damit, selbst bei einer Theilung mit ihrer treuen Gefährtin, im Lande der Dollars eine der reichsten Erbinnen werden, die im Goldnen Buche Amerikas eingetragen sind.

Als der 16. Juni herankam, hatten einige Interessenten, da der noch für einen Monat im prächtigen Excelsior Hotel zurückgehaltene Hermann Titbury nicht in Frage kommen konnte, wie wir wissen, beantragt, daß das nächste Auswürfeln für den vierten Partner, Harris T. Kymbale, gelten und überhaupt jede weitere »Ziehung« um achtundvierzig Stunden früher verlegt werden sollte. Dem stimmten aber weder Georges B. Higginbotham, noch die andern Mitglieder des Excentric Club und ebensowenig Meister Tornbrock zu, denen es ja oblag, die Absichten des Verstorbenen zu interpretieren.

Am 18. wurde der Hauptberichterstatter der »Tribune« bekanntlich von Olympia nach Yankton geschickt und schon am darauffolgenden Tage meldeten die Zeitungen, daß er die Hauptstadt Washingtons auf der Ueberlandlinie der Northern Pacific verlassen habe.

Durch seine Versetzung vom dreißigsten nach dem neununddreißigsten Felde bedrohte er übrigens Lissy Wag, die das vierundvierzigste besetzt hatte, in keiner Weise.

Am 20. endlich fand sich Jovita Foley, die ihre Freundin zum Mitgehen gezwungen hatte, schon vor acht Uhr im Postamte von Richmond ein. Eine halbe Stunde später kam auf dem Drahtwege die Meldung: zwölf, durch sechs und sechs, die höchste Augenzahl, die die Würfel ergeben konnten. Das bedeutete einen Fortschritt um zwölf Felder, durch den sie aus dem vierundvierzigsten nach dem sechsundfünfzigsten Felde, dem Staate Indiana, kamen.

Die beiden Freundinnen kehrten eiligst in ihr Hôtel zurück, um den stürmischen Demonstrationen der Leute zu entgehen.

»O, meine Beste!« jubelte Jovita auf, »Indiana und seine Hauptstadt Indianapolis! . . . Nein, kann man wirklich so viel Glück haben! Damit nähern wir uns unserm Illinois, jetzt stehst Du an der Spitze und hast diesen Eindringling, den X. K. Z. um fünf Felder überholt und die gelbe Flagge besiegt die rothe! Nur noch sieben Punkte sind nöthig, um zu triumphieren! Und warum sollte die Zahl sieben nicht herauskommen? Es ist doch die der Arme des biblischen Leuchters, die der Tage der Woche . . . die der Plejaden . . . (die der Todsünden, wagte sie nicht zu sagen) . . . und die der Partner, die um die Erbschaft kämpfen! O Gott, mache, daß für uns sieben Augen geworfen werden und daß wir die Partie gewinnen! . . . Wenn Du wüßtest – doch Du mußt es ja wissen – welch guten Gebrauch wir von den Millionen machen würden . . . wie wir zu Wohlthätern der ganzen Welt werden wollten! . . . Wir gründeten Pflegehäuser für Alte, Arbeitsstätten, ein Krankenhaus . . . ja, das Lissy Wag-Stift für die Kranken Chicagos, wie eine leuchtende Inschrift verkünden müßte. Und ich selbst, ich errichtete noch ein Stift für Mädchen, die aus Mangel an Mitgift nicht heirateten, und ich wäre die Leiterin darin . . . o, Du solltest sehen, wie ich mich als solche bewährte! . . . Du natürlich, Du würdest in das Stift nicht eintreten, Fräulein Milliardärin, da . . . nun ja . . . ich weiß schon! . . . Uebrigens werden sich Herzöge, Marquis und Prinzen um Deine Hand streiten!«

Offenbar delirierte Jovita Foley nicht wenig. Sie preßte Lissy Wag in die Arme, die alle diese Zukunftsträume mit leichtem Lächeln hinnahm, und dann drehte sie sich um sich herum und wirbelte umher wie der Kreisel unter der Peitsche des Kindes.

Jetzt galt es, darüber schlüssig zu werden, ob die fünfte Partnerin Richmond sofort verlassen solle, da sie ja doch bis zum 4. Juli Zeit hatte, in Indianapolis einzutreffen. Da sie sich aber schon seit sechs Tagen in der virginischen Stadt aufhielt, bestand Jovita Foley darauf, gleich am nächsten Tage nach dem neuen Bestimmungsort weiter zu fahren. Da Max Real nicht in Richmond war, warum sollten sie dann den Aufenthalt hier verlängern? . . . Diese letzte Begründung vertrat Jovita Foley mit einem Nachdruck, der Lissy Wag wohl gefallen mochte, so daß sie auf den Vorschlag nichts erwiderte.

