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Im Jahre 1181 ward einem wohlhabenden Kaufmann von Assisi, dem Petrus, Sohn des Bernardone, während er gerade geschäftehalber in Frankreich weilte, von seiner Frau Pica ein Sohn geboren, den sie Johannes nannte Noch bleibt es zweifelhaft, ob das Geburtsjahr 1181 oder 1182 ist. Mir scheint das erstere wahrscheinlicher. Vgl. A. am Schlusse des Kapitels.. Des Knäbleins künftige Bedeutung soll nach der Erzählung der späteren Legende ihm schon am Tage der Namengebung von einem fremden Pilger, der damit vielleicht seinen Dank für ein empfangenes Almosen ausdrücken wollte, vorausgesagt worden sein, wie auch der Mutter stolze Hoffnungen, zur Zeit als das Kind bereits herangewachsen war, in prophetischen Worten dem Zweifel der Nachbarn gegenüber sich Luft machten. Sie war es, die in dem kindlichen Gemüte die warme Herzensempfindung, den frohen Sinn und die reine Begeisterung für alles Edle pflegte und entwickelte, mag auch der Vater, der von den alten Biographen nur als hartherzig und habgierig geschildert wird, nicht gar so schlimm gewesen sein. Wenn er sich später von dem ungeratenen Sohne, der das väterliche Gut für nichts wertzuhalten und, dem gesitteten Berufe sich entziehend, ein Vagabundenleben zu führen schien, lossagte, zeugt dies doch weniger von einem verdorbenen Charakter als von einer Erbitterung, die man dem um seine schönsten Hoffnungen betrogenen Manne wohl zugute halten muß. Es ist ihm nur gegangen wie manchen anderen rechtlichen, aber von beschränkten Anschauungen verblendeten Vätern, die in sich selbst nicht die Erklärung finden für die gewöhnliche und Bedeutendes versprechende Anlage des Sohnes und, in törichtem Wahne sie bekämpfend, die eigene Autorität untergraben.
Es ist viel darüber gestritten worden, woher die Familie des Franz eigentlich stamme, doch haben die Forschungen Cristofanis wenigstens das eine mit Sicherheit ergeben, daß ältere Geschichtschreiber, die sie von den Moriconi in Lucca und Pisa herleiten, ihr Gebäude auf den Sand gesetzt haben, und daß man wohl die Nachkommen des Pietro bis ins vierte Glied verfolgen kann, von seinen Vorfahren aber eben nur den Namen des Vaters kennt. Eher dürfte eine Möglichkeit vorhanden sein, die Genealogie mütterlicherseits festzustellen: da bringt Papini die Mitteilung, daß in dem von P. Claudius Frassen gegebenen Kommentar zu einer 1703 erschienenen Ausgabe der Regel der Tertiarier die Bemerkung sich finde, Pica stamme aus der edlen Familie der Bourlemont in der Provence, in deren Archive der Ehekontrakt zwischen ihr und Pietro di Bernardone noch erhalten sei Notizie sicure della morte di S. Francesco. Fuligno 1824. S. 225 ff.. Sehr vieles läßt mich vermuten, daß diese Annahme der Wahrheit entspricht. Zunächst wird im Carmen die Mutter »honesta« genannt, im Gegensatz zu dem als »institor« erwähnten Vater, ferner Franz bei Matthäus Paris als »generis nobilitate praeclarus« bezeichnet, und die von Cristofani publizierten Urkunden nennen seinen Bruder regelmäßig »Angelus domine Piche« oder »di madonna Pica«, was gegen die sonst allgemeine Sitte der Beifügung des Vaternamens verstößt und irgendwie, vielleicht am besten durch die vornehme Abstammung der Mutter, erklärt werden muß Cristofani: il più antico poema. Prato 1882. S. 6. – Matthäus Paris: Historia major. London 1640. S. 399. – Cristofani: Storie di Assisi II. Ed. I, S. 78.. Ferner