Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Zweiter Band
Jules Verne

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X. Die Wanderfahrten Harris T. Kymbale's

Wenn sich das Titbury'sche Ehepaar und der Commodore Urrican nicht ohne Ursache über das Unglück beklagten, das sie hartnäckig verfolgte, so hätte auch der Hauptberichterstatter der »Tribune« das Recht gehabt, in gewisser Hinsicht unzufrieden zu sein. Der erste Würfelfall hatte ihn genöthigt, nach der Brücke des Niagara, im Staate New York, zu gehen, dort einen Einsatz zu zahlen und sich nachher nach Santa-Fé, der Hauptstadt von Neumexiko, zu begeben. Die neue Entscheidung der Würfel zwang ihn, zuerst Nebraska und sofort den Staat Washington, im äußersten Westen des Bundesgebiets, aufzusuchen.

In Charleston in Südcarolina, wo er einen so herrlichen Empfang gefunden hatte, war Harris T. Kymbale das ihn betreffende Telegramm vom 4. Juni zugegangen. Der Wurf von zehn, durch sechs und vier, und dieser doppelt zu nehmen, versetzte ihn aus dem zweiundzwanzigsten in das zweiundvierzigste Feld.

Das letztere aber entsprach Nebraska, das von dem Verstorbenen für das Labyrinth im Edeln Vereinigte Staatenspiele gewählt war. Noch schlimmer war es, daß der Partner, nachdem er sich dahin begeben und den doppelten Einsatz entrichtet hatte, nach dem dreißigsten Felde, dem Staate Washington, zurückgehen mußte. Freilich führte wenigstens der Weg von Südcarolina nach Washington durch den Staat Nebraska.

Erklärlicherweise waren bei Verkündigung dieses Würfelfalls seine im Postamte Charlestons zahlreich versammelten Parteigänger wie versteinert, und der Reporter büßte sofort die Würde des großen Favoriten ein, die ihm vorher die meisten Agenturen – wirklich etwas unbedachterweise – zuerkannt hatten.

Der ebenso geweckte wie entschlossene junge Mann wußte aber die, die an sein Glück glaubten, bald zu beruhigen.

»Ich bitte Euch, liebe Freunde, verzweifelt doch nicht gleich! . . . Ihr wißt ja, daß mich weite Reisen nicht erschrecken. Von Charleston nach Nebraska und von da nach Washington . . . das sind doch nur zwei Schritte, und ich habe vom 4. bis zum 18. vierzehn Tage Zeit, die viertausend Meilen (6400 Kilometer) hinter mich zu bringen. An Bahnlinien fehlt es ja nirgends. Was die Bezahlung des Einsatzes betrifft, so geht diese den Kassierer der »Tribune« an, und desto schlimmer für ihn, wenn er dazu das Gesicht verzieht! Die einzige Unannehmlichkeit ist nicht die, von Nebraska nach Washington zu gehen, sondern die, vom zweiundvierzigsten Felde nach dem dreißigsten zurückweichen zu müssen. Bah . . . ein Rückschritt um zwölf Felder . . . Der ist doch gar nicht der Rede werth! Ich werde schon bald wieder eingeholt haben, was mir die Göttin des Zufalls jetzt entreißt!«

Wer hätte kein Vertrauen zu einem Manne haben sollen, der sich so zuversichtlich erwies? . . . Wie hätte einer zögern können, auf ihn beliebige Summen zu verwetten? . . . Warum gegen ihn mit Zustimmungsrufen geizen, die er so wohl verdiente? . . . Diese wurden denn auch nicht gespart, und der heutige Vormittag erlebte eine Erneuerung der Triumphe von gestern Abend bei dem Festbankett in Astley, wo die achttausend Pfund schwere Riesenpastete aufgetragen worden war, die in der großen Metropole fünfzehnhundertsiebenundsiebzig Menschen einen verdorbenen Magen hinterlassen hatte.

Harris T. Kymbale täuschte sich freilich mit der Annahme, daß man von Charleston nach Olympia, der ihm als Ziel vorgeschriebenen Hauptstadt von Washington, ununterbrochen auf dem Netz der Bundeseisenbahnen gelangen könne. Dieses Netz hatte noch eine Lücke, auf die ihn jedoch Bruman S. Bickhorn, der Redactionssecretär der »Tribune«, aufmerksam machen sollte. Die Hälfte der Fahrt nach Nebraska konnte jedoch schnell genug auf den Bahnlinien ausgeführt werden, die mit der Union Pacificlinie in Verbindung standen.

Im Hinblick auf gelegentliche Verzögerungen war nichtsdestoweniger keine Zeit zu verlieren und von einem Umherschweifen unterwegs konnte keine Rede sein. Nein, jetzt hieß es, Charleston am nämlichen Abend verlassen, was denn die grüne Flagge auch that. Die begeisterten Parteigänger des Reporters jubelten ihm glückwünschend zu, als sich der Zug in Bewegung setzte, um durch die Ebenen von Südcarolina dahinzueilen.

