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Gewaltig und innerlich ergreifend wie die Kirche des heiligen Franz durch ihre Architektur wirkt, gewinnt sie doch ihre höchste Bedeutung durch den reichen Schmuck von Malereien, die alle ihre Wände überziehen, und wer sich mit Liebe in deren Anschauung versenkt, dem wird das wunderbare Geheimnis des künstlerischen Werdens hier vielleicht klarer und deutlicher sich offenbaren, als an irgendeinem anderen Orte der Welt. S. Francesco in Assisi ist recht eigentlich die Wiege der neueren Kunst, die hier zuerst schüchtern, dann immer freier und ungehemmter die Sprache zu finden beginnt, welche, unermeßlich reich im Laufe der Jahrhunderte ausgebildet, das Höchste allgemein verständlich auszudrücken vermochte, was die Menschheit sonst nur ahnend empfunden hat. In San Francesco wird das Losungswort gefunden für die neue künstlerische Bewegung: das Studium der Natur! Wie es dazu gekommen, wie gerade in der von Franz ausgehenden, die Phantasie anregenden Frömmigkeit, in der Wiedergabe seiner in engster Wechselbeziehung zur Natur stehenden Legende der erste Impuls gegeben wurde, haben wir bereits betrachtet. Hier gilt es nur noch einmal im Zusammenhange zu verfolgen, wie bis auf Giottos entscheidendes Auftreten in der Oberkirche von S. Francesco selbst dasselbe vorbereitet wird, wie in den ersten Darstellungen des Lebens des Heiligen bereits das neue formende Element sich geltend macht, wie dieses sich dann in der Unterkirche bestimmter gestaltet und in die obere emporsteigend immer freier sich ausbildet. Daß wir von Schritt zu Schritt durch hundert Jahre hindurch den Werdegang zu verfolgen vermögen, berechtigt uns, die Fresken in Assisi, von so verschiedenen Meistern sie auch geschaffen sind, im Zusammenhange hier zu betrachten, wobei wir für manches auf den vorhergehenden Abschnitt verweisen können. Nicht genug freilich ist es zu beklagen, daß, abgesehen von zwei zu erwähnenden kurzen Notizen, das Archiv uns keinerlei Aufschluß über die in Assisi beschäftigten Maler gewährt und wir demnach bei der Unzuverlässigkeit Vasaris und der Ungenauigkeit der ältesten Quellen ganz darauf angewiesen sind, aus den Werken selbst die Meister und die annähernde Zeit der Entstehung zu bestimmen Literatur: Ghiberti: Commentarii. Vasari. Ausg. Lemonnier I, S. XVIII u. XX. – Vasari. I. Ausgabe 1550. I, S. 128. 141. 152. – Vasari, II. Aufl. Ausg. Milanesi. – Alte handschriftliche Beschreibung nach Lodovicos di Castello Manuskript von 1570 und nach Adone Doni. – Rodulphus: Hist. Ser. religionis libri tres. 1586. Venetiis. – Danach nicht ganz genau die Angaben bei Wadding: Annales II. Bd. J. 1235. S. 397 ff. – Padre Angeli: Collis Paradisi 1704. – Baldinucci: Notizie de' professori del disegno (1681-1728). Ausg. Mailand 1811. – Lanzi: Storia della pittura (1789). Ausg. Bassano 1809. – D'Agincourt: Histoire de l'art. Paris 1811-23. D. Ausg. von Quandt 1840. – Fea: Descrizione. 1820. – Bruschelli: Assisi Città serafica. 1824. – Papini: Notizie sicure 1842. – Kugler: Tübinger Kunstblatt. 1827. Beschr. der Fresken. – Rumohr: Ital. Forschungen 1827-31. Berlin. – Descrizione di S. F. Assisi 1835. – Rosini: Storia della pittura. 1839-54. – Chavin de Malan: vie de St. François. 1841. Ital. Übers. von Guasti. Prato 1879. – Kugler: Gesch. d. Malerei. III. Ausg. 1866. – Crowe und Cavalcaselle: Gesch. d. ital. Malerei. D. Übers. von Jordan 1869. Ital. Ausg. 1875 u. ff. – Förster: Gesch. der ital. Kunst. II. Bd. 1870. – Ders. Denkmale ital. Malerei. – Guardabassi: Indice. 1872. – Rio: L'art chrétien. II. Aufl. Paris 1874. – Schnaase: Gesch. d. b. Künste. II. Aufl. VII. Bd. 1876. – Cristofani: Storie d'Assisi 1875. – Ds. Guide d'Assise. 1877. – Lübke: Gesch. d. ital. Malerei. 1878. – Dobbert in Dohmes Kunst und Künstler. Bd. III. 1878. – Woltmann-Woermann: Gesch. d. ital. Malerei. 1879. – Fratini: Storia della basilica. Prato 1882. – Burckhardt: Cicerone. V. Aufl. 1884. Von neuerer seit der I. Auflage erschienener Literatur hebe ich nur hervor: Strzygowski: Cimabue und Rom. Wien 1888. – Thode: Giotto. Künstlermon. Bielefeld 1899. – Max Zimmermann: Giotto. Leipzig 1899.. Schon die alte handschriftliche Beschreibung bringt ebenso wie Rodulphus in Ermangelung archivalischer Nachweise fast durchweg Vasaris Angaben wieder, so auch im großen ganzen der Padre Angeli, der das Neue, was er gibt, nur willkürlich erfunden. So schleppen sich die alten Traditionen weiter, bis Rumohr denselben entgegentretend kühn das Kritische des eigenen Blickes geltend macht und Crowe und Cavalcaselle sämtliche Wandmalereien einer eingehenden Prüfung unterziehen, die bis jetzt die sachlichste geblieben, wenn sie in einzelnen wichtigen Punkten auch eine entscheidende Widerlegung durch Dobbert gefunden hat. Wir werden im einzelnen sehen, wie die moderne Kritik sich Vasaris Angaben gegenüber verhält, vorauszuschicken ist nur, daß Vasari, wie er selbst versichert, 1563 in Assisi gewesen und damals also seine in der zweiten Auflage verwerteten Studien gemacht hat, während er in der ersten nur das wenige mitteilt, was Ghiberti in seinen Commentarii ausgesprochen. Dieser nämlich erwähnt die Tätigkeit Giottos mit den Worten: »er malte in der Kirche von Assisi im Orden der Minoriten fast den ganzen unteren Teil, er malte in S. Maria degli Angeli«, und weiß von Stefano, daß »in der Kirche von Assisi von seiner Hand begonnen eine Glorie ist, mit vollendeter und sehr großer Kunst ausgeführt; dieselbe hätte, wenn sie vollendet worden wäre, jeden edeln Geist verwundern machen« Dipinse nella chiesa d'Asciesi, nell' ordine de' frati Minori, quasi tutta la parte di sotto, dipinse a S. Maria degli Angeli in Asciesi. – Stefano: nella chiesa d'Asciesi è di sua mano cominciata una gloria, fatta con perfetta e grandissima arte la quale arebbe,, se fosse stata finita, fatto maravigliere ogni gentile ingegno..
Das älteste Denkmal der Malerei in der Kirche ist, seitdem das 1236 von Giunta für den Frater Elias gefertigte Kruzifix verschwunden, das schon oben besprochene Porträt des heiligen Franz, das, vermutlich bald nach 1253 entstanden, kaum einem bestimmten Meister zugeschrieben werden kann und nach den übertrieben bewegten, eckigen Figuren noch ganz der älteren befangenen Richtung angehört.
Ein bedeutender Fortschritt gegen die letztere aber tritt bereits in den halb verloschenen Fresken an den Wänden des Längsschiffes in der Unterkirche zutage. Die ungerechte Zerstörung, die sie um 1300 durch das rücksichtslose Durchbrechen der Wände erlitten, sowie die Schwierigkeit, sie bei der Dunkelheit des Raumes zu erkennen, hat bis zum heutigen Tage verhindert, daß sie ihrem Werte entsprechend geschätzt wurden. Und doch hatte schon Vasari erzählt, daß Cimabue hier »in Gesellschaft einiger griechischer Meister einen Teil der Gewölbe und an den Wänden das Leben Jesu Christi und das des Franziskus gemalt; in welchen Gemälden er jene griechischen Maler weit hinter sich zurückließ« I, S. 251. Vgl. die Besprechung der Bilder bei Crowe It. A. I, S. 256 u. Fratini S. 35.. Entschieden hatte Vasari recht, die Tätigkeit verschiedener Hände in den Bildern zu erkennen, da die Darstellungen aus dem Leben Christi freier und fortgeschrittener sind, als die der Legende des Franz. Auch die zuerst von Fea ohne jede Begründung aufgestellte Behauptung, die häufig bei anderen Schriftstellern, selbst noch bei Fratini wiederkehrt, daß Mino da Torrita und Guido da Siena die Verfertiger gewesen, hat wohl dies eine Wahre an sich, daß zwei Künstler zu unterscheiden sind. Es wäre überflüssig, noch einmal die Folge der Franziskusbilder zu beschreiben S. oben S. 109 f., wohl aber muß hier wiederholt betont werden, daß in allen eine ausgesprochene Beobachtung des Lebens und der Natur, eine in jener Zeit überraschende Einfachheit und Wahrheit der Bewegungen, eine vom alten Schematismus schon entfernte Feinfühligkeit in der Zeichnung der Köpfe, der Wiedergabe momentanen Ausdruckes sich geltend macht, wenn auch das Nackte noch sehr mißlungen, die Faltengebung steif, das Maß der Gestalten überlang erscheint. Was bei den Bildern selbst der vorangehenden Jahrzehnte noch so schwer, ja fast unmöglich erscheint: aus den Werken eine bestimmte Künstlerindividualität heraus zu erfassen, ergibt sich hier von selbst. Wir sahen, daß demselben Meister einige andere Bilder, das eine Kruzifix in Perugia sogar mit großer Sicherheit zuzuschreiben sind, und daß er als begabter direkter Vorgänger Cimabues die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich zieht S. oben S. 77 f.. Von »griechischer Manier«, wie Vasari will, ist schwerlich noch etwas hier zu erkennen, aber auch der Vergleich mit Giunta, wie Crowe und Cavalcaselle ihn vornehmen, ist sicher unbillig. Lassen nun aber die Franziskusdarstellungen einen zart empfindenden, auf Grazie und Anmut ausgehenden Künstler voraussetzen, so macht sich im Leben Christi eine größere Breite und Derbheit, zugleich aber auch eine größere Monumentalität geltend. Von den sechs Bildern zeigen uns vier figürliche Darstellungen, von denen leider nur immer eine Hälfte erhalten ist.
1. (von der Eingangsseite aus) Nur die rechten Teile noch vorhanden: eine Anzahl von Männern stehen nach einem links befindlichen Kreuze zugewandt, an das eine Leiter angelehnt ist.
2. Wohl die linke Seite der vorigen Komposition: die Gruppe der Frauen. Maria steht mit etwas gesenktem Haupte in fast weißem Untergewande, blauem Mantel nach rechts gewandt, rechts von ihr Johannes in rotem Untergewande, hellem Mantel. Links drei Frauen, von denen die eine den Kopf auf die Hand stützt. Ganz rechts oben noch der rechte Arm des gekreuzigten Christus zu erkennen. Oben die Inschrift: ecce mater tua. Es ist demnach der Augenblick der Kreuzigung dargestellt, in dem Christus seinem Lieblingsjünger die Mutter empfiehlt.
3. Die rechte Hälfte der Kreuzabnahme. Von dem auf der Leiter von einem graubärtigen Manne gehaltenen Leichname ist nur noch der Körper ohne Hals und Kopf sichtbar. Rechts von ihm steht Johannes, die linke Hand Christi küssend, weiter unten davor kniet Joseph von Arimathia, in der rechten Hand einen Hammer, mit der Linken wie es scheint beschäftigt, den Nagel aus den Füßen herauszuziehen. Weiter rechts dahinter eine Frau. Die sehr lebhaften Farben, namentlich ein kräftiges Rot, sind noch jetzt gut erhalten. Was hier noch zu sehen, stimmt selbst in den Typen der Köpfe genau überein mit dem oben erwähnten kleinen Bilde der Galerie in Perugia Nr. 22, das sicher von dem Meister des Franziskus gemalt worden ist.
4. Die Beweinung Christi. Der Heiland, von dem nur noch der Oberkörper sichtbar ist, liegt rechts auf einem Stein ausgestreckt. Links scheint die ohnmächtig werdende Maria von drei Frauen gehalten zu werden. Hinter Christus sieht man Johannes, in der Höhe sind Engel sichtbar. Eine Überschrift besagt: mulieres sedentes ad monumentum.
5. Hier scheinen Bauten in einer Landschaft dargestellt gewesen zu sein, ohne Figuren.
6. Hatte keine Figuren, sondern nur kreisförmige Ornamente.
Die Rahmen der Bilder, die Gurte, Rippen und Einfassungen der Gewölbe sind mit romanischen Ornamenten verziert: meist geometrischer Art, wie Zickzacklinien, Schachbrettmuster, Rosetten, daneben auch stilisierte Blätter und Ranken. Auch das Gewölbe über der Vierung hatte, wie einige geringe Reste am unteren Ende zweier Rippen zeigen, eine gleiche Dekoration, ehe Giotto seine Allegorien hier malte; daß das Querschiff bemalt gewesen, möchte ich bezweifeln, da der einzige erhaltene Teil älterer Fresken: Cimabues Madonna mit den Engeln, schon einer späteren Zeit angehört Vgl. für die Ornamentik die unvollendeten Studien von Andreas Aubert in der Zeitschr. f. bild. Kunst. N. F., S. 185 ff., 285 ff..
Was sich mit Bestimmtheit aus dem Stile der Darstellungen von Christi Passion ergibt, ist, daß sie von einem Künstler geschaffen wurden, der zwischen dem Meister des Franziskus und Cimabue, wie er sich in seinen weiter unten besprochenen Fresken der Oberkirche zeigt, mitten inne steht. Ohne die Großartigkeit und Sicherheit der letzteren in der Zeichnung zu erreichen, zeigen sie doch ebensoviel Verwandtschaft mit ihnen wie mit des Franziskus Legendenbildern. Verglichen mit diesen sind die Figuren derber, breiter, untersetzter, die Köpfe größer und energischer gezeichnet, mit jenen starkknochigen Nasen, die Cimabue liebt; die Gewänder fallen in kunstvoller gelegten, massigeren Falten. Vasaris Behauptung, daß Cimabue selbst als junger Mann an der Ausmalung der Unterkirche beschäftigt gewesen, hat demnach eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, wenn ich ihm auch nicht mit voller Bestimmtheit die Passion zuschreiben möchte. Es ist durchaus glaublich, daß seine Jugendwerke so ausgesehen haben, ehe er zur vollen Entwicklung gelangte – dann aber wäre jener unbekannte Meister des Franziskus sein direkter Lehrer gewesen. Damit würde auch die Zeit der Entstehung der Fresken vollständig übereinstimmen. Das Kruzifix in Perugia, das den Franzdarstellungen so durchaus verwandt ist, ward 1272 gemalt. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre mögen auch diese entstanden sein. Demnach würde Cimabue etwa im Alter von zwanzig Jahren die Arbeit seines Vorgängers vollendet haben. Nur durch den Namen Giuntas verführt, hat man bisher die Wandmalereien zu früh, schon in die Mitte des Jahrhunderts verlegt.
Die Vermutung der Autorschaft Cimabues gewinnt aber noch an Wahrscheinlichkeit, vergleichen wir nun die ältesten Fresken der Oberkirche, die, wie mir scheint, bald, vielleicht unmittelbar nach der Vollendung derjenigen in der Unterkirche in Angriff genommen wurden.
Die Fresken im Querschiff und Chor der Oberkirche. Mit großem Unrecht hat man bisher seit Vasari das Hauptinteresse den biblischen Darstellungen im Langhause und den Gewölbemalereien zugewandt. Nur die traurige Erhaltung der Fresken im Querschiff und im Chor kann dies einigermaßen entschuldigen, obgleich selbst die Reste noch ein beredtes Zeugnis ablegen von der weit höheren Bedeutung, welche diese Werke für die Geschichte der Kunst und für die Kenntnis Cimabues haben. Um kurz das Resultat wiederholter eingehender Untersuchungen vorwegzunehmen: es scheint mir zweifellos, daß bis auf wenige kleine Teile das Querschiff und der Chor von Cimabue selbst, das Längshaus nur von dessen Schülern ausgeschmückt worden ist. Und ferner: jene Darstellungen haben den Ausgangspunkt zu bilden für eine Würdigung des großen Vorgängers von Giotto. Vasari selbst, der mit Ausnahme der Franzlegende die ganze Oberkirche von Cimabue ausmalen läßt, ward wohl nur durch die zu seiner Zeit schon eingetretene Zerstörung jener wichtigsten Fresken verhindert, sie zu ihrem Vorteile genau mit denen des Langhauses zu vergleichen. Dann brachte Pater Angeli die für die ganze Folgezeit verhängnisvolle Meinung auf, der nördliche Kreuzarm und der Chor sei von Giunta bemalt worden, jenem Pisaner Meister, der so eine durch nichts gerechtfertigte Bedeutung für die Entwicklung toskanischer Kunst erhielt. Wie man gerade auf Giunta geriet, ist leicht zu verstehen – man mag seinen alten echten Kruzifixus, welcher sich in der Oberkirche befand, mit dem großen Fresko der Kreuzigung Christi im nördlichen Querschiff verwechselt haben, und kam dann höchst logisch dazu, demselben Künstler auch die anderen Darstellungen zuzuschreiben. Wie fest dies Vorurteil sich eingebürgert, zeigen selbst Crowe und Cavalcaselle, die doch so richtig verschiedene Hände in den Fresken des Längshauses erkannt, im rechten Kreuzschiff und Chor aber im wesentlichen Giuntas Manier und nur im südlichen Arm einen an Cimabue gemahnenden Fortschritt gewahren Ital. Ausgabe. I, S. 261. S. 318 ff. D. A. I, S. 142.. Einen Fortschritt finde auch ich allerdings, aber nur innerhalb der Entwicklung eines und desselben Meisters, der mit dem nördlichen Querschiff beginnend im Verlaufe der Arbeit immer freier und bedeutender seine Individualität herausgestaltet, bis diese in der großen Kreuzigung des linken Querschiffes ihr Höchstes ausspricht An dieser Meinung halte ich trotz Zimmermanns Behauptung (a. a. O. S. 209 ff.), im rechten Querschiffe habe ein älterer Meister gearbeitet, fest.. Wer sich davon überzeugen will, darf freilich nicht die Mühe scheuen, aus den erhaltenen Resten sich geistig das Ganze zu rekonstruieren. Daß dies wohl möglich ist, mag die Beschreibung im folgenden zeigen.
Die Hauptursache der starken Zerstörung der Fresken ist in der Feuchtigkeit zu sehen, die namentlich unter den Fenstern geradezu vernichtend gewirkt hat. Da sich von den Farben nur wenige Reste erhalten haben, machen die Bilder jetzt durchaus den Eindruck von Negativen: das Fleisch und die hellen Teile überhaupt sind schwarz geworden, die Schatten aber und alle dunklen Partien erscheinen nunmehr licht, und zwar von einer Art Tonfarbe. Reste des kräftig blauen Hintergrundes sind noch überall sichtbar. Daß die unteren Teile am stärksten gelitten, erklärt sich daraus, daß bis auf die neueste Zeit hier die Chorstühle standen, welche die Luft absperrten und dadurch den durch die Nässe hervorgebrachten Prozeß beschleunigten In der Höhe derselben sind zahlreiche Sgraffiti zu sehen, Kritzeleien der Mönche, welche, die Zeit zu verbringen, ihre Namen auf diese Weise verewigten, darunter manche noch aus dem 15. Jahrhundert.. An vielen Stellen läßt sich deutlich sehen, wie konservierend ein freier Luftzug gewirkt; so sind z. B. rechts auf der großen Kreuzigung im südlichen Querschiff die Füße einiger Männer besonders gut in den Farben konserviert, weil hier innerhalb der Wanddecke über einer dort befindlichen Türe etwas freier Raum ist, in dem die Luft zirkulieren kann. Die Gurte und Gewölbe sind in den Farben ziemlich wohl erhalten, die Säulen und deren Kapitäle aber, die durchweg einen roten Grund haben, weisen nur noch Reste der ehemaligen Bemalung auf. Neben der Feuchtigkeit trägt aber auch der sehr dünne Intonaco Schuld an der Zerstörung. Offenbar hatte Cimabue noch keine großen Erfahrungen in der Technik der Wandmalerei; schon für die Gemälde des Längshauses wird ein stärkerer Intonaco angewendet; am stärksten tritt er endlich in Giottos Fresken auf. So sehen wir auch in rein technischer Beziehung innerhalb der Mauern von S. Francesco Giottos neuen Stil durch mancherlei Erfahrungen hindurch sich vorbereiten.
Vielleicht dürfte es nach diesen Vorbemerkungen manchem kühn erscheinen, aus so erloschenen Fresken noch den Stil und die Formen eines bestimmten Meisters erkennen zu wollen, doch ist dies in der Tat durchaus nicht gewagt. Nach kurzer Übung des Auges läßt sich nicht allein die Komposition in ihren großen Zügen, sondern auch die Zeichnung in den Typen und Gewändern der Figuren erkennen, die gleichsam in ihrem Knochengerüst vielfach erhalten sind. Wir beginnen die Betrachtung mit den offenbar ältesten Darstellungen im nördlichen Kreuzarm.
I. Das nördliche Querschiff.
A.
Ostwand: 1. Die Kreuzigung Abgeb. nach Feas Angabe im Magazzeno toscano di pitture, Ediz. di Livorno und bei d'Agincourt: Taf. CII, 4, welcher das Haar Christi mißverstehend demselben ein Kopftuch gibt und auch den bartlosen Kopf des Franz, der jetzt nicht mehr erhalten ist, wiedergibt.. In der Mitte hängt Christus, den stark ausgebogenen Körper mit vier Nägeln befestigt, am Kreuze. Auf jeder Seite schweben sechs heftig bewegte Engel. Drei derselben fangen das Blut in Schalen auf, die anderen legen schmerzbewegt die Hände an den Kopf oder erheben sie klagend. Am Fuße des Kreuzes kniet ein heiliger Mönch, wohl Franz. Links steht ein Soldat, die Lanze erhebend, rechts ein Mann, der ein Rohr mit Schwamm zu Christus emporreicht. Weiter links sieht man von drei Frauen umgeben Maria ohnmächtig werdend, dahinter zahlreiche Köpfe. Rechts stehen dicht geschart nebeneinander bärtige Männer, von denen einer lebhaft die Hand nach Christus ausstreckt. – Zeigt die untere Hälfte noch ganz die ruhige Gruppenordnung der älteren Kunst, so tritt in den Engeln, die außerordentlich bewegt eine getragene, aber gewaltige Leidenschaftlichkeit verraten, etwas durchaus Neues auf, eine Innerlichkeit und Kraft der Empfindung, wie man sie gewohnt ist erst in Giottos Schöpfungen zu finden – es sind die ersten Boten einer anderen Zeit. Glücklicherweise ist der Kopf des Christus zunächst rechts fliegenden Engels so wohl erhalten, daß wir aus ihm mit Sicherheit darauf schließen können, daß der Künstler derselbe ist, der in der Unterkirche die Madonna mit den Engeln geschaffen, die von allen Schriftstellern bisher mit Recht dem Cimabue gegeben wurde. Die stark ausgebogene Stellung von Christi Körper, dessen breite kräftige Zeichnung von derjenigen der Kruzifixe Giuntas durchaus abweicht, erinnert an die Werke Margaritones und seiner Zeitgenossen. Die unteren Figuren zeigen vielfache und nahe Beziehungen zu denen der Passion in der Unterkirche, stehen aber, namentlich was die derben Formen der Köpfe, das Verhältnis derselben zu den kürzeren Gestalten betrifft, bereits in größerem Gegensatz zu den Bildern des Meisters des Franziskus Aus der besseren Erhaltung, der schwachen Zeichnung und den frisch gezogenen Umrissen geht deutlich hervor, daß einige Teile später, wohl im 16. Jahrhundert, restauriert worden sind: so der Oberkörper und Kopf der Maria, die damals einen roten Mantel erhielt, das Gewand und der Mantel der sie links haltenden Frau, die Beine des Mannes mit dem Ysop und die fast ganz zerstörte neben diesem sitzende Figur..
Darüber an der Mauerwand unter der Galerie befinden sich sechs Heilige, von denen nur der eine bärtige mit Kreuzstab und ein anderer jugendlicher noch einigermaßen zu erkennen sind. Über den Bögen der Galerie sind Halbfiguren von Engeln, welche die Rechte vor die Brust erheben, in der Linken Szepter halten.
2. In der Lünette: Die Transfiguration. Noch erkennbar sind Christus in der Mandorla, links und rechts eine kniende Figur, unten die drei schlafenden Jünger, von denen der in der Mitte befindliche die Hand erhebt.
B. Nordwand. Unten drei Darstellungen:
1. Sehr zerstört. Die ganze Bildfläche wird von einer bergig felsigen Landschaft ausgefüllt, links befindet sich ein kirchenartiges Gebäude. Viele Kopf an Kopf gedrängte Männer mit Lanzen in der Hand kommen links und rechts den Berg herab.
2. Die Kreuzigung Petri. In der Mitte hängt Petrus mit dem Kopfe nach unten am Kreuze, rechts stehen drei mit Nimben versehene Figuren, links eine dichtgedrängte Schar von Menschen. Dahinter links wird eine Pyramide, bei welcher der Künstler offenbar an die des Cestius gedacht, rechts ein phantastischer pyramidaler Bau von mehreren Stockwerken mit Fenstern sichtbar.
3. Die Beschwörung des Simon Magus Abgeb. bei D'Agincourt CII, 1 u. 2.. In der Mitte befindet sich ein wie aus vier Leitern aufgebautes Holzgerüst, über welchem Simon mit einem Kranz im Haare von fünf Dämonen mit langen Ohren, Tierköpfen und Fledermausflügeln schwebend getragen wird. Links steht Petrus, die Rechte beschwörend erhoben, neben ihm kniet ein bärtiger Mann, der nach rechts oben weist. Dahinter links sind Häuser, rechts ein Gebäude mit gewölbtem, segelförmigem Dach, das auf vier Säulen ruht (wie es auf Bildern jener Zeit ja häufig vorkommt). – An der oberen Wand ist links vom Fenster eine bärtige Heiligenfigur mit erhobener rechter Hand, rechts ein gerüsteter Heiliger mit Stirnreifen im Haar undeutlich zu erkennen.
C. Westwand. Unten zwei Darstellungen:
1. Vor einem tabernakelartigen Bau, aus vier schlanken Säulen bestehend, die über Rundbogen ein spitzes Dach tragen, steht Petrus, die Rechte nach rechts ausstreckend, wo zahlreiche Personen sitzen und stehen, über denen Teufel in der Luft fliegen. Links sieht man zwei bärtige und einen jugendlichen Heiligen, im Hintergrunde einige Gebäude. Vermutlich ist der Tod des Ananias und der Saphira dargestellt. Mehr als durch die zuletzt erwähnten Gemälde ist es hier und beim folgenden möglich, ein Bild von der Eigenart des Meisters zu gewinnen. Es sind höchst bedeutende Figuren, großartig einfach und ruhig, in Haltung und Bewegung von jener sicheren bewußten Majestät, die im 13. Jahrhundert nur bei Cimabue begegnet.
2. Vor einem wie es scheint achteckig gedachten Gebäude mit Kuppel, an welches ein an das Pantheon erinnernder Portikus mit Spitzgiebel auf vier kanellierten Säulen gelegt ist, steht Petrus nach rechts gebeugt, die Hände offenbar nach einer nicht erhaltenen, vielleicht knienden Figur ausgestreckt. Rechts ist eine Gruppe von Männern, links ein jugendlicher, wie es scheint bartloser Heiliger. Links und rechts dahinter je ein Gebäude. Dargestellt ist offenbar die Heilung des Lahmen vor der Tempeltür.
Unter der Galerie sind sechs Heilige zu sehen, deren erster langbärtig mit Schwert als Paulus gekennzeichnet ist. Von den anderen sind nur zwei jugendliche erhalten. Es sind, wie an der Ostwand, offenbar Apostel, ruhig statuarisch stehende Figuren. In der Lünette sind nur wenige Reste vorhanden: in der Mitte ist noch ein Thron erkennbar, umgeben von den Evangelistensymbolen, von denen nur der Ochse zu konstatieren ist.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das nördliche Querschiff dem Petrus geweiht war. Alle Fresken sind von einer und derselben Hand, wenn auch die zuletzt beschriebenen den Stil ausgeprägter, die Zeichnung der Typen bestimmter und breiter erkennen lassen. Daß diese durchaus mit denen Cimabues übereinstimmen, soll unten noch näher begründet werden.
