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Einen Fetisch für das Titbury'sche Ehepaar? . . . Gewiß machte sich das Bedürfniß für einen solchen geltend, und wäre es nur ein Endchen des Stricks, mit dem der Räuber Bill Arrol gehenkt worden war . . . es wäre hochwillkommen gewesen. Doch, wie der Beamte in Great Salt Lake City erklärt hatte, man müsse ihn erst fangen, dann würde er gehangen . . . und das schien sich nicht so bald erfüllen zu sollen.
Dieser Fetisch, wenn er Hermann Titbury das Gewinnen der Partie gesichert hätte, wäre ja mit den ihm im Cheap Hotel gestohlenen dreitausend Dollars nicht zu theuer bezahlt gewesen. Vorläufig besaß die blaue Flagge aber kaum noch einen Cent, und wüthend und nicht weniger durch die ironischen Antworten des Sherifs verletzt, verließ deren Träger das Polizeiamt und suchte Frau Titbury wieder auf.
»Nun, Hermann,« fragte diese, »wie steht's mit dem Schurken, dem elenden Inglis?«
»Er heißt gar nicht Inglis,« antwortete Titbury, auf einen Stuhl niedersinkend, »sein wirklicher Name ist Bill Arrol . . .«
»Ist er denn verhaftet?«
»Das soll erst geschehen.«
»Aber wann?«
»Sobald man ihn erwischt hat.«
»Und unser Geld? . . . Unsre dreitausend Dollars . . .«
»Für die geb' ich keine fünfzig Cents mehr!«
Jetzt sank Frau Titbury, eine Ruine, auf einem Armstuhle zusammen. Da die ausgezeichnete Frau aber alles schnell überwand, erhob sie sich bald wieder, und als ihr Mann, der in tiefster Niedergeschlagenheit dasaß, dann fragte:
»Was sollen wir nun beginnen?«
»Abwarten!«
»Abwarten . . . was denn? . . . Etwa daß dieser Bandit Arrol . . .«
»Ach nein, Hermann, das Telegramm des Meister Tornbrock abwarten, das ja bald eintreffen muß. Nachher werden wir ja sehen . . .«
»Doch woher Geld nehmen? . . .«
»Wir haben Zeit genug, uns welches schicken zu lassen, und würden wir auch bis ans Ende der Vereinigten Staaten geschickt . . .«
»Was mich bei dem Pech, das uns in allem verfolgt, gar nicht wundern würde.«
»Komm, folge mir,« antwortete Frau Titbury entschlossen.
Beide verließen das Hôtel, um sich nach dem Telegraphenamt zu begeben.
Die ganze Stadt hatte inzwischen, wie man sich leicht denken kann, von den Mißgeschick des Titbury'schen Ehepaares gehört. Freilich schien Great Salt Lake City für die Leute nicht mehr Theilnahme zu empfinden, wie Calais, von wo diese graden Weges herkamen. Doch es fehlte hier nicht allein an Theilnahme für sie, sondern auch an Vertrauen. Wer hätte je etwas auf Leute zu setzen gewagt, denen so unangenehme Dinge begegneten, auf Stiefkinder des Glücks, die nach zwei »Ziehungen« immer erst nach dem vierten Felde gelangt waren . . . auf solche Nachzügler, gegen die ihre Mitbewerber einen so großen Vorsprung hatten? Nicht fünfzig gegen eins wollten die Leute auf sie zu wetten wagen.
Hatten sich auch einige Personen im Vorraum des Postamts eingefunden, als das Pärchen hier erschien, so waren das doch nur Neugierige, eigentlich mehr Spottvögel, die den »guten Letzten« – so nannte man den unglücklichen Titbury – im stillen auslachen wollten.
Sticheleien prallten an diesem jedoch ebenso ab, wie an seiner Gattin. Ihnen verschlug es wenig, ob sie von den Agenten hoch taxiert wurden oder nicht; wer weiß denn, vielleicht stiegen sie durch einen besonders glücklichen Wurf doch plötzlich noch im Curse. Bei Betrachtung seiner Landkarte hatte Titbury ausgerechnet, daß sie, wenn die Würfel etwa zehn Augen ergäben – eine Zahl, die, weil er mit dem vierzehnten Felde nach Chicago käme, verdoppelt werden mußte – mit einem Sprunge nach Michigan, dem Nachbarstaate von Illinois, kämen. Das wäre zweifellos der glücklichste Wurf, den sie sich nur wünschen konnten . . . doch würde dieser auch erfolgen?
Mit automatischer Regelmäßigkeit rollte um neun Uhr siebenundvierzig der Depeschenstreifen aus dem Apparate ab.
Er brachte eine verderbliche Nachricht.
Wie wir wissen, hatte Max Real heute, am 2. Juni, wo er bei seiner Mutter in Chicago weilte, den Ausfall des Würfelns erfahren, ebenso wie ihm einige Tage darauf die Anzahl der Augen bekannt werden mußte, die Harris T. Kymbale nach Norddakota, Lissy Wag nach Missouri und den Commodore Urrican nach Wisconsin hin wies.
So beklagenswerth der letzte Wurf für Titbury indeß auch war, so war er doch nicht weniger merkwürdig, und es mußte einer ein Pechvogel erster Sorte sein, in dieser Weise genasführt zu werden.
