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Eine Straße.
Etliche Reisende und ein Stadtwächter.
Erster Mann
He, Mann!
Stadtwächter
Was wollt ihr?
Zweiter Mann
Welchen Weg haben wir zu gehn? Wir sind hier fremd. Bitte, sage uns, welches die rechte Straße ist.
Stadtwächter
Wohin wollt ihr gehn?
Dritter Mann
Wo dieses große Fest stattfinden soll, weißt du. Welchen Weg gehen wir?
Stadtwächter
Eine Straße ist hier genau so gut wie die andre. Jede Straße wird euch hinführen. Geht geradeaus, und ihr könnt den Ort nicht verfehlen.
Ab.
Erster Mann
Hört nur, was der Narr sagt: »Jede Straße wird euch hinführen!« Was hätte das dann für einen Sinn, so viele Straßen zu haben?
Zweiter Mann
Du brauchst darüber nicht so außer dir zu sein, mein Lieber. Es steht einem Land frei, seine Sachen auf seine eigne Art einzurichten. Was Straßen betrifft in unserm Land – nun, so sind so gut wie keine vorhanden; enge, krumme Gäßchen, ein Labyrinth von Wagen- und Fußspuren. Unser König glaubt nicht an freie Fahrstraßen; er meint, so viele Straßen im Land, so viele Ausgänge für seine Untertanen, seinem Königreich zu entfliehen. Hier ist es gerade das Umgekehrte; niemand steht einem im Weg, niemand hat etwas dagegen, daß man anderswohin geht, wenn man Lust hat; und doch denken die Leute nicht daran, dieses Reich zu verlassen. Bei solchen Straßen wäre unser Land sicher in kürzester Frist entvölkert.
Erster Mann
Mein lieber Janardan, ich habe immer bemerkt, daß das ein großer Fehler an deinem Charakter ist.
Janardan
Was denn?
Erster Mann
Daß du immer auf dein Land sticheln mußt. Wie kannst du glauben, freie Landstraßen könnten für ein Land gut sein? Sieh einmal, Kaundilya, da ist ein Mann, der tatsächlich glaubt, freie Landstraßen seien die Rettung für ein Land.
Kaundilya
Nun, Bhavadatta, ich brauche wohl nicht erst von neuem festzustellen, daß Janardan mit einem merkwürdig schiefen Verstand gesegnet ist, der ihn sicher eines Tages in Gefahr bringen wird. Wenn der König von unserm werten Freund zu hören bekommt, wird er es ihm nicht gerade leicht machen, einen zu finden, der für sein Begräbnis sorgt, wenn er tot ist.
Bhavadatta
Man hat doch das Gefühl, daß das Leben in diesem Lande recht schwer sein muß; man vermißt die Freuden der Einsamkeit in diesen Straßen – dieses Drängen und Schulterstreifen mit fremden Menschen bei Tag und Nacht läßt einen nach einem Bad verlangen. Und mit was für einer Sorte Menschen mag man auf diesen öffentlichen Wegen zusammenkommen – puh!
Kaundilya
Und gerade Janardan hat uns überredet, in dieses kostbare Land zu kommen! Wir hatten nie einen Zweiten seines Schlages in unsrer Familie. Du hast meinen Vater natürlich gekannt; er war ein großer Mann, ein frommer Mann wie nur einer. Er verbrachte sein ganzes Leben innerhalb eines Kreises von 49 Ellen Radius, der mit peinlicher Befolgung der Gebote der heiligen Schriften gezogen war, und nie überschritt er diesen Kreis auch nur ein einziges Mal. Nach seinem Tode erhob sich eine ernsthafte Schwierigkeit – wie sollte man ihn innerhalb der Grenzen der 49 Ellen und doch außerhalb des Hauses verbrennen? Schließlich entschieden die Priester, daß wir zwar nicht über die Schriftzahl hinausgehen durften, daß es aber einen Weg aus der Schwierigkeit gab, die Ziffer umzukehren und 94 Ellen zu nehmen; nur so konnten wir ihn außerhalb des Hauses verbrennen, ohne die heiligen Bücher zu verletzen. Auf mein Wort, das war genaue Befolgung! Unser Land hat wirklich nicht leicht seinesgleichen.