Diesen ersten Theil des Reisewegs hatten bereits mehrere von den »Sieben« benutzt, als sie durch diese Landestheile kamen, und jetzt befand sich der oder jener vielleicht ebenfalls hier. Harris T. Kymbale fuhr also durch Tennessee und erreichte am Abend des 5. Saint-Louis in Missouri, wo Lissy Wag und Jovita Foley ein Gefängniß finden sollten. In der Befürchtung, durch Benutzung eines Dampfbootes bis Omaha zu viel Zeit zu verlieren, suchte er sich nach den Fahrplänen die schnellsten Züge aus, um über Kansas City die Hauptstadt von Nebraska zu erreichen, wo er am Abend des 6. ankam.

Er mußte drum die ganze nächste Nacht in Omaha zubringen, dem Max Real bei seiner ersten Reise nur wenige Stunden hatte widmen können.

Hier erhielt er die Depesche, die der Redactionssecretär der »Tribune« an ihn abgesendet hatte. Das Telegramm bezeichnete ihm mit Angabe der Fahrzeiten genau alle einzelnen zurückzulegenden Strecken, wonach er am Vormittag des 18. in Olympia in Washington eintreffen konnte. Es enthielt Folgendes:

1. »Omaha am Morgen des 7. verlassen und auf der Union Pacific den Zug acht Uhr fünfunddreißig benutzen, um neunzig Meilen (145 Kilometer) von da Julesburg-Jonction abends halb sieben Uhr zu erreichen.

2. Hier Postwagen vorfinden, der zur Abfahrt bereit, mit Mundvorrath ausgestattet ist und für den Wechselpferde für die hundert Meilen (160 Kilometer) lange Strecke, die bis zu dem »Verrufenen Lande« von Nebraska reicht, bestellt sind. Hier am Morgen des nächsten Tages ankommen, sich seine Anwesenheit bestätigen lassen und mit dem Postwagen nach Julesburg zurückkehren.

3. In Julesburg am Abend des 10. den Zug besteigen, der über die Union und die Southern Pacific nach Kalifornien abgeht und Harris T. Kymbale am Abend des 12. im Bahnhofe von Sacramento absetzen wird. In dieser Stadt Nachtquartier.

4. Am Morgen des 13. in den Zug springen, der nach Norden hinaufgeht und an der Station Shasta in Obercalifornien, dreihundert Meilen (480 Kilometer) von Sacramento aussteigen. Hier unterbrechen Reparaturarbeiten die Verbindung bis zur Station Roseburg in Oregon.

5. In diesem bergigen Lande, wo Wagen nur langsam vorwärts kommen, diese Strecke von zweihundertvierzig Meilen (390 Kilometer) zu Pferde zurücklegen und spätestens am 17. bei der Station Roseburg ankommen, ein Ritt, der bei durchschnittlich fünfundzwanzig Lieues in vierundzwanzig Stunden, Ruhezeiten eingerechnet, bequem in vier Tagen auszuführen ist.

6. Am Nachmittag des 17. in Roseburg den Zug nach Olympia benutzen, der am folgenden Morgen nach einer Fahrt von dreihundertfünfzig Meilen (563 Kilometer) diese Stadt erreicht.

Nachschrift. – Harris T. Kymbale wird ersucht, keine Zeit zu verlieren und nicht zu vergessen, daß beim Journal große Summen auf die günstigen Aussichten der grünen Flagge verwettet sind.«

Die Depesche war lang, doch klar, alles berührend und unzweideutig. Der Empfänger hatte einfach ihren Vorschriften nachzukommen, und er würde am Stichtage auf seinem Posten sein, um die weitere Depesche, das Ergebniß des vierten Auswürfelns, in Empfang zu nehmen. Zu hoffen blieb freilich, daß keine Verzögerungen eintraten, denn wenn diese auch nur einen halben Tag ausmachten, genügte es ja, den Erfolg der ganzen Reise zu gefährden.

Jedenfalls wollte Harris T. Kymbale seine Aufgabe mit allem Fleiße lösen. Die Nacht über hielt er sich in Omaha nur auf, weil der nächste Zug erst am Morgen abging. Zu diesem war er am Platze und am Abend stieg er in Julesburg Jonction aus, an der Stelle, wo die Bahnlinie, nicht weit vom South Platte River, fast die Grenze von Colorado streift.

Diesmal hatte der Journalist von seinem Weggange aus Charleston nichts verlauten lassen, um allen Huldigungen und deren zuweilen bedenklichen Folgen aus dem Wege zu gehen. In Julesburg konnte er sein Incognito freilich nicht weiter bewahren, da hier der für ihn bestellte Wagen bei seinem Eintreffen schon auf ihn wartete.

Seine nach dem Bahnhofe zusammengeströmten Parteigänger begriffen indeß, daß sie ihn unter keinerlei Vorwand aufhalten dürften, daß die Stunden gezählt seien und die Fahrt nach dem Verrufenen Lande in Nebraska in bestimmt abgemessenem Zeitraum ausgeführt werden müsse. Sie waren also die Ersten, dem Hauptberichterstatter der »Tribune« nach der Begrüßung auf dem Bahnhofe zu empfehlen, daß er sofort weiterfahren möge. Selbst ein Dutzend jener Anglo-Amerikaner, die mit Einwanderern und einer Anzahl Sioux Bürger der Vereinigten Staaten geworden waren und jetzt die nebraskische Bevölkerung bilden, hatten sich schon eingerichtet, ihn zu begleiten. In Landestheilen, wo man noch manchmal mit zweibeinigen und mit vierbeinigen Raubthieren zusammentrifft, war ein solches Geleit gewiß nicht zu verachten.

