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Fünfzehntes Kapitel.

Noch am selben Abend teilte Hugo tief bewegt von den für sein Leben so schwer wiegenden Ereignissen des Tages seinem Freunde Schallern alles mit, was ihm widerfahren war.

Mit inniger Teilnahme vernahm dieser die halb wehmütig, halb freudig klingende Kunde.

»Nun, Hugo, wird sich auch bald erweisen, welche Ursachen dich deinem Oheim entfremdet haben. Du glücklicher Mensch, dem plötzlich Onkel, Vetter und wahrscheinlich auch ein paar anmutige Cousinen aus dem Boden wachsen.«

»Geschehen noch Wunder auf Erden, Albrecht? Ich glaube, ja.«

Bis spät in die Nacht saßen die Freunde, Erinnerungen, Pläne und Hoffnungen austauschend, bis endlich Hugo das Lager zu unruhigem Schlummer aufsuchte.

Kaum war der Tag angebrochen, als Bill raschen Schrittes die Penningtoner Straße herabkam und Trenton zueilte.

Er trug heute sein ledernes Jagdhemd und war mit Büchse und Streitaxt bewaffnet, seine Mütze zierte eine Adlerfeder.

Am Eingang des Städtchens traf er eine Wache, welche ein Offizier befehligte. Wohl bekannt mit der Art der weißen Krieger, meldete er sich bei diesem und fragte nach dem Mohawk Hotspur, der bei den Jägern weile. Der Offizier sprach genügend englisch, um den Indianer zu verstehen, und befahl einem Soldaten, Bill zu den Quartieren der Jäger zu führen, wo der Gesuchte bald gefunden ward.

»Was führt meinen Vater zu Hotspur?«

Bill löste schweigend seinen Tomahawk vom Gürtel und deutete auf einige darin eingeschnittene Kerben. »Mahanatha sucht eines Wolfes Spur seit vielen Jahren. Er sah sie abgedrückt im Schnee zu Redwood. Der Wolf ist unter den Grünröcken, kann der Mohawkhäuptling mir helfen, ihn zu finden?«

Hotspur betrachtete aufmerksam die Kerben und maß deren Entfernung mit den Fingern.

Ein leiser Ausruf des Erstaunens entfuhr ihm, er riß die kleine Streitaxt auch von seinem Gürtel und zeigte dem Alten dieselben Maße, welche auch er von einer Spur auf deren Stiel durch Einschnitte übertragen hatte.

»Ist das stechende Auge hier?« fragte der Delaware mit Unheil kündendem Blick.

»Ja, mein Vater!«

»Du wirst ihn mir zeigen.«

»Ja, mein Vater, komm'.«

Die beiden Indianer schritten die Straße entlang, und Bill erklärte kurz dem aufhorchenden Mohawk, welche Ursache ihn antrieb, den zu verfolgen, dessen Fußmaß beide abgenommen hatten.

Vor den Häusern, in welchen die Jäger einquartiert lagen, herrschte einige Aufregung.

Ewald stand dort, von mehreren seiner Leute umgeben und rasche Fragen an diese richtend.

»Hotspur,« rief er diesem entgegen, »du kommst zur rechten Zeit, Konski ist über Nacht desertiert, du mußt dich auf die Suche machen.«

Die Indianer wechselten einen raschen Blick.

»Suchen ihm!« sagte Bill.

Hotspur erklärte seine Bereitwilligkeit, dem Entflohenen nachzuspüren.

»Sollen dich einige Jäger begleiten?«

»Hotspur geht allein mit Mahanatha – großer Delawarenkrieger, ihm Spur besser finden – Jäger kommen hinterdrein.«

»Wer ist der Alte?«

»Er Freund von Leutnant, – auf Redwood wohnen.«

»Ah so,« sagte Ewald, Bill mit Interesse betrachtend, »er ist es, der Reizenstein an der Ähnlichkeit mit seinem Vater erkannt hat?« Hugo hatte dem teilnehmenden Mann vor kurzem Mitteilung von den Ereignissen des gestrigen Tages gemacht. »Wenn er sich dir anschließen will, desto besser. Vorwärts Leute, jagt den Schurken, über den Delaware kann er nicht entwischen, das Eis ist zu schwach.«

Die Indianer wechselten einige Worte in ihrer Sprache und schritten dann, gefolgt von einem Pikett Jäger, rasch zur Stadt hinaus.

Einige hundert Schritte legten sie auf der Landstraße zurück, dann machten sie den Jägern deutlich, sie sollten dort warten, trennten sich, und jeder begann durch den frischen, unberührten Schnee einen Halbkreis in entgegengesetzter Richtung um die Stadt zu beschreiben, der sie am andern Ende wieder zusammenführen mußte.

Rasch verfolgten die beiden roten Krieger ihren Weg, mit scharfem Auge nach den im Schnee leicht erkennbaren Spuren ausschauend.

Ein gellender Ruf Hotspurs rief den Delawaren bald zu ihm zurück; er zeigte ihm die Spur, welche von den die Stadt umgebenden Gärten herführte. Bill betrachtete sie aufmerksam und nickte dann.

Hotspur winkte den Jägern, diese kamen rasch heran und folgten den Indianern, welche zur Seite der weithin erkennbaren Spuren weiterschritten.

Der Entflohene hatte, selbst als er die viel begangene Landstraße kreuzte, gar keinen Versuch gemacht, seine Fußtritte zu verbergen, sie führten direkt über die Straße hinüber in den Wald, durch diesen an das Ufer des Stromes und von da auf das Eis hinab.

Sein Leben hatte der Verfolgte auf das Spiel gesetzt, um über den Fluß zu entkommen, denn das junge Eis war kaum stark genug, einen Mann zu tragen, war auch unter dem Fuße des Flüchtlings, wie man wahrnehmen konnte, wiederholt eingebrochen. Dennoch hatte er das jenseitige Ufer glücklich erreicht, die scharfen Augen der Indianer vermochten der Spur über den breiten Strom zu folgen und erkannten sie noch am jenseitigen Ufer.

Konski war entkommen.

Bill zeigte auf die Spur, welche den ganzen Weg her lange hastige Schritte aufwies und sagte zu dem jüngeren Indianer: »Sieh, – er ist in Todesfurcht entflohen, er hat mich in Redwood gesehen – und fürchtet Mahanathas Streitaxt. Was denkt Hotspur zu tun?«

»Das stechende Auge ist zu den Staatenmännern gegangen, dort drüben ist der Feind.«

»Ich weiß es. Sobald es dunkel ist, wird Mahanatha über den Fluß gehen.«

»Wird mein Vater sich dem schwachen Eise anvertrauen?«

»Er wird in einem Schlittenboot hinüberfahren, er weiß, wo es versteckt ist.«

»Hotspur wird an seiner Seite sein.«

»Gut.«

Da der Deserteur wunderbarer Weise über das Eis entkommen war, und eine Verfolgung am hellen Tage um so untunlicher erschien, als der Feind, wie nicht zu zweifeln, am jenseitigen Ufer seine Wachen ausgestellt hatte, so kehrten die Verfolger zurück, um dem Hauptmann von ihrem Mißerfolge Kunde zu geben.

