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Drittes Kapitel.

Das Jägerkorps, dem der junge Rübenkönig für die Zukunft angehören sollte, war ein Elitekorps in der vollsten Bedeutung des Wortes.

Man stellte nur Leute in dasselbe ein, welche von Jugend auf mit dem Walde, der Jagd und der Büchse vertraut waren. Es galt deshalb als eine besondere Ehre, unter den Jägern zu dienen, und sie wußten das recht wohl. Auch gestattete man ihnen in jeder Beziehung mehr Freiheit als den anderen Truppen. Hauptmann Ewald war ein eben so geschickter als kühner Soldat, dem es in allen Waffen- und Leibesübungen wenige zuvortaten, streng im Dienst, aber gerecht und wohlwollend, und wurde von seinen Leuten gefürchtet, bewundert und geliebt. Er hatte seine Jäger zu einer vorzüglichen Truppe ausgebildet, sie waren ein stolzes Elitekorps.

In dieses trat Hans Rübenkönig ein.

Sehr schwer ward es dem feurigen, wilden Jüngling, sich in die ungewohnte, stramme Disziplin zu fügen, ihm, den die Nachsicht einer überzärtlichen Mutter gewöhnt hatte, seine Zeit nach Belieben zu verwerten, und der bisher noch sehr wenig im Leben getan hatte, aber er fügte sich.

In der Uniform, dem grünen Frack, den Hirschfänger um die rote Weste geschnallt, den dreieckigen Hut mit dem Busch keck auf dem Kopfe, sah der schlanke Junge so hübsch aus, daß selbst des Sergeanten ernstes Gesicht ein wohlgefälliges Lächeln überflog, als er den Bruder so erblickte.

Das Entzücken der Mutter über ihres Lieblings kriegerische Erscheinung war groß, und Hans selbst kam sich in der schmucken Uniform nicht wenig bedeutend vor, er war stolz darauf, zur Armee zu gehören und noch dazu als Jäger.

Die Unteroffiziere der Grenadier- und Füsilierregimenter wie die der Jäger, besuchten, zu fröhlicher abendlicher Gemeinschaft nach dem anstrengenden Dienst, vorzugsweise ein Wirtshaus am Brink, die »Stadt Karlshafen« genannt, in welchem Bier und Branntwein verschenkt wurde.

Ein ständiger Gast dort war der Oberjäger Konski, der seit etwa zwei Jahren bei den Jägern diente.

Es war ein finsterer, wortkarger Geselle dieser Konski und schien den Verkehr mit seinen Kameraden mehr zu meiden als zu suchen, sodaß er selbst in dem von zahlreichen Gästen besuchten Wirtszimmer gewöhnlich schweigsam, allein, in irgend einer Ecke saß.

Niemand wußte etwas Genaueres über ihn und seine Vergangenheit, und er war durchaus nicht der Mann, sich zu Mitteilungen darüber herbeilassen.

Es war nicht einmal bekannt, aus welcher deutschen Landschaft er stammte, doch schien sein Dialekt auf Thüringen zu deuten.

Unter den Soldaten liefen sonderbare Gerüchte über den Gesellen um. Einige wollten wissen, er habe schon vor Jahren bei den Preußen gedient und sei einer schlimmen Affäre wegen desertiert, andere, daß er sich lange im Dienst der Generalstaaten in deren fernen Kolonien Herumgetrieben habe, ja, daß er schon in Amerika gewesen sei zwischen den Wilden, die dort hausen. Das Merkwürdigste war, daß ein alter Zeugfeldwebel ihn vor zwanzig oder mehr Jahren schon in Kassel gesehen haben wollte und sich von dieser Meinung durchaus nicht abbringen ließ, nur hätte er damals einen anderen Namen geführt.

Zuverlässiges über sein Vorleben konnte niemand erfahren, selbst Ewald nicht, der ihn einmal ins Verhör genommen hatte, da auch ihm allerlei Gerüchte zugetragen worden waren und er nicht gern unsaubere Elemente in seiner Truppe duldete. Der Oberjäger machte ihm damals Mitteilungen über seine Vergangenheit, die, gleichviel ob Märchen oder nicht, den Hauptmann befriedigen mußten. Da er ein tüchtiger Soldat und vorzüglicher Schütze war, sah man ihm manches nach, sogar daß der ungesellige Mensch von Zeit zu Zeit sich dem Trunk ergab. Im Rausche war der wohl vierzigjährige Mann mit den schwarzen, stechenden Augen schier unheimlich, er wurde dann oftmals, abweichend von seiner sonstigen Art, gesprächig und führte unverständliche Reden und erzählte von Taten, die gerade nicht mit militärischer Ehre übereinstimmten, oder er sang Lieder in Sprachen, die kein Mensch verstand.

Anfangs meinte man, er sänge polnische Lieder, weil doch sein Name auf polnische Abkunft deutete, aber einer, der es verstand, erklärte, es sei Englisch und Holländisch, was er zu Gehör brächte, und daneben noch andere Sprachen, die wohl niemand hier kenne.

Wenn er zu singen begann, mußte Konski schon sehr betrunken sein.

Leiden mochte ihn niemand, selbst seine Vorgesetzten nicht. Da er aber, wie gesagt, ein tüchtiger Soldat war, von nicht gewöhnlicher Intelligenz, auch daneben Spuren höherer Bildung verriet und, gelegentliches, periodisch auftretendes Betrunkensein abgerechnet, sich nichts zu Schulden kommen ließ, konnte man ihm nichts anhaben.

