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Im Schwalbennest.

Wochen waren dahingeschlichen seit jenem Tage, da die drei Schwestern bangen Herzens ihren Einzug in das graue Haus hielten, und noch immer fühlten sie sich nicht darin heimisch.

Sie kannten jetzt ihre Obliegenheiten, kannten die Eigenheiten des Großonkels und vermieden, was ihn ärgern konnte. Trotzdem kam es noch des öfteren zu kleinen Verstimmungen, denn der alte Herr war ziemlich unberechenbar. Alt und jung sind zu verschieden, wenn nicht die Liebe vermittelt und ausgleicht; sie stoßen sich im engen Raum.

Marlenes verträumtes Wesen war dem Großonkel ein wahrer Dorn im Auge; er sah darin alle Gefahren, denen seine Nichte zum Opfer gefallen war. Ihre schüchterne, ängstliche Art machte ihn kribbelig und noch viel tyrannischer, als er es im Grunde war.

Hanni bestrickte ihn immer wieder mit ihrem kindlichen Liebreiz und stieß ihn gleichzeitig ab durch die Ähnlichkeit mit ihrem Vater, dem sie von Tag zu Tag mehr glich. Der Onkel war ungleich zu ihr und versuchte den starren Eigensinn, der in klein Hannis Trotzköpfchen wohnte, mit eiserner Strenge zu brechen. Das war nicht der richtige Weg, denn Hanni war nur mit Liebe zu regieren; sie wurde scheu und verstockt gegen den Onkel.

Verhältnismäßig am besten kam noch Lotte mit dem alten Herrn aus. Das heißt, mit ihr gab es eigentlich am alleröftesten Krach. Sie hatte den Kopf voll Raupen, war Feuer und Flamme, wenn man sie grundlos beschuldigte, und schien nicht die Spur Angst vor dem Onkel zu haben. Doch das schien nur so. Innerlich war dem Backfischchen mitunter bei Onkel Heinrichs Wortgedonner und Augenblitzen doch recht ungemütlich zumute. Aber dem alten Herrn, der die letzten Jahrzehnte seines Lebens stets Furcht erweckt hatte, tat es heimlich wohl, daß dieses junge Ding sich so wenig von ihm einschüchtern ließ. Lotte schüttelte solche »Pauken« vom Großonkel ab wie ein Pudel das Wasser; nach einigen Minuten dachte sie schon nicht mehr daran, während Marlene nach jedem Ausschelten stundenlang mit verweinten Augen umherging.

Bei Frau Tann war es gerade umgekehrt wie beim Onkel. Die hatte die sanfte Marlene und die kleine Schmeichelkatze Hanni allmählich ins Herz geschlossen. Mit Lotte aber stand sie durchaus nicht gut. Die Abneigung, die sie beide gleich in der ersten Stunde gegeneinander empfunden hatten, war von Tag zu Tag stärker geworden. Frau Tann hatte ewig an Lotte herumzunörgeln, und die bemühte sich redlich, ihr das Leben so sauer wie möglich zu machen.

Es war ein aufregender Tag für die Mädchen, als Ilse Schwalbes Mutter dem alten Herrn den versprochenen Besuch machte.

Vom Morgen an hatten sie sich bemüht, ihn bei guter Laune zu halten. Marlene war sogar ganz blaß vor innerlicher Erregung. Wenn er ausfallend und unhöflich wurde gegen die feinfühlende Frau Schwalbe! Ach, sie schämte sich schon im voraus unbeschreiblich.

Selbst Frau Schwalbe, die doch schon mancher Lage im Leben mutig die Stirn geboten hatte, fühlte sich bei ihrem Kommen von dem wuchtigen grauen Hause bedrückt. Wieviel besser hatte es doch ihre Ilse, die sich neugierig unten an der Treppe aufstellte!

»Wenn er dir was tun will, Muttchen, schrei nur um Hilfe; ich fürchte mich vor dem alten Grimmbart nicht ein bißchen,« flüsterte sie ihrer Mutter noch besorgt zu, ehe diese ging.

Ihre Sorge war unnötig. Herr Grimm empfing ihre Mutter verbindlich als Kavalier und dankte ihr für die Freundschaft, die sie seinen Nichten entgegenbrachte.

Frau Schwalbe saß starr. Dieser schöne, alte Herr mit dem formvollendeten Wesen, das war der schreckliche Großonkel, den Ilses lebhafte Phantasie zu einem wahren Unhold stempelte? Mit dem wollte sie wohl fertig werden.

In beredten Worten sprach sie ihm von seinen jungen Großnichten, von der begabten, tief empfindenden Marlene, von der praktischen, übermütigen Lotte und von klein Hannis warmem Kinderherzen. »Sie haben den Waisen Ihr Haus geöffnet; öffnen Sie ihnen auch Ihr Herz, Herr Grimm! Eine Unterkunft können sie überall finden, nicht aber die Liebe, die so junge Menschen zum Gedeihen brauchen wie die Blumen das Sonnenlicht,« schloß sie ernst.