»Daß der Schuft durchbrennen würde, sobald er nur konnte, wußte ich ja,« sagte Ewald nach erhaltener Mitteilung, »daß er aber den Weg über das unsichere Eis zu nehmen wagte, muß eine besondere Ursache haben, das wagt nur ein von Todesangst Gehetzter. Wird er erwischt, ist ihm die Kugel gewiß.«

Die Indianer suchten dann Reizenstein auf, der Bill freundlich empfing.

»Was führt dich zu mir, Alter?«

»Ihm sagen, der Panther war in der Nähe des Hirsches.«

»Was meinst du mit diesem Bilde?«

»Bill sah den Sohn der ›offenen Hand‹, und sein Herz und sein Auge füllten Freude, er übersah die Spur des ›stechenden Auges‹.«

»Was? Was sagst du?« fragte Hugo unruhig, da er die bilderreiche Redeweise des Indianers nicht verstand.

»Bill kennt die Spur des Mörders seit zwanzig Sommern –, er erblickte sie gestern wieder.«

»Wie, die Spur des Mörders meines Vaters?«

»Bill täuscht sich nie, er war unter den Kriegern, die dich begleiteten.«

»Wer? Wer?«

»Konski!« sagte Hotspur.

Hugo sprang vom Stuhle empor: »Konski?!«

Der Alte erzählte, wie er die Spur am verflossenen Abend zufällig entdeckt, und daß sie durch ihre eigenartige Form unverkennbar sei.

»Daher mein tiefer Widerwille gegen diesen unheimlichen Menschen! Daher seine geheime Scheu vor mir, dem Sohne seines Opfers! Daher auch sein sonderbares Benehmen gestern auf Redwood! Bill, Bill, bist du deiner Sache gewiß?«

»Er ihm ganz gewiß, er erkennen des Mörders Spur in hundert Sommern.«

Er schilderte dann die Persönlichkeit des »stechenden Auges«, seiner Überzeugung nach des Mörders Kurts von Reizenstein, wie sie seit zwanzig Jahren in seinem Gedächtnis lebte: das dunkle Haar, die bleichgelbe Gesichtsfarbe, das unheimliche schwarze Auge, welches den Namen veranlaßt hatte, die Narbe an der rechten Hand.

»Er, Konski!« sagte Hotspur nachdrücklich.

»Ja, es ist Konski. Darum ist er auch entflohen, er fühlte, daß Rachegeister die Stätte umschweben, wo ein teures Leben von Mörderhand genommen worden ist. Welch' ein Zusammentreffen! Die Gerechtigkeit über den Sternen führt den Mörder zurück zum Grabe seines Opfers, damit die Schuld gesühnt werde.«

Bill teilte ihm die vergebliche Verfolgung des Entflohenen mit, und daß er mit tödlicher Gefahr den Strom überschritten habe.

»Die Furien jagen ihn. Seid geduldig, Freunde, – er entgeht der Strafe nicht.«

Der Delaware gab dann seine Absicht kund, dem Flüchtling in der Nacht nachzusetzen.

»Es wird vergeblich sein,« sagte der Leutnant, »er sucht Schutz bei den amerikanischen Truppen, welche jeden Überläufer, besonders von den Hessen, willkommen heißen. Du setzest dich als Delaware der Gefahr aus, gefangen, vielleicht als Spion erschossen zu werden.«

»Der Jägerhäuptling ist weise, – gut. Mahanatha hat zwanzig Sommer auf den Mörder gewartet, – er kann noch länger warten bis er seinen Skalp nimmt.«

Die Indianer verließen den durch die Entdeckung des Mörders seines Vaters in der Person Konskis von neuem tief erregten Leutnant.

»Konski,« murmelte er, »›das stechende Auge‹, ja wahrlich, der Kerl hat ein unheimliches Auge –. In der Person des Begleiters meines Vaters irrt sich der Alte nicht, er beschreibt ihn nach langen Jahren zu genau. – Jetzt weiß ich auch, warum der Schurke auf dem Marsche nach Bremen desertierte, – er wollte nicht zurück nach Amerika. Und der Mörder so lange in meiner Nähe?«

Er suchte seinen Freund Albrecht auf, der nicht wenig über die so bestimmte Aussage der Indianer erstaunte. Auch Ewald teilte er mit, in welchem Verdacht der alte Indianer Konski hatte.

»Dann hat der Zeugfeldwebel doch Recht, daß der Kerl schon einmal in Kassel war,« sagte Ewald. »Ein Glück für Sie, Reizenstein, daß ich den Halunken nicht mit ins Gefecht genommen habe, seine Kugel hätte Ihnen, um einen Bluträcher aus der Welt zu schaffen, ein schnelles Ende bereiten können. Fällt er wieder in unsere Hände, soll er den nächsten Baumast zieren.«

Die beiden Indianer waren, trotz der Aussichtslosigkeit einer Verfolgung, in der Nacht in einem Schlittenboot, d. i. einem leichten Kanoe, welches auf Schlittenkufen befestigt war, über den Strom gesetzt, hatten Konskis Spur eine große Strecke verfolgt und festgestellt, daß er in einem mit amerikanischen Truppen besetzten Dorfe Zuflucht gesucht hatte. In welcher Stärke dort der Feind stand, hatten sie, obgleich sie bis ins Dorf selbst geschlichen waren, nicht zu ermitteln vermocht, nach Hotspurs Ansicht durften zwei bis drei Kompagnien dort liegen.

Für die hessischen Offiziere war es immerhin wertvoll, zu wissen, daß der Feind in solcher Nähe stand, obgleich der Zustand des breiten Flusses einen Übergang von einer nach der andern Seite wenigstens sehr schwierig machte.

Rall gab auf die von den Indianern gebrachte Nachricht gar nichts.

Nach wenigen Tagen machten sich den Hessen einzelne Streifscharen der Amerikaner bemerklich, welche, auf dem linken Ufer operierend, ohne einen offenen Angriff zu wagen, doch durch Hemmung des dienstlichen Verkehrs mit Burlington und Princetown, den nächstgelegenen Garnisonen, wie durch Belästigungen von Abteilungen, welche zum Fouragieren ausgesandt waren, sehr störend wirkten. Vom rechten Ufer, wo Washington stand, waren keine zuverlässigen Nachrichten zu erlangen, obgleich Hotspur wiederholt in der Nacht über den Strom gegangen war. Auffällig wurde in Trenton der Kundschafterdienst vernachlässigt, und es war Ewald, welcher den Indianer zu seinen nächtlichen Streifereien veranlaßt hatte. Dabei lag Trenton so hart am Ufer des Flusses, daß es von der andern Seite durch feindliche Kanonen leicht beschossen werden konnte.

