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V. Zur Charakteristik des Franz

Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen,
Gleich der am Ganges klar im heil'gen Licht.
Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,
Denn wenig sagt, wer also ihn benennt,
Nein, was er war, gibt Orient zu erkennen.

Dem aus dem Ganges aufsteigenden Tagesgestirn hat Dante, der poetischen Anschauung älterer Zeiten vom Sonnenaufgang gedenkend, den Franziskus verglichen. Ein heutiger Dichter dürfte mit Recht dasselbe Bild mit denselben Versen anwenden und doch einen ganz anderen Sinn hineinlegen. In unsern Tagen, in denen sich mit so besonderem Eifer das Interesse der alten Kultur und Religion der Inder zuwendet, drängt ein Vergleich des Gründers der buddhistischen Religion mit dem Stifter des Minoritenordens sich unwillkürlich auf. Buddha und Franz! Beide haben sich im Gegensatze zu einem im Formelwesen und Kastengeist erstarrten Kultus erhoben, beide sind aus der Sinnlichkeit eines üppigen Genußlebens durch erschütternde Todesahnungen emporgerissen worden, beiden ist die vollkommene Armut als das Mittel zur Befreiung von allem Irdischen erschienen. Beide haben eine Vertiefung geistiger Betrachtung erreicht, die bis zur absoluten Herrschaft über den Körper, ja bis zu dessen Verneinung und Abtötung geführt hat. An beide hat sich eine Gemeinde heimatloser, wandernder Bettelmönche geschlossen, die ihre Lehren durch die Länder trug und binnen kurzem die Welt zu erfüllen schien.

Und dennoch welch' weitgreifender Unterschied! Der eine nach allem, was man vermuten darf, ein Denker, der im eigenen Innern die ewigen Gesetze eines in sich bestehenden, sich selbst gestaltenden Weltganzen suchte und fand, der andere ein Dichter, der aus sich herausstrebend dem ewigen Ideal eines Gottmenschen, Schöpfers und Erhalters der Welt, zujubelte. Für beide verschwindet die wirkliche Welt, aber der eine zieht sich von ihr ganz nur auf sich zurück, der andere verläßt sich selbst mit ihr und schwingt sich über sie empor. Von Buddha unter dem Baume der Erkenntnis bleibt schließlich nichts als das Denken, von Franz auf dem Berge Alvernia nichts als das Fühlen übrig. Die Folge ist gewesen, daß die geistigen Errungenschaften des Buddha nur der Besitz einer privilegierten Minderzahl geworden sind, aber auf Jahrtausende hinaus gewirkt haben, die Anschauungen des Franz sogleich ein Gemeingut des Volkes wurden, aber nach wenigen Jahrhunderten von fortgeschritteneren abgelöst worden sind. Was Originalität und Bedeutung des Denkens anbetrifft, dürfte sich Franz schwerlich mit dem indischen Religionsstifter vergleichen lassen.

Welch ein eigentümliches Zusammentreffen, daß um dieselbe Zeit, als die Legende des Franz ein Volksbuch wird, auch Buddhas sagenhafte Lebensschilderung in der Form der novellistischen Erzählung von Josaphat und Barlaam ein lebhaftes Interesse im Westen findet Vgl. den Nachweis, daß Josafat Buddha bei Liebrecht: Jahrbuch f. rom. und engl. Literatur II, 314. – Übersetzung von Liebrecht. Münster 1847.!

Franziskus ist durchaus Gemütsmensch. All seine Gefühle konnten so ursprünglich, so stark und einheitlich sich nur geltend machen, weil sie durch keine Zweifel anregende Verstandeskritik schon im Entstehen gehindert wurden. Seine Religion war Gefühl, die Predigt, in der er sie verkündete, wirkte durch das Gefühl, sein Verhältnis zu den Menschen und der Natur war durch das Gefühl bedingt. Sein Leben ist ein großer Dithyrambus auf das Gefühl. Darin allein liegt die Erklärung für seinen gewaltigen Einfluß. Mitten hinein in den Kampf dogmatisch idealer und egoistisch realer Interessen erscholl der Friedensruf reiner Menschlichkeit, und Unzählige hielten verwundert ob dieser Kunde inne, ließen die Waffen fallen und beugten die Knie vor dem kühn auf dem Schlachtfelde selbst errichteten Altar der neuen Göttin.

