Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Zweiter Band
Jules Verne

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VIII. Der Faustschlag des Reverend Hunter

Wenn irgend jemand wenig geeignet erschien, das siebenundvierzigste Feld zu besetzen, nach dem Staate Pennsylvanien und darin nach Philadelphia, der Hauptstadt des Staates, sowie gleich nach New York und Chicago der bedeutendsten Stadt der Union, geschickt zu werden, so war es gewiß Tom Crabbe, der Schwachkopf von Natur und Boxer von Beruf.

Das Schicksal macht aber einmal gern verkehrte Streiche, wie es im Sprichwort heißt, und an Stelle Max Real's, Harris T. Kymbale's oder Lissy Wag's, die alle die Pracht dieser Metropole mit Verständniß bewundert hätten, sendete es jenen Dummkopf in Begleitung seines Traineurs John Milner hierher. Das hatte sich das verstorbene Mitglied des Excentric Club jedenfalls nicht träumen lassen.

An der Thatsache ließ sich jedoch nichts ändern, am 31. Mai hatten »die Würfel gesprochen«. Die Augenzahl zwölf – durch sechs und sechs – war mittelst des Telegraphendrahtes zwischen Chicago und Cincinnati gemeldet worden. Der zweite Partner traf denn auch sofort Anstalt, das alte Porcopolis zu verlassen.

»Ja, ja, Porcopolis!« rief bei der Abfahrt John Milner in verächtlichstem Tone. »Wie, an dem Tage, wo es Tom Crabbe zuerst mit seiner Gegenwart beehrte, wälzt sich seine ganze Bevölkerung wie besessen nach einer Thierschau hinaus! Einem Rüsselthiere wendet sich die ganze öffentliche Aufmerksamkeit zu, kein einziges Hurrah aber ertönt für den Champion der Neuen Welt! . . . Schon gut, wenn wir den großen Geldbeutel Hypperbone's erst eingesteckt haben, wird schon der Tag der Rache kommen.«

John Milner wäre freilich in größte Verlegenheit gekommen, wenn er hätte erklären sollen, worin diese Rache bestehen werde. Vorläufig handelte es sich in erster Linie ja darum, die Partie zu gewinnen. Tom Crabbe hatte also, der Weisung des Telegramms zufolge, nichts andres zu thun, als in den Zug nach Philadelphia zu springen.

Nicht als ob es ihm an der zehnfachen Zeit für diese Reise gemangelt hätte. Die Staaten Ohio und Pennsylvanien stoßen aneinander. Sobald man über die Grenze des östlichen von ihnen kommt, befindet man sich schon in dem andern. Zwischen den beiden, nur sechshundert Meilen (965 Kilometer) von einander entfernt liegenden großen Städten stehen dem Reisenden mehrere Bahnlinien zu Gebote. Die Fahrt ist in zwanzig Stunden bequem abzumachen.

Das ist so ein Glücksfall, der dem Kommodore Urrican freilich nicht begegnen sollte, und der weder den Neid des jungen Malers, noch den des Reporters der »Tribune«, die immer lange Fahrten bevorzugten, im geringsten erregen konnte.

John Milner ärgerte sich ebensowenig wie Tom Crabbe darüber, keinen Tag mehr in dieser Stadt zu verweilen, die nur für phänomenale Vertreter der Schweinerasse Sinn hatte. Sobald der Traineur nur die Plattform des Zuges betreten hatte, schüttelte er sich gewiß mit Verachtung den Staub von den Füßen. Um die Anwesenheit Tom Crabbe's in Cincinnati hatte sich ja keine Seele gekümmert, kein Interviewer war nach seinem Hotel in der Vorstadt Covington gekommen, keine Wettlustigen waren hier zusammengeströmt, wie früher in Austin in Texas, und der Vorraum des Postamtes war an dem Tage leer geblieben, wo er dort erschien, um die von Meister Tornbrock an ihn ausgegebene Depesche in Empfang zu nehmen . . . Dank den erhaltenen zwölf Punkten überholte Tom Crabbe aber wenigstens Max Real um drei Felder und um ein Feld selbst den Mann mit der Maske.

