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Neuntes Kapitel.

Unweit des Delaware, einige Meilen von Trenton, der Hauptstadt der Grafschaft gleichen Namens, entfernt, lag inmitten des von ihm aus beherrschten Gebietes das stattliche Herrenhaus von Redwood.

Redwood war die alte Besitzung eines Zweiges der in den Kolonien hochangesehenen Familie Melville, welche sich schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts an dem Ufer des schönen Stromes niedergelassen und das Land der Wildnis entrissen hatte.

Es war ein Eigentum, welches an Umfang mehr als zwei geographische Geviertmeilen umfaßte und, obwohl zum größeren Teile aus Wald bestehend, doch auch ausgedehnte wohlangebaute Ländereien aufwies, deren reicher Ertrag den Delaware hinab bis nach Philadelphia hin mit Leichtigkeit verschifft werden konnte und so die Besitzung sehr wertvoll machte.

Das Herrenhaus, dessen Erdgeschoß aus roten Ziegeln errichtet war und von einem Stockwerk, aus derben Balkenwänden gefügt, überragt wurde, zeigte beträchtlichen Umfang und einzelne nicht ganz regelmäßige Teile von massigen Formen.

In der hohen Mauer, welche es umgab, waren, gleichwie in dem spärlich mit Fenstern versehenen Hauptgebäude, Schießscharten angebracht. Es mochte dies wohl einst zum Schutz gegen räuberische Überfälle der Indianer geschehen sein.

Ein Gemüsegarten an der einen, ein hübscher Blumengarten, mit kleinen Bosketts durchsetzt, an der anderen Seite rahmten das Herrenhaus ein. In einiger Entfernung erhoben sich Ställe und Wirtschaftsgebäude.

Weit umher erblickte das Auge wohlgebaute Felder, dazwischen kleine Gehölze und Wohnungen von Pächtern und Feldarbeitern.

Ein Bach wand sich sanft durch das Gelände und führte sein Wasser dem Delaware zu.

Dichter Wald umgrenzte das Ganze, und sein dunkler Saum umschlang Redwood gleich einem schützenden Mantel.

Die Sonne schien warm herab, beleuchtete Haus und Feld und die endlosen Wälder, spiegelte sich in dem klaren Wasser des Baches und hüllte auch die Kreuze und Denksteine des kleinen Kirchhofs, der sich nach Norden zu, von einer Taxushecke eingefaßt, am Waldsaume zeigte, in goldigen Schimmer. Einige uralte Sykomoren beschatteten die stillen Wohnungen derer, welche hier den letzten Schlaf schliefen.

Drei Personen befanden sich in dem umfriedigten Raum, ein älterer Herr von stattlichem, vornehmen Äußeren und zwei jungen Damen. Sie standen vor einem wohlgepflegten Grabe, an dessen Kopfseite ein schlanker Obelisk von schwarzem Marmor sich erhob; die Hand des Mannes hatte eben einen Kranz auf seine Spitze niedergelegt.

Schweigend standen die drei eine Weile da in ernstem Sinnen, wie es das Bild der Vergänglichkeit alles Irdischen so natürlich hervorruft.

Dann wandte sich der Herr von dem Grabe hinweg und sagte zu den beiden Damen: »Laßt uns gehen!« und sie verließen die Stätte der Toten.

»Es sind heute einundzwanzig Jahr, Vater? Nicht so?« nahm die eine seiner jungen Begleiterinnen das Wort.

»Einundzwanzig Jahr, ja, mein Kind, einundzwanzig Jahre sind es, daß ihn Bill am Delaware fand – kalt und starr. Nächst deiner Mutter war er mir das Liebste auf der Welt.«