wird es uns so leicht verständlich, wie es gekommen, daß Franz der französischen Sprache mächtig war und dieselbe mit Vorliebe anwandte, trieb ihn sein Herz, dem Herrn Lob zu singen. Dies besonders weist darauf hin, daß er in ihren Lauten schon in frühem Kindesalter die innigen und begeisterten Gebete der Mutter nachzusprechen lernte. Schwerlich dürfte gerade darin der Vater sein Lehrmeister gewesen sein. Mag sich nun auch, wie aus einer Bemerkung der »tres socii« hervorgeht Kap. I, S. 726: quia libenter lingua gallica loquebatur, licet eam loqui nesciret. Vgl. Th. I Leg. III, S. 688. – Th. II Leg. I, c. 8. II, c. 6. – Die Zitate beziehen sich durchweg für die I. Legende des Thomas sowie für die vite der tres socii und des Bonaventura auf den Text in den Acta Sanctorum Oktob. T. II, für Thomas' II. Legende auf Amonis Ausgabe Rom 1880., der fremden Zunge gegenüber der Italiener nie ganz verleugnet haben, so mußte dieselbe ihm doch wohl geläufig sein, wenn er immer auf »gallisch sang«. Neben diesen mehr äußerlichen Gründen könnte man, aber freilich mit allem Vorbehalt, noch einen aus seinen inneren Eigenschaften, aus der Temperaments- und Gemütsanlage gezogenen geltend machen. Bis in die Zeiten seines schweren Leidens hat er den unverwüstlichen Frohsinn, der sonst meist nur ein glückliches Vorrecht der Kindheit zu sein pflegt, behalten, eine sorglose Heiterkeit und angeborene Offenheit des Wesens, wie sie vor allen Völkern dem glücklichen Südfranzosen, dem zum Reflektieren geneigten Italiener aber vielleicht nicht in gleichem Maße beschieden ist. Gerade darin aber liegt, wie mir dünkt, einer der hervorragendsten Charakterzüge des Mannes. An den Südfranzosen auch werden wir gemahnt, lesen wir in der I. Legende, wie drastisch sich bei ihm die innere Aufregung und Begeisterung in Gebärden kundgab, wie er, vor Honorius predigend, »gleich einem Tanzenden die Füße bewegte« – in jenen häufig über alles Maß hinausgehenden Bewegungsäußerungen, die sich von der lebhaften, aber stets doch gehalteneren Gebärdensprache des Italieners zu unterscheiden scheinen Th. I Leg. cap. IX, S. 703.. Beachten wir endlich und vor allem, daß auch die religiöse Überzeugung des Franz, wie später geschildert werden soll, auf direkte Beziehung zu den Sekten der Provence schließen läßt, so kann man sich der Annahme nicht verschließen, daß französisches Blut in seinen Adern gerollt, und daß der Süden Frankreichs ein halbes Anrecht hat, den frohen, gottbegeisterten Mann mit unter seine besten Söhne zu rechnen Ein wunderliches Buch, das allen mir bekannten Biographen entgangen zu sein scheint, verdient hier der Kuriosität wegen genannt zu werden: Généalogie curieuse de sainct François d'Assise. Nancy, Cayon-Liébault, 1863. Es enthält im Abdruck eine am 10. Juni 1666 angefertigte »Kopie der Kopie eines alten Manuskriptes«. Da wird erzählt, wie F. nach Frankreich kommt, in einem Dorfe Villey bei Issurtelle eine Kirche weiht, dann in einer Vision seinen Stammbaum erhält, von dem er eine Abschrift an einen Herrn de Grancey gab. Folgt der Stammbaum, der mit Chlodwig beginnt; durch die Herzöge von Langres gelangt man auf eine Elisabeth Comtesse de Beaumont, die mit einem römischen Senator verheiratet war. Von ihnen stammen der h. Gregor, der h. Alexis und Bernardone, der Großvater des Franz! – Beaumont klingt sehr ähnlich wie Bourlemont. Sollte da irgendeine geheime Beziehung sein?.
