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Im Frühstückszimmer saßen der Herr von Redwood, Hugo, Mary und ihre Freundin Hetty in freundlicher Stimmung um den wohlbesetzten Tisch.
Der heftige Sturm, den die Mitteilungen seines Oheims in Hugos Seele erregt hatten, war ruhigeren Empfindungen gewichen, wie sein Antlitz deutlich bekundete.
Man sprach vom Hessenland, sprach vom deutschen Vaterland. »Reiche mir einmal die Flasche dort her, Hugo, sie enthält Saft aus unseres Rheines Trauben.«
Er füllte die Gläser und sie stießen nach deutscher Sitte an.
»Hast du den Rhein gesehen, Hugo?«
Dieser bejahte.
»Herrlicheres gibt's auf der Erde doch nichts als den alten Vater Rhein, auch der gewiß malerische Hudson kann sich nicht mit ihm vergleichen. Wenn dieser unselige Krieg zu Ende ist, und Gott den Provinzen hier Freiheit und Frieden beschert, so will ich doch noch einmal hinüber. Die Sehnsucht nach der Heimat ist mächtig in mir aufgewacht seitdem mir meines Bruders Sohn von den Toten erstanden ist.«
Nach einer Weile äußerte Mary: »Wo nur unser John jetzt weilen mag, Papa?«
»An der Seite seines Generals. Und wo? Wer vermag George Washingtons Pläne zu erraten? Er ist immer da, wo der Feind ihn nicht erwartet, er ist ein unvergleichlicher Stratege. Er hat die Königlichen durch einen bewundernswerten Flankenmarsch gezwungen, die Wiedergewinnung von Trenton aufzugeben und wird sie ganz einfach zu Jersey hinausmanöverieren.«
Aufmerksam lauschte Hugo diesen Mitteilungen über die Bewegungen im Felde, er wußte gut genug, wußte wie alle hessischen Offiziere, welch' überlegenen Gegner die königlichen Generale in Washington hatten und gab dieser Ueberzeugung auch Ausdruck.
»Ja,« sagte sein Onkel, »er ist ein selten bedächtiger, und doch wenn es sein muß kühner Führer, der mit Schwierigkeiten im eigenen Lager zu kämpfen hat, von denen man in Europa keine Ahnung hat. Ich habe an seiner Seite vor mehr als zwanzig Jahren schon gefochten als die Franzosen von Nord und Süd ins Ohiotal brachen, und er zeigte schon damals die Eigenschaften, die ihn zum berufenen Führer des amerikanischen Volkes machen.«
Draußen erscholl betäubender Jubelruf, hauptsächlich aus den Kehlen der Neger. Schon wollte sich alles von den Sitzen erheben, als atemlos die schwarze Cornelia, die Köchin des Hauses, hereinstürzte und mit vor Freude und Fett glänzendem Antlitz ankündigte: »Er da, er da – Master John da.«
»John?« riefen alle wie aus einem Munde, und schon klirrten Reitersporen den Korridor her – eilige Schritte – und John Melville in der kleidsamen Uniform der Jerseydragoner lag in seines Vaters Armen.
»Mein lieber Herzensvater, da hast du mich!«
»Mein John, mein Kind!« und beide hielten sich innig umschlungen.
Dann umarmte John die Schwester: »Wetter, Mädchen, du bist ja noch hübscher geworden seit dem Herbste.«
»Und du, Herzensjohn,« sagte sie mit feuchtem Auge lächelnd, »noch artiger als zuvor, du bist der liebenswürdigste aller Brüder,« und ihr Auge hing mit schwesterlichem Wohlgefallen an den hübschen, offenen Zügen der jugendlich männlichen Gestalt, welche die knappe Uniform vorteilhaft hob.
»Und da,« sein Blick fiel auf das bleiche Gesicht Hugos, der ihm bis jetzt durch die andern verdeckt worden war, »Gott segne meine Augen, das ist ja mein Gefangener von Trenton. Bist du's, lieber Vetter? Dem Tode entronnen?«
Hugo, der mit inniger Teilnahme den jungen Krieger betrachtet und dem so herzlichen Wiedersehen mit angewohnt hatte – erhob sich: »Mein Retter, – mein lieber Vetter –.«
John umarmte ihn mit liebevoller Zärtlichkeit: »Wie freue ich mich, dich noch unter den Lebenden zu finden! Ich fürchtete, du seiest zur großen Parade abberufen. Nun, das ist ja herrlich – herrlich –. Hugo heißest du, nicht wahr? Du bist mein Gefangener, Hugo, und dich geben wir nicht frei, dich halten wir hier in ewiger Gefangenschaft; nicht wahr, Mary, wir halten ihn fest?«
Eine leise Röte stieg in Marys Gesicht auf, als sie sagte: »Halte ihn, John, du hast Gewalt über ihn.«
»Diese Freude,« fuhr der junge Offizier fort, »habe ich nicht erwartet – du bist mir willkommen, Vetter, für alle Zeit,« und nochmals schlang er den kräftigen Arm um ihn.
