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Die Kastanienbäume am Platz steckten ihre weißen Blütenkerzen auf, der Flieder duftete und verblühte, und wo zwei sich auf der Straße trafen, hörte man wieder: »Na, wo geht's diesen Sommer hin?«
»Nun, ist die große Staatsfrage endlich gelöst, wer von euch die Gnade haben wird, mich auf meiner Reise zu begleiten?« fragte der Großonkel.
»Marlene fährt mit,« sagte Lotte und blickte in den gegenüberliegenden Spiegel, ob man ihr auch nicht ansah, wie schwer ihr diese Selbstverleugnung wurde.
»Ich habe bereits alles für Lottes Reise vorbereitet, Onkel Heinrich.« Marlenes Stimme klang doch nicht ganz so fest wie sonst.
Dem Onkel riß die Geduld. »Eßt euch bloß nicht auf vor lauter Großmut; ihr wißt ja, wie ich derartige Sentimentalitäten liebe! Nun?« Er sah stirnrunzelnd von einer zur anderen.
Beide schwiegen, keine mochte ihr Opfer zurückziehen.
»Also, dann fährt Marlene mit, basta!«
Eine Stunde nachher trat der Onkel in die Küche, wo die beiden Mädchen eifrig die Bohnen zum Mittagstisch herrichteten. Er hielt einen offenen Brief in der Hand.
»Hm – da schreibt mir der Junge, der Heinz, daß er dieses Jahr an die Nordsee will; er kommt heute mittag auf dem Anhalter Bahnhof an und beabsichtigt, ein bis zwei Tage in Berlin zu bleiben.«
Ritsch, da wäre das scharfe Messer statt in die Bohnen beinahe in Lottes Finger gegangen.
»Dann müssen wir die Bohnen als Zwischengericht nehmen; was meinst du, Lotte, ob wir noch schnell eine Gans abbraten?« fragte Marlene.
An grüne Bohnen und Gänsebraten konnte Marlene in diesem Augenblick denken!
»Wer von euch will mich zum Bahnhof begleiten?« unterbrach sie der Onkel.
Lotte schlug das Herz, aber sie traute sich nicht hervor. »Ich möchte lieber die Soße fertig machen.«
»Ich muß den Tisch decken,« sagte Marlene geschäftig.
»So mag sich Johanna fertig machen.«
Jubelnd stülpte Hanni den runden Jungenhut aufs Haar. Lotte sah den beiden mit langem Blick nach ...
»Ich hab' g'meint, drei Ehrenjungfrauen in Weiß werden mich an der Bahn empfangen; die Sehnsucht nach dem Onkel Heinz scheint aber net gar so arg gewesen zu sein, gelt, Karline?« Heinz schüttelte kräftig mit jeder Hand die Marlenes und Lottes.
Lotte sprach keinen Ton. Aber ihre Strahlenaugen gaben eine zufriedenstellende Antwort.
Das wurde wieder mal ein heiteres Mahl! Heinz und Lotte scherzten und lachten wie glückselige Kinder.
Nach dem Essen saßen der Onkel und der Vetter gemütlich beisammen. Onkel Heinrich opferte sogar seinen Nachmittagschlaf. Lotte ging im Nebenzimmer hin und her, den Tisch abzudecken. Unweit der Tür machte sie jäh halt.
»Am Ende holst du dir an der See eine Frau, Junge,« hatte der Großonkel soeben gutgelaunt geäußert.
Lotte hielt den Atem an.
»Wozu in die Ferne schweifen,« antwortete der Vetter ebenso fröhlich. »Sieh, das Gute liegt so nah!«
Er machte dazu eine Bewegung mit der Hand gegen das Nebenzimmer. Lotte konnte sie natürlich nicht sehen.
Sie lauschte unwillkürlich mit klopfendem Herzen.
»Wie? Hm – so – ist das dein Ernst? Na, das freut mich, mein Junge, freut mich! Ich habe es schon in München kommen sehen; du wirst der Marlene das verträumte Wesen schon abgewöhnen –«
Klirr, da lag der Stoß Teller, den Lottes bebende Finger nicht mehr zu halten vermochten, zertrümmert zu ihren Füßen.