Man bedenke nur, die Würfel hatten – durch zwei und drei – fünf Augen ergeben, wodurch vom vierten Felde aus das neunte erreicht wurde. Das neunte Feld war aber Illinois, was eine Verdoppelung der Zahl fünf bedingte, und das vierzehnte Feld war wiederum Illinois, die fünf daher dreimal zu nehmen. Das ergab also fünfzehn Augen, die den betreffenden Spieler nach dem neunzehnten Felde, nach New Orleans in Louisiana verwiesen, das auf William J. Hypperbone's Karte als Gasthaus bezeichnet war.
Wahrlich, mehr Unglück konnte einer gar nicht haben!
Verfolgt von den Scherzreden der Anwesenden, begaben sich Herr und Frau Titbury in ihr Hôtel zurück – freilich mit der Haltung von Leuten, die eben einen tüchtigen Keulenschlag auf den Schädel bekommen haben. Frau Titbury hatte aber ein festeres Schädeldach als ihr Eheherr, und blieb nicht, wie dieser, besinnungslos auf dem Platze.
»Nach Louisiana! . . . Nach New Orleans!« rief Titbury, sich die Haare raufend. »Ach, warum sind wir solche Tröpfe gewesen, diesen Wettlauf mitzumachen . . .«
»Bei dem wir auch jetzt noch aushalten!« erklärte Frau Titbury, die trotzig die Arme kreuzte.
»Wie? . . . Du denkst gar . . .«
»Nach Louisiana abzufahren.«
»Da haben wir aber mindestens dreizehnhundert Meilen (2092 Kilometer) zurückzulegen . . .«
»Das werden wir auch noch fertig bringen.«
»Wir haben da wieder einen Einsatz von tausend Dollars zu entrichten.«
»So bezahlen wir ihn.«
»Wir müssen auch zweimal würfeln lassen, ohne mitzuspielen.«
»So spielen wir einfach nicht mit.«
»Wir müssen uns aber gegen vierzig Tage in jener Stadt aufhalten, wo das Leben, nach allem, was man hört, entsetzlich theuer ist.«
»So bleiben wir so lange dort!«
»Wir haben aber kein Geld mehr . . .«
»So lassen wir uns wieder etwas senden.«
»Das will ich einmal nicht . . .«
»Aber ich, ich will es!«
Kate Titbury hatte, wie man sieht, auf alles eine Antwort. In ihr lebte offenbar etwas von einer alten Spielerin, was jetzt neu aufflackerte. Freilich, die Luftspiegelung jener Millionen von Dollars, die sie lockte, sie berückte, hypnotisierte . . .
Hermann Titbury wagte keinen Widerspruch, der ja doch vergeblich gewesen wäre. Was er über die Folgen des letzten unglücklichen Wurfs gesagt hatte, war ja völlig richtig . . . dieser bedingte eine lange, kostspielige Reise, eine Fahrt durch die ganze Union von Nordwesten nach Südosten; dazu kam der theure Lebensunterhalt in der reichen Stadt New Orleans und der lange Aufenthalt daselbst obendrein, da die Spielregeln verlangten, hier zu warten, bis zweimal gewürfelt war, und erst dann in die Partie wieder einzutreten.
»Vielleicht,« wendete Frau Titbury ein, »sendet der Zufall beizeiten einen andern Partner dahin, der dann an unsre Stelle tritt . . .«
»Ja, wen denn?« rief Titbury, »sie sind uns doch alle weit voraus?«
»Könnten sie denn nicht nach Ueberschreitung des Zieles wieder zurückgehen oder, wie der greuliche Commodore Urrican, die Partie gar von vorn anfangen müssen?«
Gewiß konnte dieser Fall sich ereignen; das Chicagoer Ehepaar hatte aber immerhin nur recht trübe Aussichten.
»Und um das Unglück voll zu machen,« fuhr Titbury fort, »dürfen wir uns das Hôtel, wo wir absteigen möchten, nicht einmal auswählen!«
Nach den Worten: neunzehntes Feld, Louisiana, New Orleans, enthielt das unselige Telegramm thatsächlich auch noch den Zusatz Excelsior Hotel.
Hiermit war nicht zu rechten. Ob ersten oder zwanzigsten Ranges, dieses Hôtel hatte der befehlerische Verstorbene einmal als Absteigequartier vorgeschrieben.
»Wir gehen nach dem Excelsior Hotel . . . damit abgemacht!« begnügte sich Frau Titbury zu antworten.
Das war einmal die Art der ebenso entschiedenen wie geizigen Frau. Dennoch kränkte sie nicht wenig der Gedanke an die schon erlittenen Verluste, die dreihundert Dollars Strafe, an die gestohlenen dreitausend Dollars, die bisherigen laufenden Ausgaben, an die, die sich jetzt nothwendig machten, und an solche, die die Zukunft noch mit sich bringen konnte. Die Erbschaft allein glänzte vor ihren Augen, die diese fast verblendeten.
