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Letztes Kapitel.

Der lange Krieg war beendet. England hatte die Neuordnung der Dinge in Nordamerika und mit ihr die Unabhängigkeit der vereinigten Staaten anerkennen und Frieden machen müssen.

Einige Jahre hatte das blutige Ringen noch angehalten im Norden und Süden des ausgedehnten Kontinents.

Ueberall, wo sie an den Feind geführt worden waren, hatten die hessischen Truppen unvergleichlichen Ruhm geerntet, so sehr die englischen Schlachtberichte sich auch bemühten, ihre Taten zu verschweigen oder zu verkleinern. Besonders übten die englischen Befehlshaber die liebenswürdige Praktik, die Hessen zu keiner selbständigen Aktion mehr kommen zu lassen, sie verteilten sie weit und breit, ließen sie stets mit Engländern zusammen fechten, und der Kriegsbericht sprach dann nur von Seiner Majestät Truppen und deren ruhmvollen Taten.

Ewald, der sich mit seinen Jägern überall hervorragend ausgezeichnet, den selbst die Feinde ehrten und seiner ritterlichen Kriegführung wegen hochschätzten, hatte wiederholt sehr energisch darauf dringen müssen, daß der englische Schlachtbericht wesentlich korrigiert wurde, um den Ruhm seiner Krieger zu wahren.

Dabei rettete hessisches Kriegsgeschick und hessische Tapferkeit die schlechtgeführten Engländer wiederholt vor Vernichtung, so bei Germantown, wo nur das Eingreifen der Hessen unter Knyphausens und Schmidts Führung Sir William Howe vor schimpflicher Niederlage und Gefangenschaft bewahrte.

Franzosen und Spanier hatten sich zu Gunsten der Kolonien in den Kampf gemischt, und französische Truppen fochten die Schlachten der Amerikaner mit wie die Hessen und Braunschweiger die der Engländer.

Auf und ab wogte der Kampf, wechselnd zwischen Sieg und Niederlage.

Aber nach jeder verlorenen Schlacht traten die Amerikaner stärker auf, mit einer durch nichts zu erschütternden Zähigkeit für ihre Freiheiten kämpfend.

Matter und matter wurden die Anstrengungen Englands, und dies um so mehr, als gewaltige Stimmen sich im Parlamente für den Frieden erhoben.

Dann kam auch, als würdiges Seitenstück zu der Gefangennahme der Armee Bourgoynes bei Saratoga, die Katastrophe von Yorktown, wo, freilich erst nach heldenmütiger Verteidigung, sich achttausend Engländer und Hessen, unter diesen Ewald mit seinen Jägern, der großen Uebermacht der Amerikaner und Franzosen ergeben mußten.

Nach dieser Niederlage war der Krieg nicht mehr fortzusetzen, und England mußte Frieden schließen.

Hessens Regimenter schickten sich zur Heimkehr an.

Sieben Jahre hatten sie sich so heldenhaft geschlagen, daß der Dichter ein Lied von ihren Taten singen könnte gleich der unsterblichen Ilias.

Und doch, wer nennt alle die Namen der Tapferen, die in jenen fernen Himmelsstrichen ruhmvoll kämpften und ruhmvoll starben? –

Es war ein sonniger Oktobertag des Jahres 1782 der die Bewohner Kassels und seiner näheren Umgebung in fieberhafter Aufregung erblickte.

Aus allen Teilen der Stadt strömten Alt und Jung schon mit Tagesanbruch zum Müllertor hinaus, aus allen Dörfern der Umgegend und von weiter her eilten Scharen von Landleuten herbei und vermehrten die dichtgedrängten, erwartungsvollen Massen, welche sich vor der Stadt sammelten.

Die Regimenter sollten endlich – endlich – aus Amerika zurückkehren. Eng geschart lagerten die Harrenden auf beiden Seiten der Straße.

Jeder Stand, jedes Alter waren hier vertreten. Der Edelmann mit seiner Equipage, daneben der Bauer, der behäbige Bürger, der Invalide, vornehme Damen, Dienstmädchen, der schneehaarige Greis, den die müden Füße kaum noch tragen wollten, der Säugling an der Mutter Brust, in buntem Durcheinander, erwarteten die tapferen Männer, welche nach so langer Kriegsfahrt wiederkehrten.

Hier lagerte am Rain ein wackerer Handwerksmeister mit seiner Familie, Frau und Kindern, und sie verkürzten sich das lange Warten, indem sie fleißig den sorgsam mitgeführten Speisevorräten zusprachen.

»Es dauert aber lange,« sagte die Frau.

»Nur Geduld, nur Geduld,« entgegnete ihr der Mann, »haben wir sieben Jahre auf diesen Tag gewartet, werden wir die paar Stunden auch noch aushalten.«

»Kommen denn die Jäger auch mit, Vater?« fragte der zehnjährige Knabe.