In seiner Eigenliebe verletzt, beleidigt durch die Haltung der Einwohnerschaft Cincinnatis und wüthend über eine derartige Gleichgiltigkeit verließ John Milner das Hotel um zwölf Uhr siebenunddreißig Minuten und begab sich mit Tom Crabbe, als dieser seine zweite Mahlzeit verzehrt hatte, nach dem Bahnhofe. Der Zug ging ab und überschritt, nachdem er in Columbus getheilt worden war, die vom Ohio gebildete Ostgrenze des Staates.

Pennsylvanien verdankt seinen Namen dem berühmten englischen Quäker Penn, der gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts weite Gebietsstrecken an den Ufern des Delaware erworben hatte. Das trug sich in folgender Weise zu:

William Penn hatte von England eine bedeutende Summe zu fordern, die man ihm nicht zurückzuerstatten wünschte. Deshalb bot ihm Karl II. zur Entschädigung einen Theil des Gebietes an, das damals im Besitz des Vereinigten Königreichs war. Der Quäker ging darauf ein, und bald darauf, schon 1681, legte er den ersten Grund zu dem spätem Philadelphia. Bei der damals vorhandenen Bedeckung des Bodens mit ungeheuern Wäldern lag es nahe, das Land Sylvana zu nennen und diesem Worte den Familiennamen Penn's hinzuzufügen . . . daher Pennsylvania zu sagen.

Diese Geschichte hätte Harris T. Kymbale nebst andern das Land betreffenden Notizen und sicherlich zur Befriedigung der Leser der »Tribune« erzählt, wenn das Schicksal ihm eine vierzehntägige Villegiatur im pennsylvanischen Gebiete gegönnt hätte. Mit welch gewandter Feder würde er das übrigens Ohio recht ähnliche Land geschildert haben, das die Alleghanykette von Südwesten nach Nordosten durchzieht und damit eine große Wasserscheide bildet. Er hätte dessen allgemeines Aussehen beschrieben, das die zweite Hälfte seines Namens noch immer rechtfertigt, denn es trägt endlose Wälder von Eichen, Buchen, Kastanien- und Nußbäumen, wie von Ulmen, Eschen und Ahornbäumen, hat Niederungen mit vielem Sassafras und Weiden, worauf sich starke Viehherden tummeln und sehr schöne Pferde gezüchtet werden, die freilich, ebenso wie die von Oregon und von Kansas, das Fahrrad einst zum Aussterben bringen dürfte. Er hätte mit hochtönenden, geistreichen Phrasen von den ausgedehnten Feldern erzählt, wo der Maulbeerbaum zur Freude der Seidenzüchter fröhlich gedeiht, und auch von den Weinbergen, die einen reichen Ertrag liefern. Denn wenn Pennsylvanien auch im Winter, seiner Breitenlage gar nicht entsprechend, sehr kalt ist, so hat es doch im Sommer eine fast tropische Hitze. Ferner hätte er, sich auf Zahlen stützend, wohl von den Reichthümern des Bodens gesprochen, der so viel Steinkohle, Anthracit, Eisenerz, Petroleum- und Naturgasquellen enthält und so freigebig, so unerschöpflich ist, daß er an Stahl und Eisen mehr Tonnen liefert als die übrigen in der Republik vereinigten Staaten zusammen. Vielleicht hätte der begeisterte Reporter endlich noch von seinen Jagden auf Elchthiere, Damwild, wilde Katzen, Wölfe, Füchse und braune Bären erzählt, die im Staate noch ziemlich häufig vorkommen, denn er war ein großer Liebhaber Jagd-Heldenthaten.