An Zeit, sich nach seinem Posten zu begeben, konnte es dem dritten Partner eigentlich nicht fehlen . . . er hatte dazu ja fünfundvierzig Tage übrig. Heute war der 2. Juni, und es genügte, wenn die grüne Flagge sich am 15. Juli in der Hauptstadt von Louisiana entfaltete. Jedenfalls konnte aber, wie Frau Titbury erwähnt hatte, ein andrer von den »Sieben« an dem einen oder dem andern Tage ebendahin geschickt werden, und dann mußten sie eben im neunzehnten Felde verweilen, um diesem ihren Platz abzutreten. Besser war es also, seine Zeit nicht etwa in Great Salt Lake City zu verzetteln. Die Titbury's beschlossen deshalb, sich sofort auf den Weg zu machen, sobald von der Fint National Bank in Chicago, Dearnborn and Monroe Streets, wo Titbury ein laufendes Conto hatte, das telegraphisch verlangte Geld eingetroffen wäre.
Diese Angelegenheit beanspruchte nur zwei Tage. Am Vormittage des 4. Juni konnte Titbury bei der Bank in Great Salt Lake City fünftausend Dollars erheben, die nun leider keine Zinsen mehr geben sollten.
Am 5. Juni verließen Herr und Frau Titbury, von niemand beachtet, Great Salt Lake City, leider auch ohne das Strickendchen, das vielleicht das Glück zu ihren Gunsten umgestimmt hätte, wenn Bill Arrol schon gehenkt gewesen wäre.
Die von den Partnern im Match Hypperbone überhaupt vielfach benutzte Union Pacificbahn brachte sie nun durch Wyoming nach Cheyenne, und dann durch Nebraska bis nach Omaha City.
Aus Sparsamkeitsrücksichten – die Fahrt war auf den Stromdampfern billiger als auf der Eisenbahn – gelangten die Reisenden auf dem Missouri nach der Stadt Kansas, ganz wie Max Real bei seiner ersten Fahrt. Von Kansas aus erreichten sie Saint-Louis, wo Lissy Wag und Jovita Foley nicht zögern sollten, ein Unterkommen zu suchen, um hier die Zeit ihrer Gefangenschaft abzusitzen.
Von den Fluthen des Missouri auf die des Mississippi überzugehen, das erforderte nur einen einfachen Wechsel der Schiffe. Dampfer giebt es auf diesen Strömen sehr zahlreich, und wer sich mit dem letzten Platze begnügt, kann darauf auffallend billig reisen. Versieht man sich dann an den Halteplätzen noch zu niedrigem Preise mit den nöthigen Nahrungsmitteln, so lassen sich die täglichen Ausgaben noch weiter einschränken. Das thaten natürlich Herr und Frau Titbury, indem sie angesichts der späteren Kosten eines vielleicht lange dauernden Aufenthalts im Excelsior Hotel von New Orleans jetzt so viel wie möglich knauserten.
So nahm denn der Dampfer »Black Warrior« an Bord die beiden Ehegatten auf, die er nach der Hauptstadt Louisianas befördern sollte. Dazu hatte er nur dem Laufe des »Vaters der Gewässer« zwischen den Staaten Illinois, Missouri, Arkansas, Mississippi und Louisiana zu folgen, für die der gewaltige Strom eine mehr natürliche Grenze bildet, als die Längen- und Breitengrade, die sie an ihren andern geodätischen Grenzen scheiden.
Es ist kaum zu verwundern, daß die prächtige Wasserader von mehr als viertausendfünfhundert Meilen (7240 Kilometer) Länge im Laufe der Zeit verschiedene Namen erhalten hat, z. B. Misi Sipi, d. h. in der Algonquinensprache »Großes Wasser«, ferner Rio d'El Spiritu Santo durch die Spanier; Colbert, in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, durch Cavelier de la Salle, endlich Buade durch den Forschungsreisenden Joliet, bis er unter der poetischen Feder Chateaubriand's der Meschacebé wurde.
Diese jetzt durch die Bezeichnung Mississippi ersetzte Namenreihe hat natürlich nur ein geographisches Interesse, das Leute wie die Titbury's nicht im geringsten kümmerte, so wenig wie die Ausdehnung des Stromgebietes, obgleich dieses drei Millionen zweimalhunderttausend Quadratkilometer umfaßt. Für sie war es das wichtigste, daß der Strom sie dahin beförderte, wohin sie sich zu begeben hatten. Der Fahrt sollte sich keinerlei Hinderniß bieten. Was man den »industriellen« Mississippi nennt, der schon durch zahlreiche Nebenflüsse, wie Minnesota, Gedar, Turkey, Iowa, Saint-Croix, Chippewa und Wisconsin, verstärkt ist, fängt stromaufwärts von Saint-Louis in Minnesota an, und stromabwärts von den rauschenden Fällen von Saint-Antoine. In Saint-Louis selbst befinden sich die beiden letzten Brücken, die nach einem Laufe von zwölfhundert Meilen (1930 Kilometer) den Verkehr von einem Ufer zum andern vermitteln.
Längs der Grenze von Illinois glitt der »Black Warrior« an sechzig Toisen hohen Kalksteinwänden vorüber, die auf der einen Seite den letzten Ausläufern der Ozarkberge, auf der andern den letzten Erhebungen von Illinois angehören.