»Ich habe keine Liebe mehr zu vergeben; meine Liebe hat man mit Undank gelohnt und mein Vertrauen getäuscht.« Damit brach der alte Mann die ihm unangenehm werdende Unterhaltung jäh ab.

»Unglück ist keine Täuschung, Herr Grimm; dem Schicksal gegenüber sind wir alle machtlos,« Frau Schwalbe wußte, daß jene bitteren Worte den Eltern der Kinder galten.

Sie erhob sich. Sie hatte nicht mehr durchgesetzt, als daß Marlene die Schule wenigstens bis Ostern besuchen und die Kinder nach wie vor in ihrem Hause verkehren durften. Auch am Kränzchen weiter teilzunehmen, wurde nach vielem Für und Wider endlich gestattet.

Aber den drei Mädchen war, als hätte Frau Schwalbes bloße Anwesenheit dem kalten Hause schon Behagen und Wärme eingeflößt. Lange, nachdem sie gegangen war, fühlten sie noch den Hauch ihres Wesens in den stillen Räumen.

Das Schwalbennest blieb der Zufluchtsort der Schwestern. Mit all ihren Kümmernissen flüchteten sie sich in das trauliche, liebewarme Heim der Freundin.

»Hier kann Schutt abgeladen werden,« sagte Lotte oft lachend und weinend zugleich, wenn die drei Schwestern wieder mal um den runden, altmodisch von der Lampe bestrahlten Tisch hockten, sich von Frau Schwalbes gütigen Händen die Tränen trocknen ließen und aus ihren klaren Augen frischen Mut und neue Vorsätze schöpften.

Es war nicht immer leicht für Ilses Mutter, die zagenden Mädchenherzen in die richtigen Bahnen zu leiten. Oft litt sie selbst mit den armen Kindern, die so freudlose Tage in dem grauen Hause verbrachten. Dennoch versuchte sie es immer wieder, die Liebe zu dem einsamen, durch das Leben hart gewordenen Manne in die jungen Gemüter zu pflanzen.

»Sonnenschein schmilzt auch das sprödeste Eis,« pflegte sie zu sagen, »aber warm und hell, aus dem Innersten heraus, muß der Strahl leuchten. Das Wort, das von Herzen kommt, findet auch schließlich den Weg zum Herzen. Nur die Geduld dürft ihr nicht verlieren; ein jedes Saatkorn braucht seine Keimzeit.«

Die weichherzige Marlene senkte dann oft schuldbewußt den Blondkopf. Geduld? Nein, die hatte sie nicht gehabt! Sie hatte wohl öfters mal einen Anlauf genommen, dem Onkel Liebes zu erweisen; aber nach jedem gescheiterten Versuch hatte sie sogleich mutlos die Flinte ins Korn geworfen. Geduld ist eine schwere Aufgabe für ein fünfzehnjähriges Ding.

»Unglück ist keine Täuschung, Herr Grimm; dem Schicksal gegenüber sind wir alle machtlos.«

Lotte, der Brausekopf, aber wollte überhaupt nichts von solchem Werben um Liebe wissen.

»Dankbar sollen wir dem Onkel noch obendrein sein? Ja, wofür denn? Dafür, daß er uns speist und kleidet, müssen wir ja wie die Mägde arbeiten – ohne ein gutes Wort, das man doch jedem Dienstboten gönnt!« Lotte wies ihre derben roten Hände.

»Arbeit schändet nicht, Lotte; wohl dem, der es in jungen Jahren lernt! Später dankt ihr es dem Großonkel vielleicht einmal, daß er euch einfach und arbeitsam erzogen hat.« Frau Schwalbe wußte auch den heftigsten Gefühlsausbuch der Mädchen zu besänftigen.

Zum Schluß der Unterhaltung fiel die lebhafte Lotte dann doch schließlich ihrer »Pflegemutter« um den Hals. »Frau Schwalbe, Sie sind viel zu gut; ich will auch so werden wie Sie. Morgen schneide ich ganz bestimmt kein Gesicht, wenn mich der Onkel auch noch so ansäuselt.«

Aber schon nach kurzer Zeit berichtete Lotte ihrer Ilse wieder bekümmert, daß der Großonkel gar kein Verständnis für ihr liebevolles Wesen zeige. Sie habe, was er auch immer auszusetzen fand, sich nicht von ihrer Absicht abbringen lassen; allem Tadel habe sie stets dasselbe geduldig freundliche Gesicht entgegengebracht. »Da ist der Onkel aber eklig böse geworden. ›Was hast du dir denn für ein dummes Grinsen angewöhnt?‹ hat er mich angefahren. Na, könntest du da vielleicht noch liebevoll und sanft bleiben, Schwälbchen?«

Ilse schüttelte mit empörtem »Nee« den Kopf; sie spürte in ihren jungen Adern noch recht wenig von ihrer Mutter milder, versöhnender Art. Aber Schwälbchens nie versiegende Heiterkeit umspann jedes Ding mit dem Zaubergewand eines goldenen Humors, mochte es auch noch so düster ausschauen. Sie sorgte dafür, daß der frohe Jugendmut der Freundinnen nicht gebrochen wurde, und daß sie das Lachen in dem grauen Hause nicht verlernten.