»Ewig hat man Schaden durch die Ungeschicklichkeit dieses Mädchens!« Der Großonkel hatte seine freudige Stimmung schnell vergessen; er erging sich in heftigen Vorwürfen.
»Lotte macht halt schon Polterabend für mich,« versuchte der Vetter zu entschuldigen und wollte ihr helfen, das Trümmerfeld zu beseitigen.
»Bemühe dich nicht!« Sie stieß es unfreundlich hervor, hörte auch das Schelten des Onkels nicht. Als sie fertig war, eilte sie in die »Zelle«, zog den Ring den sie Heinz zu Ehren trug, vom Finger und legte ihn in ihre Schublade. Dann stützte sie den Kopf in die Hand.
Drin aber nahm der Vetter das so jäh unterbrochene Gespräch wieder auf.
»Du irrst, lieber Onkel. Net die Marlene, die Lotte mein' ich.«
»Was?« unterbrach ihn der Onkel, noch immer ärgerlich. »Bist du denn ganz von Sinnen, Junge?«
»Durchaus net; ich mag halt die Lotte lieber, und dir kann's doch gleich sein –«
»Mir ist es eben nicht gleich, verstehst du?« Zum ersten Male kehrte der Onkel gegen den Lieblingsneffen seine rauhe Seite hervor. »Charlotte ist noch ein dummes Ding. Du hast vorhin erst gesehen, was sie mir für Ärger macht.«
»Das kann halt jedem passieren, und im nächsten Monat wird die Lotte siebzehn; im übrigen aber kann ich warten,« beharrte der Neffe.
»Na, laß dir die Zeit nicht lang werden« – der Onkel schritt aufgeregt im Zimmer auf und nieder – »bei mir heißt es: Ordnung in allen Dingen! Erst kommt die Älteste und dann die Zweite; so ist es Sitte in ehrbaren Bürgerfamilien.«
»Mit Verlaub, Onkel, wir leben doch net mehr zur Zeit des Erzvaters Jakob, der sieben Jahr um die Rahel hat dienen müssen, und dann haben sie ihm die Lea aufgehalst. Wir sind, denke ich, moderne Menschen.«
»Du vielleicht; ich mache keinen Anspruch darauf. Ich bin stolz, noch aus der guten alten Zeit zu stammen, und solche neumodischen Sitten lasse ich zumindest in meinem Hause nicht einreißen.«
Onkel und Neffe schwiegen verstimmt.
Heinz kannte seinen Onkel; wenn der sich erst in eine Idee verbiß, war nichts mehr zu wollen. Er mußte ihn von einer anderen Seite fassen.
»Schau, lieber Onkel,« begann er darum nach einer Weile, »für Marlene, da wüßt' ich halt schon einen – meinen Freund in München – der sie lieber heut als morgen in sein Künstlerheim führen tät' –«
»Auch das noch!« rief der Onkel grimmig. »Hast nicht für Johanna auch noch jemand in Vorrat? Du kannst deinem Herrn Freund gleich sagen, daß er sich gerade so schneidet wie du, falls er sich irgendwelche Hoffnungen machen sollte. Erledigt!«
»Ich hatte mich auf die Berliner Tage gefreut, lieber Onkel,« nahm Heinz nach einer drückenden Pause wieder das Gespräch auf.
»Es ist nicht meine Schuld, wenn du uns das Beisammensein durch solche unbegreifliche Dummheiten störst,« knurrte der Onkel gereizt.
Beim Kaffee ließ der Vetter seinen Blick befremdet auf Lotte ruhen. Was war mit dem frischen Mädel los?
Immer wieder wanderten Heinzens Augen zu dem gänzlich veränderten jungen Mädchen. Krampfhaft starrte Lotte in die vier Ecken des Zimmers. Auf seine lustigen Scherze hatte sie nur ein gezwungenes Lächeln. Wo war ihre Schlagfertigkeit, ihre frischfröhliche Kameradschaft hin, die ihn noch eben so erquickt hatte?
Er zog die Brauen hoch. Da war etwas nicht in Ordnung! Jedenfalls wollte er sich das Fräulein nach dem Kaffee einmal vornehmen. Für den Augenblick tat er so, als ob er ihre abweisende Miene überhaupt nicht bemerke, und wandte sich Marlene und Hanni zu, die harmlos auf seine Neckereien eingingen.