Von Cairo aus wechselte dieses Bild vollständig. Hier begann die ungeheure Alluvialebene, durch die einer der größten Seitenströme des Mississippi, der Ohio, diesem eine sehr beträchtliche Wassermasse zuführt. Doch trotz dieses Zuflusses und, weiter unten, der Zuflüsse, die vom Arkansas und vom Rothen Flusse kommen, ist die Mächtigkeit des Stromes in New Orleans, also an seiner Ausmündung in den mexikanischen Meerbusen, eine geringere, als in Saint-Louis. Das kommt daher, daß ein Theil seines Wassers von den seine niedrigen Ufer begrenzenden Bayous (nicht schiffbare Nebenflüsse und Wasserbecken) aufgenommen wird. Hierdurch erscheint die sogenannte Sunk Country, das »versunkene Land«, fast völlig überschwemmt. Es ist das eine weitausgedehnte Gegend im Westen des Stromes, die vielfach von Lagunen unterbrochen, von Sümpfen bedeckt und von langsam fließenden oder ganz stagnierenden Gewässern durchzogen ist – eine Bodensenke, die durch das Erdbeben von 1812 entstanden zu sein scheint.
Geschickt und vorsichtig gesteuert eilte der »Black Warrior« dahin, oft zwischen wenig beständigen Inseln, die ihre Gestalt oder gar ihre Lage verändern, worin sie durch Hochwasser und starke Strömungen beeinflußt werden, oder die binnen wenigen Monaten erst neu entstehen, wenn eine Barre angeschwemmten Sand und Schlamm zurückhält. Die Schifffahrt auf dem Mississippi ist also nicht ohne ernste Schwierigkeiten, die die geschickten Lootsen von Louisiana aber glücklich zu überwinden wissen.
Auf ihrer Fahrt kamen die Titbury's an Memphis, jener bedeutenden Stadt Tennessees vorbei, wo die Neugierigen einige Stunden lang Gelegenheit gefunden hatten, sich Tom Crabbe bei dessen erster Ausreise anzusehen. Dann tauchte auf dem Abhange eines Hügels Helena auf, jetzt noch ein Marktflecken, der sich aber bald zur Stadt auswachsen dürfte, denn die Dampfer müssen hier ziemlich häufig anlegen. Weiterhin zeigte sich am rechten Ufer, nach Passierung der Arkansasmündung, eine zweite Gegend mit Bayous, Sümpfen und einem beweglichen Boden, in dem einst das Dorf Napoleon gänzlich verschwand. Wenn der »Black Warrior« bei Vicksburg, einer der wenigen gewerbthätigen Städte am Mississippi, nicht anlegte, so lag das nur daran, daß der treulose Strom infolge einer außergewöhnlichen Hochfluth sich jetzt ein neues Bett einige Meilen südlich davon gebrochen hat. Dagegen ankerte der Dampfer eine Stunde lang vor Natchez, dessen Handel eine Menge Flußschiffe beschäftigt, die nach allen Orten der Nachbarschaft verkehren. Der Mississippi wird von hier an launischer, macht viele kleinere Windungen und größere Umwege, bildet ein Netz unbedeutenderer Arme, die schließlich wieder den Hauptstrom erreichen, so daß man bei Betrachtung einer Specialkarte meinen könnte, ein Gewimmel von kleinen Aalen um den Mutteraal vor sich zu sehen. Seine unangebauten Ufer, die immer niedriger werden und mit der Alluvialebene der Umgebung fast zusammenfließen, weisen weiter nichts mehr als Sandbänke und da und dort ein etwas höheres, von der Strömung benagtes Stückchen Land mit hohem Röhricht auf.
Noch dreihundert Meilen (480 Kilometer) vom Meere entfernt, kam der »Black Warrior« an der Mündung des Rothen Flusses vorüber, an der Ecke, wo sich, nahe bei dem Fort Adam, die beiden Staaten berühren, und schwamm nunmehr im Gebiete von Louisiana. Hier grollen und rauschen zahlreiche Stromschnellen, denn von Cairo aus vermindert sich die Breite des Flusses ohne Unterbrechung bis zu seinem Delta. Da zur Zeit aber noch ein mittelhoher Wasserstand herrschte, konnte der »Black Warrior« diese ohne Gefahr des Auflaufens passieren.
Von Natchez aus trifft man bis nach New Orleans hin auf keine nennenswerthen Städte, höchstens mit Ausnahme von Bâton Rouge, das aber auch nur einen großen Marktflecken von zehntausendfünfhundert Einwohnern bildet. Hier ist aber der Sitz der Gesetzgebenden Körperschaft des Staates, die parlamentarische Hauptstadt Louisianas, während, ähnlich wie in so vielen andern Staaten der Union, New Orleans nur die bedeutendste Stadt, das wichtigste Verkehrscentrum ist. Bâton Rouge hat übrigens eine freundliche, gesunde Lage, ein nicht zu verachtender Vorzug in einem Lande, das so häufig vom Gelben Fieber heimgesucht wird. Nach Donaldsonville giebt es dann nur noch Weiler, eigentlich eine Reihe von Villen und Landhäusern, die den großen amerikanischen Strom bis zu seinem Eintritt in New Orleans begleiten.