»Wie es Ihnen beliebt, meine Herren,« erwiderte Harris Kymbale, der die sich ihm entgegenstreckenden Hände drückte, »doch unter der Bedingung, daß der Wagen uns alle aufnehmen kann . . .«

»Unsere Plätze darin sind vorbehalten . . . und wenn wir etwas zusammenrücken . . .« erklärte einer der begeisterten Anhänger.

Seiner Oberfläche nach nimmt Nebraska in der Union die fünfzehnte Stelle ein.

Der Platte oder Nebraskastrom durchzieht es von Westen nach Osten und ergießt sich bei Platte City in den Missouri. Nahe an dessen linkem Ufer verläuft der erwähnte Theil der Union Pacificbahn bis Julesburg-Jonction. Der aufblühende Staat betreibt mehr Landbau als Industrie, seine Bevölkerung nimmt schnell zu und seine Hauptstadt ist das tief im Innern gelegene Lincoln, das gleich im Jahre seiner Gründung zum Vorort des Staates erklärt wurde. Nebraska City, fünfzig Meilen (80 Kilometer) davon entfernt am Missouri gelegen, dient ihm als Hafenplatz.

Es war in der That beklagenswerth, daß Harris T. Kymbale auf dem Gebiete von Californien und von Oregon sich gezwungen sah, für die Strecke von Shasta bis Roseburg ein Reitpferd statt eines Wagens zu benutzen. An Prairien fehlt es nicht in dem sogenannten Great Band von Nebraska, das Waren 1857 und Cole 1865 zuerst näher erforschten. Nachdem der Wagen den Platte auf einer Fähre überschritten und das Fort Grattan hinter sich gelassen hatte, hätte man ihn nur sollen auf dem ebenen Boden hinrollen sehen. Es war ein transcontinentaler Postwagen, einer jener Overlandmails der Gesellschaft Wells und Fargo, die man früher auf dem Bundesgebiete sehr häufig sah, eine Art lebhaft roth angestrichener Landkutsche, die in Lederriemen hing. Sie enthielt nur einen Raum mit neun Plätzen, je dreien auf einer vorderen, einer mittleren und einer hinteren Bank, und hatte feste Halter an der Decke, an die sich die muthigen Reisenden anklammern konnten.

Der vierte Partner saß nebst acht seiner Parteigänger natürlich im Innern der Kutsche. Zwei andere von den letzteren hatten auf einem äußeren Sitz hinter dem Kutschkasten, und zwei weitere auf einem solchen vor diesem neben dem Kutscher Platz genommen, der seine sechs kräftigen Pferde mit verhängten Zügeln antrieb.

Eigentliche Straßen gab es hier nicht, nur Fährten, die von Lastwagen gezogen waren. Auf den endlosen Ebenen, wo ohne alle Schwierigkeiten Bahngeleise gelegt werden können, werden Straßen wohl auch später kaum gebaut werden. Dann und wann traf der Wagen auf Creeks in der Nähe der Raymond- und Colelagunen, wie den Bourdman und den Niobrara River, die an seichten Stellen leicht zu durchfahren waren, und auch auf einzelne Weiler, wo Wechselpferde bereit standen.

Am Abend des 8., nach achtundvierzigstündiger, von der Witterung begünstigter Fahrt, traf der Wagen im Gebiete des Verrufenen Landes ein. Hier gab es keine Dörfer, sondern nichts als Prairien, wo die Pferde Futter im Ueberfluß fanden. Für die Bedürfnisse Harris T. Kymbale's und seiner Begleiter war ebenfalls reichlich gesorgt, denn die Wagenkasten enthielten eine große Menge feiner Conserven und für Brodschnitte gab es Whisky und Gin mehr als genug.

Nach einer unter einer Baumgruppe verbrachten Nacht ließ man den Wagen unter der Obhut des Kutschers zurück und stieg die ersten Abhänge eines wilden Thalgrundes hinab.

William J. Hypperbone hatte wirklich sehr recht daran gethan, diese Gegend von Nebraska zum Labyrinth seines zweiundvierzigsten Feldes zu erwählen.

Zwischen den letzten Bodenwellen der Felsenberge und in der Nähe der Black Hills zieht sich die von Coniferen erfüllte, sechsunddreißig Meilen (60 Kilometer) breite und fünfundachtzig Meilen (136¾ Kilometer) lange Bodensenkung hin, die bis zum Gebiete von Dakota heranreicht. Ueberall thürmen sich runde Kuppen übereinander, die von tausend Pyramiden, Nadeln, Pinakeln und steinernen Glockenthürmen überragt werden. Das ganze Gebiet der Bad Lands ist wirklich ein richtiges Labyrinth, das auf Tausenden von Quadratmeilen mit Schichten von thonigem oder eisenhaltigem Sandboden mit Gehölzen, Säulen und prismatischen Felsenpfeilern bedeckt ist. Da und dort glaubt man Bastionen, Forts und Schlösser zu erblicken, deren rothe, backsteinähnliche Färbung sie scharf von dem durchweg weißen Erdboden abhebt.