Seitdem die Hessen in Trenton lagerten, war mit Oberst Rall, dem sonst so energischen Soldaten, eine Umwandlung vorgegangen, welche die älteren Offiziere mit Besorgnis zu erfüllen begann.

Man wußte sehr gut im Kreise der Stabsoffiziere, daß man es mit einem Feinde zu tun hatte, der, wenn er auch zunächst in offener Feldschlacht den wohlgeschulten Truppen der Engländer und Hessen nicht gewachsen war, sich sehr zu Ueberfällen eignete, da denn die Amerikaner vorzugsweise glücklich den Waldkrieg führten, wie es der Bodenbeschaffenheit auch angemessen war.

Der kleinen Truppenmacht der Hessen, welche wenig über fünfzehnhundert Mann betrug, war um so größere Vorsicht geboten, als man in Washington mit einem ebenso geschickten, als zähen und auch, wenn die Umstände es gestatteten, kühnen Gegner rechnen mußte, der über die Lage und die Vorgänge in Trenton wie in Burlington und Princetown unzweifelhaft gut unterrichtet war.

Auch hatten die Amerikaner, wenn sie in der ihnen zusagenden Weise fochten, schon oft eine verzweifelte Tapferkeit gezeigt.

Im Falle eines übermächtigen Angriffs, und wenn ein solcher erfolgte, wurde er selbstverständlich mit starker Macht ausgeführt, blieb den exponierten Hessen nichts übrig als sich auf Donop nach Burlington zurückzuziehen, da in einem solchen Falle Hilfe von dort oder Princetown nicht zu erwarten war.

Auch demonstrierten die wachsamen Amerikaner sowohl gegen Burlington wie Princetown, die gleichfalls der Gefahr eines Angriffs ausgesetzt waren, wenn auch nicht in dem Grade wie Trenton.

Dem am Delaware kommandierenden Offiziere war demnach höchste Vorsicht geboten.

Statt diese zu üben, vernachlässigte Rall auch die einfachsten Sicherheitsmaßregeln.

Es waren weder genügend Posten ausgestellt, noch wurden Patrouillen in hinreichender Zahl und oft genug ausgeschickt.

Der von seinen Siegen berauschte Oberst, der zum erstenmale ein ganz selbständiges Kommando führte, gab Diner auf Diner, ließ den Champagner in Strömen fließen, hielt unnütze Wachtparaden ab und inspizierte daneben kaum die Feldwachen.

Rall verachtete den Feind so vollständig, daß er jede Vorsichtsmaßregeln für überflüssig erklärte, die Geschütze hatte er als kriegerische Dekoration vor seinem Hause stehen.

Der Truppen bemächtigte sich infolge der mangelhaft gehandhabten Disziplin eine Lässigkeit, welche sie sich früher nie hatten zu Schulden kommen lassen.

Was noch bedrohlicher erschien, war, daß wiederholt amerikanische Truppen unterhalb Trenton den Delaware überschritten hatten, welche freilich, sobald sie sich gezeigt, bald wieder, ohne sich in ein Gefecht einzulassen, über den Fluß zurückgegangen waren.

Rall lebte, trotz solch bedenklicher Anzeichen, in wildem Brause fort. Von verschiedenen Seiten hatte man ihn ernstlich gewarnt, auf seiner Hut zu sein, da die Amerikaner augenscheinlich einen Angriff auf Trenton planten.

Lachend hatte er entgegnet: »Laßt sie doch nur kommen, weiter wünsche ich ja nichts, ich jage sie dann mit dem Bajonett in den Delaware.«

Die Besorgnisse der Offiziere stiegen immer höher, je mehr die Gefahr drohte, ob es gleich zweifelhaft sein konnte, wohin Washington den Stoß richten würde.

Der erfahrene und vorsichtige Major von Dechow, schlug dem Oberst vor, am Nordende der Stadt Schanzen zu errichten, um einem ersten Anprall widerstehen zu können. Rall entgegnete: »Schanzen? Unsinn. Das Bajonett, lieber Major,« und verweigerte die Errichtung von Verteidigungswerken.

Von Norden her vermutete Rall überhaupt keine Gefahr und wiegte sich in eine Sicherheit ein, die immer gefahrdrohender wurde.

»Dies Lumpengesindel jage ich mit einer Korporalschaft durch ganz Amerika,« setzte er hinzu.

Die übrigen Offiziere wiederholten ihre ernsten Vorstellungen, die aber um so weniger Wirkung machten, als Rall von der Bedeutung seiner Person und dem Schrecken, welche seine bisherigen, ja unvergleichlich tapferen Taten dem Feinde eingeflößt hatten, eine übertrieben gute Meinung hatte.

Dennoch erzwangen die Offiziere durch ihre energischen Vorstellungen eine starke Rekognoszierung nach Norden über die Penningtoner Höhe nach Barings Ferry hin, ohne übrigens etwas vom Feind zu gewahren, was Rall natürlich in seiner vorgefaßten Meinung nur bestärkte.

Ein tollkühner Krieger, wie er war, hielt er die Besorgnisse der Offiziere für übertrieben und ersehnte einen feindlichen Angriff mehr, als er ihn fürchtete, auch erwartete er einen solchen, wenn er überhaupt stattfinden sollte, nur von Süden her, und war so sehr davon überzeugt, daß er nur von dortaus unternommen werden könne, daß er das Wachtdetachement vom Nordende der Stadt nach deren südlichem Teil verlegte.

Ewald und Reizenstein teilten wie alle Offiziere die Sorge, unversehens mit Uebermacht angegriffen zu werden, und bemühten sich, so weit sie konnten, Wachsamkeit zu üben, wobei besonders Hotspur und Hans gute Dienste leisteten.

So war Weihnachten heran gekommen, und die Soldaten hatten das schönste der Feste nach der Weise der fernen Heimat am Ufer des Delaware gefeiert.

Der erste Weihnachtstag war trübe und unfreundlich, der Himmel dicht mit Wolken verhängt, und Schnee und Regen troffen gemischt hernieder; der Delaware hatte seine Eisdecke gebrochen, und dicht trieben die Schollen dem Meere zu.

Bei Rall fand am Abend ein großes Gastmahl statt, das Haus, welches er bewohnte, strahlte in Licht, und Wein und Champagner flossen reichlich an der gastfreien Tafel, Musik ertönte aus seinem Innern, von Zeit zu Zeit durch donnernde Vivats unterbrochen.

In dem kleinen Parterrestübchen eines Hauses, in welchem Jäger im Quartier lagen, saßen die beiden Rübenkönigs mit Bickel und noch einigen anderen Kameraden friedlich beisammen, um Weihnachten zu feiern, am heiligen Abend hatte sie der Dienst auf Vorposten gestellt, und sie holten heute nach, was gestern versäumt werden mußte.