Die Tatsache, daß der eigentliche Taufname Giovanni hinter dem »Francesco« verschwand, erklärt sich uns am leichtesten aus der damals seltenen Sprachenkenntnis des Knaben, den seine Altersgenossen wie deren Eltern mit dem von selbst sich ergebenden Spitznamen: »der Franzose« rufen mochten, welche Gewohnheit dann zur Regel ward, so daß der besondere Name auch den besonderen Mann bezeichnete Dies ist das Ausschlaggebende für Thomas in seiner II. Leg. cap. I, während die T. s. cap. I den Vater selbst, als er von Frankreich zurückkehrte, »Giovanni« mit »Francesco« vertauschen lassen.. Den ersten Unterricht bekam er, wie Bonaventura sagt, von Geistlichen in S. Giorgio, das beste Teil der Erziehung aber behielt wohl die Mutter, bis er, der Tradition des Hauses folgend, vom Vater in den Kaufmannsberuf eingeführt wurde und seine Tätigkeit im väterlichen Tuchladen fand Th. II Leg. I, cap. I. – T. s. cap. I, S. 724. – Bon. I, S. 744.. Und würde es nicht berichtet, so könnte man es doch aus seiner frohen Gemütsart schließen, daß er die freien Stunden in ausgelassener, unternehmungslustiger Geselligkeit verbrachte. Ja, es scheint sehr glaublich, wenn die älteste vita erzählt, er habe alle Altersgenossen in tollen Streichen übertroffen und die Rolle des Anführers gespielt, auch das Vermögen seines Vaters nach Herzenslust zu verschwenderischen Ausgaben für gewählte Kleidung und allerlei Vergnügungen ausgenutzt. Sein anmutiges, bewegliches Wesen aber verlockte manchen zum Schaden auf falsche Wege. Dies alles suchen dann später Thomas in der II. Legende, die tres socii und am meisten Bonaventura zu vertuschen – nach ihnen wäre er der feingesittetste, wohlgefälligste Jüngling gewesen! Doch spürt man die gute Absicht, jeden Makel aus seinem Leben zu tilgen, und so behält die ältere Schilderung ihr Recht. Zumal da uns diese die plötzliche Änderung in den Anschauungen, ohne welche die spätere Gesinnung des bekehrten Franz psychologisch unmöglich zu erklären wäre, verständlich darlegt.
Mitten in die gedankenlosen, sinnlichen Freuden seines Lebens griff eine höhere Gewalt und warf ihn auf das Krankenlager. Lange Zeit verging, bis er, auf den Stab gestützt, im Hause umhergehen, bis er endlich wieder ins Freie hinaustreten konnte. Da schien die ganze Welt verändert: die üppige Schönheit der Felder, die Lieblichkeit der weinbewachsenen Berge konnte ihn nicht wahrhaft ergötzen, verwundert betrachtete er sich selbst! Die bittere, in leidensvollen Zeiten erkaufte Erkenntnis von der Vergänglichkeit der Dinge war plötzlich über ihn gekommen, wie über so viele vor ihm und nach ihm, in Augenblicken verzweifelter Angst und in Stunden langen Sinnens! Wer uns doch etwas erhalten hätte von den Gesprächen, in denen die Mutter, am Schmerzenslager sitzend, dem Sohne Trost zu geben wußte – hat sie ihm damals nicht vielleicht auch von jenem Petrus Waldus erzählt, der, durch den jähen Tod des Freundes plötzlich zum Bewußtsein der Wertlosigkeit irdischer Güter gekommen, seine Habe von sich getan hatte und arm hinausgewandert war?
Im tiefsten Grunde verändert, auf Ernsteres gerichtet waren wohl seit jener Krankheit die Gedanken des Jünglings, doch wuchs mit den Kräften auch der Tatendrang neu empor, der sich nur andere Ziele als zuvor suchte. Vielleicht geschah es damals, daß er mit in den Kampf gegen Perugia zog und gefangen wurde. Da zeigte er sich im Kerker so wohlgemut und heiter, daß sich die Genossen über ihn verwunderten. Ja, wenn er seine Fröhlichkeit wirklich mit den Worten erklärt hat, »daß man ihn noch einst in der ganzen Welt verehren würde«, so zeugt das von einem fast übermütigen Bewußtsein der