Es gab aber noch eins, was Frau Schwalbe vor allem betrübte. Die jungen Mädchen verloren ihre gerade, wahre Art; sie befanden sich auf dem besten Wege dazu, unaufrichtig zu werden. Des Großonkels Launen hatten sie so verängstigt und eingeschüchtert, daß sie unausgesetzt fürchteten, er könnte sie bei etwas Unrechtem ertappen. Wenn sie nur seinen Schritt auf der Treppe hörten, warf Marlene das Buch, in dem sie gerade las, zur Seite und griff nach den zerlöcherten Strümpfen. Hanni kam eilig aus dem von dem Großonkel stets mit scheelem Blick betrachteten Puppenwinkel gekrochen, und Lotte beugte den hübschen Kopf, in dem eben noch allerlei übermütiges Zeug gespukt hatte, eifrig über die Arbeit. Sie wurden unwillkürlich heimlich und versteckt; nichts wagten sie mehr frei und offen zu tun, aus Angst vor Schelte. Frau Tann konnte mit der Drohung, es dem Onkel zu sagen, alles bei Marlene und Hanni durchsetzen; Lotte aber ließ sich durch das sogenannte »Petzen« nicht irremachen. Die kleinen Erlebnisse der Schule, die sie ihrem Väterchen immer so getreulich mitgeteilt hatten, wurden verschwiegen. Vierzehn Tage lang ging Lotte einmal mit zerrissenen Stiefelsohlen in die Schule, weil sie Angst hatte, daß der Onkel böse werden könnte. Erst als Käthe Möller, trotzdem es draußen ganz trocken war, beim Turnen spottete: »Lotte, du wirst nasse Füße bekommen,« wanderten die Stiefel zum Schuster.

Wenn sie von ihrem spärlichen Taschengelde – die Großen bekamen zehn Pfennige die Woche und mußten davon noch ihre Schulhefte in Ordnung halten – Frau Schwalbe eine kleine Freude machen wollten, ein Veilchensträußlein oder ein paar Stengel Mimosen, welche Angst, daß nur ja der Großonkel nichts erfuhr! Da bat Frau Schwalbe denn schließlich, derartige Liebesbeweise, und geschähen sie auch aus bestem Herzen heraus, ohne Wissen des Onkels künftig zu unterlassen. Sie ermahnte und führte die jungen Menschen zur Aufrichtigkeit, soweit es in ihrer Macht stand.

Eines Tages aber mußte die mütterliche Freundin selbst einen Kampf zwischen den weichen Regungen ihres Herzens und der unerbittlichen Wahrheit ausfechten. Marlene und Lotte hatten heimlich an ihren lieben Onkel Theodor geschrieben. Sie hatten ihm von ihrem neuen Leben bei dem Großonkel berichtet und ihn angefleht, ihnen doch hin und wieder eine Zeile unter Ilses Adresse zukommen zu lassen. Wohl klopfte den jungen Mädchen das Herz, als sie im Schwalbennest davon erzählten, denn Frau Schwalbes stets so freundliche Züge sahen merkwürdig ernst aus.

»Frau Schwalbe, das ist kein Hintergehen, nein! Es ist unmenschlich vom Großonkel, zu verlangen, daß wir die einzigen Verwandten, die uns liebhaben, nicht mehr kennen sollen!« Selbst die sanfte Marlene war ganz ausgewechselt.

»Ein Unrecht wird dadurch nicht entschuldigt, daß ein anderer ebenfalls nicht das Rechte tut, Kinder. Ihr seid zu jung, um die Entschlüsse eines alten Mannes richtig zu beurteilen. Aber ihr seid alt genug, zu fühlen, daß jede Heimlichkeit eine Unwahrheit in sich birgt. Zeigt dem Großonkel eure Liebe dadurch, daß ihr ihm gehorsam seid. So ein heimlicher Briefwechsel bringt keinen Segen; er verstrickt euch nur in ein Netz von Lüge und Unaufrichtigkeit. Glaubt ihr wohl, daß euer Vater sich darüber freuen würde?«

Tief sanken die Mädchenköpfe herab.

Aber auch Frau Schwalbe mußte sich eine fürwitzige Träne aus dem Auge wischen. Leicht war es ihr nicht geworden, so zu sprechen; doch es mußte sein.

Dann kam Onkel Theodors Antwort. Ein dicker Brief war es. Alle hatten sie den jungen Mädchen geschrieben.