II. Der Chor.
An den unteren Teilen der fünf Wände befinden sich Darstellungen aus den letzten Zeiten der Maria, der die Tribüne geweiht war. Wir beginnen auf der linken Seite:
1. Die letzten Augenblicke der Maria. Die Szene ist durch einen mit Cosmatenmosaik verzierten Rahmen, von dem drei Ampeln herabhängen, eingeschlossen. Padre Angeli sieht in ihr die »ultima valetudo Mariae«, Cavalcaselle den Besuch der Apostel. Die Jungfrau liegt von den zwölf sitzenden Jüngern umgeben mit gekreuzten Armen, erhobenem Kopfe, offenen Augen auf dem Lager, an dessen Fußende rechts etwas höher eine hochaufgerichtete bärtige Figur steht, welche wie predigend, in der Linken eine Rolle, die rechte Hand ausstreckt. Offenbar nehmen seine Worte die Aufmerksamkeit der Anwesenden in Anspruch.
2. Der Tod der Maria. In der oberen Hälfte des Bildes steht Christus, durch den Kreuznimbus gekennzeichnet, ein Kind mit Heiligenschein, also die Seele der Maria, im Arm. Links und rechts befindet sich ein in drei Reihen angeordneter Heiligenchor. In der Mitte gegen unten sieht man noch die untere Hälfte der liegenden Maria, die von den Aposteln umgeben war.
3. Hier ist der päpstliche Thron angebracht, hinter dem in Medaillons die Brustbilder der zwei um die Kirche verdienten Päpste Gregor IX. und Innocenz IV. gemalt sind.
4. Die Himmelfahrt der Maria Abgeb. bei D'Agincourt CII, 3.. In der Mitte unten befindet sich ein Sarkophag, mit einem Gewand bedeckt, auf welchem Punkte (die Rosen?) angegeben sind. Zur Seite sind je sechs Apostel zu dreien angeordnet, darüber die ganze Breite ausfüllend drei Reihen von Heiligen, deren unterste einfache Heiligenscheine, die zweite Kronen, die dritte Tiaren trug. Darüber in einer von vier Engeln gehaltenen Glorie gewahrt man Christus en face und neben ihm Maria sitzen, die ihr Haupt an das seine legt. Die Haltung der beiden ist nicht mehr mit vollständiger Sicherheit festzustellen, doch dürfte d'Agincourt recht gesehen haben.
5. Die Glorie der Maria. In der Mitte oben befindet sich ein großer hölzerner Thron, wie er aus sonstigen Bildern Cimabues bekannt ist. Auf demselben sitzt links Maria, beide Hände öffnend, rechts Christus, der in der Linken ein Buch hält und mit der Rechten segnet. Zu beiden Seiten sind Reihen von Heiligen, die zum Teil Diademe, zum Teil Tiaren tragen, darüber Engel. Unten befinden sich Mönche und gleich oberhalb derselben in zwei Reihen Heilige ohne Abzeichen.
An der Hinterwand der Galerie sind rechts drei Heilige, den Tiaren nach zu schließen: Bischöfe mit Büchern, links drei Heilige mit Zetteln dargestellt. Darüber sieht man innerhalb gemalter Archivolten auf der linken Seite Maria die Hände erhebend zwischen zwei Engeln, auf der rechten in der Mitte eine Figur mit gekreuzten Armen (Maria?), links einen sich derselben zuneigenden jugendlichen Heiligen, hinter dem ein anderer bärtiger steht, und rechts einen Mann, der mit einer Axt auf vor ihm stehende Tafeln zu schlagen scheint.
Am schwersten zu rekonstruieren sind die Fresken in den Lünetten. In der links befindlichen scheint oben die Geburt der Maria dargestellt zu sein: man erkennt noch eine im Bette liegende heilige Frau, zu der eine andere mit Nimbus geschmückte Figur tritt. Darunter ist die Verlobung von Joseph und Maria erzählt: unter einem von vier Leuten getragenen Baldachin schreiten die beiden, Joseph mit dem Stab in der Hand, auf dem ein Vogel sitzt, nach rechts. – In der Lünette rechts ist oben noch zu sehen, wie der Engel dem in einer Landschaft sitzenden Joachim erscheint. Darunter werden zwei mit Nimben versehene Personen von einem Engel zu einem unter einer Ädikula sitzenden Heiligen geführt. (Das Opfer Joachims?)
Endlich sind noch in den Leibungen der Nischen Heiligenfiguren in Medaillons und in den Fensterleibungen je acht stehende Heilige und vier Brustbilder von Engeln zu erwähnen, die aber alle zu sehr zerstört sind, um einzeln benannt werden zu können.
III. Das südliche Querschiff, das dem heiligen Michael geweiht ist.
A. Die Ostwand zeigt wie die des nördlichen Kreuzarmes eine figurenreiche Kreuzigung, die ich zur Unterscheidung von der andern kurz die zweite nennen will. In der Mitte hängt Christus am Kreuz mit getrennt angenagelten Füßen, einem nicht mehr so stark wie dort ausgebogenen Körper, um die Hüften ein nach rechts flatterndes Tuch. Links und rechts schweben je sieben Engel (rechts jetzt nur noch fünf sichtbar), von denen drei die Schalen unter die Wunden halten, die andern klagend die Hände an das Gesicht legen, weit ausstrecken oder erheben. Unten kniet, wie es scheint, der heilige Franz. Links steht eine Frau in großartig aufgeregter Bewegung, die Arme nach oben werfend und ausschreitend, daneben links, etwas nach links sich wendend, ein Heiliger (Johannes?), die Linke erhoben, mit der Rechten Marias Hand fassend, die weiter links steht und die Linke an die Brust legt. Dann folgen links drei Frauen, die erste mit gefaltet gesenkten Händen, die zweite mit der Linken das Auge trocknend und die Rechte erhebend, die dritte mit erhobener rechter Hand. Dahinter zahlreiche Köpfe Von dieser Gruppe eine ungenaue Abb. bei d'Agincourt CII, 8.. – Rechts vom Kreuze steht ein Heiliger, der mit der Linken seinen Mantel hält, die Rechte in schmerzvoller Bewegung hoch nach oben ausstreckt, hinter ihm ein Mann, der Schild und Lanze hält, und ein anderer gleichfalls mit erregter Handbewegung. Weiter rechts eine ganze Schar von Männern. Das Ganze ist eine Darstellung von zündender Gewalt, und ich stehe nicht an, sie für Cimabues größtes Werk zu halten.
An der Hinterwand der Empore sind drei mächtige Engel abgebildet, welche die Linke am Gewand, in der Rechten einen Stab vor der Brust halten und große aus roten Schwungfedern und weißen Deckfedern bestehende Flügel tragen. Diese, wie die Pendants auf der andern Seite, sind von allen Bildern am besten erhalten, so zwar, daß selbst die rote Haarfarbe noch erkennbar ist.
In der Lünette ist gar nichts mehr erhalten.
Die Fresken der andern beiden Wände stellen Szenen aus der Apokalypse vor und sind sachlich ebenso interessant, wie künstlerisch.
B. Südwand.
1. In der Mitte nach oben zu sieht man in einer Mandorla einen Altar, auf dem ein Kind mit Kreuznimbus zu liegen scheint, umgeben von vier Medaillons mit den Evangelistensymbolen. Rings um die Mandorla erscheinen dicht hintereinander gereiht, alle in vorgebeugter Haltung, die 24 Ältesten, mit Diademen oder Tiaren geschmückt (die 12 links sind noch zu zählen). Zwischen ihnen in der Mitte unten stehen zwei vasenartige Gefäße, und unter diesen wird ein nach links bewegter Engel mit Buch(?) sichtbar, zu dem sich von links und rechts je eine heilige Figur zeigt. Außerdem sind auf beiden Seiten noch zwei Engel zu sehen. Außerhalb des Kranzes der 24 Ältesten befinden sich oben noch je vier Köpfe mit Nimben, darüber links drei, rechts vier Engel. – Offenbar illustriert diese figurenreiche Darstellung das 4. und 5. Kapitel der Apokalypse: das Gesicht von dem Thron der Majestät, um den auf Stühlen die 24 Ältesten saßen und die vier lobpreisenden Tiere. In der Figur unten aber ist der starke Engel zu sehen, der mit großer Stimme predigte: »Wer ist würdig, das Buch aufzutuen und seine Siegel zu brechen?« Derselbe wird als Michael gedeutet.
2. Vor einer aus roten Häusern bestehenden Stadt, die mit einer in vier Ecken gebrochenen Mauer umgeben ist, stehen vier Engel mit großen Flügeln, jeder ein Füllhorn im linken Arme haltend. Links und rechts befindet sich je ein hochragender, mit Bäumen bewachsener Berg. Links oben ist die Sonne, in der Mitte ein fliegender Engel bemerkbar. – Der Darstellung liegen die Verse 1-3 des 7. Kapitels der Apokalypse zugrunde: »Und darnach sahe ich vier Engel stehen auf den vier Ecken der Erde, die hielten die vier Winde der Erde, auf daß kein Wind über die Erde bliese, noch über das Meer, noch über einige Bäume. Und ich sahe einen andern Engel aufsteigen von der Sonne Aufgang, der hatte das Siegel des lebendigen Gottes und schrie mit großer Stimme zu den vier Engeln, welchen gegeben ist zu beschädigen die Erde und das Meer.«
3. In einer Mandorla, unter welcher ein Thronsessel oder Altar steht, sitzt Christus, die Rechte erhoben, von acht posaunenden Engeln umgeben, von denen die vier links befindlichen, da sie gut erhalten sind, besonders wichtig für die Bestimmung des Meisters sind. Über dem Altar fliegt rechts ein Engel, der ein Rauchfaß schwingt. Unten knien zahlreiche Figuren, unter denen Mönche, vielleicht auch Franz, zu erkennen sind. – Zweifellos handelt es sich hier um das in Kap. 7 und 8 geschilderte Gesicht der Versiegelung der Heiligen: »Und da er das siebente Siegel auftat, ward eine Stille in dem Himmel, bei einer halben Stunde. Und ich sahe sieben Engel, die da traten vor Gott, und ihnen wurden sieben Posaunen gegeben. Und ein anderer Engel kam und trat bei [an den] Altar und hatte ein goldenes Rauchfaß; und ihm war viel Räuchwerk gegeben, daß er gäbe zum Gebet aller Heiligen, auf den goldenen Altar vor dem Stuhl.«
An den schmalen Wandräumen neben dem Fenster sind links noch Reste von großen übereinander angeordneten stehenden Engeln erhalten. In der Leibung der Fenster waren vierzehn Brustbilder von Engeln, von denen acht recht gut erhalten sind. Sie haben alle ein Untergewand mit reicher Borte, einen Mantel über der linken Schulter, in der Linken das Szepter, die Rechte vor der Brust.
C. Westwand.
1. Links hinter einer in Toren geöffneten Mauer mit Türmen und Zinnen sieht man eine in gewaltsamer Weise in sich zusammenstürzende Stadt. Aus dem Tore links schauen Leute heraus, rechts glaube ich Teufelchen in Flammen zu gewahren. In der Mitte rechts steht ein Vogel, zweifellos ein Strauß Der Strauß als unreiner Vogel. Man vgl. eine Stelle in den Predigten des Antonius von Padua, wo er dem Heuchler verglichen wird: Struthio, quae pennas habet, sed propter corporis sui magnitudinem volare non potest, hypocritam significat, qui terrenorum amore et onere aggravatus sub penna falsae religionis se mentitur accipitrem volatu contemplationis. (Siehe die sermones Dominicales: Dom. I in Quadragesima. Opera S. Antonii. Ausg. des J. de la Haye. Stadt am Hof. 1739. S. 137. – Vgl. ähnliche Stellen ebend.: Expositio mystica in lib. Job. cap. 39. S. 461 und Dominica X post Trinitatem S. 259.), links davon die Karikatur einer menschlichen Figur, hinter der drei ähnliche andere mit ausgestreckten Armen zu sehen sind. Links oben sind die Sphären des Himmels angegeben und Reste eines Engels. Von einer fast ganz zerstörten Inschrift ist noch zu lesen:
aedes Dni descendens ... erit draco.
Es ist die Illustration von Kap. 18 der Offenbarung, der Fall Babylons: »Und darnach sahe ich einen andern Engel niederfahren vom Himmel, der hatte eine große Macht und die Erde ward erleuchtet von seiner Klarheit. Und schrie aus Macht mit großer Stimme: ›Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon die große, und eine Behausung der Teufel geworden und ein Behältnis aller unreinen und feindseligen Vögel.‹«
2. Die ganze Bildfläche ist wie von Flammen oder Fluten durchweht, die nach rechts oben schlagen. In der Mitte sitzt ein Engel, der einen rechts neben ihm befindlichen Heiligen nach links auf etwas aufmerksam macht. In den Wellen sind deutlich Fische zu erkennen. Auf zwei Stellen der Offenbarung könnte diese Darstellung bezogen werden, entweder auf Kap. 18, V. 21: »Und ein starker Engel hob einen großen Stein auf als einen Mühlstein, warf ihn ins Meer und sprach: ›Also wird mit einem Sturm verworfen die große Stadt Babylon, und nicht mehr erfunden werden‹« – oder auf Kap. 22, 1: »Und er zeigte mir einen lauteren Strom des lebendigen Wassers, klar wie ein Krystall; der ging von dem Stuhle Gottes und des Lammes.« Im ersteren Falle, der mir wahrscheinlicher dünkt, ständen also die beiden zuletzt erwähnten Fresken in direktem Zusammenhange.
Unter der Galerie sind, wie auf der Ostwand, drei Engel zu sehen, außerdem aber noch über den Bögen sechs Halbfiguren von Engeln, die in den Händen eine ovale Scheibe halten, auf der eine Art Turm abgebildet ist.
An der Lünette sieht man in der Höhe drei parallel nach links ausschreitende Engel, deren vorderster einem Drachen den Speer in den Rachen stößt. Rechts von demselben andere Dämonen Abb. bei d'Agincourt CX, I – ziemlich verläßlich, wenn auch Michael jetzt nicht mehr so deutlich erkennbar ist und die Überreste der Dämonen etwas willkürlich gegeben sind..
Schließlich haben wir noch
IV. das Vierungsgewölbe zu betrachten, an welchem die vier Evangelisten, auf hohen Stühlen sitzend, zu sehen sind.
1. Matthäus, langbärtig, in blauem Mantel, stützt den linken Arm auf das Schreibpult und hält in der Rechten ein Buch.
2. Markus, bärtig, in blauem Gewande, die Linke mit Buch auf dem Pult, in der Rechten die Feder. Rechts liegt der Löwe. Oben ein Engel, der den Evangelisten am Kopfe berührt. Rechts eine in gedrängter Gebäudeanordnung gegebene Ansicht von Rom Vgl. Strzygowski: Cimabue und Rom. S. 87..
3. Der blondbärtige Lukas schreibt in ein Buch, oben ein Engel. Rechts vom Pult der Ochse und weiter rechts das Gebäude.
4. Johannes, bärtig, mit beiden Händen ein geöffnetes Buch haltend. Rechts der Adler. Das Schreibpult hier links. Rechts ein Gebäude, vor dem ein an das Pantheon oder den Minerventempel in Assisi erinnernder spitzgiebliger Portikus sich befindet.
Drei Heiligen: Maria, Petrus und Michael wurden die drei Altäre der Oberkirche geweiht, und das ist sicher kein Zufall, da, wie wir oben gesehen haben, gerade sie es sind, für welche Franz eine besondere Devotion hatte. Aber mehr noch: die Darstellung des heil. Michael und der auf ihn bezüglichen apokalyptischen Szenen wird zu gleicher Zeit eine symbolische. Sah man doch in Franz selbst die Weissagung von dem siebenten Engel der Apokalypse erfüllt Man vgl. auch die gekünstelte Auslegung der apokalyptischen Stelle bei B. Pis. conf. lib. I. fr. I S. 9 v. Danach bedeutet das große Erdbeben die Verfolgung der Kirche durch Friedrich II., die schwarze Sonne den Papst, der im Dunkeln gelebt, bis man ihn in Venedig fand, der blutige Mond die durch die Tötung des Geistlichen befleckte Kirche, das Fallen der Sterne den Abfall vieler Prälaten, die vier Engel die vier Ordnungen der Heiligen.. So deuten denn die Fresken auf das Anbrechen einer neuen Zeit, auf die Befreiung der Kirche, auf den Kampf der drei Orden des Franz gegen den Drachen des Häretikertums hin. Diese großen Gedanken aber würdig wiederzugeben, ward der bedeutendste Maler jenes Jahrhunderts, dem Franziskus seinen Stempel aufgeprägt, bestimmt: Cimabue. Ihm und keinem andern sind alle die besprochenen Fresken zuzuweisen. Schon in der ersten Kreuzigung begegneten wir einer großen, Neues schaffenden Individualität, im Verlaufe der Arbeit hat diese sich immer bedeutender, immer erfolgreicher bis zu der Kreuzigung des Südarmes entwickelt. Da gilt es nun freilich wohl zu unterscheiden zwischen Originalität der Erfindung und Selbständigkeit der künstlerischen Empfindung. Die Szenen aus dem Leben des Petrus und der Maria sind im großen und ganzen wohl nur mit frischer Kraft wiederholte ältere typische Darstellungen, wie sie im Laufe der Jahrhunderte sich ausgebildet. Als Ganzes dürften sie kaum viel Neues bringen, aber in jeder einzelnen Figur, in jeder Bewegung macht sich eine früher ungekannte Energie der Auffassung, ein bewußtes Streben nach Monumentalität geltend. Das sind nicht mehr die zaghaft schreitenden, in ungewisser Kraftlosigkeit stehenden, mechanisch ihren Willen äußernden Gestalten, sondern ihrer Kraft und deren Anwendung bewußte Menschen. Gemäßigt selbst in Momenten scheinbar fesselloser Leidenschaft, erinnern sie an die Werke später antiker Kunst, so weit auch das Ideal des Künstlers von dem in jenen ausgesprochenen entfernt zu sein scheint. Die Köpfe zeigen die Formen, die schematisch sich bis zu dieser Zeit fortgepflanzt, ins Große, Ideale übersetzt, und verraten ein das Größte anstrebendes Schönheitsgefühl des Künstlers, das nur durch den traditionellen Bann verhindert wird, sich frei zu offenbaren. Sie sind uns wohlbekannt von den Madonnenbildern des Cimabue her, aber auch nur von diesen, da kein anderer Künstler des 13. Jahrhunderts auch nur annähernd eine solche Breite der Zeichnung erreichte. Es ist, wie dort, der bedeutende starkknochige Typus mit der kurzen Stirn und der in breiter Fläche bügelartig ansetzenden breitrückigen, gebogenen Nase, deren Wurzel etwas eingeschnitten ist, deren Flügel breit geschwungen sind. Wie dort gewahren wir hier die großen Augen mit den wenig gewölbten Brauen und den leicht geschwollenen Unterlidern, die hohe Oberlippe, den Mund mit den etwas herabgezogenen Winkeln, das kurze gerundete Kinn. Auch die sonstigen Charakteristika der Cimabueschen Figuren: die zurückweichende untere Gesichtshälfte, die unten etwas zugespitzten, oben voll gerundeten, abstehenden Ohren, die langen Hände mit den knochenlosen dünnen Fingern und dem scharf ansetzenden dünnen Daumen, das perückenartig aufsitzende Haar, das in breiten Wellen behandelt ist, erscheinen alle auf diesen Fresken der Oberkirche. Und zwar macht sich in solchen Details ein allmählicher Fortschritt geltend, obgleich das Wesentliche auch schon in den ersten Bildern vollständig deutlich zu erkennen ist. Was aber nicht mit Worten sich bestimmen läßt und schließlich doch das Maßgebende bleibt: in allen Fresken tritt dem Beschauer jene große Einfachheit und jene Einheitlichkeit der Gestaltungskraft entgegen, die nur die Meister ersten Ranges besitzen. Die wenigen von Schülerhand ausgeführten Teile: die Engel nämlich an der Galerie des Südschiffes und in der Fensterleibung daselbst, zeigen am deutlichsten den Abstand, der zwischen der Größe und der Mittelmäßigkeit liegt. Da kehren wohl die Typen, die Falten der Gewandung wieder, aber es fehlt der Geist, der sie beseelt. Der eine der hier unter Cimabue beschäftigten Künstler vergröbert die Formen, indem er sie übertreibt (die halbfigurigen Engel über den Bögen und eine Anzahl derjenigen in der Leibung), der andere, indem er sie abschwächt, dehnt sie zu manierierter Länge (die Engel an der Empore) Man vergleiche auch die Hände, und man wird nicht zweifeln, daß hier Schüler tätig sind.. Wer sich aber mit Ernst und Geduld in diese verloschenen Freskenreste vertieft hat und dann ins Längshaus hinaustritt, wird keinen Augenblick mehr zweifeln können, wo Cimabue selbst tätig gewesen ist!
Wenn nun aber die Schaffenskraft des großen Florentiner Meisters in der größeren Anzahl der besprochenen seltenen Kompositionen durch den zwingenden Einfluß älterer Vorbilder gehemmt werden mochte, so zeigt sie an dem gewohnteren Stoffe der Kreuzigung, der als solcher dem Künstler größere Freiheit ließ, ihr ganzes Können. Nach diesen gewaltigen Darstellungen, namentlich der zweiten, die selbst in ihren Resten noch erschütternd wirkt wie wenige andere Werke, muß Giottos Vorgänger beurteilt werden, will man ihm gerecht werden. Da tritt er uns entgegen als der Erste in der langen Reihe, deren Letzter Michelangelo sein sollte. Da fühlt man zum ersten Male den tiefen Atemzug der Florentiner Kunst. Diese Größe, diese Gewalt der Leidenschaft hat selbst Giotto nie erreicht, wohl aber erfährt man es angesichts dieser Kreuzigung, wer es zuerst ihm gelehrt, für tiefen Seelenschmerz und innere Verzweiflung den ewig wahren Ausdruck zu finden. Wie ein Sturm von dramatischem Leben und Seelenaufregung braust es durch das Bild. Zum ersten Male in der neueren Kunst tritt das Innerste überzeugend und packend nach außen – vielleicht nie wieder so überraschend, so ursprünglich, bis auf den Maler der Sixtinischen Kapelle. In jener einzigen Figur der Magdalena, die in verzweifeltem Seelenschmerz aufschreiend die Arme zum Heiland aufreckt, als wollte sie ihn dem Tod abringen und zurück ins Leben ziehen, liegt eine neue Welt. Noch steht freilich unkünstlerisch eng gedrängt, wie in der älteren Zeit, die Schar der Krieger rechts unter dem Kreuz, aber aus ihr heraus lösen sich gleich Trägern der allgemeinen Empfindung einzelne Gestalten, aus denen das Gefühl unbeschränkt nach außen drängt, und in den Lüften oben, wo die Engel flattern, hat alles Sprache und Bewegung gewonnen. So ringt sich aus dem Alten das Neue empor!
Tritt nun aber dieser Kampf auch nirgends in seinen Gegensätzen so deutlich hervor wie in der Kreuzigung, so zeigt es sich in höherem oder geringerem Grade doch auch in den andern Fresken, wie die erstarrten alten Formen zu enge werden für den neuen Inhalt, wie die Figuren von innen heraus zu größerer Körperlichkeit sich neu gestalten – es scheint, als habe Cimabue solchen Fortschritt nicht dem Studium der Natur im einzelnen, sondern einem angeborenen divinatorischen Empfinden verdankt, das sich ein eigenes Geschlecht idealisierter Gestalten schuf, welche wahr in sich, in ihrem Denken und ihrem Fühlen doch anders sind, als die Menschen, die wir sehen. Diese treten erst bei Giotto auf, in den so lebensvoll erzählenden Bildern der Geschichte des Franziskus, die sich fast unmittelbar neben Cimabues Schöpfungen befinden, und waren dazu angetan, die letzteren fast vergessen zu machen. Sagt es ja Dante in kurzen Worten:
Credette Cimabue nella pittura
Tener lo campo, ed ora ha Giotto il grido.
Fegefeuer XI, 94-95.
Den einen rühmen, heißt nicht, den andern deswegen herabsetzen! Das eine aber verlangen die Fresken in dem Querschiff und Chor der Oberkirche S. Francesco, daß ihrem Schöpfer neben Giotto der Ehrenplatz eingeräumt wird als Begründer der Toskanischen Malerei, wie als Vollender derselben neben Raphael auch Michelangelo gleichberechtigt erscheint.
Von größtem Interesse wäre es, den Zeitpunkt zu wissen, um den Cimabue in Assisi arbeitete, da uns aber keinerlei diesbezügliche Nachrichten erhalten sind, müssen wir aus dem Vergleiche seiner Werke eine annähernde Bestimmung zu erlangen suchen. In dieselbe Zeit ungefähr, wie die Bilder der Oberkirche, fällt offenbar die herrliche Madonna in dem nördlichen Kreuzarm der unteren Kirche, die, von Giotto verschont, neben dessen Bildern aus Christi Legende sich befindet. (Abb. S. 200 und 217.) Die Jungfrau sitzt ein wenig nach rechts gewandt auf einem Throne, der von vier großen Engeln gehalten wird, und hält das sitzende Christkind, das lebendig nach links schauend mit der Rechten segnet. Rechts davon steht en face der h. Franz. Vergleichen wir diese Darstellung mit den zwei bekannten großen Madonnenbildern des Cimabue in S. Maria Novella und in der Florentiner Akademie, so können wir keinen Augenblick zweifeln, daß sie später als diese entstanden ist. In den Köpfen, die hier eine rundere, vollere Form haben, wie in den Bewegungen herrscht viel größere Freiheit, die Augen blicken lebendiger, die Gewandung ist weniger gequält behandelt und fällt in freieren einfacheren Falten, die Fleischbehandlung ist weicher und verschmolzener, nicht mehr von jener harten, alle Züge scharf akzentuierenden altertümlichen Weise. In diesem Werke läßt sich Cimabues Schönheitsideal am ungetrübtesten genießen. Den Verhältnissen der Figuren aber ebenso wie der runden Form der Köpfe nach scheint es mir den Wandbildern der Oberkirche näher zu stehen als jenen Tafelbildern, wenn die Möglichkeit auch nicht ausgeschlossen ist, daß seit der Ausführung der Fresken einige Zeit vergangen war. Leider wissen wir nun aber nur wenig Bestimmtes von der Entstehungszeit der bekannteren Bilder des Meisters: nur für das eine derselben ist uns ein Anhaltspunkt gegeben. Es mag, wie Vasari selbst erwähnt, eine wahre Tradition der Geschichte zugrunde liegen, daß König Karl von Anjou auf seinem Durchzug durch Florenz, der 1267 stattfand, dem für S. Maria Novella bestimmten Bilde im Atelier Cimabues seine Huldigung darbrachte – wie dem auch sei, dem Stile nach gehört es sicher in des Künstlers mittlere Zeit. Alle beide Gemälde aber scheinen mir früher als die Fresken der Oberkirche entstanden, so daß man deren Entstehung wohl frühestens in die siebziger Jahre, und zwar nach Cimabues Aufenthalt in Rom 1272, eher noch aber in das folgende Jahrzehnt versetzen muß.
Diese Wandbilder gestatten uns nun aber ferner, dem Cimabue einige andere Werke zuzuschreiben, die bisher wenig Beachtung gefunden haben – zunächst ein großes Kruzifix im Chor von S. Chiara in Assisi. Christus entspricht hier in der Stellung, in dem bedeutenden Typus des Kopfes, in der Ausbiegung des Körpers, in den Körperverhältnissen und in der Draperie des vorn geknüpften Hüftentuches durchaus dem Christus der früheren Kreuzigung in S. Francesco, nur sind die Beine in einer ganz eigentümlichen Weise verkürzt. Offenbar ist daran nicht eine Verzeichnung schuld, da sonst der Kopf und die Figur sehr proportioniert und sicher gezeichnet sind, sondern eine bestimmte Absicht des Künstlers, der, die Untersicht des vermutlich auf einem Querbalken schräg aufgestellten Kruzifixes berücksichtigend, durch die Verkürzung die richtige Wirkung auf den Beschauer hervorbringen wollte, und so als der erste unter den neueren Malern den kühnen Versuch einer perspektivischen Darstellung wagte, über deren Richtigkeit es jetzt schwer ist, ein Urteil zu fällen. An den Kreuzenden befinden sich die ganzen Figuren der Maria und des Johannes, an der Spitze Maria die Hände öffnend. Am Fuße des Kreuzes links kniet ganz klein die h. Benedicta, rechts eine andere Nonne. Eine Inschrift besagt:
Dna Benedicta post
Claram p
a abb
a me fecit.
Die Hoffnung, daraus eine annähernde Zeitbestimmung zu gewinnen, verwirklicht sich nicht, da, wie das »beata« in der Bezeichnung bei der Stifterin lehrt, das Kruzifix erst nach dem am 16. März 1260 stattgefundenen Tode der Äbtissin wohl auf Kosten eines Legates angefertigt wurde, und es demnach ungewiß bleibt, ob dies unmittelbar nachher oder später geschah Auch hier halte ich an meiner Ansicht gegenüber Zimmermann, der nicht Cimabues Hand erkennen will, fest..