erneuten Stärke. Daneben aber äußert sich das liebevolle Gemüt in der besonderen Berücksichtigung, die er einem bei den anderen verhaßten Mitgefangenen zuteil werden läßt Th. II Leg. I, 1. – T. s. cap. I, S. 724., wie in der freiwilligen Gabe, die er, nach Assisi zurückgekehrt, dem armen Soldaten, des eigenen Mantels sich beraubend, gewährt Th. II Leg. I, 2. – T. s. cap. I, 724. – B. I, S. 744.. Die schönste, erste Frucht des eigenen Leidens war das Mitleid mit dem anderer. So fiel es ihm schwer auf die Seele, als er einst einen Armen ohne Almosen aus dem Laden geschickt, und eiligst lief er ihm nach, das Versäumte gutzumachen Th. I Leg. III, 17. – T. s. a. a. O. – B. a. a. O.. Bei alledem aber scheint ihn ein innerer Drang zu den Waffen getrieben zu haben, von denen lauter als sonst im Jahre 1204, zwei Jahre nach dem Kriege mit Perugia, auch Assisi widerhallte Vgl. für die Zeitbestimmung Cristofani: St. d. A. I, S. 90 und Bonghi: Francesco d'Assisi S. 10 u. 75. Die T. s. sagen Cap. I: post paucos vero annos, i. e. nach der Krankheit.. Ein Vornehmer, Gentile, rüstete sich in den Krieg zu ziehen, der seit einigen Jahren zwischen Walther von Brienne und Diephold in Apulien entbrannt war. War es die Wanderlust, die übermächtig in dem Jüngling sich regte, war es die Sucht, sich auszuzeichnen, einem höheren Ehrgeiz, als ihn der väterliche Laden befriedigen konnte, zu folgen, oder waren es schon damals Zerwürfnisse mit dem Vater, die ihm das Leben daheim verleideten – Franz rüstet sich reiche Kleidung zu und macht sich bereit, dem Mitbürger zu folgen. So feurig angeregt von kriegerischem Mute ist sein Geist, daß ihm im Traume sogar die Waffen erscheinen Als Vorbedeutung bei Th. I Leg. I, S. 685. – II Leg. I, 2. – T. s. a. a. O. – B. a. a. O., und den verwunderten Genossen sagt er in stolzem Selbstgefühle, daß ihm bestimmt sei, noch ein großer Fürst zu werden Th. II Leg. I, 2. – T. s. a. a. O.. Doch sollte es nicht zur Ausführung des Vorhabens kommen, mag nun der am 11. Juni des Jahres erfolgte Tod Walthers die kriegerischen Freunde in Assisi abgehalten oder Franz selbst, wie die I. Legende will, eingesehen haben, solch irdischen Zwecken gewidmeter Dienst sei seiner nicht würdig Letzteres wird erst bei Th. II Leg. I, 2 und danach bei den T. s. a. a. O. versinnbildlicht durch das Traumgesicht, in dem Christus ihn auffordert, doch statt einem Diener dem Herrn selbst zu dienen.. Er kehrte zu Spoleto um und kam in die Heimat zurück. Die Ideale, denen er im Streben nach Waffenruhm und kriegerischer Ehre zu dienen geglaubt, verloren ihren Schimmer, und er begann mit feinerem Ohre auf die innere Stimme zu lauschen, die, nun besser verstanden, zu ganz anderem zu bereden schien. Selbst inmitten der Freunde, die den Heimgekehrten froh als den Ihrigen wieder begrüßen und ihn, nach der Sitte der Zeit, zu ihrem Herrn erwählen, daß er ihnen ein reiches Mahl bereite, verläßt ihn nicht das stille Sinnen. Als sie lärmend und singend durch die Straßen ziehen, folgt er, ihr Anführer, das Zeichen seiner Würde: den Stab in der Hand, in Gedanken vertieft und teilnahmslos, so daß es den tollen Gesellen endlich zu arg wird und sie ihn neckend fragen, warum er doch so nachdenklich sei, ob er wohl gar daran denke, eine Frau zu nehmen? Da flammt es in ihm auf, und das Geheimnis kommt zutage: »Die Wahrheit sprecht ihr, denn ich sann darüber, eine Braut zu erwählen, und zwar eine edlere, reichere und schönere, als ihr sie je gesehen!« Die Freunde mochten lachen, es war ihm voller Ernst – die Braut, die all sein Denken gefangennahm, war die Armut Th. I Leg. I, S. 686. – Th. II Leg. I, 3. – T. s. I, S. 725..