Bhavadatta
Und doch will Janardan, der dem nämlichen Boden entstammt, uns weismachen, freie Landstraßen seien das beste für ein Land.
Die Fremden gehen ab.
Der Großvater mit einer Knabenschar tritt auf.
Großvater
Jungen, heute müssen wir es mit dem wilden Südwind aufnehmen – und wir wollen uns nicht schlagen lassen. Wir wollen singen, bis wir mit unsern Jubelliedern alle Straßen überflutet haben.
Lied
Das Südtor ist entriegelt. Komm, mein Frühling, komm!
Schwing' dich zum Schwung meines Herzens,
komm, mein Frühling, komm!
Komm in den lispelnden Blättern, in den Blüten,
die froh sich verschwenden;
Komm in den Flötenliedern und den sehnenden
Seufzern der Wälder!
Laß dein loses Gewand wild flattern im
trunkenen Wind! komm, mein Frühling, komm!
Ab.
Eine Schar von Bürgern tritt auf.
Erster Bürger
Schließlich kann man nur wünschen, daß der König sich wenigstens an diesem einen Tag hätte sehen lassen. Es ist doch sehr schade: man lebt in seinem Königreich und hat ihn noch nicht ein einziges Mal gesehen!
Zweiter Bürger
Kenntest du nur den wirklichen Sinn dieses Geheimnisses! Ich könnte ihn dir sagen, wenn du schweigen könntest.
Erster Bürger
Lieber Freund, wir wohnen beide im nämlichen Stadtviertel, aber hast du je gehört, daß ich irgend jemandes Geheimnis ausgeplaudert hätte? Natürlich, die Sache damals, als dein Bruder beim Graben eines Brunnens einen Schatz gefunden hatte – nun, du weißt ganz gut, warum ich darüber reden mußte. Du kennst den ganzen Zusammenhang.
Zweiter Bürger
Natürlich kenne ich ihn. Und weil ich ihn kenne, frage ich, könntest du schweigen? Weißt du, es könnte Verderben für uns alle bedeuten, wenn du ein einziges Mal davon sprächest.
Dritter Bürger
Du bist mir ein netter Mensch, Virupakscha! Warum brennst du darauf, ein Unheil herbeizuführen, das bis jetzt nur geschehen kann?
Wer wird die Verantwortung auf sich nehmen wollen, dein Geheimnis sein ganzes Leben lang zu wahren?
Virupakscha
Es war nur, weil die Rede darauf kam – also gut, ich werde nichts sagen. Ich bin nicht der Mann, der unnütz redet. Ihr hattet selbst die Frage aufs Tapet gebracht, daß der König sich nie zeigt; und ich bemerkte bloß, es sei nicht umsonst, daß der König sich vor dem Blick der Öffentlichkeit verschließt.
Erster Bürger
Bitte, sag uns, warum, Virupakscha.
Virupakscha
Natürlich nehme ich keinen Anstand, es euch zu sagen – wir sind ja alle gute Freunde, nicht wahr? Das kann nicht gefährlich sein. (Mit leiser Stimme:) Der König – ist – häßlich –, so hat er den Entschluß gefaßt, sich seinen Untertanen nie zu zeigen.
Erster Bürger
Hah! Das ist es! Das muß es sein. Wir haben uns immer gewundert..., der bloße Anblick eines Königs läßt die Menschen in allen Ländern vor Furcht zittern wie Espenlaub; warum sollte da unser König sich von keinem sterblichen Auge je sehen lassen? Selbst wenn er nur herauskäme, um uns alle zum Galgen zu verdammen, könnten wir sicher sein, daß unser König kein Trug ist. Schließlich scheint mir Virupakschas Erklärung doch ganz einleuchtend.
Dritter Bürger
Nicht die Spur – ich glaube keine Silbe davon.
Virupakscha
Wie, Vischu, willst du sagen, ich wäre ein Lügner?
Vischu
Das gerade nicht – aber ich kann deine Theorie nicht annehmen. Entschuldige mich, ich kann nichts dafür, wenn ich ein bißchen grob und plump scheine.