Dieselbe Kirche bewahrt ein anderes Bild, das selbst nach seiner gänzlichen Übermalung und Modernisierung noch den großen Stil Cimabues erkennen läßt, eine Madonna, die etwas nach rechts gewandt und nach rechts herausschauend das Kind auf dem linken Arme hält und die Rechte erhebt. Hinter ihr halten zwei schwebende Engel einen grünen Teppich. Die Komposition erinnert an ein ähnliches Marienbild, das sich in den Servi zu Bologna befindet und bisher meist diesem oder jenem alten bolognesischen Künstler zugeschrieben wurde, wie mir dünkt aber dem Cimabue sehr nahesteht, und zwar den Werken aus dessen mittlerer Zeit. Maria sitzt hier etwas nach rechts gewandt, auf einem Thron, der fast ganz so gestaltet ist wie der auf den Bildern von S. Maria novella und Assisi, und hält das stehend nach links schreitende Kind, das mit der Rechten nach dem Mantel der Mutter am Halse langt. Zwei ungewöhnlich kleine Engel sind in halber Figur hinter der Lehne des Stuhles sichtbar. Übermalt und beschädigt ließe es sich doch wohl den runden vollen Typen, der großen Lebhaftigkeit des Kindes, der freieren Gewandbehandlung nach zwischen die Madonna von S. Maria novella und die in S. Francesco einreihen.
Endlich scheinen mir noch die Fresken der als fünfte rechts vom Chor befindlichen Kapelle des Michael in S. Croce zu Florenz, die bisher ganz allgemein der Schule Giottos zugeschrieben wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit dem Cimabue zuerteilt werden zu müssen Ich verdanke diesen Hinweis der Güte des Herrn Baron von Liphardt in Florenz.. Offenbar sind es die spätesten der von ihm erhaltenen Werke, gerade deswegen aber besonders interessant. Zwei größere Kompositionen schmücken die Wände. Die auf der rechten Seite, leider stark beschädigt, zeigt den Kampf der Engel gegen den Drachen, also denselben Gegenstand, den wir schon in S. Francesco fanden. Wie dort vollzieht sich auch hier der Kampf innerhalb der unten deutlich begrenzten Himmelssphäre. In leichtbeschwingter Bewegung tritt, als Vorkämpfer durch besondere Größe ausgezeichnet, Michael nach rechts gewandt auf den zu ihm aufzischenden Drachen, aus dessen Hals sechs kleine Köpfe wachsen. Vollständig gerüstet, in der Linken das Schwert und einen runden kleinen Schild, schwingt er die Lanze gegen den Erbfeind. Drei andere Engel in fast paralleler Bewegung nach links hin ausschreitend, aber nach rechts mit den Lanzen ausholend, kämpfen in zweiter Reihe gegen kleinere Dämonen, die von dem Himmel auf die Erde niederstürzen, und hinter ihnen erscheint ein drittes Glied enger gescharter Engel, von denen man nur die Köpfe sieht. Die Typen zeigen alle Eigentümlichkeiten des Cimabueschen Stiles; was von demselben abweicht, ist nur die größere Schlankheit und Leichtigkeit der Figuren. Den Fresken in Assisi verglichen herrscht hier eine größere Grazie und Anmut, ein Streben nach vornehmer und zarter Eleganz. Dies aber scheint mir nicht im Widerspruche mit Cimabues sonstigem frühern Stile zu stehen, sondern nur eine für eine spätere Zeit höchst charakteristische Entwicklung zu bezeichnen. Tritt uns doch dasselbe Hinneigen zu weicherer, fast empfindsamer Auffassung schon schlagend in der Madonna von Assisi entgegen, mit welcher auch die Formen die größte Verwandtschaft zeigen.
Von einer anderen neuen Seite aber lehrt uns das zweite Fresko an der linken Wand, welches das Wunder auf dem Berge Gargano zum Vorwurf hat, den Meister kennen. Zwei in der Legende zeitlich geschiedene Momente sind hier in einer Darstellung vereinigt. Links sehen wir den Gargano, der mit dem Bogen, den er in der Linken hochhält, soeben nach dem auf der Höhe eines Berges in der Mitte hinten stehenden Ochsen geschossen hat. Neben ihm steht links ein nach oben schauender Hirt in kurzem Rock, der in der Rechten einen Stab hält, mit der Linken die Augen beschattet, rechts ein nach halb rechts gewandter Mann in kurzem braunen Rock, der erstaunt die Hände emporhebt und auf den unbesonnenen Schützen blickt, der sich von seinem Zorn hat verleiten lassen, auf das ihm entlaufene Tier, das nicht zurückkehren will, zu schießen. Auf der rechten Seite der Darstellung erscheint Michael in halber Figur dem graubärtigen mit gefalteten Händen vor ihm knienden Bischof, hinter welchem zahlreiche Leute: Geistliche, Laien und Frauen knien, und teilt ihm mit, daß jener Ort ihm heilig und von Gargano entweiht worden sei Vgl. Acta Sanctorum VIII. Band. 29. Sept. Auch B. Riehl: S. Michael und S. Georg in der bildenden Kunst 1883, dem aber unsere ikonographisch wichtigen Fresken unbekannt geblieben sind.. – In dieser Darstellung ist nichts mehr von byzantinischem Schematismus zu erkennen. So eckig die Figuren auch erscheinen mögen, gewahrt man doch deutlich, daß Cimabue hier vollständig frei geschaffen und direkt an die Vorbilder in der Natur sich gehalten hat. Das beweisen die natürlichen lebhaften Gebärden der Hirten, deren Tracht, am meisten aber das bewußte Streben, in den verschiedenen Figuren auch verschiedene Individualitäten zu geben. In der Tat zeigt fast jeder Kopf einen eigenartigen Typus. Damit aber hat der Künstler sich zu wirklicher Freiheit durchgerungen, freilich zum Teil auf Kosten der getragenen Großartigkeit seiner früheren Werke.
An der Fensterwand sind noch Reste einer ganz von ihren Haaren umkleideten Magdalena und des Bischofs Alexander erhalten Ob auch die Glasfenster nach Zeichnungen Cimabues entstanden, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls erinnern sie lebhaft an ihn. Dargestellt ist die Verkündigung und Tobias mit dem Engel. Es sind die ältesten Glasgemälde der Kirche.. Vermutlich sind die Fresken Ende der neunziger Jahre oder 1300 entstanden, bevor Cimabue nach Pisa ging, dort das Mosaik im Dome auszuführen, an dem er 1302 beschäftigt war. Dies beweist dann ferner, daß der 1294 begonnene Bau von S. Croce um jene Zeit schon bis zur Vollendung des Chores mit den Kapellen und voraussichtlich auch des Querschiffes vorgeschritten war.
Aus allem Gesagten ersehen wir, daß der erste große Florentiner Maler seine eigentliche Erziehung den bedeutenden Aufgaben dankt, die ihm der Orden des Franz zuerst in Assisi, dann in Pisa und in Florenz stellte – daß besonders in den Franziskanerkirchen uns die Werke von ihm erhalten sind, an denen wir den Gang seiner Entwicklung verfolgen können, sein allmähliches Fortschreiten von der Nachahmung älterer Vorbilder zu einem eigenartigen, anfangs herb aber großartig idealisierenden, dann enger an die Natur sich schließenden, anmutigeren Stile Ob das für S. Francesco in Pisa bestimmte Bildnis des h. Franz, das noch jetzt sich dort befinden soll, von Cimabue oder von Margaritone ist, kann ich nicht sagen, da es mir nicht geglückt, dasselbe zu sehen. – Von den drei Kruzifixen in S. Croce ist das eine im Gange sicher nicht von ihm, sondern von einem Zeitgenossen, ein zweites in der Sakristei dem frühern Stile Giottos nahestehend, ein drittes ebendaselbst (Alinari 1134) altertümlicher und mehr an Margaritone erinnernd. – Von Cimabue selbst aber könnte möglicherweise der jetzt im Refektorium aufgestellte, sehr klägliche Freskenrest eines Johannes des Täufers sein. Ihm nur nahe verwandt ist die Madonna mit Engeln ebendaselbst (ehemals an der Stadtmauer). – Die kleinere Madonna in der Akademie, die h. Caecilia in den Uffizien und der h. Petrus in S. Simone haben nichts mit ihm zu tun. – Vgl. weiteres über Cimabue in meinem Aufsatz: »Sind uns Werke von Cimabue erhalten?« im Repertorium für Kunstwissenschaft. XIII, S. 25 ff..
Das Längshaus der Oberkirche. Nach der eingehenden Prüfung der Wandgemälde im Querschiff und Chor und der dadurch gewonnenen schärferen Kenntnis von des Meisters Stil werden wir Crowe und Cavalcaselle nur durchaus recht geben können, wenn sie in den Darstellungen des Alten und Neuen Testamentes, die in zwei Reihen den oberen Teil der Wände schmücken, nicht Cimabues Hand, sondern nur die seiner Schüler erkannten. Auch nicht eine einzige Figur in dem ganzen Zyklus trägt den großen, charakteristischen Typus des Florentiner Meisters. Vielmehr zeigt sich dessen Art hier teilweise abgeschwächt und verkleinert, teilweise nach einer bestimmten naturalistischen Richtung hin entwickelt. Stimme ich demnach mit der Ansicht der verdienstvollen Geschichtschreiber der italienischen Malerei im allgemeinen durchaus überein, so hat mich doch ein wiederholtes Studium der Fresken, was die hier beschäftigten Meister anbetrifft, zu etwas abweichenden Resultaten geführt. Leider haben auch diese Wandmalereien stark durch die Feuchtigkeit gelitten, jedoch in anderer Weise als die besprochenen. Die Farben sind hier in den erhaltenen Teilen noch zu sehen, jene chemische Zersetzung und Veränderung hat bei ihnen nicht stattgefunden, dagegen ist der Wandbewurf zum großen Teile ganz abgefallen, so daß die nackte Mauer zutage tritt. Was zerstört ist, ist gänzlich zerstört, was erhalten ist, verhältnismäßig gut und ursprünglich erhalten. An der rechten Wand sind, vom Querschiff an beginnend, in zwei Reihen Szenen des Alten, an der linken Szenen des Neuen Testamentes dargestellt, darunter läuft der Streifen mit der Legende des h. Franz. Da die Fresken trotz sorgsamer, die Feuchtigkeit absperrender Ausbesserung der zerstörten Teile mit einem besonderen zementartigen Bewürfe von Jahr zu Jahr der Vernichtung mehr entgegengehen und ihre bisherige Beschreibung nicht durchweg genügen kann, bespreche ich zunächst die Komposition selbst Vgl. Crowe und Cavalcaselle. Ital. Ausg. I, S. 325 ff., wo eine ausführlichere Beschreibung gegeben ist..
I. Die rechte Längswand.
A. Die obere Reihe neben den Fenstern.
1. Die Schöpfung. In der Mitte oben erscheint die Halbfigur des christusartig dargestellten Gottvaters, der mit der Rechten segnend ganz en face innerhalb einer runden, mit betenden halbfigurigen, kleinen Engeln geschmückten Glorie, die den durch Sterne, Sonne und Mond gekennzeichneten Himmelsstreifen umgibt, erscheint. Von diesem geht in der Mitte die Taube, links in ovaler Mandorla der von Strahlen umleuchtete Helios als antik gedachter nackter Jüngling, rechts in gleicher Glorie die, wie es scheint, sitzende nackte (zum Teil zerstörte) Luna aus. Darunter ist in der Mitte das Meer mit deutlich unterschiedenen Fischen (Aal, Haifisch u. a.), links das Land zu sehen, auf dem zwei Widder und ein Ochse sowie Vögel auf Bäumen sich befinden. Die Figur des Helios scheint auf ein antikes Vorbild zurückzugehen und erinnert in der ausschreitenden Stellung an einen der Rosselenker auf dem Quirinal.
2. Die Erschaffung Adams. Sehr zerstört. Links sitzt Gottvater die Rechte ausstreckend, auf einer großen blauen Kugel, rechts liegt Adam, die Linke auf den Boden gestützt, die Rechte erhoben.
3. Die Erschaffung Evas. Links sitzt wiederum Gottvater auf der Weltkugel etwas nach links gewandt, nach halb rechts sich wendend, in der Linken eine Rolle, mit der Rechten segnend. Rechts befindet sich in halb sitzender Stellung Adam, den Kopf schlafend auf die linke Hand gestützt; aus seiner Hüfte steigt in halber Figur sichtbar Eva im Gebet zu Gott aufschauend hervor. Dahinter Sträuche und Bäume. Die rechte Hälfte der Komposition hat stark gelitten.
4. Der Sündenfall. Die rechte Seite fast ganz zerstört. Sichtbar noch in der Mitte der obere Teil des Baumes, um welchen die zur (nicht erhaltenen) Eva sich richtende Schlange mit Frauenkopf sich windet. Links steht Adam en face, die Rechte vor der Scham, den Kopf empfindsam etwas nach rechts gesenkt.
5. Die Vertreibung aus dem Paradiese. Ein lebhaft ausschreitender (sehr beschädigter) Engel, der in springender Bewegung den linken Fuß schwebend in der Luft vorstreckt, drängt mit den Händen die Sünder nach rechts. Adam eilt, die Linke deklamatorisch erhebend, die Rechte vor dem Feigenblatt, von dannen, während Eva sich im Schreiten noch umschaut. Im Hintergrund Palmbäume.
6. Total zerstört, die dargestellte Szene aus der alten Beschreibung, die überall nur ganz kurz den Inhalt angibt, zu entnehmen: »Wie Gott zur Bewachung des Paradieses und des Baumes des Lebens einen Cherubim hinsetzte mit einem flammenden Schwert in der Hand.«
7. Total zerstört. Alte Beschreibung: »Wie Kain auf dem Altare ein Bündel darbrachte und Abel die erste Frucht von der Herde, und über den Köpfen hat jeder seinen Namen.«
8. Brudermord. Fast ganz zerstört. Erkennbar nur noch die rechte untere Körperhälfte des auf dem Boden liegenden Abels. Links Reste der zum Fortschreiten sich wendenden Figur Kains. Rechts hinten ein Berg mit einigen Bäumen.
B. Die untere Reihe.
9. Der Bau der Arche Noah. Links steht, nach halb rechts gewandt, in weißem Untergewande, rotem Mantel mit weißem Bart und langem Haar Noah, die Hände wie erstaunt zu der segnend hinter einer Mandorla erscheinenden Hand Gottes erhebend. Gleich daneben rechts sitzt er auf ornamentiertem Stuhl, die Rechte befehlend nach rechts ausgestreckt, wo zwei Männer in kurzen Kitteln mit nackten Beinen einen schräg stehenden Balken, auf dem der eine rechts oben steht, zersägen. Rechts unten behaut ein dritter (sehr zerstört) einen Balken.
10. Die Arche Noah. Sehr zerstört. Erkennbar links noch ein Teil der kassettierten Arche, in der eine Figur sichtbar ist. Auf dem Dache sitzt ein Vogel, aus einer Öffnung schaut ein Löwe heraus. Ein Widder springt über ein nahe dem Schiffe hingelegtes Brett.
11. Das Opfer Isaaks. (Abb. S. 379.) In der alten Beschreibung fälschlich: »Wie nach Beendigung der Sintflut Noah aus der Arche ging.« Abraham, mächtig nach rechts ausschreitend, den linken Fuß auf das Postament des Altares stellend, auf dem gefesselt der kniende Isaak sitzt, packt mit der Linken dessen Kopf und schwingt in der Rechten ein krummes Schwert. Eine rechts oben aus Sphären erscheinende Hand, zu der er aufblickt, hemmt sein Vorhaben. Der linke Teil sehr zerstört. Oben Reste eines Berges mit Gebäuden.
12. Die drei Engel erscheinen Abraham. Fast ganz zerstört. Schattenhaft zu erkennen sind noch rechts die drei Engel, deren vorderster einen Stab hält und die Rechte ausstreckt sowie der Kopf des links knienden Patriarchen.
13. Isaak segnet Jakob. (Abb. S. 380.) Von dem alten Beschreiber falsch erklärt. Isaak (sehr zerstört) liegt mit dem Kopfe nach links in einem Gemache auf einem mit Vorhängen versehenen Bette und faßt mit der Linken die mit Fell bekleidete rechte Hand des von rechts herantretenden Jakob, der in der linken eine Schüssel mit einem Tier hält und, getreu den Worten der Schrift, auch den Hals mit Fell umgeben hat. Links neben ihm sieht man (ziemlich zerstört) Rebekka, die auf Isaak schaut.
14. Isaak segnet Esau. Isaak liegt, ähnlich wie dort (hier aber besser erhalten) in rotem Untergewand und blauem Mantel auf dem Lager. Blinden Auges langt er mit der Linken nach hinten und erhebt wie sprechend die Rechte. Von hinten tritt Esau heran, in der Linken eine Schale, in der Rechten einen Löffel, wie um dem Vater die Speise zu reichen. Neben ihm rechts steht die starr erwartungsvoll auf Isaak schauende Rebekka, einen Krug in den Händen. Rechts tritt Jakob (sehr zerstört) in die Türe herein.
15. Joseph in der Zisterne. Sehr zerstört. Man sieht rechts, wie Joseph von zwei Männern an den Armen aus der Zisterne gezogen wird. Rechts dahinter die Köpfe von zwei Brüdern noch erhalten. Links einige (nur sehr undeutlich erkennbare) Männer, hinter denen ein Hügel, auf dem Schafe weiden, sichtbar ist.
16. Die Brüder vor Joseph. Vor einem palastartigen Gebäude mit vorspringenden Balkonen sitzt rechts in rotem Gewand und blauem Mantel Joseph, dessen Kopf ganz zerstört ist; neben ihm steht, wenig erhalten, ein Krieger. Links knien die elf Brüder, zuvorderst der bittend aufschauende Benjamin, auf den ein von ganz links eilig heranschreitender Mann, der in der Linken den gefundenen Becher hochhält, hinweist.
II. Die linke Längswand.
A. Die obere Reihe.
a) Die Verkündigung. Sehr zerstört. Rechts steht Maria, in der gesenkten Linken ein Buch, und die Rechte erhebend, von ihrem Sitze vor dem Hause auf. Links stand der Engel mit erhobener Rechten.
b) Die Heimsuchung (nach der alten Beschreibung). Total zerstört. Nur oben schwache Reste von Gebäuden erhalten.
c) Die Geburt Christi. (Abb. S. 290.) Maria liegt etwas nach links gewandt, gegen einen Hügel gelehnt, auf ausgebreitetem Gewande, die Linke vor der Brust und die Rechte auf dem Knie. Links von ihr in der Höhe ihres Kopfes ruht (sehr zerstört) das gewickelte Kind in der Krippe, hinter welcher in einer Grotte die Köpfe des Esels und Ochsen erscheinen. Links darunter sitzt Joseph, den Kopf auf die linke Hand gestützt, die Rechte auf dem Knie. Rechts stehen zwei Hirten, von Schafen umgeben, und schauen zu einem über und hinter Maria zu ihnen gewandt fliegenden Engel, der in der Linken einen Schriftzettel hält und mit der Rechten segnet. Weiter oben drei andere Engel, von denen der eine sich zu Christus neigt, die beiden anderen anbetend nach oben schauen.
d) Die Anbetung der h. drei Könige (nach der alten Beschreibung). Fast ganz zerstört. Nur noch Reste von der rechts sitzenden Maria und unzusammenhängende kleine Teile von den Königen erhalten.
e) Die Darstellung im Tempel. Stark zerstört. Vor einem auf gewundenen Säulen ruhenden Tabernakel sieht man von links Simeon, das Kind auf dem Arme, auf die Altarstufe treten. Hinter ihm links Reste einer anderen Figur (Hanna). Rechts steht Maria (Kopf gut erhalten) die Hände nach Christus bewegend; neben ihr schreitet Joseph, die Linke ausstreckend, heran.
f) Die Flucht nach Ägypten. Fast ganz zerstört. Nur rechts noch Reste von Joseph, der den Esel zu schieben scheint.
g) Der zwölfjährige Christus im Tempel. Sehr zerstört. Sichtbar ist gegen links der vor einer Exedra sitzende Christus, der die Linke auf ein Buch hält und die Rechte erhebt. Ganz rechts Reste von den Figuren der heranschreitenden Eltern und wenige Spuren der sitzenden Schriftgelehrten.
h) Die Taufe Christi. Sehr zerstört. Einigermaßen erhalten ist nur der in der Mitte en face in einem durch Fische belebten Wasser stehende Christus, über welchem die Taube schwebt. Rechts die untere Hälfte des Täufers auf einer Felserhöhung, links zwei etwas nach rechts geneigt das Gewand Christi haltende Engel.
B. Die untere Reihe.
i) Die Hochzeit zu Kana. Hauptsächlich im oberen Teile und hier sehr zerstört. Im Vordergrunde sind Diener bei großen antik gedachten Urnen beschäftigt: der eine, ganz rechts nach hinten gewandt, hält zwei Gefäße in die Höhe, ein anderer in der Mitte nimmt eben ein zweihenkeliges großes Gefäß von der Schulter, ein dritter links gießt das seine in eine leere Amphora aus und schaut dabei auf den links dahinter sitzenden (fast ganz zerstörten) Christus. Im Hintergrund der Tisch, auf dem zahlreiche Becher, Kelche, Teller und Gebäcke zu sehen sind und an dem hinten in der Mitte die mit reichem Kopfputz gezierte Braut, links (sehr zerstört) Maria, rechts der mit seinem Nachbarn sich unterhaltende Bräutigam sitzt.
k) Die Auferweckung des Lazarus. Fast ganz zerstört. Links unten befanden sich, wie es scheint, eine liegende Figur und darüber auf etwas höherem Terrain zwei stehende (die vordere in Weiß und Gelb: Petrus?).
l) Die Gefangennahme. Gut erhalten. Christus, in der gesenkten Linken eine Rolle, steht in der Mitte en face, rechts von einem häßlichen Kerl in kurzem Kittel, hinter dem viel Juden und Soldaten stehen, gehalten, links von dem stark ausschreitenden Judas umfangen und geküßt. Er segnet mit der Rechten den links unten knienden Malchus, dessen Ohr eben der zu Christus aufschauende Petrus abschneidet. Links dahinter viele Krieger und andere Leute.
m) Die Geißelung. Fast ganz zerstört. Nur links noch Reste von stehenden Männern und das nackte Bein eines nach links ausschreitenden Soldaten.
n) Die Kreuztragung. Sehr zerstört. Christus schreitet, das Kreuz tragend, nach links, rechts gefolgt von zwei mit Nimbus versehenen Figuren. Ein gleich dem Engel auf der »Vertreibung Adams und Evas« springend ausschreitender Soldat zieht ihn, nach links weisend, vorwärts. Dahinter einige andere Figuren.
o) Die Kreuzigung. Sehr zerstört, bloß die Gruppe rechts einigermaßen konserviert. In der Mitte hängt Christus – nur wenig erhalten – am Kreuz, neben dem jetzt nur noch rechts zwei klagende Engel fliegen. Links waren drei heilige Figuren, rechts Johannes und zwei Frauen, deren eine schmerzbewegt die rechte Hand an den Kopf legt, während sie die Linke erhebt.
p) Die Beweinung Christi. Ziemlich gut konserviert. Christus, waagerecht ausgestreckt, wird links von der knienden Maria gehalten und von ihrem rechten Beine gestützt. Johannes, weiter rechts sich beugend, küßt seine linke Hand, Magdalena kniend seinen linken Fuß. Hinter Johannes noch eine andere Frau, die, weinend die Hand an die Wange gelegt, Christus anschaut. Ganz links eine andere sehr zerstörte Heilige. Dahinter stehen links auf höherem Terrain zwei Frauen ohne Nimben. Rechts der jugendliche Nikodemus, der heranschreitend die Hand an den Kopf legt, und der die Hände faltende ruhigstehende Joseph von Arimathia. Zwei Frauen kommen im Mittelgrund hinten im Gespräch heran. In der Luft ein klagender Engel. Abbildung bei D'Agincourt CX, 4 und bei Lübke I, 95.
q) Die Frauen am Grabe. Sehr zerstört. Man erkennt noch den rechts auf dem Grabe sitzenden weiß gewandeten Engel, links die heranschreitenden Frauen, von denen eine die Salbenbüchse trägt. Vorn liegen die schlafenden Soldaten. Abbildung bei D'Agincourt CX, 7.
III. Die Eingangswand.
r) Die Himmelfahrt. Im unteren Teile sehr zerstört. In der Höhe schwebt Christus mit erhobenen Armen, bis zu den Knien sichtbar, unten von Wolken verhüllt, zu dem durch Kreise gekennzeichneten Himmel empor. Unten in der Mitte, etwas höher als die anderen, befindet sich ein Engel, der die Hände wie erstaunt öffnet. Rechts fünf mit Ausnahme eines einzigen durchweg nach oben schauende Apostel. Links Reste anderer Apostel.
s) Das Pfingstfest. Mittelmäßig erhalten. Vor einem gotischen Gebäude, das sich mit drei Giebeln über Rundbogen nach vorn öffnet, sitzen Maria und die zwölf Apostel, und zwar so, daß hinten en face Maria zwischen vier Aposteln, links und rechts je zwei und endlich vier andere vom Rücken gesehen vorne erscheinen, alle sehr ruhig teils in die Höhe schauend, teils zueinander gewandt. Von oben schießen aus einer runden Glorie Strahlen und die Taube herab.
Darüber befinden sich die Brustbilder des graubärtigen, mit der Stola bekleideten Petrus en face und des bärtigen Paulus in Medaillons. Über der Tür erscheint in rundem Medaillon die wenig nach rechts gewandte Madonna, die, nach halb links herausschauend, auf dem linken Arm das mit einem Hemdchen und einem ärmellosen roten Obergewand bekleidete Kind hält, das die Rechte an der Mutter Brust legt und zu ihr aufschaut. (Abb. S. 362.) Links und rechts ist je ein kleineres Medaillon mit der Halbfigur eines in Rot und Blau gekleideten Engels, der in der Hand einen Stab hält.
An den Leibungen des in der Mauerdicke befindlichen Eingangsbogens befinden sich, zu je zwei gruppiert, 16 Heilige, jeder unter einem von antikisierenden Säulen und Pilastern getragenen gemalten Rundbogen. Es sind:
L. 1. Ein blonder und ein graubärtiger Bischof.
2. Petrus Martyr und Dominikus.
3. Stark zerstört. Zwei Diakone.
4. Zwei Frauen mit Palmen.
R. 1. Der blondbärtige Franz mit Buch und Chiara.
2. Der blondbärtige Antonius von Padua und der graubärtige Benedikt mit Buch.
3. Der h. Laurentius und ein anderer Diakon.
4. Ein h. König und links eine zerstörte Figur.
In den Vierpässen des ornamental geschmückten, vor dem erwähnten schmalen Gewölbe befindlichen ersten Bogens die Brustbilder von heiligen Frauen.
IV. Die Deckengewölbe.
Zwei derselben: das I. und III. (von der Vierung aus gezählt) haben gesternten blauen Grund. Das II. ist durch reich ornamentierte Diagonalbänder geteilt: aus einer zierlichen Vase steigt Rankenwerk empor, das dicht über derselben sich erweiternd eine Art Mandorla bildet, in welcher ein flügelloser, mit Blumenpflücken oder dem Verzehren von Trauben beschäftigter nackter Putte steht. In den Zwickeln der Felder sieht man je zwei Engel mit erhobenen Flügeln, in der Linken eine Kugel, in der Rechten ein Szepter, die Füße auf einer Kugel. In der Mitte befinden sich Medaillons mit Brustbildern von: 1. Christus, in Rot und Blau, in der Linken eine Rolle, mit der Rechten segnend. 2. Johannes der Täufer, in Rot und Gelb, die rechte Hand erhoben, die Linke bewegt, mit rötlich blonden Haaren. 3. Maria, den blauen Mantel über dem Kopf, die Linke erhoben, die Rechte vor der Brust, nach halb rechts gewandt. 4. Franz, blondbärtig, beide Hände etwas erhebend, idealisierter Typus.
In dem IV. Gewölbe sind die Felder durch Streifen mit Rankenwerk, in dem kleine Brustbilder der verschiedensten geflügelten Tiere angebracht sind, eingerahmt und mit den Darstellungen der vier Kirchenväter geschmückt. Jeder derselben befindet sich links auf einem mosaizierten Thronsessel an einem Schreib- oder Lesepult, während rechts in einem nischenartigen Gebäude je ein Mönch sitzt. In den Zwickeln oben erscheint über Wolken das Brustbild eines einem geflügelten Christus gleichenden Mannes. 1. Hieronymus in Weiß und Rot, graubärtig, im Bischofsornat, liest in einem Buche, das er auf dem Tische hält; der bärtige Mönch ist gleichfalls in die Lektüre vertieft. 2. Ambrosius in Gelb und Blau, graubärtig, hält die Linke auf der Brust, die Rechte auf dem Buche; der jugendliche Mönch liest. 3. Gregor in Blau und Rot, bartlos, die linke Hand auf dem Lesepult, die Rechte auf dem Schoße, lauscht der vor seinem Ohr schwebenden Taube; der jugendliche Mönch schreibt. 4. Augustinus in Gelb, Rot und Blau hat die Linke auf den Schoß gelegt und bewegt sprechend die Rechte, der jugendliche Mönch hört auf ihn und steht im Begriffe, nachzuschreiben. – Diese Fresken sind gut erhalten, so gut, daß man anfangs annimmt, sie seien restauriert, was sich bei näherer Besichtigung nicht zu bestätigen scheint. Die schwarzen Mönchskutten sind durch die Feuchtigkeit in blaue verwandelt worden.