»Und niemals hat sein so schreckliches Ende Aufklärung gefunden?«

»Niemals. Bill behauptet zwar mit aller Bestimmtheit, der Mann, der ihn damals begleitete, habe ihn meuchlerisch getötet und beraubt, aber auch der Scharfsinn eines Indianers ist nicht untrüglich. Ich glaube auch heute noch nicht anders, und die Waldleute, die ich herbeirief, waren meiner Meinung, als daß er von herumstreifenden Wilden erschlagen worden ist, denn man fand deren Spuren in der Nähe des Tatortes – er und mit ihm auch sein Gefährte, Herr von Heldberg. Freilich wurde dessen Leichnam nicht gefunden – doch führte seine Spur nach dem Wasser hin, und der Tod hat ihn wahrscheinlich im Flusse ereilt. Für Bills Verdacht, daß er der Mörder und Räuber sei, war gar kein Anhalt gegeben, auch fanden wir die Spuren, als wir meinen Bruder entdeckten, schon so verwischt, daß nur die Falkenaugen dieser Leute und ihr merkwürdiger Scharfsinn noch einiges Licht in die geheimnisvollen Vorgänge bringen konnten, deren Zeuge nur der schweigende Wald gewesen war.«

Während der alte Herr so sprach und die Mädchen aufmerksam seinen Worten lauschten, waren sie langsam durch die Felder dem Herrenhause zugeschritten.

Als sie das kleine Gehölz betreten wollten, durch welches sie der Pfad führte, kam ihnen raschen Schrittes der alte Bill entgegen. Der Mann, eine breitschultrige, kräftige Gestalt, trug die Tracht des Landvolkes der Umgegend, obwohl sein braunes Gesicht die unverfälschte indianische Abstammung nicht verkennen ließ.

Unter dem kleinen Hut fiel ein eisengraues Haar straff auf die Schultern hernieder.

»Nun, Bill,« rief ihm der alte Herr entgegen, »suchst du uns?«

»Ihn suchen, ja,« sagte der Alte in gebrochenem Englisch, – »bringe gute Nachricht.«

»Nun, so laß hören, Bill.«

»Master John da – hier.«

Die beiden jungen Damen stießen einen leisen Schrei freudiger Überraschung aus.

»Was?« sagte der alte Herr, sichtlich erstaunt, – »John hier? Was bedeutet das?«

»Er, Vater suchen, dort« – und seine Hand deutete nach rechts – »ich wissen, er heute gehen zu Grab und bringen Kranz. Da er selbst kommen.«

Des Indianers scharfes Ohr hatte den durch den weichen Boden gedämpften Schritt des Herannahenden vernommen.

»John!« riefen die beiden Mädchen. »Hier!« antwortete eine jugendliche Stimme, und um die Büsche herum eilte ein hochgewachsener junger Mann von frischem, hübschen Äußeren auf die Gruppe zu und schloß den alten Herrn liebevoll in die Arme.

Dann wandte er sich zu den Damen, küßte die eine und reichte der anderen die Hand.

»Da bin ich, teurer Vater, heil und gesund.«

»Ich freue mich herzlich, dich zu sehen, mein Junge,« sagte liebevoll der Besitzer von Redwood, »aber ich bin einigermaßen erstaunt, dich jetzt hier zu erblicken, wo ich glaubte, daß gewichtige Bewegungen im Felde stattfänden.«

Mit tiefem Ernste entgegnete der junge Mann: »Mein teurer Vater, am 26. August hat eine Bewegung im Felde stattgefunden, von der die Staaten noch lange widerhallen werden.«

»Nun?« fragte begierig der alte Herr, und die Augen der Mädchen hingen an Johns Lippen.

»Wir sind bei Flatbush geschlagen worden.«

»Ah!«

»Nur einem Wunder und der Ruhe und Geschicklichkeit Washingtons haben wir es zu danken, daß wir über den Fluß nach New-York entkommen sind.«

»So ist die Sache der Staaten verloren?«

»Gott weiß es allein – die Niederlage war furchtbar, das Heer ist entmutigt.«

»Großer Gott –.«

»Ein Wort sagt dir alles: die Hessen.«

»Die Hessen?«

»Sie haben den Sieg entschieden, sie fochten wie die Teufel – ich habe solche Disziplin im mörderischen Feuer für unmöglich gehalten.«

»Ja, meine Hessen!« sagte der Vater, trotz augenscheinlicher Betrübnis mit leuchtendem Stolz im Auge. Rasch fragte er dann: »Hast du gegen sie gefochten, John?«

»Nein, Vater, auch werde ich nie die Waffen gegen sie führen.«

»Recht, Junge, recht – hast zu viel Chattenblut in deinen Adern.«

»Ich setzte General Sullivan meine Lage und mein Verhältnis zu den hessischen Truppen auseinander, und er nahm mich sofort aus der Front und ernannte mich zu seinem Adjutanten. Auf mich haben die Bursche freilich keine Rücksicht genommen, denn die Kugeln der anstürmenden Bataillone flogen mir wie Hagelkörner um den Kopf,« setzte er mit Laune hinzu.