Die Soldaten plauderten und rauchten, während Frau Heisterhagen beschäftigt war, eine junge Tanne zum Weihnachtsbaum zu schmücken.

Die Frau hatte, seitdem sie das Grab ihres Mannes verlassen, ruhig wie vorher gearbeitet, doch kam selten ein Wort über ihre Lippen, alle gutgemeinten Versuche, sie zu trösten, hatte sie mit den Worten abgewiesen: »Laßt's gut sein, ich tue, was meine Pflicht ist, wie er es getan hat, bis ich auch abmarschiere.«

So ließ man sie still durchs wilde Kriegsleben gehen.

Hans war ein tüchtiger und energischer Oberjäger geworden und hatte die Erwartungen seiner Vorgesetzten durchaus gerechtfertigt. Er war unermüdlich im Dienst und suchte sich stets die gefährlichsten Posten aus.

Nachdenklich sah er heute vor sich hin und sagte endlich: »Ob unsere alte Mutter wohl auch beim Christbaum sitzt, Heinrich?«

»Hoffentlich, wenn nicht daheim, doch bei Freunden.«

»Denken muß sie wohl jetzt hierher, in verflossener Nacht träumte ich von ihr und sah sie deutlich in ihrem Stübchen am Ofen sitzen, und sie sah so traurig aus, daß mir im Schlafe die Augen naß wurden.«

»An den Weihnachtstagen wird sie uns gewiß erst recht vermissen, Hans, und denken wird sie unserer wohl täglich.«

»Ja, sie wird unserer immer gedenken, so lange sie denken kann,« sagte Hans.

Dann fuhr er nach einer Weile fort: »Ob man in späteren Zeiten wohl auch noch an uns denken und von dem erzählen wird, was wir hier drüben tun?«

»Mein Junge, die Kriegsgeschichte erzählt von Generalen und Offizieren, allenfalls von Regimentern, aber nichts von Unteroffizieren und Gemeinen.«

»Ich möchte wohl, daß sie von mir, auch wenn ich schon lange tot bin, noch im Hessenlande sagten: Der Hans Rübenkönig war ein braver Kerl!«

»Ja, es ist etwas Schönes um den Nachruhm,« ließ sich Bickel vernehmen, »aber über uns, Hans, geht die Weltgeschichte weg, wir werden in ihren Blättern nicht verzeichnet. Wir tun unsere Pflicht als redliche Soldaten, und damit ist's zu Ende. Höchstens sagt man einmal später: Die Hessischen Jäger haben sich in Amerika gut geschlagen.«

»Am meisten,« sagte Hans, »hat mir in der Schule einmal gefallen, als uns der alte Kantor von einem Schweizer Arnold Winkelried erzählte, der sich in die Lanzen der Feinde stürzte, um seine Leute zu erretten. Das soll schon fünfhundert Jahre her sein, und man spricht noch immer davon, und er war doch auch nur ein einfacher Mann.«

»Ja,« erwiderte Bickel, »das war gewiß groß, ich kenne die Geschichte auch, aber Arnolds von Winkelrieds gibts nicht viele auf der Welt. Ihm haben die Schweizer den Nachruhm bewahrt, wenn unser einer dasselbe täte, man würde kaum davon reden.«

»Das ist eigentlich recht traurig,« meinte Hans, »tapfere Taten, auch des gemeinen Mannes, sollten auf die Nachwelt kommen.«

»Ja, sie sollten – aber – sie werden vergessen, höchstens erzählen sich die alten Soldaten noch eine Zeitlang an den Wachtfeuern davon, bis auch sie endlich davon schweigen.«

Frau Heisterhagen hatte still den Baum geputzt und die kleinen Lichtchen, welche von den Jägern selbst aus Wachs gefertigt waren, angezündet, der kleine Weihnachtsbaum strahlte hell in die Winternacht hinaus.

»Spricht man noch vom Sergeanten Heisterhagen im Grenadierregiment Rall?« fragte sie jetzt.

»Ja, Mutter,« erwiderte ihr Hans, »wir sprechen noch oft von ihm.«

»Er war der beste Sergeant und der tapferste Soldat im Heere, ich dachte, er wäre schon vergessen.«

»Nein, Frau Heisterhagen, man denkt des alten tapferen Kameraden noch oft und mit Achtung, er wird so bald nicht vergessen werden,« antwortete Bickel.

Die Frau nickte still vor sich hin und wandte sich dann wieder zu ihrem Baum.

In kurzem Schweigen ließ man die angeregten Empfindungen ausklingen, dann aber sagte der Oberjäger, als der Baum lustig im Kerzenschein strahlte, lebhaft: »Nun Kinder, wollen wir lustig deutschen Weihnachtsabend feiern, und unserer Lieben in der Heimat gedenken, ist der Grog fertig, Mutter?«

»Ja, Herr Oberjäger.«

Die Tür öffnete sich, und rasch trat Hotspur schneebedeckt ein. Kurz sagte er, die Augen erstaunt auf den brennenden Weihnachtsbaum richtend: »Der Feind!«

Rasch sprangen die Kriegsleute empor.

»Wo?«

»Im Norden!«

Draußen ertönte schon das Signalhorn der Jäger, erklangen die Alarmtrommeln der Regimenter.

Heinrich Rübenkönig eilte davon, die Jäger ergriffen ihre Waffen und liefen zu ihrem Sammelplatz, wo sie Ewald, Reizenstein und ihre anderen Offiziere schon vorfanden.

Im Laufschritt gings nach den Penningtoner Höhen, woher schon Gewehrfeuer tönte.

Die ganze Garnison war ins Gewehr getreten, aber Oberst Rall erschien nicht, er blieb bei Tafel und erwartete gelassen weitere Meldungen.

Die Jäger warfen sich, vor dem Tore angekommen, sofort ins Gefecht, und bald knallten ihre Büchsen.

Die Dunkelheit verhinderte, die Stärke des Feindes zu schätzen, doch mußte er, seinem lebhaften Feuer nach zu schließen, ziemlich zahlreich sein.

Sechs der Jäger fielen unter seinen Schüssen.

Einige Kompagnien vom Regiment Knyphausen rückten heran, und das Gefecht, welches anfänglich die Jäger zwang, langsam zurück zu gehen, kam zum Stehen. Unter dem durch die Füsiliere verstärkten Feuer gingen die Amerikaner plötzlich zurück und verschwanden im Dunkel, ebenso rasch wie sie aufgetaucht waren. Der unvermutete Angriff war abgewiesen, das Gefecht vorüber.

An Verfolgen war nicht zu denken.

