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Elftes Kapitel.

Wenige Tage später fand bei dem Oberbefehlshaber der vereinigten Armeen, Sir William Howe, ein großes Ballfest statt, zu dem auch Hugo von Reizenstein und Schallern Einladungen erhalten hatten.

Da Schallern wußte, wie wenig Freude sein Freund an solchen Festlichkeiten fand und befürchtete, er möchte den Dienst vorschützen, um zurückbleiben zu können, er aber wünschte, daß Hugo dort in größerem Kreise die Anerkennung zuteil werde, die sein kühner Zug in Feindesland verdiente, begab er sich zu ihm.

»Du wirst doch beim Oberkommandierenden nicht fehlen, Hugo?«

»Nein, ich werde dort sein.«

»Brav. Du wirst alle Freunde dort treffen und auch eine alte Freundin?«

»Die wäre?«

»Madame d'Arville.«

»Ah! Das ist überraschend.«

»Sie ist mit Kriegsrat Dallner und ihrer Tochter eingetroffen.«

»Hoffentlich hat Madame Monsieur d'Arville zu Hause gelassen. – Was führt diese Frau nach Amerika?«

»Mütterliche Zärtlichkeit.«

»Ah, bah.«

Die beiden jungen Leute betraten am Tage des Festes zu passender Zeit den großen Saal des Palastes, in welchem der General empfing, und begrüßten ihn ehrerbietig.

Heiter reichte Sir William Hugo die Hand: »Ah, sieh da, mein junger Feuerfresser vom Hudson. Willkommen, Herr von Reizenstein. Heute wollen wir erproben, ob Ihnen auf dem Parkettboden auch Lorbeeren erwachsen. Halten Sie sich eben so tapfer in dem Kreuzfeuer schöner Augen als in dem Kugelregen der Yankees.«

Hugo dankte dem so liebenswürdigen Empfang und trat mit Schallern zwischen die Gruppen der zahlreichen Gäste, welche sich noch stets vermehrten.

Unweit standen die Generale Heister und Knyphausen, und die beiden Freunde beeilten sich, ihren obersten Chefs Ehrerbietung zu bezeigen.

Hugo, dessen Haupt junger Ruhm umstrahlte, wurde besonders freundlich empfangen.

»Nach allem, was ich vernehme, müssen Sie ja den Herren Yankees einen panischen Schrecken eingeflößt haben, Reizenstein,« sagte der kleine magere Knyphausen, der nur aus Sehnen und Knochen zu bestehen schien, »Ihr toller Ritt wird viel besprochen.«

»Jedenfalls,« sagte Hugo, »haben wir die Herren sehr überrascht, Herr General.«

»Das glaube ich. Alle Wetter, zu Pferde, zu Fuß, zu Schiff gefochten, das soll euch einer nachmachen, Kinder. Nehmen Sie sich ein Beispiel an ihm. Schallern, wenn Sie an den Feind kommen.«

»Unser General,« sagte dieser, »ist uns leuchtendes Beispiel genug.«

»Sieh, – schmeicheln kann er auch,« entgegnete gutgelaunt Knyphausen. »Nun genießt die Stunden, ihr jungen Herren. Sir William versteht, Feste zu geben, und soweit mein geringes Verständnis reicht, ist eine Summe weiblicher Schönheit hier vereinigt.«

Hugo und Schallern traten zurück und zwischen die Gruppen hessischer Offiziere.

Das war ein herzliches Begrüßen der Kameraden, welche mit der zweiten Division eingetroffen waren.

Natürlich war es, daß Hugo vor allem seinen väterlichen Freund Loßberg aufsuchte, der ebenfalls erst mit Knyphausen gekommen war, und Hugo mit warmer Herzlichkeit empfing.

»Mit Freuden habe ich vernommen, Reizenstein, daß Sie sich bereits vor dem Feind ausgezeichnet haben, man ist ja Ihres Lobes voll.«

»Ich tat meine Pflicht, Herr Oberst.«

»Freut mich, freut mich herzlich. Wie ich Sie so vor mir sehe, das Abbild Ihres Vaters, hier auf amerikanischem Boden, wacht die Erinnerung an die Zeit, die ich vor mehr als zwanzig Jahren in diesem Lande mit meinen Jugendfreunden verlebt habe, mit aller Stärke wieder auf. Sie haben wohl noch nicht Gelegenheit gefunden, dem Schicksal Ihres Onkels nachzuforschen?«

»Nur in geringem Maß, Herr Oberst,« und Hugo erzählte, was er bereits Schallern mitgeteilt hatte.