Einen tiefen Widerwillen gegen ihn hatte der Leutnant von Reizenstein, zu dessen Zuge er gehörte, einen Widerwillen, den er nicht immer zu verbergen wußte, ob er ihn sich gleich nicht zu erklären verstand, und es war ausgefallen, daß der kecke cynische Oberjäger vor dem jugendlichen Offizier eine gewisse Scheu hatte, welche er selbst dem gefürchtetsten Kommandeur gegenüber nicht zu fühlen schien.

Es war Abend, und in der großen Wirtsstube der »Stadt Karlshafen« saßen Unteroffiziere der Grenadiere, Musketiere und Jäger in buntem Gemisch, tranken, rauchten, spielten Karten oder plauderten. Wie gewöhnlich saß Konski allein da, ein Glas Schnaps vor sich, und rauchte aus einer kurzen Pfeife. Er sah mit dem ihm eigenen finsteren Gesichtsausdruck vor sich hin, ohne sich scheinbar um die übrigen zu kümmern.

An einem Tische neben ihm debattierten einige Unteroffiziere über die beste und schnellste Art, einem Reiterangriff gegenüber Karree zu formieren.

»Ein hessisches Karree ist nicht zu sprengen,« sagte Sergeant Heisterhagen von den Leibgrenadieren, »wenn es Munition hat. Rübenkönig und ich, wir haben mehr als einmal als blutjunge Tambours im Karree gestanden, zuletzt noch bei Minden und den Feuerwirbel geschlagen, wenn die Franzosen herankamen; unsere Kerls standen wie die Mauern und die Musjös purzelten vor ihren Salven wie die Hampelmänner von den Gäulen.«

»So, daß also die hessischen Grenadiere unbesiegbar sind,« bemerkte hiezu höhnisch der bisher so schweigsame Oberjäger Konski.

»Wenigstens haben sie überall ihren Mann gestanden, Herr Oberjäger,« erwiderte Heisterhagen ruhig, Konski mit einem sehr ernsten Blicke messend.

»Antworte dem Kerl doch nicht,« flüsterte Rübenkönig seinem Freunde zu, »er scheint wieder in Randalierlaune zu sein.«

»Was hat der Oberjäger mit den Grenadieren?« tönte es von einem anderen Tische her und ein baumlanger Soldat erhob sich in drohender Haltung.

Rübenkönig, dem ein Streit im Wirtshause unangenehm gewesen wäre, winkte dem Grenadier sich zu setzen und äußerte: »Der Herr Oberjäger rühmte die Grenadiere.«

Konski war seines hämischen Wesens wegen so unbeliebt, daß auch schon andere Soldaten, obgleich keiner wußte was eigentlich vorgegangen war, sich erhoben.

Heisterhagen aber, seinen Freund wohlverstehend, stimmte ein altes Soldatenlied an, die andern fielen ein, und niemand achtete Konskis mehr.

Gerade als die Krüge aneinanderklirrten, öffnete sich plötzlich die Tür und eilig trat der Oberjäger Bickel ein.

Alle Köpfe wandten sich nach ihm hin.

»Gute Nachricht, Kameraden! Es gibt Krieg!«

Wie auf Kommando sprangen die Soldaten in die Höhe, nur Konski blieb sitzen.

»Krieg? Mit wem? Wo?«

»Mit Amerika, wir müssen hinüber.«

»Schurri!« erklang der Jubelruf, daß die Fensterscheiben klirrten.

»Ist es wahr?«

»Woher die Nachricht?«

»Treibe keinen Scherz, Bickel!«

»Amerika? Das ist herrlich!« so rief's aufgeregt durcheinander.

»Morgen wird's bekannt gemacht, wir gehen als englischer Succurs hinüber, gegen die Rebellen dort.«

Wild und gellend erklang das Jauchzen der Soldaten.

»Gott sei Dank!«

»Soldat im Frieden ein elendes Leben!«

»Das gibt Beute drüben!« rief ein alter narbiger Grenadier.

»Das Gold liegt dort auf der Straße!« ein anderer.

»Und die braunen Mädchen! Hui!« lachte ein junger Füsilier.

Nur einer teilte die allgemeine Freude nicht, Konski, der noch in seiner Ecke saß.

Als sein Kamerad Bickel die mit so stürmischer Freude ausgenommene Nachricht eines Feldzuges nach Amerika verkündete, zuckte er zusammen, und das Gesicht, welches überhaupt keine frische Farbe zeigte, wurde noch um eine Nuance bleicher.

Zwischen den Zähnen murmelte er: »Amerika? Die Pest drauf. Dann wird's Zeit.«

Langsam erhob er sich, nahm die Mütze und schritt schwankend der Türe zu.

»Willst du schon gehen, Konski?« fragte erstaunt Bickel.

»Habe gerade genug – es ist Zeit für mich,« damit ging er hinaus.

Draußen im dunkeln Flur richtete er sich auf, hob drohend die Faust gegen das Gastzimmer und murmelte ingrimmig: »Seid verdammt, hessische Hunde! Nach Amerika, das wäre das Rechte. Ich muß fort, sie muß mir Geld schaffen,« und dann schritt er in die Nacht hinaus.

In der »Stadt Karlshafen« aber ging es noch überlustig zu, bis der Zapfenstreich die Kriegsleute zur Kaserne rief.


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