Die beiden Mädchen erbleichten, und selbst der alte stattliche Herr vermochte eine leichte Erregung nicht zu unterdrücken.

»Master John fliegen Kugel um Kopf?« mischte sich der Indianer ins Gespräch – »er so tun auf Kriegspfad, es gut – wenn nicht treffen.«

»Ja, alter Bill, ich darf von Glück sagen, daß ich dem Feuer mit heiler Haut entronnen bin, glaube mir, das war noch schlimmer als bei Fort Edward.« Der junge Mann spielte damit auf ein Gefecht an, in dem vor mehr als zwanzig Jahren der alte Delaware, diesem Volksstamm gehörte Bill an, sich ausgezeichnet hatte und für seine Tapferkeit von der Regierung durch eine Medaille belohnt worden war, die er von Zeit zu Zeit mit hohem Stolze trug.

»Fort Edward, schlimm genug. Lange vorbei. Alter Bill nicht mehr fechten, er Kriegsbeil begraben.«

»Komm mit zum Hause, John,« sagte sein Vater, dessen Züge ein trüber Ernst überschattet hatte, »wir wollen dort ruhiger hören und erwägen. Die Mädchen kommen uns nach.« Damit nahm er den Arm des jungen Mannes und schritt mit ihm rasch voran. Die Damen folgten mit dem Indianer, der seit langen Jahren auf Redwood lebte und als zur Familie gehörig betrachtet wurde, langsam nach.

Auf John deutend sagte er zu dessen Schwester: »Er stolzer Krieger, Master John? he?«

»Ja, Bill, er sieht stattlich aus.«

»Für wen er fechten, Miß Mary, für König Georg oder Koloniemänner?«

»Für die Kolonie, Bill,« sagte das Fräulein nachdrücklich, »du weißt es ja.«

»Und Koloniemänner laufen fort in Schlacht – wie?«

»Leider sind wir geschlagen, wie John erzählt.«

»Nicht gut fechten mit Rotrock – ich ihm kennen.«

»Nun, Bill,« sagte Mary mit Stolz, »bei Lexington und Boston ist der Rotrock gelaufen vor unsern Baimännern. Den Sieg haben bei Flatbush die Hessen entschieden, welche König Georg zu Hilfe gerufen hat.«

»Er ist Stamm von Master Redwood? Wie?«

»Ja, es ist das alte deutsche Volk, dem der Vater entstammt.«

»Hessian fechten für König – John für Staatenmänner – das nicht gut.«

»Es ist ein Jammer, Bill, daß die Hessen auf jener Seite stehen.«

»Alle Leute hier am Fluß für König – nicht Redwood – das nicht gut.«

»Leider sind die Leute hier der Sache des Volkes feindlich gesinnt, und auch du bist ein alter Royalist, Bill.«

»Er für König Georg, Bill sein Bild aus Medaille, er ihm geben für nehmen Skalp von Franzos.«

»Ich glaube, du wärest im stande, noch für den König zu fechten, Alter?«

»Zu alt, nur noch fechten für Master und Miß Mary.«

»Ja, das würdest du tun, alter Delawarenkrieger, das wissen wir,« sagte Mary freundlich. »Warum so ernst und schweigsam, Hetty?« fuhr sie zu der Freundin gewendet fort.«

»Ich trauere, daß die Söhne eines Volkes sich bekriegen; mein Bruder kämpft in den Canadas auf Seiten der Krone, John im Dienste des Kongresses hier. Wie muß dein Vater fühlen, der nun seine hochgepriesenen hessischen Krieger als Gegner seiner Sache sieht?«

»Gewiß hängt der Vater am Hessenlande immer noch, so lange auch schon alle Verbindungen mit seiner Heimat abgebrochen sind, aber sein ehrlicher, gerader Sinn stellt ihn auf die Seite der Kolonien, deren Interessen er mit voller Hingebung angehört. Betrüben kann es ihn, seine Landsleute als seine Gegner zu sehen – seine Ansicht beeinflussen nicht.«

Unter diesen Gesprächen waren sie am Herrenhause angelangt, und die beiden Mädchen schritten nach dem Gesellschaftszimmer, während die Herren die Bibliothek ausgesucht hatten.