Virupakscha
Kein Wunder, daß du an meine Worte nicht glauben kannst – wo du dich weise genug dünkst, die Meinungen deiner Eltern und Oberen zu verwerfen. Wie lange, glaubst du, hättest du in diesem Lande bleiben dürfen, wenn der König nicht im Verborgenen bliebe? Du bist nicht besser als ein offenkundiger Ketzer.
Vischu
Mein lieber Pfeiler der Rechtgläubigkeit! Glaubst du, irgendein anderer König hätte gezögert, dir die Zunge abschneiden und sie den Hunden zum Fraß vorwerfen zu lassen? Und du hast die Stirne, zu sagen, unser König wäre den Augen ein Greuel?
Virupakscha
Hör einmal, Vischu, willst du deine Zunge im Zaum halten?
Vischu
Man braucht wohl nicht erst festzustellen, wessen Zunge einen Zaum braucht.
Erster Bürger
Jetzt wird die Sache gefährlich. Da mache ich lieber nicht mit.
Ab.
Eine Zahl Männer tritt auf, die in lärmendem Übermut
Großvater mit sich schleppen.
Zweiter Bürger
Großpapa, etwas fällt mir heute auf ...
Großvater
Was ist es?
Zweiter Bürger
Dies Jahr hat jedes Land seine Leute zu unserm Fest entsandt, doch jedweder fragt: »Alles ist reizend und schön – wo aber ist euer König?« und wir wissen nicht, was wir antworten sollen. Das ist die eine große Lücke, die sich jedem in unserm Lande fühlbar machen muß.
Großvater
»Lücke«, sagst du! Wie, das ganze Land ist ganz erfüllt und geladen und gestopft voll von dem König: und du nennst ihn eine »Lücke«! Wie, er hat jeden einzigen unter uns zum gekrönten König gemacht!
Gesang
Wir sind alle Könige im Königreich unsres Königs.
Wär es nicht so, wie könnten wir hoffen, im Herzen ihm zu begegnen!
Wir tun, was wir wollen, und tun doch, was er will;
Nicht als furchtgefesselte Sklaven liegen wir ihm zu Füßen.
Wär es nicht so, wie könnten wir hoffen, im Herzen ihm zu begegnen!
Unser König ehrt jedweden von uns, und dadurch ehrt er sich selbst.
Keine Armseligkeit kann uns für immer umschließen mit ihren Wällen der Lüge.
Wär es nicht so, wie könnten wir hoffen, im Herzen ihm zu begegnen!
Wir bahnen uns mühsam den eigenen Pfad und erreichen so seinen am Ende.
Wir können nimmer verlorengehn im Abgrund der dunklen Nacht.
Wär es nicht so, wie könnten wir hoffen, im Herzen ihm zu begegnen!
Dritter Bürger
Aber wirklich, ich kann die sinnlosen Sachen nicht mit anhören, die die Leute über unsern König sagen, bloß weil er sich nicht öffentlich zeigt.
Erster Bürger
Stellt euch nur vor! Jeder, der mich beleidigt, kann bestraft werden, während niemand einem Schuft den Mund stopfen kann, dem es einfällt, auf den König zu schimpfen.
Großvater
Der Schimpf kann den König nicht treffen. Mit einem bloßen Hauch kannst du die Flamme ausblasen, die eine Lampe von der Sonne borgt, aber wenn auch die ganze Welt versuchte, die Sonne auszublasen, bliebe ihr strahlender Glanz unverdunkelt und ungeschwächt wie zuvor.
Vischu und Virupakscha treten auf.
Vischu
Da ist der Großvater! Hör doch, dieser Mann geht herum und erzählt jedem, unser König käme nicht heraus, weil er häßlich wäre.
Großvater
Aber warum macht dich das ärgerlich, Vischu? Sein König muß häßlich sein, denn wie könnte sonst Virupakscha in seinem Königreich so ein Gesicht haben? Er formt seinen König nach seinem Bilde, wie er es im Spiegel sieht.
Virupakscha
Großvater, ich will keine Namen nennen, aber keinem würde es einfallen, dem nicht zu glauben, der mir die Neuigkeit anvertraute.
