Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

37.
Die Moosweibchen.

(Wildemann.)

Im Innerstetal liegt die Stadt Wildemann, so nach dem letzten Ureinwohner genannt, den die Leute des Herzogs von Braunschweig antrafen, als sie seinerzeit den Bergbau aufmachen wollten und dabei auf große wilde Menschen stießen, die nur mit Laub und Moos bekleidet und mit gewaltigen Keulen bewaffnet waren. Vor dem Rathaus der Stadt steht noch eine Linde, wo die Bergleute einst den wilden Mann festnahmen, den sie gefesselt zum Herzog schickten. Noch vor der Zeit, da die Stadt gebaut wurde, stand dort eine Mooshütte, darin die Moosweibchen hausten. Sie waren ganz von Moos bedeckt und watschelten auf Gänsefüßchen einher. Wie sie zu den hünenhaften Wilden einst gestanden haben, weiß der Chronist nicht zu melden, wohl aber, daß sie diese überdauerten und mit den Bergleuten, die dann ins Land kamen, und mit den durchreisenden Wanderern auf bestem Gänsefuße lebten. Besonders die Wanderer, alle Müden und Verirrten, fanden bei den Moosweibchen eine liebevolle und pflegliche Aufnahme.

Für alle freundlichen Dienste verlangten die geschäftigen Wesen nicht mehr, als daß der bewirtete Wanderer drei Kreuze in einen der Bäume, die um die Hütte herumstanden, eingrabe als Zeichen des Gottes Donar, des Beschützers der Moosweibchen. Ein junger Bergmann, der einst zugewandert war und Arbeit gefunden hatte, war in eines der grünen Weiberlein bis über die etwas abstehenden Ohren verliebt. Das Weiblein fand den Burschen nicht häßlich, zumal er sich nie einfallen ließ, irgend etwas Abfälliges über seiner Geliebten Watschelgang und Gänsefüße zu sagen. Ja, er dachte nicht einmal so etwas, denn er war ein guter Junge und hatte mehrfach selbstgeschmiedetes Gold und Silber gebracht, besorgte unaufgefordert gelegentlich Holzfuhren zur Winterzeit und saß nach der Schicht im Scheine des Kienspan in der guten Stube der Moosweibchen und gaffte die Angebetete stundenlang an, statt den vorgesetzten Erbsbrei mit Wildschweinspeck zu essen. Es war klar, der Bergmann war verliebt.

Das soll ihm ja auch unbenommen sein, obgleich die kleinen Wesen einem Menschen kaum bis in Brusthöhe reichten und überhaupt zur Gattung der Gnomen und Zwerge gehörten, auch was ihr Wesen, Tun und Treiben, ihre Seelenkräfte und übermenschlichen Beziehungen zur Urnatur anbelangt. Aber im Gegensatz zu anderen Wesen der Unterwelt, den Elfen und Hexen, folgten sie nicht dem wilden Jäger, gingen nicht zum Blocksberg, und hielten sich auch sonst jedem Teufelswerk fern. Sie waren reich und taten viel Gutes, freuten sich dafür des Schutzes der Menschen und des Donnergottes gegen die bösen Geister und die wilde Jagd. Das bewirkten vor allem die Kreuze, die in den Bäumen vor ihrer Hütte eingegraben waren.

Soweit wäre also alles gut gewesen. Nun aber ist der Mensch mit seinen Leidenschaften in das Leben der Moosweibchen eingedrungen, und das Unheil nahm seinen Lauf. Bescherte ihnen schon mancherlei Neid ob angeblich ungerechter Verteilung ihrer Gaben viel Unbill, so brach ihnen gar die unheilvollste Leidenschaft, die Eifersucht, schließlich völlig das Genick.

Der Bergmann, Peter mit Namen, der oft in der Mooshütte seine Feierstunden zubrachte und mit seinem verehrten Watschelweibchen schön tat, hatte einen Rivalen gefunden. Michael war ein rechter Springinsfeld, kannte allerlei lustigen Unfug und verblüffende Taschenspielerstückchen, zog pfeifend und hüpfend durch die Welt und mühte sich mit keiner Arbeit. Der kam auch zur Mooshütte, sponsierte just mit Peters moosigem Weiblein, daß der Bergmann nicht mehr wagte, zur Schicht anzufahren, damit er ja die Augen auf Michael behalte. So verlodderte der Eifersüchtige, während der andre sich – und ihm – eins pfiff. Das brachte Peter eines Tages dermaßen in die Wolle, daß er kurzerhand eine Axt nahm und die Bäume bei der Mooshütte fällte. Jetzt, da die Schutzzeichen des Kreuzes gefallen waren, wurden die Moosweibchen vor ihren Feinden vogelfrei, die wilde Jagd brauste mit lange verhaltenem Ungestüm heran und fegte das nützliche Völkchen hinweg, vernichtete die Hütte und vertrieb ihre Bewohner, die seitdem nicht wieder gesehen wurden.

* * *


 << zurück weiter >>