Am Morgen des 21. ließen sich beide also nach dem Bahnhofe fahren. Der Zug, der der Bahnlinie durch Ost- und Westvirginien und schließlich durch Ohio folgte, sollte sie – die Strecke beträgt nur vierhundert Meilen (640 Kilometer) – noch am nämlichen Abend in der Hauptstadt von Indiana absetzen.

Da näherte sich ihnen auf dem Bahnhofe unerwarteter Weise ein Herr von recht feinem Aussehen.

»Ich habe wohl die Ehre,« sagte er mit höflicher Verbeugung, »Miß Lissy Wag und Miß Jovita Foley vor mir zu sehen?«

»Zu Diensten,« antwortete die eiligste der beiden.«

»Ich bin der Haushofmeister der Mistreß Migglesy Bullen, und Mistreß Migglesy Bullen würde sich glücklich schätzen, wenn Miß Lissy Wag und Miß Jovita Foley das Anerbieten annähmen, sich des Zuges meiner Herrin bis Indianapolis zu bedienen . . .«

»Komm, komm!« sagte Jovita Foley, ohne Lissy Wag Zeit zum Ueberlegen zu lassen.

Der Haushofmeister führte sie nach einem Nebenstrange, auf dem ein Zug wartete, der aus einer glitzernden und glänzenden Locomotive, einem Salon-, einem Speise-, einem Schlaf-, und am Schlusse – wie auch am Anfange – aus einem Gepäck- und Küchenwagen bestand, und der innerlich und äußerlich – ein wahrer Königs-, Kaiser- oder Präsidentenzug – mit allem nur denkbaren Luxus ausgestattet war.

In dieser Weise reiste Mistreß Migglesy Bullen, eine der steinreichen Amerikanerinnen der Union. Rivalin eines Whitman, Stevens, Gerry, Bradley, Sloane, eines Belmont u. a. m., die nur in ihren eigenen Yachten dahindampfen, nur in ihren eigenen Bahnzügen fahren, in Erwartung, daß sie dereinst auch nur noch ihre eignen Eisenbahnen benutzen, war Mistreß Migglesy Bullen eine liebenswürdige Witwe von fünfzig Jahren und Besitzerin unerschöpflicher Petroleumquellen, d. h. so viel wie überquellender Dollarschächte.

Lissy Wag und Jovita Foley kamen an einem zahlreichen, auf dem Perron aufgestellten Dienstpersonal vorüber und wurden von zwei Gesellschaftsdamen empfangen, die sie nach dem Salonwagen führten, worin sich die Milliardärin aufhielt.

»Meine Damen,« begann diese sehr freundlichen Tones, »ich danke Ihnen verbindlichst, mein Angebot angenommen zu haben und mich auf dieser Reise begleiten zu wollen. Sie werden das wenigstens unter etwas angenehmeren Verhältnissen thun, als mit dem öffentlichen Zuge, und ich fühle mich glücklich, Ihnen das Interesse bezeugen zu können, das ich der fünften Partnerin entgegenbringe, obgleich ich in keiner Weise an der Partie betheiligt bin . . .«

»Wir fühlen uns unendlich geschmeichelt . . . durch die Ehre, die Mistreß Migglesy Bullen uns anthut,« antwortete Jovita Foley.

»Und sprechen ihr dafür den innigsten Dank aus,« setzte Lissy Wag hinzu.

»O, keine Ursache,« erwiderte die vortreffliche Dame, »ich hoffe nur, Miß Wag, daß meine Gesellschaft Ihnen Glück bringen werde.«

Die Fahrt verlief in angenehmster Weise, denn trotz ihrer Millionen war Mistreß Migglesy Bullen die beste der Frauen, und so flogen die Stunden nur zu schnell dahin, wo sich die zufälligen Reisegefährten im Salon, im Speisewagen aufhielten oder den ganzen, mit beispiellosem Luxus ausgestatteten und geschmackvoll verzierten Zug auf und ab wandelten.

»Und wenn man sich dann vorstellt,« äußerte Jovita Foley gegen Lissy Wag, als beide einen Augenblick allein waren, »daß wir bald auch in gleicher Weise fahren können . . . im eignen Salonwagen . . .«

»So doch vernünftig, Jovita!«

»Du wirst es ja sehen!«

Auch die an der Partie völlig unbetheiligte Mistreß Migglesy Bullen glaubte fest daran, daß Lissy Wag das Ziel als erste unter den »Sieben« erreichen werde.