Es hatte nur des öffentlichen Anstoßes gebraucht, den lange geplanten Entschluß zur Tat werden zu lassen. Dem liebsten Genossen verriet er in Rätselworten das Geheimnis von einem köstlichen Schatze, den er gefunden, und führte ihn mit sich aus der Stadt hinaus zu der einsamen Höhle, in der er die ersten aufregenden Erfahrungen vollständiger seelischer Entrückung im Gebete machte. Da fand seine glühende Seele die ganze Befriedigung, die befreiende Erhebung, nach der sie sich schon so lange gesehnt – er spürte es, daß das einzige Glück im Sichselbstvergessen, in der Liebesbetätigung für andere läge. Fortan wird er der Wohltäter der Armen: verwundert läßt es die Mutter in Abwesenheit des Vaters geschehen, daß er ein reichliches Mahl für die Bedürftigen im eigenen Hause herrichtet – verwundert läßt sie ihn ziehen, als er, dem lästigen Zwange der heimatlichen Sitte zu entgehen, nach Rom pilgert, um sich dort selbst den Armen gleichzumachen. Mit verschwenderischer Hand spendet er dem Apostelfürsten Geschenke und setzt sich dann in den Lumpen eines Bettlers vor die Kirche, wo er mit der Schar der Besitzlosen die vorbeigehenden Kirchgänger anbettelt. Das war nicht bloße jugendliche Exzentrizität, die, schnell befriedigt, schnell verging, sondern die erste Verwirklichung einer Selbsterniedrigung, wie sie fortan der Grundzug seines Denkens wird, wie sie begreiflich nur ist bei einer Natur, für die nicht die mittlere mäßige Gemütsbewegung, in der sich große geistige Aufregungen ausgleichen, die eigentlich normale war, die vielmehr ohne Gefahr für sich selbst beständig in jenen hohen, unruhigen Regionen der Exaltation lebte, in denen die Denkfreiheit gewöhnlicher Menschen die Lebenskraft verliert.
Nur Armen zu helfen aber war eine zu leichte Aufgabe, es verlangte ihn zur Befestigung in seiner Entsagung nach stärkeren Prüfungen. Den heftigsten Abscheu, den er noch empfunden, den Widerwillen gegen jene entsetzliche Krankheit des Aussatzes, die mit den Schiffen der Kreuzfahrer aus dem Orient gekommen war, zu überwinden, mochte ihm wohl als die heilsamste Übung in seinem neuen Lebenswandel erscheinen. Und als er nur das erstemal seiner so Herr geworden war, daß er vom Pferde zu steigen und solch einem unglücklichen Kranken mit dem Almosen zugleich die Liebesbezeugung eines Kusses zu schenken vermochte, da war es dann kein weiter Weg mehr zum Besuche der Krankenhäuser, denen er bald ein liebreich dienender Freund und Wohltäter ward. Der Verkehr mit dem Elend aber zeitigte immer mehr die edle, reine Menschlichkeit seines von Liebe überströmenden Herzens Man vgl. für alles Vorhergehende Th. II Leg. I, 4. 5. – T. s. I, S. 726 f. – B. I, S. 745 f. – Die innerlichen Erfahrungen werden alle in Zwiegesprächen mit Gott symbolisiert. Das Wunderbare in dem plötzlichen Verschwinden des Aussätzigen wird von Th. II betont, von den T. s., die doch Th. II benutzen, offenbar absichtlich weggelassen, von B. in den Vordergrund gerückt. Über die Zeitfolge der einzelnen Dinge ließe sich streiten, doch kommt es schließlich wenig darauf an..