Eine sorgfältige, edle Erziehung muß solchem Gefühl die rechten Bahnen und Ziele gewiesen haben. Man glaubt die leitende zarte Frauenhand zu spüren. Dann kam der Kampf der idealen geistigen Richtung mit der ungebändigten Sinnlichkeit einer bis zur Exaltation lebendigen Natur – ein Kampf auf Leben und Tod, der dank der Schwächung des Körpers durch Siechtum mit der vollständigen Niederlage der Sinnlichkeit endete. Nicht einmal Bedingungen durfte dieselbe noch wagen, der Sieger diktierte seine Alleinherrschaft. Unvermerkt hat sich der unterliegende Teil doch gerächt. Die Sinnlichkeit hat sich in das geistige Wesen des Franz gerettet und seinen Glaubensanschauungen ihr Gepräge gegeben. Die Lebhaftigkeit der Auffassung, die Empfänglichkeit für alle äußeren Eindrücke, die starke Einbildungskraft machten seine Religion zu einer übersinnlich sinnlichen. Indem er sich selbst zum Himmel aufschwingen wollte, zog er ihn zu sich herab. Sein Gott, sein Christus, seine Maria haben Fleisch und Blut, er glaubt sie schon auf dieser Erde zu berühren und liebend zu umfangen. Sie sind ihm immer nahe, in jeder Blume, in jedem Tiere, in jedem Menschen ahnt er ihre Gegenwart. Man könnte glauben, er sei selbst Zeuge von Christi irdischem Wandel, dessen Lehren und Leiden gewesen, so lebhaft und greifbar wirklich erschienen ihm die Vorstellungen seiner Phantasie. Im Überschwange sinnlichen Dranges baut er zum Weihnachtsfest die Krippe auf und läßt Ochs und Esel herzuführen. Wenn er den Namen des Knaben von Bethlehem ausspricht, scheinen ihm die Laute im Munde süßen Geschmackes voll. Kurz, sein Glaube selbst ist ihm zum Genuß geworden!

Daß er die Grenzen des Ästhetischen in seinen Äußerungen manchmal überschritten, ist fast anzunehmen. Was aber versöhnt mit dem Übermaß, ist die durch nichts zu erschütternde Überzeugung von der Aufrichtigkeit seines inneren Lebens. Niemand wird ihm vorwerfen können, mit demselben gespielt zu haben – wäre er ein Schauspieler gewesen, so würde er nach kurzer Zeit der Rache eines in seinen besten Gefühlen getäuschten Volkes zum Opfer gefallen sein. Vielmehr ist er in seiner religiösen Überzeugung so durchaus wahr, daß er sich ihr ohne Zaudern und Bedenken aufgeopfert haben würde. Sein Leben lang, selbst durch die Prüfung tiefer Enttäuschungen hindurch, ist er ein Kind geblieben, aber zugleich als Mann in feuriger, tatkräftiger Begeisterung für seinen kindlichen Glauben an Gott und die Menschheit eingetreten.

Zu allen Zeiten haben Männer von solch übergroßer Gewalt der Seele ihre Befriedigung nur in der öffentlichen Verkündigung einer Religion, wessen Geistes dieselbe auch sei, gefunden. So war es auch für Franz das Gebot einer inneren Notwendigkeit, daß er der Prediger der Sittlichkeit im höchsten Sinne wurde. Die von den Waldensern überkommene neue christliche Form der Ethik füllte er mit dem Inhalt seines reichen Herzens aus, und die Liebe zu Gott und den Menschen, wie sie in voller Reinheit nur der von allen irdischen Sorgen befreite Nachfolger der besitzlosen Apostel in sich erziehen kann, ward die Losung seines Lebens.

