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Eine Straße. Sudarschana und Surangama.
Sudarschana
Welche Erlösung, Surangama, welche Freiheit! Meine Niederlage ist es, die mir die Freiheit gebracht hat. Oh, was besaß ich für einen ehernen Stolz! Nichts konnte ihn rühren oder erweichen. Mein verfinsterter Geist konnte auf keine Weise dazu gebracht werden, die schlichte Wahrheit zu sehen, daß nicht der König zu kommen hatte, sondern daß ich zu ihm gehen sollte. Die ganze Nacht hindurch gestern lag ich allein im Staub auf dem Boden am Fenster – lag da trostlose Stunden lang und weinte! Die ganze Nacht bliesen die Südwinde und schrien und stöhnten wie die Qual, die an meinem Herzen nagte; und immer hindurch hörte ich das klagende: »Sprich, Weib!« des Nachtvogels, das in dem Aufruhr draußen als Echo tönte!... Es war das hilflose Wehklagen der dunklen Nacht, Surangama!
Surangama
Die schwere melancholische Weise der letzten Nacht schien eine Ewigkeit forttönen zu wollen – oh, welch trübe düstere Nacht!
Sudarschana
Aber willst du es glauben – mir war, ich hörte die sanften Akkorde der Laute durch all den wilden Lärm und Aufruhr strömen! Konnte er so süße und zarte Weisen spielen, er, der so grausam und schrecklich ist? Die Welt kennt nur meine Entwürdigung und Schmach – aber keiner als mein eigenes Herz konnte diese Akkorde hören, die durch die einsame und klagende Nacht hin nach mir riefen. Hörtest du, Surangama, diese Laute auch? Oder war das nur ein Traum von mir?
Surangama
Aber eben um die Musik dieser Laute zu hören, bin ich ja immer an deiner Seite. Auf diesen Ruf der Musik, von dem ich wußte, er würde eines Tages kommen und all die Schranken der Liebe zunichte machen, habe ich mit gespanntem Ohr all die Zeit her gelauscht.
Sudarschana
Schließlich schickte er mich auf die Landstraße – ich konnte seinem Willen nicht widerstehen. Wenn ich ihn finde, werden die ersten Worte sein, die ich ihm sage: »Ich bin freiwillig gekommen – ich habe nicht abgewartet, bis du kamst.« Ich werde sagen: »Um deinetwillen bin ich die harten beschwerlichen Straßen gewandert, und bitter und unaufhörlich war auf dem ganzen Weg mein Weinen.« Ich werde wenigstens diesen Stolz in mir haben, wenn ich zu ihm komme.
Surangama
Aber selbst dieser Stolz wird nicht dauern. Er kam vor dir – wer sonst hätte dich auf die Straße schicken können?
Sudarschana
Vielleicht ist es so. Solange noch ein Gefühl gekränkten Stolzes in mir war, mußte ich glauben, er hätte mich für immer verlassen; aber als ich meine Würde und meinen Stolz in die Winde schleuderte und auf die gemeinen Straßen hinausging, da schien es mir, als wäre auch er herausgekommen: ich habe angefangen, ihn zu finden, seit ich auf der Straße bin. Ich fürchte nun nichts mehr. All diese Leiden, durch die ich um seinetwillen hindurchgegangen bin, gerade die Bitterkeit all dieser Leiden bringt ihn zu mir. Ach ja, er ist gekommen, er hat mich bei der Hand genommen, gerade wie er es in jener Kammer der Dunkelheit gern tat, wo bei seiner Berührung all mein ganzer Leib in plötzlicher Wonne erbebte: es ist dieselbe, dieselbe Berührung wieder! Wer sagt, er sei nicht hier? – Surangama, kannst du nicht sehen, daß er gekommen ist, schweigend und insgeheim? ... Wer ist jener dort? Sieh, Surangama, dort ist ein dritter Wanderer auf dieser dunklen Straße zu dieser nächtlichen Stunde.
Surangama
Ich sehe, es ist der König von Kantschi, meine Königin.
Sudarschana
Der König von Kantschi!
Surangama
Fürchte dich nicht, meine Königin!
Sudarschana
Fürchten! Warum sollte ich mich fürchten? Die Tage der Furcht sind für mich für immer vorbei.
Kantschi
(tritt auf)
Mütterchen Königin, ich sehe euch beide auf dieser Straße! Ich bin ein Wanderer auf demselben Weg wie du. Habe keine Furcht vor mir, o Königin!
Sudarschana
Es ist gut, König von Kantschi, daß wir zusammen gehen, Seite an Seite – das ist nur in Ordnung. Ich kam dir in den Weg, als ich zuerst mein Heim verließ, und nun begegne ich dir wieder auf dem Rückweg. Wer hätte sich träumen lassen, daß diese unsre Begegnung voll so guter Verheißung war?