Von diesem Winkel Nordamerikas könnte man sagen, daß er eine Welt für sich bildet. In vorgeschichtlichen Zeiten lebten hier auch ganze Herden von Elefanten, Mammuththieren und riesigen Mastodons, deren Skelette man noch heute entweder durch Versteinerung erhalten oder halb zu Staub zerfallen auffindet.

Es scheint eine annehmbare Hypothese zu sein, daß diese Bodensenke einstmals mit Wasser aus den Felsenbergen und den Black Hills angefüllt gewesen sei, das freilich längst durch Risse in den Erdboden eingedrungen ist, denn die ganze Gegend liegt beträchtlich höher als die Meeresfläche. Nach Entleerung des Beckens ist dieses dann zum Beinhaus geworden, worin sich fossile Ueberreste in überraschender Menge angesammelt haben.

Die Fauna der Gegenwart – die übrigens wenig zahlreich ist, weil es hier für Thiere arg an Nahrung mangelt – besteht aus Bisonochsen, langhaarigen Büffeln, aus Schafen mit großen Hörnern und einzelnen graziösen Antilopen. Auf eine stärkere Jagdbeute ist indeß nicht zu rechnen. Harris T. Kymbale und seine Gefährten kamen kein einzigesmal zum Schuß. Ueberhaupt führten sie Feuerwaffen weit mehr mit sich, um sich gegen umherschweifende Banden von Sioux- und Dakotaindianern zu vertheidigen oder die Angriffe von Coyotten, das sind Prairiewölfe, abzuwehren, deren heiseres Gebell in der verflossenen Nacht zu hören gewesen war.

Von einem tiefen Eindringen in die verschlungenen Gänge des Labyrinths war übrigens keine Rede. Es genügte schon, daß der vierte Partner an dem Eingange zu den Bad Lands in Person erschienen und daß seine Anwesenheit durch eine authentische Bestätigung erwiesen war. Man nahm sich nicht einmal die Mühe, hier ein Schriftstück zu vergraben, wie es der Commodore vor seinem Weggange vom Thale des Todes gethan hatte. Es wurde aber ein solches nach dem Entwurfe von Harris T. Kymbale aufgesetzt und mit den Unterschriften seiner zwölf Begleiter versehen, und das mußte ja genügen, seine Anwesenheit in diesem Theile Nebraskas zu beweisen. Im Schatten der Baumgruppe wurde noch ein letztes Mahl eingenommen, das durch viele und jubelnd aufgenommene Toaste seine besondere Würze erhielt.

»Hoch dem Hauptberichterstatter der ›Tribune‹! . . . Dem Favoriten des Matches! Hoch dem Erben der sechzig Millionen Dollars William J. Hypperbone's!«

Harris T. Kymbale hatte entschieden Ursache, zufrieden zu sein. Seine Parteigänger sagten sich gewiß niemals von ihm los. Man vergaß, man wollte vergessen, daß von Nebraska nach Washington zu gehen einen Rückschritt bedeutete – wenn auch nicht auf der Karte der Vereinigten Staaten, so doch auf der des Verstorbenen. Wenn er nach dem dreißigsten Felde zurückkehrte, hatte er ja Max Real auf dem vierundvierzigsten, X. K. Z. auf dem sechsundvierzigsten und Tom Crabbe auf dem siebenundvierzigsten Felde erst wieder zu überholen.

Um drei Uhr nachmittags bereitete sich die Gesellschaft zum Aufbruch. Sehr angeregt durch manches Glas Grog von Whisky, nahmen Harris T. Kymbale und seine Begleiter ihre Plätze in und auf der Kutsche wieder ein. Am folgenden Tage gegen zehn Uhr morgens waren sie bei Julesburg-Jonction wieder angelangt.

Eine Stunde später traf der Zug der Union Pacific ein, der hier zehn Minuten Aufenthalt hatte. Nur eine Verzögerung von zehn Minuten, und Harris T. Kymbale hätte den Zug verfehlt, was freilich die weitere Reise noch nicht in Frage gestellt hätte, da an dieser Station täglich zwei Züge anhalten. Alles in allem hatte er ja aber keine Stunde zu verlieren.

Der Leser weiß schon, welche Staaten die Bahnlinie nach Westen hin durchzieht, da Max Real sie auf dem Wege nach Cheyenne, Hermann Titbury auf dem nach Great Salt Lake City, und der Commodore Urrican, als er sich schimpfend nach den Death Valley begab, bereits benutzt hatten. Der Reporter hatte also durch Wyoming, Utah, Nevada und schließlich durch einen Theil von Californien zu fahren, um nach der Hauptstadt des letzteren zu kommen. Hier stieg er in der Nacht vom 11. zum 12. Juni frisch, thatenlustig und voller Zuversicht aus; er hatte unterwegs von seiner »guten Form« nicht das mindeste eingebüßt.

Ein ausgezeichneter Empfang erwartete den Reporter. In großer Menge begrüßten ihn seine Anhänger mit lautem Hurrah, dachten aber gar nicht daran, ihn hier zurückzuhalten, da der Zug nach Sacramento um ein Uhr mittags abging.