Großvater
Bist du selbst denn nicht die beste Autorität?!
Virupakscha
Aber ich könnte dir Beweise geben...
Erster Bürger
Die Unverschämtheit dieses Burschen kennt keine Grenzen! Nicht zufrieden, mit dreister Stirn ein abscheuliches Gerücht zu verbreiten, will er seine Lügen mit Frechheit aufwägen.
Zweiter Bürger
Warum nehmen wir ihm nicht in ganzer Länge das Maß hier am Boden?
Großvater
Warum so hitzig, Freunde? Der arme Kerl feiert sein Fest auf seine Art, indem er die Häßlichkeit seines Königs besingt. Geh nur, Virupakscha, du wirst eine Menge Leute finden, die bereit sind, dir zu glauben! Viel Glück in ihrer Gesellschaft.
Sie gehen ab.
Die
Gesellschaft der Fremden tritt wieder auf.
Bhavadatta
Mir kommt der Gedanke, Kaundilya, daß dieses Volk überhaupt keinen König hat. Sie haben es irgendwie zuwege gebracht, das Gerücht in Umlauf zu halten.
Kaundilya
Ich glaube, du hast recht. Wir wissen alle, daß das Höchste, was einem in jedem Lande ins Auge fällt, der König ist, der natürlich keine Gelegenheit versäumt, sich sehen zu lassen.
Janardan
Aber seht die gute Zucht und Ordnung, die in dem ganzen Orte herrscht – wie erklärst du das ohne einen König?
Bhavadatta
So, das ist also die Weisheit, zu der du gekommen bist, und hast so lange unter einem Herrscher gelebt? Wozu brauchte man einen König, wenn man schon Zucht und Ordnung hätte?
Janardan
All diese Menschen sind versammelt, um auf diesem Fest froh zu sein. Meinst du, sie könnten dergestalt in einem Lande der Anarchie zusammen kommen?
Bhavadatta
Mein lieber Janardan, du umgehst, wie gewöhnlich, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Was Zucht und Ordnung anlangt, da gibt es keine Frage und auch die Festesfreude ist klar genug: soweit besteht keine Schwierigkeit. Aber wo ist der König? Hast du ihn gesehen? Das mußt du uns sagen.
Janardan
Was ich zu sagen habe, ist dieses: man weiß aus Erfahrung, daß Chaos und Anarchie sein kann, selbst wo ein König da ist: aber was sehen wir hier?
Kaundilya
Immer kommst du mit deinen Ausflüchten. Warum kannst du nicht auf Bhavadattas Frage eine gerade Antwort geben – Hast du den König gesehen, oder hast du ihn nicht gesehen! Ja oder nein?
Sie gehen ab.
Eine Schar von Männern tritt auf und singt.
Lied
Mein Geliebter ist nimmer in meinem Herzen,
Darum erblick ich ihn allüberall,
Er wohnt in der Tiefe meiner Augen,
Darum erblick ich ihn allüberall.
Ich wanderte weit, seine Worte zu hören,
Ach, aber vergebens!
Als ich heimkam, hörte ich sie
In meinen eigenen Liedern.
Wer bist du und suchst ihn wie ein Bettler von Tür zu Tür!
Komm an mein Herz und erblicke sein Antlitz
in den Tränen meiner Augen!
Herolde und Leibwächter des Königs treten auf.
Erster Herold
Platz da! Räumt die Straße, allesamt!
Erster Bürger
Oho, Mann, wofür hältst du dich? Angeboren scheint dir dieser stolze Schritt nicht gerade zu sein, mein Freund. – Warum Platz da, werter Herr? Warum sollen wir von der Stelle weichen? Sind wir Straßenhunde, oder was sonst?
Zweiter Herold
Der König kommt dieses Wegs.
Zweiter Bürger
König? Was für ein König?
Erster Herold
Unser König, der König dieses Landes.
Erster Bürger
Wie, ist der Bursche toll? Wer hat je gehört, daß unser König herauskam und sich solche Schreier zu Herolden wählte.
Zweiter Herold
Der König will sich nicht länger seinen Untertanen entziehen. Er kommt, um das Fest selbst zu leiten.
