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23.
Wie Wernigerode und sein Rathaus entstanden sind.

Da waren zwei Schwestern, denen derart, wie es im Harze zuweilen geschah, von einer seltsamen Laune gütigen Geschicks durch allerhand Erlebnisse mit Berggeistern und Wunderblumen, große Reichtümer in den Schoß gefallen waren. Sie bauten nun zuerst das Westerntor und die Westernstraße; über dem Tore errichteten sie den Turm, in dem sie selber wohnten. Sie fühlten sich sicher und wohl wie die Schwalben unterm Dach und schauten fröhlich ins Land. Mochte der Feind immerhin kommen; in ihrem Turme fühlten sie sich wohl und geborgen. An einer Winde holten sie sich all das Wenige, das sie zum Leben brauchten, herauf. Eine gute Frau, die unten stand, kaufte es ihnen und legte es in den Korb am Ende des Hanfstrickes. Arbeitslohn war damals noch gering und für Groschen und Pfennige konnte man wochenlang Kisten und Kasten füllen. So lebten die Schwestern und sind auch beide nicht mehr aus dem Westernturme herausgekommen. Sie starben dort oben und man hat dann nie wieder etwas von ihnen gehört. Wohl war das hanfene Seil und die Winde noch lange zu sehen.

Später geschah es, daß ein Kuhhirt, der auf dem Felde mit seinem Weidestock aus langer Weile in der Erde herumstocherte, einmal auf eins ganze Braupfanne voll besten Goldes stieß. Was konnte er damit besseres anfangen, als der Stadt ein Rathaus zu bauen. Und so bekam Wernigerode ein Rathaus, mit welcher Einrichtung erst sozusagen das bürgerliche Heil zu voller Pracht und Blüte zu gelangen vermag. Was Wunder, wenn eine dankbare Bürgerschaft für diese wackere Tat eines Kuhhirten solch lebhaftes Andenken pfleget, daß der Wohltäter am Rathause fein säuberlich konterfeit worden ist, wie er einst gewachsen war und lebte mit Hund und Horn und mit dem Glücksstabs, den er nur brauchte in den Ackerboden zu stecken, um gleich darauf ein reicher und mithin segenvoller Mann zu sein.

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