»Aber mein Gott, Vater, in der Freude des Wiedersehens vergaß ich ganz – zu melden – der General folgt mir auf dem Fuße.«
»Er ist schon da,« sagte eine tiefe, wohllautende Stimme. – Alle wandten sich, und dort in der Türe, eingefaßt von ihrem Rahmen, stand – George Washington.
Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, und aller Blicke hingen an dem ruhig vornehmen, durchgeistigten Antlitz, dem großen, klaren Auge des Oberfeldherrn der Amerikaner.
Reizenstein trat dann rasch auf ihn zu: »Exzellenz – Heil dem Hause, das der Fuß George Washingtons betritt.«
»Mein lieber, alter Freund und Kriegsgefährte,« sagte der General in der ihm eigenen gewinnend liebenswürdigen Weise, »wir haben uns lange nicht gesehen, mit Freude habe ich vernommen, daß Ihr Herz Sie auf die Seite der Staaten geführt hat, und Sie des Sohnes Leben ihrem Dienste geweiht haben.« Er schüttelte ihm freundschaftlich die Hand. »Mein Weg führt mich vorbei und es ist natürlich, daß ich das Bedürfnis fühle, Sie wiederzusehen und Ihre Gastfreundschaft anzurufen.«
»Und ich danke Ew. Exzellenz auf das Innigste dafür.« Er stellte dann die Anwesenden vor.
»Meine Tochter; Miß Claron, meine Pflegetochter.«
»Miß Reizenstein habe ich als Kind schon einmal gesehen,« und er reichte der sich Verneigenden die Hand und verbeugte sich leicht vor Hetty.
Des Generals Auge ruhte auf Hugo, der den berühmten Gegner der englischen Heere mit tiefer Aufmerksamkeit betrachtet hatte.
»Mein Neffe, Hugo von Reizenstein, Leutnant in hessischen Diensten, Gefangener von Trenton, als Rekonvaleszent hier im Hause.«
»Ich habe von dem wunderbaren Zusammentreffen mit Ihrem Vetter inmitten des Kampfes wie von dem Unglück, welches Sie betroffen, erfahren. Sie gehen Ihrer Genesung entgegen, wie ich mit Freuden bemerke. Ihre gefangenen Kameraden befinden sich wohl, wie ich Ihnen mitteilen kann. Ich habe ebenso liebenswürdige als vollendete Gentlemen in ihnen gefunden. Bleiben Sie in dieser aufmerksamen Bewahrung hier, ich hoffe, Sie bald auswechseln zu können.«
Er reichte Hugo die Hand, der sie, gefangen von der ungezwungenen, würdevollen Vornehmheit des Generals ehrerbietig nahm und sich tief verbeugte.
Der General nahm an der durch die Negerin mit Hilfe der jungen Damen rasch wieder gedeckten Tafel Platz, mit ihm die übrigen und zwei seiner Adjutanten, welche nach ihm eingetreten waren und von ihm vorgestellt wurden.
Mary saß neben Washington, den sie mit Blicken innigster Bewunderung betrachtete, um ihn zu bedienen.
Sie schenkte ihm Wein ein, der General hob das Glas: »Auf das Glück und die Freiheit unseres Vaterlandes!« Alle tranken, selbst Hugo, dem die Persönlichkeit des Generals, auf dessen Stirne die Hoheit des Denkers lagerte, verschönt durch den ruhig milden Ausdruck des edel geformten Gesichts, mächtig imponierte.