Gegen Abend hielt der Zug in Indianapolis, und da er nach Chicago weitergehen sollte, mußten die beiden Freundinnen nun aussteigen. Als Andenken an die Fahrt bat Mistreß Migglesy Bullen sie noch, einen hübschen Ring, ein von Diamanten umkränztes Nichts anzunehmen, und nachdem sie dafür herzlich gedankt hatten, verabschiedeten sie sich von der Dame, die ihnen eine so fürstliche Gastfreundschaft erwiesen hatte.

Darauf begaben sie sich im strengsten Incognito nach dem ihnen empfohlenen Sherman Hotel. Das verhinderte aber nicht, daß die Zeitungen bereits am nächsten Tage ihre Anwesenheit in dem genannten Hôtel meldeten.

Indianapolis liegt, wie in der Union die meisten Städte, die Sitze der Regierung sind, ziemlich in der Mitte des Staatsgebietes, von dem dann Bahnlinien nach allen Seiten ausstrahlen. Betrachtet man die Karte von Indiana, so glaubt man ein Spinnennetz vor sich zu sehen, dessen Fäden, in Gestalt von Schienenwegen, zwischen den geodätischen Linien ausgespannt sind, die an drei Seiten, mit Ohio im Osten, Illinois im Westen und Kentucky im Süden – abgesehen von der Spitze des Michigansees im Norden – seine Grenzen bilden.

Wenn der Staat früher seinen Namen »Indianerland« rechtfertigte, ist er doch heute durchweg amerikanisch, obwohl seine ersten Ansiedler ausgewanderte Franzosen gewesen waren.

Malerische Landschaften hätte Max Real hier freilich nicht gefunden. Das meist flache Land zeigt nur vereinzelte Bodenwellen. Sehr geeignet zur Anlage von Eisenbahnen, hat sich durch diese ein recht lebhafter Handelsverkehr entwickelt. Der tiefgründige Boden liefert viele Erzeugnisse des Ackerbaus, ist aber auch reich an Steinkohlenlagern, Petroleum- und Naturgasquellen.

Der Oberfläche nach nimmt Indiana mit seinen zwei Millionen Einwohnern unter den Unionsstaaten nur die siebenunddreißigste Stelle ein; neben Indianapolis hat es aber mehrere bedeutende, verkehrsreiche und blühende Städte, wie Jeffersonville und New Albany, die allerdings das zu Kentucky gehörige Louisville am linken Ohioufer als seine Vororte in Anspruch nimmt; ferner Evansville, die zweitgrößte des Staates, am Eingange zu dem herrlichen Green Riverthale, die mit dem Eriesee durch einen fünfhundert Meilen (800 Kilometer) langen Canal verbunden ist; weiter noch Fort Wayne an der Bahn von Pittsburg nach Chicago, Terre-Haute, den Hauptpunkt des Getreidehandels, und Vincennes, eine Zeit lang die officielle Hauptstadt von Indiana.

Immerhin verdient Indianapolis, als eine der Großstädte der amerikanischen Republik, die Beachtung der Touristen, wenn man auch besondere Merkwürdigkeiten und malerische Schönheit hier vergeblich suchen dürfte. Die beiden Freundinnen kannten die Stadt übrigens schon von der Zeit her, als sie sich nach Kentucky begaben.

In der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit von vierzehn Tagen konnten sie wohl bequem die wichtigsten Gegenden der Umgebung besuchen und auch einen Ausflug nach den Grotten von Wandyott, zwischen Evansville und New Albany, machen, die sich sogar neben den Mammoth Caves noch sehen lassen können. Jovita Foley zog es aber vor, sich die unvergeßliche Erinnerung an die Wunder von Kentucky nicht zu verwischen. Dort hatte sie ja den Grad eines Oberstlieutenants der Miliz von Illinois erhalten. Zuweilen, doch immer mit heimlichem Lachen, dachte sie daran und an die beiden Freundinnen obliegende Verpflichtung, nach der Rückkehr nach Chicago sich nach Soldatenart beim Gouverneur des Staates zu melden.

Ihre Gefährtin schien jetzt, wenn auch nicht gerade traurig, doch oft recht nachdenklich zu sein.

»Lissy,« sagte sie da, »ich begreife Dich nicht oder ich begreife Dich vielmehr recht wohl . . . Es ist ein braver junger Mann . . . einnehmenden Wesens . . . liebenswürdig . . . mit allen guten Eigenschaften und vor allem mit der, daß er Dir wohlgefällt. Was hilfts aber? . . . Er ist ja doch nicht hier, sondern wird jetzt in Philadelphia die Stelle des unglücklichen Crabbe einnehmen, der nicht wie die Krabbe, die Krustacee dieses Namens, seitwärts gehen kann; da heißt es doch, Vernunft annehmen, meine Liebe, und wenn Du Max Real das Beste wünschest, solltest Du doch auch uns selbst nicht ganz vergessen . . .«

»Du übertreibst, Jovita . . .«

»Ich bitte Dich, Lissy, sei doch offen . . . gestehe, daß Du ihn liebst! . . .«

Das junge Mädchen erwiderte gar nichts . . . und das war ja auch eine Antwort.