Fortan geht sein Gefühl einzig in ihr auf!

Wie seine Liebe sich in der schrankenlosen Hingebung an den Nächsten in der Sorge für dessen geistiges wie leibliches Wohl, in warmem Mitleid, in demütiger Selbsterniedrigung äußerte, lehrt jede Seite seiner Lebensbeschreibungen. Seine Moral trat gerade darin manchmal in schroffen Widerspruch zur kirchlichen. So hielt er es von seinem freieren Standpunkte aus nicht für unrecht, einer armen Frau, in Ermangelung jeder anderen Gabe, das zu seinen Lektionen erforderliche Neue Testament zu schenken, damit sie durch dessen Verkauf ihrer Notdurft abhelfen könne Th. II Leg. III, 35. S. 138.. Oft hat er sich selbst des ärmlichen Gewandes beraubt, um Ärmere damit zu beglücken – selbst wenn der leidende Körper der warmen Hülle so dringend bedurfte Th. II Leg. III, Cap. 28-37.. Den Aussätzigen brachte er nicht allein Trost in liebreichen Worten, sondern betätigte seine brüderliche Liebe in herzlichen Bezeugungen und in demütig eifriger Pflege. In Milde ermahnte er die Brüder, die sich ein Fehl hatten zuschulden kommen lassen, und strafte mit Strenge nur Äußerungen des Hasses und der Mißgunst zwischen ihnen. Trieben sie es mit den Kasteiungen zu arg, so erbarmte sich sein Herz ihrer und er scheute sich dann nicht, durch eigenes Beispiel ihnen die schwere Aufgabe zu erleichtern. Wie er denn einst in der Nacht einen vor Hunger fast sterbenden Bruder den Tisch bereiten läßt, selbst zu essen beginnt und so den übertriebenen Bedenken des asketischen Genossen ein Ende macht. Menschlich und schön sind die Worte, die er hinzufügt: »Die Liebe, nicht die Speise, diene euch zum Beispiel, denn diese gehorcht nur der Lüsternheit, jene dem Geiste Th. II Leg. I, 15. S. 38. Darnach bei B. V S. 755..« Die Nachsicht, die er für andere, die Strenge, die er gegen sich selbst hatte, zeugt von wahrhaft erhabener christlicher Gesinnung, die sich nicht an den toten Buchstaben hielt, sondern an den lebendig machenden Geist.

Seine Lebhaftigkeit riß ihn da manchmal zu Dingen hin, die sehr befremdend erscheinen können, aber, wie man keinen Augenblick vergessen darf, die notwendige Folge seiner überlebendigen Einbildungskraft sind. So ließ er sich einmal, als er in einer Krankheit dem armen, leidenden Körper die Wohltat kräftiger Nahrung hatte zuteil werden lassen, nackt an einem Stricke durch die Straßen ziehen und auf den Armensünderstein erheben, damit er sich so den Leuten zum Spotte und Hohn für seine fleischliche Gesinnung bloßstelle Th. I Leg. VII, S. 698. – B. VI. S. 757.. Aus Demut ordnete er sich selbst einem Guardian unter und nannte er seine Jünger die Minderbrüder, sich selbst den kleinsten unter ihnen Th. II Leg. III, 79. S. 204.. Er wollte nicht, daß seine Söhne kirchliche Würden annähmen, wie er selbst auch nur die Weihe eines Diakons empfangen hat. Ein Gott wohlgefälliger Lebenswandel aber, meinte er, werde mit drei Dingen ausgefüllt: mit frommem Denken, frommem Sprechen und fleißigem Arbeiten. Daher verwendete er die Stunden, die nicht dem Gebet oder der Predigt gewidmet waren, zur Handarbeit, deren Ertrag den Armen zugute kam. »Wenn wir arbeiten, fallen wir andern nicht zur Last und halten das Herz und die Zunge davon ab, herumzuschweifen Th. II Leg. III, 95 f. S. 228 f..« Sein Leben lang ist er nicht einen Augenblick müßig gewesen, und so hat er auch nie den Frohsinn verloren, der ihn schon in der Jugend allen Menschen liebmachte. Eine reine Heiterkeit schien ihm nicht allein Bedürfnis, sondern zugleich eine gute Wehr gegen die Anfechtungen des Teufels Th. II Leg. III, Cap. 65 ff. S. 186 f. Das Sauersehen war ihm zuwider. Die tristitia, gegen die er, wie viele Schriftsteller der Zeit: Bonaventura, Dante und andere sich öfters empört, scheint eine Art Weltschmerz gewesen zu sein. (Vgl. auch manche Lieder des Walther von der Vogelweide.).