»Gott hat nach schweren, prüfungsvollen Schlägen unsere Waffen gesegnet, Reizenstein,« sagte er nach einer Weile, »das Volk der Staaten hat Vertrauen zu unseres Landes Zukunft gefaßt und ist entschlossen, zu kämpfen, bis wir das höchste Gut, unsere Freiheit errungen haben.«
»Gott sei Dank. Mein Herz schlägt für des Volkes Wohl, als ob ich in seiner Mitte das Licht der Welt erblickt hätte.«
»Ich weiß es,« und der General drückte ihm die Hand, »alle Deutschen, die unter uns leben, sind auf der Seite des Kongresses mit Herz und Hand. Das soll ihnen nie vergessen werden. König Georg,« fuhr er fort, »hatte keine treueren Untertanen als uns in den Staaten dieses Kontinents. Seine unseligen Minister haben uns, nachdem wir lange vergebens um Gerechtigkeit gefleht, das Schwert in die Hand gedrückt. Alle wahrhaft edlen Männer Englands sagen es laut, daß gegen unsere alten ewigen Rechte kämpfen, auch gegen Englands durch Jahrhunderte errungene Freiheit, gegen das Prinzip der Freiheit selbst streiten heißt. Schlagen kann man uns im Felde, töten kann man uns, und es fließt edles Blut genug, aber nie den heißen Drang, unsere angeborenen Menschenrechte mit allen Kräften zu wahren, unterdrücken – und – endlich werden wir doch siegen.«
Langsam hatte der General gesprochen, jedes Wort der klaren, ruhigen Stimme drang in die Herzen der Hörer, deren Blicke an seinen leuchtenden Augen hingen. Es herrschte auch noch eine kurze Zeit das tiefste Schweigen, nachdem Washington geendet hatte, bis Mary mit bebender Stimme sagte: »Gott führt George Washingtons Arm.«
»So hoffe ich,« sagte der Feldherr ernst, »ohne seine Hilfe sind wir nichts.«
Niemand hatte beobachtet, daß Bill geräuschlos eingetreten war, sich dem General gegenübergestellt hatte und seinen Worten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte.
»Lord Germain,« fuhr Washington mit leiserer Stimme fort, »bringt jetzt die Wilden gegen uns in den Kampf in Nord und Süd. Wehe den Landstrichen, wo diese unbarmherzigen Horden wüten. Traurig ist es, daß die rote Rasse nicht einsehen will, daß wir Kinder eines Bodens sind, daß wir für sie mitkämpfen. Wir heischen ihre Hilfe nicht, und keinen Falls sollten sie dieselbe unseren Feinden leihen.«
»Der große Häuptling der Yengeese spricht wahr,« ließ sich des Indianers Stimme vernehmen.
Erstaunt wandten sich alle bei der unerwarteten Unterbrechung nach Bill um, der mit ernster Würde Washington gegenüber stand und dem General ins Antlitz blickte.
»Ein alter Delawarenhäuptling vom Wolfsstamme, Exzellenz,« beeilte sich Reizenstein zu sagen, »ein Freund unseres Hauses.«
Washington betrachtete den Indianer prüfend. Er war ein genügender Kenner der roten Rasse, um sofort zu sehen, daß er in dem ernsten alten Manne, in dessen dunklem Auge ein Schimmer von Bewunderung leuchtete, eine ausgezeichnete Persönlichkeit vor sich habe.
»Mich däucht, Häuptling,« sagte er dann, »wir haben uns früher schon gesehen? Nicht so?«
»Ihm sehen, ja, vor vielen Sommern, fechten zusammen am Champlainsee gegen Franzosen.«
Washington, der ein außerordentliches Gedächtnis, besonders für Personen, besaß, erwiderte: »Jetzt entsinne ich mich deiner deutlich – du warst ein wackerer Krieger dort – du führtest eine Schar der Wolfsdelawaren, der starke Bär ist dein Name.«
»Gut,« – entgegnete der Indianer, und ein Lächeln des Stolzes fuhr über seine Züge – »der große Häuptling der Yengeese Mahanatha, den Delawarenhäuptling, nicht vergessen.«
»Du teilst meine Meinung, Häuptling, über die Teilnahme der roten Männer am Kriege gegen uns?« fragte Washington freundlich.
»Gerade so denken. Mahanatha für König Georg, alle Delawaren für König Georg, ihm lieben, können nicht gegen ihn fechten. Aber für ihn nur Streitaxt ausgraben gegen Franzosen, nicht gegen Yengeese. Delawaren bleiben zu Hause und schließen Ohr, wenn König gegen die Yengeese auf Kriegspfad ruft. Ma–ha–na–tha dies sagen am Beratungsfeuer der Nation, als großer Häuptling Johnston sprechen für Krieg. Delawaren werden nicht fechten gegen Yengeese – hören auf Mahanathas Stimme.«
»Du hast deinem Volke gut geraten. Ich wollte alle roten Männer dächten wie du und blieben bei unserem Streite in ihren Wigwams. Du bist ein einsichtsvoller und wackerer Mann, Delawarenhäuptling, ich danke dir.«
Er wandte sich dann, das Glas erhebend, zu den Damen: »Der edlen Weiblichkeit dieser Staaten gilt dieser Trunk,« sagte er, sich neigend, »sie ist berufen, die Wunden zu heilen, welche die Zwietracht schlug.«
»Wenn Sie, teuerster Freund,« wandte er sich dann an Reizenstein, »Ihren Sohn, der, nebenbei bemerkt, der eigenartigste Krieger meines Heeres ist, einige Tage hier behalten wollen, so will ich Ihnen denselben gern leihen.«
»Mein Sohn, Exzellenz, ist zu sehr an strenge Pflichterfüllung gewöhnt, um selbst den Wunsch zu hegen, das Vaterland, wenn auch nur für kurze Zeit, seiner Dienste zu berauben. Ist's so, John?«
»Du sagst es, mein Vater,« entgegnete John.