Der Besitzer von Redwood, der ehemalige hessische Offizier Friedrich von Reizenstein, von seinen Nachbarn gewöhnlich nur mit dem Namen des Gutes bezeichnet und angeredet, ließ sich nach seinem Eintritt in das Bücherzimmer in einem Lehnsessel nieder und forderte seinen Sohn John, der nach der Verfügung des Großvaters den Namen Melville führen mußte, um diesen in der Kolonie zu erhalten, durch eine Geberde auf, dasselbe zu tun.

Als die Unruhen in den Kolonien begannen, und immer törichtere und gewaltsamere Maßregeln von Seiten des englischen Ministeriums ergriffen wurden, um die Provinzen zur Botmäßigkeit zurückzuführen, stellten sich Vater und Sohn einmütig auf die Seite der Aufständischen, denn trotz seiner militärischen Erziehung und seiner aristokratischen Abkunft war Reizenstein ganz Amerikaner geworden, hing mit vieler Liebe an seinem Adoptivvaterlande und empfand in dem großen Streit mit dem Mutterlande wie die weit überwiegende Mehrheit der eingeborenen Bevölkerung.

Mit seiner vollen Überzeugung stand er fest auf der Seite des Kongresses.

Nachdenkend vor sich hinsehend saß er jetzt in seinem Lehnstuhle und der Sohn wartete ehrfurchtsvoll, bis es dem Vater belieben würde, zu sprechen.

»Wie mir die Bilder aus der fernen Vergangenheit in der Seele aufsteigen, John, seitdem du mir von den hessischen Truppen gesprochen hast. Ich sehe sie vor mir meine strammen Grenadiere, ich sehe die Freunde meiner Jugend, meine Kameraden, das alte Kassel – die liebe Heimat. – Wie ist es traurig, daß die braven Jungen auf der Seite der Gewalt fechten. – Habt Ihr keine Gefangenen gemacht?«

»Doch, Vater, indes nur wenige. Einen der eingebrachten Grenadiere ließ Washington vor sich führen und bot ihm hundert Acres Land, wenn er zu uns übertreten wollte. Der Grenadier lehnte das Anerbieten mit nachdrücklichem Ernst ab. »Er habe zur Fahne geschworen,« entgegnete er dem General kurz. Diesem gefiel das sehr, er ließ dem Grenadier ein Goldstück überreichen und befahl, ihn freizulassen.

»Hattest du keine Gelegenheit, den Mann zu sprechen?«

»Ich suchte sie und fragte ihn nach den Namen der Kommandeure seines Korps. Er nannte viele Namen hessischer Geschlechter, die ich oft aus deinem Munde vernahm.«

»Wie viel Bekannte und Jugendfreunde ich wohl noch unter den hessischen Offizieren finden würde? Wie fremd bin ich der Heimat geworden? Alle Fäden, welche mich derselben verbanden, sind längst zerrissen, ich selbst bin der Letzte meines Namens. Kein Blutsverwandter lebt mir. Niemand ist mehr drüben, der meiner in rechter Liebe gedächte – ich bin schon längst tot fürs Hessenland.«

»Um so lebendiger, Vater, bist du für die Kolonie und lebst hier ein neues, reiches und segensvolles Leben.«

Der alte Herr fuhr mit der Hand langsam über die Stirn und sagte dann: »Jetzt sprich mir, John, von unserer Sache, offen sage, welche Hoffnungen, welche Befürchtungen hast du?«

»Wenn die Engländer ihren Sieg rasch und energisch ausnutzen, ist die Sache der Kolonien, wie ich fürchte, rettungslos verloren.«