»Natürlich, Junge.«

»Ich werde auch Jäger.«

»Aha, der Ruhm Ewalds und seiner Grünröcke läßt dich nicht schlafen, Heinrich. Ja, die haben sich was Ehrliches drüben herumgeschossen.«

»Wer ist das, Heinrich?« fragte seine Gattin leise, als zwei einfach gekleidete Frauen sich bei ihnen vorüberdrängten.

Ebenso leise entgegnete der Mann: »Das ist die Witwe Rübenkönig vom Ahnabergertor, deren Sohn Hans – du weißt dich doch des hübschen Wildfangs noch zu entsinnen – so ruhmvoll drüben gefallen ist, indem er mit seinem Leben das seiner Kameraden rettete.«

In der Tat war es Hans' Mutter, welche am Arm eines älteren Mädchens matt vorüberschritt.

Sie war gealtert, und schneeweißes Haar umrahmte das blasse, kranke Antlitz.

Eine langsam einherfahrende elegante Equipage, deren aristokratisch aussehende Insassen die Neugierde herausforderten, verdrängte für einen Augenblick jedes andere Interesse.

Zwei anmutige jugendliche Frauengestalten saßen im Fond des Wagens, während ein älterer und ein jüngerer Herr die Rücksitze einnahmen.

Ein augenscheinlich zur Gesellschaft gehörender, frisch aussehender junger Mann saß auf dem Bocke und blickte fröhlich ins Gedränge hinab.

»Das ist ja –,« sagte unser Bürger, welcher aufmerksam die Insassen des Wagens musterte, »hol' mich dieser und jener, das ist ja der junge Leutnant von Reizenstein von den Jägern, der allgemein totgesagt wurde.«

»Ja, wahrhaftig,« sagte die Frau, »das ist er.«

»Nun, das ist wunderbar genug, und wie männlich er aussieht.«

»Als blutjunger Leutnant hatte er ein rechtes Mädchengesicht.«

»Und da hat er gewiß seine Braut oder Frau und seinen Schwiegervater mit.«

»Ja, das sind Fremde, man sieht's ihnen gleich an, Engländer oder Amerikaner, der Leutnant wird sich drüben eine reiche Frau genommen haben. Nun sieh mal. Ei, das freut mich doch recht sehr.«

Der Bürger hatte recht, es waren unsere Freunde vom Delaware, welche hier einherfuhren.

Bald nach geschlossenem Frieden hatte Reizenstein, von der Sehnsucht überwältigt, die Heimat noch einmal wiederzusehen, mit seinen Kindern, John und Hetty, Hugo und Mary waren längst verheiratet, die Reise über den Ozean angetreten und war lange vor den Truppen in Deutschland eingetroffen.

Auch sie waren den Truppen entgegengefahren.

Hugo, der seinen Abschied aus der Armee genommen hatte und gleich seinem Oheim Amerikaner geworden war, hatte seine volle Gesundheit wieder erlangt und sah kräftig und männlich aus.

An der Seite seiner Gattin, in der Liebe seines Oheims, seines Vetters hatte er eine Heimat gefunden, welche er nimmermehr zu verlassen gedachte.

John saß in bester Laune auf dem Bock.

Unter heiteren Gesprächen fuhren sie langsam durch das immer dichter werdende Gedränge, welches in lebhafter Bewegung hin und her wogte.

Ueberall erwartungsvolle Gruppen von Bürgern und Landleuten.

Da tönte von fernher Jubelruf, und: »Sie kommen, sie kommen!« rief alles und erstieg die Raine zu beiden Seiten der Straße, Knaben erkletterten die Bäume, und aller Augen richteten sich nach der Seite, von der die Truppen kamen.

Auch die Reizensteins erhoben sich im Wagen.

Flinken Schrittes kamen die Truppen, die heute nur einen kurzen Marsch zurückgelegt hatten, heran, wettergebräunt und martialisch sahen sie aus.

Unaufhörlich tönte es »Vivat!« und »Schurri!« zu beiden Seiten des Weges.

Mühsam nur war die Ordnung des Zuges von den nachsichtigen Offizieren erhalten worden.

Als aber das erste Bataillon in die dichter gedrängten Scharen kam, da hörte jede Ordnung auf.

Männer, Frauen, Kinder stürzten in die Reihen, – Vater, Mutter und Sohn umarmten sich, – das Kind, welches in sieben Jahren dem Vater fremd geworden war, suchte ihn in den Reihen, – das Mädchen seinen Schatz, – es war kein Halten mehr, die Bataillone bildeten mit der Bevölkerung nur einen wirren Knäuel, in welchem Jubelrufe ertönten und Freudentränen flossen. Die Offiziere ließen die Sturmflut ruhig hereinbrechen, und die meisten von ihnen benutzten auch die Gelegenheit, ihre Angehörigen zu begrüßen und zu umarmen.