Als der Onkel sich nach dem Kaffee in sein Zimmer zurückzog, wollte Lotte eilig mit dem beladenen Tassenbrett an Heinz vorüber. Da hielt er sie an den Schürzenbändern fest.
Sie waren nun allein im Zimmer.
»Nun, Karline, magst du mir net a bisserl G'sellschaft leisten?« fragte er scherzhaft.
Sie riß sich so heftig los, daß der Vetter eines der von Fräulein Liederjan nur oberflächlich angenähten Schürzenbänder in der Hand behielt.
»Ich werde dir Marlene schicken.«
»Dich will ich, Lotte. Setz dich amal daher und beicht, was es gegeben hat, denn daß dir die Felle davongeschwommen sind, das sieht ein Blinder bei Nacht.«
In dem offenen Gesicht des jungen Mädchens zuckte es bei den guten Worten des Vetters, aber – sie hatte es ja mit eigenen Ohren gehört. Sie begann die Daumen ihrer gefalteten Hände umeinander zu wirbeln, eine Angewohnheit, die ihr noch aus der Schulzeit her für heikle Lebenslagen geblieben war.
Heinz, den das Gewirbel störte, löste sanft ihre Finger.
»Wo ist denn der Ring hin, Lotte, den der Weihnachtsmann gebracht hat?«
»Ich – ich hab' ihn wohl verlegt.« Sie wurde abwechselnd rot und blaß.
»So–o–« erwiderte der Vetter langgezogen. »Verlegt?«
Da klingelte es; Schwälbchen schneite herein. Lotte empfand es als Erlösung.
Ilse begrüßte Lottes »Rokokoherrn« mit offenbarer Neugier und kniff die Freundin vielsagend in den Arm.
Ilse kam wieder mal als »Vergnügungskomitee«. Ein Ausflug in Kremsern war für den morgigen Sonntag im Schwalbennest geplant; ob Herr Grimm mit seinen drei Nichten nicht daran teilnehmen möchte, ließen die Eltern fragen.
»Wir haben Besuch,« antwortete der Großonkel, der solchen Vergnügungen abhold war.
»Das ist ja gerade fein; den Onkel Heinz können Sie ruhig mitbringen,« beteuerte Ilse.
Dem Vetter gefiel die offene, freimütige Art des Schwälbchens; auch hatte er bei Ilses Einladung in Lottes Gesicht deutlich den Ausdruck der Freude wahrgenommen.
»Aber freilich, wir kommen alle mit; schau, Onkel, das hab' ich mir schon lang gewünscht, amal so a richtige Berliner Landpartie kennen zu lernen. Wird auch selber Kaffee gekocht? Sonst ist es net das rechte.«
Ilse bejahte lachend. Nun entspann sich ein Plänemachen für ländliche Vergnügungen; eines überbot das andere. Der Großonkel ergab sich seufzend, und Lotte wurde unwillkürlich von der lustigen Gesellschaft angesteckt.
»Punkt acht Uhr geht es los; wir fahren vor und holen euch ab, zu Ehren des Großonkels. Vergeßt nur ja nicht den Eßkorb!« Schwälbchen stürmte davon.
Man trennte sich am Abend früh. Es wollte kein rechter Zug in die kleine Gesellschaft kommen. Lotte, die einsilbig vor ihrem Teller saß, schielte einige Male zu Heinz herüber. So verstimmt hatte sie den stets gutgelaunten Vetter noch nie gesehen.
Der Großonkel saß geladen vor seinem Teller. Er zürnte mit jedem einzelnen der kleinen Tafelrunde; und am ärgerlichsten war er darüber, daß er die Kremserfahrt mitmachen mußte.
Aber wer kann noch traurig oder verstimmt sein, wenn ein lachender Sonntagmorgen im strahlenden Sonnengewande grüßt, und große Berliner Kremser, mit bunten Ballons behangen, vor das Haus rasseln? Wenn der Kutscher unternehmungslustig mit der Peitsche knallt, und die bejahrten Gäule trotzdem ihren ehrwürdigen Trott nicht aufgeben? Wenn umfangreiche, verheißungsvolle Vorratkörbe einem die Knie einstoßen, und jedes Gesicht der Insassen ausschaut, als ginge es geradenwegs in den blauen Himmel hinein?