»Das ist traurige Kunde. Wie nimmt es Washington auf?«

»Wie ein Held. Mit unerschüttertem Vertrauen, mit immer gleicher Ruhe und Umsicht rollt er, ein zweiter Sisyphus, den Fels wieder bergauf, der eben jäh darniederstürzte.«

»Er ist ein Mann – Gott segne ihn. Will er New-York halten?«

»Es ist unmöglich, diesen Truppen gegenüber darf er es nicht wagen. Außerdem wird eine zweite Division Hessen erwartet.«

»Deine betrübenden Nachrichten, das stürmische Auftauchen längst begrabener Erinnerungen nahm mich so ganz gefangen, daß ich vergaß, dich zu fragen, ob dein Besuch außer dem Wunsche, uns wiederzusehen, noch eine besondere Veranlassung hat?«

»Sorge um Euch trieb mich her. Es ist für's erste keine Aussicht auf kriegerische Aktionen. Zurück müssen wir, und zwar möglichst weit, das unterliegt keinem Zweifel. In kurzer Zeit steht die englische Armee auf dem Festland und es ist dann nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, daß der Kriegsschauplatz sich bis hierher ausdehnen wird. Ihr könnt also nicht hier verweilen, ohne Euch allen Schrecken und Gefahren des Krieges auszusetzen.«

»Den Delaware müssen sie haben, wenn sie den Krieg nachdrucksvoll führen wollen, und sie wären Toren, wenn sie sich nicht Trentons bemächtigten.«

»Dazu kommt noch, daß die Wilden von den Engländern zum Kampfe gegen die Rebellen aufgestachelt werden.«

»O, schaudervoll, wenn diese Mordbanden entfesselt würden. Ich kenne den Indianerkrieg.«

»Gegen Rebellen ist jedes Mittel recht, Vater, selbst die Bewaffnung dieser wilden Horden,« entgegnete John mit Bitterkeit.

»Was, mein Sohn, würdest du an meiner Stelle tun?«

»An meines Vaters Stelle würde ich Mister Sounderson Generalvollmacht geben und mich, so lange es noch Zeit ist, nach der Küste zurückziehen, nach New-York oder Philadelphia.«

»Und wenn die Königlichen diese Städte okkupieren?«

»So seid Ihr selbst in diesem Falle in der Mitte eines disziplinierten Heeres und steht als friedliche Einwohner unter dem Schutze seiner Befehlshaber.«

»Du gibst mir zu denken, John – du magst ganz Recht haben, – aber – es fällt mir schwer, Redwood zu verlassen.«

»Dazu kommt noch, teuerster Vater, daß der größere Teil der Leute hier durchaus royalistisch gesinnt ist, und du – ein Hesse bist.«

»Was hat letzteres mit der vorliegenden Frage zu tun?«

»Leider sehr viel, mein Vater, man haßt dich hier, seitdem ich im Rebellenheere diene, und ich fürchte, ich darf mich als sein Offizier öffentlich hier nicht sehen lassen, ohne Beleidigungen ausgesetzt zu sein. Deine Parteinahme für die Sache des Kongresses ist dem Volke hier um so widerwärtiger, als du kein Eingeborner des Landes bist, und die Hessen, deine Landsleute, auf jener Seite fechten. Alles dieses, däucht mich, sind Gründe, die dafür sprechen, einen Zufluchtsort aufzusuchen, der weniger Gefahren bietet als Redwood. Dies dir vorzutragen, teuerster Vater, bin ich hierhergeeilt.«

»Ich habe den Leuten hier viel Gutes getan, John, ich bin ein gefälliger Nachbar und leutseliger Herr gewesen – sollte mich das nicht vor niedrigem Haß schützen?«

»Es ist Bürgerkrieg, ich habe auf Longisland gesehen, welch' wilde Leidenschaften der zu entfesseln vermag. Dort,« und John wies zum Fenster hinaus auf den vorübergehenden Indianer, »dort geht der klügste Mann auf Redwood, der mehr sieht, hört und denkt als alle andern und ganz sicher auch die Bewegung unter den Indianern kennt, bitte, frage ihn um seine Meinung. Darf ich ihn hereinrufen?«

»Wenn es dir Vergnügen macht, gern.«

Der junge Melville öffnete das Fenster, rief Bill an und ersuchte ihn, hereinzukommen.