Loßberg, der Höchstkommandierende seit Jahresfrist, hielt freudig überrascht neben den Reizensteins.

»Friedrich – du hier? Mein alter, lieber Freund! Das war die gescheiteste Idee, die du je gehabt hast, herüber zu kommen.«

Herzlich begrüßte er sie alle.

»Sie sehen gut aus, Hugo, ich freue mich, Sie so männlich und kräftig wiederzufinden. Und Sie sind ganz Amerikaner geworden?«

»Ja, Exzellenz, ich habe dort im Kreise meiner Lieben die Heimat gefunden.«

»Und da ich den Magnet, der Sie drüben hält, vor mir sehe,« sagte der General mit verbindlicher Neigung gegen Mary, »so finde ich es ganz begreiflich, daß nichts Sie von drüben wegzuziehen vermag.«

»Hugo! Hugo!« tönte eine kräftige Stimme, und Schallern sprang auf den Wagentritt und schloß den Freund feuchten Auges in seine Arme. »Alles hätte ich erwartet, nur nicht dich hier zu finden. Das ist herrlich, herrlich. Junge.«

Hugo, nicht minder von dem Wiedersehen ergriffen, stellte ihn seiner Frau vor: »Das beste, edelste Herz, der tapferste Mann im Heere, mein Schallern.«

Ueberall, überall ein freudiges Wiedersehen, – dazwischen aber suchte mancher vergeblich in Reihen nach dem Sohne, dem Vater, ein bitterer Tropfen mischte sich auch hier in einen überschäumenden Freudenbecher.

Aus einem Gliede der Grenadiere eilte ein reckenhafter Sergeant auf zwei Frauen zu, die dort am Wege standen.

Sanft nahm der starke Mann die alte Frau in seine Arme und küßte sie zärtlich, tief bewegt von dem Wiedersehen. Das bleiche Aussehen der Mutter, die sehr gealtert war, erschreckte ihn.

»Mutter! Mutter! Herzensmutter!«

Die alte Frau barg ihr Gesicht an der Brust des Sohnes, und langsam rollten große Tropfen über die abgezehrten Wangen.

»Mein Hans! Mein Hans!« flüsterte sie leise.

Worte, diesen Schmerz zu lindern, der die Jahre über kaum milder geworden war, jetzt aber beim Einzug der Truppen und dem freudigen Wiedersehen überall in alter Stärke hervorbrach, hatte Heinrich Rübenkönig nicht.

Loßberg verabschiedete sich von Reizenstein und sagte lachend zu seinem Adjutanten: »Ordnung kriegen wir in die Kerls vor der Stadt doch nicht mehr, lassen sie die Tambours einen Marsch schlagen und vorwärts gehen, dann werden sie ja wohl nachkommen,« und er ritt nach dem Tore zu.

Die Tambours schlugen an, und die ganze Masse setzte sich in Bewegung, lachend, jubelnd, schwatzend.

Bei Reizensteins Wagen kamen jetzt die Jäger mit Ewald vorbei.

Hugo grüßte.

»Beim Himmel, das ist ja Reizenstein,« rief Ewald und reichte ihm die Hand. »Das freut mich ja unendlich, meinen alten Kriegsgefährten zu sehen. Auf fröhlich Wiedersehen in Kassel, aber ich muß weiter.«

Jetzt erkannten auch die Jäger ihren ehemaligen Leutnant, und ein donnerndes »Vivat unser Leutnant!« sagte ihm, daß er von den tapferen Kameraden noch nicht vergessen war.

Dann eilte alles weiter.

Ehren- und Triumphpforten, geschmückte Häuser und Fenster, Begrüßungsinschriften und dazu betäubender Jubel empfingen die, welche nach langjährigem Kampfe auf fremder Erde endlich in die Heimat zurückkehrten.

Die ganze Liebe und Anhänglichkeit der Bevölkerung gab sich bei dieser Gelegenheit kund.

Am Abend strahlte die Stadt in einem Lichtmeer zu Ehren der glorreichen Kämpfer.

Ueberall klang Musik, tönte fröhlicher Lärm, herrschte herzinnige Freude.

Nur in dem kleinen Stübchen vor dem Ahnaberger Tore saßen beim trüben Hangelichte zwei Frauen, eine Greisin im Silberhaar und eine stattliche wettergebräunte Frau in mittleren Jahren, die mit den Truppen aus Amerika gekommen war, und weinten leise miteinander, die eine um ihren jugendlichen Liebling, der vor Trenton ein ewig ruhmvolles Ende fand, die andere um den schönsten und tapfersten Sergeanten im hochlöblichen Grenadierregiment Rall – sie weinten – um heute längst vergessene Helden.

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