Zweiter Bürger
Bruder, verhält sich das so?
Zweiter Herold
Sieh hin, dort flattert sein Banner.
Zweiter Bürger
Ah, wirklich, das ist eine Fahne.
Zweiter Herold
Siehst du die rote Kimschuk-Blüte darauf gemalt?
Zweiter Bürger
Ja, ja, es ist wirklich der Kimschuk! – welch strahlende Scharlachblüte!
Erster Herold
Nun also, glaubst du uns nun?
Zweiter Bürger
Ich hab nie gesagt, ich glaubte euch nicht. Der Bursche da, Kumbha, hat den ganzen Lärm angefangen. Hab ich ein Wort gesagt?
Erster Herold
Einen dicken Bauch hat er ja, aber innen ist er vielleicht ganz leer; du weißt, ein leerer Topf dröhnt am lautesten.
Zweiter Herold
Was ist das für einer? Ist er irgendwie mit euch verwandt?
Zweiter Bürger
Ganz und gar nicht. Er ist nur eben ein Vetter vom Schwiegervater unsres Dorfschulzen, und er wohnt nicht einmal im selben Teil unsres Dorfes wie wir.
Zweiter Herold
Aha! so sieht er auch aus! Wie der Vetter siebenten Grades von irgend jemandes Schwiegervater, und sein Verständnis scheint auch den Stempel der Schwiegeronkelschaft zu tragen.
Kumbha
Ach, liebe Freunde, manch bitterer Kummer hat meinem armen Geist einen Stoß versetzt, bis er so geworden ist. Erst unlängst kam ein König und prunkte in den Straßen und sandte so viele Titel vor sich her wie Trommeln, die durch ihren Lärm den Aufenthalt in der Stadt unerträglich machten... Was tat ich nicht alles, um ihm zu dienen und zu Gefallen zu sein! Ich überschüttete ihn mit Geschenken, ich hing mich an ihn wie ein Bettler – und schließlich fand ich den Druck auf meine Einnahmen zu schwer zu tragen. Aber was war das Ende der ganzen Pracht und Majestät? Als man ihm mit Gesuchen und Bitten nahte, da konnte er im Kalender keinen einzigen günstigen Tag entdecken: obschon alle Tage rot angestrichen waren, wenn wir unsre Steuern zu zahlen hatten!
Zweiter Herold
Willst du etwa zu verstehen geben, unser König wäre ein falscher König wie der, den du beschrieben hast?
Erster Herold
Herr Schwiegeronkel, ich glaube, es ist an der Zeit für dich, dem Schwiegertantchen Adieu zu sagen.
Kumbha
Bitte, ihr Herren, seid nicht böse. Ich bin ein armes Geschöpf – ich bitte ergebenst um Entschuldigung, ihr Herren: ich will alles dazu tun. Ich bin gern bereit, so weit weg zu gehen, wie es euch beliebt.
Zweiter Herold
Schon recht, kommt hierher und bildet Spalier. Der König wird gleich kommen – wir wollen gehen und ihm den Weg bereiten.
Zweiter Bürger
Mein lieber Kumbha, deine Zunge wird noch einmal dein Tod sein.
Kumbha
Freund Madhav, es ist nicht meine Zunge, es ist Schicksal. Als der falsche König auftrat, sagte ich kein einziges Wort, obwohl mich das nicht abhielt, mit dem ganzen Selbstvertrauen der Unschuld über meine eigenen Füße zu stolpern. Und jetzt, wo vielleicht der wirkliche König gekommen ist, muß ich glattweg Hochverrat in den Tag reden. Es ist Schicksal, lieber Freund!
Madhav
Mein Grundsatz ist, dem König immer zu gehorchen – es macht nichts aus, ob er ein echter oder falscher ist. Was wissen wir von Königen, daß wir über sie urteilen sollten! Es ist gerade, wie wenn man im Dunkeln Steine wirft – man ist fast sicher, sein Ziel zu treffen. Ich gehorche immerzu und huldige – ist es ein richtiger König, gut und schön; wenn nicht, was schadet es?