Das vom ersten französischen Kaiserreich für zwanzig Millionen Francs an die Amerikaner verkaufte Louisiana nimmt unter den Staaten der Bundesrepublik nur den dreißigsten Rang ein. Seine der Mehrzahl nach schwarze Bevölkerung zählt aber über elfhunderttausend Seelen. Das Land mußte gegen die Ueberschwemmungen des Mississippi durch hohe Deiche geschützt werden, vor allem in seinem niedrigen Theile, wo die Zuckerfabrikation so beträchtlich ist, daß es in diesem Erwerbszweige allen andern Staaten voransteht. Im Nordwesten sind die durch den Rothen Fluß und dessen Zuflüsse bewässerten Ländereien schon allein überschwemmungsfrei und für alle Zweige des Landbaues geeignet. Louisiana liefert auch Eisen, Steinkohle, Ocker, und Gips; Zuckerrohrfelder und Orangen-, Citronen- und Apfelsinenanpflanzungen giebt es im Ueberfluß. Dazu besitzt es undurchdringliche Wälder, worin Bären, Panther und Wildkatzen hausen und in zahllosen Creeks viele Alligatoren vorkommen.
Nach einer Reise von sieben Tagen seit der Abfahrt aus Great Salt Lake City nahm New Orleans das Titbury'sche Ehepaar am Abend des 11. Juni in seinen Mauern auf. Inzwischen war der Ausfall des Würfelns vom 4., 6. und 8. Juni, Harris T. Kymbale, Lissy Wag und Hodge Urrican betreffend, bekannt gegeben worden. Die Lage Hermann Titbury's erfuhr dadurch freilich keine Verbesserung, da von den Genannten niemand bestimmt worden war, ihn in dem Gasthause des neunzehnten Feldes abzulösen.
O, wäre er nicht gezwungen gewesen, sich in diese für den Geldbeutel verderbliche Stadt zu begeben, hier noch fast sechs Wochen zu verweilen, oder hätten ihn die Würfel durch eine günstigere Augenzahl unterstützt, so wäre es ihm ja vielleicht möglich geworden, in eine Reihe mit seinen Partnern zu kommen.
Beim Verlassen der Landungsbrücke bemerkten Herr und Frau Titbury sogleich einen prächtig ausgestatteten Wagen, der offenbar einige Fahrgäste vom »Black Warrior« erwartete. Sie wollten ihren Weg indeß zu Fuße zurücklegen und ließen nur ihr Gepäck durch einen Commissionär nach dem Excelsior Hotel bringen. Nun stelle man sich aber ihre Ueberraschung vor – eine Ueberraschung, zu der sich eine wahre Herzbeklemmung gesellte – als ihnen sofort ein rabenschwarzer Hausdiener entgegenkam.
»Mister und Mistreß Titbury, wenn ich nicht irre? . . .«
»Das sind wir . . .« antwortete Titbury.
Aha, die Zeitungen hatten also ihre Abfahrt aus Utah, ihre Berührung von Omaha, ihre Schiffsreise an Bord des »Black Warrior« und ihre bevorstehende Ankunft in New Orleans gemeldet. Und sie, die doch nicht wünschten, in dieser Weise erwartet zu werden, sollten sie den stets kostspieligen Unbequemlichkeiten des Berühmtseins wirklich nicht entgehen können? . . .
»Was wollen Sie von uns?« fragte Titbury etwas mürrischen Tones.
»Diese Equipage steht zu Ihrer Verfügung.«
»Wir haben keine Equipage bestellt.«
»Nach dem Excelsior Hotel kommt niemand anders als zu Wagen,« antwortete der rabenschwarze Neger mit einer Verbeugung.
»Das fängt ja gut an!« murmelte Titbury mit einem schweren Seufzer.
Da es nun einmal nicht Sitte sein sollte, in einfacherer Weise nach dem genannten Hôtel zu kommen, erschien es am rathsamsten, den eleganten Landauer zu besteigen. Das Ehepaar nahm also darin Platz, während Koffer und Reisesack durch einen Omnibus befördert wurden. In der Canal Street vor einem schönen Gebäude, einem wahren Palaste, angelangt, an dessen Vordergiebel die Worte »Excelsior Hotel Company, limited« glänzten und dessen Flur in blendender Beleuchtung strahlte, hielt der Wagen an, und ein Lakai beeilte sich, dessen Thür zu öffnen.
Bei ihrer Ermüdung und Bestürzung beachteten die beiden Titbury's fast gar nicht den feierlichen Empfang, der ihnen vom Hotelpersonal zutheil wurde. Ein Haushofmeister in schwarzer Kleidung führte sie nach ihrem Zimmer. Ganz geblendet, sahen sie jetzt gar nichts von der verschwenderischen Pracht, die sie umgab; erst am nächsten Morgen machten sie sich ernstere Gedanken über die ganz außerordentliche Einrichtung des Hotels.
Nach ruhig verbrachter Nacht in dem mit vornehmer Bequemlichkeit ausgestatteten Zimmer, dessen Doppelfenster das Geräusch von der Straße ausschlossen, erwachten sie unter dem milden Schimmer einer elektrischen Glühlampe, die die ganze Nacht hindurch gebrannt hatte. Das durchsichtige Zifferblatt einer kostbaren Standuhr zeigte die achte Stunde.
Am Kopfende des breiten Bettes, worin sie traumselig geschlafen hatten, befand sich, für die Hand bequem erreichbar, eine Reihe von Tastern, die nur auf einen Fingerdruck warteten, um das Stubenmädchen oder den Zimmerkellner herbeizurufen. Durch andre Taster konnte man sich ein Bad, das erste Frühstück oder die Morgenzeitungen bestellen, und – was Reisende, die frühzeitig aufstehen mußten, vor allem bedurften – auch das Zimmer wieder dem Tageslicht öffnen lassen.