Zu erwähnen sind endlich in der Leibung jedes Fensters noch je 14 Brustbilder von Heiligen innerhalb eines ornamentalen Rahmens. An den der Vierung zunächst befindlichen Fenstern: Propheten mit Zetteln, im folgenden Paar: Patriarchen und Krieger, im dritten: Päpste, Bischöfe und einige Franziskaner, im vierten: Frauen.
Aus der Beschreibung der Fresken erhellt zur Genüge, wie schwer, ja unmöglich es ist, ein endgültiges Urteil darüber zu gewinnen, wie viele verschiedene Meister sie gefertigt und welches der Anteil eines jeden ist. Nur mit der größten Vorsicht dürfen Meinungen geäußert werden. Was sich mit Sicherheit sagen läßt, ist zunächst nur, daß unter den jetzt noch erhaltenen Darstellungen keine einzige von Cimabue selbst herrührt Zimmermann will Cimabues Hand in dem Besuch der Engel bei Abraham erkennen, worin ich ihm nicht beistimmen kann., und daß sich im großen und ganzen zwei verschiedene Richtungen geltend machen, eine ältere, die, den Stil jenes abschwächend, seine Schule und Beziehungen zu in Rom tätigen Meistern verrät, und eine jüngere, die ganz neue Elemente in Komposition, wie Formenbildung und Technik bringt. Der ersteren gehören sämtliche Wandbilder in den von der Vierung an gezählt zwei ersten Gewölben, sowie die oberen Reihen in den folgenden an, der jüngeren an der rechten Wand die vier Darstellungen aus Jakobs und Josephs Leben, an der linken die vier aus dem Leben Christi: der Zwölfjährige im Tempel, die Taufe, die Beweinung und die Frauen am Grabe, alle Fresken der Eingangswand und die vier Kirchenväter.
Wenden wir zunächst der älteren Richtung unsere Aufmerksamkeit zu, so lassen sich innerhalb der gemeinsamen Eigentümlichkeit, die in der Anlehnung an ältere Vorbilder und Nachahmung des Cimabueschen Stiles besteht, doch vielleicht die Merkmale verschiedener Individualitäten mit einiger Wahrscheinlichkeit unterscheiden. Derjenige Künstler, der dem florentinischen Altmeister am nächsten steht, hat die Malereien an den Wänden und den Gewölben der, von der Vierung aus gerechnet, zwei ersten Gewölbejoche, also die Schöpfungsgeschichte, die Szenen aus Noahs und Abrahams Leben, die Szenen aus der Kindheit Christi, die Hochzeit zu Kana, die Gefangennahme und die Geißelung, vermutlich aber mit einem anderen (Fresken der unteren Reihe) zusammen ausgeführt. Es ist ein Meister, von dekorativer Begabung, an Geist und Bedeutung Cimabue aber nicht zu vergleichen. Die Typen, weit entfernt dessen Größe und Würde zu besitzen, erscheinen bei den Männern altertümlicher, bei den Frauen beschränkt liebenswürdiger; die Gewandbehandlung ist kleinlicher mehr im alten Stile, die Bewegung unfreier und steifer. In den figürlichen Darstellungen tritt eine gewisse Ängstlichkeit und eine Scheu vor energischer dramatischer Gestaltung auf, eine in sich gehaltene Befangenheit, die nichts von Cimabues Energie hat.
Wenn Crowe und Cavalcaselle bei den Deckenbildern an Rusuttis Mosaik im Portikus von S. Maria maggiore erinnert werden, so kann ich ihnen darin nur recht geben. Auch mir erscheint die Verwandtschaft sehr groß. Es begegnen uns dort nicht allein die gleichen Köpfe mit dem charakteristischen reichen, völlig anliegenden Haare, den weit geöffneten Augen, dem runden Kinne und dem namentlich bei den Frauen sehr kleinen Munde, sondern auch sehr ähnliches Kolorit: das eigenartige helle Blau, die lichten, meist gebrochenen Gewandfarben, der etwas orangefarbene Fleischton mit bläulichen Schatten und weißen Lichtern. Mit Bestimmtheit jenen dem Vasari unbekannten Mosaizisten Filippo Rusutti zu nennen, verbietet uns gleichwohl noch immer die Vorsicht, die bei dem Studium der vorgiottesken Kunst so dringend geboten erscheint. Max Zimmermann glaubt neuerdings in dem Künstler nicht Rusutti, sondern Jacopo Torriti, den Schöpfer der Mosaiken in der Lateranskirche und in S. Maria maggiore zu Rom, Hermanin den Pietro Cavallini (und Torriti) zu erkennen.
Ein zweiter (oder besser: dritter) Künstler der älteren Richtung scheint die vier oberen Wandbilder rechts in den von der Fassade aus gezählt zwei ersten Gewölbejochen (Vertreibung aus dem Paradiese, Kain und Abel) und links die Darstellung im Tempel, die Flucht, die Kreuztragung und Kreuzigung gemalt zu haben. Max Zimmermanns Annahme, die Vertreibung und Kain und Abel seien auch von Torritis Hand, die genannten Bilder aus dem Leben Christi aber gehörten der jüngeren Richtung an, scheint mir nicht überzeugend. Hervorgehoben aber verdient zu werden, daß einige der Darstellungen eine gewisse Verwandtschaft mit dem von Vasari dem Gaddo Gaddi zugeschriebenen Mosaik der Krönung Marias im Dom von Florenz haben. Dies gilt namentlich von der »Kreuzigung«, die schließlich auch mit in die Reihe der Werke älterer Richtung gehört, wenn sich in ihr auch ein gewisser Fortschritt zu dokumentieren scheint. Macht demnach die ungleiche Erhaltung der Fresken ein endgültiges Urteil darüber, wie viele Künstler bei der Ausführung der erwähnten Bilder tätig gewesen, und welches der Anteil eines jeden ist, unmöglich, so läßt sich das eine doch behaupten, daß die Gemälde von etwas jüngeren Zeitgenossen des Cimabue, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach von mehreren angefertigt worden sind.
Die erste Tätigkeit Giottos in der Oberkirche. Auf neue Prinzipien stoßen wir erst, wenn wir die letzten alttestamentarischen sowie die letzten Bilder aus Christi Geschichte, die Kirchenväter, die Heiligen im Eingangsbogen und die Madonna ins Auge fassen. Hier trat ganz zweifellos eine neue Kraft auf, deren Bedeutung uns gleich die Szenen aus Isaaks und Josephs Leben schlagend erkennen lassen. Im schärfsten Kontrast zu der unbedeutenden Aufgeregtheit der vorangehenden Komposition erscheint hier ein wahrhaft antikes Maßhalten, eine sichere Einfachheit der Bewegung, eine von jeder Überfülle freie Klarheit in der Komposition; die Gewänder fallen leichter und natürlicher, was aber vor allem in die Augen tritt, ist der durchaus andere Gesichtstypus. Daß die erwähnten Darstellungen alle von einer Hand sind, kann für jeden, der sie eingehend und wiederholt vergleicht, kaum zweifelhaft sein, nur läßt sich wohl in ihnen eine gewisse Entwicklung verfolgen. So muß man betonen, daß die »Darstellung der zwölf Brüder vor Joseph« ungeschickter und altertümlicher wirkt, als die Jakobsbilder, daß auch das »Pfingstfest« und »Christi Himmelfahrt« in den Typen noch mehr an Cimabues Schulrichtung gemahnt, daß eine gewisse Ungleichheit nicht zu verkennen ist. Es ist augenscheinlich ein junger Künstler, der sich hier versucht, dessen angebornes Talent sich in einer neuen Auffassung der Dinge und Menschen bereits überall äußert, der aber noch mit dem zwingenden Einflusse der vorangegangenen Kunst ringt. Offenbar haben Werke der Antike einen großen Einfluß auf ihn gehabt, die Gewandbehandlung, das würdevoll Ruhige der Alten hat einen unauslöschlichen Eindruck in ihm hinterlassen, unter dem er nun die Frauengestalten im Hintergrunde der Beweinung, Figuren wie Rebekka, Isaak, Jakob und Esau schafft. So strebt er auch danach, den Köpfen die harmonisch einfachen antiken Züge zu verleihen, wobei er freilich häufig in Konflikt mit den traditionellen Formen gerät, wie denn, höchst lehrreich auf einem und demselben Bilde zu vergleichen, die »Brüder vor Joseph« noch die etwas gebogene Form der Nase zeigen, während der Soldat rechts von jenem bereits den antikisierenden Typus hat. Zu den Einflüssen des älteren Lehrers und der Antike kommt aber als drittes Element noch die Beobachtung der Natur, von der am stärksten vielleicht auf der »Beweinung« die schmerzbewegten Freunde Christi zeugen, deren Züge der Maler in dem Bestreben, wahr zu sein, teilweise verzerrt. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Fresken zu bestimmen, erscheint mir zu gewagt, obgleich sich Vermutungen wohl aufstellen ließen – es genügt, jene durch das Befolgen verschiedener Prinzipien hervorgebrachte Ungleichheit hervorgehoben zu haben und im folgenden nur noch das gemeinsame Charakteristische zu betonen.
Dabei handelt es sich zunächst um jenen, wie wir ihn kurz nennen dürfen, antikisierenden Gesichtstypus, der namentlich nach den jugendlich bartlosen Männer- und den Frauenköpfen (vgl. besonders die Heiligen am Bogen) folgendermaßen gekennzeichnet werden kann: längliche Gesichtsform, etwas gewölbte mittelhohe Stirn, deren Profillinie die ganz gerade, wie gemeißelte Nase mit scharfem Rücken und etwas gekniffenen kleinen Flügeln fortsetzt, scharf gezeichnete, wenig gewölbte Augenbrauen, große, etwas starr blickend geöffnete Augen, durch eine scharfe Falte hervorgehobene untere Augenlider, ziemlich volle Backen, die Oberlippe mit eckig gezeichneter Mittelvertiefung, voller Mund mit wenig herabgezogenen Winkeln, kräftiges Kinn, rundlich geschwungene, unten spitz verlaufend angewachsene Ohren. Die Hände sind in sehr charakteristischer Weise wie durch eine ringartige Falte von den ganz runden knöchellosen Armen geschieden und haben mittellange, etwas knöcherne, wenig zugespitzte Finger, einen dünnen Daumen, der vom Handteller durch scharf gezeichnete Linien gesondert ist. Das Haar ist im Gegensatz zur älteren Manier schon wiederholt als Ganzes behandelt. Die Köpfe der bejahrten Männer zeigen alle eigentümliche über der Nase aufsteigende, dann gerundet den Augenbrauen parallel laufende Stirnfalten, über denen noch andere horizontal liegen, sowie stark betonte Falten von der Nase zum Mund. Am ausgeprägtesten tritt uns der neue Stil, den man am besten als einen plastischen bezeichnen könnte, wie er denn höchst wahrscheinlich auch auf das Studium antiker Skulpturen zurückgeht, in der Madonna über der Tür entgegen. Bemerkenswert ist ferner die Vorliebe für reiche Architektur, die zum Teil, wie in dem »Pfingstfest«, ausgeprägt gotische Formen zeigt, und schließlich die Farbenbehandlung. Der helle Ton der andern Fresken ist hier einem tieferen kräftigeren gewichen, die grüne Schattenuntermalung ist dunkler, das aufgehöhte Rot in den Wangen lebhafter und mehr hervortretend.
Fragen wir nun, wer dieser jugendliche bedeutende, ganz neue Elemente in die Kunst einführende Künstler ist, der als der letzte von Cimabues Nachfolgern in der Oberkirche zu malen anfängt, so bleibt kaum ein Zweifel übrig: es ist derselbe, der, nachdem er die oberen Fresken beendigt hat, in den unteren die Franziskuslegende zu schildern beginnt, kein anderer als Giotto. Wenn Crowe und Cavalcaselle, denen das Neue in jenen Darstellungen nicht entging, Gaddo Gaddi zu ihrem Urheber machen wollen, so ist das eine in nichts begründete Vermutung. Sind selbst, wie Vasari will, die unteren Mosaiken im Portikus von S. Maria Maggiore zu Rom Werke jenes Künstlers, so beweist das doch nichts, da sie, um 1308 entstanden, offenbar nur den Einfluß von Giotto selbst zeigen, ohne doch an Bedeutung entfernt an die großartigen Franziskusdarstellungen reichen zu können. Die Kompositionsweise ist verwandt, das ist aber auch alles. Wir haben diese lebensvollen, herrlichen Darstellungen der Legende des Franz schon ausführlich besprochen und gesehen, daß sie Giotto rauben so viel hieße, als diesem seinen Ehrenplatz als Begründer der modernen Malerei nehmen und an seine Stelle einen unbekannten anderen Maler setzen. Hier gilt es nun, sie noch auf die stilistischen Eigentümlichkeiten hin zu prüfen.
Die Legende des heiligen Franz
Jener oben geschilderte antikisierende Typus nämlich ist, wie ein eingehender Vergleich zwingend ergibt, der auch für die Franzlegende eigentlich charakteristische, nur daß er hier kräftiger und etwas freier ausgebildet zur vollen Herrschaft gelangt. Im Verlaufe der Arbeit erfährt er geringe Modifikationen, die namentlich in einer Verfeinerung der einzelnen Formen, einer größeren Bestimmtheit der Konturen bestehen. So wird besonders der Nasenrücken immer schärfer und erscheint in seinem Ansatze schließlich so schmal, daß die Augenbrauen sich fast berühren. Zugleich wird die Nase spitzer, werden ihre Flügel kräftiger ausgebildet. Die Beobachtung der Natur macht sich im übrigen nicht in der Wiedergabe verschiedener menschlicher Typen, sondern hauptsächlich in dem Ausdrucke der Köpfe und in den Bewegungen geltend, weniger im Physiologischen, als im Psychologischen. Wir können die innerhalb der Franziskuslegende sich vollziehende Wandlung vielleicht am besten bezeichnen als einen Übergang von einem mehr plastischen Stile wiederum zu einem mehr malerischen.
Wie aber die Formen, so wird auch der Ausdruck der Köpfe immer lebensvoller und verschiedenartiger, wird die Bewegung immer freier und bezeichnender. Es ließe sich wohl viel darüber schreiben, wie zu gleicher Zeit mit der wachsenden Bedeutung des Auges für die Verdeutlichung der seelischen Zustände auch die Handbewegungen immer prägnanter dieselbe verraten. Dabei bildet sich eine Vorliebe für gewisse Stellungen der Hand aus, die Giotto sein ganzes Leben hindurch behält und die für seinen Stil geradezu charakteristisch werden. Sie treten schon in der Franzlegende kenntlich als eine Art Manier auf, wie deren ja fast jeder Künstler eine zu besitzen pflegt, und verdienen als kennzeichnende Merkmale seiner Werke kurz hier erwähnt zu werden.
1. Die Bewegung des Sprechens: Die Hand etwas gesenkt und geöffnet, mit dem Teller dem Beschauer zugewandt, der Ringfinger und der kleine Finger sind etwas nach innen gebogen Beispiele: Erweckung des Mädchens, Unterkirche. Christus im Tempel, Unterkirche. Der hintere Mann rechts auf der »Huldigung«, Christus auf »Traum des Franz«, der Sultan auf der »Feuerprobe«, Franz in der »Vogelpredigt«, die Krieger auf der »Bekehrung des Hieronymus«, Franz auf »Tod des Edlen von Celano«..
2. Die Bewegung des Erstaunens: Die Hand ebenso gestellt, nur nach oben erhoben Mönch auf »Ekstase des Franz«, Mann links auf »Presepe«, Mönch auf »Vogelpredigt«, Kardinal auf »Predigt vor Honorius«, Franz auf »Tod des Edlen von Celano«, Mönch auf der »Stigmatisation«, Priester auf »Befreiung des Petrus«. Mann auf »Tanz der Herodias«, S. Croce. Johannes der Täufer auf Baroncellibild. Christus im Tempel, Unterkirche. Darstellung im Tempel, Unterkirche. Dieselbe, Padua. Christus im Tempel, Padua. Engel auf Allegorie der Armut. Engel auf Allegorie des Gehorsams..
3. Die hinweisende Bewegung: Die Hand waagerecht mit geschlossenen Fingern, abstehendem Daumen, halb von der Rückenseite gesehen Franz und Mann auf der »Huldigung«, Kind auf »Lossagung vom Vater«, Mönch auf »Vision des Thrones«, Mönch auf »Vision des Monaldus«, Bürger auf »Franz' Beweinung vor S. Damiano«..
Außerdem kehrt öfter das Motiv des auf die Hand gestützten Kinnes wieder, wobei der Zeigefinger an der Backe liegt Bei einzelnen Schülern, namentlich Taddeo Gaddi und Giovanni da Milano, kehren dieselben Bewegungen wieder, aber lange nicht so ausdrucksvoll, wie auch die Zeichnung der Hände anders ist und jenes nervöse Gefühl vermissen läßt. Bei Giotto sind die Finger knochig, etwas zugespitzt, mit Vorliebe etwas nach der Handfläche zu gekrümmt..
Man könnte dies als unwesentliche Nebendinge betrachten, was sie freilich auch nur sind, doch äußert sich in ihnen in faßbarer Weise die eigentümliche Manier eines Meisters, dessen Charakteristik freilich aus ganz anderen Momenten gewonnen wird. Schon aus diesen scheinbar kleinlichen Merkmalen aber ließe sich mit Bestimmtheit sagen, daß ein und derselbe Künstler den ganzen Zyklus der Franzlegende geschaffen, spräche nicht auch alles sonst: die Kompositionsweise, die Typen, die Gewandung, die Architektur, die Technik dafür. Daß die letzten drei Darstellungen gewissermaßen von allen anderen abweichen, ist wiederholt betont worden und ist nicht abzuleugnen. Die Abweichung aber liegt bloß in einem Punkte: in den Verhältnissen der Figuren, die hier viel schlanker, übertrieben lang erscheinen. Rumohr ward dadurch namentlich bestimmt, den ganzen Zyklus Giotto abzusprechen, andere wie Crowe und Cavalcaselle wollen gerade nur in diesen Darstellungen dessen Hand erkennen. Nun kann es kaum ein Zweifel sein, daß auch sie auf Giottos Zeichnung zurückgehen, da alle Details, alle Formen genau den früheren Fresken entsprechen. Ist die Ausführung auf die Rechnung eines anderen zu setzen? Wie gelangte er selbst plötzlich zu diesem Manierismus? War es etwa ein absichtliches Experiment? Glaubte er in einer größeren Schlankheit der Verhältnisse der Natur näherzukommen, oder äußerte sich darin tatsächlich eine gewisse, durch die lange andauernde Tätigkeit hervorgebrachte Manier? Daß die ersten drei Bilder der Legende durch eine größere Weichheit der Behandlung von den andern abweichen, findet seine einfache Erklärung darin, daß sie allein noch nicht gereinigt worden sind, während alle andern durch Waschen und Putzen nicht allein den Staub, sondern wohl auch die ursprüngliche Epidermis verloren haben, so daß jetzt die grünen Schatten, die roten Fleischtöne und die weißen Lichter schroff und unvermittelt nebeneinander stehen, wodurch die Formen härter erscheinen, als sie es ursprünglich waren. Es ist mir nicht gelungen, eine genügende Erklärung dieser Eigentümlichkeit zu finden. Tatsache ist es, daß nicht allein die letzten drei Bilder, sondern auch einige vorangehende schwächer und weniger bedeutend in Zeichnung und Empfindung sind.
Die erste Wanderung längs dieser Freskenreihen, welche der Besucher von San Francesco mit Bonaventuras Legende des Heiligen in der Hand vornehmen sollte, wird ihn zunächst über der Teilnahme an dem Inhalt des Dargestellten kaum zu einer kritischen Betrachtung der Eigentümlichkeiten der künstlerischen Gestaltung gelangen lassen. Gerade daß ihn solche Kritik im Stiche läßt und daß er unwiderstehlich als ein Miterlebender in die geschilderten Ereignisse hineingezogen wird, daß er ganz unmittelbar Wesen und Handeln des unvergleichlichen hier gefeierten Mannes persönlich erfährt, läßt ihm dann aber, am Schlusse aus seiner Versenkung erwacht, zum Bewußtsein kommen, wie groß die ja doch noch in primitiven Formen sich äußernde Kunst sein muß, welche solche Wirkung auf ihn hervorbrachte. Staunend fragt er sich, durch welche Mittel Giotto des Betrachtenden Phantasie derartig zu bannen gewußt hat. Von einer so einnehmenden, durch alle die vollkommensten Mittel der Darstellung erreichten Täuschung idealer Wirklichkeit, wie sie das Abendmahl eines Lionardo, die Tapeten eines Raphael dem Betrachter aufzwingen, kann doch hier nicht die Rede sein: wie unvollkommen, verglichen mit solchen Schöpfungen, erscheint die Bildung der menschlichen Gestalt, wie wenig mannigfaltig die Charakteristik der Typen, wie ungelöst die Bewegung, wie zaghaft die Modellierung in Licht und Schatten, wie mangelhaft und nur andeutend die Perspektive, wie unausgebildet die Technik! Und trotz aller dieser Mängel ein so starker, echt künstlerischer Eindruck auf die Seele! Dem Sinnenden darf es hier zu Erkenntnis gelangen, daß, so herrlich und bedeutungsvoll das Vermögen überzeugender Naturnachbildung sein mag, es doch noch einen höheren Faktor im künstlerischen Schaffen gibt und dieser für jeden, welchem wirklich zu schauen vergönnt ist, der eigentlich künstlerisch erregende ist: die aus freiester Kraft der Selbstentäußerung hervorgehende Fähigkeit, in aller Erscheinung durch den Schleier der Individualität hindurch das allgemein Menschliche, jedem einzelnen aus innerer Erfahrung Vertraute im Gefühlsleben zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen. Ob nun die äußere Erscheinung zu entzückender Wirklichkeitsvorspiegelung gesteigert ist, wie bei Raphael und Lionardo, oder ob sie nur allgemein angedeutet und daher eine stärkere Betätigung unserer eigenen Phantasie verlangend erscheint wie bei Giotto, hier wie dort wird unsere Seele in eine von allem Bezug auf unsere Persönlichkeit befreite Stimmung versetzt, weil hier wie dort rein menschliche innere Vorgänge mit unwiderstehlicher Gewalt uns mitgeteilt werden.
Aus solcher genialer Gefühlskraft entdeckte Giotto eine neue Welt in der Natur, fand er seine künstlerische Sprache. Gewiß war der Drang nach Ausdruck eines leidenschaftlich bewegten Gemütes bei Cimabue nicht schwächer, aber dieser wahrlich auch geniebegabte Meister war noch im Wahne, alte Formen, deren Schönheit erst ihm wirklich aufging, von innen heraus beseelen und zu neuer Bedeutung erheben zu können. Was gewaltigem Streben gelingen konnte, war ihm gelungen. Sein Schaffen erst aber konnte erweisen, daß andere Wege eingeschlagen werden mußten, denn sein Ideal war keiner weiteren Ausbildung fähig. Das byzantinische Formenschema war wie eine nur einen einzigen Ausdruck, nämlich den erhabener Feierlichkeit, veranschaulichende Maske; Giottos Sehnen nahm sie von dem Antlitz der Natur hinweg, in deren unendlich wechselndem Ausdruck er die Offenbarung seines eigenen Wesens erkannte. Was er seine Zeitgenossen sehen lehrte, mochte diesen, wie auch manchem heute, nun zunächst freilich weniger schön, weniger groß, weniger geheimnisvoll dünken: dem in Antlitz, Gestalt und Gewandung sich verbildlichenden Übermenschlichen der Cimabueschen Figuren gegenübergestellt, mußte Giottos schlichter und kleiner gebildeter Menschentypus fast unscheinbar und nüchtern wirken. Gewiß hat es auch nicht an solchen gefehlt, welche, an das leidenschaftliche Pathos Cimabues gewöhnt, den Schwung dramatischen Lebens vermißten und in der Natürlichkeit der Anordnung einen Mangel an Sinn für hohen Stil gewahrten!
Bald aber mußte man erkennen, daß diese anspruchslose Ausdrucksweise des ohne Vorurteil den Eindrücken der Außenwelt sich hingebenden jungen Meisters in unendlich viel reicherer Weise menschliches Sein und Handeln, in viel mannigfacherer und vertiefterer Art seelisches Leben veranschaulichte und daß sie einen wohl anderen, aber nicht minder ausgeprägten Stil schuf, als es der byzantinisierende gewesen war. Einen Stil, denn auch hier ward ein Typisches geschaffen. Die Naturnachbildung ward idealen Vorstellungen höchsten, allgemeinen Menschentums, welches eben nur im Typischen zu veranschaulichen war, dienstbar gemacht. Jene Vorstellungen aber wurzelten durchaus im Gefühl. Indem die Natur direkt zum Interpreten desselben erhoben wird, vollzieht sich die wunderbare bildnerische Verwandlung des Gefühles in Erscheinung. Was man als Stil bezeichnet: die Darstellung des Typischen wird bei Giotto nicht mehr, wie es wesentlich der Fall in der byzantinischen Manier war, in dem äußeren Faktor der Symmetrie, sondern in dem inneren Faktor einheitlicher Gemütsstimmung gesucht. Die Symmetrie, auf welche, da sie das grundlegende Gesetz der Einheitsverdeutlichung ist, kein Künstler Verzicht leisten kann, muß doch vor der höheren Einheit des Seelenausdruckes zurücktreten, sie bestimmt unser ästhetisches Empfinden nur in uns unbewußter Weise. Man achtet so wenig auf sie, wie man beim Erklingen einer Melodie auf deren Takteinteilung merkt.
Was zuerst, im Vergleich mit den Werken vorhergehender Kunstübung, in Giottos Gemälden uns auffällt: die Freiheit in der Anordnung der Figuren, erklärt sich hieraus. Keine allgemeine Regel hat ihn bei der Komposition bestimmt, wie es bei seinen Vorgängern der Fall. Wohl gewahrt man bei näherer Prüfung, daß das scheinbar ganz Ungezwungene in dem Nebeneinander der Figuren, des Landschaftlichen und Architektonischen in kunstvollster Weise gebunden ist durch geheime Bande symmetrischer Gruppierung, daß bald durch einfache Hervorhebung der Mitte zwischen sich entsprechenden Seiten, bald durch bloße Gegenüberstellung von zwei Gruppen, bald durch pyramidale Anordnung, bald durch diagonale Scheidung, häufig genug auch durch Verbindung solcher verschiedener Konstruktionen Klarheit und Übersichtlichkeit in das belebte Ganze gebracht wird, aber in jedem einzelnen Falle wird diese grundlegende Einteilung neu und in eigentümlicher Weise aus den Bedingungen des Vorwurfs heraus gewonnen.
Neben dieser erstaunlichen Mannigfaltigkeit der Kompositionsweisen erscheint als zweites Charakteristische die Beschränkung, welche Giotto, verglichen mit den byzantinisierenden Meistern, in der Zahl der Figuren sich auferlegt. Zeigen freilich manche Gemälde, wie namentlich der Tod, die Kanonisation und die Bekehrung des heiligen Hieronymus, daß er sich noch nicht ganz von den Traditionen befreit hat, so ist doch im allgemeinen sein Streben nach Vereinfachung in bedeutsamer Weise tätig. Dieses geht wiederum aus seinem Bedürfnis nach einheitlichem Gefühlsausdruck, aus seiner eminenten dramatischen Begabung hervor. Mit vollkommener Deutlichkeit und in seiner inneren Notwendigkeit soll der zu schildernde Vorgang zur Darstellung gelangen. Dies bedingt die absolute Veranschaulichung der äußeren oder inneren Betätigung aller an demselben. Bloß Raum ausfüllende, unbeteiligte Gestalten, wie sie in wolkenartig gedrängten Massen hinter den Hauptaktoren auf den byzantinischen Bildern zu erscheinen pflegen, finden hier keinen Platz. Selbst wo eine Menge vorgeführt wird, erscheint sie nicht, wie dort, als Opernchor, sondern besteht sie aus lauter einzelnen mitwirkenden Individualitäten. So gibt es wohl noch neben den Hauptträgern der Handlung Nebenfiguren, aber jede derselben verlangt als bedeutungsvoll für das Verständnis des Ganzen, weil sie, die Wirkung der Handlung verdeutlichend, die Handlung selbst erst erkennen läßt, die Aufmerksamkeit. Eine solche Belebung der Darstellung bis in jede Einzelheit hinein war aber nur möglich, wenn der Künstler den entscheidenden Moment eines Vorganges, denjenigen, welcher gleichsam das Vorhergehende und das Nachfolgende in sich schließt, zur Veranschaulichung wählte. Nur in ihm war die Möglichkeit jenes einheitlichen Ausdrucks gegeben. Aus der Wahl dieses Momentes, welche nicht die Folge einer auf ästhetische Wirkung ausgehenden Reflexion, sondern die unmittelbare Folge eines stärksten konzentrierten Nachempfindens des in der Legende Geschilderten ist, geht die Gesamtanordnung und die Bestimmung der Anzahl der Figuren hervor. In einer äußerlich deutlich gemachten inneren Beziehung der Gefühle verschiedener Individualitäten auf eine diese Gefühle weckende, weil aus ihnen entspringende Handlung, mag sie nun einen sanft oder stark erregten Charakter tragen, ist demnach jene höhere Einheit erreicht, welche wir als das Wesentliche von Giottos Stil erkannten. Mit unbegreiflicher Kunst hat er, wie der Vergleich der Legende mit den Gemälden lehrt, es verstanden, selbst höchst widerstrebenden Stoff zu einer Bedeutung für das Gemüt zu erheben, indem er insonderheit bei Wunderwirkungen nicht das Wunder, sondern die es hervorbringende Seelenkraft zum Brennpunkt der Darstellung macht. Man betrachte z. B. die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo, erscheint da nicht die ganze Beschwörungsszene wie eine Ausstrahlung des in alle Tiefen der Seele sich verlierenden Gebetes des Franz? Welche Genialität spricht sich aus in der doch so einfachen Anordnung des in sich gekauerten knienden Heiligen hinter dem Bruder, dessen erhobener Arm gleichsam die Bewegung des Betenden in die Gebärde der Beschwörung überträgt! Wie begreiflich wird die Erscheinung des in Kreuzform über der Erde schwebenden Entzückten aus der im Blick und in den Armen sich äußernden himmelwärts strebenden Sehnsucht! Wie merkwürdig liegt es in den betenden Händen auf der »Tränkung des Durstigen« ausgesprochen, daß diese Bitte das Herabsenden einer Gabe von oben erfleht, wie sie als herabströmender Quell daneben dem Bauern zuteil wird!