»Was meinten Exzellenz mit dem eigenartigen Krieger?«
»Nun,« sagte Washington lächelnd, »John Melville ist der friedfertigste Mann meines Heeres. Er reitet freilich mit einer Ruhe im Kugelregen umher, als ob er über ein Dutzend Leben zu verfügen hätte, aber ich glaube, er hat während des ganzen Feldzugs nicht seine Pistole abgeschossen oder den Degen gezogen, nicht einmal zur Selbstverteidigung. Er ist der kaltblütigste, tapferste und friedfertigste Soldat meiner Armee und bietet in ungleichem Spiele nur sein Leben, ohne das anderer nehmen zu wollen.«
Er hob gegen John sein Glas und trank ihm lächelnd zu.
John dankte freudigen Angesichts, und nur sein verstohlener Blick bemerkte die Träne, welche in der Engländerin Auge emporstieg, und die Rührung, mit welcher sie ihn durch diese anlächelte.
»Sie dürfen stolz auf diesen Sohn sein, Reizenstein, wie ich es bin. – Wir haben da eigentlich kein heiteres Tischgespräch geführt, aber der tiefe Ernst der Zeit macht sich auch beim heitern Mahle geltend, und Sie sehen, Lieber, ich habe trotzdem von Ihrer Gastfreundschaft ausgiebigen Gebrauch gemacht. Seit Wochen ist mir im Drang der Zeit keine so ruhige, freundliche Stunde zu Teil geworden, als diese in Ihrem traulichen Heim, und wie sehnt mein Herz sich zurück aus dem wilden Kriegslärm an meinen friedlichen Herd. Doch des Höchsten Wille hat mich an die Spitze des kämpfenden Volkes gestellt, und bis zum letzten Hauche gehört dieses Leben dem Vaterlande, der Erfüllung heiliger Pflicht.«
Er stand auf und alle mit ihm.
»Nun lassen Sie mich mit meinem Dank für so herzlich gebotene Gastfreundschaft scheiden. Miß Reizenstein, bewahren Sie dem alten Freunde Ihres Hauses ein freundliches Andenken.«
»Ich werde nie die Stunde vergessen, in der der Retter des Volkes in unserer Mitte weilte,« sagte sie, tief ergriffen von der schlichten Größe des Mannes.
»Das Land wird den Tag schauen, wo ihm die Sonne der Freiheit Leben spendend für immer strahlt, die Morgenröte dämmert schon empor.«
Er verneigte sich vor Miß Claron und streckte Hugo die Hand entgegen: »Erholen Sie sich ganz, mein junger tapferer Gegner, in dieser sanften Pflege, und ich wünsche von Herzen, daß man Sie hier lehrt, dies Land und sein mannhaftes Volk lieb gewinnen.«
Er nickte dem Indianer zu und schritt, von Reizenstein begleitet, von seinen Adjutanten gefolgt, hinaus, auch der Indianer ging ihm nach.
Alle Neger des Hauses, alle Bewohner der umliegenden Wohnungen waren herbeigeeilt, den Oberfeldherrn der Staatentruppen zu sehen, auch Hotspur stand an der Türe.
Der General stieg zu Pferde, schüttelte Reizenstein noch die Hand, grüßte, den Hut lüftend, die am Fenster stehende Mary und ritt dann zu seiner unweit haltenden, aus zwei Schwadronen Virginiadragonern bestehenden Stabswache, worauf die Kavalkade davonsprengte.
Während Reizenstein ihm noch nachblickte, stürzte John aus dem Hause, umarmte stürmisch den Vater und warf sich dann aufs Pferd: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, teuerster Vater!« und jagte eilig dem General nach.
Als der General davon geritten war, sagte der Delaware zu dem neben ihm stehenden Hotspur, welche beide Washington mit den Augen nicht verlassen hatten: »Er großer Häuptling, auf seiner Stirn steht Sieg, – er edler Krieger.«
Nachhaltig war der Eindruck, den Washingtons so edel einfache Persönlichkeit, die hoheitsvolle und doch so liebenswürdige Höflichkeit auf alle hinterlassen hatte, und viele Jahre noch wurde seines Besuches auf Redwood in stolzer Erinnerung gedacht.