Am 22. verkündeten die Zeitungen den neuen Wurf für den Commodore Urrican.

Der Leser wird sich erinnern, daß die orangefarbene Flagge nach Besetzung des Death Valley die Partie von vorn anfangen mußte, und ein glücklicher Wurf deren Träger nach dem sechsundzwanzigsten Felde, dem Staate Wisconsin, gewiesen hatte. Das lieferte den Beweis, daß – wie die Tage – die Würfe einander zwar folgen, doch nicht einander gleichen. Nachher hatte Meister Tornbrock offenbar eine unglückliche Hand gehabt, denn der Wurf von fünf, durch eins und vier Augen, brachte Hodge Urrican nach dem einunddreißigsten Felde, dem Staate Nevada. Hierher hatte William J. Hypperbone aber den Schacht verlegt, worin der unglückliche Commodore nun wieder ausharren mußte, bis ein andrer Partner ihn daraus befreite.

»Wahrlich, das sieht aus, als ob dieser Tornbrock mir alles zum Possen thäte!« hatte Hodge Urrican in einem lodernden Zornesausbruch gerufen.

Als Turk darauf versicherte, er werde dem unseligen Actenwurm bei der nächsten Gelegenheit den Hals umdrehen, suchte ihn sein Herr auch gar nicht zu besänftigen. Entging hier der Tasche des sechsten Partners doch der dreifache Einsatz im Betrage von dreitausend Dollars, die der »Sparbüchse« zufielen.

Lissy Wag's gutes Herz fühlte wirklich Mitleid mit dem unglücklichen Seebären.

»Ja, ja, bedaure ihn nur,« sagte Jovita Foley, »vorzüglich weil ich niemand anders als jenen Herrn Titbury sehe, der ihn befreien könnte, wenn für ihn, nach Beendigung seines Aufenthalts im Hôtel, zwölf Augen fallen. Das Wichtigste ist doch, daß Herr Real nicht mehr gefangen sitzt, und mir ahnt immer, daß wir ihn früher oder später wiedersehen werden.«

Das junge Mädchen ahnte aber wohl kaum, wie bald sich das erfüllen sollte.

Als die beiden Freundinnen nämlich an diesem Morgen von einem Spaziergange nach dem Sherman Hotel zurückkamen, konnte Lissy Wag einen Ausruf der Ueberraschung nicht unterdrücken.

»O, was ist Dir denn?« fragte Jovita Foley.

Dann aber rief sie selbst plötzlich:

»Ah . . . Sie hier . . . Herr Real!«

Wirklich stand der junge Maler vor der Thür des Hauses, an der auch Tommy wartete.

»Meine Damen,« sagte er, »ich begab mich nach meinem Posten in Philadelphia, und da Indiana zufällig auf meinem Wege lag . . .«

»Ein rein geographischer Zufall,« fiel Jovita Foley lachend ein, »na, wenigstens ein glücklicher Zufall!«

»Und da sich meine Reise dadurch nicht verlängerte . . .«

»Denn, wenn das der Fall gewesen wäre, würden Sie sich doch nicht der Gefahr ausgesetzt haben, den bestimmten Termin zu verpassen . . .«

»O, ich habe Zeit bis zum 28., Miß Wag . . . noch sechs volle Tage . . . und . . .«

»Und wenn man sechs Tage übrig hat und nicht weiß, was man beginnen soll, ist es am besten, man verbringt sie mit den Personen, für die man Interesse . . . ein lebhaftes Interesse hat . . .«

»Jovita!« sagte Lissy Wag halblaut.

»Und der Zufall, immer der glückliche Zufall, hat es gefügt, daß Sie hier gerade das Sherman Hotel aufsuchten? . . .«

»Nein, weil die Zeitungen meldeten, daß die fünfte Partnerin hier mit ihrer allezeit getreuen Begleiterin abgestiegen sei.«

»Ja freilich,« fuhr die getreue Begleiterin fort, »denn wenn die fünfte Partnerin im Sherman Hotel abgestiegen war, ist es ja ganz natürlich, daß der erste Partner da ebenfalls Quartier nimmt . . . Freilich, wenn's der zweite, der dritte Partner gewesen wäre . . . doch nein! . . . es war eben die fünfte Partnerin . . . in dem allen spielte der Zufall . . .«

»Gar keine Rolle, das wissen Sie wohl auch, Miß Wag,« gestand Max Real, der die ihm dargebotene Hand des jungen Mädchens drückte.