Die ausgesprochene Dienstbeflissenheit seiner frommen Gedanken tritt besonders zutage in der Vorsorge, die er für die Ausschmückung ärmlicher Kirchen hat. Es scheint ihm geradezu ans Herz gegriffen zu haben, als er auf einem seiner einsamen Spaziergänge den ganz verfallenen, kleinen Bau von S. Damiano unweit der Stadt gewahrte. Schnell faßte er den Entschluß, dem vernachlässigten Gotteshause wieder zu Ehren zu verhelfen. Er eilt, ohne des Unrechts zu gedenken, das er seinem Vater tut, Scharlachtuche in Foligno zu verkaufen und gibt auch sein Pferd hin, um nur mehr Geld zu erlangen. Das bringt er dem erstaunten Priester zur Wiederherstellung und nötigen Ausstattung der Kirche, der selbst das Öl in der ewigen Lampe fehlte. Als jener es nicht annehmen will, wirft er es zum Fenster hinein. So ungefähr erzählt die I. Legende den Vorfall, und so wird es wohl geschehen sein. Erst in den späteren »vite«, denen Bonaventura folgt, erhält Franziskus vom Kruzifixe selbst den Auftrag, die Kapelle herzustellen, was sich dann sinnbildlich gar gut verwenden ließ. Höchst bezeichnend für Franzens Charakter ist die Art, wie er hier mit dem Gelde verfährt – noch immer ist er, freilich nur in guter Absicht, was er schon früher war, ein Verschwender, dem mit der Achtung vor dem Golde auch die Achtung vor des Vaters mühevollem Erwerbe zu fehlen schien. Was Wunder, daß diesem, der den Sonderlichkeiten des Sohnes schon lange genug nachgesehen hatte, die Sache endlich doch zu arg wurde, als er seine Güte mißbraucht glaubte. Gar manche ernste Ermahnung, die oft zu heftigstem Tadel wurde, mag nichts gefruchtet haben. Als nun aber diesmal Franziskus gar nicht nach Hause kam, sondern bei jenem Priester blieb, empörte sich Petrus und lief mit den Nachbarn und Freunden nach der Kirche. Da entwich der Jüngling und verbarg sich einen ganzen Monat lang in einem abgelegenen Raume des Hauses, von irgendeinem Bediensteten spärlich mit Speisen versehen. Das harte Leben aber konnte, statt sie zu brechen, seine überzeugungsvolle Begeisterung nur steigern, bis er, der feigen Zurückgezogenheit sich schämend, endlich wieder ans Licht hervortrat und sich den Schimpf- und Hohnreden der Bürger furchtlos aussetzte. Sie hielten ihn für toll und wahnsinnig und verfolgten ihn mit Steinwürfen. Kaum hörte der Vater von seinem Erscheinen, als er sich auf ihn stürzte, ihn mißhandelte und in einem dunklen Raume des Hauses einsperrte. Da war der Unfriede eingekehrt, alle Ermahnungen fruchteten so wenig wie Schläge, selbst die Mutter vermochte, als der Gatte abwesend war, mit ihrem liebevollen Flehen nichts zu erreichen. Den Sohn wenigstens vor körperlicher Züchtigung zu schützen, ließ sie ihn frei, was er benutzte, den alten Schlupfwinkel wieder aufzusuchen. Als der Vater, zurückgekehrt, ihn nicht mehr daheim fand, ließ er die Gattin ihre Unvorsichtigkeit hart entgelten und erbat sich, als er keinen Rat mehr wußte, gesetzliche Hilfe von den Konsuln der Stadt. Diese verwiesen ihn, da Franz sich in den Dienst Gottes begeben, an des Bischofs Autorität, welcher sich der Jüngling auch demütig unterwarf. Er erstattete auf dessen Befehl dem Vater das Geld wieder, das zu behalten er bisher wohl als ein gottgefälliges Beginnen betrachtet, und fügte demselben die Gewänder, mit denen er bekleidet war, bei. Da haben wohl der Bischof wie auch Petrus eingesehen, daß eine Glaubensmacht in diesem Menschen war, gegen die jeder Widerstand sich vergeblich erwies – der erstere nahm sich erbarmend des Nackten an, der andere überließ ihn fortan sich selbst. An seiner Statt wählte sich Franz einen Armen zum Vater, durch dessen Segen er den Fluch des leiblichen Vaters zu entkräften hoffte Im wesentlichen nach Th. I und den T. s. erzählt, obgleich alles ähnlich auch in der II. Legende wiederkehrt und B. das meiste wiederholt..
Wie immer man die felsenfeste Überzeugung, die schrankenlose Begeisterung des jungen Mannes für sein Ideal bewundern mag – vielleicht möchte für manchen in diesen Vorfällen ein leiser Mißklang bleiben: die Widersetzlichkeit gegen den Vater! Indessen wer wagt dem Sohne aus ihr ein Verbrechen zu machen! Ist es uns doch heute nicht mehr vergönnt, einen Blick in die Verhältnisse zu tun, aus denen sich mit stürmischer Gewalt der Jüngling losriß, lassen sich doch Naturen wie die seine überhaupt nicht mit dem gewöhnlichen Maßstabe messen. Die volle Sympathie des Herzens, die wir ihm während seines ganzen Lebens fortan ungetrübt bewahren, berechtigt dazu, uns auch in diesem Kampfe zwischen Vater und Sohn auf des letzteren Seite zu stellen. Was in der Lebensgeschichte eines Salimbene verletzend berührt, der jähe, rücksichtslose Bruch mit dem Elternhause, erscheint in der Entwicklung eines Franz notwendig und in milderem Lichte. Ob dieser sich nicht selbst in den Jahren reiferer Anschauung mit leiser Wehmut jener leidenschaftlichen Zeit erinnert hat, in welcher er die geistige Freiheit so gewaltsam sich erringen mußte?