Der Onkel tat es in seiner kurzen, knappen Art, ganz gegen seine Gewohnheit humorvoll; doch aus jedem Wort sprach warmes Verständnis und innige Zuneigung. »Der erste und letzte Brief,« schloß er. »Denkt ihr, ich grauhaariger Mann werde noch auf meine alten Tage einen heimlichen Briefwechsel mit jungen Damen beginnen?« Marlene und Lotte mußten unter Tränen lachen; sie lasen es zwischen den Zeilen, wie schwer dem Onkel Theodor der Scherz geworden war.

Tante Lenchen äußerte sich ähnlich wie Frau Schwalbe, und zum Schluß kam noch ein wahrer Berg guter Ratschläge bezüglich der neuen Wirtschaftstätigkeit der Nichten. Cousine Herta dagegen, die fleißig durch Entwerfen künstlerischer Handarbeiten zum Haushalt beitrug, nahm kein Blatt vor den Mund in ihrer Beurteilung des Großonkels. Stumm legten die jungen Mädchen diesen Brief beiseite. Sie hatten ja oft Ähnliches gedacht und gesagt; aber jetzt, da es die zierlichen Schriftzüge der Cousine so unverblümt aussprachen, fühlten sie doch schon eine gewisse Zusammengehörigkeit mit dem Onkel, und sie schämten sich der Worte Hertas.

Wie anders schrieb doch Vetter Rudi, der seinen Lieblingswunsch, Maler zu werden, der zurückgegangenen Vermögensverhältnisse wegen hatte aufgeben müssen! »Seht Ihr, ich sitze auch statt in der Akademie jetzt auf dem Kontorsessel und muß meine Gedanken, die hinausflattern zu der Schönheit der Natur, auf starre Zahlen konzentrieren. Ein ›Muß‹ ist stets hart, aber Mut und Hoffnung lasse ich deshalb noch lange nicht sinken. Wir sind ja jung, haben noch das ganze Leben vor uns; da werden wir die paar Jahre, die wir uns jetzt nicht sehen dürfen, schon noch nachholen, was Marlenchen? Und schließlich, man lebt ja in derselben Stadt; eine zufällige Begegnung ist nicht ausgeschlossen und kein Unrecht. Hoffen wir also auf einen gütigen Zufall!«

Lotte hatte längst Rudis Brief durchflogen und weilte mit ihren Gedanken bereits wieder bei etwas anderem. Marlene aber starrte noch immer auf die beiden Worte »was, Marlenchen?« Vetter Rudi hatte schon als Knabe das kleine blonde Cousinchen mit einer Zartheit und Ritterlichkeit umgeben, die seltsam zu den Flegeljahren des damaligen Tertianers stimmte. Er hatte sich von dem winzigen Ding alles gefallen lassen. Nur einmal war er böse geworden, als sie an seinen Tuschkasten ging und die Farben verdarb. Da versetzte er der Kleinen einen derben Klaps auf die unnützen Finger, und seitdem war es um das gute Einvernehmen der beiden geschehen. Der kräftige Jungenschlag hatte nicht nur auf dem Kinderhändchen gebrannt, sondern auch in der weichen Kinderseele; Marlene hatte seit diesem Tage eine heimliche Scheu gegen den großen Vetter. Der ahnte nichts davon; er neckte und uzte das empfindliche Cousinchen, wo er nur konnte. Viele heimliche Tränen hatte Marlene deshalb geweint, während die muntere Lotte jeden Scherz des Vetters lachend zurückgab. »Wäre ich doch wie Lotte,« hatte Marlene oft gedacht, wenn die beiden so lustig miteinander herumulkten. Was war es nur, was sie aus den beiden Worten in Rudis Brief so warm anwehte? Sie hatte plötzlich dasselbe geborgene Gefühl dabei wie vor Jahren, wenn Muttchen ihr den Blondkopf streichelte ...

Die drei Schwestern waren wieder einmal im Schwalbennest. Diesmal gab es dort nichts zu beichten und zu trösten; es hallten nur frohe junge Stimmen durch die gemütlichen Räume, denn es war Kränzchen bei Ilse.

Das Kränzchen im Schwalbennest hatte einen besonderen Reiz für die Backfischchen; nirgends ging es so lustig zu wie dort. Meistens war es am Sonntag; dann fanden sich Schwälbchens große Brüder dazu ein und öfters auch die Vettern und Freunde. Am Sonntag flog man im Schwalbennest ohne Umstände ein und ans. Wenn die jungen Herren die Backfischchen auch noch nicht für voll ansahen, so gab es nach dem Abendessen doch manch gemeinsames Spiel; ja öfters wurde sogar »gehopst«, wie Ilse das Tanzen bezeichnete.