»Sapperment, das ist offenherzig!« rief Jovita Foley, »darum Offenheit für Offenheit . . . wir fühlen uns sehr beglückt durch Ihren Besuch, Herr Real . . . ich sage Ihnen aber im voraus, daß Sie keine Stunde länger als nöthig hier bleiben und wir es nicht zugeben werden, daß Sie den Zug nach Philadelphia verfehlen!«

Es bedarf wohl kaum des Hinweises, daß Max Real in Saint-Louis gewartet hatte, bis die Zeitungen die Ankunft Lissy Wag's und Jovita Foley's in der Hauptstadt von Indiana meldeten, sowie, daß er von Anfang an ihnen seine verfügbare Zeit widmen wollte.

So plauderten die Drei denn »wie langjährige Freunde«, wenn man Jovita Foley glauben darf. Man verabredete Spaziergänge durch die Stadt, die sich dank der Anwesenheit Real's weit interessanter gestalten mußten, als ohne ihn. Dabei konnte aber auch, die getreue Begleiterin bestand darauf, die Partie nicht unerwähnt bleiben. Lissy Wag befand sich jetzt an der Spitze und auch X. K. Z. drängte Sie jedenfalls nicht wieder auf die zweite Stelle herunter. Um mit dem nächsten Wurfe als Erster anzukommen, mußten für den bisher allerdings begünstigten Mann zwölf Augen fallen, was doch nur in einer Weise – durch sechs und sechs – möglich ist, während man sieben Augen, die es ermöglichen würden, die gelbe Flagge Lissy Wag's im dreiundsechzigsten Felde aufzupflanzen, auf dreierlei Weise – durch drei und vier, fünf und zwei, sowie durch sechs und eins – erhalten kann. Das ergab ein Verhältniß von drei zu eins zu Gunsten Lissy Wag's, wie Jovita Foley behauptete.

Ob ihre Beweisführung richtig sei oder nicht, darum kümmerte Max Real sich nicht. Zwischen Lissy Wag und ihm war von dem Match kaum die Rede. Diese beiden sprachen von Chicago, von der hoffentlich baldigen Heimkehr, von der Freude, die es Frau Real gewähren werde, die beiden Freundinnen zu empfangen, was ein Brief der vortrefflichen Dame – zweifelsohne nach eingezogener Erkundigung – schon im voraus in warmen Ausdrücken bestätigte.

»O, Sie haben eine gute Mutter, Herr Real,« sagte Lissy Wag, deren Augen nach Einsichtnahme dieses Briefes etwas feucht wurden.

»Die beste aller Mütter, Miß Wag, deren Zuneigung auch allen sicher ist, die ich liebe . . .«

»Und die eine ebensogute Schwiegermutter sein wird!« rief Jovita Foley laut auflachend.

Der zweite Theil des Tages verlief unter Spaziergängen durch die schönsten Viertel der Stadt, vorzüglich längs der Ufer des White River. Es war zur unumgänglichen Nothwendigkeit geworden, den das Sherman Hotel belagernden Zudringlichen zu entfliehen, die alle – Jovita Foley glaubte steif und fest daran – die zukünftige Erbin William J. Hypperbone's heiraten wollten. Die Straße wurde gar nicht mehr leer. Vorsichtigerweise hatte der schon gewitzigte Max Real gar nicht verlauten lassen, wer er war, sonst wäre der Zulauf noch größer geworden.

Max Real wartete auch die Dunkelheit ab, ehe sie ins Hôtel zurückkehrten, und nach Einnahme einer letzten Mahlzeit – mehr eines Abend- als eines regelrechten Mittagessens – trennten sich die Drei, um von der Anstrengung eines so angenehm verlebten Tages auszuruhen.

Um zehn Uhr betraten Lissy Wag und Jovita Foley ihr Zimmer, und Max Real zog sich in das seinige zurück. Tommy schlief in einer Kammer daneben. Und während die eine sich »von Silber und Gold gleißenden« Träumen überließ, begegneten sich die beiden andern vielleicht in den gleichen Gedanken, ohne den Schlummer zu finden. Ja, beide dachten nur an die Heimkehr nach Chicago, an die Verwirklichung ihrer innigsten Wünsche. Sie sagten sich, daß diese Partie hiermit noch nicht endigen werde . . . daß sie schon sieben Wochen dauere . . . daß vielleicht in wenigen Tagen die Koffer wieder gepackt werden müßten . . . daß noch Hunderte von Meilen sie trennten . . . daß es wohl am besten sei, zu verzichten u. dgl. m. Zum Glück konnte weder Jovita Foley noch Frau Real diese ketzerischen Gedanken hören.