Mit diesen Betrachtungen aber sind wir schon zu einer Vertiefung in einzelne Motive der Gemälde gelangt. Was wir von dem Ganzen ausgesagt, gilt auch für sie, daß Giottos Schaffen, verglichen mit der Kunst des 13. Jahrhunderts, auf Grund der Naturbeobachtung eine Vereinfachung, Individualisierung und Verinnerlichung bringt. Die Vereinfachung zeigt sich bei den Figuren in einer energischen Beschränkung auf möglichst wenige, aber charakteristische, den organischen Zusammenhang der Formen hervorhebende Linien, und auf eine schlichte, aber die Bewegung der Gestalt scharf kennzeichnende Faltengebung der Gewänder, bei der Architektur, wenn auch hier noch ein Zuviel herrscht, in der klaren und übersichtlichen Anordnung einzelner, einheitlich gestalteter Gebäude, bei dem Landschaftlichen, welches freilich der älteren Kunst am meisten verwandt bleibt, in dem Streben nach Zusammenhang im Aufbau des felsigen Terrains. – Die Individualisierung geht, was rein die äußere Erscheinung des Menschen betrifft, nicht über das bescheidene Maß einer sehr allgemeinen Kennzeichnung der Altersstufen hinaus. Der mit Monotonie vorherrschende männliche Typus, nur durch kleine Unterschiede in der Fleischfülle modifiziert, ist der bartlose. Die selten vorkommenden bärtigen Köpfe zeigen, wie die Engelfiguren, noch deutliche Beziehung zum byzantinischen Schema. Als Ausnahmen zu bezeichnen sind einige wenige Versuche einer absonderlichen Gesichtsbildung, wie der Typus des den Mantel ausbreitenden Mannes auf dem ersten Bilde und das auch sonst noch einigemal wiederkehrende Profil mit der kurzen, etwas aufgeworfenen Nase des Bürgers rechts auf demselben Fresko, welches sein weibliches Analogon in der »Kanonisation« findet. Bei den Frauen zeigt sich das Unterscheidende vornehmlich in der Tracht der meist weich und groß gewellten Haare. Der Mangel an Abwechslung und Charakteristik der äußeren Formelemente wird nun aber in solcher Weise durch die Fülle verschiedener Bewegungsmotive aufgehoben, daß man ihn erst bei näherer kritischer Prüfung entdeckt. Im Inneren, nicht im Äußeren findet Giotto das Entscheidende der Wesensunterschiede, und so geht sein Streben nach Individualisierung denn in einer Verdeutlichung der seelischen Vorgänge auf.
An Kraft, Reichtum und Prägnanz charakteristischer Veranschaulichung des Seelenlebens – das lehrt schon die Franzlegende – kommt er nicht nur den größten späteren Meistern dramatischer Schilderung gleich, sondern – man darf es wohl behaupten – übertrifft er sie alle. Es gibt keine Gemütsregung, welche er, aus der Fülle seines eigenen erregbarsten Wesens schöpfend, nicht in zwingend überzeugender Weise im Bilde zu uns reden ließe. Die ungeheure Intensität seines inneren Erlebens verlangt und gestattet ihm eine Konzentration des Ausdruckes, die dem pathetischen Übertreiben der Bewegungen in der byzantinischen Kunst jenes Maß der Gebärdensprache gegenüberstellt, welches das bedeutsame Merkmal des neuen Stiles ist. Findet durch solche Mäßigung die ästhetische Anforderung, welche die bildende Kunst in ihrem rein räumlichen Prinzip an den Künstler stellt, nämlich alle Bewegungsdarstellung zugunsten eines Dauernden zu bändigen, ihre Erfüllung, so wird zugleich die Phantasie des Beschauers durch den Eindruck gespannter latenter Kraft in den dargestellten Handelnden [zur] ergänzenden belebenden Tätigkeit, welche das Räumliche in Zeitliches umsetzt, gezwungen. Das Maßhalten in der Gebärde aber wurde möglich erst durch Giottos Entdeckung des unendlichen Reichtums physiognomischer Sprache. Der Fülle der mit unbegreiflicher Schärfe des Blickes dem Leben abgelauschten Motive in Haltung und Bewegung des Körpers, der Hände und des Kopfes entspricht die Ausdrucksmannigfaltigkeit des vor allem im Blick des Auges mit unbedingter Gewalt an die Oberfläche dringenden inneren Lebens. Wie unbegrenzt die Meisterschaft Giottos in solcher Charakteristik des Empfindens war, lehrt jede Figur des Zyklus. Man sehe auf dem ersten Bilde die wohlwollend gelassene Betrachtung der Männer links der ärgerlichen Verwunderung derer rechts gegenübergestellt, das freundliche demütige Gebaren des Jünglings. Wie ist in dem seinen Mantel verschenkenden Franz die Mischung von Mitleid und zarter Scheu, den anderen zu verletzen, in dem sich vom Vater lossagenden Sohne feierlicher Entschluß, in dem Vater ohnmächtige, zum Hasse sich steigernde Erbitterung eines harten Herzens, wie in den vor Innocenz III. knienden Mönchen Zuversicht auf Erfüllung der Bitte und vertrauensvolles Erwarten, wie das erhabene Bewußtsein eines großen Erlebnisses in dem die Vision des feurigen Wagens gewahrenden Manne, wie die Gewißheit heiliger Aufgabe in dem die Dämonen beschwörenden Bruder geschildert! Wie unmittelbar spricht aus der Darstellung der Feuerprobe vor dem Sultan die ängstliche Erwartung der Magier, die Verachtung des Bruders, das demütige Verlangen des Franz, seinen Glauben zu bewähren, und die vorwurfsvolle Strenge des Sultans, in der Weihnachtsfeier die gerührte Teilnahme der Anwesenden, in der Vogelpredigt die zarte Liebe des den Tieren holden Predigers, in der Vision des Augustinus das sehnsüchtige Verlangen, dem verlorenen Freunde zu folgen, in der Heilung des Mannes von Ilerda die Ratlosigkeit des Arztes, in der Beichte der Witwe das Grausen und Schaudern der sie Umgebenden zu uns! Will man aber des Meisters ganzes Können erfassen, so vergleiche man die verschiedenen Darstellungen derselben oder verwandter Affekte und Stimmungen und beachte die Feinheit der Unterschiede. Wiederholt sehen wir das Gebet veranschaulicht, jedesmal aber ist die in ihm sich ausdrückende Seelenbewegung als eine andere durch Haltung und Mimik gekennzeichnet. Erfüllt den in San Damiano knienden Jüngling kindliche Ehrfurcht und Verwunderung, so drückt sich im Gebet auf der »Vision des Thrones« demütige Scheu aus. Äußerste Kraftanstrengung des Glaubens macht die Bitte von Arezzo zur wunderwirkenden, während die Gewähr des Wunders dem für den Durstigen Betenden im freudigen Aufschwunge des Gefühles bereits zum Bewußtsein kommt. Weiter vertiefe man sich in den Vergleich der verschiedenen Darstellungsweisen, welche Giotto für aufmerksames Zuhören, besonders auf der Predigt vor Honorius und der Erscheinung in Arles gefunden, – wie er hierfür alle Möglichkeiten von schärfster Verstandesauffassung bis zu träumerischer Entrückung entdeckte – oder in die Wiedergabe des Erstaunens – von kalter Abwendung bis zu sehnlichem Hingezogensein – oder in die Ausdrucksformen für ekstatische Erhebung! Vor allem aber vielleicht wird die Betrachtung der Darstellung des Schmerzes den Betrachter mit rückhaltloser Bewunderung für diese große Kunst erfüllen. Welche Steigerung des Empfindens ist in der um den Edlen von Celano sich scharenden Frauengruppe gegeben: von bloßer Betroffenheit zu bewegtem Mitgefühl und weiter zu einer mit Neugier und Grauen vermischten krampfhaften Erregtheit in der zu den Füßen des Toten knienden Frau, endlich zu der Gattin wortloser Verzweiflung, welche in den geliebten Augen das entschwundene Leben sucht! Welche ergreifende inbrünstige Hingebung beflügelt den Schritt der aus San Damiano herauseilenden Nonnen, die zu tränenreichem Abschied von ihrem Führer und Tröster, wie von einer noch von ihm ausgehenden Liebeskraft zu ihm gezogen, über die Bahre sich beugen, mit welcher feierlichen Stille umgibt ein tiefstes Versunkensein in unaussprechliches Leid den kaum erst der Brüdergemeinde entrissenen Heiligen! –
In sich mußte der Schöpfer dieser Werke alles, was er uns so mitteilte, erlebt haben. Der Blick auf diese Bilder dringt durch sie hindurch in das unendlich bewegte Seelenleben Giottos.
Welch scharf prüfender Verstand und welch hohe ordnende Vernunft aber dem Meister für die formale Gestaltung des durch Inspiration innerlich Erschauten zu Diensten standen, wird aus jeder Einzelheit seiner Werke offenbar. Eine klare, unbeirrbare Naturbeobachtung wird im Geiste schlichter Wahrhaftigkeit die Vermittlerin zwischen Idee und Darstellungsform. Alles Wesentliche hierüber ist schon in den vorausgehenden Ausführungen enthalten. Bemerkt zu werden hierzu verdient aber doch, wie der Künstler unwillkürlich freudig jede Gelegenheit benutzt, von seinem Verhältnis zur Natur gleichsam ein Bekenntnis abzulegen, indem er genreartige Motive im dramatischen Sinne verwendet. Schon Vasari fand den am Quell trinkenden Bauer von außerordentlich drastisch-natürlicher Wirkung, das gleiche darf man von den singenden Mönchen in der »Weihnachtsfeier zu Greggio«, von dem Gespräch der Frauen mit dem Arzte auf der »Heilung des Mannes von Ilerda«, von der Beichtszene auf dem »Wunder der wiedererweckten Frau« und so manchem anderen einzelnen Motive (besonders den verschiedenen Darstellungen Schlafender) behaupten. Auch die Szenen der hohen Geistlichkeit am päpstlichen Hofe und die Zeremonien des Klerus gelegentlich des Todes des Franz dürfen als ähnliche Zeugnisse von des Malers reiner Freude an seinem Vermögen objektiver Beobachtung betrachtet werden.
Wie weit aber, so müssen wir uns fragen, erstreckt sich die Naturnachbildung auch auf die räumliche Umgebung des Menschen? Hier fällt nun als charakteristisch auf, daß, so überraschend lebenswahr die Tiere: Pferd, Esel und Vögel wiedergegeben werden, die Landschaftsdarstellung keinen großen Fortschritt über die byzantinische Manier aufweist. Giotto läßt sich an den durch scharfe Kantenabsätze gegliederten traditionellen Felsenhöhen, auf welchen einzelne kleine Bäume – nur einmal auf der »Vogelpredigt« erscheint ein reicher durchgebildeter und mehr individualisierter Baum – von gleicher vager Form stehen, genügen. Das überkommene Vorurteil, daß der Landschaft keine Bedeutung neben dem Menschlichen gebühre und daß mit einer bloßen Andeutung genug geschehen sei, und zugleich vielleicht die Hilflosigkeit, in welcher sich ein primitives Können, den Schwierigkeiten der Luftperspektive gegenüber an dem Auffinden einer Gesetzmäßigkeit der Darstellung verzweifelnd, befand, hielten ihn von einer Beschäftigung mit dieser überreichen Erscheinungswelt ab.
Hingegen wandte er sich mit verdoppeltem Eifer dem eine deutliche Raumwirkung leichter ermöglichenden Architektonischen zu. Phantasie und Wirklichkeitsstudium vereinigen sich zu einem ungemein vielseitigen, immer Neues erzeugenden Schaffen auf diesem Gebiete. Eine ganze Stufenreihe von durchaus unwirklichen Gestaltungen bis zu Gebäuden, welche bestimmte, zum Teil noch heute vorhandene Werke wiedergeben, zeigt sich unserem über die Freskenreihe hingleitenden Blick. Sind die eigentümlichen, wie aus Holz errichteten mehrstöckigen, kanzelförmigen, phantastischen Bauten mit Loggien und Treppen noch aus den künstlich ineinander geschachtelten Architekturen der byzantinischen Malerei hervorgegangen, so tritt etwas durchaus anderes in den sehr verschiedenartigen, deutlich die gründliche Beschäftigung mit dem gotischen Stil verratenden Gebilden hervor. Auch bei ihnen handelt es sich wohl zum Teil, wie in den thron- und kapellenartigen Anlagen, um willkürliche Erfindung. In anderen, nämlich den vorn offenen, von Säulen getragenen Innenräumen, aber dürfte man freie Nachbildungen der zuerst im liturgischen Drama, dann in den »Devozioni« auf der Bühne aus Holz errichteten Dekorationen, in welchen abwechselnd die Handlung spielte, gewahren, für welche Annahme auch die öfters vorn angebrachten Vorhänge, von denen in alten szenischen Angaben die Rede ist, sprechen. Ja, mir scheint, daß diese auf den Fresken angebrachten Baulichkeiten eine überraschend anschauliche Vorstellung von eben jenen Bühneneinrichtungen geben. Daneben sehen wir endlich in den freilich miniaturhaft abbreviierend gehaltenen Durchschnitten von Basiliken, in höherem Grade aber in den schönen gewölbten Hallen eine unmittelbare Annäherung an die Realität. Ja letztere gelangt im einzelnen, wie in dem Palast auf dem ersten Fresko, in der Choransicht einer Kirche auf der »Vertreibung der Dämonen« und in der Kirchenfassade auf der »Beweinung Francisci durch die Nonnen« fast ganz zum Siege, wenn auch das Größenverhältnis zu den Figuren ein viel zu kleines ist. Direkte, wenn auch freie Nachahmung bestimmter Vorbilder finden wir in den antiken Bauten des Minervatempels (erstes Fresko), des Septizoniums und der Trajanssäule (letztes Fresko).
Kein Zweifel, daß Giotto schon in so frühen Jahren das lebhafteste Interesse für die Baukunst hatte und sich mit Entwürfen im Geiste des toskanischen Inkrustationsgeschmackes beschäftigte. Die von ihm gezeichnete Fassade von San Damiano erscheint wie ein Vorläufer der Domfassaden in Orvieto und Siena. Spricht sich demnach in diesen architektonischen Hintergründen eine künstlerische Vorliebe aus, so dienen sie doch zugleich ganz wesentlich dem Maler zur Raumverdeutlichung. Ein sehr bewußtes und zu höchst bemerkenswerten Resultaten führendes Streben nach Darstellung des Perspektivischen ist erkennbar. Die Konstruktionen desselben erstrecken sich freilich noch nicht auf ganze Darstellungen, sondern bleiben auf die einzelnen Baulichkeiten beschränkt, zeigen aber hier Konsequenz und Berechnung, welche es zu überzeugender Raumwirkung bringt. Ja, er darf kühne Dinge, wie die Verkürzung der Kreuzgewölbe auf der »Predigt vor Honorius«, die Verjüngung der Konsolenrundbogen auf »Franz vor Innocenz«, den schrägen Einblick in eine Halle auf der »Erscheinung in Arles«, die Verschiebung der Kassetten an der gewölbten Decke auf dem »Tod des Edlen von Celano« wagen, ohne unser Gefühl zu befremden. Nur durch mit Ernst betriebene und für höchst wichtig gehaltene Studien wurde dies möglich; wie eingenommen er von denselben war, zeigt ein nebensächliches Detail: die perspektivische Ansicht der als Rahmen der Bilder gemalten Konsolenfriese.
Mit solchen Bestrebungen innig verknüpft erscheint schließlich eine Modellierung der Erscheinungen in Licht und Schatten, wie sie wiederum der byzantinisierenden Kunst gegenüber etwas ganz und entscheidend Neues ist. Auch hierin bleibt Giotto innerhalb gewisser Grenzen, deren Überschreitung eine der größten Taten Masaccios und der Quattrocentokunst wurde, doch bedeutet seine Entdeckung die Aufstellung des später nur weiterentwickelten Prinzips. Indem er die Lichtwirkung von einer bestimmten Stelle ausgehen läßt, gewinnt er einen wichtigsten Faktor für die Einheitlichkeit des Ganzen. Jene Stelle aber wählt er mit genialer Berücksichtigung des für die Komposition Günstigen und des im Vorwurf sich natürlich ihm Darbietenden. Die ersten Versuche einer charakterisierenden Unterscheidung zwischen Freilicht und Binnenlicht sind in diesen Wandbildern zu finden, zugleich aber auch die ersten, sehr kühnen Wagnisse, künstliche Lichtwirkungen darzustellen, wie die in dieser Hinsicht besonders merkwürdigen Fresken der »Weihnachtsfeier in Greccio« und der »Beweinung des Franz von San Damiano« lehren.
Alle diese die Gesetze der Raumwirkung erschließenden Neuerungen in der architektonischen Umgebung, in Perspektive und im Licht sind aber schließlich alle doch eben nur Mittel zu einem höheren Zweck. Sie dienen dem gewaltigen Ausdrucksbedürfnis der Seele eines Künstlers, welcher als der erste die Erscheinung voll und ganz als Offenbarung inneren Wesens erfaßte, und dessen Stil aus solcher Durchdringung von Seele und Natur entstand!
So sieht man, fassen wir in Kürze noch einmal alles zusammen, Giotto im Anfange seiner Laufbahn, halb noch Schüler, halb schon Meister, durch das Studium der Natur und der Antike sich von den alten Traditionen befreiend anfangs an den letzten Darstellungen aus dem großen Zyklus der alt- und neutestamentarischen Szenen, dann an dem neuen, der Phantasie freien Spielraum lassenden, reichen Stoffe der Franziskuslegende seine Schule durchmachen Es scheint angebracht, hier nochmals jene oberen Fresken Giottos anzuführen. Es sind: R. Längswand Nr. 13, 14, 15, 16 (die Bilder aus dem Leben Jakobs und Josephs); l. Längswand, g. (der zwölfjährige Christus im Tempel), h. (die Taufe Christi), p. (die Beweinung Christi) und q. (die Frauen am Grabe); Eingangswand r und s (Himmelfahrt, Pfingstfest, Petrus, Paulus, Maria mit Kind und Engel); ferner die Heiligen im Eingangsbogen und die Kirchenväter an der Decke.. Wir sehen ihn von Schritt zu Schritt mehr Herrschaft über die Formensprache, größere Sicherheit in der Zeichnung, freieren Ausdruck für die Darstellung der verschiedensten inneren Empfindungen, bedeutendere Leichtigkeit in der Komposition gewinnen. So hat sich in der Oberkirche von Assisi die großartige Wandlung der Kunst zuerst in Cimabues ahnend den Weg vorzeichnenden Fresken, dann, nachdem eine kurze Pause der Erschlaffung eingetreten, in Giottos die Natur und Antike zu Lehrmeistern nehmenden Studien vollzogen. Das Wesentliche ist bereits geschehen – fortan hat Giotto nur, die eigene Individualität bewahrend und die gewonnenen Erfahrungen benutzend, in stetem Zusammenhang seinen Stil zu entwickeln, bis er das Leben des Johannes in S. Croce schildern und damit den Höhepunkt seiner Kunst erreichen kann Vgl. mit der oben gegebenen Analyse von Giottos Jugendstil die sehr beachtenswerte Schrift von J. J. Tikkanen: Der malerische Stil Giottos (Helsingfors 1884) und die soeben im Repert. für Kunstw. (XXVII, 221) erscheinenden Studien »zur Stilbildung der Trecentomalerei« von O. Wulff..
Die Stadien der Entwicklung weiter zu verfolgen, sollen uns die Fresken der Unterkirche dienen, in die wir nun wieder hinabsteigen. Zuvor aber gilt es noch ungefähr den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem Giotto zuerst nach Assisi gekommen. Halten wir daran fest, daß er damals noch sehr jung gewesen sein muß, daß sein im Jahre 1300 für den Kardinal Stefaneschi in Rom gefertigtes Altarbild in S. Peter bereits einen Fortschritt gegen die Fresken bedeutet, so läßt sich das eine ziemlich sicher behaupten, daß er vor 1298, in welchem Jahre er nach Rom kommt, zum ersten Male in Assisi gewesen sein muß, daß also die Bilder der Oberkirche im Anfang der neunziger, vielleicht zum Teil schon Ende der achtziger Jahre entstanden sind Woher Vasari die dann nach ihm von Rodulphus (II, S. 185) wiederholte Angabe hat, daß der General Giovanni di Muro Giotto nach Assisi berufen habe, ist nicht zu sagen. Wäre sie glaubwürdig, so fiele ein Aufenthalt Giottos in Assisi zwischen 1296 u. 1304.. Zeitlich, aber auch stilistisch schließen sich ihnen die Fresken der Nikolauskapelle in der Unterkirche an.
Die Kapelle des h. Nikolaus (S. 198. Plan: B).
Diese wie die südlich gelegene Kapelle des h. Giovanni Batista (Plan: A) sind von dem 1342 gestorbenen Kardinal Napoleone Orsini gestiftet und mit künstlerischem Schmucke versehen worden Diese Bestimmung bereits in einem alten Verzeichnis der Grabmäler in der Kirche vom Jahre 1569, das eine Kopie einer älteren Handschrift vom Jahre 1509 ist (im Archive von S Francesco): ›Item nella Cappella de San Joan Baptista – sta nella porta della sacrestia verso 330 Giono (sic!). La fece fare il signor Napolion – nepote de papa Nicolò terzo: nella quale ella volse esser sepellito‹ und: ›Item nella Capella di sancto Nicolo sta seppelito il corpo del Sig re Gioan fratello dei detto Sig re Napolione Cardinale, qual capella ancora esso signor Napolione fece edificare.‹ – Danach in der Alten Beschreibung und bei allen folgenden Autoren.. Von letzterem ist in der Johanniskapelle nichts erhalten als einige Glasfenster; Wandgemälde scheinen niemals dagewesen zu sein und die Nische hinter dem Altar wartet noch heute auf das Grabmal des Stifters. Jene ältesten Glasgemälde aber, die jetzt neben anderen aus dem 15. Jahrhundert und einigen ganz modernen sich befinden und das Wappen der Orsini zeigen, sind für die Datierung der Kapelle von großer Wichtigkeit. Sie zeigen nämlich einen durchaus primitiven Stil, die Zusammensetzung aus vielen kleinen Stücken und ein rein romanisches Ornament, und sind zweifellos noch im 13. Jahrhundert entstanden. Der Zeichnung nach könnte man sie noch für vorcimabuesk halten, doch darf man nicht vergessen, daß gerade in den untergeordneten Künsten der alte Stil sich meist länger erhält. Später als die neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts aber möchte ich ihre Entstehung nicht ansetzen – was für die Gemälde gilt, gilt aber auch vermutlich für die Kapelle, da eine Übertragung der Scheiben hierher nicht wahrscheinlich ist Eine kurze Beschreibung und geschichtliche Würdigung der für die Kenntnis der italienischen Glasmalerei höchst wichtigen farbigen Fenster in S. Francesco zu Assisi wird im Anhange IV gegeben werden.!
Einen etwas vorgeschritteneren Stil dagegen zeigen die Glasfenster der Nikolauskapelle, auf denen neben dem Wappen der Orsini jener Stifter Napoleone selbst als Bischof in mittlerem Lebensalter (Inschrift: fec. fieri hoc opus) und sein Bruder Giovanni Gaetano (bez. dns. Jhs) in jugendlichem Alter dargestellt sind. Ein noch deutlicheres Bild von den Brüdern aber gewinnen wir aus dem Fresko über dem Eingange, auf dem sie von Franz und Nikolaus dem Heiland empfohlen werden. Giovanni Gaetano (bez. ›Johannes Gaetanus‹, in der Stola des Diakonus) sieht hier noch fast wie ein Knabe von etwa achtzehn Jahren aus, während der Kardinal etwa ein Dreißiger sein dürfte. Daraus und aus dem Stil wird es uns möglich, die Entstehung der Fresken, welche die Wände schmücken, annähernd um die Mitte der neunziger Jahre des 13. Jahrhunderts anzusetzen. Offenbar gedachte Napoleone Orsini durch diesen Freskenzyklus das Andenken zugleich seines Verwandten, des 1280 gestorbenen Papst Nikolaus III. und des Nikolaus IV., des ehemaligen Franziskanerprovinzials, der ihn zum Kardinal gemacht und 1292 gestorben war, zu feiern Napoleone wird 1288 Kardinal, † 1342 in Avignon, 1300 ist er als Legat in Umbrien. Giovanni Gaetano wird 1316 Kardinal und † 1355 (nach Cardella). Vgl. Ciacconius: vitae et res gestae Pontificum II, S. 268, 413. – Eggs: Purpura docta. Monachi 1714. I, S. 247, 311. – Cardella: Memorie storiche di Cardinali 1792. II. S. 33, S. 111..
Durch diese Datierung aber gewinnen die Wandgemälde ein ganz besonderes Interesse: sie sind zu einer Zeit entstanden, als Giotto selbst, der große Neuerer, noch ganz jung war, sie zeigen zu den Fresken der Oberkirche sehr nahe Beziehungen, aber doch eine größere Freiheit und weisen neben einigen Schwächen der Zeichnung höchst bedeutende Qualitäten auf. Da kann es sich eigentlich nur um die Fragen handeln: ist Giotto selbst oder ein verwandter Künstler, der schon damals alle die Errungenschaften des neuen Giottoschen Stils sich zu eigen gemacht, ihr Verfertiger? Letzteres erscheint ziemlich unglaublich, bedenkt man, wie weit selbst ein Taddeo Gaddi in seinen viel späteren Werken hinter dem Meister zurücksteht! Und ein Schüler sollte – und zwar noch vor Entstehung der Arenafresken – bereits imstande gewesen sein, Gestalten zu schaffen, wie die großartig frei bewegten, schön gewandeten Apostelfiguren der Sakramentskapelle? Er müßte sie den ganz verwandten zwölf Aposteln auf Giottos Bild in S. Peter, die ihresgleichen sonst nicht haben in der florentinischen Kunst jener Zeit, frei nachgebildet haben – und selbst das wäre wenig glaublich! Stilistisch sind die Fresken zweifelsohne am meisten der Franzlegende und dem Bilde in Rom (1298–1300) verwandt, nur daß in den Szenen der Nikolauslegende die Figuren viel kürzer gehalten sind, die Bewegung steifer, das Detail weniger fein, ja bisweilen verzeichnet ist. Die Einzelfiguren in ihrer statuarischen Haltung, wie ihrer weichfließenden Gewandung, in den sicher en face gezeichneten Köpfen, in dem zarten malerischen Geschmack heller Farben, in den weichen transparenten Tönen des Inkarnates sind von bedeutender Wirkung, ja in der verklärten Menschlichkeit Christi, wie in der scharfen Porträtcharakteristik der Orsini zeigen sich die entscheidenden Erscheinungen eines neuen Ideales, welches die Kunst der Renaissance eben keinem anderen als Giotto verdankt. In ihm muß ich den Schöpfer dieser Malereien gewahren, dem vielleicht ein Mitarbeiter geholfen hat. Durchaus mit Unrecht hat man bisher aus einer Stelle bei Vasari den Schluß gezogen, der Künstler sei Giottino. Vasari spricht ganz ausdrücklich davon, daß dieser die noch erhaltenen Fresken über der Kanzel der Unterkirche gefertigt, beschreibt sie auch richtig und irrt sich nur darin, daß er den Bischof Stanislaus für den Bischof Nikolaus nimmt I, 627. Vgl. Näheres weiter unten.. – Betrachten wir jetzt kurz die Gemälde, welche das schmale Tonnengewölbe am Eingange der Kapelle und die daran stoßenden zwei Wandseiten in vier Reihen schmücken Von mehreren gibt es Photographien von Alinari.