Gleich darauf trat der Indianer in die Bibliothek. Reizenstein hieß ihn sich setzen.

Nach einem dem Geschmacke des Delawaren angepaßten kurzen Schweigen begann John: »Das Beil ist ausgegraben zwischen König Georg und den Kolonien, Bill.«

»Ihm wissen,« entgegnete der Indianer kurz.

»Es ist wahrscheinlich, daß nach unserer jüngsten Niederlage der Krieg sich bis hierher zieht. Würdest du dem Vater raten, hier auf Redwood zu bleiben?«

Des Indianers dunkles Auge richtete sich auf Reizenstein, und nach einer Weile sagte er: »Bill würde gehen mit junge Missus, er nicht bleiben.«

»Aber deine Gründe, Bill, deine Gründe?«

»Was nennen Redwood einen Grund? Wenn große Büchse machen großes Loch in Haus? Nennen das einen Grund? Wenn Rotrock kommt mit Bajonett – zertreten Garten, stehlen Pferde – stechen Kuh und Schwein tot, legen sich in Bett von Master, nehmen Silber, nehmen Gold – und beleidigen Missus – nennen das einen Grund? Er das tun, weil Master Redwood Rebeller gegen König Georg.«

»Die Leute in Trenton und die Farmer hier in der Umgegend sind alle für den Kongreß, nicht wahr, Bill?«, fragte John wieder.

»Master John machen Spaß; er alle hier für König, nicht für Rebeller.«

»Hörst du es, Vater? Master Bill ist natürlich auch für König Georg.«

»Er auch für König Georg, Oneidas für Rebeller fechten – Mahanatha Delawarenkrieger, er immer für König Georg.«

»Nun, da haben wir's,« lächelte der junge Offizier, »der Feind ist im Hause, außer Hetty auch noch der alte Delawarenhäuptling royalistisch gesinnt.«

Schweigend hatte Reizenstein den Indianer, dessen Klugheit er zu schätzen wußte, dessen Anhänglichkeit an ihn und seine Familie seit vielen Jahren erprobt war, angehört.

»Ich hätte nicht geglaubt,« sagte er endlich, »einer so bedrohlichen. Zukunft entgegengehen zu müssen. – Wann denkst du zurückzukehren, John?«

»Morgen, Vater. Mein Herzensbedürfnis, Euch zu sehen und zugleich zu warnen, ist befriedigt, und ich möchte in dieser schwierigen Sachlage doch sobald als möglich wieder bei der Armee sein.«

Reizenstein ging wiederholt auf und ab und sagte dann: »Ich würde hier aushalten, wenn ich glauben dürfte, unserer Sache Vorteil zu bringen – aber es wäre nur unnützes Martyrium, welches ich auf mich nähme. Die Kinder kann ich unter keinen Umständen den Gefahren des Krieges aussetzen, und so will ich mit ihnen nach Philadelphia übersiedeln.«

»Herzlich freue ich mich dieses Entschlusses, Vater, und ich bitte dich, führe ihn bald aus.«

Weniger durch die Gefahr, die eine Annäherung der englischen Armee mit sich führen konnte, war Reizenstein zu dem Entschlusse gebracht worden, Redwood zu verlassen, denn diese war durchaus nicht nahe, als durch die Überzeugung, daß sein Sohn darin Recht hatte, daß die durchaus königlich gesinnte Bevölkerung der Umgebung, die ihm, seit er sich als Anhänger des Kongresses bekannt und seinen Sohn im »Rebellenheer« dienen ließ, durchaus nicht hold gesinnt war, sobald die Nachricht von dem Siege der Königlichen bei Flatbush hierher gelangte, alsbald feindlich entgegentreten würde.

Dem durfte er seine Angehörigen nicht aussetzen. Einmal entschlossen, ließ er alsbald die nötigen Anordnungen zur Reise nach Trenton treffen, ohne selbst den davon sehr überraschten jungen Damen die Gründe dafür anzugeben und noch am Abend verließ er mit den Seinen Redwood, sein Eigentum der Fürsorge seines zuverlässigen Verwalters Mr. Sounderson und des alten Delawaren überlassend.


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