Max Real hatte obendrein beim Studium der Karte des Matches noch recht unangenehme Ergebnisse erhalten. Von den sieben Staaten, die nach der Karte Hypperbone's zwischen Indiana und dem Endpunkte Illinois lagen, gehörten fünf, alle weit von einander entfernt, dem westlichen Theile der Union an und waren nur mangelhaft mit Eisenbahnen versehen, wie Oregon, Arizona, das Indianer-Territorium, ohne von dem achtundfünfzigsten Felde, dem Death Valley, dem Thale des Todes, zu reden, das durch die Erlebnisse des Commandore Urrican zu trauriger Berühmtheit gelangt war. Lissy Wag brauchte beim nächsten Würfeln nur zwei Augen zu bekommen, so mußte sie, nach langer, mühseliger Reise nach Kalifornien, die Partie von vorn anfangen. Fielen ihr beim nächsten Wurfe also nicht gerade sieben Augen zu, so lief sie Gefahr, von Indiana sehr weit weg verwiesen zu werden und sicherlich vielerlei Fährlichkeiten ausgesetzt zu sein.

Lissy Wag selbst dachte gar nicht an derlei drohende Möglichkeiten. Sie beschäftigte sich nur mit der Gegenwart, nicht mit der Zukunft. Sie ging ganz in dem einzigen Gedanken auf, daß Max Real in ihrer Nähe sei . . . Freilich, nur noch wenige Tage, und beide sollten wieder von einander scheiden.

Endlich verstrichen auch die letzten Nachtstunden, und mit dem Erwachen am nächsten Morgen waren alle trüben Bilder verblaßt.

»Was beginnen wir nun heute?« fragte Jovita Foley, als Lissy Wag und sie mit Max Real am Frühstücktische saßen. »Wir haben, wie es scheint, einen herrlichen Tag zu erwarten. Etwas Wind und Sonnenglanz, das ladet zu einem Spaziergange ja geradezu ein. Sollten wir uns nicht ein wenig außerhalb der Stadt ergehen? . . . Indianapolis ist ja sehr regelmäßig angelegt, sehr schön und sehr sauber, man sagt aber, sein Umgebungen sollen ganz prächtig sein. Könnten wir nicht auf einer Bahnlinie ein Stück hinausfahren und auf einer andern zurückkehren?«

Dieser Vorschlag verdiente wohl einige Beachtung. Max Real sah in einem Fahrplane nach, und die Sache ordnete sich zur allgemeinen Befriedigung. Man einigte sich dahin, die Linie zu benutzen, die am White River nach der Station Spring Valley, eine Strecke von etwa zwanzig Meilen, hinführt, und beschloß, auf einer beliebigen andern Linie zurückzufahren. Das heitre Kleeblatt brach also auf und ließ diesmal aber Tommy im Hôtel zurück.

Waren nun auch Max Real und Lissy Wag zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf irgend etwas anderes zu achten, so hätte doch Jovita Foley fünf Individuen bemerken müssen, die ihnen seit ihrem Weggange gefolgt waren. Diese Gestalten folgten den Dreien nicht nur bis zum Bahnhofe, sondern bestiegen auch mit ihnen denselben Zug, wenn nicht gar denselben Waggon, und als Max Real und die beiden Freundinnen diesen in Spring Valley verließen, stiegen jene ebenfalls aus.

Das alles erregte keine Aufmerksamkeit bei Jovita Foley, die durch die Wagenfenster hinaussah, wenn sie nicht gerade Max Real und Lissy Wag im Auge hatte.

In der Besorgniß, beobachtet zu werden, hielten sich die Männer auch vorsichtig zurück und trennten sich beim Verlassen des Bahnhofs.

Max Real, Lissy Wag und Jovita Foley schlugen nun einen Weg ein, der sie nach dem Ufer des White River führen sollte und so leicht zu verfolgen schien, daß sie nicht zu befürchten brauchten, sich vielleicht zu verirren.

Eine Stunde lang wanderten sie durch das fruchtbare, von dem Creek bewässerte Land, das hier wohlgepflegte Felder, dort dichte Gehölze aufwies – diese die Reste der einstigen Urwälder, die von der Axt des Holzfällers noch verschont geblieben waren.

Bei der angenehmen Luftwärme war dieser Spaziergang ganz wunderschön. Freudig erregt lief Jovita Foley hin und her, war bald voraus, bald zurück und schalt auf das junge Paar, das sich gar nicht um sie kümmerte. Beanspruchte sie denn nicht mit Recht die einer Mutter, »ja sogar einer Großmutter« gebührende Rücksicht, da sie gleichsam die Pflichten einer solchen auf sich genommen hatte?