Wir brauchen kaum hinzuzufügen, daß Harris T. Kymbale auch alle bedeutenderen Städte aufgesucht hätte, schon um die Genugthuung zu genießen, überall einen lauten Empfang zu finden und die Glückwünsche zu hören, die ihm, einem Favoriten in dem excentrischen Wettrennen, ausnahmslos zutheil wurden. Er hatte die zwei fast verwachsenen Städte Alleghany und Pittsburg besichtigt, wo sein Mitbewerber Max Real bis zur Abreise nach Richmond eine Zeit lang verweilt hatte; er hätte einen Theil seiner Zeit der Hauptstadt des Staates, Harrisburg, gewidmet, wo vier schöne Brücken den aus den Blauen Bergen herabströmenden Susquehanna überspannen, an dem selbst wieder Metallfabriken zu meilenlanger Reihe liegen. Jedenfalls hätte er sich auch nach dem weitberühmten Friedhofe von Gettysburg begeben, dem Schauplatze eines Kampfes im Secessionskriege, wo die Soldaten des conföderierten Heeres 1863 an demselben Tage fielen, wo sich der Mississippi dem General Grant durch die Einnahme der Festung Wicksburg öffnete. Das wäre übrigens jedenfalls in Gesellschaft zahlreicher Pilger aus dem Süden wie aus dem Norden geschehen, die alljährlich hier zusammenströmen, um den Todten unter den langen Reihen von Grabsteinen, die sich auf dieser blutgetränkten Nekropolis erheben, eine Ehrenbezeugung darzubringen. Das Gebiet des Laubes enthielt auch noch manche andre, blühende Städte, wie Scrauton, Reading, Erie am gleichnamigen See, Lancaster, Altoona, Wilkesbarre u. s. w., mit einer Bevölkerung von mehr als dreißigtausend Seelen. Endlich hätte der Hauptberichterstatter der großen Chicagoer Zeitung gewiß den Mont-Ours, in der Nähe des Leightthales, aufgesucht, der gegen zweihundert Meter hoch ist und wo 1827 die erste Eisenbahn erbaut würde. Der Berg liegt übrigens neben einer Anthracitgrube, die seit einem halben Jahrhundert in Flammen steht.

Was Max Real anginge, der die industrielle Gegend ganz und gar nicht leiden mochte, wäre hier doch darauf hinzuweisen, daß er auf pennsylvanischem Gebiete so manches hübsche, seines Pinsels würdige Landschaftsbild gefunden hätte, vor allem abwechslungsreiche und malerische Gegenden am Abhange der Alleghanys und in den Thälern des Gebirgsstocks der Appalachen.

Doch weder der erste, noch der vierte Partner waren – ein bedauerlicher Verlust für die Nachwelt – nach dem siebenundvierzigsten Felde geschickt worden.

Von Thomas Crabbe, oder richtiger von John Milner, war keine Bethätigung eines Interesses an Natur oder Menschenwerk zu erwarten. John Milner's Held sollte sich nach Philadelphia begeben, folglich ging er dahin, doch nirgends anderswohin. Diesmal würde sich die öffentliche Aufmerksamkeit auch nicht von ihm abwenden. Er mußte wieder der Mann des Tages werden. Nöthigenfalls wollte John Milner ihn in das rechte Licht setzen und die große Stadt zwingen, sich mit einer Persönlichkeit zu beschäftigen, die in den Boxerkreisen Nordamerikas eine so hervorragende Stellung einnahm.

Gegen zehn Uhr abends am 31. Mai hielt Tom Crabbe seinen Einzug in die »Stadt der brüderlichen Liebe«, wo sein Traineur und er die erste Nacht incognito verbrachten.

Am nächsten Tage wollte John Milner erst sehen, woher der Wind hier wehte. Kam dieser aus günstiger Richtung und hatte er den Namen des berühmten Boxers wohl schon bis zu den Delawareufern getragen?

Seiner Gewohnheit gemäß hatte John Milner den Tom Crabbe im Hotel zurückgelassen, nachdem er wegen dessen zwei Vormittagsmahlzeiten die nöthige Vorsorge getroffen hatte.

Wie in Cincinnati hatte er auch hier ihre Namen nicht sogleich ins Fremdenbuch eingetragen; vorher hielt er einen Spaziergang durch die Stadt für angezeigt. Da der Ausfall des letzten Würfelns hier seit dem Tage vorher bekannt geworden sein mußte, konnte er sich unterwegs leicht überzeugen, ob sich die Bevölkerung mit der Ankunft Tom Crabbe's beschäftigte oder nicht.