So demütig, klein und arm, wie er sich den Menschen gegenüber zeigte, beugte er sich auch vor Gott. Mit ganzer Seele und allen Kräften bot er sich täglich in heißem, innigem Gebete seinem Schöpfer dar. Seine Seele dürstete nach dem Herrn, und die Sprache war zu arm, seine Liebe zu des Menschen Sohn auszudrücken. Am liebsten zog er sich in einsame Kirchen oder Wälder zurück, den Gefühlen freien Raum zu lassen. Kam aber die Inbrunst des Gebetes in der Öffentlichkeit über ihn, so hielt er den Mantel vor sich oder bedeckte mit dem Ärmel das Antlitz, in tiefes Schweigen versunken. Wußte er sich ganz allein, so erfüllte er den Hain mit Seufzen, vergoß Tränen und schlug sich die Brust. Da hielt er scheinbar Zwiegespräche mit dem Freunde und Verlobten seiner Seele. »Welche Süßigkeit da über ihn kam? Niemand weiß es. Dann schien er nicht ein Betender mehr, sondern selber ganz Gebet zu sein.« Kehrte er wieder zu den Genossen zurück, so achtete er sorgfältig darauf, daß keiner ihm anmerke, welcher Gnade er teilhaftig geworden. Denn, sagte er: »Wenn ein Knecht Gottes im Gebet irgendwelche Tröstung vom Herrn erhält, so soll er, ehe er zu beten aufhört, die Augen zum Himmel erheben und mit gefalteten Händen zu Gott sprechen: Solchen Trost und solche Süßigkeit hast du Herr mir, dem Sünder und Unwürdigen, vom Himmel gesandt, und ich erstatte sie dir zurück, daß du sie mir aufhebst, denn ich bin ein Dieb an deinem Schatze.« Wer ihn im Gebete antrifft, wie einst ein Bischof, mochte wohl gleichsam von überirdischer Gewalt hinweggetrieben werden, den frommen Mann nicht zu stören Für das Gebet: Th. II Leg. III, Cap. 38-43. B. Cap. X..

Was Wunder, wenn man glaubte, solches Fürbitten bei Gott vermöge selbst in den gewöhnlichen Gang der Dinge einzugreifen! Die Zeiten Christi schienen wiedergekehrt zu sein, denn Wunder über Wunder geschahen, wo immer der heilige Mann mit seinem Gebete eintrat. Als Wundertäter vor allem hat ihn die katholische Kirche verehrt, und die alten Legenden sind voll von derartigen Geschichten, die ein jeder nach seinem Gutdünken glauben oder sich zu deuten versuchen mag. Auch die Gabe der Prophezeiung war ihm vom Himmel beschieden worden. Manches voraussagende Wort erklärt sich wohl leicht aus seinem feinen Mitgefühl, mit dem er sich in die Seele anderer versetzt, wie er z. B. einst ermüdet auf einem Esel reitend, die Gedanken seines Jüngers Leonardo erriet, der, aus vornehmer Familie entstammt, ihn doch zu Fuße begleiten mußte und sich im Innern über solch ungerechte Verteilung der Lose empörte. Anderes, in der Verzückung gesprochen, war an sich Orakelwort oder wirkte als solches!