Gegen drei Uhr ließen sie sich auf einem Prahm nach dem andern Ufer des White River übersetzen. Hier schlängelte sich unter hohen Bäumen eine Straße nach der Station einer der zahlreichen, in Indianapolis zusammenlaufenden Bahnlinien hin. Max Real und seine Begleiterinnen nahmen sich vor, bis zum Vorabend des 28. noch mehrere ähnliche Ausflüge in die weitere Nachbarschaft der Stadt zu unternehmen. Am Abend des 27. würde dann Max Real, zum eigenen Leidwesen ebenso wie zu dem der beiden Freundinnen, den Zug besteigen, der ihn nach Philadelphia bringen sollte. Nachher . . . nein, daran dachte man am besten gar nicht.

Nach kurzer Wanderung auf der mit Bäumen eingefaßten und jetzt, zur Zeit, wo die Feldarbeiten drängten, sehr verödeten Straße, schlug die von ihren Kreuz- und Querwegen etwas ermüdete Jovita Foley eine Rast von wenigen Minuten vor. Zeit hatten sie ja genug, wenn sie nur zur Stunde der Hauptmahlzeit nach dem Sherman Hotel zurückgekehrt waren. Ein tiefer Schatten und eine angenehme Kühle lud zum Ausruhen an dieser Stelle, wo der Weg eine Biegung machte, ganz besonders ein.

Da sprangen fünf Männer aus dem Gehölz hervor, dieselben, die an der Station Spring Valley mit den Dreien ausgestiegen waren.

Was wollten diese Individuen? . . . Sehr einfach – Räuber und Mörder von Beruf waren sie ja nicht – sie wollten sich nur Lissy Wag's bemächtigen, diese nach einem geheimgehaltenen Orte führen und sie so lange gefangen halten, daß sie sich am 4. Juli beim Eintreffen der Depesche auf dem Postamte von Indianapolis nicht einstellen konnte. Infolgedessen wäre sie, die jetzt den sechs andern Partnern voraus und so nahe daran war, das Ziel zu erreichen, dann von der Partie ausgeschlossen.

So weit verblendete die Leidenschaft diese Spieler, die Leute, die am Match Hypperbone mit Wetten über sehr große Summen, über Hunderttausende von Dollars, interessiert waren! . . . Die Verbrecher – anders konnte man sie doch kaum nennen – schreckten selbst vor roher Gewaltthat nicht mehr zurück!

Drei von den fünf Männern stürzten sich auf Max Real, um diesen an der Verteidigung seiner Begleiterinnen zu hindern. Der vierte packte Jovita Foley, während der fünfte sich bemühte, Lissy Wag ins Gehölz zu schleppen, wo die Auffindung ihrer Spuren so gut wie unmöglich sein mußte.

Max Real wehrte sich tüchtig, ergriff den Revolver, den ein Amerikaner ja stets bei sich führt, und gab Feuer.

Nur verwundet, taumelte der eine der Angreifer zurück.

Jovita Foley und Lissy Wag riefen um Hilfe, freilich ohne viele Hoffnung, daß sie jemand hören könnte.

Das war aber doch der Fall; schon erhoben sich hinter einem Dickicht zur Linken verschiedene Stimmen.

Etwa ein Dutzend Farmer aus der Umgebung befanden sich auf der Jagd im Walde, und ein glücklicher Zufall führte sie gerade nach dem Schauplatze der Frevelthat.

Da versuchten die fünf Männer noch eine letzte Anstrengung. Ein zweitesmal feuerte jetzt Max Real auf den, der Lissy Wag nach der rechten Seite der Straße hin zu entfuhren sich bemühte und der das junge Mädchen jetzt loslassen mußte. Gleichzeitig erhielt der Maler aber einen Messerstich in die Brust – er stieß noch einen Schrei aus und sank wie leblos zu Boden.

Jetzt tauchten die Jäger ganz in der Nähe auf und die Angreifer, von denen zwei verwundet waren, begriffen, daß ihr Anschlag mißlungen war und entflohen eiligst in den Wald.

Jetzt hatte man Besseres zu thun, als sie zu verfolgen, galt es doch, Max Real nach der nächsten Station zu schaffen, einen Arzt zu rufen und den Verwundeten, wenn es sein Zustand erlaubte, nach Indianapolis zurückzubefördern.

Ganz außer sich und in Thränen zerfließend, lag Lissy Wag neben dem jungen Manne auf den Knien.

Max Real athmete noch, seine Lider öffneten sich wieder.

»Lissy . . . liebste Lissy . . .« stammelte er schwach, »es wird nichts zu bedeuten haben . . . gewiß nichts. Doch Sie . . . Sie? . . .«

Aufs neue fielen ihm die Augen zu; doch er lebte wenigstens, hatte das junge Mädchen erkannt . . . auf sie gesprochen . . .