Handelt es sich darum, durch eine Stadt dritten oder vierten Ranges, also durch eine von beschränktem Umfang, zu wandern, so ist das ja in wenigen Stunden abzumachen. Das gilt aber nicht für ein städtisches Gemeinwesen, das unter Anrechnung der Vororte Manaynak, Germanstown, Camden und Gloucester nicht weniger als zweimalhunderttausend Häuser und elfhunderttausend Seelen zählt. Schräg von Nordosten nach Südwesten und dem Bett des Delaware folgend, hat Philadelphia eine Längsausdehnung von sechs Meilen (9,6 Kilometer) und eine Oberfläche, die beinahe der Londons gleichkommt. Das erklärt sich vor allem durch die Gewohnheit der meisten Philadelphier, Einzelhäuser zu bewohnen, während Riesenbauten mit Hunderten von Miethbewohnern, wie in Chicago und New York, hier höchst selten sind. Es ist die Stadt des »home« par excellence.

Die Metropole ist wirklich sehr groß, doch auch glänzend, offen und luftig, regelmäßig gebaut und hat mehrere Hauptstraßen von hundert Fuß (30,5 Meter) Breite. Die Vorderseiten ihrer Häuser bestehen aus Backsteinen und Marmor. Schattenkühle Gänge, die noch aus dem Anfang der sylvanischen Epoche des Landes bis in die Gegenwart herübergerettet worden sind, zieren sie ebenso wie prachtvolle Gartenanlagen, Squares und Parke, darunter der Fairmount-Park, der größte von allen in den Vereinigten Staaten, ein Stück Land von zwölfhundert Hektaren am Rande des Schnylkill, dessen Schluchten noch in ihrer alten Wildheit erhalten geblieben sind.

Im Laufe dieses ersten Tages konnte John Milner natürlich nur einen Theil der Stadt – es war der am rechten Delawareufer – besuchen, er begab sich dann wieder nach ihrem westlichen Theile, immer längs des Schnylkill, eines Nebenflusses des Stromes, der von Nordwesten nach Südosten verläuft. Auf der andern Seite des Delaware liegt New Jersey, einer der kleinen Unionsstaaten, zu dem die Vororte Camden und Gloucester gehören, die wegen Mangels an Brücken mit der großen Stadt nur mittelst Dampffähren in Verbindung stehen.

John Milner kam heute also nicht nach dem Mittelpunkte der Stadt, von dem die großen Verkehrsadern rund um das Rathhaus ausstrahlen, jenes gewaltige Bauwerk aus weißem Marmor, das viele Millionen Dollars gekostet hat und dessen Thurm nach seiner Vollendung in der luftigen Höhe von fast sechshundert Fuß (182 Meter, der Kölner Dom ist 155 Meter hoch) die Kolossalstatue William Penn's tragen wird.

Wenn John Milner während seines Aufenthalts in Philadelphia auch nicht umhin konnte, die Merkwürdigkeiten der Stadt wenigstens zu sehen, so kam ihm doch sicherlich nicht der Gedanke, sie auch zu besuchen. Unter den vielen Sehenswürdigkeiten nennen wir hier nur das Arsenal, die Schiffswerften auf League Island, einer Insel im Delaware, das aus Alleghanymarmor errichtete Zollgebäude, die Münze, in der noch jetzt alles Metallgeld der Föderativrepublik geschlagen wird, das Seehospital, das in der Independance Hall – wo die Willenserklärung von 1776 unterzeichnet wurde – untergebrachte naturhistorische Museum, das Grand College mit korinthischer Architektur, worin Hunderte von Waisenkindern verpflegt werden, ferner die Universitätsbauten, die Akademie der Naturwissenschaften mit ihren kostbaren Sammlungen, den Botanischen Garten, einen der schönsten und reichhaltigsten in der Union, und endlich die zweihundertsechzig Kirchen und die sechs Quäkertempel dieser alten und berühmten Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika.

John Milner war ja nicht hierhergekommen, um Philadelphia kennen zu lernen. Niemand erwartete von ihm, wie von Max Real oder Harris T. Kymbale, neue Gemälde oder Zeitungsberichte. Er hatte nur die Aufgabe, Tom Crabbe dahin zu geleiten, wohin er sich nach dem letzten Würfelfalle begeben mußte. Dagegen beabsichtigte er, diese Reise zu einer wirksamen Reclame für Tom Crabbe auszunutzen, im Fall daß dieser, wenn er die sechzig Millionen Dollars nicht gewann, seinen Beruf als Boxer weiter zu betreiben hätte.