Unter den Personen, die aus Interesse oder nur aus Sympathie Harris T. Kymbale entgegentraten, befand sich in erster Linie der Correspondent der »Tribune«, Will Walter.

»Ich habe gehört, Herr College, daß Sie heute hier eintreffen würden, und beglückwünsche Sie aufrichtig, keine Verzögerung erfahren zu haben.«

»In der That, lieber College,« antwortete Harris T. Kymbale, »zwischen Charleston und Sacramento nicht die geringste Verzögerung, und ich hoffe, daß es zwischen Sacramento und Omaha ebenso sein wird.«

»Das Gegentheil ist wohl kaum zu befürchten,« versicherte Will Walter. »Zwar ist es recht unangenehm, daß die Linie gerade jetzt unterbrochen ist, der Zug wird Sie aber bis zur Station Shasta befördern, wo für Sie ja Pferde bereit stehen. Ein mit dem Lande gründlich bekannter Führer wird Sie von da bis Roseburg geleiten, von wo aus Sie dann wieder die Southern Pacificbahn bis Olympia benutzen können.«

»So habe ich Ihnen nur noch für Ihre freundliche Hilfe zu danken, Herr Walter . . .«

»O nein, Herr Kymbale. Doch ich bin Ihnen zu Danke verpflichtet, da ich eine Summe auf Sie verwettet habe . . .«

»Zu welchem Satze?« fragte der Journalist lebhaft.

»Zu eins gegen fünf.«

»Nun, lieber College, fünf warme Händedrücke aus Erkenntlichkeit . . .«

»Noch einmal so viel, wenn Sie wollen, Herr Kymbale, und nun . . . glückliche Reise!«

Die Locomotive pfiff, der Zug setzte sich in Bewegung und verschwand bald auf einer Curve der Bahnlinie in der Richtung nach Marysville, das er nahe dem Feather River erreichte.

Leider fuhr dieser Zug nur mit recht mäßiger Geschwindigkeit und hielt an jeder Station, in Ewings, Woodland u. s. w. an. Außerdem hatte die Bahnlinie ununterbrochen Steigung bis nach der hoch über der Meeresfläche gelegenen Gegend von Obercalifornien.

Der Zug hielt in Marysville, einer Stadt, die – ganz wie Oroville und Placersville – verödet war, weil die Goldsucher, nachdem sie hier »die Taschen« (d. h. die mit Goldlagern) geleert hatten, scharenweise nach den nördlichen Landestheilen und nach Alaska abgezogen waren. Der Fortbestand Marysvilles ist nur dadurch gesichert, daß es bei seiner Lage zwischen dem Yuba- und dem Featherstrome eine lebhafte Flußschifffahrt hat, die eine weite Verbreitung seines Handels vermittelt.

Außer dem Aufenthalte hier wiederholte sich ein solcher in Gridley, Nelson, Chico und Tehama, wo die Locomotive alle Kraft daransetzen mußte, steile Rampen auf Kosten ihrer Schnelligkeit zu überwinden.

Kurz, erst um acht Uhr morgens, übrigens nach dem Fahrplane ganz pünktlich, lief der Zug am 13. in Shasta ein, in der Station, von der aus, wie wir wissen, die Verbindung unterbrochen war.

Ehe er in Roseburg wieder die Bahn besteigen konnte, hatte Harris T. Kymbale nun gute hundert Lieues auf Pferden und mit einem Führer zurückzulegen, die durch die Vorsorge des Correspondenten der »Tribune« hier bereitgestellt waren.

Nun blieben nur noch fünf Tage übrig, nach Olympia zu kommen, und davon mußten vier auf die Reise im Sattel, bei einer mittleren Geschwindigkeit von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Lieues in vierundzwanzig Stunden, gerechnet werden. Das war zwar keine Unmöglichkeit, doch eine tüchtige Anstrengung für die Thiere nicht minder als für die Reiter.

Drei Pferde warteten vor der Station, eins für Harris T. Kymbale, das zweite für den Führer und das dritte für einen Stallburschen, der diesen begleitete. Wir brauchen wohl nicht zu erwähnen, daß der Reporter, wie alle Sportsmen, ein geübter Reiter war.

Der Führer, namens Fred Wilmot, mochte ein Mann von vierzig Jahren und im Vollbesitze seiner Kräfte sein.

»Sind Sie bereit?« fragte ihn Harris T. Kymbale.

»Völlig bereit.«

»Und wir werden zur richtigen Zeit ankommen? . . .«

»Wenn Sie ein guter Reiter sind, gewiß. Mit der Post hätten Sie die doppelte Zeit gebraucht.«

»O, ich stelle schon meinen Mann.«

»Dann also aufgestiegen!«

Die Pferde gingen in scharfem Trabe ab. Wegen der nöthigen Nahrung brauchte man sich nicht zu sorgen, denn unterwegs traf man häufig auf Flecken und Dörfer.

Das schöne Wetter schien aushalten zu wollen, und dazu herrschte eine angenehme Frische der Luft, die in der Berggegend noch zunehmen mußte. Einmal sollte im Laufe des Tages ein zweistündiger Halt gemacht werden und in der Nacht gedachte man noch einmal kurze Zeit auszuruhen.