Auf den letzterwähnten Knopf drückte jetzt der krumme Zeigefinger der Frau Titbury.
Sofort wichen die dichten Stores der Fenster mechanisch auseinander, draußen hoben sich die Persiennes in die Höhe und die Strahlen der Morgensonne flutheten in das schöne Zimmer.
Herr und Frau Titbury starrten einander an. Sie wagten kein einziges Wort zu sprechen, und legten sich nur die stumme Frage vor, ob ihnen hier nicht jedes Wort eines gesprochenen Satzes schon einen Piaster kosten würde.
Der Luxus im Zimmer war ganz unerhört, Möbel, Tapeten, Teppiche, selbst die broschierten Seidenpolster an der Wand – alles von unvergleichlicher Pracht.
Das Ehepaar erhob sich und betrat ein angrenzendes Cabinet mit erstaunlichem Comfort; da fanden sich Waschtoiletten mit Hähnen für warmes, laues und kaltes Wasser, Pulverisateure, die feine, wohlriechende Tröpfchen zu sprühen bereit waren, verschiedenfarbige Seifen von köstlichstem Wohlgeruch, Schwämme von unvergleichlicher Weichheit und Handtücher von schneeiger Weiße.
Nachdem sie sich angekleidet hatten, wagten sich die beiden Leutchen durch die weiteren Räumlichkeiten – eine vollständige Wohnung. Dabei gelangten sie nach einem größern Speisezimmer, dessen Tisch mit Silber und Porzellangeschirr beladen war, nach einem Empfangssalon mit unerhört luxuriösem Mobiliar, Kronleuchter, Gemälden von Meisterhand, kunstvollen Bronzen und Gardinen aus goldgestickter chinesischer Seide, ferner nach einem Damenzimmer mit Piano und großer Notenauswahl, der Tisch mit beliebten Romanen und Albums mit Photographien vieler Gegenden Louisianas bedeckt, daneben nach einem Herrenzimmer mit ganzen Stößen amerikanischer Revuen und den verbreitetsten Journalen der Union, Vorräthe von Briefpapier mit dem Namen des Hotels am Kopfe und selbst eine kleine Schreibmaschine, deren Claviatur bereit war, unter dem Finger des Reisenden zu fungieren.
»Das ist die Höhle Ali Baba's!« rief Frau Titbury ganz bezaubert.
»Ja, und die vier Räuber sind nicht weit,« setzte ihr Gatte hinzu, »wenn's nur nicht gar noch weit mehr werden!«
Gleichzeitig fiel sein Blick auf eine Art Placat in goldener Umrahmung, das über alles, was das Hotel seinen Gästen bot, Aufschluß gab und auch die Stunden der Tafel für die bezeichnete, die es nicht vorzogen, auf dem eignen Zimmer zu speisen.
Das dem dritten Partner angewiesene Zimmer war mit Nr. 1 und mit einer Tafel bezeichnet: »Reserviert für die Partner im Match Hypperbone von der Excelsior Hotel Company« – war darauf zu lesen.
»Klingle einmal, Hermann,« sagte da Frau Titbury.
Kaum hatte dieser gehorsam auf den Knopf gedrückt, da erschien bereits ein Herr in schwarzem Anzug und mit blendend weißer Cravatte in der Thür des Salons.
In gewählter Rede entbot er den beiden Gatten zunächst die Grüße und den Dank der Excelsior Hotel-Gesellschaft und ihres Directors für die Ehre, einen der liebenswürdigsten Theilnehmer an dem großen nationalen Spiele beherbergen zu dürfen. Da dieser nebst hochgeehrter Frau Gemahlin einige Zeit in Louisiana und speciell in New Orleans zu verweilen hätte, habe man sich bemüht, ihm den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen und für interessante Zerstreuung zu sorgen. Der gewohnten Hausordnung nach, wenn es ihnen gefiele, ihr zu folgen, würde der Morgenthee früh um acht serviert, das Frühstück um elf, der Lunch um vier, die Hauptmahlzeit um sieben und der Abendthee um zehn Uhr eingenommen. Dabei könne man zwischen englischer, französischer und amerikanischer Küche wählen. Der Keller berge nur ausländische Weine erster Güte. Den ganzen Tag über stehe dem großen Banquier von Chicago (sic!) eine Equipage zur Verfügung, und eine elegante Dampfyacht werde stets bereit gehalten, um zu Ausflügen bis nach der Mündung des Mississippi und auf dem Borque- oder dem Ponchartrainsee zu dienen. Außerdem sei für sie eine Loge im Opernhause reserviert, wo jetzt eine berühmte französische Truppe spiele.
»Und das kostet?« fragte Herr Titbury barsch.
»Hundert Dollars.«
»Für den Monat? . . .«
»Nein, für den Tag.«
»Und jedenfalls für die Person?« setzte Frau Titbury in einem Tone hinzu, in dem Ironie und Zorn um den Vorrang stritten.