An Liebhabern dieses rohen Sportzweigs konnte es in Philadelphia nicht fehlen. Hier gab es Hunderttausende von Arbeitern in Erzbergwerken, Maschinenfabriken, Raffinerien, chemischen Fabriken, Teppich- und Stoffwebereien – solcher Etablissements giebt es über sechstausend – außer den Arbeitern im Hafen, wo Kohlen, Petroleum, Getreide und Erzeugnisse jeder Art ausgeführt werden und dessen Handelsumsatz nur von dem New Yorks übertroffen wird.

Hier in dieser Welt, wo man körperliche Eigenschaften höher als geistige schätzt, mußte Tom Crabbe wohl in seinem wahren Werthe erkannt werden. Uebrigens finden sich auch unter den andern, den sogenannten höhern Gesellschaftsclassen noch Herren, die einen regelrechten Faustschlag ins Gesicht und die Ausrenkung eines Unterkiefers recht gut zu schätzen wissen.

John Milner überzeugte sich zu seiner großen Befriedigung, daß der Markt der Market Street von Philadelphia, der einer der ausgedehntesten in allen fünf Erdtheilen sein soll, jetzt nicht von einer Thierschau mit Vertheilung von Preisen eingenommen war. Sein Begleiter hatte hier also keinen Rivalen zu fürchten, wie in dem abscheulichen Spring Grove Cincinnatis, und die indigoblaue Flagge würde sich diesmal nicht vor der Majestät eines riesigen Schweines zu senken haben.

John Milner fühlte sich hierüber auch schon von Anfang an beruhigt. Die Zeitungen Philadelphias hatten in wortreichen Artikeln angekündigt, daß der Staat Pennsylvanien in nächster Zeit, d. h. in den vierzehn Tagen zwischen dem 31. Mai und dem 14. Juni das Eintreffen des zweiten Partners zu gewärtigen habe. Sofort hatten die Wettagenturen ihr Werk begonnen, die Mäkler sich bemüht, die Kreise der Spieler für Tom Crabbe zu erwärmen, indem sie darauf hinwiesen, daß er allen seinen Mitbewerbern voraus sei, und ausrechneten, daß es für ihn zur Erreichung des Zieles nur zweier glücklicher Würfe bedürfe u. s. w. u. s. w.

Welch ein Hochgenuß wär' es aber am nächsten Tage, als Tom Crabbe von seinem Traineur durch die belebtesten Straßen der Stadt spazieren geführt wurde, erst für den Boxer gewesen, wenn dieser hätte . . . lesen können!

Ueberall riesige Maueranschläge, freilich von ähnlicher Art, wie die, die das Riesenschwein von Cincinnati betrafen, mit dem Namen des zweiten Partners in fußhohen Buchstaben, die von Ausrufungszeichen wie von einer Leibgarde begleitet waren – ohne von den Flugblättern zu reden, die von den Vertretern der Agenturen mit lauter Stimme angeboten und an jedermann vertheilt wurden.

 

Tom Crabbe! Tom Crabbe!! Tom Crabbe!!!

Der berühmte Tom Crabbe, der Champion der Neuen Welt!

Tom Crabbe, der Fitzsimons und Corbett glänzend besiegt hat!

Tom Crabbe, der auch Real, Kymbale, Titbury, Lissy Wag, Hodge Urrican und X. K. Z. schlagen wird!!!

Der große Favorit im Match Hypperbone!!!

Tom Crabbe, der den ersten Platz behauptet!!!

Tom Crabbe, der nur noch sechzehn Felder vom Ziele entfernt ist!!!

Tom Crabbe, der die indigoblaue Flagge auf den Berghöhen von Illinois aufpflanzen wird!!!

Tom Crabbe weilt in unsern Mauern!!!

Hurrah! Hurrah!! Hurrah für den großen Tom Crabbe!!!