Der Weg folgte dem rechten Ufer des Sacramento, und nach der Mittagsrast in einer Farm hielt Fred Wilmot in Butter an, dessen Umgebung sehr zahlreiche Mineralquellen aufweist, die man in Amerika ja überhaupt häufig antrifft.

Nach siebenstündigem Schlummer in einem Gasthause brachen die Reisenden am frühen Morgen wieder auf, um in Yreka zu frühstücken. Etwa hundert Meilen weiter östlich waren sie nach dem Shasta gekommen, dessen Krateröffnung zwischen zwei Gipfeln über zwölftausend Fuß (3657 Meter) hoch liegt. Auf breiter, von grünenden Schluchten durchzogener Grundlage ruhend, hält man diesen Berg »mit seinen rosafarbenen Lavaströmen, die mit Eis emailliert sind« – wie ein begeisterter Reisender gesagt hat – für den schönsten der Vereinigten Staaten.

Harris T. Kymbale mußte seine Bewunderung auf eine spätere Reise verschieben.

Ein großer Staat, dieses Oregon, der neunzehnte in der Union. Nur dünn bevölkert, hat er ungeheure Weideflächen, den größten Ertrag liefert jedoch die in seinen Wasserläufen sehr ergiebige Lachsfischerei. Der westliche Theil hat auch höchst fruchtbaren Boden, der immer mehr Ackerbauer anlockt.

An diesem Tage kam Harris T. Kymbale durch wahrhaft herrliche Landschaften, denen er zu seinem Leidwesen freilich nur einen flüchtigen Blick schenken konnte. In ihm verschwand der Tourist vor dem Partner. Nach Ueberschreitung des Bergpasses des Pilot Rock ruhten Menschen und Thiere, die nicht wenig erschöpft waren, in dem Flecken Jackson aus, der nicht mit den gleichnamigen Orten in den Vereinigten Staaten zu verwechseln ist . . . mit den vier Jackson, in Michigan, in Mississippi, Tennessee und in Ohio, oder den zwei Jacksonville, von denen das eine in Illinois, das andre in Florida, mehrere tausend Meilen von Californien, zu suchen ist.

Am nächsten Tage, dem 16., nach einem letzten Reisetage, der die Pferde nicht übermäßig angestrengt hatte, so daß sie fast bis Mitternacht in Gang bleiben konnten, erkannte der Führer die Lichter von Roseburg.

Damit war die bahnlose Wegstrecke ohne Unfall, sogar ohne Zwischenfall, mit der Pünktlichkeit eines Expreßzuges zurückgelegt. Fred Wilmot erntete außer herzlichem Dank eine gute Hand voll Dollars, und am Morgen des folgenden Tages »sprang« – der Correspondent der Tribune hatte dieses Wort gebraucht – Harris T. Kymbale in den ersten, nach Olympia abgehenden Bahnzug.

Dieser berührte die bedeutenderen Städte und Flecken des reichen Villamettethals, Vinchenster, Eugène City, Harrisburg, Albany, Salem, die wie in einen Korb mit Blumen und Grün gebettete Hauptstadt des Staates, ferner Canb und die gewerbfleißige Stadt Oregon, wo mächtige Wasserfälle den Betrieb von Papier- und Zuckerfabriken, sowie den von Spinnereien unterstützen, endlich das fünfundsiebzigtausend Einwohner zählende Portland, wo sich der stärkste Handelsverkehr von Oregon concentriert und dessen belebten Seehafen der Columbia bildet.

Endlich rollte der Zug über diesen Strom, der Oregon von Washington trennt, und hielt auf dessen rechtem Ufer oberhalb der Vereinigung mit dem Villamette, am 18. um acht Uhr morgens, in Vancouver an.

Harris T. Kymbale hatte nun blos noch sechs Stunden Zeit, befand sich aber auch nur noch hundertzwanzig Meilen (193 Kilometer) von Olympia entfernt.

Wenn er es nicht so eilig gehabt hätte, wie gern hätte er sich ebenso Oregon, das er eben verlassen hatte, wie Washington, dessen Boden er jetzt zum erstenmale betrat, näher und gründlicher angesehen!

Washington ist ein blühender Staat mit dreihundertfünfzigtausend Bewohnern, so weit er auch am Ende des Bundesgebietes liegt, dem er erst 1859 angegliedert wurde und in dem er die achtzehnte Stelle einnimmt. Seine Hauptstadt ist Olympia, das die Seeschiffe mittelst des Pugetsundes anlaufen können; dennoch wird es bezüglich des Handelsumfangs von Seattle übertroffen, und auch von Tacoma durch dessen Verkehr mit Japan und China; dieses letztgeborne Kind der Städtefamilie Washingtons berechtigt auch für die Zukunft zur besten Hoffnung.

Von Vancouver – wohl zu bemerken von der Stadt dieses Namens in Washington, nicht von der etwa hundert Meilen nördlicher liegenden des englischen Columbia – fuhr Harris T. Kymbale nun um acht Uhr morgens ab, um die letzte Strecke seiner Reise zurückzulegen.