Kantschi
Aber, Mütterchen Königin, es gebührt sich nicht, daß du zu Fuß über diese Straße wanderst. Willst du mir gestatten, einen Wagen für dich zu besorgen?
Sudarschana
Oh, sage das nicht: ich wäre nie wieder glücklich, wenn ich nicht auf meinem Rückweg nach Hause auf den Staub der Straße treten könnte, die mich von meinem König weggeführt hat. Ich würde mich selbst betrügen, wenn ich jetzt in einem Wagen fahren würde.
Surangama
König, auch du wanderst heute im Staub: diese Straße hat niemals einen gekannt, der Pferd oder Wagen über sie gelenkt hätte.
Sudarschana
Als ich die Königin war, schritt ich auf Silber und Gold – ich habe nun für das Unglück meiner königlichen Geburt zu büßen, indem ich auf Staub und nackter Erde wandre. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich heute bei jedem meiner Schritte im gemeinen Staub der Erde meinen König finden würde.
Surangama
Sieh, meine Königin, dort im Osten dämmert der Morgen. Wir haben nicht mehr lange zu wandern: ich sehe die Spitzen der goldenen Türme des Königspalastes.
Der Großvater tritt auf.
Großvater
Mein Kind, es tagt – endlich!
Sudarschana
Du hast mir deinen Segen zum Geleit gegeben, und hier bin ich nun.
Großvater
Aber siehst du, was für schlechte Manieren unser König hat? Er hat keinen Wagen geschickt, keine Musik, nichts von Glanz und Pracht.
Sudarschana
Nichts von Pracht, sagst du? Sieh hin, der Himmel ist rosig und purpurn über und über, und die Luft ist voll von dem Willkommgruß der Blumendüfte.
Großvater
Ja, aber so grausam unser König sein mag, dürfen wir doch nicht suchen, mit ihm zu wetteifern: ich kann mich des Schmerzes nicht erwehren, wenn ich dich in diesem Zustand sehe, mein Kind. Wie können wir ertragen, dich in dieses arme zerlumpte Gewand gekleidet in den Königspalast eingehn zu sehen? Warte etwas – ich laufe und hole dir deine Königsgewänder.
Sudarschana
O nein, nein, nein! Er hat diese Königskleider für immer von mir genommen – er hat mich vor den Augen der ganzen Welt in das Kleid einer Magd gekleidet: welche Erlösung ist das für mich gewesen! Ich bin nun seine Magd, nicht länger seine Königin. Heute stehe ich tiefer als alle die, die irgendeine Verwandtschaft mit ihm beanspruchen können.
Großvater
Aber deine Feinde werden nun über dich lachen: wie kannst du ihren Spott ertragen?
Sudarschana
Laß ihr Gelächter und ihren Spott unauslöschlich sein – laß sie auf den Straßen Staub nach mir werfen: dieser Staub wird heute der Puder sein, mit dem ich mich schmücken will, ehe ich meinem Herrn entgegentrete.
Großvater
Danach habe ich nichts mehr zu sagen. Nun wollen wir das letzte Spiel unsres Frühlingsfestes spielen – anstatt mit Blütenstaub soll der Südwind alles mit dem Staub der Demut überschütten! Wir werden zum Herrn gehen, gekleidet in das gemeine Grau des Staubes. Und wir werden auch ihn über und über mit Staub bedeckt finden. Denn, meint ihr, die Leute schonen ihn? Selbst er kann ihren schmutzigen und staubigen Händen nicht entgehen, und er denkt nicht einmal daran, den Schmutz von seinen Kleidern zu bürsten.
Kantschi
Großvater, vergiß mich nicht in deinem Spiel! Ich will auch dies mein Königsgewand beschmutzen lassen, bis es nicht mehr zu erkennen ist.
Großvater
Das wird nicht viel Zeit brauchen, mein Bruder. Nun du so tief heruntergekommen bist, wirst du deine Farbe in kürzester Frist wechseln. Sieh nur unsre Königin an – sie geriet in Zorn gegen sich selbst und dachte, sie könnte ihre unvergleichliche Schönheit zerstören, indem sie all ihren Schmuck wegwarf: aber diese Beleidigung ihrer Schönheit ließ sie in zehnfachem Glanz erstrahlen, und nun ist sie in dieser Schmucklosigkeit zur Vollendung gelangt. Unser König selbst ist gestaltlos und ohne Schönheit, darum liebt er sie in seinen mannigfachen Erscheinungen als seinen höchsten Schmuck. Und diese Schönheit hat heute den Schleier von Stolz und Eitelkeit abgetan! Was gäbe ich nicht darum, wenn ich die wunderbare Musik und den Gesang hören dürfte, der heute meines Königs Palast erfüllt!
Surangama
Seht, dort geht die Sonne auf!