Die Liebe zu Gott aber übertrug sich auf dessen Geschöpfe, auf die ganze Natur. Die Tiere gesamt, groß und klein, die Pflanzen, die Sterne, Sonne und Mond waren seine »Brüder und Schwestern.« Mit gleicher Liebe umfing er sie alle. Das tiefe, innige Verständnis für die Natur war ihm angeboren, vertieft ward es durch seinen Glauben. Es ist in jenen Zeiten eine Frühlingsstimmung über die Menschen gekommen, die Welt fing an zu blühen und von dem Sange der Vögel widerzuhallen! Was in den Liedern der Provence sich schüchtern hervorwagte, was nördlich der Alpen in Walthers von der Vogelweide Sängen freier in der frischen Luft aufatmete, tritt in keinem anderen so voll und mächtig zutage, als in Franz von Assisi – die heitere und sinnige Freude an der Natur, die liebevolle Beobachtung des farbenprangenden Daseins, die selig-frohe Lust an all dem Klingen und Singen in der Natur. »Die Saaten und Weinberge, Felsen und Wälder und all der Schmuck der Felder, die fließenden Wasser und das Grün der Gärten, die Erde, das Feuer, die Luft und die Winde fordert er in aufrichtigster Liebe zur Liebe zu Gott auf und ermahnt sie, fröhlich den Herrn zu preisen Th. I Leg. X, S. 705 f..« »Den holzfällenden Brüdern verbot er den ganzen Baum zu fällen, daß er die Hoffnung habe wieder zu treiben; dem Gärtner befiehlt er, nicht die dem Garten angrenzenden Teile umzugraben, damit zu ihrer Zeit das Grün der Kräuter und die Anmut der Blumen von der Schönheit des Vaters aller künden möchten: ein Gärtchen im Garten läßt er abstecken für duftende und blühende Pflanzen, damit sie dem Beschauenden die ewige Lieblichkeit ins Gedächtnis riefen; er sammelt die Würmer vom Wege, daß sie nicht von dem Fuße zertreten werden, und den Bienen läßt er in der Winterzeit Honig und süßen Wein auftischen, daß sie nicht Hungers sterben.« Vor allem aber liebte er die geduldigen Schafe und dachte bei ihrem Anblick des unschuldigen Lammes Gottes. So kauft er einmal mit seinem Mantel zwei Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden sollten, vom Tode los und nimmt er das eine Lamm, das er vereinsamt mitten zwischen Ziegen weidend auf seinem Wege findet, mit sich heim Th. I Leg. IX, S. 705.. Die Tiere aber vergalten seine Liebe dankbar mit vertraulicher Anhänglichkeit, sie legten die Scheu ab und gesellten sich zu ihm. Die Unschuld des Paradieses schien wiedergekehrt, wie Görres so schön sagt. Die Rotkehlchen holen von seinem kärglich besetzten Tische die Brotkrumen Th. II Leg. II, 16. S. 78., der Fasan, dem er das Leben gerettet, läßt sich nicht von ihm trennen und freut sich seiner Liebkosungen. Der Hase, den er von der Schlinge befreit, flüchtet sich in seinen Schoß Th. II Leg. III, 106. S. 243., die Vögel, die er auf dem Felde fand, bleiben ruhig sitzen und lauschen, die Hälse reckend, seiner Predigt Vgl. unten Bonaventuras Schilderung bei Besprechung der Fresken Giottos.. »Singe, meine Schwester Grille, und lobe jubelnd Gott den Schöpfer«, sagte er zu der Cicade, und sie flog auf seine Hand und begann ihr feines Zirpen Th. II Leg. III, 107. S. 244. In Alvernia begrüßten ihn die Vögel mit fröhlichem Sange, und nächtlich zur Stunde des Gebetes weckte ihn der »Bruder« Falke, der nahe der Zelle auf einem Baum nistete. Als aber seine letzte Stunde gekommen war, begannen die Schwalben um seine Zelle zu kreisen und sangen ihm das Sterbelied.