Jetzt war kaum noch ein Hinderniß oder eine Verzögerung zu befürchten. Nur neun Stationen waren zu durcheilen, und der Zug mußte kurz nach elf Uhr in Olympia eintreffen. Holbroock, Waren, Kalama, Stockport, Sopenah, Chealis und Centralia waren nacheinander bald erreicht. Mit großer Schnelligkeit bewegte sich der Zug durch das von zahlreichen Zuflüssen und Nebenarmen des Columbia bewässerte Land. Um elf Uhr drei Minuten lief er endlich in die kleine Station Tenino ein, die von der Hauptstadt nur noch vierzig Meilen (64 Kilometer) oder wenig über fünfzehn Lieues entfernt liegt.

Hier erhielten die Reisenden eine unangenehme, für Harris T. Kymbale geradezu verderbliche Nachricht . . . die Meldung von einem Unfall, den auch der sorgsame Bickhorn von der »Tribune« nicht hatte voraussehen können. Der Zug mußte in Tenino stehen bleiben. Zehn Meilen von der Station war vor einer Stunde eine kleine Brücke eingestürzt und der Verkehr auf dieser Bahnstrecke damit unterbrochen.

Wenn irgendeiner, so war das ein tödlicher Schlag, von dem sich der vierte Partner vielleicht kaum erholen sollte.

»Verwünschtes Schaukelbrett,« rief er, aus dem Wagen springend, »du hast die Schuld, daß ich noch im Hafen umkommen muß!«

Doch nein, vielleicht sollte er sich noch aus der Verlegenheit ziehen . . .

Eben traten drei junge Leute, die auch den Zug verlassen hatten, an ihn heran.

»Herr Kymbale,« begann der eine, »sind Sie Radfahrer?«

»Ja gewiß.«

»So kommen Sie!«

Weitere Worte wurden vorläufig nicht gewechselt. Hier galt es einen schnellen Entschluß, wie er sich für die praktischen Menschen in den Vereinigten Staaten schickt.

Auf Verlangen wurde nicht ein Bicycle, sondern ein Triplett aus dem Packwagen herausgegeben und auf dem Perron des Bahnhofs niedergesetzt.

»Herr Kymbale,« sagte der junge Mann, »der eine von uns wird Ihnen seinen Platz in der Mitte überlassen, der andere wird sich auf den dritten Sattel setzen, ich selbst setze mich auf den vorderen, so dürfte es möglich sein, Olympia noch vor zwölf Uhr zu erreichen.«

»Ihre Namen, meine Herren?«

»Will Stanton und Robert Flock.«

»Und der Ihrige, mein Herr, der Sie mir Ihren Platz einräumen wollen? . . .«

»John Berry.«

»Nun, meine Herren Stanton, Flock und Berry, ich danke Ihnen . . . doch jetzt vorwärts, und möge der heilige Cycle, der Schutzgott der Radfahrer, mit uns sein!«

Fünfzehn Lieues in weniger als einer Stunde! . . . Diesen Record hatte noch kein Berufsfahrer aufgestellt.

Noch bevor sie starteten, sagte Kymbale:

»Aber, meine Herren, ich weiß gar nicht, wie ich mich abfinden soll . . .«

»Dadurch, daß Sie gewinnen,« erwiderte einfach Will Stanton.

»Wir haben auf Sie gewettet,« setzte Robert Flock hinzu.

Das Triplett, eine Maschine aus der Fabrik von Cambdon and Co. in New York, war auf siebenundzwanzig Fuß zwei Zoll übersetzt und hatte sich bereits bei einem internationalen Wettfahren auf dem Velodrom von Chicago trefflich bewährt. Die berühmten Fahrer Will Stanton und Robert Flock, beide aus Washington gebürtig, galten als vorzügliche Steher und waren jetzt in bester Form, also zu den größten Leistungen fähig, die im Radfahrsport erwartet werden können. Der auf dem mittleren Sattel sitzende Harris T. Kymbale brauchte sich eigentlich nur mitnehmen zu lassen, er gedachte aber, seine Entraineurs – hier wörtlich: Dahinzieher – mit all seiner Muskelkraft zu unterstützen und fleißig mit Pedal zu treten.

Will Stanton setzte sich also vornehin, Robert Flock sprang hinten auf und Harris T. Kymbale nahm zwischen beiden Platz. Einige hilfsbereite Personen, die die Maschine auf der Straße erst hielten, gaben ihr einen kräftigen Anstoß, und begrüßt von dröhnenden Hurrahs rollte sie pfeilschnell dahin.

Der Start war prächtig gelungen. Das flüchtige Gefährt flog wie »ein geölter Blitz« – ein echt amerikanischer Ausdruck! – über den gut unterhaltenen Weg, eine Sportplatzfahrbahn nur ohne Kurven, der in dem der Küste benachbarten Theile von Washington auch sehr eben verlief. Die drei Radfahrer sprachen kein Wort; sie hielten den Mund geschlossen und zwischen den Lippen nur eine Federspule, die, ohne der Luft ein zu heftiges Eindringen in die Lungen zu gestatten, doch die Athmung durch die Nase unterstützte.