»Ganz recht, Madame; diese Preise sind auch nur so annehmbar festgestellt worden, weil die Zeitungen berichteten, daß der dritte Partner und Mistreß Titbury sich eine längere Zeit im Excelsior Hotel aufhalten würden.«
In diese Falle hatte das Mißgeschick also das unglückliche Ehepaar verlockt – anderswohin zu gehen, war ihm verwehrt – selbst Frau Titbury allein konnte sich nicht wohl nach einem einfacheren Gasthause begeben. Das war das von William J. Hypperbone erwählte Hotel, und niemand wird sich darüber wundern, da er selbst ein Hauptactionär desselben war. Ja, zweihundert Dollars täglich für das Ehepaar, sechstausend Dollars für dreißig Tage, wenn die Gäste einen ganzen Monat in dieser Höhle wohnten.
Hier galt es aber, sich wohl oder übel zu unterwerfen. Das Excelsior Hotel aufgeben, hieß die Partie aufgeben, an deren Vorschriften nicht zu deuteln war. Es wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf jede Hoffnung, durch die mögliche Ererbung der Millionen des Heimgegangenen die bisherigen Unkosten ersetzt zu sehen.
Der Haushofmeister hatte sich eben mit weltmännischer Verbeugung zurückgezogen.
»Vorwärts!« polterte Titbury heraus. »Das Reisegepäck her und zurück nach Chicago! Hier bleib' ich keine Minute länger . . . Die Stunde zu acht Dollars! . . .«
»Seh' mir einer!« antwortete die eigenwillige Matrone.
Die Stadt des Halbmonds – so nennt man die Hauptstadt Louisianas, die 1717 an einer Biegung des sie im Süden begrenzenden Stromes gegründet wurde, saugt sozusagen ganz Louisiana auf. Die andern Gemeinwesen des Staates, Baton-Rouge, Donadsonville und Shreveport zählen elf- bis zwölftausend Einwohner. Fünfzehnhundertvierundsiebzig Lieues (2237 Kilometer) von New York und fünfundvierzig (176 Kilometer) von der Mississippimündung gelegen, vereinigen sich hier neun Bahnlinien und fünfzehnhundert Dampfer vermitteln den Verkehr auf den Verzweigungen des Stromes. Da es die Stadt seit dem 18. April 1862 mit den Conföderierten hielt, wurde sie vom Admiral Farragut sechs Tage lang bombardiert und fiel darauf dem General Butler in die Hände.
In dieser Großstadt von zweihundertzweiundvierzigtausend Einwohnern vielfach gemischten Blutes, wo den Schwarzen zwar alle politischen Rechte gewährt sind, doch keine gesellschaftliche Gleichstellung zuerkannt ist, in diesem Rassengemisch von Franzosen, Spaniern, Engländern und Anglo-Amerikanern, in der Metropole eines Staates, der zweiunddreißig Senatoren und neunzig Deputierte zu wählen hat und im Congreß durch vier Mitglieder vertreten wird, hier, wo sich inmitten von Baptisten, Methodisten und Episkopalen ein katholischer Bischofssitz befindet, hier im Herzen von Louisiana sollte nun das aus seinem Hause in Chicago so unerwartet herausgerissene Titbury'sche Ehepaar ein Leben führen, von dem es sich früher auch nicht das geringste hatte träumen lassen. War es aber, da ein unseliges Geschick es einmal so wollte – abgesehen von der etwaigen Rückkehr nach Hause – nicht das Beste, für sein Geld nun auch etwas haben zu wollen? So dachte wenigstens der weibliche Theil des Paares.
Tag für Tag fuhren sie also in ihrer prächtigen Equipage stolz spazieren. Eine lärmende Menge begleitete sie mit spöttischen Hurrahs, denn jedermann kannte die Leute als Knicker, die sich weder in Great Salt Lake City noch in Calais Sympathie zu erwerben vermocht hatten, wie es in Chicago ja auch nicht anders der Fall war. Immerhin! Sie kümmerten sich darum nicht, und nichts hinderte sie, sich trotz allen Mißgeschickes für die großen Favoriten des Matches zu halten.
So zeigten sie sich – zu Wagen – in den Wards des Nordens, in den Vorstädten Lafayette, Jefferson und Carrolton, den eleganten Quartieren mit glänzenden Hôtels, Villen und Landhäusern, die unter dem grünen Dache von Orangenbäumen, Magnolias und anderen blühenden Bäumen halb verborgen lagen, und ebenso erschienen sie auf dem Lafayette- und dem Jacksonplatze.Dieser Platz trägt den Namen des tapfern Generals der Secessionisten, der 1863 aus Versehen von seinen eigenen Soldaten tödlich verwundet wurde.
Ein andermal lustwandelten sie auf dem festen, fünfzig Toisen breiten Damm, der die Stadt gegen Ueberschwemmung schützt, auf den Quais, an denen große und kleine Dampfer, Schleppschiffe, Segelfahrzeuge und Küstenfahrer in vier Reihen lagen und von wo jährlich bis zu siebzehnhunderttausend Ballen Baumwolle ausgeführt werden. Wer sich über diese Menge wundert, bedenke, daß der Handelsumsatz von New Orleans sich auf zweihundert Millionen Dollars beläuft.
Ebenso sah man das Ehepaar in den Vororten Algiers, Gretna und Mac Daroughville, wohin man mittelst Überfahrt nach dem linken Ufer gelangt und wo die meisten Fabriken, Werkstätten und Lagerhäuser liegen.