Vorläufig war man noch unter sich. Hanni schneiderte im Kinderzimmer eifrig Puppenkleider mit Ilses kleiner Schwester Gerda, und die Herren Brüder blieben noch unsichtbar. Auch Frau Schwalbe, die einzige der Mütter, die man ohne Gesichterschneiden die heiligen Räume des Kränzchens betreten sah, war noch mit Vorbereitungen zum Abendbrot beschäftigt.

»Martha, du hast ja ein neues Kleid an!«

Alle bewunderten der Genannten nagelneuen Staat, ein dunkelblaues Kleid mit ziegelrotem Tuchkragen. Nur Käthe Möller rief wenig taktvoll: »Nanu, diesmal kein ererbtes von deinen Schwestern? Das ist wohl das erste neue Kleid in deinem Leben, was?«

Die Mädel kicherten, denn Martha erschien manchmal mit schier unmöglichen Erbstücken der großen Schwestern. Ilse aber, die Wirtin, wurde puterrot, trotzdem Martha in ihrer Pomadigkeit jene Bemerkung durchaus nicht übelnahm.

»Sei doch nicht so schrecklich oberflächlich, Käthe,« sagte sie, »Wie jemand auswendig aussieht, ist doch ganz gleich; die Hauptsache ist das Herz. Denkt nur mal, wenn man euch alle umkrempeln würde!«

Dieser Einfall von Schwälbchen wurde allgemein für glänzend befunden. »Ja, Kinder, au ja, bei jeder von uns wird jetzt mal das Innere nach außen gekehrt – aber nichts übelgenommen! Die rechte Hand drauf!«

Acht Mädchenhände vereinten sich zur Bekräftigung dieses Wortes.

»Wir könnten ja auch nur Gutes sagen,« schlug die friedfertige Marlene vor.

»Das wäre langweilig! Im Gegenteil, nur schlechte Eigenschaften wollen wir herausfinden, dann kann keine beleidigt sein,« hieß es.

»Also mit wem fangen wir an?«

»Mit Schwälbchen – ja, mit Schwälbchen! Die Wirtin muß sich zuerst opfern,« rief man durcheinander.

Ilse nahm mit einer Leidensmiene auf dem »Opferaltar«, einem Plüschsessel, Platz. »Nun reißt mir meinetwegen die Federn aus,« rief sie dann und lachte wieder.

»Also Schwälbchen – – erstens eingebildet –«

»Aber Kinder, ich bin doch nicht eingebildet –«

»Ja doch – natürlich bist du es –«

»Keine Spur!« Lotte nahm lebhaft Partei für die Freundin.

»Weiter – zweitens vorlaut – «

»Stimmt,« gab Ilse in edler Selbsterkenntnis zu.

»Drittens – Grete was sagst du?«

»Furchtbar kindisch für ihr Alter –«

»Na, erlaube mal, das ist aber eine edle Dreistigkeit! Du bist ja selbst noch das reine Steckkissenkind!«

»Viertens – empfindlich,« rief Valli dazwischen.

Ilse legte den Kopf auf die Seite und machte ein beleidigtes Gesicht. »Empfindlich bin ich ganz und gar nicht, liebes Kind; aber wenn einem lauter schlechte Eigenschaften angehängt werden, die nicht wahr sind, das nehme ich allerdings übel!«

Ein schallendes Gelächter war die Antwort.

»Das ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen,« rief Martha, die gern ihr Wissen zeigte und immer mit Zitaten um sich warf.

»Nun komme ich dran,« fiel Käthe Möller ein und bestieg den Opferaltar, mit einem Gesicht, das deutlich besagte: »An mir ist sicher nichts Schlechtes herauszufinden.«

Aber »eitel, oberflächlich, stolz, taktlos, gefallsüchtig«, schwirrte das durcheinander, und Käthe sprang vom Sessel auf.

»Warum verkehrt ihr denn noch mit mir, wenn ich solch ein Scheusal bin? Und überhaupt – Lotte ist viel eitler als ich, und Valli viel stolzer – ich will euch nicht länger mit meiner Gesellschaft belästigen.«

Sie riß die Tür auf und prallte in ihrem blinden Eifer heftig gegen einen Herrn an, der gerade eintreten wollte. Es war Ilses ältester Bruder Fritz.

»Nanu, Fräulein Käthchen, so stürmisch? Können Sie es denn gar nicht erwarten, bis ich drin bin, mich zu begrüßen,« neckte er.

Käthe Möller machte jedoch ein hochmütiges Gesicht und neigte den Kopf wie eine Dame. »Guten Tag, Herr Musikdirektor,« sagte sie schnippisch, denn Fritz Schwalbe studierte Violine an der Hochschule.

Der ließ den vorlauten Backfisch stehen und wandte sich den anderen Mädeln zu. »Was hat es denn hier gegeben? Das war ja ein Lachen und ein Schreien ...«

»Wir haben uns die Wahrheit gesagt,« gestand Lotte, die mit Ilses Brüdern gut Freund war.