 

Selbstverständlich antworteten andre Agenturen, die nicht zu Gunsten des zweiten Partners eintraten, mit andern Placaten, die nicht weniger von Ausrufungszeichen strotzten und Crabbe's Farben die Max Real's und Harris T. Kymbale's gegenüberstellten. Die übrigen Partner, Lissy Wag, der Commodore und Hermann Titbury wurden schon als außer Mitbewerb gesetzt betrachtet.

Da ist es wohl begreiflich, welcher Stolz John Milner erfüllen mußte, als er sein »Wunderthier« durch die Straßen von Philadelphia, über die Hauptplätze, die Squares, nach dem Fairmount-Park und auch nach dem Markte der Market Street geleitete. Welche Entschädigung für die in Cincinnati erlittene Beschimpfung! . . . Welches Unterpfand des schließlichen Erfolges!

Mitten in seiner überschäumenden Freude traf John Milner aber doch am 7. ein ihn fast lähmender Schlag infolge eines unerwarteten, gleich zu schildernden Vorfalls. Es war der Nadelstich, der den zum Aufstieg fertigen Luftballon zum Zusammensinken zu bringen droht.

Ein Rival, wenn nicht gar ein Mitbewerber im Match Hypperbone, hatte dies Anschlagen eines nicht minder kolossalen Placats veranlaßt.

 

Cavanaugh gegen Crabbe!

 

Wer war dieser Cavanaugh? . . . O, hier in der Stadt kannte man ihn recht gut. Es war ein sehr renommierter Boxer, der vor drei Monaten in einem denkwürdigen Zweikampfe von Tom Crabbe besiegt worden war und bis jetzt, trotz dringender Aufforderungen, noch keine Gelegenheit zur Revanche gefunden hatte. Da sich Tom Crabbe jetzt in Philadelphia befand, enthielt das Placat nach dem Namen Cavanaugh's noch die Worte:

 

Herausforderung um das Championat!
Herausforderung!!
Herausforderung!!!

 

Tom Crabbe, das muß man zugeben, hatte jetzt etwas ganz andres zu thun, als auf eine solche Anzapfung zu antworten: er hatte ruhig in bequemem farniente den Ausfall des nächsten Würfelns abzuwarten. Cavanaugh freilich, oder vielmehr die, die ihn dem Champion der Neuen Welt auf den Hals hetzten, wollten das nicht gelten lassen. Wer konnte aber wissen, ob das Ganze nicht der Schachzug einer feindlichen Agentur war, die vielleicht darauf hoffte, den Partner, der schon am weitesten vorwärts gekommen war, unterwegs aufzuhalten?

John Milner hätte sich mit einem Achselzucken begnügen sollen. Selbst die Parteigänger Tom Crabbe's rührten sich, um ihm zu rathen, diese zu deutlich von Sonderinteressen veranlasste Herausforderung nicht zu beachten.

Einestheils kannte John Milner aber seines Schülers unbestreitbare Überlegenheit im Boxen über Cavanaugh und anderntheils sagte er sich, wenn Tom Crabbe die Partie nun doch nicht gewönne, nicht durch die Millionen des Testators bereichert würde und auch ferner öffentlich als Faustkämpfer aufzutreten gezwungen sei . . . werde sein Ruf jedenfalls dadurch geschädigt werden, daß er eine unter so besondern Umständen verlangte Genugthuung zu geben verweigert hätte.

Als Folge dieses Gedankenganges und nachdem noch weitere verletzende Placate aufgetaucht waren, die offen darauf hinzielten, den Champion der Neuen Welt »an der Ehre zu packen«, konnte man am nächsten Tage an allen Mauern Philadelphias lesen:

 

Annahme der Herausforderung!
Crabbe gegen Cavanaugh!!

 

Die Wirkung hiervon wird man sich denken können.

Tom Crabbe nahm also den Handschuh auf! Tom Crabbe, jetzt an der Spitze der »Sieben«, wagte es, in einem zweiten Faustkampfe mit dem gleichen Gegner seinen guten Platz zu verlieren! Vergaß er denn ganz, an welcher Partie er selbst und außerdem viele, die auf ihn gewettet hatten, jetzt betheiligt waren? . . . Ja, so schien es. Uebrigens sagte sich John Milner mit Recht, daß ein gebrochener Kiefer und ein ausgeschlagenes Auge Tom Crabbe nicht hindern könnten, seine Fahrten fortzusetzen und im Match Hypperbone die frühere Rolle zu spielen.