In dieser Weise »spurteten« sie gleich vom Anfange des rasenden Rennens an. Die Räder des Tripletts drehten sich mit der Schnelligkeit einer von einem mächtigen Motor angetriebenen Dynamomaschine, hier bildeten den Motor freilich drei Männer, deren zu Bleuelstangen verwandelte Beine den Apparat aus Leibeskräften vorwärts trieben. Hinter dem Triplett zog eine dichte Staubwolke her, und wenn es durch einen seichten Wasserlauf rollte, schlug das Wasser klatschend in die Höhe und fiel auf die Radkränze nieder. Der Führende klingelte häufig und anhaltend, um sich freien Weg zu sichern, und die Leute auf der Straße stellten sich an deren Seiten auf, um die Blitzmaschine vorübersausen zu lassen.

Nach der ersten Viertelstunde waren, wie Will Stanton, der die Meilensteine des Weges im Auge behielt, ansagte, die ersten fünf Lieues (19,49 Kilometer) überwunden, und es bedurfte also nur der Einhaltung des bisherigen Tempos, um das Ziel einige Minuten vor zwölf Uhr zu erreichen.

Wenn sich der Fahrt erst kein Hinderniß entgegenzuthürmen schien, so änderte sich das leider bald, als das Triplett über eine weite Ebene flog, indem sich plötzlich ein wüthendes Geheul vernehmen ließ.

Robert Flock that unwillkürlich einen Schrei, wobei er die Federspule aus dem Munde verlor.

»Coyotten!« rief er, »Coyotten!«

In der That handelte es sich um Coyotten, um etwa zwanzig jener schrecklichen Prairiewölfe. Jedenfalls von Hunger gequält, sprangen die gefährlichen Thiere auf das Triplett schneller zu, als dieses entweichen konnte.

»Haben Sie einen Revolver zur Hand?« fragte Will Stanton, ohne die Schnelligkeit der Fahrt zu vermindern.

»Ja,« antwortete Harris T. Kymbale.

»Halten Sie sich bereit, Feuer zu geben . . . und auch Du, Flock, mit dem Deinigen . . . Ich muß die Steuerung behalten. Wir wollen aber alle drei kräftig in die Pedale treten, vielleicht gelingt es doch, der Meute zu entfliehen.«

Ihr entfliehen? . . . Es zeigte sich bald, daß das unmöglich war.

In tollen Sprüngen jagten die Coyotten dem Triplett nach, begierig, sich auf den Reporter und seine Begleiter zu stürzen, die rettungslos verloren waren, wenn sie zum Stürzen kamen.

Da krachten zwei Schüsse, und tödlich getroffen kollerten zwei Wölfe heulend auf die Straße. Nur noch wüthender stürzten die andern auf die Maschine zu, die ihrem Anprall nur durch eine scharfe Wendung ausweichen konnte, welche Harris T. Kymbale beinahe aus dem Sattel geschleudert hätte.

»Fest treten! . . . Fest!« rief Will Stanton.

Die Ketten spannten sich so straff an, daß die Zähne des Uebersetzungsrades knirschten und zu brechen drohten.

In der zweiten Viertelstunde waren weitere fünf Lieues zurückgelegt. Mehr als vorher galt es aber jetzt, sich gegen die Coyotten zu wehren, die nach den Radnaben sprangen und deren Krallen an den stählernen Speichen kratzten. Die Revolver wurden bis zur letzten Patrone abgefeuert, und von der auf die Hälfte verminderten Herde lagen etwa ein Dutzend Wölfe verendet auf der Straße.

Da gelang es Harris T. Kymbale, der die Lenkstange losließ, seinen Revolver aufs neue zu laden, und seine nächsten sechs Schüsse trieben die noch übrigen Coyotten glücklich in die Flucht.

Es war jetzt elf Uhr fünfzig Minuten. In der Entfernung von etwa zwei Lieues tauchten die ersten Häuser von Olympia auf.

Das Triplett durchflog diese Strecke mit der Schnelligkeit eines Expreßzugs, erreichte die Stadt und sauste durch diese, alle Polizeivorschriften nicht beachtend und auf die Gefahr hin, einen der fünftausend Stadtbewohner zu zermalmen, im gleichen Tempo bis zur Postanstalt, wo es ankam, als es vom Thurme eben zwölf zu schlagen anfing.

Harris T. Kymbale sprang zur Erde. Zu Tode erschöpft, kaum noch zu athmen fähig, theilte er die Menge der Neugierigen, die das Eintreffen des vierten Partners erwarteten, und stürzte in den Vorraum, als die Uhr eben den zehnten Schlag that.

»Ein Telegramm für Harris T. Kymbale . . .« rief der Beamte am Telegraphenschalter.

»Hier!« antwortete der Hauptberichterstatter der »Tribune», der darauf bewußtlos auf eine Bank niedersank.

Dank der Opferwilligkeit und der Energie seiner Gefährten, war der Günstling des heiligen Cycle noch rechtzeitig eingetroffen. Die Herren Will Stanton und Robert Flock aber hatten – mit fünfzehn Lieues in sechsundvierzig Minuten und dreiunddreißig Secunden – den bestehenden Weltrecord glänzend verbessert!

 


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