Die Kränzchenschwestern warfen ihr empörte Blicke zu.

»Haha – das verstehe ich aber besser als Sie! Ich kann Ihnen sogar die Wahrheit geigen,« scherzte Fritz Schwalbe und griff zur Violine.

»Ach ja – bitte, spielen Sie,« drängten sie, denn allen war das Thema ein wenig unbehaglich geworden. »Aber nichts Klassisches,« verlangte die unmusikalische Käthe.

Fritz ließ sich nicht lange bitten. Er entlockte seiner Fiedel bald die lustigsten Weisen, Walzer, Volks- und Studentenlieder, bunt durcheinander. Mit hellen Stimmen sangen die Backfischchen aus voller Kehle mit; es wurde urgemütlich. Selbst Käthe Möllers durch die unbarmherzige Kritik etwas grau gewordene Laune erstrahlte wieder rosig.

Nach und nach fand sich noch dieser und jener ein, vor allem Ilses »interessante« Vettern. Der große blonde, der sich die Haare brannte, wie die boshaften Mädel behaupteten, wurde Totila genannt; Teja hieß der kleine braune, der in seinem breiten ostpreußischen Dialekt so feine Komplimente machen konnte. Auch Bruder Ernst war da, der, im Gegensatz zu Fritz, stets höflich und verbindlich war, und sie nach allgemeiner Kränzchenansicht »furchtbar anständig« behandelte; sogar Fritz Schwalbes betrübter Freund, der an Weltschmerz litt und so steif einherging, als ob er einen Stock verschlungen habe, fehlte nicht.

Ilses Vater, der im Nebenzimmer seinen Sonntagswhist spielte, legte schmunzelnd die Karten hin. »Das jubiliert und tiriliert ja heute nicht schlecht im Schwalbennest!«

Auch Frau Schwalbe, die in der Küche mit Rike die Riesenschüsseln belegter Brötchen herrichtete, summte die Lieder mit. Da stand plötzlich Marlene hinter ihr.

»Darf ich Ihnen ein wenig zur Hand gehen, Frau Schwalbe?« bat sie.

Ilses Mutter zog das junge Mädchen schweigend zu sich heran; sie verstand ohne Worte, daß Marlenes Sinn noch nicht nach so lauter Fröhlichkeit stand. Lotte war weniger zart besaitet; ihr frisches Temperament riß sie mit fort.

Wirklich zu nett war es diesmal wieder im Schwalbennest; richtig zu Tisch geführt wurden die jungen Mädchen wie Damen! Sie zierten sich zwar außerordentlich, die Herren unterzufassen, und hatten beim Abendbrot ohne Unterlaß irgend etwas hinter dem Rücken ihrer Tischnachbarn zu tuscheln und zu kichern; aber sie fühlten sich doch ungeheuer erwachsen.

Eines allerdings war etwas niederschmetternd, nämlich daß Rike, die langjährige Köchin, Ilse vor allen Leuten mit »Du« anredete. Die Ilse war schön dumm, daß sie sich so was gefallen ließ! Morgen in der Schule wollte man es dem Schwälbchen aber sagen.

Ferner fand Käthe Möller es durchaus nicht standesgemäß, daß Ilse, da das Hausmädchen seinen Ausgehsonntag hatte, selbst eine der Schüsseln herumbot. Sie rümpfte das feine Näschen, vertraute Valli hinter Totilas breitem Rücken an, daß sie das höchst »plebejisch« fände, und ließ es sich im übrigen schmecken.

Nach dem Essen wurde ein allgemeines Gesellschaftspiel veranstaltet; auch die Eltern nahmen daran teil.

Lotte sah nicht, daß sich Marlene ihr vergebens durch Winke mit den Augen bemerkbar zu machen suchte, und daß ihre Blicke wiederholt ängstlich zu der alten Standuhr wanderten. Erst als die Schwester entschlossen aufstand, fuhr auch sie empor.

»Wir müssen gehen, Lotte! Der Onkel hat uns aufgetragen, um neun zu Hause zu sein; es ist schon halb.« Die Angst vor dem Großonkel sprach deutlich aus ihrem Ton.

»Onkel ist ja heute im Klub,« murrte Lotte.

»Wir geben Ihnen einen Entschuldigungszettel mit,« riefen die Herren. Doch davon wollte Marlene nichts hören.

Ilse quälte und bat: »Ihr seid doch keine Babys mehr!« Aber Frau Schwalbe meinte auch, daß es für die Schwestern Zeit sei zu gehen, so leid es ihr selbst tue.

»Immer gerade, wenn's am hübschesten ist,« murrte Lotte und erhob sich zögernd.

»Werdet ihr denn schon abgeholt?« fragte Grete.

»Wir werden nicht geholt.« Marlene verabschiedete sich bereits.

»Euer Mädchen ist wohl heute ausgegangen?« erkundigte sich Käthe Möller bei Lotte mit auffälligem Interesse.