Sich selbst und seinem Berufe überlassen, wanderte nun Franz in ärmlichem Gewande aus der Stadt, in der Freudigkeit seines Gemütes das Lob Gottes singend. Selbst die Mißhandlung von Räubern, die ihn, als er sich stolz den Herold Gottes nannte, verspottend in den Schnee warfen, vermochte den Jubel seines Herzens nicht zu unterdrücken. Als Küchenjunge diente er in einem Kloster und erhielt endlich in Gubbio von einem Freunde eine Tunika zum Geschenk. Dann scheint er wieder heimgekehrt zu sein und beginnt die Kirche S. Damiano auszubauen, als wüßte er, daß sie der Aufenthaltsort für seine Nachfolgerin Chiara und deren Schwestern werden sollte Der einfache Hinweis auf die Tatsache in Th. I Leg. cap. III, S. 689 verwandelt sich ohne weiteres in der II Leg. I, 8 und bei den T. s. cap. II, S. 730 in eine Prophezeiung, die er damals ausgesprochen hätte.. Noch überkommt ihn wohl ein Gefühl der Scham, als er bettelnd in ein Haus schreiten will, vor dem die Bekannten ihr Spiel treiben, doch überwindet er es schnell, und bald erschallt laut seine Stimme, die Bürger auffordernd, ihm Steine zum Bau zu bringen: »Wer mir einen Stein gibt, wird einen Lohn empfangen, wer mir zwei Steine gibt, wird zweifachen Lohn empfangen.« Th. II Leg. I, 9. – T. s. II, S. 730. Dann schleppt er die Lasten auf seinen eigenen Schultern hinab und rastet nicht, bis er das Gotteshaus hergestellt hat. Eine Zeitlang läßt er es sich gefallen, daß der Priester für seinen kärglichen Unterhalt sorgt, bald aber scheint ihm auch dies zu viel, und er fängt an, sich selbst seine tägliche Nahrung zu erbetteln. Als darauf S. Damiano fertig geworden, kommt er einer anderen baufälligen Kirche S. Pietro zu Hilfe, endlich der kleinen Kapelle der Mutter Gottes, die Portiuncula genannt wurde Vgl. über diese Bauten und die ihnen gemeinsamen architektonischen Besonderheiten das spitzbogige, an den südfranzösischen Stil erinnernde Tonnengewölbe, weiter unten den Abschnitt: Die Architektur der Franziskanerkirchen.. Dies geschah im dritten Jahre nach dem Beginn seiner Bekehrung, das will sagen 1209, wie Bonghi überzeugend nachgewiesen hat S. 77. Th. I Leg. III, S. 690. – Die Schwierigkeit der Zeitbestimmung liegt darin, daß von Thomas von Celano, den T. s. und Giordano di Giano an den verschiedenen Stellen die Epoche der Bekehrung verschieden angesetzt ist. Sie unterscheiden: Anfang und Entscheidung derselben, zwischen welchen ein Zeitraum von 3 Jahren liegt. Ein Vergleich der andern Zeitangaben: er wird 25 Jahre alt bis zur Bekehrung (Th. I Leg. I), er stirbt, nachdem 20 Jahre seit derselben vergangen (Th. I Leg. II, c. I, S. 707), er geht im 13. Jahre seiner Bekehrung nach Ägypten (wohin er 1219 gegangen sein muß) Th. I Leg. VII, S. 699. B. IX, S. 767 – dies deutet alles auf 1206, als Jahr, in welchem die Bekehrung begonnen, zurück (Jordanus sagt p. 516: 1207), während die T. s., wenn sie sagen, im 11. Jahre seien die Minister zuerst ausgeschickt worden, die Vollendung der Bekehrung meinen (also 1210 oder 1209. – T. s. IV, S. 739)..