Selbst des Großonkels bärbeißige Miene mußte vor Herrn Schwalbes guter Laune Reißaus nehmen. Er saß zwar wie eine Ölsardine eingeschachtelt in dem die Eingeweide durcheinander rüttelnden Wagen; jeder Lufthauch trieb ihm übermütig bald von der einen, bald von der anderen Seite einen schwebenden Papierballon gegen das graue Haupt. Er verschlang mit jedem Atemzuge Millionen von Staubkörperchen. Aber er mußte trotzdem zugeben, daß ein solcher Berliner Landausflug etwas Herrliches sei. In den letzten zehn Jahren hatte er nicht so viel gelacht wie auf dem zweistündigen Wege, denn in den Kremsern macht sich, so eng man auch sitzt, der Berliner Witz nach bestem Können breit.
Im ersten Wagen waren »Greise« und »Kinder« verpackt, das heißt Leute über dreißig und unter vierzehn Jahren. Alles übrige hatte sich in dem zweiten Rumpelkasten zusammengepfercht. Das war ein Schwirren und Summen, ein Lachen, Necken und Kichern! Man mußte nicht siebzehn Jahre alt sein, um dabei eine abweisende Miene beizubehalten. Lottes matte Augen bekamen wieder Glanz. Heinz hörte von neuem ihr helles, frisches Lachen.
Mitten im sonnendurchflirrten Kiefernwalde, auf einem einladenden, moosgepolsterten Plätzchen, wurde haltgemacht. Man rekelte und streckte sich und suchte seine Knochen wieder zusammen. Schwalbes Rike stieg von ihrem Kutscherbock und begann unter beifälligem Gemurmel die Vorratskörbe herbeizuschaffen. Die jungen Mädchen übernahmen die Verteilung der leckeren Frühstücksbrötchen an die im schwellenden Moos Hingelagerten.
»Da, Karline!« Heinz hielt Lotte eine purpurne Erdbeere, die er soeben gefunden hatte, an die Lippen.
Sie wandte den Kopf. »Gib sie doch der Marlene,« sagte sie abweisend.
Heinz sah sie fragend an. Plötzlich blitzte es wie ein Verstehen in seinen Augen auf; sie hatte ja gestern den ersten Teil seines Gespräches mit dem Onkel gehört!
»Schau, Lotte, ich bitt' gar schön, daß grad du die Erdbeere verspeist,« bat er.
Doch Lotte hatte des Großonkels Eigensinn. »Ich mag sie nicht!«
»Aber ich, Onkel Heinz,« rief lachend das Schwälbchen neben ihr, und Heinzens Erdbeere wanderte in Ilses Mund.
»Wir wollen etwas spielen,« schlug Totila vor.
Alle waren einverstanden, die Alten, weil sie gern die erquickende Ruhepause noch ein wenig ausdehnten, die Jungen, um endlich wieder die überschäumende Jugendlust auszutoben.
Als man sich mit »Zimmerchen vermieten« und ähnlichem genug müde gelaufen hatte, bestieg man aufs neue die Kremser, und weiter ging es. Im Gasthaus am See, das als Motto im Schilde die Verse trug:
»Der alte Brauch wird nicht gebrochen:
Hier können Familien Kaffee kochen!«
machte man Rast. Das Mittagbrot wurde jedoch nicht lange ausgedehnt; die junge Gesellschaft brannte darauf, Karussell, Schaukel, Schießbuden und Rudersport auszukosten.
Aus allen Ecken und Enden mußte sich die Schwalbenmutter schließlich ihre Gesellschaft zum Kaffeekochen zusammensuchen. Aber endlich standen die Tassen, die Herr Schwalbe für kleine Waschschüsseln hielt, doch in Reih' und Glied; die Zinnlöffel blitzten im Sonnenstrahl wie Silber, und die Mädel rückten mit ihren Zweiliterkannen an. Große Blumensträuße hatte man gewunden und zwischen die beladenen Kuchenteller verteilt. Es war ein lustiger, bunter Sommerspuk im Waldesgrün.