Die wurde krebsrot; sie fühlte, daß Käthe Möller es ganz genau wußte, daß sie jetzt Dienstmädchen spielen mußten, und daß sie die Kränzchenschwestern nur zu demütigen beabsichtigte. Schon wollte sie die unbequeme Frage einfach überhören, da kreuzte ihr Blick zufällig den Frau Schwalbes.

Einer plötzlichen Eingebung folgend schüttelte Lotte die schweren, goldbraunen Flechten in den Nacken und sagte mit lauter Stimme: »Wir haben kein Mädchen; der Großonkel hat es entlassen.«

»Ach nee,« rief Käthe erstaunt; die übrigen Freundinnen machten verlegene Gesichter. Frau Schwalbe aber klopfte dem Backfischchen anerkennend die heiße Wange, und all die anderen sahen bewundernd auf das mutige Mädel.

»Ach nein, wollen Sie denn wirklich schon jehen? Ich werd' Se zur Bahn bejleiten, Freileinchen!« Teja machte Anstalten, ihnen zu folgen.

Aber Ilses Bruder Ernst stand bereits gerüstet im Vorraum.

Lustiges Schneegestöber schlug den vieren entgegen, als sie auf die sonntäglich stille Straße, traten. Noch einmal sahen die Schwestern zu den hellerleuchteten Fenstern des Schwalbennestes empor, aus denen goldene Lichtstrahlen über die bläuliche Schneedecke huschten. Sie meinten selbst hier unten noch das warme Behagen zu empfinden, das dort oben wohnte. Aber der übermütige Wind blies den hübschen Kindern eine Ladung eisiger Flocken in die jungen Gesichter; sie erschauerten und schlossen die Augen. Als sie wieder sehen konnten, waren Licht und Wärme erloschen.

Drei Pferdebahnwagen waren überfüllt; erst im vierten gelang es ihnen, Plätze zu erhalten. Ernst, der es sonst durchaus nicht liebte, Ilses Freundinnen zu begleiten, taten die armen Dinger schrecklich leid. Am liebsten hätte er sie bis nach Hause gebracht; aber das wollten die Mädel um keinen Preis annehmen. So saßen sie denn allein in der überfüllten Bahn. Hanni lehnte den Kopf schlaftrunken gegen Marlenes Schulter.

»Lotte, bezahle, du hast das Geld –«

Lotte fuhr in die Tasche ihres schwarzen Kleides. Aber mit entsetztem Gesicht zog sie die leere Hand zurück; sie hatte ihr Geldtäschchen als Pfand gegeben und im Schwalbennest vergessen!

Die Fahrgäste schauten auf, der Schaffner brummte, und Hanni weinte. Peinlich verlegen erhoben sich die Mädchen, um wieder auszusteigen.

Da klang ihnen aus der äußersten Wagenecke eine bekannte Stimme wie Engelsang an das Ohr: »Schaffner, ich zahle für die jungen Damen.« Es war Vetter Rudi.

Lotte wollte gleich aufspringen und zu dem Vetter hineilen. Endlich wieder ein Gesicht aus dem lieben Kreis! Aber Marlene hielt sie krampfhaft an ihrem Jackenzipfel fest.

Der Großonkel! Wenn der Großonkel etwas von dieser Begegnung erfuhr! Durfte sie denn überhaupt das Fahrgeld von Rudi annehmen? Sie wagte es nicht, den Vetter anzusehen; Angst, Scheu und Freude wechselten auf ihrem erregten Gesicht. Lotte und Hanni dagegen nickten dem Vetter unbefangen mit strahlenden Gesichtern zu; wie prächtig, daß man sich mal traf!

Die Haltestelle an dem Platz war erreicht. Die jungen Mädchen erhoben sich. Noch einmal wandten sie die Gesichter zu Vetter Rudi zurück, Lotte voll Enttäuschung und Ärger, daß sie ihn nicht gesprochen hatten, Marlene voll Dankbarkeit.

»Na, so 'ne Verdrehtheit von dir, Marlene,« begann Lotte draußen gleich ihrem Herzen Luft zu machen.

»Daß wir uns erst jetzt guten Abend sagen, mein holdes Cousinchen?« vollendete da eine frische Stimme. Rudi war ihnen gefolgt. »Nee, so leicht lasse ich mir einen Glückszufall, wie den heutigen, nicht entwischen. Na, Marlenchen, bekomme ich keine Hand?«

Rudi Elmert sah den drei schlanken Mädchen nach.

Zaghaft berührte Marlenes Wollhandschuh Rudis Rechte. Sie wollte die Hand schnell zurückziehen, aber er hielt sie fest.

»Kinder, seid doch nicht so ängstlich! Kommt, ich bringe euch nach Haus.« Hanni hatte sich bereits an seinen Arm gehängt, und Lotte machte Miene, den anderen mit Beschlag zu belegen.