Als man Rall, der an seiner wohlbesetzten Tafel inmitten der Honoratioren Trentons ruhig weiter geschmaust hatte, Meldung erstattete, sagte er lachend: »Nun, da habt ihr euren berühmten Angriff von Norden her! Ich sage ja, sie laufen davon, wenn sie den Knall eines hessischen Gewehrs hören. Glaubt ihr denn, Herr Washington würde sich über den eistreibenden Delaware wagen? Unsinn! Nun werden sie uns wohl ruhig zu Abend essen lassen!«

Auf weitere Vorstellung genehmigte er, daß die halbe Kompagnie Jäger unter Reizenstein im Norden zur Verstärkung des Wachtpiketts die Nacht über verweile.

Die alarmierten Truppen kehrten wieder in ihre Quartiere zurück, und beim Oberst nahm das fröhliche Gelage seinen Fortgang.

Reizenstein, Bickel und Hans mit ihren Jägern verblieben auf den Penningtoner Höhen und schützten sich vor den Unbilden des Wetters in einem alten Holzschuppen.

Langsam verging die rauhe Nacht.

Der Sturm umbrauste heulend den Zufluchtsort der Jäger und trieb unaufhörlich feuchten Schnee, untermischt mit Regen, gegen die undichten Wände.

Es durfte kein Feuer angezündet werden, um nicht die Aufmerksamkeit des vielleicht nicht weit entfernten Feindes zu erregen.

Fröstelnd saßen und lagen die Männer in dem Schuppen, nur von Zeit zu Zeit ließ Reizenstein die ausgestellten Posten durch andere ablösen.

Endlos schien die stürmische Nacht, und düster stieg endlich der Morgen des zweiten Weihnachtstages herauf.

Hotspur war nach dem Flusse hinunter gegangen, um sich von dessen Zustand zu überzeugen.

Kaum war der Tag angebrochen und die nächste Umgebung zu erkennen, als Hugo die Jäger antreten ließ.

Da im Laufe der Nacht keine Beunruhigung eingetreten war, und der stark strömende und Eis treibende Fluß einen Uebergang wohl nicht gestattete, hielt auch er wie alle übrigen den gestrigen so rasch abgeschlagenen Angriff für das übermütige Manöver einer Streifschar, welcher Dunkelheit und das grausige Wetter gestatteten, ungesehen heranzukommen, einen kecken Vorstoß zu wagen und sich hiernach ungefährdet zurückzuziehen.

Seine Ordre lautete dahin, mit Tagesanbruch nach der Stadt zurückzukehren.

»Ehe wir davon ziehen,« sagte er zu Bickel, »will ich doch, um nichts zu versäumen, die nächste Umgebung etwas absuchen zu lassen,« und er deutete auf den Waldsaum, der sich, kaum zweihundert Schritt von ihnen entfernt, durch den fallenden Schnee nur schattenhaft wahrzunehmen, hinzog. Dann befahl er: »Oberjäger Rübenkönig, streife er mit seiner Korporalschaft durch den Wald dort und sehe Er sich nach dem Feinde um.«

Flink schulterte Hans die Büchse und, gefolgt von seinen Jägern, ging er vor, bald im Schneegestöber den Augen der Nachschauenden entschwindend.

Hans hatte seine Jäger über das Feld ausgebreitet, und ging selbst in der Mitte der Kette.

Der Sturm umsauste sie und jagte ihnen den nassen Schnee in Gesicht und Augen.

Mit elastischen Schritten eilte der Jüngling ohne Furcht vor Gefahr auf den Wald zu und war bald den anderen, welche teilweise in tiefen Schnee geraten waren, ziemlich weit voraus.

Der Sturm hatte ihm das Zopfband gelöst, und das lange, nasse Haar umflatterte das frische hübsche Antlitz.

Hotspur traf, vom Delaware kommend, bei den Jägern wieder ein, dieser trieb nach wie vor starke Eismassen.

Kaum erfuhr er, wo Hans sei, als er nacheilte.

Kecken, sorglosen Schrittes war dieser unter die dicht mit Schnee bedeckten und behangenen Bäume getreten. Kaum zehn Schritte hatte er zurückgelegt, als plötzlich Männer hinter diesen hervorsprangen, und kräftige Fäuste den gänzlich Ueberraschten faßten. »Einen Laut nur, und du bist des Todes!« rief eine drohende Stimme.

Vor Hans stand Konski mit gezücktem Messer, aus bleichem Antlitz blitzten ihn die dunklen Augen mit wildem, tötlichem Hasse an.

Einen Augenblick zögerte Hans, der Tod stand vor ihm, und wie ein rasch vorüberziehender Blitz, »der nicht mehr ist, noch ehe man sagen kann, es blitzt,« ein weites Feld aus tiefem Dunkel reißt, so zog in diesem einen Augenblick Vergangenheit an ihm vorüber. Er sah die alte Mutter in ihrem Stübchen sitzen mit dem bleichen, traurigen Antlitz, sah die Spielplätze seiner Jugend – dann dachte er der bedrohten Kameraden, des Schicksals der Truppen, der alten glorreichen Hessenfahnen, der Ehre der Armee, sah Arnold von Winkelried in die Speere stürzen, und – »Der Feind!« schrie er mit einer Stimme, welche weit, weit durch Schnee und Sturm hinausdrang.

Mit wilder Kraft stieß ihm Konski das Messer ins Herz, und mit gellendem Todesschrei sank Hans darnieder.

»Armes Mütterchen, – Hessenland –,« flüsterten die ersterbenden Lippen, und Todesschatten umfingen ihn.

So starb Hans Rübenkönig, kaum zwanzig Jahre alt, den Heldentod des opfermutigen Kriegers.

Sein heller Warnungsruf, sein letzter wilder Schrei war bis zu Reizenstein gedrungen.

Die Jäger vor dem Walde feuerten die Büchsen ab und sprangen zurück.

Hotspur aber, dessen Ohr gleichfalls die Stimme des Jünglings vernommen, stürzte mit dem Schrei eines wilden Tieres in plötzlich ausbrechender indianischer Wut auf den Wald zu.

Aus diesem drangen in weiter Ausdehnung dichte Massen amerikanischer Scharfschützen, sie feuerten, und Hotspur stürzte getroffen aufs Angesicht nieder.

Fechtend zog sich Reizenstein mit seinen Jägern zurück, die Feldwache schloß sich ihm an.

Von Süden her ließ sich Geschützdonner vernehmen – Signalhörner und Trommeln erklangen in der Stadt.

Im Laufschritt kam Ewald mit den andern Jägern heran, vereinigte sich mit den Kameraden und übernahm das Kommando.

Kaum überflog sein Auge das Schlachtfeld und sah, wie Bataillon auf Bataillon unter den Bäumen hervordrang und sich ordnete, als er traurig sagte: »Das ist das Ende, Reizenstein.«

Ein Adjutant sprengte auf sie zu.

»Melden Sie dem Oberst,« rief ihm Ewald entgegen, »daß der Feind in einer Stärke von zwei- bis dreitausend Mann hier angreift.«

Der Adjutant jagte davon.

Einige Kompagnien von Rall erschienen und warfen sich tapfer ins Gefecht – aber sie mußten zurück, wuchtig griffen die Amerikaner an. Jetzt krachten auch vom Walde her Geschütze.