Das Tonnengewölbe:
1. In einem Gebäude liegen, dem Hungertode nahe, der unglückliche Vater und seine drei Töchter, welche Nikolaus vor der Schande bewahren sollte. Der jugendliche Heilige steht en face rechts auf der Schwelle und reicht, wie es scheint, einen Korb in das Zimmer herein.
2. Ganz zerstört, nur noch Reste eines Schiffes sichtbar.
3. Vor einer reichen, bunten gotischen Kirchenfassade, die an jene auf Giottos Fresko in der Oberkirche dargestellte von S. Damiano erinnert, steht der Heilige und segnet einen jungen Mann, einen um dessen Hals gelegten Strick haltend. Zwei Leute rechts schauen zu. Links stehen sechs Männer, von denen sich mehrere einen Strick um den Hals halten (Abb. S. 307).
4. Ein jugendlich bartloser und ein blondbärtiger Apostel, beide eine Rolle, der erstere außerdem ein Kreuz in der Hand.
5. Vor einem reich gestalteten Stadttore ist eben ein Henker im Begriffe den einen von drei knienden Jünglingen, die ungerecht von einem Konsul zum Tode verurteilt waren, zu enthaupten, als der von links herantretetende Bischof Nikolaus ihm ins Schwert fällt. Rechts stehen zwei Bürger.
6. Ganz zerstört, nur Reste eines Schiffes erhalten.
7. In einer Halle mit gerader, auf feinen Säulchen ruhender Decke liegt schlafend der Kaiser Konstantin. Nikolaus schwebt mit sprechend erhobenen Händen auf ihn zu und befiehlt ihm, die drei gefangenen Feldherrn Nepotianus, Ursus und Apilius loszugeben. Diese sieht man unten hinter einem vergitterten Fenster, vor dem ein großer Holzkäfig steht. Die Stellung des Kaisers ist wenig bestimmt angegeben, die Bewegung des Bischofs etwas matt.
8. Zwei jugendliche Apostel.
Rechte Wand:
9. Lünette. Links steht der Heilige und faßt mit der Linken ein auf dem Boden sitzendes Mädchen, es zum Leben erweckend. Dahinter kniet eine betende Frau und steht ein Mann mit krampfhaft geschlossenen Händen.
10. Ein am Hofe des Königs der Sarazenen gefangen gehaltener Knabe steht eben im Begriffe, dem rechts an gedeckter Tafel sitzenden Herrscher einen Kelch zu reichen, als Nikolaus von oben herabfliegt und ihn am Haare faßt, um ihn zu entführen. Links steht ein anderer Knabe vor zwei bei der Mahlzeit sitzenden Männern.
11. Der Heilige, hinter dem eine erstaunte Frau und ein Mann sichtbar sind, bringt mit beiden Händen ihn haltend den Knaben, der noch den Kelch trägt, der erstaunten Familie zurück, die gerade bei Tische sitzt. Höchst lebhaft sind die Empfindungen der verschiedenen Beteiligten wiedergegeben. Der Vater umfaßt mit beiden Armen den Sohn, die Mutter streckt die Arme nach ihm aus, dankend schaut ein Jüngling mit gefalteten Händen gen Himmel, ein Mönch hebt erstaunt die Arme.
12. Petrus mit den Schlüsseln, Andreas graubärtig mit Rolle und Kreuz und ein blondbärtiger Apostel mit Buch.
Linke Wand:
13. Lünette. Ein aufgeregt nach rechts tretender Mann schwingt in der Rechten eine Geißel gegen das in einem Tabernakel befindliche Brustbild des heiligen Nikolaus. Es ist der Jude, der sich an dem Heiligen rächt, weil dieser ihn nicht vor Räubern, die ihn ausgeplündert, geschützt hat. Wie der Heilige ihm das Gestohlene zurückerstattet, ist nicht dargestellt.
Die Felder 14, 15 und 16 haben keine figürlichen Darstellungen, sondern sind einfach blau gestrichen.
Eingangswand:
17. In der Höhe über dem Eingangsbogen steht in der Mitte in einem gotischen Tabernakel, das an die Tabernakel mit Heiligen in der Capella Bardi erinnert, Christus, eine schöne ernste Erscheinung, in der Linken ein Buch, die Rechte erhebend. Links führt Franz, die Linke erhebend, den knienden bartlosen Kardinal Napoleon, rechts Nikolaus den jugendlichen Giovanni Gaetano zu ihm.
18. Links. Maria Aegyptiaca (oder Magdalena) stehend in einer Felsenhöhle, betend, ganz in ihre Haare gehüllt.
19. Rechts. Johannes der Täufer in felsiger Landschaft, in der Linken Zettel, die Rechte ausgestreckt.
20. und 21. Zwei Apostel mit Büchern.
Endlich in der Leibung des Eingangsbogens: auf jeder Seite sechs Heilige in voller Figur. Rechts: Antonius von Padua, bartlos, mit Buch; Franz mit Buch und Kreuz; der jugendliche Adrianus, in der Rechten ein Kreuz; der jugendliche Georgius mit Schild und Lanze, auf Drachen stehend; die heilige Agnes, als Königin, ein Lamm haltend und die heilige Rosa(?), einen Rosenkranz im Haar. – Links: Graubärtiger Bischof »Ruphynus«; Bischof Nikolaus; jugendlicher Bischof Sabinus; graubärtiger Victorinus; die heilige Chiara mit der Lilie und die heilige Elisabeth von Ungarn(?) mit Lilie und Buch (Abb. S. 127).
Endlich sind noch in den Fensterleibungen zahlreiche Brustbilder, zumeist von Bischöfen, erhalten.
Nicht in den Legenden, sondern in den Heiligenfiguren ist das für die Entwicklung des Giottoschen Genius Bedeutende zu sehen. Noch herrscht eine statuarische Feierlichkeit in den einfach groß gehaltenen Gestalten, aber, mit der Steifheit einzelner in frühester Zeit ausgeführter Heiliger in der Oberkirche verglichen, erscheinen sie ausdrucksvoll bewegt. Ein Streben nach Fülle und Weichheit, in den breiten abgerundeten Gesichtsformen und in dem lang gezogenen Faltenzug der Gewänder bemerkbar, beginnt die Härte und Schärfe der in der Franzlegende angewandten Formensprache zu überwinden, ohne doch ihrer schon ganz Herr zu werden. Die besonders der Darstellung der Frauen zugute kommende Wandlung läßt sich als ein Fortschritt vom Plastischen zum Malerischen bezeichnen. Damit hängt die Aufhellung des Tones zusammen: mit vollem Bewußtsein, Widerspruch gegen die zähe, trübe Fleischfarbe der Byzantiner erhebend, geht Giotto in der ganz hellen, lichtgrauen, transparenten Stimmung des Inkarnates fast ins Extrem. Als der Inbegriff des so und zugleich aus viel stärkerer Individualisierung gewonnenen bedeutenden Ideales darf, aus der Mitte aller dieser würdigen Männer und vornehmen, zart sinnigen Frauen herausgehoben, die schon erwähnte Gestalt Christi, welcher sich die Orsinis nahen, bezeichnet werden. Ernst und Milde in dem von weichem Haar umschlossenen länglichen Antlitz, sanft bewegt in feierlicher Ruhe tritt uns die hohe Erscheinung entgegen. Aus den fernen Höhen des byzantinischen goldenen Himmels hat sie Giotto, vom Geiste des Franz beseelt und als Künstler dem Reformator folgend, wieder auf die Erde, zu den Menschen als ihren Bruder herabgeführt. Mit dem ergriffenen bewundernden Blicke Napoleone Orsinis schauen auch wir zu ihr empor, die Offenbarungen ahnend, welche der Schöpfer dieses Bildes uns über Leben und Leiden des Erlösers zu bringen bestimmt ist.
Dem von diesem Augenblicke an die Phantasie der italienischen Künstler bis auf Lionardo und Raphael beherrschenden idealen Typus Christi zur Seite gestellt sind aber in den Orsinis die frühesten wirklich als solche zu bezeichnenden Bildnisse der italienischen Malerei. Zum ersten Male durften die Besteller eines Gemäldes sich selbst nicht in einer nur symbolischen Weise angedeutet, sondern in ihrer individuellen Erscheinung charakteristisch wiedergegeben erkennen. Die Porträtmalerei nimmt ihren Anfang.
Als Abschluß der Fresken in der Nikolauskapelle entstanden zu seiten des in sie führenden Portales die zwei, schon früher von uns betrachteten Darstellungen der Erweckung des Jünglings von Suessa und darüber die Verkündigung. Auch die ornamentale Einfassung erweist sie als zu den Nikolauslegenden gehörig. In der Erweckungsszene treten uns weitere Versuche Giottos in der Porträtkunst entgegen. Die meisten Köpfe sind dem Skizzenbuche des Künstlers entnommen, welcher sehr dankenswerte Objekte seines Studiums offenbar unter den Brüdern des Klosters von S. Francesco gefunden hat. Mit dem vollen Anspruch darauf, unmittelbar als Bildnisse bekannt zu werden, machen sich die vier den toten Knaben betrachtenden Männer geltend. In dem vordersten wäre nach einer in Assisi herrschenden Tradition Giotto selbst zu sehen. Diese Annahme aber ist eine willkürliche und offenbar aus einer Bemerkung Vasaris entstanden, welcher sagt, daß auf einem Bilde in diesem Teil der Kirche der Meister sich selbst abkonterfeit habe. Schon das Alter des Dargestellten schließt die Berechtigung einer solchen Vermutung aus. Wohl aber scheint mir die Ähnlichkeit mit den Giottobildnissen von Uccello (Louvre) und Gozzoli (Montefalco) dafür zu sprechen, daß der merkwürdige Kopf des dritten Mannes in jener Gruppe, die auffallende Physiognomie mit der großen langen Nase, die Züge des Meisters, welcher nach Petrarcas und Boccaccios Aussagen unschön war, uns vor Augen führt Vgl. Näheres hierüber in meiner Monographie über Giotto S. 55 ff. Auch Abb..
Das Altarbild, das sich über dem Grabe des Orsini befindet, ist zweifellos von demselben Künstler, der die Wandbilder gemacht hat. Es zeigt in der Mitte die halbe Figur der Maria, welche das stehende, sie vorne an der Brust fassende Kind hält, links die Halbfigur des Nikolaus, rechts die des Franz. In diesem Tafelbilde aber finde ich viele der Eigentümlichkeiten einer im Refektorium von S. Croce zu Florenz befindlichen fünfteiligen Altartafel wieder, welche die Halbfiguren der Maria mit Kind, Johannes des Täufers, Petrus', Nikolaus' und Benedikts enthält und, wie mir scheint, von Giotto in dieser frühen Periode seines Schaffens gemalt worden ist Früher in der Sakristei, auf Goldgrund. Die kleinen Medaillons oben mit Christus und vier Seraphim von einem Quattrocentisten in der Art des Baldovinetti..
Vasari weiß von der Sakramentskapelle zu erzählen, daß sie ein Werk seines Agnolo von Siena sei, und daß von ihm auch das Grabmal des Giovanni Gaetano stamme (Abb. S. 416). Auch diese Angabe ist mit größter Vorsicht aufzunehmen, da offenbar ein längerer Zeitraum zwischen dem Bau der Kapelle und der Anfertigung des Monumentes liegt. Giovanni ist nach Ciacconius und Eggs im Jahre 1339, nach Cardella erst 1355 gestorben. Das schlichte Denkmal zeigt ihn in ziemlich jugendlichem Alter in einer Nische ruhend; zwei schlanke Engel, welche ihre Vorbilder in Werken des Giovanni Pisano haben, ziehen den Vorhang von ihm zurück.
Die Fresken an dem Kreuzgewölbe der Vierung der Unterkirche, die drei Ordensgelübde: Armut, Gehorsam und Keuschheit, sowie die Glorie des Heiligen, die wir später noch bei Besprechung der Franziskaner-Allegorien eingehender betrachten werden, zeigen einen mehr vorgeschrittenen Stil. Es wäre von höchster Wichtigkeit für die ungemein schwierige Chronologie der Werke Giottos, wäre ihr Entstehungstermin urkundlich bekannt. Dies ist aber nicht der Fall. Wahrscheinlich aber bleibt es, daß die nach Vasari und Rodulphus von dem Ordensgeneral Giovanni di Muro (1296–1304) an Giotto erteilten Aufträge sich auf die Allegorien (und vielleicht auch auf die in der Nähe befindlichen Darstellungen aus dem Jugendleben Christi) bezogen. Da die Fresken dem Stile nach wohl vor jenen in der Arenakapelle (1306) anzusetzen sind, ergäbe sich die Zeit zwischen Giottos Aufenthalt in Florenz und in Padua, also zwischen 1302 und 1306. Gegenüber den mächtigen, derberen Formen der Paduanischen Figuren macht sich in den Allegorien eine feinere zierliche Empfindung geltend, die Profile sind länger, spitziger, von großer Schönheit, die Gewänder reicher im Fluß mit länger gezogenen Falten. Auch in der Farbe machen sich Elemente eines zarteren Geschmackes geltend, aus denen in der jüngsten Zeit einzelne Forscher geradezu schließen wollten, nur die Zeichnung sei von Giotto, die Ausführung aber von einem Sienesen Zuerst Carl Frey: Die Loggia dei Lanzi. Berlin, W. Hertz 1885, S. 58.. Allerdings läßt sich die Vermutung, daß ein Schüler Giottos hier mit tätig gewesen ist, nicht ganz zurückweisen, nur möchte ich die Mitbeteiligung desselben auf ein einziges Bild: die Glorie des h. Franz beschränkt sehen, das durch die derben Formen und den starren Ausdruck unvorteilhaft von den anderen absticht. Sienesische Eigentümlichkeiten aber vermag ich nicht herauszufinden.
Die Darstellungen aus dem Jugendleben Christi an dem Tonnengewölbe des nördlichen Querschiffes.
Erst Crowe und Cavalcaselle, denen sich Dobbert und Lübke angeschlossen haben, nahmen für Giotto deren Autorschaft in Anspruch, nachdem durch Jahrhunderte hindurch Vasaris unbestimmte Angaben allerlei irrtümliche Meinungen veranlaßt hatten. Dieser nämlich sagt im Leben des Taddeo Gaddi, daß Giovanni da Milano gemalt habe ›in Ascesi la tribuna dell' altar maggiore, dove fece un Crocifisso, la nostra Donna e Santa Chiara, e nelle facciate e dalle bande istorie della nostra donna‹ I, S. 585.. Demgegenüber läßt sich von vornherein behaupten, daß diese Angaben irrtümlich sein müssen. In der Tribune befand sich ursprünglich allerdings eine Kruzifixdarstellung, aber das war eine große allegorische Komposition, die Vasari selbst an anderer Stelle dem Stefano Fiorentino zuschreibt I, S. 451.. Ferner sind – wörtlich genommen – mit den ›facciate‹ und ›bande‹ doch die Wände der Tribune selbst gemeint, nicht die des Querschiffs, und endlich sind die erwähnten Bilder tatsächlich nicht Szenen aus dem Leben der Maria, sondern aus dem Leben Christi. Viel eher könnte man aus einem dritten Passus, in dem nach den Allegorien ganz allgemein die Fresken der angrenzenden Wände erwähnt werden, schließen, Vasari habe auch in diesen Werke Giottos gesehen I, S. 379. Wobei er freilich irrtümlicherweise die Stigmatisation des Franz auch als Giottos Werk bewundert.. Mit der Zeit wird die Konfusion größer. Der Padre Angeli liest den Vasari falsch und macht aus Giovanni da Milano den Giovanni Gaddi, Sohn des Taddeo Collis Paradisi S. 35. An der betreffenden Stelle bei Vasari wird nämlich von den beiden Giovanni gesprochen; zweifellos aber bezieht sich das entscheidende: ›il qual Giovanni‹ auf den Mailänder.. Angeli aber wiederum, welcher ›J. Gaddus‹ druckt, veranlaßt die irrtümliche Entstehung eines Giacomo Gaddi, der somit von Fea in die Kunstgeschichte eingeführt wird A. a. O. S. 12. Danach auch bei Bruschelli im Guida.. Der Verfasser der Descrizione vom Jahre 1835 seinerseits, der offenbar nichts von einem Giacomo wußte, sah Feas Angabe als ein Versehen an und setzte getrost an Stelle des unbekannten Giacomo den wohlbekannten Taddeo Gaddi, der auch infolgedessen von Autoren wie Guardabassi, Fratini, Cristofani bis in die jüngste Zeit angeführt wird, während Rumohr und Kugler wieder auf die erste Quelle zurückgehend von neuem Giovanni da Milano nannten. Ich habe das geschichtliche Werden der verschiedenen Benennungen hier mitgeteilt, weil es ein höchst lehrreiches Beispiel dafür ist, wie scheinbar völlig aus der Luft gegriffene Attributionen durchaus logisch entstehen. Der einzige, der die Darstellungen der vita Christi Giottos Werke nennt, ist Rodulphus A. a. O. S. 398..
Jedenfalls läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß keiner der uns bekannten Schüler Giottos, weder Giovanni da Milano, noch Taddeo Gaddi, noch Maso di Stefano sie gemalt hat. Entweder sie sind von Giotto selbst oder einem uns unbekannten Nachahmer, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Man kann durchaus mit Recht hervorheben, daß die Kompositionen hinter den gleichen Darstellungen in Padua zurückstehen, daß man an ihnen die volle Energie der Gestaltungskraft, die Breite der Zeichnung, die Kraft der Farbe in etwas vermißt, daß sich in ihnen wie in den Allegorien eine Neigung, lieblich und graziös zu sein, geltend macht. Auf der anderen Seite aber muß man auf das entschiedenste bemerken, daß sie hoch über den Arbeiten eines Giovanni da Milano, eines Taddeo Gaddi stehen, daß sie in der Zeichnung stärker an Giottos beglaubigte Werke als an die irgendeines seiner Schüler erinnern und daß sie unbedingt von derselben Hand wie die Ordensallegorien sind. Das heißt aber nichts anderes, als daß sie Giotto selbst zuerkannt werden müssen, in dessen Entwicklung sie eine wichtige Phase, nämlich die des Überganges zum Stil der Arenafresken bezeichnen.
Die Erzählung beginnt an der nördlichen Wand, wo über dem Eingang zur Nikolauskapelle die Verkündigung dargestellt ist, und setzt sich dann an dem Tonnengewölbe fort. In drei Reihen übereinander ordnet Giotto die Bilder an und trennt sie durch einen gemalten Rahmen, welcher durch größere und kleinere, Prophetenbrustbilder enthaltende gotische Vierpässe in geometrisch gerahmte Felder mit zierlichen Akanthusmotiven und mit kleinen Köpfen in Medaillons gegliedert ist.
Die Heimsuchung wird uns als erstes Gemälde – welches in einer alten Zeichnung der Uffizien kopiert erscheint – vor Augen geführt. Aus ihrem Hause hervorgeeilt empfängt, inniger Bewunderung voll, Elisabeth die feierlich und vornehm heranschreitende, von vier Begleiterinnen gefolgte Jungfrau. Das Bewußtsein ihrer Gottgeweihtheit läßt Maria in einer fast starren Unnahbarkeit die scheue Huldigung der älteren Frau aufnehmen. Die aus solcher Konzeption hervorgegangene Gehaltenheit der Bewegungen verleiht der Komposition einen an die antiken Werke edelster Zeit gemahnenden Charakter.
Selige Heiterkeit ist dagegen die Stimmung, welche Giotto aus der Darstellung der Geburt Christi zu uns sprechen läßt. Mit Giovanni Pisano, dessen für Sant'Andrea in Pistoja 1301 gefertigte Kanzel er gewiß gekannt hat, wetteifert er in lebendiger Natürlichkeit der Auffassung, ja übertrifft ihn hierin, denn er läßt Maria das, wie bei den Pisani, in Windeln gewickelte Kind, welches in den ältesten Kunstwerken in der Krippe liegend gezeigt wurde, auf ihre Arme nehmen und gestaltet die bis dahin in öder Nacktheit gegebene Felsenumgebung durch Einfügung einer schuppenartigen Hütte wohnlicher. Die Scharen jubelnder Engel, welche hier, wie schon in der Oberkirche mit einem in Nebel sich auflösenden Unterkörper gezeichnet sind, sind reicher, wie in Wolken, gruppiert. In der Szene der Hirten und der den apokryphen Evangelien entnommene Gruppe der hilfreichen frommen Gelome und Salome erscheinen, wie bei Giovanni Pisani, die in Niccolò Pisanos Werken gegebenen Motive ausgebildet.
Die immer noch sich bemerkbar machende Vorliebe für Architektur veranlaßt Giotto, in der Anbetung der h. drei Könige der Madonna inmitten von zwei dienenden Engeln ihren Platz im Portikus eines zierlichen Gebäudes anzuweisen (Abb. 68). Mit königlicher Würde trägt sie das Kind, welches den greisen, hier wie bei Niccolò Pisano seinen Fuß küssenden Verehrer segnet. Noch halten sich scheu die zwei anderen Weisen mit ihren die Kamele zügelnden und geleitenden Dienern in einiger Entfernung zurück.
In eine den Geist Arnolfo di Cambios atmende Kirche führt uns die nächste Darstellung, die den Augenblick vergegenwärtigt, in welchem der greise Simeon dem Himmel seine Dankbarkeit, das Kind in den Armen halten zu dürfen, im Blicke bezeugt und Maria verlangend die Hände nach diesem ausstreckt. Zahlreiche Anwesende, unter denen in prophetischer Haltung Hannah steht, schließen sich wie ein antiker Chor den Hauptfiguren der Handlung an. Auch hier durfte Giotto ältere Motive in einem neuen, freien Sinne verwerten.
Es folgt die Flucht nach Ägypten, in welcher genrehafte Momente, wie der den Esel stachelnde Jüngling, die mit beschwertem Kopfe wandelnde Frau und das durch ein um die Mutter geschlungenes Tuch vor dem Fallen gesicherte Kind mit hohem künstlerischem Sinn der sanften Feierlichkeit der Stimmung untergeordnet sind.
In furchtbaren Kontrast hierzu tritt die erregte Szene des bethlehemitischen Kindermordes. Mit der gleichen Naivität, wie die Pisani, von deren Darstellungen er ausging, hat Giotto diesen grauenhaften Vorwurf behandelt. Er benutzt ihn, sein dramatisches Vermögen in dem mannigfachen Schmerzensausdrucke der zu wilder Verzweiflung getriebenen Mütter zu offenbaren und sucht ohne Furcht vor Überladung, der Komposition durch im Hintergrund gescharte Fußsoldaten und Reiter der heftigen Bewegung gleichsam einen Damm zu setzen.
Dann werden wir zur heiligen Familie zurückgeführt, deren von der Kunst selten behandelte Heimkehr aus Ägypten in schlichter Weise geschildert wird. In der Stadtansicht, welche die Hälfte des Raumes ausfüllt, stellt der Künstler die Fortschritte zur Schau, die er seit den Fresken der Oberkirche im Architektonischen gemacht hat.
Auch das nächste Gemälde gibt einen und zwar noch höheren Beleg hierfür in dem wiederum an Arnolfos Stil erinnernden, in schönsten Verhältnissen gehaltenen Raum, in welchem der zwölfjährige Christus einer größeren Anzahl von Schriftgelehrten die Wahrheit kündet. Die sehr ausgesprochene Symmetrie der Anordnung scheint hier dem Problem klarer Raumbildung zu dienen, welches mit Hilfe eines ziemlich hoch gewählten, die Rückenansicht der vorderen Figuren erlaubenden Augenpunktes zu lösen versucht wird. Die deutlich bemerkbaren zugrunde liegenden theoretischen Konstruktionen bezeichnen eine seit der Tätigkeit in der Oberkirche erreichte höhere Stufe der Anschauung.
Den Erzählungen aus der Kindheit Christi ist, da noch Platz an den Wänden frei blieb, die Kreuzigung hinzugefügt (Abb. 69). Von jammernden Engeln, gleich Vögeln umflattert, erscheint unseren Blicken zum ersten Male das aus der Seele des Künstlers ausgestrahlte Bild des erlösenden Dulders. Verschwunden ist die erschreckend grauenhafte Vorstellung des in krampfhafter Krümmung die ausgestandenen Qualen noch verratenden Körpers, wie sie im 13. Jahrhundert bis auf Cimabue geherrscht hatte. Nur die überlangen Verhältnisse des schmächtigen Leibes und das bis zu den Knien reichende Hüftentuch zeigen noch den Zusammenhang mit der Tradition. Was hier zu uns spricht, ist ein anderes: nicht die Qual gewaltsamen Sterbens, sondern die heiligende Friedenskraft des Todes drückt sich in der leise zusammensinkenden Bewegung der fast aufrechten Gestalt, in dem sanft nach vorn sich senkenden, vom Haare überwallten Haupte aus. Der letzte Blick des nun erloschenen Auges scheint die Treuen drunten gesegnet zu haben. Der Schmerz, den droben am Kreuze die Liebe überwunden, überwältigt die noch an die Erde gefesselten verlassenen Liebenden. Nur Maria ist durch tiefe Ohnmacht dem Leben entrückt, für kurze Augenblicke in der Abkehr von dieser Welt dem Sohne verbunden, in den anderen ringt Liebe und Leid in verzweifeltem Kampfe. Schon aber verwandelt sich die Stätte unergründlichen Martyriums in die Stätte des Weltenheiles. Durch Tränen hindurch erschaut Magdalena die Tat der Erlösung, wunderbar erwachte Glaubenskraft bewegt den heidnischen Hauptmann zum Aufblick nach oben, und während in banger Scheu die Anstifter der ungeheuerlichen Tat von dannen drängen, nahen als Vertreter der gesamten Menschheit, Zuflucht und Rettung suchend, der heilige Franz und die Seinen.
Nach solchen Offenbarungen vermag uns die schon früher (S. 164) besprochene Darstellung eines von Franz bewirkten Wunders, die Erweckung des aus dem Fenster gestürzten Kindes an der nördlichen Querwand nicht viel zu sagen. Das eigentümliche Fresko an der Westwand, welches Franz neben einem gekrönten Skelett zeigt, wird uns erst später in dem Abschnitt über die Allegorien beschäftigen.
Vergleichen wir diesen ersten bescheidenen Zyklus der Darstellungen aus Christi Leben mit dem späteren, die ganze Erlösungsgeschichte umfassenden in Padua, so wirken die Bilder in Assisi fast befangen. Mit zarter Scheu naht sich Giotto dem Stoffe, er möchte die heiligen Gestalten der Berührbarkeit entziehen, sie wie verklärt nur in einer gewissen Entfernung zeigen, während er uns in Padua ein stärkstes Miterleben zumutet. Dort in der Arenakapelle ist er durchaus Dramatiker, hier ein Legendenerzähler im Sinne der umbrischen Laudendichter, wenn auch an Vollendung künstlerischen Ausdruckes und an Größe des Stilgefühles, welches die Gefühlsschwelgerei jener naiven Lieder und Dialoge nicht zuläßt, weitaus sie übertreffend. In der größeren Ausführlichkeit der Schilderung und in dem freien lyrischen Sichhingeben an Stimmungen dürfte es begründet erscheinen, daß manches sinnige, ja bezaubernde Motiv hier erfunden wurde, welches in den Fresken zu Padua keine Aufnahme erhalten konnte. Der Unterschied macht sich auch im Koloristischen bemerkbar. War in der Nikolauskapelle das Streben nach lichter Wirkung ersichtlich, hatte sich das Bleiche, ja fast Kraftlose der Farbengebung in den Arbeiten des römischen Aufenthaltes (1298-1300) in eine wärmere und lebendigere Farbenstimmung verwandelt, so geht der Meister jetzt auf eine noch höhere malerische Wirkung aus, indem er aber doch die Lokalfarben, das Blau, Kirschrot, Moosgrün und Gelb ungemein sanft im Lichte abtönt und ihnen eine zarte Transparenz verleiht. So wird die Farbenharmonie, deren Eindruck dem einer blühenden Frühlingswiese gleicht, zum vollkommenen Ausdruck des die Kompositionen beseelenden Geistes. Die Gestalten sind noch schlank, aber besser abgewogen in den Verhältnissen, die Typen zeigen eine längere Bildung der Nase, als in den vorhergehenden Werken, die Männerköpfe, namentlich die älteren, haben an Kraft gewonnen. In jeder Beziehung erscheint der Stil als ein Übergang von der Jugendperiode, an welche auch noch der Figurenreichtum gemahnt, zu der Meisterschaft der reiferen Zeit, wie sie in dem Zyklus der Arenakapelle sich geltend macht. –
Von einigen Heiligenfiguren, die unter Giottos Bildern an der nördlichen und östlichen Wand sich befinden, wird weiter unten bei Simone Martini die Rede sein, wenn wir den in Assisi tätigen Sienesen unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Zunächst aber handelt es sich darum, Giotto und seinen Schülern noch weiter nachzugehen.
Die Magdalenenkapelle.