Der Revanchekampf sollte also stattfinden . . . dann aber auch je eher je lieber.

Da tauchte plötzlich ein Hinderniß auf. Da Kämpfe dieser Art sogar in Amerika verboten sind, untersagte die Philadelphier Polizei den beiden Helden, unter Androhung von Geld- und Haftstrafe, gegeneinander in die Schranken zu treten. In einem Western Penitentiary eingesperrt zu sein, wo die Gefangenen gezwungen werden, irgend ein musikalisches Instrument zu lernen und dieses den ganzen Tag zu spielen – welch ein entsetzliches Concert, in dem übrigens das leiernde Accordeon vorherrscht, muß das ergeben! – das war grade keine allzu harte Strafe zu nennen. Einer Haftstrafe zu verfallen, bedeutete aber die Unmöglichkeit, am bestimmten Tage weiter zu reisen, sich Verzögerungen auszusetzen, wie Hermann Titbury einer solchen in Maine beinahe zum Opfer gefallen wäre.

Nun ließ sich die Sache aber doch vielleicht ausführen, ohne die Einmischung eines Sherifs zu fürchten zu haben. Es genügte ja wohl, sich nach einem benachbarten kleinen Orte zu begeben, Schauplatz und Stunde des Zweikampfs geheim zu halten und die große Frage des Championats außerhalb Philadelphias auszufechten.

Dahin einigte man sich wirklich. Nur die Zeugen der beiden Boxer und einige in bestem Rufe stehende Liebhaber wurden über die getroffenen Vereinbarungen unterrichtet.

Die Sache verlief dann sozusagen zwischen Berufsboxern, und wenn man davon zurückkam, hatte sich keine städtische Behörde mehr damit zu beschäftigen. Man wird zugestehen, daß das immerhin ein gewagter, unkluger Schritt war . . . wo aber die Eigenliebe einmal ins Spiel kommt, da schweigt bekanntlich die Stimme des Verstandes.

Die Kampfbedingungen wurden also festgesetzt. Da jetzt aber weitere Maueranschläge ausblieben und sich sogar das Gerücht verbreitete, die Revanche sei bis nach Vollendung des Matches verschoben worden, konnten die Leute glauben, daß jetzt kein Zweikampf stattfinden werde.

Und dennoch trafen am 9. gegen acht Uhr morgens in dem kleinen, etwa dreißig Meilen von Philadelphia entfernten Orte Arondale eine Anzahl Herren in einem für diesen Zweck eigens gemietheten Saale zusammen.

Photographen und Kinematographisten begleiteten sie, um der Nachwelt alle Stadien des so hochinteressanten Ereignisses aufzubewahren.

Unter der Gesellschaft befanden sich Tom Crabbe, dieser in vorzüglicher Form und bereit, seine furchtbaren Arme in Kopfhöhe seines Gegners vorzustoßen, und Cavanaugh, der zwar etwas kleiner, doch ebenso breitschulterig und äußerst musculös war . . . zwei Kämpen, fähig bis zu zwanzig oder dreißig »Runden« zu gehen, d. h. den Faustkampf zwanzig- oder dreißigmal wieder aufzunehmen.

Als Secundanten dienten dem ersten John Milner, dem zweiten sein eigner Traineur. Liebhaber und Berufsboxer umringten die beiden, begierig den Vorstoß und die Abwehr der beiden Maschinen von vier Fäustekraft zu beobachten.

Kaum sind die Arme aber zum Kampfe bereit, da erscheint der Sherif von Arondale, Vincent Bruck, begleitet von einem Geistlichen, Hugh Hunter, dem Methodistenpfarrer des Kirchspiels, einem eifrigen Vertreiber von gleichzeitig antiseptischen und antiskeptischen Bibelausgaben. Durch eine Indiscretion benachrichtigt, eilten beide nach dem geheimen Kampfplatze, um das unmoralische, menschenunwürdige Vorhaben, der eine im Namen der pennsylvanischen, der andre im Namen der göttlichen Gesetze, zu verhindern.