In ihrem pomphaften Wagen ließen sie sich ferner durch die langen, eleganten Straßen fahren, die jetzt Ziegel- und Werksteinbauten umsäumen, welche an Stelle durch wiederholte Feuersbrünste zerstörter hölzerner Häuser getreten sind, und mit Vorliebe rollten sie durch die Königs- und Saint-Louisstraße dahin, die das französische Viertel rechtwinkelig durchschneiden. Hier bewunderten sie die reizenden Wohnstätten mit grünen Persiennes, mit ihren von Springbrunnen belebten Höfen, die mit den herrlichsten Blumenbeeten geschmückt sind.
Dann beehrten sie mit ihrem Besuche wieder das Capitol an der Ecke der genannten Straßen, ein altes Gebäude, das im Bürgerkriege zum Parlamentspalaste umgestaltet wurde und worin die Senatoren und Deputierten tagen. Für das Hotel Saint-Charles, eins der bedeutendsten der Stadt, hatten sie dagegen nur ein Gefühl von Verachtung, das ja bei Gästen des unvergleichlichen Excelsior Hotel ganz erklärlich erscheint.
Gelegentlich besichtigten sie den architektonisch hervorragenden Universitätspalast, die rein gothische Kathedrale, das Zollhaus und die sogenannte Rotunde mit ihrem ungeheuern Saale. Hier findet der Bücherfreund eine reiche Auswahl von Lesestoff, der Flaneur einen Promenadenweg unter den offnen Galerien, der Speculant in Werthobjecten und Staatspapieren eine immer belebte Börse, wo die Makler der Agenturen fieberhaft umherschwärmten und die so oft wechselnden Curse der Teilnehmer am Match Hypperbone mit gellender Stimme ausriefen.
Dazwischen unternahmen sie auf ihrer eleganten Dampfyacht Ausflüge auf dem stillen Gewässer des Bonchartrainsees und bis nach den Mündungen des Mississippi.
Endlich sahen sie die Liebhaber großer lyrischer Tonwerke in der ihnen überlassenen Loge sitzen, wo sie die jedem musikalischen Verständniß verschlossenen Ohren pflichtschuldigst dem Orchester zuwendeten.
So lebten sie wie in einem Traume – doch welches Erwachen mußte das geben, wenn sie wieder in die nüchterne Wirklichkeit zurückkehrten.
Uebrigens hatte sich inzwischen doch etwas merkwürdiges ereignet. Die Geizhälse, die Knicker, die Filze gewöhnten sich an diese neue Lebensweise, sie wurden durch ihre abnorme Lage gleichsam betäubt, berauschten sich, im physischen Sinne des Wortes, an der stets verschwenderisch besetzten Tafel, wo sie auf die Gefahr von Gastralgien und einer Magenerweiterung für ihre späteren Tage hin keinen Bissen übrig ließen. Freilich mußten für jeden von beiden an das Excelsior Hotel täglich hundert gute Dollars entrichtet werden.
So verlief die Zeit, obwohl sich die Titbury's darüber nur sehr unvollkommen Rechenschaft ablegten. Da ihr Aufenthalt im Gasthause dem Anscheine nach nicht unterbrochen werden sollte, mußten sie vierzehnmal die Vornahme des Auswürfelns in Chicago abwarten, ehe sie wieder berechtigt waren, weiter zu reisen. Von achtundvierzig zu achtundvierzig Stunden wurde das Ergebniß der »Ziehung« in der Rotunde ebenso bekannt gegeben wie im Auditorium selbst.
Das Auswürfeln vom 8. Juni hatte den Commodore Hodge Urrican, wie wir wissen, nach Wisconsin versetzt, und ebenso wissen wir, daß der geheimnisvolle X. K. Z. am 10. nach Minnesota geschickt worden war.
Niemals war Louisiana als nächstes Ziel bestimmt worden, weder am 12., wo für Max Real, noch am 14., wo für Tom Crabbe gewürfelt wurde. Am 16., wo nun Hermann Titbury an der Reihe gewesen wäre, wenn das Schicksal ihn nicht in das neunzehnte Feld verbannt hätte, wurde damit ausgesetzt. Am 18. hatte Meister Tornbrock die Würfel für den vierten Partner, Harris T. Kymbale, über die Tafel im Auditorium rollen lassen.
Waren die Ehegatten also verurtheilt, die für sie ebenso angenehme wie für ihren Geldbeutel verderbliche Existenz die vollen sechs Wochen fortzuführen, die ihr gezwungener Aufenthalt in Louisiana dauerte? . . .
Und würde nicht obendrein die Partie, bevor sie daran wieder theilnehmen konnten, schon zu Ende, der Sieger nicht bereits im dreiundsechzigsten Felde angelangt sein? . . .
Das lag verborgen im Schoß der Zukunft. Inzwischen verstrichen die Tage, und wenn Herr und Frau Titbury, nach Abschluß des Matches, nichts übrig blieb, als nach Chicago zurückzukehren, nachdem sie, abgesehen von den früheren Ausgaben, die gepfefferte Rechnung des Excelsior Hotel berichtigt hatten . . . dann vergegenwärtige man sich nur, was ihnen die Thorheit, unter den »Sieben« des Match Hypperbone mit zu concurrieren, für eine Unsumme Geldes gekostet hatte!