Diese an das Querschiff anstoßende Endkapelle des Längsschiffes (s. Plan auf S. 198: C) ist nach der allgemein verbreiteten Anschauung von Tebaldo Pontano di Todi, der von 1314-1329 Bischof von Assisi war, gestiftet worden, und zwar stützt sich Fea, der dies zuerst ausspricht und dem sich Papini anschließt, auf das Wappen, welches ein dreifaches weißes Tor (Brücke?) auf rotem Grunde zeigt. Unsere älteste Quelle: die alte Beschreibung dagegen nennt als Stifter den Pier Damiano, Bischof von Sabino; Angeli aber sagt, daß der Raum zur Zeit des Generalates von Bonaventura geweiht worden, ohne anzugeben, worauf er sich stützt. Zweimal sehen wir auf den Wandbildern den frommen Mann, der den Raum mit Fresken geschmückt, einen Greis mit hageren freundlichen Zügen kniend dargestellt, das eine Mal, wie er die Hand seiner Schutzpatronin erfaßt, ein Käppchen auf dem Kopfe und in weit fallendem Mantel (Abb. 41), das andere Mal im Bischofsornat. – Leider hat man also hier keinen bestimmten Anhaltspunkt für die Datierung der höchst interessanten Wandgemälde, welche das Leben der Maria Magdalena, die hier, wie zumeist schon in jener Zeit, zu einer und derselben Heiligen mit der Maria Aegyptiaca geworden ist, darstellen. Die älteste Angabe eines bestimmten Meisters: und zwar des Buffalmacco, findet sich erst bei Angeli, der vermutlich den Vasari falsch gelesen oder willkürlich interpretiert hat. Letzterer nämlich spricht im Leben des genannten Künstlers allerdings von zwei Kapellen, die er in der Unterkirche ausgemalt habe: einmal 1302 die Kapelle der heiligen Katharina, das andere Mal die Kapelle des Kardinals Alvaro I, S. 507 und 517.. Nun ist aber die Capella Albornoz mit der Kapelle der Katharina eine und dieselbe! Möglich, daß Vasari tatsächlich unter der letzteren die der Magdalena verstanden hat. Jedenfalls hilft uns eine solche Vermutung nicht weiter, da wir von Buffalmaccos Kunstweise noch absolut nichts wissen. Crowe und Cavalcaselle, die, wie Förster, den ausgesprochenen Giottesken Charakter der Bilder hervorheben, haben Puccio Capanna als ältesten Schüler Giottos, Guardabassi und Fratini dagegen Taddeo Gaddi vorgeschlagen. Muß es denn aber ein Schüler gewesen sein, spricht nicht alles dafür, daß der Meister selbst hier tätig gewesen, daß sicher der Entwurf der Darstellungen, zum größten Teile aber auch die Ausführung von ihm ist? Ihr Stil ist von solcher Größe, ihr Geist von solcher Erhabenheit, daß sie einzig mit den Wandbildern der Arenakapelle verglichen werden können. Wärmer und satter in den Farben als die Allegorien und die Szenen aus dem Leben Christi im Querschiff gehalten, stehen sie in allen ihren Eigentümlichkeiten mitten innen zwischen diesen und den Arbeiten in Padua. Demnach wären sie kurz vor 1306 entstanden. Zweifelhaft, ob Giotto die Fresken selbst ausgeführt, dürfte nur ihr Kolorit machen. Der vielfach zutage tretende Verdegrund gibt dem Inkarnat etwas für den Meister ungewöhnlich Schweres, andrerseits sind die darauf gesetzten Töne auffallend warm rot. Auch vielen Gewändern ist ein besonders kräftiges, tiefes Zinnoberrot eigentümlich, das mir auf sonstigen Werken Giottos nicht vorgekommen ist – kurz es bleibt immerhin denkbar, daß ein sehr begabter Schüler mitgearbeitet hat, will man nicht besser annehmen, daß jene Erscheinungen für eine bestimmte Phase in dem Entwicklungsgange Giottos charakteristisch sind Eine nahe Beziehung zu den Fresken der Magdalenenkapelle zeigt die in einem jetzt als Palestra verwandten Raume des Klosters befindliche Darstellung des von Engeln umflatterten gekreuzigten Christus, zu dessen Seiten neben Maria und Johannes die Heiligen Chiara, Bischof Ludwig, Antonius von Padua, Petrus stehen. Es ist ein höchst bedeutendes Werk, das man doch schwer Giotto selbst zuschreiben mag, aber von einem Schüler ersten Ranges, dem Kolorit nach eben jenem Meister, der mit in der Magdalenenkapelle tätig gewesen ist, gefertigt sein muß. Es sind große, monumentale Gestalten, höchst würdig und bedeutend in Ausdruck und Drapierung der Gewänder. Was ist das für ein Schüler Giottos? Puccio Capanna, Stefano Fiorentino? Vorläufig kann man nur zwecklos hin und her raten. Derselbe Meister scheint mir eine in der Galerie zu Parma befindliche Madonna (Nr. 446) gemalt zu haben. Man hat wohl auch an den sogenannten Giottino gedacht, doch weichen dessen Typen entschieden von denen der Magdalenenkapelle ab..
Betrachten wir jetzt kurz die Gemälde Vgl. Photographien von Carloforti und Alinari..
Linke Wand:
1. Oben: Maria Aegyptiaca kniet betend nach rechts gewandt vor dem an einem Altare stehenden, ihr die Kommunion reichenden Bischof Zosimo. Links schauen drei Geistliche zu. Vier Engel tragen in der Höhe die Heilige in einer Mandorla gen Himmel. Einfach, aber höchst bedeutend komponiert. (Abb. S. 308.)
2. Das Festmahl beim Pharisäer. In einer Halle sitzt links an der Schmalseite eines gedeckten Tisches Christus, mit der Rechten auf die seinen Fuß küssende kniende Magdalena weisend. Hinter dem Tische sieht man den nachdenklich Christus anschauenden Wirt, Petrus, einen zweiten Pharisäer und Johannes. Drei Knaben warten dienend auf. Großartig in Bewegung und Ausdruck, durchaus Giottos würdig und in seinem Stile.
3. Die Auferweckung des Lazarus. Dem Fresko der Arena sehr verwandt. Von links schreitet Christus, gefolgt von anderen Jüngern, feierlich heran und streckt segnend die Rechte aus. Vor ihm knien die Schwestern, rechts aber halten zwei Männer, deren einer den Mantel um das Untergesicht und die Nase geschlagen hat, den stehenden in Leinen gewickelten Erweckten. Erstaunt fährt dahinter mit erhobenen Armen, in echt Giottesker Bewegung, ein älterer Mann zurück. Vorn will eben ein Mohr das eine Ende des von einem Knaben getragenen Sargdeckels aufheben. Auch hier kann man nicht gut zweifelhaft sein. Alles weist auf Giotto selbst hin.
4. Ein graubärtiger Bischof (Rufinus?, Zosimo?), der die Hand auf den Kopf eines knienden Bischofs legt.
5. Eine nach halb links gewandte weibliche Heilige. Rechte Wand:
6. Oben: Über einer felsigen Landschaft tragen zwei Engel die kniende, betende Maria Magdalena, die in ihr Haar gehüllt ist, gen Himmel.
7. Das Noli me tangere. Auf felsigem Boden kniet rechts Magdalena, sehnsüchtig die Hände nach dem in Strahlenglorie davonschreitenden Heiland ausstreckend, der mit der etwas mangelhaft verkürzten Rechten sie zurückweist, in der Linken eine Hacke hält. Zwei Engel fliegen über ihnen nach rechts. Links sitzen zwei andere größere Himmelsboten, deren Köpfe ganz zerstört sind, auf dem Sarkophag. Die Szene ist hier fast noch lebendiger geschildert als in Padua, wo die Komposition übrigens fast genau so wiederkehrt.
8. Das Wunder des Kaufmanns von Marseille. Über ein bewegtes Meer fährt, von zwei Engeln geführt, ein Nachen, in dem man Maria, Martha, Lazarus und zwei andere Heilige sieht, in den durch einen Leuchtturm und ein Stadttor charakterisierten Hafen von Marseille ein. Links im Vordergrunde liegt schlafend die Frau des Kaufmanns auf der Insel. Ein Schiffer in einem Kahne naht sich ihr. Giotto hat hier den kühnen Versuch gemacht, eine ausgedehnte landschaftliche Szenerie zu geben. Nicht übel gelang ihm die Perspektive, was die Gesamtansicht betrifft, aber er vernichtete ihre Wirkung vollständig dadurch, daß er den Nachen mit den Heiligen im Mittelgrund, um ihn als das Wesentliche hervorzuheben, viel zu groß zeichnete. Dieser grobe Verstoß gegen alle künstlerische Wahrscheinlichkeit schreckt den Beschauer zuerst geradezu ab, bei näherem Zusehen jedoch findet man, daß Großes gewollt und geplant ist, aber selbst ein Giotto an den übergroßen Schwierigkeiten der Perspektive scheitern mußte.
9. Die heilige Magdalena, die mit der Rechten den knienden alten Stifter hält. (Abb. S. 398.) Letzterer ist zweifellos dieselbe Figur, wie der Bischof in 4.
10. Die Halbfigur eines Engels mit Kugel in der Hand.
Eingangswand:
11. Über dem Bogen: Zosimo gibt der aus einer Höhle herausschauenden Magdalena sein rotes Gewand.
Fensterwand: Heilige. Links: Frau mit einem Tambourin(?) in der Hand, bezeichnet: ›Maria soror Moisy‹; ältere heilige Frau in einem hemdartigen, Brust und Arme freilassenden Gewande, mit langem Haar. Rechts: Die heilige Helena mit einem spitzen Hut auf dem Kopfe, bezeichnet ›Elena mater‹; weibliche Heilige mit Palme.
Leibung der Eingangsöffnung, an jeder Seite sechs Heilige. Links: Petrus mit Zettel: ›obedire oportet deo magis quam hominibus‹; Matthäus; jugendliche Heilige in hemdartigem kurzen weißen Rock, ein Kreuz umarmend; blondbärtiger Krieger; ein Engel; weibliche Heilige. Rechts: graubärtiger Heiliger; Patriarch oder Prophet; Patriarch(?), wie es scheint eine Art Kugel oder Globus in der Hand; Augustinus; weibliche Heilige; weibliche Heilige, die eine Rose hält.
An der Decke in vier Medaillons: Christus, die Rechte erhebend, in der Linken Rolle; Martha; Lazarus; Magdalena mit Gefäß.
In der Leibung des Fensters: weibliche Heiligenbrustbilder, in der der Kapelleneingänge: Franziskanerköpfe.
Eine Stimmung tiefen Ernstes und feierlicher Getragenheit ist den Darstellungen, welche einen Fortschritt zu immer größerer Einfachheit und Monumentalität verraten, im ganzen, wie in jeder einzelnen Gestalt aufgeprägt. Der holdselige Erzähler der Legende von der Kindheit Christi erhebt sich zum Schwunge hymnischer Verherrlichung [des] im Menschlichen sich offenbarenden Göttlichen. In welchem anderen Werke ist der Kuß der Sünderin zu solcher Bedeutung eines Weiheaktes erhoben worden, wie hier in der Darstellung, welche die Wirkung des Gotteswortes von der alle Schuld aufhebenden Liebe auf die ergriffenen Seelen zeigt? Hat dieses Bild an unbegreiflicher Tiefe des Ausdruckes den Vergleich mit Lionardos Abendmahl zu scheuen? Es gehört zu den ewigen Wundern der Kunst! Die Auferweckung Lazari – man kann unschlüssig sein, ob man die Erfindung hier oder in Padua höher stellen soll! Was Giotto dort verbessern zu können glaubte, war nur die dramatische und formal ästhetische Beziehung der Gruppe links zu derjenigen rechts. An überzeugender Veranschaulichung der Gebetesinbrunst der beiden Frauen konnte kaum Höheres gegeben werden, wenn der Meister auch in Padua mit großer Kühnheit das Knien in ein Liegen verwandelte. Und weiter: an der herrlichen Verkörperung menschlichen Sehnens, wie sie in dem »Rühre mich nicht an« gegeben wird, war kaum noch etwas zu verändern, nur den Strahlenkranz des verklärten Leibes, den er gleichsam durch die Siegesfahne ersetzte, ließ Giotto in Padua fort und milderte den Ausdruck in Christi Antlitz zu menschlicher Teilnahme. Mit den durch mächtige, aber doch schlichte Gewandung drapierten, von starkem, blühendem Leben erfüllten Heiligengestalten schloß Giotto seine Arbeit ab.
Kehrt man aus dieser Kapelle zur Betrachtung der Allegorien über dem Hauptaltare zurück, so drängen sich dem Beschauer viele Vergleichungspunkte auf: dieselben charakteristischen bärtigen Männertypen, die sich besonders dem Gedächtnis eingeprägt, begegnen auf dem Bilde der Keuschheit, wie überall in der Einrahmung der Geschichte Christi. Auch die Engelköpfe sind stilistisch sehr verwandt. Immer klarer wird es uns, daß alle diese Fresken des Querschiffes, der Nikolauskapelle und der Capella Pontano auf einen geistigen Urheber, auf Giotto zurückzuführen sind, daß sich in ihnen seine frühe Entwicklung im allgemeinen erfassen läßt: in der Nikolauskapelle der Übergang von dem jugendlichen Stile der Oberkirche zu einem reiferen, der in den Fresken an der Vierung und am Tonnengewölbe des Querschiffes sich ausgebildet zeigt und in den auf diese folgenden Gemälden der Magdalenenkapelle endlich die Erhebung zu größerer, die Paduaner Zeit vorbereitenden Breite, Wucht und Macht der Formensprache. Bei dem Allen bleibt manches noch rätselhaft und der Anteil der Schüler schwer zu bestimmen. Man kommt über die Vermutungen nicht hinaus und darf, der notwendig gebotenen Vorsicht wegen, auch nur bei solchen bleiben.
Die Tribuna der Unterkirche soll nach Ghiberti, dessen Angabe Vasari folgt, ein Schüler Giottos: Stefano Fiorentino mit einer allegorischen Darstellung, in deren Mitte sich der gekreuzigte Christus befand, ausgemalt haben Vasari Lemonnier I, S. XX: nella chiesa d'Asciesi è di sua mano cominciata una gloria, fatta con perfetta e grandissima arte, la quale arebbe, se fosse stata finita, fatto maravigliere ogni gentile ingegno. Vasari (I. Ausg.) Florenz 1550. I, S. 152. – Vas. Mil. I, 450.. Das unvollendete Fresko mußte 1623 einem jüngsten Gericht des Cavaliere Sermei weichen, und so sind wir für die Rekonstruktion der Darstellung, von der später bei Besprechung der Franziskaner-Allegorien ausführlicher die Rede sein wird, auf die bei Vasari und in der alten Beschreibung enthaltenen Angaben angewiesen. In der letzteren heißt es: der Stil, namentlich der Kopftypen, habe etwas gehabt, was über Giotto hinausgegangen sei und an einen Schüler, etwa Puccio Capanna, denken lasse – eine Ansicht, welche Rodulphus referiert. Erhalten dagegen sind die Werke eines anderen Giotto-Schülers:
Die Fresken über der Kanzel, welche von Vasari, wie erwähnt worden ist, dem Giottino zugeschrieben werden. Dargestellt ist an der hinteren Wand der Nische die Krönung der Maria. Die Jungfrau sitzt in blauem Untergewand und Mantel mit gekreuzten Armen auf einem Thron neben Christus, der ihr die Krone aufsetzt. Links und rechts befinden sich Scharen von Engeln, die leider bis auf die rötlich blonden Köpfe zerstört sind. Mit Recht behauptet der Aretiner Künstler-Biograph, daß dieselben »so graziös, von so schöner Empfindung in den Köpfen, so süß und zart sind, daß sie, rechnet man die diesem Maler eigene Verschmolzenheit der Farben hinzu, zeigen, daß er allen Künstlern, die bis dahin gelebt, gleichgekommen sei« I, S. 627. In Ascesi ancora nella chiesa di sotto di S. Francesco, dipinse sopra il pergamo non vi essendo altro luogo che non fusse dipinto, in un arco la coronazione di Nostra Donna con molti Angeli intorno, tanto graziosi e con bell' arie nei volti, ed in modo dolci e delicati, che mostrano con la solita unione de' colori (il che era proprio di questo pittore) lui avere tutti gli altri insin' allora stati paragonato; e intorno a questo arco fece alcune storie di S. Niccolò.. In der Tat zeichnet sich das Bild durch ein besonderes Schönheitsgefühl und durch eine eigenartig weiche Farbenstimmung aus. Es steht in der Mitte zwischen Giottos Fresken der Peruzzikapelle und Orcagnas Paradies und hat, wenn irgendein sonstiges Werk, Anspruch darauf, dem Meister der Silvesterkapelle in S. Croce, den Vasari Giottino nennt, gegeben zu werden. Auch die zwei in der Leibung der Nische befindlichen Darstellungen aus dem Leben des 1253 hier in Assisi von Innocenz IV. kanonisierten Stanislaus, den Vasari mit dem heiligen Nikolaus verwechselt, sprechen durchaus dafür und erinnern ihrerseits in Typen und Farbe an das tiefgestimmte Bild der »Beweinung Christi« in dem Korridor der Uffizien. Die eine zeigt den graubärtigen Bischof, wie er umgeben von betenden Männern vor einer Kirche einen nackten Jüngling an beiden Händen erfaßt, der aus einem Grabe emporsteigt. Das andere schildert sein Martyrium: vor der Tribüne einer Kirche liegt er kniend, ein Mann reißt ihm den Kopf ab, ein anderer links schwingt den abgerissenen Arm, ein dritter rechts ein Bein, ein vierter neigt sich zu ihm hinunter.
Offenbar von anderer Hand, bei weitem nicht so trefflich gezeichnet, aber von ungemein lebhafter Empfindung beseelt ist das unter dem letzteren Bilde befindliche kleine Fresko eines Christus am Kreuz zwischen der klagenden Maria und Johannes. Daß Fea es dem Giovanni, dem Sohne Taddeo Gaddis gab, beruht wohl auf einer Verwechslung dieses Kruzifixes mit der Giottoschen Kreuzigung im nördlichen Querschiff. Fea ist auch der erste, der eine in einem Inventar des Archivs befindliche Notiz von einem Maler Fra Martino entdeckt und auf diese Fresken bezogen hat. Irrtümlicherweise sind ihm alle späteren Schriftsteller bis auf Fratini gefolgt – und so hat der Martinus eine Bedeutung erlangt, die, wie ich glaube, ihm nicht im entferntesten zukommt. Die Notiz nämlich, die unten mitgeteilt wird Inventar (bez. 337 v. J. 1338. Die folgenden Notizen auf S. 3 hinzugefügt).
Anno Domini MCCCXLVII die IX madii reassignavit frater Martinus pictor fratri Stephano sacriste XVI uncias de azuro et duas libras et X uncias de cinabro coram fratre Michaele custode fratre Johanne loli frate odduto fratre Bartholomeo et Johanne tabae(?).
Item habuit frater Martinus pictor de azurro X sacristie pro pergulo ubi predicatur in superiori ecclesia tres uncias. Et hoc fuit de voluntate custodis vicarii et plurium discretorum.
Item anno Domini MCCCXLIV die XVII madii habuit frater Martinus pictor da azurro quindecim uncias. Et hoc de mandato et voluntate fratris Thome vagnoli custodis ipso presente et fratribus Jacobo carnumis, Stephano dompne pacis Jacobo Joanis pro pictura refectorii.
Vgl. Fea Descr. S. 11 und 13. – Fratini S. 165 f., da auch Fratini sie nicht ganz genau wiedergibt, sagt mit größter Bestimmtheit und Klarheit aus, daß wiederholt der Bruder Martin im Jahre 1344 und 1347 blaue Farbe erhält, und zwar einmal zur Bemalung der Kanzel in der oberen Kirche. Hierbei konnte es sich aber, da diese ja mit Reliefs geschmückt ist, nur um eine ornamentale dekorative Bemalung handeln, wie denn Reste einer solchen auch erhalten sind. Es läßt sich noch jetzt mit Sicherheit sagen, daß die Säulchen und Zierglieder blau, das Blattwerk golden waren. Beschränkt sich hier also die Tätigkeit des Martinus auf eine Bemalung von Skulpturen, so dürften auch die Malereien, die er im Refektorium des Klosters ausgeführt hat, nicht mit den Fresken zu identifizieren sein, die noch zur Zeit des Padre Angeli existierten, jetzt verschwunden sind. Sie stellten Maria mit dem Kinde und mit Franz, umgeben von Ordensheiligen und seinen zwölf Aposteln dar, deren einer, jener Giovanni di Capella, als Judas vom Teufel an der Gurgel gepackt ward. Ebenso entbehrt Feas Annahme, der Mönch habe die bereits früher besprochene Kreuzigung im nördlichen Querschiff und die daselbst befindliche, von Simone Martini herrührende Madonna mit Kind gemalt, jeder Begründung. Wiederholt muß hervorgehoben werden, daß Vasari in bezug auf die Fresken über der Kanzel der unteren Kirche eine Meinung geäußert, die durch stilkritische Vergleiche durchaus gerechtfertigt wird. Giottino scheint in der Tat in Assisi tätig gewesen zu sein, wenn auch außer diesen Bildern sonst nichts mehr erhalten ist, was auf seine Hand zurückgeht Die von Vasari erwähnten Fresken in S. Chiara zu Assisi und eine Madonna über dem Tore beim Dome sind nicht erhalten. Man hat auch hier Vasari falsch gelsen und seine Autorität dafür geltend gemacht, daß Giottino die Gewölbefresken über dem Chor in S. Chiara (die hh. Jungfrauen) gemalt habe, während doch von einem Wunder der Heiligen: der Erweckung eines toten Knaben, die Rede ist. Vas. I, S. 627..
Nachdem wir im vorhergehenden die Tätigkeit Giottos und seiner Schüler, soweit sie noch heute in der Unterkirche zu Assisi nachzuweisen ist, ins Auge gefaßt, wenden wir, ehe wir die Arbeiten der sienesischen Schule betrachten, unsere Aufmerksamkeit noch kurz den Kapellen zu, die nördlich an das Längsschiff in einer Flucht mit der Magdalenenkapelle sich anschließen. Da folgt dieser zunächst ein kleinerer Raum:
Die Kapelle des heiligen Valentinus (s. Plan D), die nach der alten Beschreibung von den Grafen von Stropeto gegründet wurde. In ihr ist der 1302 gestorbene Minister von England, Hugo de Hergilpo, bestattet Grabplatte: † hic jacet frater Hugo de Hergilpo anglicus magister in sacra theologia quondam minister Anglie qui obiit III idus Septembris anno dni MCCC secundo orate pro anima ejus..
Die Kapelle des heiligen Antonius von Padua (s. Plan E). Diese ist nach einer Angabe des alten Registers der Grabmäler, ebenso wie die Kapelle des heiligen Ludwig und die des heiligen Martin, vom Kardinal Gentile de Montefiore 1300 gebaut worden. Die alte Beschreibung hat dieselbe Angabe, fügt aber hinzu, daß sie, wie das (jetzt nicht mehr vorhandene) Wappen beweise, später der Familie Lelli angehörte und von dieser an die Herren von Pesaro und 1474 an den Herzog von Urbino übergegangen sei. Der Padre Angeli behauptet, ohne die Quelle anzugeben, daß Giottino sie mit Fresken geschmückt, die dann aber im Jahre 1610 von Sermei übermalt worden seien. Die im feinsten Giottoschen Stile gehaltenen Glasgemälde stellen die Legende des Heiligen dar.
Die Kapelle des heiligen Laurentius (Plan F) ist nach der alten Beschreibung von Francesco Sforza, dem Herzog von Mailand, oder von einem Bruder Francescos, dem Bischof von Viterbo gestiftet worden, für welche letztere Behauptung nach einer Notiz des Annotators das Missale Zeugnis ablege, welches der Bischof der Sakristei für diese Kapelle gegeben. Dies ist zeitlich nicht denkbar. Es könnte sich höchstens um irgendeine Dotation handeln. Die Fresken: Reste eines »Christus in Gethsemane« und des »Martyriums des S. Lorenzo«, sehr roh und ungeschickt, stammen vielleicht von derselben Hand, wie die weiter unten zu besprechenden Wandbilder der Katharinenkapelle.
Die Kapelle des heiligen Ludwig (jetzt Stephanus) (Plan G). Nach übereinstimmendem Zeugnis der alten Quellen, sowie nach dem Wappen der Glasfenster ist sie von dem Kardinal Gentile wenn nicht erbaut, so doch ausgeschmückt worden. Zweifelhaft bleibt es, wann sie zuerst geweiht worden, da der Bischof Ludwig erst 1317 kanonisiert wurde. Daß der Stifter, dessen Leichnam 1312 von Lucca hierher überführt wurde, hier bestattet liegt, sagt schon das alte Register der Grabdenkmäler Vgl. über Gentile: Ciacconius a. a. O. II, S. 328. – Eggs a. a. O. I, 259. – Cardella II, S. 56.. Im Jahre 1573 (Vertrag vom 12. Mai) erhielt Dono dei Doni, Maler in Assisi, von der Genossenschaft von S. Stefano den Auftrag, sie mit Fresken aus dem Leben des Stephanus zu schmücken Der Vertrag bei Fratini S. 312.. Es ist bekannt, daß durch lange Zeit seit Padre Angelis unbegründeter Behauptung die Ansicht geherrscht hat, jener rätselhafte Andrea von Assisi, ›l'Ingegno‹, habe die Sibyllen an der Wölbung gemalt, bis Rumohr, der irrtümlicherweise Lanzi dafür verantwortlich machte, die Angaben als ganz willkürliche Phantasien nachwies Ital. Forschungen III, 324-330.. Die Glasfenster, die nach Feas unerwiesener Behauptung von Angioletto da Gubbio sein sollen, sind dem Stile nach in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausgeführt. – Früher befand sich hier auch ein Altarbild des Niccolò Alunno, welches (nach der alten Beschreibung) Christus, umgeben von Maria, Franz, Chiara, Sebastian, Victorinus, Rufinus und Rochus zeigte, ganz zerstört, aber schon zu Papinis Zeiten beseitigt war. Später kam an dessen Stelle das jetzt in der Kapelle S. Giovanni aufgehängte Bild des Spagna vom Jahre 1516: Maria mit Kind zwischen Katharina, Franz, einer weiblichen Heiligen links, König Ludwig, Chiara und Antonius von Padua rechts Phot. Carloforti..
Die Kapelle des heiligen Martin (Plan H), die gleichfalls vom Kardinal Gentile da Montefiore gestiftet wurde, ist mit Fresken geschmückt, welche nach Vasari (I, S. 404) von Puccio Capanna, nach anderen älteren Schriftstellern von Giotto oder Buffalmacco ausgeführt wurden, seit Fea aber mit Recht dem Simone Martini zugeschrieben werden. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß nicht allein der vornehmste Begründer der Florentiner Kunst in Assisi tätig gewesen ist, sondern auch sein Zeitgenosse, der große Sienese Simone. Über den Zeitpunkt von des letzteren Aufenthalt in Assisi ist nichts bekannt, nur läßt sich aus der Darstellung des heiligen Ludwig, des Bischofs, schließen, daß er nach 1317, dem Jahre von dessen Kanonisation, stattfand Noch 1355 wird in der Kapelle gearbeitet. Im Ausgabenbuch befindet sich eine Notiz: 1355. 24. Nov. erhalten puciarellus gangloli und stephanus Geld »pro duobus diebus, quibus juvaverunt ad laborandum in Capella sci Martini«. Die beiden Männer sind sonst als Maurer am Bau der Infermeria tätig (Notiz vom 13. Mai 1355 ebendas.). Offenbar handelt es sich um Reparaturen.. Offenbar also hatte Gentile testamentarisch ein Legat zugunsten der Kirche in Assisi bestimmt Agnes Gosche in ihrer Schrift über Simone Martini (Leipzig 1899) hat neuerdings die Vermutung aufgestellt, daß Gentile nur die Kapelle selbst gestiftet habe, die Malereien aber im Auftrage des den Franziskanern freundlich gesinnten König Robert von Neapel, des Bruders des Bischofs Ludwig, ausgeführt worden seien. Die von ihr geltend gemachten Argumente sind nicht stichhaltig der entscheidenden Tatsache gegenüber, daß Kardinal Gentile als Stifter auf dem einen Bilde dargestellt ist und auch sein Wappen unter den Malereien sich befindet. – Als Entstehungszeit wären, wie sie nachweist, die Jahre 1318-20 oder 1322-25/26 oder 1333-39 denkbar. Wenn sie sich für den letzten Termin entscheidet, so dürfte hiergegen die Erwägung, daß es sich eben um ein Legat des schon 1312 gestorbenen Gentile handelte, bedenklich machen. Die Frage ist noch nicht zu beantworten.. Die ausführlichen Beschreibungen der Fresken bei Crowe und Cavalcaselle, Dobbert und Agnes Gosche überheben uns einer genaueren Schilderung C. u. C. D. A. II, 243. – Dobbert, K. u. K. III. B. S. 31. A. Gosche a. a. O. Man vergleiche auch die von Carloforti und von Alinari gefertigten Photographien.. In zehn Bildern wird das Leben des heiligen Martin erzählt.