Kumbha
Mir wäre es schon einerlei, wenn die Steine nichts weiter als Steine wären. Aber es sind oft kostbare Sachen: hier, wie sonstwo, führt uns Verschwendung schließlich zu Armut, mein Freund.
Madhav
Da sieh! Da kommt der König! Ah, ein König wahrhaftig! Was für eine Gestalt, was für ein Gesicht! Wer hat je solch eine Schönheit gesehen – weiß wie eine Lilie und sanft wie ein Pfirsich! Wie nun, Kumbha? Was meinst du nun?
Kumbha
Er sieht schon recht aus – ja, soviel ich beurteilen kann, mag er schon der rechte König sein.
Madhav
Er sieht aus, als wäre er fürs Königsein gegossen und geschnitzt, diese Gestalt ist zu zart und erlesen für das gemeine Licht des Tages.
Der »König« tritt auf.
Madhav
Heil und Sieg geleite dich, o König! Wir stehen hier seit dem frühen Morgen, um dich zu Gesicht zu bekommen. Ew. Majestät zu Gnaden, vergeßt uns nicht!
Kumbha
Das Geheimnis wird tiefer. Ich will gehen und Großvater holen.
Ab. Eine andere Schar Männer tritt auf.
Erster Mann
Der König, der König! Kommt her, schnell, der König geht dieses Wegs.
Zweiter Mann
Vergiß mich nicht, o König! Ich bin Vivajadatta, der Enkel Udayadattas von Kushalivastu. Ich bin auf die erste Kunde, daß du kämest, hierher geeilt – ich hielt nicht an, um zu hören, was die Leute sagten: all die Untertanentreue in mir neigte sich dir zu, o Monarch, und brachte mich her.
Dritter Mann
Unsinn! Ich bin früher hier gewesen als du – vor dem Hahnenschrei. Wo stecktest du denn da? O König, ich bin Bhadrasena, von Vikramasthali. Geruhe, deinen Diener in deinem Gedächtnis zu bewahren!
König
Ich bin sehr befriedigt von eurer Treue und Ergebenheit.
Vivajadatta
Majestät, groß ist die Zahl der Klagen und Beschwerden, die wir dir vorzutragen haben: an wen hätten wir uns so lange mit unsern Gesuchen wenden sollen, solange wir deiner erhabenen Gegenwart nicht nahen durften?
König
All euren Beschwerden soll abgeholfen werden.
Ab.
Erster Mann
Es führt zu nichts, uns hinten herumzudrücken, Jungen – der König wird uns aus den Augen verlieren, wenn wir uns in den Pöbel mischen.
Zweiter Mann
Seht einmal, was der Narr Narottam dort tut! Er hat sich durch uns alle hindurchgedrängt und fächelt jetzt dem König eifrig mit einem Palmblatt Kühlung zu!
Madhav
Wahrhaftig! Nun, nun, die Dreistigkeit dieses Menschen nimmt einem den Atem.
Zweiter Mann
Wir sollten den Kerl anpacken und von der Stelle schaffen – ist er berufen, neben dem König zu stehen?
Madhav
Bildest du dir ein, der König durchschaut ihn nicht? Seine Untertänigkeit ist doch ein bißchen zu dick aufgetragen.
Erster Mann
Unsinn! Könige können Heuchler nicht wittern wie unsereins – es sollte mich nicht wundern, wenn der König sich von dem unermüdlichen Fächeln dieses Narren einfangen ließe.
Kumbha und Großvater treten auf.
Ich sage dir – er ist jetzt eben durch diese Straße gekommen.
Großvater
Ist das ein ganz unfehlbarer Beweis seines Königtums?
Kumbha
O nein, aber alle haben ihn gesehen! Nicht einer oder zwei, sondern Hunderte und Tausende auf beiden Seiten der Straße haben ihn mit eigenen Augen gesehen.
Großvater
Das eben macht die ganze Sache verdächtig. Wann wäre unser König je drauf ausgegangen, die Augen des Volks durch Pomp und Gepränge zu blenden? Er ist nicht der König, solch einen Spektakel zu erregen, wenn er durch das Land reist.