»Zurück zur Stadt!« kommandierte Ewald, »hier können wir uns nicht halten, wenn im Süden auch so energisch angegriffen wird, ist unsre einzige Rettung der Rückzug nach Maidenhead.«

In der Stadt selbst wurden, während sich die wenig zahlreichen Vortruppen mit den Amerikanern schlugen, in großer Verwirrung die Bataillone formiert. – Rall schlief noch. –

Niemand führte den Oberbefehl, jeder der kommandierenden Offiziere hatte mit seinem Truppenteil vollauf zu tun. – Niemand wußte, wohin sich bei dem doppelten Angriff zu wenden – es herrschte wilde Verwirrung – für einen Rückzug aus der Stadt waren keine Dispositionen getroffen worden.

Von beiden Seiten griffen die Amerikaner mit großem Ungestüm an.

Die hessischen Bataillone wehrten sich, aber ohne einheitliche Leitung.

Ihre geringe Artillerie ließ sich jetzt vernehmen, um bald vor dem Feuer der Amerikaner zu verstummen.

Die Truppen begannen zu weichen, dezimiert von den Kugeln der Riflemen.

Jede Hecke, jede Planke, jeder Baum spie Tod und Verderben aus.

Wiederholt setzen die tapferen Männer zum Bajonettangriff an, aber der zerstreut fechtende, überall gedeckte Feind war mit der furchtbaren Waffe nicht zu erreichen.

Tote und Sterbende deckten die Straßen. Schon waren die Amerikaner in der Stadt und feuerten aus den Fenstern.

Endlich, endlich erschien Rall, hochrot im Gesicht, zwischen den Truppen. Finster sahen ihn die Offiziere an, aber die Soldaten waren erfreut, den tapferen Führer zu erblicken.

Statt ruhig und besonnen einzugreifen, brachte er in seiner Aufregung noch größere Verwirrung in den Kampf.

Jede andere Truppe der Welt wäre bei dieser kopflosen Leitung, diesem übermächtigen Doppelangriff, bei dem die entsetzliche Verwirrung mehrenden Wetter in wilder Flucht davon gestürzt, diese Männer fochten, in Unordnung zwar, aber sie fochten, und fechtend gingen sie Schritt für Schritt zurück; ein großer Teil hatte nur die einzige Brücke über den Assapink, welcher die Stadt durchströmte, als Rückzugslinie nach Osten zu auf die Straße nach Maidenhead.

Die Offiziere fochten an der Seite ihrer Truppen wie die Löwen, vor allem Schallern, der sein Leben wie ein Tolldreister aufs Spiel setzte.

Die letzten, welche über die Brücke des Assapink gingen, waren die Jäger.

Oberstleutnant Scheffer rief Ewald noch zu: »Halten Sie die Brücke, Hauptmann!«

»So lange noch ein Jäger steht, halten wir die Brücke.«

Dreimal stürmte ein Bataillon der Amerikaner heran, um den Uebergang zu erzwingen, und dreimal wiesen die Jäger den Angriff blutig ab.

Ewald und Reizenstein hatten selbst Büchsen ergriffen und feuerten.

»Wir sind umgangen!« rief da Bickel.

Ewald wandte sich, in seiner Flanke, diesseits des Assapink, drang ein Bataillon Feinde heran.

»Zurück in die Gärten, Leute!«

Die Jäger liefen zurück, um der Umklammerung zu entgehen, und warfen sich hinter die Hecken der Gärten. Hugo erhielt einen Schuß ins Bein und stürzte nieder, sprang aber rasch wieder auf, warf die Büchse fort und zog den Degen – er war allein zurückgeblieben von den Jägern.

»Ergeben Sie sich!« rief ihm ein junger amerikanischer Offizier, der zu Pferde war, in deutscher Sprache zu.

»Nein,« sagte Hugo, – mußte aber den schon gehobenen Degen sinken lassen, eine Schwäche überkam ihn, er fiel aufs Knie und reichte dem jungen Offizier als Zeichen der Ergebung seine Waffe. Dieser, vom Pferde springend, nahm sie und richtete Hugo auf.

Wenige Schritte hinter den Amerikanern tauchte das bleiche Gesicht Konskis auf.

»Mörder!« schrie Hugo, als er es erblickte, und griff wild um sich – da krachte des Buben Büchse, und in die Brust getroffen sank Hugo zusammen.

Wütend sah der junge amerikanische Offizier sich um, hinter ihm stand mit satanischem Lächeln Konski, die noch rauchende Büchse in der Hand.

»Elender Schurke!« schrie der Offizier und holte mit seinem Säbel aus, ihn niederzuhauen. Aber Konski, der wie die Amerikaner gekleidet war, verschwand rasch im Gedränge.

Das Gefecht hatte sich ganz nach Osten gezogen – Trenton war im Besitze der Staatentruppen.

Der amerikanische Offizier rief einige seiner Leute an und ließ den bewußtlosen Hugo ins nächste Hans tragen, ihn der Pflege der Hausbewohner empfehlend, warf sich dann wieder aufs Pferd und ritt seinen Truppen nach.

Draußen vor der Stadt hatten die hessischen Führer endlich ihre hinausgedrängten Bataillone geordnet, und man erwartete Befehl zum Rückzug auf Burlington, als Rall, der mit blutunterlaufenen Augen schwankend im Sattel saß – den Angriff auf die kaum verlassene Stadt befahl.

»Alle Grenadiers mir nach!« schrie der Oberst, und willig folgten ihm die tapferen Kerls.

Die Kartätschen sausten in ihre Reihen und streckten sie nieder.

» Avance! Avance!« ließ Rall seinen wohlbekannten Ruf vernehmen und drang wütend an der Spitze der Grenadiere vorwärts. Aus den Obstgärten erhielten sie mörderisches Feuer, und von zwei Kugeln getroffen stürzte Rall vom Pferde – da hielten auch die Grenadiere inne.

Plötzlich dröhnte Kanonendonner in ihrem Rücken, es war die Hauptmacht der Amerikaner, welche den Ort umgangen hatte, und nun unter Washingtons Führung ihnen die einzige Rückzugslinie versperrte.

Von allen Seiten drangen amerikanische Scharen in solcher Stärke heran, daß eine Fortsetzung des Kampfes Wahnsinn gewesen wäre.

Von der feindlichen Hauptmacht her nahte ein Offizier mit einer weißen Fahne.

General Washington ließ die Hessen auffordern, sich zu ergeben, da jeder Widerstand vergeblich und der militärischen Ehre genüge geschehen sei.

Während hier über die Uebergabe verhandelt wurde, schlug sich Ewald auf dem linken Flügel mit seinen Jägern durch – durchwatete unter großer Gefahr einen Sumpf, gelangte in den Rücken des Feindes und erreichte noch am Abend mit dem Rest seiner Mannschaft Burlington, wo Donop stand.