Außerdem Brustbilder von Heiligen in den Fensterleibungen.
Eine Fülle von schönen Einzelzügen, Anmut und Zierlichkeit der Bewegung, eine ungemein zarte Empfindung, ein ausgesprochener Sinn für weiche Linienführung, realistische Momente und die Verherrlichung vornehmer höfischer Sitte zeichnen diese Wandbilder aus. Vielleicht nirgends kann man den Unterschied zwischen dem männlichen, dramatisch bewegten Genius Giottos und dem weiblichen lyrischen Element der Martinischen Kunst schlagender erfassen, als hier in Assisi. Besonders lehrreich aber ist es zu sehen, wie Simone gleichwohl von Giotto lernt, wie er dessen konzentrierte, geschlossene Kompositionen nachzubilden versucht, wie er sich dessen Art, die Vorgänge in schöne gotische Architekturen zu verlegen, zu eigen macht, wie er selbst für einzelne Bewegungen Vorbilder in den Darstellungen der Franzlegende findet.
Schon Vasari hat aber dem Simone auch jene wenigen Halbfiguren im nördlichen Querschiffe, die sich unter dem Wunder des Franz befinden, zuerteilt I, S. 557.. Es sind die Heiligen Franz, König Ludwig, Elisabeth, Chiara, Antonius, ferner Maria mit Kind und zwei Frauen, besonders zarte, empfindungsvolle Gestalten mit langen schmalen Köpfen. Daß sie teilweise, wie Vasari will, von Lippo Memmi vollendet seien, ist nicht wahrscheinlich, da sie durchaus gleichartig im Stile gehalten. Hiergegen könnte Lippo die Halbfiguren der fünf betenden Mönche gemacht haben, die unter der Madonna Cimabues sichtbar sind. Von den »storiette« und dem »crocifisso fatto a guisa d'albero di croce« im Refektorium ist nichts mehr vorhanden Vas. I, S. 558..
Ausgesprochen sienesische Eigentümlichkeiten zeigen auch die Fresken im südlichen Querschiff, welche die Leidensgeschichte Christi darstellen. Die alten, ziemlich eingehenden Angaben Vasaris, nach denen die Passionsszenen von Puccio Capanna, die große Kreuzigung von Pietro Cavallini und die Stigmatisation des Franz von Giotto sind, haben sich bis auf Crowe und Cavalcaselle erhalten Vas. I, S. 403. 379. 540.. Erst diese hervorragenden Forscher wiesen solch irrtümliche Auffassung zurück und betonten mit Recht, daß nur eine Hand hier beschäftigt gewesen und zwar die eines Sienesen: Pietro Lorenzettis. Ihrer Ansicht schloß sich Dobbert an. Nun kann es in der Tat keine Frage sein, daß der Stil der Malereien lebhaft an den des Lorenzetti erinnert, doch scheint es mir zu weit gegangen, sie Pietro selbst zuschreiben zu wollen. Nach meinem Dafürhalten sind sie nur die Arbeit eines diesem sehr nahestehenden Schülers, der nicht ganz auf der Höhe seines Meisters sich befindet, aber dessen Manier durchweg sich angeeignet hat. So lebendig die figurenreichen Darstellungen komponiert, mit so interessanten, besonders bemerkenswerten realistischen, genrehaften Zügen sie ausgestattet sind, so eindrucksvolle gewaltsame und phantastische Typen und Motive sie enthalten, so macht sich doch in den Gestalten ein Mangel an original künstlerischer Formenkraft, eine etwas gesuchte, übertriebene Empfindung geltend. Die Typen sind die Typen Pietros, aber manieriert, mit charakteristisch klobig an der Spitze verdickten Nasen. Es fehlt überall an der Sorgfalt, der Präzision, welche dem großen Künstler eigen sind. Nichtsdestoweniger bieten die Fresken, was die Kompositionen anbetrifft, ein hervorragendes Interesse. Sie beginnen mit
1. Christi Einzug in Jerusalem. Gefolgt von den aus der Tiefe heranschreitenden, paarweise angeordneten Aposteln, reitet Christus segnend dem Tor der Stadt entgegen, aus dem eine dichte Menge von Männern hervorquillt. Kinder breiten in lebhaften Bewegungen Gewänder unter der sehr lebendig aufgefaßten Eselin, neben der ihr Füllen schreitet, aus, andere pflücken im Hintergrunde Zweige von einem Baume. Der Gegensatz zwischen der feierlichen Gestalt des Erlösers und der aufgeregten, drastisch geschilderten Menge ist sehr wirkungsvoll, der Fanatismus der langbärtigen Pharisäer von unheimlicher Großartigkeit.
2. Das Abendmahl. In einer mit antiken Putten geschmückten Architektur sitzen um einen Tisch herum, zum Teil von hinten gesehen die Apostel, unter ihnen lauernd verborgen Judas, der auf den ihm vom hinten befindlichen Christus über den Tisch gereichten Bissen hinstiert. Links eine merkwürdige Genreszene, in welcher der erfindungsreiche und auf die Wirklichkeit gerichtete Geist des Künstlers sich besonders deutlich offenbart: ein Diener, der, in Gesellschaft von Katze und Hund, mit dem Reinigen der Teller beschäftigt ist, wird von einem anderen von dem Vorgang im Saale unterrichtet.
3. Die Fußwaschung. Christus wäscht Petrus, der an seinen Kopf mit der Hand fährt, die Füße. Die anderen Apostel schauen, in zum Teil nachlässigen, sehr gut beobachteten natürlichen Stellungen zu, einer löst sich die Sandale.
4. Die Gefangennahme. Die Krieger drängen sich von links durch eine Gartenpforte kommend, um Christus, dem sich Judas mit unheimlicher Gebärde naht. Die Jünger verschwinden, sich flüchtend, hinter einen Hügel, nur Petrus ist geblieben und dringt auf Malchus ein.
5. Judas' Selbstmord. Der Verräter, dem die Eingeweide herausquellen, hängt an einem Balken.
6. Die Geißelung. In Gegenwart des antik gedachten, zwischen zwei Kriegern thronenden Pilatus, wird Christus von zwei Schergen mit Ruten gestrichen. Aus dem Fenster eines Palastes schaut eine Frau mit einem Knaben, der auf der Balustrade einen Affen laufen läßt. Wieder ein lebendiges kleines Genrebild, auch hier wieder auf der Architektur nackte Putten.
7. Die Kreuztragung. Christus, gefolgt von den Frauen und Reitern, ist aus dem Stadttore hervorgeschritten. Vor ihm werden die zwei Schächer nach Golgatha geführt. Befehlende, lebhaft bewegte Reiter bilden die Spitze des Zuges.
8. Die Kreuzigung. Eine sehr figurenreiche Komposition mit zahlreichen Reitern und Fußsoldaten. Christus am Kreuz von klagenden Engeln umflattert. Das Fresko ist in seinen mittleren Teilen durch einen später eingebauten Altar zerstört.
9. Christus im Limbus. Mit mächtiger Bewegung schreitet er über die zu Boden gesunkene affenartige Gestalt des Teufels mit Fledermausflügeln hinweg und reicht einem von anderen gefolgten Patriarchen mit phantastischem reichem Haar- und Bartschmuck die rettende Hand.
10. Die Kreuzabnahme. Nikodemus, Johannes und die Frauen fangen den eben vom Kreuze gelassenen Leichnam mit schmerzlicher Bewegtheit in ihren Armen auf. Joseph löst eben den Nagel aus den Füßen, welche Magdalena küßt.
11. Die Grablegung. Die Freunde lassen unter Bezeugungen von Schmerz und Zärtlichkeit den Leichnam in den Sarkophag hinab.
12. Die Auferstehung. Von zwei Engelphalangen verehrt steigt Christus aus dem Sarkophag, vor dem tief in Schlummer versenkt – wiederum in vorzüglich der Natur abgelauschten Stellungen – die Krieger schlafen.
Außerdem sind noch folgende Darstellungen zu sehen:
13. Die Stigmatisation. Vor einem Felsen empfängt, erschreckten Blickes, kniend Franz die Wundenmale von dem schwebenden Christus. Auf einem Felsblock der Falke. Rechts vor der Kapelle der Bruder in Lesen vertieft.
14. Madonna mit Franz und Johannes (unten die Kreuzigung), darüber Christus am Kreuz und das Bildnis des Stifters, eines bartlosen Bürgers von etwa 40 Jahren, neben dem das Wappen (springender Löwe in Gold auf weißem Felde).
15. Die Brustbilder von vier Heiligen unterhalb der Kreuzabnahme.
Von derselben Hand endlich ist auch das in der Kapelle des heiligen Johannes befindliche Tafelbild, welches Maria mit dem Kinde zwischen Johannes dem Täufer und Franz darstellt. – Vasari hat darauf hingewiesen, daß das erwähnte Wappen jenes des Walter, Herzogs von Athen, sei, was spätere Schriftsteller veranlaßte, diesen selbst in dem links auf der Kreuzigung befindlichen heiligen Ritter zu Pferde zu sehen, aber diese Vermutung, die Vasari selbst mit aller Vorsicht als solche hinstellt, entbehrt jeder Begründung. Wer der Stifter gewesen, in welchem Jahr die Fresken ausgeführt worden sind, bleibt unbekannt.
Neben den Malereien, welche das 14. Jahrhundert in S. Francesco entstehen sieht, sind auch einige Werke der Skulptur zu nennen. Das Grabmal des Giovanni Gaetano Orsini ist bereits erwähnt worden. Einer etwas älteren Zeit, etwa um 1300, scheint jenes größere Denkmal anzugehören, das als Grabmal der Königin von Cypern gilt. Es befindet sich im östlichen Querschiffe (Abb. S. 415). Auf einem durch sieben, ein antikisierendes Gesims tragende Pilaster gegliederten Unterbau liegt unter einem hohen, im Kleeblattbogen geschlossenen Giebel ausgestreckt die Figur des Verstorbenen, vor welcher zwei sehr übertrieben, ja manieriert lebhaft bewegte Engel den Vorhang wegziehen. Über ihr ist links ein Löwe angebracht, oberhalb dessen eine weibliche Figur mit übergeschlagenen Beinen sitzt, rechts etwas höher eine Maria mit dem Kind. Es ist bekannt, daß Vasari dies Werk seinem Fuccio zuschreibt. Offenbar folgte er zugleich der in Assisi herrschenden Tradition, wenn er es das Grabmal einer Königin von Cypern nennt, wie es als solches auch schon in dem Registro delle sepolture, also 1509 angeführt wird. Auf jeden Fall darf man es schwerlich früher als um das Ende des 13. Jahrhunderts ansetzen, da es den Einfluß der Pisani, des Niccolò sicher, wenn nicht sogar schon den des Giovanni zeigt. Es ist eine ziemlich derbe, ungelenke Arbeit irgendeines lokalen Künstlers zweiten oder dritten Ranges. Was die daselbst begrabene Persönlichkeit betrifft, so scheint Papinis Annahme, daß es der König von Jerusalem, Johann von Brienne sei, die größte Wahrscheinlichkeit für sich zu haben Notizie sicure. S. 329.. Papini stützt sich nämlich einerseits auf das Zeugnis des Bartholomaeus Pisanus in den Conformitates (fructus 8), andrerseits auf das Wappen, welches in jedem der vier durch ein Kreuz gebildeten Felder ein von vier Kreuzen umgebenes Rad mit eingezeichnetem Kreuze zeigt. Johann von Brienne, der selbst die Franziskanerkutte trug, ist 1237 in Konstantinopel gestorben; wann sein Leichnam herübergebracht wurde, ist unbekannt. Vielleicht geschah dies auf Veranlassung seiner Tochter Maria, Fürstin von Antiochien, die bald in Ptolemais, bald in Cypern, endlich seit 1268 in Italien lebte und hier ihre Rechte auf das Königreich Jerusalem an Karl von Anjou abtrat. Möglich, daß daraus die Legende entstanden ist, eine Königin von Cypern sei hier begraben, als deren Geschenk man auch die unweit des Eingangs aufgestellte große Vase betrachtete, die sie, mit Gold gefüllt, der Kirche des heiligen Franz gespendet habe.
Etwas später als dies Denkmal ist das ähnliche, aber reichere daneben befindliche Grabmal des Niccolò Specchi, das keine Figuren, sondern nur einen krabbenbesetzten Giebel auf gewundenen Säulen zeigt, die auf einem mit vielen Säulchen geschmückten Unterbau stehen Das Wappen zeigt drei Ringe. Papini sagt, es bleibe zweifelhaft, ob etwa hier die Königin selbst begraben liege, oder ob es das für den in Perugia bestatteten Martin IV († 1285) bestimmte Denkmal sei. Andere behaupten, ein Niccolò Specchi ruhe darin..
Näher läßt sich die Entstehungszeit der Kanzel in der oberen Kirche bestimmen, die, wie wir gesehen haben, bereits 1347 so weit fertig war, daß sie vom Bruder Martinus bemalt werden konnte. Sie ist fünfseitig, durch gewundene Säulchen, die ein reich antikisierendes Gesims tragen, gegliedert, an drei Seiten mit den Relieffiguren der Heiligen Franz, Ludwig und Antonius geschmückt, und ruht auf einer mit Akanthusblättern besetzten Konsole. Diese Arbeit nun zeigt in allen Details eine große Übereinstimmung mit den Resten jener Kanzel, die an einer Ecke des Marktplatzes von Assisi erhalten ist. Diese letztere aber ist nach der in einem Ausgabenbuch erhaltenen Notiz von einem Nicolaus da Batteno gemacht worden Ausgabenbuch, bez. L. (1352-1364): Item die XXI dicti mensis magistro nicolao de bictonio pro opere pulpiti platee communis ass. 1111 flor. etc. Vgl. auch Fratini S. 188, wo er irrtümlich Crispolto da Bettona genannt wird.. So scheint es mir sehr wahrscheinlich, daß dieser auch der Verfertiger der Kanzel in der Oberkirche ist.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und später erhielten zwei Kapellenanbauten der Unterkirche malerischen Schmuck. Die ältere und größere ist
Die Kapelle der heiligen Katharina oder del Crocefisso an dem östlichen Querschiffe (Plan: J), die vom Kardinal Egidius Albornoz, eben jenem Wohltäter der Kirche, welcher, wie wir gesehen haben, 1353 die neue Infermeria errichtete, gebaut sein soll. Hier ward er 1367 bestattet Registro delle sepolture. – Alte Beschreibung.. Gegenüber den Behauptungen der älteren Schriftsteller neige ich, wie bereits oben bei Beschreibung der Architektur bemerkt wurde, zu der Annahme, daß auch diese Kapelle zu gleicher Zeit wie die bereits besprochenen entstanden ist, und daß der Kardinal sie nur ausgeschmückt hat. Solche Vermutung, die sich im wesentlichen auf die Gleichartigkeit der Architektur und Anlage stützt, wird durch die Glasfenster bestärkt, die offenbar schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entstanden und altertümlicher im Stile, als die in den Kapellen des heiligen Antonius und Ludwig, sind. Woher Fea die Nachricht nimmt, sie seien von Bonino von Assisi mit seinen Schülern Angeletto und Pietro di Gubbio gefertigt, weiß ich nicht Descrizione S. 11.. Sind die Glasfenster aber früher als 1354, so sind die Fresken offenbar viel später, nämlich aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts. Sie sind Arbeiten eines herzlich schwachen umbrischen Künstlers, der vielfach Anklänge an die Werke des Ottaviano Nelli bringt, ohne doch nur entfernt auf dessen Höhe zu stehen. Es begegnen in seinen Bildern sehr derbe Typen neben überzierlichen empfindsamen Frauenköpfen, die Bewegungen sind ungeschickt, die Behandlung ist roh. Papini meinte in dem Meister den Pace da Faenza erkennen zu dürfen, der in dem bereits öfter erwähnten Ausgabenbuche am 21. Dezember 1354 erwähnt wird, doch kann von Pace ebensowenig die Rede sein, wie von Buffalmacco, welchen Vasari die Kapelle Katharina ausmalen läßt I, S. 507 u. 517. Vgl. auch Crowe u. Cavalcaselle. It. A. II, 75 und D. A. I, S. 323. Sie setzen die Malereien zu früh in das Ende des 14. Jahrhunderts.. Nur des ikonographischen Interesses wegen, welches die Bilder haben, seien sie kurz im folgenden beschrieben.
Rechte Wand:
1. Katharina vor Maxentius. Sie steht gen Himmel weisend vor dem von Trabanten umgebenen, auf dem Throne sitzenden Kaiser. Vor ihr sitzen Leute am Boden. Rechts tanzen Jünglinge und Mädchen zum Klange der Mandolinen einen Reigen, wobei die vordersten, eben auf Katharina aufmerksam geworden, innezuhalten scheinen.
2. Katharina, die Krone auf dem Haupte, kniet vor einem Altar und küßt ein Marienbild, das ihr ein Mann in grauer Kutte hinreicht. Rechts sinkt sie, vor dem Altar kniend, ohnmächtig zurück, während Maria mit dem Kinde ihr erscheint und dieses ihr den Ring an den Finger steckt.
Linke Wand:
3. Neben dem rechts thronenden Kaiser steht Katharina, nach oben weisend, mit mehreren links sitzenden Philosophen, die sinnend zuhören, disputierend.
4. In der Mitte befinden sich die Philosophen im Feuer. Rechts zuschauende Leute. Links Männer, die mit einem Knaben, der einen Zettel hält, beschäftigt sind.
Leibung des Eingangsbogens.
5. Links kniet die Heilige, von Schergen am Rücken gepackt, dem Rade zugewandt, das von zwei Engeln mit Schwertern zerstört wird. Die Henkersknechte entfliehen. Aus einem Fenster schaut der Kaiser zu.
6. Vor einem Gebäude mit Renaissancehalle, aus welcher der Kaiser befehlend herausschaut, hat soeben ein Henker der betend am Boden liegenden Katharina den Kopf abgeschlagen und steckt das Schwert in die Scheide, darüber lassen schwebende Engel den Leichnam der Heiligen in ein Grab nieder, das sich auf einem Berge befindet.
7. In einem Gefängnis rechts kniet Faustina, die Gemahlin des Maxentius vor der Heiligen. Links draußen wartet ihr Gefolge mit den Pferden.
8. Ein Henker schlägt der in einer Landschaft knienden Faustina in Gegenwart von zuschauenden Leuten den Kopf ab. Darüber sieht man, wie auf Befehl des rechts in das Schlafgemach eintretenden Kaisers der Fürstin die Brust mit einer Zange abgekniffen wird, während ein andrer Scherge sie an den Haaren zieht.
9. Drei Heilige: der Bischof Ludwig, Eugenius und ein dritter Bischof.
10. Vor dem Papste Clemens kniet der Stifter, ein alter Mann in Kardinalstracht. Links ein Bischof. Rechts Franz.
In den Fensterleibungen: Brustbilder von den vier Evangelisten, den Kirchenvätern, Propheten und Aposteln.
Verwandt im Stile und ungefähr aus derselben Zeit wie diese Fresken ist ein Wandbild im südlichen vorderen Querschiffe unweit des Portals. Es stellt Maria auf einem mit Statuetten der Tugenden geschmückten Throne dar, in der Linken eine Lilie, mit der Rechten das einen Stieglitz haltende stehende Kind fassend. Links steht Antonius Eremita und Franz, rechts ein Bischof. Auch der Meister dieser Darstellung ist dem Ottaviano Nelli verwandt, wie man denn vielfach Nelli selbst als Verfertiger genannt hat. Fea dagegen weiß – offenbar auf eine jetzt nicht mehr sichtbare Bezeichnung oder ein Dokument gestützt – als Namen des Meisters: Ceccolo di Giovanni anzugeben und bemerkt dazu, Niccolò Alunno habe das Fresko um das Jahr 1500 retuschiert Descr. S. 10..
Offenbar später als die anderen Kapellen ist die Kapelle des Antonius Abbas enstanden, die östlich an das vordere Querschiff stößt (Plan K). Heutzutage ist nichts mehr von den Fresken zu sehen, die, nach Vasari angeblich von Pace da Faenza ausgeführt, an ihren Wänden die Geschichte des Heiligen darstellten S. 405. Dicesi che costui lavorò in Ascesi in fresco, nella cappella di Sant' Antonio alcune istorie della vita di quel Santo, per un duca di Spoleti ch'è sotterrato in quel luogo con un suo figliuolo; essendo stati morti in certi sobborghi d'Ascesi combattendo, secondo che si vede in una lunga inscrizione che è nella cassa del detto sepolcro.. Die Nachricht des Aretiners erscheint in diesem Falle sehr glaubwürdig, da, wie erwähnt, in einem Ausgabenbuch am 21. Dezember 1354 »Pace pittore« angeführt wird Ausgabenbuch L. Er erhält fünf Gulden. Vgl. auch Fratini S. 193.. Freilich müßte dann Pace sich längere Zeit in Assisi aufgehalten haben, da eine bereits von Fea publizierte Notiz besagt, daß ein Vagnuzzo di Francesco d'Assisi in seinem Testament vom 2. August 1360 achtzig Gulden hinterläßt, die Kapelle mit Gemälden zu schmücken Fea. S. 11: Vagniutius Francisci de Assisio reliquit Capellae s. Antonii in ecclesia s. Francisci pro picturis et aliis ornamentis fiendis octuaginta florenos auri etc. 1360. Rogat. Angelus qu. D. Mutii de Assisio not. rog. – Vgl. Fratini S. 198.. Das noch vorhandene Tafelbild: ein »Christus am Kreuze« zwischen Lionardo, Antonius Eremita, Franz und Chiara ist von Tiberio d'Assisi. Die Grabdenkmäler – in architektonisch eingefaßten Rundnischen auf ruhenden Löwen stehende Sarkophage mit roh gearbeiteten Figuren der Verstorbenen – bergen die Reste der zwei im Hinterhalte gefallenen Grafen von Spoleto, Blasco und Garcia.
Nur wenige andere Werke bleiben zu erwähnen übrig, wollen wir das Bild von der Ausschmückung der Kirche in Assisi vollenden, nämlich die Chorgestühle der Unter- und der Oberkirche. Das erstere einfachere ist in den Jahren 1467-1471 entstanden, wie die Notizen in einem Ausgabenbuch lehren. Zuerst ist ein maestro Paolino da Gubbio daran tätig, dann am 20. Dezember 1467 tritt » Apollonio de giovanni dalle ripe transune« (Ripatransone) ein, als dessen Gehilfe 1468 wiederholt Crispolto da Bettona genannt wird. Am 6. November 1468 endlich erscheint als Mitarbeiter Tommaso da Fiorenza, dem die »quadri di prospettiva« übertragen werden. Im April 1471 war die Arbeit vollendet S. Ausgabenbuch v. J. 1467 (geht bis 1490). Nach dem obigen sind die älteren Angaben, auch die bei Fratini S. 266, zu ergänzen..
Das längere Zeit in einem Raume des Klosters aufbewahrte Chorgestühl der oberen Kirche übertrifft an reichem bildnerischen Schmucke bei weitem das andere. Die obere Reihe der Sitze zeigt über Muschelnischen gotische Giebel mit Renaissance-Blattwerk und an den Lehnen breit und großartig gezeichnete Brustbilder. Diese stellen neben der Verkündigung, den Porträts Sixtus' IV. und des Stifters Generals Sanson die bedeutendsten Franziskaner dar. Die untere Reihe der Sitze hat statt der figürlichen Intarsien Darstellungen der verschiedensten Art. Eine Inschrift nennt uns den Stifter und den Künstler:
M. F. Sanson Generalis fieri curaviet dominicus de Sancto Severino me fecit MCCCCCI.
Wie lange Domenico von San Severino an diesem durch Geschmack und Feinheit gleich ausgezeichnetem Werke gearbeitet, bezeugt ein Ausgabenbuch im Archive. Bereits am 3. August 1491 wird der Vertrag mit dem ›magister dominicus‹, der hier der Sohn eines Antonius von Sanseverino genannt wird, abgeschlossen. Als Preis werden 770 Dukaten festgesetzt. Als Gehilfen finden sich erwähnt: Niccolò, der Bruder des Meisters, Pierantonio und Francesco Acciaccaferro, Giovanni di Pier Jacopo, alle aus Sanseverino stammend Ausgabenbuch, das mit 1491 beginnt und bis 1498 geht. Bis zum 18. Nov. werden die einzelnen Posten, die bis dahin 663 Dukaten ausmachen, aufgeführt. – Vgl. auch Fratini S. 277..
Dies Chorgestühl ist das letzte große künstlerisch vollendete Werk, das die Kirche des Franz entstehen sieht. Was die folgenden Jahrhunderte noch geschaffen: die Holzschnitzereien an den Türen der Unterkirche, von Niccolò d'Ugolino von Gubbio 1550 gefertigt, die Fresken Donos dei Doni in der Ludwigskapelle, im großen Klosterhofe (Leben des Franz), im kleinen Refektorium (das Abendmahl), die Wandmalereien des César Sermei von Orvieto und des Girolamo Martelli von Assisi in dem südlichen vorderen Querschiff, in der hier angebauten kleinen Kapelle des h. Sebastian, in der Tribune und in der Sakristei, die von Stefano d'Assisi 1626 gefertigten Sakristeischränke vermögen nach allem, was wir gesehen, unser Interesse nicht mehr zu fesseln.
Ehe wir aber die Basilika verlassen, werfen wir noch einmal einen Blick auf ihre erste Geschichte, auf den gewaltigen Aufschwung, welchen die Kunst in ihren Mauern genommen, zurück. Wir haben gesehen, wie unter der eifrigsten Beteiligung nicht allein der italienischen, sondern auch der fernen nordischen Verehrer des Heiligen schnell und kühn der merkwürdige Bau sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhob – eines der frühesten gotischen Denkmäler in Italien. Nicht ein Deutscher, nicht der fabelhafte Jacopo des Vasari ist der Erbauer gewesen, sondern Filippo de Campello, dessen Heimat dem Stile nach in der Lombardei zu suchen ist. Noch während an der Kirche gebaut wird, werden bereits die Maler herbeigerufen, sie zu schmücken. Dem Giunta von Pisa, der 1236 für Elias ein Kruzifix fertigte, ist jener andere unbekannte gefolgt, der das altertümliche Porträt des Franz geschaffen. In den sechziger und siebziger Jahren desselben Jahrhunderts ist dann der Meister des Franziskus tätig, die Wände der Unterkirche mit den Bildern aus dem Leben des Franz und Christi zu zieren, vielleicht mit Hilfe des jugendlichen Cimabue, der hierauf in den achtziger Jahren den Chor und das Querschiff der oberen Kirche ausmalt und die gewaltigen Werke schafft, an denen eine Reihe von Schülern lernt, die ihrerseits das Langhaus mit biblischen Szenen schmücken. Aus ihrer Mitte heraus aber erhebt sich mit seiner neuen Anschauung der Natur, mit seinem Studium der Antike Giotto, der die letzten Fresken an den Wänden oben vollendet und dann allein zurückbleibt, um in achtundzwanzig Bildern das Leben des Franz zu dem großen neuen Stoffe der christlichen Kunst und damit sich selbst zum Begründer der großen neuen christlichen Kunst herauszubilden. Die Tätigkeit, die er in der Oberkirche gefunden, setzt er dann bis in das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts mit Unterbrechung in der unteren fort: die Fresken der Nikolauskapelle, der Magdalenenkapelle, des nördlichen Querschiffs, der Vierung entstehen vermutlich in dem Zeitraum bis 1306. Ob Giotto es nicht nach allem auch vielleicht gewesen, der, damals schon mit Liebe und Begeisterung architektonischen Studien ergeben, die vielleicht um einige Jahre früher als 1300 entstandenen Kapellen gebaut hat? Nur vermutungsweise darf dies geäußert werden, aber wie mir dünkt, spricht wohl eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß derselbe Künstler, der in jenen Jahren die innere Ausschmückung leitete, auch die Neubauten entworfen hat. Aus der Zahl seiner Schüler tritt nur ein uns dem Namen nach bekannter hervor: Giottino, der die Fresken über der Kanzel gemacht – andere wie Stefano und Buffalmacco bleiben in Dunkel gehüllt. Aber Giottos Einfluß äußert sich auch in den Freskenzyklen, die Simone Martini, die ein Schüler des Pietro Lorenzetti in Assisi malten – er klingt in späten umbrischen Schularbeiten, wie den Bildern der Kapelle S. Katharina, aus. So kann man mit Recht wohl sagen, daß Giotto mit seiner Kunst der Kirche seinen Geist eingeprägt, daß seine Kunst, wie sie hier aus der seiner Vorgänger kühn emporgewachsen ist, hier ihre eigentliche Heimat gefunden hat. Franz von Assisi und Giotto sind die beiden Namen, die man gerührt und dankbar in der stillen Kirche verehrt – die segnende Hand des Franz hat über der jungen Kunst geschwebt, ihre Jugendjahre geleitet, ihr die großen Ziele gewiesen – die Kirche, in der er begraben, ward die Wiege der neuen christlichen Kunst!