Das fanden wohl auch die beiden älteren Herrschaften an einem der Nebentische. Sie schauten so angelegentlich herüber, daß es Vetter Heinz auffiel. Eine Erinnerung quälte ihn. Wo hatte er dieses schmale, feingeschnittene Herrengesicht mit den tiefliegenden braunen Augen nur schon gesehen?
Der Herr selbst schien für ihn kein Interesse zu haben. Der sah unentwegt auf den Onkel, der ihm das scharfgeschnittene Profil zuwandte.
»Schau, Onkel, ist der Herr dort ein Bekannter von dir?« fragte Heinz schließlich. »Er schaut dich alleweil an.«
Der Großonkel fuhr mit dem Kopf herum, seine drei neugierigen Nichten, die mit dem Rücken jenem Tische zu saßen, desgleichen. Da zog der fremde Herr den Hut. Eine feine Röte war in sein bleiches Gesicht gestiegen; die Dame aber nickte den drei wie mit Glut übergossenen Mädchen liebevoll zu.
Der Großonkel hatte steif und gemessen wieder gegrüßt. Die Schwestern wagten nicht, ihn anzusehen.
»Ist das ein Bekannter von Ihnen, Herr Grimm? Aber bitte, fordern Sie die Herrschaften doch ruhig auf, bei uns Platz zu nehmen,« rief Herr Schwalbe in seiner liebenswürdigen Weise.
Ehe der Onkel es verhindern konnte, war Ilses Vater dem alten Herrn dienstbereit zuvorgekommen und an den Nachbartisch getreten. Hier brachte er im Namen von Herrn Grimm seine Einladung zu einem Täßchen selbstgebrauten Mokka und eigengebackenem Kuchen hervor.
Der Großonkel wußte nicht, wie ihm geschah. Ein Stuhl wurde neben ihn gerückt. Darauf saß in der nächsten Minute Theodor Elmert und bot ihm mit treuherzigem Blick die Rechte. Er konnte die Hand nicht ausschlagen. Man sah auf ihn; auch lag ja eigentlich keine Ursache mehr dazu vor. Er war zu formbewandert, um sich nicht seiner Pflichten bewußt zu sein; er mußte die Dame begrüßen und die Fremden vorstellen.
»Herr Elmert und Gattin.«
Wie eine Bombe platzte der Name in die nichtsahnende Gesellschaft. Heinz schlug sich an die Stirn; das war die Ähnlichkeit mit dem jungen Münchener Künstler, die ihn nicht losgelassen hatte! Die drei Schwestern saßen gleich Ilse in peinlicher Verlegenheit da. Herr Schwalbe jedoch frohlockte heimlich, und seine Frau bemühte sich in liebenswürdigster Weise, die plötzliche Schwüle zu zerstreuen.
Der Großonkel blieb jedoch gefroren. Tante Lenchens liebes Wesen löste trotzdem den Druck, der sich plötzlich auf die jungen Mädchenherzen herniedergesenkt hatte. Sie erzählte von ihrer verheirateten Tochter, die schon einen Prachtjungen hatte, und strahlte im Großmutterglück. Noch mehr aber glänzte ihr Gesicht, als sie von Rudis neuester Arbeit berichtete, und daß man sich um seine Bilder förmlich riß. Marlene hörte mit leuchtenden Augen zu.
Die Jugend tummelte sich danach wieder im Walde. Frau Schwalbe und Frau Elmert fanden im Gespräch schnell Gefallen aneinander, und Papa Schwalbe wollte heute durchaus zu den Jungen gerechnet werden. Dadurch gab er Theodor Elmert Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem Großonkel.
»Herr Grimm, ich freue mich, daß mir ein gütiges Schicksal die Möglichkeit bietet, Ihnen für das großherzige Entgegenkommen zu danken, das Sie meinem Sohne und auch mir gegenüber an den Tag gelegt haben.«
Der Großonkel aber dachte an die Mitteilung, die ihm gestern Heinz betreffs des jungen Künstlers gemacht hatte; er runzelte die Stirn. »Keine Ursache,« wehrte er ab.