»Es ist doch ganz merkwürdig. Ihr Onkel wohnte damals auf einem Erbgut seiner Frau am Hudson, doch hatten die reichen Melvilles noch weitere Besitzungen in verschiedenen Staaten. Welch' schöne Tage haben wir damals, Ihr Vater, Ihr Onkel und ich, in jenen Wäldern zugebracht.«

Gleich einem erhellenden Blitze stieg plötzlich die Erinnerung an sein Zusammentreffen mit dem Wagen und seinen Insassen auf der Straße von Albany in Hugos Seele auf. Deutlich stand vor seinem Geistesauge der alte, durch den Schuß betäubte Herr, der ihn in so seltsamer Weise anredete. Die seinem abenteuerlichen Rekognoszierungsritt folgenden Ereignisse, die tiefe Erschöpfung infolge der übermäßigen Anstrengung, die Anforderungen des Dienstes hatten ihn bis jetzt kaum an jene Begegnung denken lassen, nun aber wurde die Erinnerung daran lebendig, und er teilte dem Oberst jenes Erlebnis mit.

»Das ist wohl seltsam,« sagte dieser verwundert. »Der alte Mann redete Sie in seiner Betäubung deutsch und als Bruder an?«

»Im Augenblicke, wo Sie von Vater und Oheim redeten, entstand die Erinnerung in mir und verknüpfte sich mit dem Bilde meines Oheims.«

»Lassen Sie uns nur erst tiefer im Lande sein, da wollen wir das Schicksal Ihres Onkels schon aufklären. Denn wenn er wirklich tot wäre, was ja wohl das Wahrscheinlichste ist, so müssen doch noch Melvilles seiner nächsten Verwandtschaft leben, welche Auskunft geben können.«

»In der Aufregung jener so rasch vorübergehenden blutigen Szene und den folgenden Ereignissen habe ich den Worten gar keine Bedeutung beigelegt, erst im Augenblick fällt mir auf, daß er mich deutsch und in so merkwürdiger Weise anredete, mit einem Blick, als ob ich eine Erscheinung aus einer andern Welt sei.«

»Es wäre töricht, Hugo, hieran irgend welche Hoffnungen zu knüpfen, es leben viele Deutsche und Holländer in jener Gegend. War das Friedrich Reizenstein, dem in Ihren Zügen das Bild des Bruders erstand, so läge hier eine so seltene Schicksalsfügung vor, daß sie einem Wunder gliche. Wunder aber, lieber Hugo, geschehen heutzutage nicht mehr. Gewißheit indessen über Ihres Oheims Leben oder Sterben werden wir uns verschaffen, lassen Sie uns nur erst drüben sein.«

Die Erinnerung an Schlieffens Bemerkung über unterschlagene Briefe fuhr ihm durch den Sinn, und er murmelte leise vor sich hin: »Sollte der schlaue Schlieffen Recht haben und nicht alles ehrlich zugegangen sein? Und Frau d'Arville, die alte Kokette, ist hier! Was will sie eigentlich hier drüben?«

»Hören Sie, Hugo,« sagte er dann laut, »wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so behalten Sie die etwas phantastische Vermutung, in so seltsamer Weise Ihrem Oheim begegnet zu sein, für sich, ich habe Gründe, Ihnen diesen Rat zu erteilen.«

»Ich werde ihn befolgen, Herr Oberst, und um so mehr, als ich fühle, wie wenig Wahrscheinlichkeit sie für sich hat. Ich verweise sie in das Gebiet der Ahnungen und Träume.«

Hugo hatte sich kaum von dem vielumworbenen General getrennt, als er Frau d'Arville vor sich sah, die ihm lächelnd zunickte.

Er verbeugte sich höflich.