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9. Franciscus.
Fresko von Simone Martini in der Unterkirche von S. Francesco zu Assisi.

In der ganzen Natur sah Franz nur den Abglanz der Allmacht und Herrlichkeit Gottes: »Im Schönen erkennt er den Schönsten, alles Gute ruft ihm zu: der uns gemacht hat, ist der Beste; auf den Spuren, die den Dingen eingedrückt sind, folgt er überall dem Geliebten, macht sich aus allem eine Treppe, auf der er empor zum Throne gelangt Th. II Leg. III, 101. S. 236..« Thomas von Celano bedient sich in diesen letzten Worten des Bildes, das für die philosophisch-religiöse Anschauung des 13. Jahrhunderts recht eigentlich das Schlagwort wird, soll das Verhältnis des Menschen zu der sonstigen Schöpfung bezeichnet werden. In den Werken des Thomas von Aquino und Bonaventura namentlich wird dieselbe Metapher zur Versinnbildlichung des innern Vorganges der Gotteserkenntnis häufig angewandt. Bleibt auch die letztere immer der Endzweck, so verrät sich doch in solchen Anschauungen der geheime innere Zug der Zeit zur Beobachtung und zum Studium der Natur. Der mundus sensibilis beginnt neben dem spekulierenden Menschen und Gott eine selbständige Stellung und volle Beachtung zu beanspruchen. Noch ehe Aristoteles mit seinen ausgebreiteten Kenntnissen den suchenden Scholastikern zu Hilfe kommt, hat Franz in den Naturgeschöpfen und Naturkräften seine Brüder und Schwestern erkannt und seinem Volke die Augen geöffnet für die Herrlichkeit und Mannigfaltigkeit der Schöpfung. Fortan gewinnt der Franziskanerorden eine ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung einer neuen Naturanschauung und scheint gegenüber den Dominikanern etwas von dem frischen, ursprünglichen Verständnisse seines Stifters überkommen zu haben, das im Kampfe gegen die bequeme Autorität des alten griechischen Philosophen in Roger Bacons Genius bahnbrechend hervortritt. Ist es nicht höchst bezeichnend, daß die Gewalt, welche Franz über die Geschöpfe zu haben schien, wohl seinen Schülern eine wunderbare dünkte, daß keiner aber daran gedacht, ihn gleich so vielen der Zeitgenossen einen Magus zu nennen – das Wunderbare selbst erschien bei ihm natürlich! Die Ursprünglichkeit seiner Natur und seines Gefühles stand in direktem Gegensatz zur großen geheimnisvollen Kunst der Magie – und aus dieser Ursprünglichkeit eines genialen Menschen allein läßt sich der unermeßliche Einfluß, den er gehabt, erklären.

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10. Franciscus verkündet den Portiuncula-Ablaß.
Fresko von Tiberio d'Assisi, 1507, Capella delle Rose bei S. Maria degli Angeli zu Assisi.

Er war kein Magier, sondern ein Dichter! Nur ein Lied ist uns von ihm erhalten, der herrliche Sonnengesang! Was man ihm sonst noch zugeschrieben, ist nur in seinem Sinne, nicht von ihm selbst gedichtet worden. Und bezeugten es nicht die alten Biographen an zahlreichen Stellen, daß er Gott »Loblieder zu singen pflegte«, man könnte es mit Sicherheit aus seiner ganzen Anlage schließen, daß seine Seele in begeisterten Liedern überströmen mußte. Es wird ihm um die Form nicht sehr zu tun gewesen sein, sondern in rhythmischen, nicht künstlich gebauten Worten und Tönen wird er, dem inneren Impulse folgend, seinen Empfindungen Luft gemacht haben. Er sang wie sein Bruder, der Vogel, ein Troubadour Gottes, von der Liebe zum Schöpfer und der Natur, nicht an Fürstenhöfen, sondern draußen unter freiem Himmel, wenn er wandernd durch die Welt zog. In den jungen Jahren freilich, als er noch im Kreise froher Genossen bei fröhlichem Gelage der Minne gedachte, mag irdischen Frauen sein Loblied erklungen sein. Dann aber war es ihm ergangen, wie dem Ritter Wirent von Grafenberg, er hatte die Frau Welt von der schaudererregenden Rückseite gesehen, und fortan galt seine Minne einer hehreren Frauen, der Armut. Wie so vieles andere, weist auch seine frohe Sangeslust auf seine ursprüngliche Heimat, auf die dichtende und singende Provence hin, wenn auch diese ihre Troubadours schon längst an die Fürstenhöfe in Italien entsandt hatte und Franz auch hier sie hätte kennenlernen können. Erzählt uns doch Thomas, daß er in der Freudigkeit seines Herzens immer in französischer Sprache gesungen:

»Die süßeste Melodie des Geistes, die in ihm glühte, trat in französischen Lauten nach außen, und die Ader göttlichen Flüsterns, die verstohlen sein Ohr aufnahm, brach in französische Jubelworte aus. Dann begleitete er sich wohl zum Scheine selbst auf der Viola, bisweilen nahm er, wie wir es mit unsern Augen gesehen, ein Stück Holz von der Erde auf, legte es auf den linken Arm und hielt in der Rechten einen mit einem Faden gespannten Stab. Den zog er über das Holz wie auf einer Viola und sang, die passenden Gesten dazu machend, auf französisch vom Herrn. Häufig endeten diese Dreischrittstänze in Tränen und der Jubel verkehrte sich in eine Mitleidsklage um das Leiden des Herrn Th. II Leg. III, 67. S. 188.

Welch ein ergreifendes Bild! Das ist dieselbe »göttliche Tollheit«, die später Giacopone da Todi zum Dichter machte, die Italien mit einer Fülle herrlicher, gefühlswarmer religiöser Lieder beschenkt hat, ehe noch Dantes göttliche Stimme erklungen. Mit Franz erhebt sich eine geistliche Volkspoesie in Italien, die, obwohl nicht unbeeinflußt von ihnen, doch in schroffen Gegensatz zu den spitzfindigen Spielereien der Troubadours tritt und im Fluge alle Herzen für sich gewinnt, weil sie, nur aus dem Gefühl geboren, nur an das Gefühl appelliert. Zum ersten Male in der Volkssprache erschallt das Lob Gott in des Franziskus Lied von der Sonne, das er nach Thomas' II. Legende kurz vor dem Tode gedichtet Th. II Leg. III, 138. S. 302. Laudes de creaturis tunc quasdam composuit, et eas utcumque ad creatorum laudandum accendit.. Es lautet:

Höchster, allmächtiger, gütiger Herr!
Dein ist das Lob, die Herrlichkeit, die Ehre und jegliche Segnung,
Dir allein gebühren sie
Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt sei, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
Vornehmlich mit unsrer Frau Schwester, der Sonne,
Die den Tag wirkt und uns leuchtet durch ihr Licht;
Und sie ist schön und strahlend mit großem Glanze,
Von dir, o Höchster, trägt sie das Sinnbild.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den Mond und die Sterne,
Am Himmel hast du sie gebildet so klar und funkelnd und schön.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den Wind
Und durch die Luft und die Wolken, durch heitre und jegliche Wittrung,
Durch welche du deinen Geschöpfen Erhaltung schenkst.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder das Wasser,
Das sehr nütz ist und demütig und köstlich und keusch.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder das Feuer,
Durch das du die Nacht erhellst,
Und es ist schön und freudig und sehr stark und gewaltig.
Gelobt sei mein Herr durch unsere Schwester die Mutter Erde,
Die uns versorgt und ernährt
Und mannigfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.
Gelobt sei mein Herr durch die, welche verzeihen um deiner Liebe willen
Und Schwachheit ertragen und Trübsal.
Glückselig die, welche sie ertragen werden in Frieden,
Denn dir, o Höchster, sollen sie gekrönt werden.
Gelobt sei mein Herr durch unsern Bruder den leiblichen Tod,
Dem kein lebender Mensch entrinnen kann.
Wehe denen, die in Todsünden sterben werden,
Selig die, so sich in deinen heiligsten Willen finden,
Denn der zweite Tod kann ihnen nichts Böses antun,
Lobet und benedeiet meinen Herrn und dankt ihm
Und dienet ihm in großer Demut