Kumbha
Aber es mag ihm beliebt haben, es bei dieser wichtigen Gelegenheit zu tun: das kann man nicht sicher wissen.
Großvater
O ja, man kann! Mein König kennt keine Wetterfahnenlaune und neigt nicht zu phantastischen Einfällen.
Kumbha
Aber Großvater, ich wollte nur, ich könnte ihn dir beschreiben! So sanft, so zart und fein wie eine Wachspuppe! Als ich ihn sah, verlangte es mich, ihn vor der Sonne zu schirmen, ihn mit meinem ganzen Leibe zu schützen.
Großvater
Ach, du Narr, du kostbarer Esel, der du bist!
Mein König eine Wachspuppe, und du ihn schützen!
Kumbha
Aber im Ernst, Großpapa, er ist ein herrlicher Gott, ein Wunder an Schönheit: ich finde keine einzige Gestalt in dieser weiten Versammlung, die neben seiner unvergleichlichen Lieblichkeit bestehen könnte.
Großvater
Wenn es meinem König beliebte, sich zu zeigen, würden deine Augen ihn nicht bemerken. Er würde nicht dergestalt über die andern hervorragen – er ist einer aus dem Volk, er mischt sich unter den gemeinen Pöbel.
Kumbha
Aber sagte ich dir nicht, daß ich sein Banner gesehen habe?
Großvater
Was für ein Zeichen trug sein Banner?
Kumbha
Es war eine rote Kimschuk-Blüte darauf gemalt – das hell leuchtende Rot blendete meine Augen.
Großvater
Mein König führt einen Donnerkeil in einem Lotus in seinem Banner.
Kumbha
Aber alle sagen sie, der König sei zu diesem Feste gekommen: alle.
Großvater
Gewiß ist er das: aber er hat keine Herolde, kein Heer, kein Gefolge, keine Musikbanden und keine Laternen, die ihn begleiten.
Kumbha
So könnte ihn, scheint's, niemand in seinem Inkognito erkennen.
Großvater
Vielleicht gibt es ein paar, die es können.
Kumbha
Und die ihn erkennen – gewährt ihnen der König alles, was sie begehren?
Großvater
Aber sie begehren nie etwas. Kein Bettler wird je den König kennen. Der größere Bettler sieht in den Augen des kleineren Bettlers wie ein König aus. O Narr, der Mann, der heute auf die Straße gegangen ist, in Purpur und Gold angetan, um dich anzubetteln – ihn posaunst du als deinen König aus!... Ah, da kommt mein toller Freund! O kommt, meine Brüder! wir dürfen den Tag nicht mit eitlem Streiten und Schwatzen verbringen – geben wir uns jetzt toller Lustbarkeit, wildem Entzücken hin!
Der tolle Freund tritt auf, singend.
Lächelt ihr, Freunde? Lacht ihr, Brüder? Ich streife herum und suche den goldenen Hirsch! Ja, ach ja, ich schaue den Leichtfuß, und immer entwischt er mir!
Oh, er flitzt und blinkt wie ein Blitz und schon ist er weg, der wilde Waldvagabund! Nahe dich ihm, und im Nu ist er fern; ein Gewölk von Dunst und Staub bleibt dir zurück!
Doch streif ich herum und suche den goldenen Hirsch, wenn ich ihn nimmer auch fangen mag in dieser Wildnis! Oh, ich streife und wandre durch Wälder und Felder und namenlose Gefilde wie ein rastloser Landstreicher und denk nicht an Umkehr.
Ihr alle kommt zum Kauf auf den Markt und kehrt heim mit Waren und Vorrat beladen: mich aber haben die wilden Winde aus unerklimmbaren Höhen gestreift und geküßt; ich weiß nicht wann und wo.
All meine Habe hab ich von mir geworfen, um zu erlangen, was nie mein worden ist! Und ihr wähnt, mein Klagen und meine Tränen gelten den Dingen, die so ich verlor!
Mit Lachen und Singen im Herzen hab ich Kummer und Gram weit hinten gelassen: Oh, ich streife und wandre durch Wälder und Felder und namenlose Länder – und denk nicht daran, meine Fahrt zu enden.