Theodor Elmert fühlte jedoch, daß, wenn nicht heute, der Bruch nie wieder zu heilen war.
»Herr Grimm,« begann er in seiner gewinnenden Art, »nachdem Sie selbst es ausgesprochen haben, daß das verjährt sei, was sich einst feindlich zwischen unser gutes Einvernehmen drängte, bitte ich Sie, um der Kinder meines verstorbenen Bruders willen, die wir beide liebhaben, Vergangenes vergessen sein zu lassen.« Wieder bot er ihm mit freiem Blick die Hand.
Aber diesmal schlug der Großonkel nicht ein. Nein, er wollte sich nicht fangen lassen!
»Ich habe nichts mehr gegen Sie, Herr Elmert; den Vorwurf, den ich Ihnen viele Jahre machte, hat ein aufgefundener Brief meiner Nichte beseitigt. Aber ich bin ein Gewohnheitsmensch – hm – mir ist das Verhältnis, das wir die Jahre über zueinander hatten oder vielmehr nicht hatten, durchaus bequem; ich möchte auch in Zukunft daran nichts ändern.«
»Dann bitte ich meine Worte als nicht gesprochen zu betrachten.« Theodor Elmert erhob sich stolz.
Weder die bittenden Blicke seiner Frau noch Frau Schwalbes Zureden fruchteten. Als das junge Volk zur Abendbrotzeit wieder angestürmt kam, hatten Onkel Theodor und Tante Lenchen längst den Garten verlassen. Grenzenlos enttäuscht sahen die jungen Mädchen drein; Marlene weinte fast.
Der Großonkel konnte ein leises Mißbehagen nicht unterdrücken. Er empfand, daß Herr und Frau Schwalbe seine Handlungsweise verurteilten; auch Heinzens Blick traf ihn vorwurfsvoll.
Als man die Kremser zur Heimfahrt bestieg, übergoß der Mond die zum Schlummer sich anschickende Erde mit seinem bläulichen Silberglanz. Die jungen Mädchen hatten duftige Waldkränze in das lichte und dunkle Haargelock gedrückt; die Hüte der Herren waren mit Eichenlaub umkränzt. Fröhliche Lieder schallten durch die linde Sommernacht. Nur Marlene und Lotte sangen nicht mit; beiden war das Herz schwer.
»Sag, Lotte, wann magst denn nun endlich Schreibmaschinendame hier in meiner Filiale werden?« unterbrach Heinz ihr Vorsichhingrübeln, als man sich wieder der mit tausend Lichtern blinkenden Stadt näherte.
Sie sah lebhaft auf. »Willst du mich denn haben?« fragte sie befangen.
»Schon, wenn du halt wieder so nett bist wie sonst; an sauertöpfischen Knödel mag ich freili net.«
»Bitte, sprich mit dem Großonkel, daß er es mich lernen läßt, ja – Onkel Heinz,« antwortete sie und vermochte den Vetter jetzt wieder unbefangen anzusehen.
»Dummes Karlinchen,« sagte der bloß.
Der Singsang verstummte; einen Fahrgast nach dem anderen leerte der Kremser aus. Jetzt hielt er vor dem grauen Hause.
»Schönsten Dank, und auch dafür, daß Sie Charlotte bei sich aufnehmen wollen, gnädige Frau,« rief der Großonkel zurück.
Er hatte es auf der Heimfahrt versprechen müssen, sie ins Schwalbennest zu geben, da er während seiner Reise noch kein Unterkommen für sie wußte. Denn als Stütze der Hausfrau ging Lotte nicht wieder. Mit einem Jubellaut hatte die quecksilberige Ilse ihre Lotte, die ganz betäubt von der Freudenbotschaft dastand, ein dutzendmal auf dem Platz umhergewirbelt.
Noch ein Versprechen wurde dem Großonkel abgenommen. Heinz setzte es vor seiner Abreise durch, daß Lotte in einem Institute angemeldet wurde, um Schreibmaschine und Stenographie zu erlernen.
Lottes Augen blickten wieder heller; aber ein wenig ernster als zuvor schauten sie jetzt doch in die Welt.