Eine halbe Stunde später hatten die Jäger ihn an der Station bequem gelagert, und hier war zum Glück auch ein Arzt gleich bei der Hand. Nach Untersuchung der Wunde erklärte dieser, daß sie keine tödliche sei; er legte dem Verletzten den ersten Verband an und versicherte, daß dieser ohne Besorgniß nach Indianapolis zurückbefördert werden könne.

Max Real wurde darauf in einem Wagen des Zuges niedergelegt, der die Station halb sechs Uhr passierte. Lissy Wag und Jovita Foley nahmen an seiner Seite Platz. Er hatte weder das Bewußtsein verloren, noch fühlte er sich ernstlich angegriffen, und um sechs Uhr ruhte er schon in seinem Zimmer im Sherman Hotel.

Ach, wie lange würde es ihm nun unmöglich sein, dieses zu verlassen, und war es nicht zu gewiß, daß er am 28. nicht werde im Postamte von Philadelphia sein können?

Nun, Lissy Wag wollte jedenfalls den nicht verlassen, der bei ihrer Vertheidigung eine immerhin schwere Verwundung davongetragen hatte. Nein, sie wollte bei ihm ausharren . . . seine Verpflegung übernehmen . . .

Zu ihrer Ehre, und obwohl es die Vernichtung aller ihrer Hoffnungen bedeutete, muß man gestehen, daß Jovita Foley den Entschluß ihrer armen Freundin billigte.

Uebrigens konnte ein herbeigezogener zweiter Arzt die Aussagen seines Collegen zum Glück völlig bestätigen. Die Lunge war von der Spitze des Messers nur gestreift worden, doch hatte sehr wenig gefehlt, den Stich zu einem tödlichen zu machen.

Die Prognose dieses Sachverständigen lautete freilich dahin, daß Max Real vor dem Ablauf von vierzehn Tagen nicht wieder auf den Füßen sein werde.

Immerhin! . . . Dachte der Verwundete jetzt wohl noch an die Schätze William J. Hypperbone's, und bedauerte Lissy Wag wohl, die Aussichten aufzugeben, die ihr winkten, die Erbin des originellen Verstorbenen zu werden? . . . Keineswegs . . . jetzt träumten beide von einer ganz andern Zukunft, von einem Glücke, das die Millionen des Matches leicht entbehrlich machen mußte.

»Alles in allem,« sagte sich Jovita Foley nach langer und reiflicher Ueberlegung, »da der arme Herr Real vierzehn Tage in Indianapolis aushalten muß, wird Lissy am 4. auch noch hier sein, und wenn dann bei dem nächsten, ihr geltenden Auswürfeln sieben Augen fielen – Gott gebe, daß das eintrifft – so gewönne sie noch immer die Partie!«

Das war ja ein ganz richtiger Gedankengang, und nach der letzten, ihr auferlegten Prüfung war der Himmel diesen Ausfall der fünften Partnerin eigentlich schuldig.

Hier sei auch bemerkt, daß man dem Ersuchen Max Real's, seiner Mutter von dem Vorgefallenen nichts mitzutheilen, gern Rechnung trug. Er hatte, wie wir wissen, im Hôtel seinen Namen nicht angegeben, und als die Tagesblätter von dem Ueberfalle berichteten und auf den Beweggrund dazu hinwiesen, war immer nur von Lissy Wag die Rede.

Doch welche Wirkung äußerte das Bekanntwerden dieser Neuigkeit auf die Speculantenwelt! Wen könnte es wundern, daß der gelben Flagge in ganz Amerika überschwänglich zugejubelt wurde!

Wie wir gleich sehen werden, entwickelten sich die Dinge aber weit schneller und ganz anders, als es der größte Theil des Publicums erwartete.

Am Morgen des 24., schon gegen halb neun Uhr, stürmten viele Ausrufer durch die Straßen von Indianapolis. Sie trugen Copien von Depeschen in der Hand und verkündeten oder brüllten vielmehr den Ausfall des Würfelns aus, das am nämlichen Morgen für den siebenten Partner stattgefunden hatte.

Dabei waren – durch sechs und sechs – zwölf Augen herausgekommen, und da der betreffende Partner jetzt das einundfünfzigste Feld, den Staat Minnesota besetzt hielt, war er es, der hiermit die Partie gewann.

Der Gewinner aber war niemand anders als die nur den Buchstaben X. K. Z. nach bekannte und sonst räthselhafte Persönlichkeit.

Jetzt flatterte also die rothe Flagge über Illinois, über dem Staate, der im Edeln Vereinigte Staatenspiel vierzehnmal vorkam.

 


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