Man kannte früher nur die etwas verschiedenen Fassungen: die im lib. Conf. (1513 fol. 180) und eine Übersetzung aus dem Portugiesischen des Marcos de Lisboa (Chronik. Übers. von Diola 1566). Erstere bei Crescimbeni: Istoria della volgar poesia 1698. Vol. I, Lib. I, c. 10, letztere bei Wadding in den Opera Franc. Vgl. Ireneo Affò Diss. de' Cantici volgari di S. F. Guastalla 1778. F. Paoli: S. F. d'Assisi, poeta cantore. Torino 1843. Bearbeitung von L. S. Kosegarten (J. B. Rousseau: Purpurviolen der Hh. Bd. III, 1835). Übersetzungen: Schlosser, die Lieder des h. F. v. A. Fkfr. 1842, Diepenbrock, geistl. Blumenstrauß, Sulzbach, 2 a. 1852. S. 355, welch ersterer zuerst Verszeilen absonderte, dann bei Hase: F. v. A. S. 88 f., der besser gliederte, bei Böhmer in der Zeitschrift Damaris 1864 S. 319 und bei Ozanam: les poëtes Franciscains en Italie. 1852. D. Übersetz. von Julius 1853. Dann brachte Fanfani in seiner Übersetzung des letzteren Werkes (Prato 1854) die Abschrift einer alten ital. Handschrift in Assisi (von 1255), welche die älteste ist. Wieder abgedruckt bei Demattio: Le lettere in Italia prima di Dante. Innsbruck und Verona 1871, S. 157. Endlich stellte mit besonderer Berücksichtigung derselben sowie drei späterer Handschriften, Ed. Böhmer den Text her (Romanische Studien. Straßburg, I. Bd. 1871-75, S. 118. Vgl. auch Monaci in Crestomazia italiana dei primi secoli. Città di Castello 1889. I fasc. S. 29-31). An diesen hält sich meine Übersetzung oben, für welche ich Hases poetische Diction verwerten zu dürfen glaubte. Mit Hase übersetze ich das »per« mit durch und verweise dafür auf eine Stelle bei Bonaventura, opera Peltier Bd. I I. lib. sent. S. 69: laudare Deum per creaturas est cognoscere per creaturas, cognoscere autem Deum per creaturam est elevari a cognitione creaturae ad cognitionem Dei, quasi per scalam mediam. Auch muß das per, wo es sonst in demselben Gedichte vorkommt (Zeile 8, 15, 19 und 24), mit »durch«, nicht mit »für« übersetzt werden. Das Lied lehnt sich also offenbar an Psalm 148, wie Grion (Propugn. I 605) und D'Ancona (Nuova Antol. S. II t. 21. p. 197) bemerkt haben. – Die glühendste dichterische Verherrlichung des Franz ist Görres' Schrift: Der h. F. ein Troubadour. Straßburg 1828.!

Es ist sein Schwanengesang gewesen! All sein Sinnen und Trachten, der ganze Mensch hat seinen Ausdruck in den wenigen Versen gefunden. Sie sind aber zugleich der Weckruf einer neuen Zeit, der, in der Morgendämmerung erschollen, ein ganzes Volk zu hehrem Tagewerk aufrief. Da begannen sich tausend Hände zu rühren und im Wetteifer zu schaffen, unter frohem Gesange begann die Arbeit, und als die Mittagssonne niederstrahlte, erhob sich schimmernd in ihrem Glanze das vollendete Werk: die neue christliche Kunst!


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