Da wurde das schüchterne Marlenchen aber plötzlich ganz entschlossen. Ungestüm entzog sie dem Vetter die Hand.

»Es geht nicht, Rudi; du darfst nicht mit uns kommen. Denke, wenn uns der Großonkel sähe, oder auch nur Frau Tann!« Sie blickte herzklopfend zu dem grauen Hause hinüber, das da in dem unbestimmten Schneegeflimmer drohend seine düsteren Mauern reckte.

»Ist mir ganz wurscht; komm, Rudi!« Lotte wollte ihn fortziehen.

Aber Rudi war plötzlich ernst geworden.

»Marlene hat recht. Ich darf euch nicht in Ungelegenheiten bringen. Wir haben uns ja nun gesprochen; jetzt können wir es wieder ein paar Jahre aushalten, was Marlenchen?«

Ohne Rudi noch einmal die Hand zu geben, stürmte Marlene mit kurzem »Grüße alle daheim« über den Damm. Lotte und Hanni folgten nach herzlichem Händedruck.

Rudi Elmert stand und starrte den drei schlanken Mädchengestalten nach. Er stand und starrte noch, als längst der große Torflügel hinter den dreien zugeschlagen, als längst ein schwarzgescheitelter Frauenkopf, der hinter der bergenden Gardine hinablugte, vom Fenster des grauen Hauses verschwunden war.

Droben aber stand die erzürnte Frau Tann vor den jungen Mädchen.

»Ist es jetzt neun Uhr?« herrschte sie die Schwestern an. Frau Tann war schlecht gelaunt; sie hatte das Haus hüten müssen, da der Großonkel die Wohnung nicht allein ließ.

Marlene und Hanni schwiegen; nur Lotte hielt wieder nicht den Mund.

»Wir können nichts dafür, wenn die Pferdebahnwagen überfüllt sind,« sagte sie ziemlich gleichgültig, da sie festgestellt hatte, daß der Großonkel noch nicht zu Hause war. Dadurch reizte sie aber Frau Tann noch mehr.

»Aber dafür könnt ihr vielleicht, wenn ihr wer weiß wie lange unten auf dem Platz mit einem fremden Herrn steht? Ich hab' euch wohl gesehen! Wer war das?«

Keine der drei antwortete. Marlene nicht, weil sie vor Aufregung auch nicht einen Ton herausbringen konnte, Hanni vor Angst nicht, und Lotte aus Trotz.

»Soll vielleicht der Großonkel euch erst danach fragen? War es Ilse Schwalbes Bruder?«

»Nein, ein Vetter,« bequemte sich Lotte schließlich einzuräumen, aus Furcht, daß Marlene oder Hanni die ganze Geschichte verraten könnten.

»Es ist kein Schwindel; es ist ja wirklich ein Vetter gewesen, wenn auch nicht von Ilse,« beruhigte Lotte ihr Gewissen, das sich wieder einmal bemerkbar machte. Was hätte wohl Frau Schwalbe zu dieser neuen Unaufrichtigkeit gesagt? Ja, aber die Wahrheit eingestehen, das ging doch auch nicht an; Großonkels Gesicht hätte sie dann mal sehen mögen!

»Ihr werdet künftig sofort nach dem Abendessen nach Hause kommen, daß ihr nicht erst Begleitung braucht,« bestimmte Frau Tann, die Lotte für ihr ungezogenes Wesen strafen wollte. Eigentlich hatte sie sagen wollen »vor« dem Abendbrot, aber sie dachte noch rechtzeitig daran, daß dies ja einen Ausfall für ihre Wirtschaftskasse bedeutete, und daß sie sich selbst dann am meisten strafe.

In der »Zelle« ging es diesmal beim Ausziehen still her. Die Mädchen trauten sich nicht von dem zu sprechen, was ihnen am Herzen lag, denn Frau Tanns Schritte schurrten im Nebenzimmer auf und nieder.

In Marlenes Herzen zitterte die Begegnung mit Vetter Rudi noch nach; sie grämte sich, daß sie ihm keine Hand zum Abschied gegeben hatte. Lotte befand sich in menschenfeindlicher Stimmung, über Frau Tann, über Käthe Möller, über die ganze Welt, in der man wider Willen schwindeln mußte. Klein Hanni war müde. So ging man schweigsam zur Ruhe.

Bleiches Schneelicht fiel durch das unverhangene Fenster in den unwirtlichen Raum. So kahl, so kalt und leblos erschien ein jeder Gegenstand! Marlene und Lotte zogen die Bettdecke fröstelnd bis unter die Nasenspitze, und ihre Gedanken wanderten zurück zu lichtbeglänzten Räumen, wo Lachen und Frohsinn herrschte, wo traute Familienliebe alle umgab, wo es einem warm ums Herz wurde, wo es so ganz anders war als hier. Ja, das Schwalbennest!


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