»Ah, mein lieber Reizenstein, ich freue mich, Sie so bald nach meiner Ankunft schon zu sehen,« sagte sie, ihm die Hand reichend. Da sein Gesicht ruhigen Ernst bewahrte, setzte sie hinzu: »Sie scheinen durchaus nicht erstaunt zu sein mich hier zu finden.«

»Schallern hatte mir bereits mitgeteilt, daß ich die Ehre haben werde Sie hier begrüßen zu können, gnädige Frau.«

»Ich gab den Bitten meiner Tochter nach und begleitete sie über das weite Meer, als ihr Mann hierherkommandiert wurde, um Ordnung in das Proviantwesen zu bringen. Was tut man nicht alles aus Liebe zu seinen Kindern.«

Sie nahm seinen Arm und schritt mit ihm durch den Saal.

»Ich bringe viel Grüße für Sie aus Kassel mit, aber – vor allem meine besten Glückwünsche, ich höre ja vor allem, wie sehr Sie sich bereits ausgezeichnet haben. Sie sind ja ein zweiter Bayard, lieber Reizenstein.«

Er nahm die Komplimente der plaudernden Dame, die sich möglichst jugendlich gekleidet hatte, gelassen hin, ohne etwas zu erwidern.

»Wie leben Sie denn nun in diesem so wilden Lande, lieber Reizenstein? Nach allem, was ich höre, sollen ja den Truppen ganz unerhörte Anstrengungen zugemutet werden. A propos, ist es Ihnen denn gelungen eine Spur von Ihren Verwandten zu entdecken?«

Diese ganz harmlos klingende Frage begleitete ein Blick, der Hugo stutzen machte und ihm unwillkürlich die Warnung Loßbergs in das Gedächtnis rief.

»Wir haben bis vor kurzem auf den Inseln kampiert, gnädige Frau,« entgegnete er, »wo sich keine Gelegenheit bot, Nachforschungen anzustellen.«

Was bedeutete der eigentümlich lauernde Blick der Frau, die ihm, obgleich sie ihm einiges Wohlwollen betätigt und einst seiner Mutter Freundschaft erwiesen hatte, doch im Grunde des Herzens unsympathisch war?

Hugo glaubte zu bemerken, daß sich bei seiner Antwort der Brust der Frau ein erleichternder Seufzer entrang, mit viel Herzlichkeit aber sagte sie: »Ich will wünschen, daß Ihre Nachforschungen von Erfolg gekrönt werden, lieber Reizenstein, und wo wir helfen können, stehen wir natürlich zu Gebote.«

Hugo dankte.

»Ich, deren teuerste Freundin Ihre selige Mutter war, habe ja ein so naheliegendes Interesse daran, das Dunkel, welches hier herrscht, aufklären zu helfen. Sie verpflichten mich deshalb unendlich, wenn Sie mir alles, was Sie erfahren, sofort mitteilen wollen.«

»Es soll gern geschehen, gnädige Frau.«

Der Schwiegersohn Frau d'Arvilles, Kriegsrat Dallner, trat mit seiner Frau hinzu und Hugo begrüßte beide artig, um sich nach kurzer Unterhaltung von ihnen zu trennen und mit Schallern die neu herübergekommenen Kameraden aufzusuchen.

Das Fest, das glänzendste das New-York je gesehen hatte, nahm seinen Fortgang.

Überall herrschte Fröhlichkeit. Im großen Saale tanzten die jungen Leute, im Nebenzimmer saßen die älteren Offiziere bei der Flasche, andere plauderten und promenierten in den ausgedehnten Räumen. Und draußen lauerte des Krieges »schlangenhaariges Scheusal«. Siegeszuversicht herrschte bei den Engländern, Siegeszuversicht bekundete der eben so tapfere als prahlerische Rall und bald hoffte man die Rebellen vernichtet zu haben.

Da Hugo Schallern eifrig beim Tanze wie im Kreise zechender Kameraden sah und er sich für das frohe Treiben nicht gestimmt fühlte, empfahl er sich und trat allein den Heimweg an.

Seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Vorgang auf der Landstraße – deutlich sah er den alten Herrn vor sich, sah neben ihm die junge Dame stehen, nach dem schönen Gesicht und den angstvollen Augen, hörte, wie seltsam ihn der aus Bewußtlosigkeit Zurückkehrende begrüßte.

Dann dachte er Loßbergs und seiner Warnung, der Frau d'Arville und des Blickes mit dem sie die Frage nach seinen Angehörigen hier im Lande begleitet.

»Seltsam. Seltsam.«


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