Natürlich fanden sie einen recht schlechten Empfang ebenso seitens der beiden Champions wie seitens der Zeugen und der Zuschauer, die nun einmal in diesen Sport vernarrt und bei dem bevorstehenden Kampfe mit Wetten betheiligt waren.

Der Sherif und der Geistliche versuchten zu sprechen . . . niemand wollte sie anhören. Sie wollten die beiden Gegner trennen . . . die andern hinderten sie daran. Was konnten die Zwei auch ausrichten gegen so breitrückige, musculöse Kämpen, die scheinbar stark genug waren, sie mit einem Stoße zwanzig Fuß weit über den Boden hinzuschleudern?

Die beiden Störenfriede hatten freilich die geheiligte Amtswürde für sich. Sie verkörperten die irdische und die himmlische Autorität, hier fehlte ihnen aber die Unterstützung der Polizeigewalt, die ihrem Auftreten gewöhnlich Nachdruck verlieh.

Eben wollten Tom Crabbe und Cavanaugh, unbekümmert um die Amtspersonen, zur Offensive und zur Defensive übergehen.

»Halt!« rief da Vincent Bruck.

»Oder nehmen Sie sich in acht!« setzte der Reverend Hunter hinzu.

Vergeblich; es erfolgten einige Fauststöße, die aber, dank einem gewandten Zurückweichen der Gegner, in die Luft gingen.

Da ereignete sich etwas, was geeignet war, erst die Ueberraschung und dann die Bewunderung derer, die davon Zeugen waren, zu erwecken.

Weder der Sherif noch der Geistliche waren von hohem Wuchse oder besonders kräftig gebaut; es waren zwei magere Männer von mittlerer Größe. Was ihnen aber an roher Kraft abging, das ersetzten sie, wie man sogleich sehen wird, durch Gewandtheit, Geschicklichkeit und Beweglichkeit.

In einem Augenblicke waren Vincent Bruck und Hugh Hunter auf die beiden Boxer zugesprungen. John Milner, der versucht hatte, den Geistlichen aufzuhalten, bekam eine meisterhafte Ohrfeige, die ihn halb bewußtlos zu Boden streckte.

Eine Secunde später wurde Cavanaugh mit einem Faustschlage beehrt, den ihm der Sherif aufs linke Auge versetzte, während Seine Hochehrwürden gleichzeitig Tom Crabbe das rechte Auge fast aus dem Kopfe schlug.

Die beiden Berufskämpfer wollten ihre Angreifer zu Boden hämmern; diese aber wichen ihrem Angriff sich duckend und mit Affengeschwindigkeit hin und her springend aus und entgingen auch den bestgezielten Streichen.

Von diesem Augenblick an – zu verwundern war es ja nicht, denn der Vorgang spielte sich vor einem Parquet von Sachkennern ab – ertönten laute Beifallsrufe, kräftige Hurrahs und Hipps nur noch für Vincent Bruck und Hugh Hunter.

Kurz, der Methodist erwies sich außerordentlich methodisch in seiner Weise, nach allen Regeln der Kunst vorzugehen, so daß er, nachdem er Tom Crabbe zum Einäugigen gemacht hatte, diesen auch noch zum Blinden machte, indem er dessen linkem Auge eine ebenso unsanfte Behandlung wie dem rechten angedeihen ließ.

Endlich zeigten sich auch mehrere Polizisten auf der Bühne, und nun erschien es am rathsamsten, schnell Fersengeld zu geben.

In dieser Weise endigte der denkwürdige Kampf zum Vortheil und zur Ehre eines Sherifs und eines Geistlichen, die ihn im Namen des Gesetzes und der Religion ausgefochten hatten.

Mit einer geschwollenen Wange und einem blaurothen Auge geleitete John Milner seinen Tom Crabbe nach Philadelphia zurück, wo sich beide in ihrem Zimmer einschlossen und in Erwartung der nächsten Depesche ihre Schande verbargen.

 


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