Ihm folgten dreihundert Füsiliere vom Regiment Knyphausen.

Auf dem rechten Flügel stand eine isolierte Schar von dreißig Grenadieren unter Schallerns Kommando, in ihren Reihen Heinrich Rübenkönig.

Das Schweigen des Feuers im Zentrum sagte Schallern, daß alles verloren sei.

Ein Regiment amerikanischer Milizen, wohl fünfzehnhundert Mann stark, stand vor ihnen in einer schmalen Waldlichtung.

»Kerls,« rief der erregte Schallern, dessen Augen in wildem Kampfesmut blitzten, »wollt ihr euch gefangen nehmen lassen, oder wollen wir uns durchschlagen?«

»Drauf, Leutnant,« riefen die Grenadiere. »Wollen kein Quartier.«

»Dann nehmt das Bajonett!«

In diesem Augenblick rief ein versprengter Jäger, der sich ihnen anschloß, dem Sergeanten zu: »Hans ist gefallen, Rübenkönig!«

Der riesenstarke Mann wurde bleich und ließ das Gewehr fallen.

Gleich hob er's aber wieder empor und rief, das Gesicht von Verzweiflung verzerrt, mit Donnerstimme: »Drauf! Drauf!«

»Fällt das Gewehr vorwärts! Drauf!«

Und diese dreißig hünenhaften deutschen Männer, geführt von dem kühnen Schallern, stürzten plötzlich mit aller Kraft in wilder, verzweifelter Wut auf das Regiment los.

Wie die Ahnen einst vor zweitausend Jahren in jähem Ansturm die ehernen Römerreihen brachen, so diese die dichtgescharten amerikanischen Milizen.

Einige Büchsen entluden sich dort, aber das lange Bajonett, mit Riesenkraft von den Grenadieren geführt, tat in dem Haufen entsetzliche Wirkung.

Wo die mit großer Schnelligkeit geführten blitzenden Stöße hintrafen, brachten sie den Tod.

»Drauf! Drauf!«

Heinrich Rübenkönig mit durch Schmerz und Zorn verzehnfachter Kraft häufte Leichen vor sich auf. Neben ihm der ebenso starke als gewandte Schallern.

Wehegeheul erhob sich, und zurück stürzten die vorderen Reihen auf die hinter ihnen stehenden, von denen keiner im Gedränge seine Büchse gebrauchen konnte.

Wo das bleiche Gesicht des mit so furchtbarer Wut fechtenden Grenadiers erschien, wich alles schreckensvoll aus.

Ein Knäuel von Lebenden und Toten ballte sich vorn – in wilder Panik flohen die rückwärtsstehenden Kompagnien, welche nur das Wehgeschrei hörten und die so gefürchteten Grenadiermützen wie die blinkenden Bajonette sahen, davon, die andern folgten, den Weg mit Toten und Verwundeten bedeckt lassend, sie flohen, sie retteten sich rechts und links in den Wald.

So brachen dreißig hessische Grenadiere unter Schallern durch eine fünfzigfache Uebermacht und erkämpften sich die Freiheit. Siehe Kapps »Soldatenhandel im vorigen Jahrhundert«.

Die übrigen Truppen hatten die Waffen vor Washington gestreckt.

Der amerikanische General ritt jetzt heran und fragte nach Rall.

Als man ihm sagte, der schwer Verwundete liege in einem der nahen Häuser, ließ er sich dorthin führen und sprach dem totwunden Mann das Bedauern über seinen Zustand aus.

»Ja, es geht zu Ende, General,« stöhnte der Sterbende, – »hier liegt der »hessische Löwe« zu Tode getroffen – und – es ist gut so – eine solche Niederlage darf man nicht überleben. Behandeln Sie meine Leute menschlich, General, es sind gute Kerls.«

»Ich weiß tapfere Feinde zu ehren, Herr Oberst.«

Er richtete noch tröstende Worte an ihn und nahm dann Abschied, sandte auch sofort den ersten Arzt seines Heeres, um nach dem Verwundeten zu sehen.

Dieser erschien, konnte aber dem heldenhaften Mann nur sagen, daß er den Abend schwerlich erleben werde.

Rall vernahm die Kunde mit kalter Ruhe.

Vor dem Hause, wo der Oberst sterbend lag, erwartete den amerikanischen Stabsarzt der junge Offizier, welcher Hugo gefangen genommen hatte, und führte ihn zu diesem, der immer noch bewußtlos lag.

Der Arzt untersuchte die Wunden. Die Kugel Konskis war tief in die Brust gedrungen.

»Es ist möglich,« sagte der Arzt, »daß er am Leben bleibt, wahrscheinlich ist es indessen nicht.«

Er verband Hugo sorgfältig.

Am Abend starb Rall, der Held von Fort Washington, der Besiegte von Trenton, der trotz aller seiner Fehler, seiner gewinnenden männlichen Eigenschaften und seines guten Herzens wegen von den Soldaten leidenschaftlich geliebt wurde.

So endete der furchtbare Tag von Trenton.

Tausend Hessen waren gefangen worden, die übrigen gefallen oder entflohen.

Dieser Tag war der Wendepunkt im amerikanischen Unabhängigkeitskampf, er war nach einer Reihe entmutigender Niederlagen der erste glänzende Sieg, noch dazu erfochten gegen die so gefürchteten Verbündeten König Georgs.

Wie ein Lauffeuer zog die Kunde von diesem Siege durch die vereinten Staaten, hob von neuem den Mut und das Vertrauen auf den endlichen Sieg der Sache des Volkes und führte dem Heere Washingtons zahlreiche und tapfere Scharen zu.

Die gefangenen hessischen Truppen baten, ihre Toten begraben zu dürfen, was gestattet wurde.

Noch am Abend hatte sich bei den Vorposten ein Grenadiersergeant als Gefangener gemeldet und angegeben, er sei zurückgekommen, um seinen Bruder zu suchen, der gefallen sei.

Der Heldentod des Jünglings Hans Rübenkönig war dem General gemeldet worden und hatte ihn tief gerührt, nicht minder die Rückkehr des Bruders des so ruhmvoll Gefallenen.

Er befahl, Hans ehrenvoll zu begraben. –

Durch die Straßen der Stadt schlich mit suchendem Auge der alte Bill, endlich fragte er einen Soldaten: »Wo finden Master Melville?«

»Ah, du meinst den Adjutanten, Rothaut? Der ging eben in das Haus da,« und er deutete auf das Gebäude, in welchem Hugo lag.

Bill ging hinein und öffnete das Zimmer des Verwundeten.

Sein Blick fiel zuerst auf Hugos bleiches Gesicht, der mit geschlossenen Augen dort lag.

Der eiserne Indianer erschrak merklich.

»Nun, Bill,« sagte John freundlich, »hast du mich gesucht?«

»Melville suchen, und ihm suchen.«

»Wen?«

»Ihm,« er deutete auf Hugo, – »Sohn von offene Hand.«

Der junge Mann, welcher wußte, daß der Indianer mit diesem Ausdruck seinen verstorbenen Oheim bezeichnet, schaute erstaunt auf.

Der Indianer beugte sich über Hugo und lauschte auf seine Atemzüge.

»Er, sehr schlimm,« sagte er dann leise.

»Wie nanntest du den jungen Offizier? Kanntest du ihn, daß du ihn suchtest?«

»Ihm kennen, er Sohn von offene Hand.«

»Wie? Was sagt du? Meines Onkels Sohn?« rief John. »Und Herrgott, wo hatte ich meine Augen, es sind die Züge des Bildes in unserem Saal.«

Er rief einen gefangenen Hessen herein und fragte ihn nach dem Namen des Verwundeten.

»Das ist Leutnant von Reizenstein, Herr, von den Jägern, ein tapferer Offizier,« sagte der Soldat.

»Mein Vetter! Mein Vetter! Müssen wir dich so finden?«

»Ihr ihm kennen, Master John?«

»Ja, Bill, du hast recht, du hast recht, es ist sicherlich meines Oheims Sohn, den wir tot geglaubt. O, der Schurke, der ihn niederschoß, als ich ihn schon gefangen genommen hatte.«

»Wer ihn schießen?«

»Der Verräter, der Ueberläufer, der uns hergeführt hat.«

»Er schwarzes Haar, schwarze Augen, die stechen wie Nadel?«

»Ei, Bill, kennst du ihn?«

»Ihm kennen,« sagte der Indianer mit seinem finstersten Gesicht, »er ermorden Vater, er ermorden Sohn.«

Staunend horchte John auf des Indianers seltsam klingende Kunde.

»Ich habe den Schurken suchen lassen, aber er ist entflohen und hat sogar seinen Judaslohn zurückgelassen.«

Konski hatte in der Tat den Verräter gespielt und den Amerikanern die genauesten Mitteilungen über alles Wissenswerte im hessischen Lager gemacht und die nördliche Angriffsabteilung selbst herangeführt.

Der Indianer berichtete nun, wie er Hugo getroffen, und wie er ihn erkannt.

»Wie wunderbar, wie wunderbar, Bill! O, wenn er jetzt sterben sollte, der Vater würde noch einmal seinen Bruder verlieren. Bill, du verstehst mit Wunden umzugehen, willst du hier bei meinem Vetter bleiben? Mich ruft der Dienst.«

»Bill hat noch einen Verwundeten,« sagte dieser, »er Indianer, ihn finden auf Schlachtfeld, er Freund von Leutnant, er liegen in Hütte bei Pennington. – Beide heilen!«

»Gut, Bill, ich will versuchen, ihn hierherbringen zu lassen, dann kannst du beide pflegen. Ich muß zum General, wir sind zum Begräbnis der Hessen kommandiert.«

Mit einem teilnehmenden Blick auf Hugos bleiches Gesicht schied Melville, während der Indianer sich an das Lager des Verwundeten setzte.

Am Nachmittage wurde Rall begraben, mit ihm die gefallenen Offiziere und der Oberjäger Hans Rübenkönig.

Die amerikanischen Offiziere hatten Särge für sie bereiten lassen und besondere Gräber, während die übrigen gefallenen Hessen in Sammelgräbern gebettet wurden.

Washington hatte zwei Bataillone und vier Geschütze zur Leichenparade befohlen und wohnte selbst mit seinem Stabe dem Begräbnis bei.

Es war ein ergreifender Anblick, als die niedergeschlagenen Gefangenen ihre Toten zu Grabe führten. Dem traurigen Zug voran schritt das Musikkorps des Regiments Loßberg und spielte ernste Weisen, abwechselnd mit dem gedämpften Schlag der Trommeln. Die Särge, welche die Leichen der Offiziere bargen, wurden von Unteroffizieren getragen. Rall ging, wie er im Kampfe stets der erste war, auch im Tode noch voran. Die gefangenen Offiziere geleiteten die gefallenen Kameraden. Dann trugen Grenadiere die Leiche des jungen Helden von der Penningtoner Höhe einher. Heinrich Rübenkönig und Frau Heisterhagen folgten ihr.

Die Frau war während des ganzen Gefechts ruhig in ihrer Behausung geblieben und hatte dort einige Verwundete gepflegt.

Ein Teil der gefangenen Mannschaften schloß den Zug.

Manch' schönes Auge wurde feucht, als der mit Tannenzweigen geschmückte Sarg des jungen Jägers vorübergetragen ward; sein heldenhaftes Ende hatte allgemeine Teilnahme erregt, um so mehr, als die jugendlich schöne Erscheinung, das fröhliche Wesen des Jünglings aller Herzen ihm gewonnen hatten.

Die Amerikaner präsentierten die Gewehre, als die stillen Toten kamen, die im Leben ihre Feinde waren, und Washington nahm den Hut ab, als die Leiche des tapferen Rall an ihm vorüberzog.

Als dann Hans Rübenkönigs Sarg, erschien, sagte der amerikanische General zu seinem Stabe: »Meine Herren, dort tragen sie die Gebeine eines jungen Helden einher, bezeugen wir dem Heldenmute unsere Achtung,« und auch vor Hans Rübenkönig entblößte der große Amerikaner das Haupt, und mit ihm alle seines Gefolges.

Als er dies sah, strömten heiße Tränen aus des starken Bruders Augen, der still und traurig hinter dem Sarge einher ging.

Die Gefallenen wurden am Nordende der Stadt in ihre Gräber versenkt, die Trauersalven der Amerikaner krachten darüber hin, und der Kaplan Stern vom Regiment Loßberg, der treu bei den Gefangenen ausgehalten hatte, segnete die letzten Ruhestätten ein.

Nachdem er geendet, trat Hauptmann Wiederhold an das Grab von Hans Rübenkönig und sprach mit lauter Stimme: »Unseren tapferen Führer wird die Geschichte, wird Gott richten. Du aber, Hans Rübenkönig, der du mit einem Heldenmute für uns starbst, wie er nur selten auf Erden gefunden wird, dir rufe ich im Namen aller, die hier stehen, in dein Grab nach: In keines Helden Brust, dessen Ruhm noch späte Jahrtausende melden, schlug je ein edleres und tapfereres Herz –. Schlafe sanft, Kamerad, in fremder Erde. Nie werden dich und deine Tat deine Kameraden, nie soll sie das Hessenvolk vergessen.«

Die Gefangenen beteten still und zogen in ernstem Schweigen zurück.

Noch am Abend ließ Washington dem Sergeanten Rübenkönig sagen, er sei frei, und sandte ihm einen Geleitschein und einige Goldstücke als Reisezehrung.

Am anderen Tage zog Heinrich Rübenkönig mit Frau Heisterhagen still der englischen Truppenaufstellung zu.


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